Kurz-Protokoll 255. Verhandlungstag – 14. Januar 2016

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An diesem Prozesstag wird Ralf Wohlleben weiter zu seinen Angaben befragt. Dabei geht es um Tino Brandt, um die erste Zeit der drei im Untergrund und Unterstützungshandlungen, in die Wohlleben eingebunden war oder von denen er wusste.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:47 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Wir sind ja bei Ihnen, Herr Wohlleben. Dann würde ich Sie bitten, dass wir zu dem weiteren Treffen kommen. Sie hatten angegeben, dass Sie mit dem Zug nach Zwickau gefahren wären. Wann war das?“ Wohlleben: „Das muss relativ kurz nach Tino Brandt seiner Enttarnung gewesen sein. Das bestimmende Thema war Tino Brandt.“ Götzl: „Wann haben Sie von der Enttarnung erfahren?“ Wohlleben: „April, Mai 2001, glaube ich.“ Götzl: „Bei dem Treffen sei es um das Thema V-Mann-Tätigkeit Brandt gegangen und Böhnhardt und Mundlos hätten gefragt, ob Brandt etwas über ihren Aufenthaltsort wüsste. War Frau Zschäpe auch zugegen?“ Wohlleben: „Frau Zschäpe war da mit anwesend.“
Götzl: „Ist da sonst noch was gesprochen worden?“ Wohlleben: „Ich habe aus der Frage geschlossen, dass Brandt wusste, wo die sind, weil die das so sagten. Ich ging zum damaligen Zeitpunkt davon aus, dass Brandt in dem Zusammenhang nichts gesagt hat, dass er gar nichts zum VS gesagt hat. Weil so hat er sich ja immer dargestellt, als heiliger Samariter, der das Geld vom VS in der Szene verteilt hat.“ Götzl: „Ich hatte Sie so verstanden, dass Sie es für möglich gehalten haben.“ Wohlleben: „Es kann auch sein, dass ich das Brandt irgendwann mal gesagt habe. Kann ja sein, dass ich ihm mal gesagt habe: Die sind in Chemnitz.“
Götzl: „Ging es noch um andere Themen bei diesem Treffen?“ Wohlleben: „Es könnte sein, dass es nochmal um die weitere Gestaltung gegangen ist, wie die sich weiter im Untergrund verhalten. Und dann, dass beabsichtigt ist, dass sich Beate stellt und die anderen zwei sich ins Ausland abducken. Das war ja immer wieder Gesprächsthema.“ Götzl: „Welche Überlegungen wurden von den drei Personen angestellt zu dem Thema?“ Wohlleben: „Dass Beate sich stellt und die zwei Uwes sich im Ausland versteckt halten.“
Götzl: „Thema Ausland: Ist über irgendwelche konkreten Länder gesprochen worden?“ Wohlleben: „Südafrika und Amerika waren halt mal im Gespräch. André Kapke war mal in Südafrika, ein geplanter Urlaubsbesuch, nicht wegen den Drei. Er hat da gefragt, ob die Leute da unterkommen können, da hieß es Ja. Aber dann war die Frage, wie die da runter kommen, das ist wohl gescheitert. Und dann gab es die Bemühungen über Heise, aber das kann ich nicht mehr genau sagen. Ich habe da nicht nachgefragt.“
Götzl fragt, ob Wohlleben die Anzahl der Telefonkontakte zu den Untergetauchten etwa abschätzen könne. Wohlleben: „Aus heutiger Sicht gar nicht mehr. Keine Regelmäßigkeit. [phon.] Am Anfang war es so, dass wir am Telefon den nächsten Termin ausgemacht habe, da können zwei oder vier Wochen dazwischen gewesen sein.“ Götzl fragt nach einer Größenordnung. Wohlleben: „Kann sein, dass wir bei wichtigen Sachen [phon.] auch wöchentlich telefoniert haben. Aber, wie gesagt, das ist alles Spekulation.“ Götzl: „Über welchen Zeitraum telefonierte denn jetzt Carsten Schultze mit Böhnhardt, Mundlos und ggf. Frau Zschäpe?“ Wohlleben: „Das weiß ich halt leider auch nicht mehr, wann das begonnen hat, kann ’98 gewesen sein, ’99. Und dann bis 2000 hinein, wie er selber sagt.“
