Der ‚Fatalist‘: Desinformation als Strategie

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Das Blog »NSU Leaks« verbreitet gezielt Desinformation zum NSU-Komplex – eine Strategie, die vor allem darauf abzielt, Uwe , und sowie die weiteren Angeklagten im laufenden Prozess am Oberlandesgericht München zu entlasten.

von Jara Behrens und Kaya Schwarz

zuerst erschienen in Der Rechte Rand 158/2016, vielen Dank an die Autorinnen und die Redaktion

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Zum Hintergrundrauschen des NSU-Komplexes in den sozialen gehört seit dem Frühjahr 2014 das Blog »NSU Leaks«. Dahinter steht vor allem ein Blogger, der unter dem Namen »« in Erscheinung tritt. Mit Hilfe dieses und anderer Pseudonyme, Websites, Blogs und Twitter-Accounts veröffentlicht er gezielt einseitige Informationen und Akten aus dem Ermittlungsverfahren gegen Beate Zschäpe und die anderen Angeklagten. Damit versucht er, gezielt die öffentliche Meinung zu Gunsten des NSU-Kerntrios zu beeinflussen. Hilfestellung erhält »Fatalist« dabei aus der extremen Rechten und der weiten Welt der VerschwörungstheoretikerInnen. Aber auch bürgerliche Medien und populäre AutorInnen bedienen sich bei »Fatalist«. Der Fernsehautor Clemens Riha widmete ihm und seinem »Arbeitskreis NSU« gar einen eigenen Beitrag in der »Kulturzeit« von 3Sat. Der Autor Wolfgang Schorlau erwähnt in seinem NSU-Verschwörungskrimi »Die schützende Hand« neben anderen Quellen auch »Fatalist« als »ominösen Mann«, der »Insiderwissen« unter die Leute bringe.

Entlastung der extremen Rechten

Bei Recherchen zum Netzwerk um »Fatalist« wird schnell deutlich, dass das Blog »NSU Leaks« als Flaggschiff für ein halbes Dutzend weiterer Websites wie »Sicherungsblog« und Twitter-Accounts wie »@Rabenzauber« auftritt. Ziel dieses Netzwerks scheint zu sein, durch gezielte Desinformation und das Spiel mit vermeintlichen Quellen aus den Ermittlungsakten eine Erzählung im NSU-Komplex voranzutreiben, von der Neonazis und Verfassungsschutzbehörden gleichermaßen profitieren. Denn hier wird das Netzwerk des »Nationalsozialistischen Untergrunds« als Erfindung der Geheimdienste dargestellt. Damit werden einerseits der mörderische Rassismus sowie der unbedingte Willen der Neonazis, diesen mörderischen Rassismus in die Tat umzusetzen, geleugnet. Andererseits profitieren die Verfassungsschutzbehörden indirekt von »NSU Leaks«, weil mit Beiträgen im Blog gezielt gegen antifaschistische Recherche und engagierte JournalistInnen gehetzt und damit deren Kritik an der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden diskreditiert wird. Gleichzeitig transportiert das Blog offenen Rassismus: So wurden beispielsweise auf »NSU Leaks« Betroffene der Sprengstoffanschläge und Angehörige der Mordopfer nach ihren ZeugInnenaussagen am Oberlandesgericht München gezielt lächerlich und unglaubwürdig gemacht und – wie im Fall der Überlebenden des Sprengstoffanschlags auf das Lebensmittelgeschäft einer iranischen Familie in der Propsteigasse in Köln im Jahr 2001 – gezielt persönliche Details der Betroffenen veröffentlicht. Die Aufklärungsblockade der Geheimdienste und die vielen offenen Fragen im NSU-Komplex tragen nicht unwesentlich dazu bei, dass viele apolitische und/oder für Querfront-Ideen anfällige LeserInnen bereit sind, der Selbstdarstellung von »Fatalist« und seines Netzwerks als vermeintliche »Whistle-blower« Glauben zu schenken. Faktisch geht es in jedem Beitrag von »NSU Leaks« darum, die grundsätzliche Botschaft zu verstärken, dass es sich beim Neonazi-Netzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« um eine Erfindung von Geheimdiensten handle, die nun von linken Medien im Kampf gegen die extreme Rechte verwendet wird.

Ein Netzwerk

Im Sommer 2014 hatte sich ein bis dato unbekannter »Arbeitskreis NSU« an den Innenausschuss des Bundestages gewandt. Das Schreiben, das deutschen Behörden Aktenmanipulation vorwirft, ist von mehreren Autoren verfasst. Als deren Kopf gilt Christian Reißer, der derzeit in Kambodscha lebt und dort eine Firma zur Montage von Solarzellen betreibt. Unter den Unterzeichnern des Briefs, die gegenüber dem Bundestagsinnenausschuss als »Arbeitskreis NSU« auftreten, findet sich auch ein knappes Dutzend Männer aus dem rechtskonservativen Milieu: Vom Unterzeichner eines Appells für den inhaftierten Holocaustleugner Horst Mahler bis zu einem ehemaligen Mitglied der »Jungen Union« ist alles dabei.
Für die Strafverfolgungsbehörden handelt es sich beim »Arbeitskreis NSU« um »Eingabeverfasser mit kruden Verschwörungstheorien«, deren »vorsätzliche Fälschung von Ermittlungsergebnissen« von den wahren Tätern ablenken« solle. Die Staatsanwaltschaft Zwickau führt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen Paragraf 353d Nr. 3 StGB – »Verbotene Mitteilung über Gerichtsverfahren« – gegen Christian Reißer. Reißer hat es in kurzer Zeit geschafft – vor allem durch Suchmaschinenoptimierung seiner Blog-Beiträge – bei Google–Suchen im NSU-Kontext – ganz oben zu erscheinen. Bei dem umtriebigen Forenschreiber des rechtsaußen Portals »Politikforen.net«, das auch als Auffangbecken des verbotenen »-Forums« gilt, soll es sich um »Fatalist«, den Betreiber des vielgeklickten und zitierten Blogs »NSU-Leaks« handeln.

