Kurz-Protokoll 272. Verhandlungstag – 17. März 2016

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Am heutigen Prozesstag werden zwei Zeug_innen zu Bank- bzw. Postüberfällen befragt. Außerdem sagt KK‚in Pf. über ihre Recherchen zu der Frage aus, ob Beate Zschäpe vom brennenden Wohnmobil über das Radio erfahren haben kann und wie die Aufnahmen zum Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße entstanden sein könnten. Die Vernehmung der Zeugin zum dem bei Wohlleben gefundenen T-Shirt mit der Aufschrift „Eisenbahnromantik“ scheitert an einem Antrag der Wohlleben-Verteidigung, die Hauptverhandlung für umfassende Akteneinsicht für zwei Monate zu unterbrechen.

 

Zeug_innen:
Dirk W. (Bankangestellter Chemnitz, zum Banküberfall am 14.05.2004)
Jeannette Pf. (KK‚in, BKA Meckenheim, Erkenntnisse zu Radioberichten am 04.11.2011 und Aufnahmen von Berichten über den Bombenanschlag auf die Kölner Keupstraße)
Frank B. (Zeuge des Überfalls auf die Postfiliale in Eisenach am 05.07.2001)
KOKin Nadja En. (BKA Wiesbaden, Feststellungen zu T-Shirt „Eisenbahnromantik“, das bei Wohlleben gefunden wurde)

 

Der Prozess beginnt um 09:46 Uhr. Befragt wird der Zeuge Dirk W., Bankangestellter der Sparkassen-Filiale in Chemnitz. Er wird gebeten, von dem Überfall am 14.05.2004 zu berichten. Der Zeuge gibt an, er sei vorne am Schalter gewesen und habe die beiden Täter zur Tür hereinstürmen sehen, er habe sich geduckt und den Alarm ausgelöst. Seine Kollegin sei am Telefon gewesen und habe den Hörer fallenlassen, eine andere Kollegin habe auch noch vorne gestanden. Alles sei abgelaufen wie im Film. Er habe nur noch schemenartige Situationen im Kopf: Dass die beiden Männer ständig geschrien haben, dass alles brutal war, dass seine Kollegin geschlagen wurde. Die war schwanger. Dass ihm Revolver und Pumpgun an Körper und Schläfe gehalten wurden und ständig gedroht wurde. Den Tätern sei es nicht schnell genug gegangen. Er sei aufgefordert worden, den Tresorschlüssel aus dem Beraterzimmer zu holen. Die seien wirklich ausgerastet, hätten den Bildschirm eingeschlagen. Eine Kollegin sei völlig ausgeflippt, habe nur noch geschrien. Seine Kolleginnen hätten später gesagt, die Täter hätten ständig gesagt, dass sie ihn umbringen, erschießen wollten. Eine Kundin sei noch da gewesen, sie habe sich hinlegen müssen. Nachdem im Tresor nicht genügend Geld gewesen sei, hätten sie vorne alle Fächer öffnen müssen. Er habe erklärt, dass sie unter Zeitverschluss seien, was die Täter nicht glauben wollten. Sie hätten ständig gedroht. Irgendwann hätten sie fluchtartig die Filiale verlassen.
Auf die Frage nach den Folgen des Überfalls, antwortet W., sie seien stundenlang befragt worden, so dass das Emotionale erstmal gar keinen Platz gehabt hätte. Im Nachhinein komme das schon immer mal wieder. Es sei schlimm gewesen. Der Körper habe Selbstschutz gemacht, er habe sich eingeredet, dass das alles Plastikwaffen gewesen seien, er habe das relativ gut verkraftet, aber in den letzten Wochen sei es wieder hochgekommen. Anfang 2012 sei eine E-Mail von der Polizeibehörde gekommen, als aus dem Haus die gestempelten 5 Euro-Scheine Altgeld aus ihrer Filiale gefunden worden seien. Sie seien zur Identifizierung herangezogen worden. Von dem Moment sei ihm klar gewesen, dass es sich um den NSU handelt. Leider sei er bis zur Einladung hier nie offiziell in Kenntnis gesetzt worden.
Die beiden Täter hätten einen „Max Bahr“-Beutel bei sich getragen, das habe er auch der Polizei zur Kenntnis gegeben. Es habe damals in der Region nur einen einzigen „Max Bahr“-Baumarkt gegeben, in Zwickau. Der Zeuge wird entlassen, will aber vorher noch anmerken, dass sich bisher niemand bei den Opfern der Banküberfälle für die Versäumnisse der Behörden entschuldigt habe. Die Anwält_innen der Verteidigung versuchen zu intervenieren, BAW Weingarten gesteht dem Zeugen diese Worte als Folgen der Tat jedoch zu. Um 10:07 wird Dirk W. entlassen.