Götzl: „Haben Sie sich mit einem oder den dreien mal unterhalten, wovon sie leben?“ Wohlleben: „Ich weiß, dass am Anfang über Geldnot geklagt wurde, und dann war das kein Thema mehr. Dann wurde halt nicht mehr über Geldnot geklagt.“ Götzl: „Am Anfang?“ Wohlleben: „Dadurch dass ich im März ’99 noch die 500 DM von Brandt genommen haben soll, oder die habe ich genommen, war da noch Geldnot. [phon.] Ich weiß aber nicht, wie lang. Die Nachfrage kam einfach nicht mehr. Aber es kam auch kein Geld mehr. Diese 500 DM von Brandt war ja auch eine Ausnahme. Die Spendenbereitschaft der Leute aus unserem Umfeld bestand ja auch nur am Anfang. Wo das Thema eins, zwei Monate aktiv war, war die Spendenbereitschaft weg.“
Götzl: „Sie sagten zum Thema Gewalt, dass Sie Gewalt ablehnen und ihre Auffassung im rechten Lager auch bekannt gewesen sei. „Im rechten Lager bekannt gewesen‘: Können Sie das erläutern?“ Wohlleben: „Das sieht man ja an den Zeugenaussagen hier und im Ermittlungsverfahren. Da sagt ja niemand, dass ich mich permanent total [phon.] gewalttätig verhalten hätte, sondern, im Gegenteil, Gewalt abgelehnt habe.“
Götzl fragt, was Wohlleben zur NPD-Schulungsveranstaltung am 29.01.2000 in der Froschmühle bei Eisenberg sagen könne. Wohlleben: „Dass ich teilgenommen habe. Ich habe die Schulung auch eröffnet. Die Einladung von Edda Schmidt lief über Brandt. Ich hatte mich um die Örtlichkeit gekümmert. Weil Brandt gesagt hat, er will seinen Geburtstag feiern, war es dann die Jugendherberge. Sonst hätten wir es woanders machen können. An das Ansprechen erinnere ich mich so nicht. Allerdings erscheint mir die Reaktion, die da beschrieben wird, untypisch für mich. Ich hätte nicht in der Gruppe unwirsch reagiert, ich hätte das eher im Vieraugengespräch geklärt.“
Vorhalt aus der VS-Deckblattmeldung zu der Veranstaltung: Der namentlich unbekannte Chemnitzer habe gesagt, den dreien ging es gut, Wohlleben habe ihn unterbrochen und gesagt das ginge keinen etwas hier an, dass er Zoff bekommen würde. Wohlleben: „So hätte ich nicht reagiert. Ich hätte das im Vieraugengespräch gesagt, dass so was nicht geht.“
Vorhalt: Aus dem Vermerk geht weiterhin hervor, dass Carsten Schultze dem Brandt während eines Gespräches am 13.03.1999 mitteilt, dass nicht mehr der Wohlleben, sondern er, Schultze, nunmehr den telefonischen Kontakt zu den Drei halte. Wohlleben habe ihm, Schultze, diesen Auftrag erteilt, da er, Wohlleben, sich ständig beschattet und verwanzt fühle. Wohlleben: „Kann sein. Eine zeitliche Einordnung, wann Carsten Schultze eingebunden wurde, habe ich überhaupt gar nicht.“