Christian Reißer

Der Diplom-Ingenieur, Jahrgang 1966 und geborener Kölner, unterhielt bis Herbst 2013 ein Unternehmen für regenerative Energien in Steinberg bei Zwickau. Ein Löschungsantrag im Handelsregister liegt seit dem 24. Oktober 2013 vor. Auf Facebook trat Reißer mehrere Jahre lang unter dem Pseudonym »Christian Penha« auf. Sein Profil zierte nach November 2011 das Konterfei der Comicfigur Pink Panther – eben jener Comicfigur, die das neonazistische Terrornetzwerk NSU durch seine menschenverachtende Bekenner-DVD von Tatort zu Tatort spazieren lässt. Unter den überwiegend familiären Kontakten des Christian Penha sticht Bernhard M. Renner hervor, der Stützpunktleiter der »Jungen Nationaldemokraten« (JN) in Minden war und bis 2004 eine Haftstrafe für einen rassistischen Überfall auf einen Libanesen verbüßte. Renner war bis zu seinem Tod im Herbst 2015 nicht nur aktiv im »Arbeitskreis NSU«, sondern auch einer der wenigen Freunde, die schon lange im Profil von Christian Reißer auf Facebook auftauchten, und nicht dessen familiären oder sozialen Umfeld entstammten.

Die »NSU/NSDAP«-CD

Am 13. November 2013 postete »Fatalist« auf der Website »Politikforen.net« in einem Thread, der sich mit dem NSU unter dem herabwürdigenden Titel »Döner-Morde« befasst, das Booklet und Inhaltsverzeichnis einer CD mit dem Titel »NSU-NSDAP«. Wenige Monate später, im Frühjahr 2014, übergab ein des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg eben jene CD an seinen V-Mann-Führer. Ein weiteres Exemplar wurde in Krakow am See (Mecklenburg-Vorpommern) bei einer Razzia wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz gefunden. Im März 2014 stellte das BKA eine weitere CD im Bundesamt für Verfassungsschutz sicher. Eine vierte CD wurde in Chemnitz im Zuge einer Razzia infolge des Verbots der »Nationalen Sozialisten Chemnitz« beschlagnahmt. [*] Auffällig ist, dass sowohl die von Christian Reißer auf »Politikforen.net« gepostete Inhaltsstruktur der »NSU/NSDAP«-CD als auch die in Chemnitz sichergestellte CD identisch sind. Als Verteiler der CD gilt der mittlerweile verstorbene Neonazi und staatliche Zuträger , alias V-Mann »«, der zuletzt bei Paderborn in Obhut des Bundesamtes für Verfassungsschutz lebte und im April 2014 starb.

Veröffentlichungen Thüringer Ermittlungsakten

Eine dritte Verbindung zur Neonazi-Szene führt nach Thüringen. Schon zwei Mal postete »Fatalist« Auszüge aus Ermittlungsakten der Thüringer Polizei. Die Dokumente legen nahe, dass »Fatalist« im Austausch mit Neonazis aus den Strukturen des »Freien Netz Thüringen« steht. Zum einen handelt es sich um Dokumente und Korrespondenz rund um ein Strukturermittlungsverfahren der »SOKO Feuerball« aus dem Jahr 2010. Darin wurden Neonazis mit Verbindungen zu dem vor dem Oberlandesgericht München wegen NSU-Unterstützung angeklagten beschuldigt, Waffen und Sprengstoff zu besitzen und damit Anschläge auf Linke verüben zu wollen. Im zweiten Fall handelt es sich um Akten, die im Zusammenhang mit einem Vorwurf der Körperverletzung gegen AntifaschistInnen entstanden sind. Die verwendeten Dokumente können in diesem Fall über die vermeintlich Geschädigten die ebenfalls Akteneinsicht hatten, an »Fatalist« gelangt sein.
Auch wenn noch eine Reihe von Fragen zu »Fatalist« und dessen Netzwerk offen sind, so steht doch ein zentrales Ergebnis längst fest: AntifaschistInnen und seriöse JournalistInnen sollten alles daran setzen, der Selbststilisierung und Selbstinszenierung des »Fatalisten« als »Aufklärer« beziehungsweise »Whistleblower« entgegen zu wirken.

[*]    An dieser Stelle haben wir im ursprünglichen Artikel fälschlicherweise eine Person genannt, bei der die CD sichergestellt worden sein sollte. Diese Information über die genannte Person war falsch und beruhte auf einer bedauerlichen Verwechslung. Wir entschuldigen uns für diesen Fehler bei unseren Leser_innen.

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