Um 10:11 Uhr beginnt die Befragung der nächsten Zeugin, Jeannette Pf., Kriminalkommissarin beim BKA Meckenheim, zu den Ermittlungen zu den Radioberichten über ein brennendes Wohnmobil und zu den Ermittlungen bezüglich der DVD. Götzl bittet sie, zunächst mit den Ermittlungen zu den Radioberichten zu beginnen. Hintergrund für ihre Ermittlungen sei, so die Zeugin, die Aussage von Beate Zschäpe am 09.12.2015 gewesen, wonach diese von dem brennenden Wohnmobil in Eisenach aus dem Radio erfahren haben will. Sie habe nachgeschaut, ob in der Wohnung Radios sichergestellt worden seien und den Internetverlauf geprüft und bei den radiosendenden Programmen nachgefragt.
Zu den Radiogeräten: In dem „Wohnzimmer“, in dem Zschäpe gewohnt habe, sei ein Radiowecker gefunden worden. Auf Fotos habe sie ein weiteres Radio in der Küche unter dem Küchenschrank gesehen, das aber nicht sichergestellt worden sei. Die Überprüfung des Internetverlaufs hätten gezeigt, dass von 11:42 Uhr bis 11:50 Uhr und dann 13:28 Uhr bis viertel vor zwei mehrfach Internetseiten von Radiosendern angesurft worden seien. Der hinzugezogene Techniker habe einen sogenannten flash-Cookie des Radiosenders MDR Info um 13:30 Uhr festgestellt, dieser lege sich automatisch an, wenn man einen Livestream über einen Flashplayer öffnet.
Sie habe deswegen Anfragen zum Programm zwischen 9 bis 15 Uhr an MDR Info, MDR Thüringen und MDR jump gestellt, denn nach 15 Uhr habe die Wohnung ja schon gebrannt. MDR info habe um 13:30 Uhr eine Nachricht über den Bankraub gesendet, nicht jedoch über das Wohnmobil und die Leichen, das sei erst um 15:30 und 16:30 Uhr erfolgt und dann noch später.
Bei MDR Thüringen und MDR Jump lägen keine Meldungen vor, diese seien schon wieder gelöscht worden. Es habe rekonstruiert werden können, dass um 15:50 Uhr ein Liveinterview gesendet worden sei und dann noch nach 18:00 Uhr, also auch nicht zu den relevanten Zeiten. Die Chronologie der Ereignisse habe im Sender ab 13:00 Uhr bekannt gewesen sein müssen, der Mitarbeiter des Senders habe einen Bericht recherchieren können, wonach die Streifenbeamten das Wohnmobil gegen Mittag festgestellt hätten und er habe daraus geschlossen, dass ab 13 Uhr wohl Meldungen vorgelegen hätten. Götzl fragt nun nach dem Inhalt der MDR-Sendungen. Die Zeugin gibt an, um 13:30 Uhr sei über den Bankraub berichtet worden und um 15:30 und 16:30 Uhr über das brennende Wohnmobil, und auch über die Leichen.
Zschäpe-Verteidiger RA Grasel will wissen, ob sie ausschließen könne, dass Zschäpe die Info über das Radio bekommen haben könnte. Vorhalt: Es ist nicht auszuschließen, dass Beate Zschäpe das Radio MDR Thüringen gehört hat. Die Zeugin bestätigt, sie wisse es nicht.
Götzl kommt zum zweiten Komplex, der DVD. Sie sei, beschreibt die Zeugin, auf dieses Asservat durch Zufall gestoßen. Es handele sich um eine wiederbeschreibbare DVD, die zwei Seiten hat. Das Asservat sei schon ausgewertet gewesen und die Auswertung habe eine tatzeitnahe Berichterstattung zum Nagelbombenanschlag in der Keupstraße gezeigt. Sie habe sich das vor dem Hintergrund der Aussage von Zschäpe nochmal angeschaut. Die Aufzeichnungen beginnen ca. zwei Stunden nach der Tat. Sie habe sich gefragt, wer die Aufnahmen getätigt haben könnte. Recherchen im Nachrichtenarchiv des WDR in Köln hätten ergeben, dass die Beiträge ungefähr ab 18 Uhr ausgestrahlt worden seien. Es sei unmöglich, in den zwei Stunden zwischen 16 und 18 Uhr von Köln wieder nach Zwickau in die Wohnung zu kommen. Sie habe sich gefragt, wie das passiert sein könnte. Recherchen im Archiv und in der Kriminaltechnik hätten ergeben, dass es sich um Berichterstattungen von NTV und WDR gehandelt habe. Sie habe geprüft, wie man das 2004 habe empfangen können – mit der Hypothese, dass es in der Polenzstraße aufgenommen worden sein könnte. Sie habe geprüft, wie damals der Fernsehempfang in der Polenzstraße gewesen sei und ob diese beiden Sender ausgestrahlt worden seien.
2012 habe bereits ein Gutachten festgestellt, dass die Aufnahmen von einem analogen Gerät mit VHS-Qualität aufgenommen worden seien. Die Bildqualität sie nicht gut, unten sei ein Grisselstreifen. Bei der letzten Aufnahme von 2006 habe dieser Streifen gefehlt. Die Techniker hätten ihr bestätigt, dass diese Aufnahme nicht mit einem VHS-Gerät, sondern mit DVD oder Festplattenrecorder aufgenommen worden sei. 12 der 27 Beiträge seien vom 09.06. und Minutenbeiträge vom WDR und von NTV. In ihrem Vermerk ziehe sie die Schlussfolgerung, dass diese augenscheinlich manuell aufgenommen worden seien, weil bei einem Sendungswechsel z.B. der erste Satz der Anmoderation fehle. Für sie und die Kolleg_innen sei der Eindruck entstanden, dass jemand vor dem Gerät gesessen und die Sender gewechselt haben muss.
Anhand der „Aktuellen Stunde“ erkenne man, dass die Aufnahmen aus dem Lokalberereich WDR-Fernsehen-Köln stammen. Nach Auskunft des WDR sei der normale WDR nur über Kabel zu empfangen. Übers Internet wurde der WDR zu der Zeit noch nicht ausgestrahlt, terrestrisch sei WDR nur im größeren Umfeld von Köln zu empfangen gewesen, also nicht in Zwickau. Sie könne also nicht beantworten, wer das aufgenommen habe. Die Voraussetzungen für eine Aufnahme in der Polenzstraße 2 seien gegeben gewesen. Ein VHS-Recorder sei nicht sichergestellt worden, aber mehrere VHS-Kassetten.