Vorhalt: 26.05.1999: Der jetzt in Hannover wohnende Holger Gerlach habe am 15.05.1999 in der Wohnung des Wohlleben in Jena eine Party gefeiert. Im Rahmen der Party kam es u.a. zwischen Wohlleben und Gerlach zu einem vertraulichen Gespräch über die drei Flüchtigen. Im Zuge des Gespräches bat Wohlleben Gerlach, aus räumlichen Gründen Kontakt mit Heise aufzunehmen, um an Heises Auslandskontakte zu kommen. Gerlach sicherte zu, das Gespräch mit Heise zu suchen und zu führen. Wohlleben: „Ich erinnere mich nicht an den Geburtstag, bei mir gab es öfters mal Feierlichkeiten. Und dass Heise eingebunden werden sollte, habe ich gesagt. Und dass das über Holger Gerlach laufen sollte, auch. Und ich weiß noch, dass Holger zu der Hochzeitsfeier gefahren ist.“
RA Hösl von der Verteidigung Schultze sagt, Wohlleben habe angegeben, dass Böhnhardt ihn auf eine Waffe angesprochen habe und er, Wohlleben, habe das abgelehnt. Wohlleben: „Ich habe das innerlich abgelehnt, nicht gegenüber Uwe Böhnhardt.“ Hösl sagt, vergleichbar habe sich Wohlleben bei der Waffe Gerlach geäußert: „Da haben Sie gesagt, es sei ja um den Suizid eines Freundes gegangen. Aber Sie haben gesagt, als Herr Schultze mit diesem Ansinnen auf Sie zukam, hätten Sie gesagt, er soll ins Madley gehen. Weshalb?“ Wohlleben: „Weil ich nicht davon ausgegangen bin, dass er dort eine kriegt. Das ist jetzt Spekulation, aber ich vermute, dass ich es so gemacht habe, weil, wenn ich das nicht gesagt hätte mit dem Madley, er das am Telefon erzählt hätte, dass ich dann Ärger bekommen hätte, weil ich mich nicht drum kümmere. [phon.] Ich bin aber jedenfalls nicht davon ausgegangen, dass es im Madley einen scharfe Waffe gibt.“
Götzl: „Ja, wie sieht’s denn von Seiten der Nebenklägervertreter mit Fragen aus?“ Klemke bittet um das Wort und sagt dann, dass Wohlleben keine Fragen der von RA Hoffmann vertretenen Nebenklägerin bzw. von RA Hoffmann selbst beantworten werde, weil die Verteidigung Wohlleben nicht davon ausgehe, dass die Mandantin von Hoffmann eine Nebenklagebefugnis hat.

NK-Vertreter RA Scharmer gibt eine Erklärung ab: „Ich sitze hier als Vertreter von Gamze Kubaşık, in deren Name ich die Erklärung abgeben möchte. Ihr Interesse ist die Aufklärung der Ermordung ihres Vaters. Sie hätte viele Fragen an Ralf Wohlleben. Sie ist auch der Überzeugung, dass Herr Wohlleben diese Fragen beantworten könnte. Aber sie ist sich sicher, dass dies nicht wahrheitsgemäß erfolgen würde. Auf die zahlreichen Widersprüche in seiner Aussage werde ich im Plädoyer eingehen. Gamze Kubaşık empfindet die Darstellung der rechten Szene in Jena quasi als ‚Friedensbewegung‘ mit ihm als quasi ‚Nationalpazifisten‘ als Zumutung, der sie nicht weiter Raum geben möchte. Sie weiß, dass er als Angeklagter das Recht hat zu lügen, das heißt aber nicht, dass ihm jemand das glaubt.“
NK-Vertreter RA Kuhn erklärt: „Der Angeklagte Wohlleben hat sich bzgl. der objektiven Beihilfehandlung geständig eingelassen. Soweit er versucht, Zweifel an der Identität der Mordwaffe zu säen, ist er durch die bisherige Beweisaufnahme bereits widerlegt. Dem Versuch, seinen Vorsatz zu leugnen, hat er selbst die Grundlage entzogen.“ Kuhn fährt fort und sagt, der Versuch Wohllebens seinen Vorsatz zu leugnen, indem er sagt, die Beschaffung der Waffe habe allein einem Suizid dienen sollen, sei mit der bisherigen Beweisaufnahme nicht in Übereinstimmung zu bringen. Der Versuch, dem Ergebnis der Beweisaufnahme etwas entgegenzusetzen, sei gescheitert: „Im Ergebnis bestätigt die Einlassung die bisherige Beweisaufnahme.“