RA Grasel gibt eine Erklärung nach §257 ab. Die Ermittlungen zum Radio hätten ergeben, dass mehrere Geräte vorhanden gewesen seien und Radiolivestreams hätten empfangen werden können. Damit sei die Einlassung seiner Mandantin bestätigt. Auch die DVD-Ermittlungen hätten die Einlassung seiner Mandantin nicht widerlegt. Seine Mandantin habe angegeben, sie habe sich über das Fernsehen weitere Informationen beschafft. Die Vernehmung der Zeugin hätten ergeben, dass die Aufnahmen mit einem VHS-Recorder getätigt worden seien, der nicht gefunden wurde. Dass die Voraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben gewesen sein, lasse den Rückschluss nicht zu, seine Mandantin habe die Aufnahmen getätigt.
Nebenklage-Vertreter RA Narin erwidert, weil selektiv relevante Sachverhalte weggelassen worden seien. Die Zeugin habe zum Beispiel angegeben, dass VHS-Kassetten in der Frühlingsstraße aufgefunden worden, diese hätte man mit einem Videorecorder ansehen müssen. Und 2004 seien digitale Recorder noch nicht so verbreitet gewesen. Es spreche viel dafür, dass Beate Zschäpe diese Aufzeichnungen selbst angefertigt habe. Es wird eine Pause angesetzt bis 11:25.

Die Sitzung wird um 11:31 Uhr fortgesetzt. Als Zeuge wird Frank B. aus Eisenach zu seinen Beobachtungen des Überfalls auf die Postfiliale in der Max Planck-Straße 2001 befragt. Er sei mit dem Hund hinter dem Haus gewesen, als aus Richtung Max-Planck-Straße jemand schwarz gekleidet an ihm vorbeigerannt gekommen sei. Er habe jemanden rufen hören: ‚Überfall, Festhalten‘, da sei die Person aber schon vorbei gewesen. Vorhalt der Zeugenvernehmung vom 06.07.2001: Ich stieg aus meinem PKW aus und sah zwei junge Männer die Treppe herunterrennen. Die rannten dann, nicht auf dem Weg, weiter sondern über eine Wiese und hinter den Häusern Nummer (…). Er könne sich nur an einen erinnern, gibt der Zeuge an.

Götzl ruft die Zeugin En. herein. Bevor die Befragung beginnt, stellt Wohlleben-Verteidiger RA Klemke einen Antrag. Die Wohlleben-Verteidigung widerspreche gegen die geplante Beweiserhebung zum T-Shirt mit dem Aufdruck „Eisenbahnromantik“. Der angebliche Fund in der Wohnung seines Mandanten betreffe den Gegenstand nicht. Seinem Mandanten werde eine Beihilfehandlung von 1999 bzw. 2000 vorgeworfen, die Durchsuchung habe aber 2011 stattgefunden. Wegen der langen Zeitspanne sei der Fund ohne Bedeutung. Selbst für den Fall, dass sich dieses T-Shirt 2011 im Besitz seines Mandanten befunden haben sollte, ließen sich keine Rückschlüsse auf die Gesinnung zu. Es seien verschiedene Interpretationen möglich. Weiter sei kein Opfer der Ceska-Mordserie mosaischen Glaubens. Die Bundesanwaltschaft versuche, Stimmung zu machen. Die Wohlleben-Verteidigung beantrage, das Verfahren gegen Wohlleben abzutrennen, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, Wohlleben Volleinsicht die die Akten zu gewähren und die Hauptverhandlung nach zwei Monaten fortzusetzen.
BKA und GBA reichten belastendes Material ständig nachträglich zu den Akten, die Verteidiger seien nur dann in der Lage zu reagieren, wenn sie rechtzeitig den Einblick vor der Hauptverhandlung erhalten. Dies könne nur in einer Aussetzung des Verfahrens bestehen.
Nach Diskussion darum wird die Zeugin nicht vernommen. Ende der Sitzung um 13:33 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/03/17/17-03-2016/

Zur vollständigen Version des Protokolls geht es hier.