NK-Vertreter RA Hoffmann erklärt: „Wir sollen beurteilen, welche Glaubhaftigkeit eine Aussage eines Angeklagten hat, die zunächst am 251. Verhandlungstag und danach abgegeben wurde. Es ist deutlich, dass diese Einlassung um die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme herum konstruiert wurde. Das wurde besonders deutlich, weil Wohlleben zum Teil ja sogar Fundstellenangaben gemacht hat, worauf er sich bezieht. Das erfolgte in der schriftlich vorbereiteten Einlassung noch deutlicher als bei der Befragung, wo andere Antworten kamen, wo z.B. zugegeben wurde, dass man die Waffe doch nicht so genau angeschaut hat. Deswegen ist die Aussage eines Zeugen oder Angeklagten zu einem frühen Zeitpunkt, die man im weiteren überprüfen kann, sehr viel glaubwürdiger als die Aussage, die am 251. Verhandlungstag kommt. Man wird die Angaben nutzen können zu Lasten des Angeklagten, wo sie bestätigen, was wir ohnehin schon herausbekommen haben.
Aber der zentrale Satz, Motiv der Beschaffung der Waffe sei gewesen der Wunsch Böhnhardts sich im Zweifel umbringen zu wollen, – eine Motivlage, die das erste Mal zwei Tage vorher von der Angeklagten Zschäpe angebracht wurde, vorher nie – wird nicht zur Entlastung führen, weil es zu einem Zeitpunkt kommt, wo es nicht mehr überprüfbar ist. Es wäre reine Glaubenssache. Es sind keine Angaben zu seiner Entlastung gemacht worden, die wirklich überprüfbar oder hinterfragbar sind. Gleichwohl wird man einiges widerlegen können, das werden wir mit Beweisanträgen noch tun. Zu der Selbstdarstellung, auch der politischen Selbstdarstellung: Von frühester Jugend an unter dem Druck der Verbotsdrohung gegen den THS – und diese Verbotsüberlegungen kamen ja nicht von ungefähr – hat der Angeklagte sich damit auseinandergesetzt, wie er seine Ziele darstellt, dass sie noch legal sind. Das war mehr als zehn Jahre lang, auch in der NPD, seine politische Praxis. Das hat man genau so wieder gehört. Und die Demagogie, wo jetzt die Zuschreibung als gewaltfreier Nationaler kommt, die Beschreibung Kapkes als Friedenstaube, ist eben dieselbe Demagogie, mit der man demonstriert hat für den ‚Friedensflieger‘ Hess.“
V. d. Behrens: „Der Angeklagte hat zugegeben, dass er wusste, dass TNT in der Bombenattrappe verwendet wurde. Welche Menge ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass es einen Zugang zu TNT offensichtlich gegeben hat. Er hat zugegeben, dass er ein Gerät hatte, um Polizeifunk abzuhören. Er wusste, dass eine Garage angemietet werden soll. Er sagt, nur um dort Propagandamaterial unterzubringen, aber er wusste von der Anmietung. Er wusste von dem antisemitischen und menschenverachtenden Spiel ‚Pogromly‘. Er wusste, dass Schießübungen an der Tagesordnung waren, wenn auch in Südafrika. Das heißt, er wusste ganz genau, wem er diese Waffe liefert und was damit passieren wird.“ Der Verhandlungstag endet um 14:12 Uhr.

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Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.