An diesem Verhandlungstag wird erneut Jens L. vernommen. Dabei geht es auch um Bezüge zu Hans-Ulrich Mü., der im Zusammenhang mit dem Lieferweg der Morfwaffe Ceska steht. Nach kurzer Befragung entschließt sich der Zeuge allerdings von seinem Recht auf Aussageverweigerung nach §55 Gebrauch zu machen. Danach stellt RA Narin von der Nebenklage einen umfangreichen Beweisantrag.
Zeuge: Jens L. (Mögliche Waffenbeschaffung, organisierte Kriminalität in Jena in den 1990ern)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:51 Uhr. Götzl: „Dann haben wir für heute Herrn L. als Zeugen geladen.“ Die Einvernahme von Jens L. war am 260. Verhandlungstag unterbrochen worden und wird heute mit einem Zeugenbeistand, RA Windisch, fortgesetzt.
[Hinweis: L. spricht sehr schnell und undeutlich und berichtet sprunghaft und anekdotisch. Besonders unsichere Teile sind mit „phon.“ gekennzeichnet.]
Götzl: „Es geht uns hier um einen Vorwurf in der Anklage: Waffenübergabe an Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, insbesondere der Zeitraum vor dem 09.09.2000, aber auch allgemeine Waffenübergaben an Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos. Haben Sie dazu Informationen?“ L.: „Habe ich keine.“
Götzl: „Was die Person Theile anbelangt?“ L.: „Ist mir bekannt, ist nach meinem Kenntnisstand dem Ron und dem Marc B. [phon.] zuzuordnen in der Gruppierung. Ron hat die Eisenberger Gilde geführt, Gil hat Jena gemacht. [phon.] Wir haben nur im Kriegsfall zusammen agiert.“ Götzl: „Welche Rolle hatte Theile?“ L.: „Kann ich auch nicht mehr sagen.“ Götzl: „War der Mitglied?“ L.: „Ich denke, er war Soldat.“ Vorhalt: Kennen Sie den Enrico Theile? – Ja, den kenne ich, der war ein sogenannter Mitläufer. Wie jeder andere auch, hatte der auch eine Pistole. Der Enrico Theile war ein so genannter Soldat. Der wurde für Kriegseinsätze gebraucht … wenn es Probleme gab, wurde er herangezogen. Er gehörte zur Gruppe Ron E. Mit ‚Probleme‘ sind auch körperliche Auseinandersetzungen gemeint. L.: „Ja, das hatte ich Ihnen gerade vorher erzählt.“
Vorhalt: Hatte Theile Bezüge zu dem Mü.? – Ich meine, das waren Kumpels. Götzl: „Können Sie dazu jetzt etwas sagen?“ L.: „Das kann ich aus heutiger Sicht nicht.“ Götzl: „Kennen Sie einen Mü. aus der Schweiz?“ L.: „Ich weiß nicht, ob der Mü. hieß, aber wir hatten eine Person in der Schweiz.“ Götzl: „Haben Sie eine Person Mü. mit Bezugspunkt Schweiz vor Augen?“ L.: „Schwer.“ Götzl: „Was heißt, schwer?“ L.: „Kann ich jetzt nicht mehr beschreiben.“ L. geht wieder an den Richtertisch und nimmt erneut Lichtbilder in Augenschein. Götzl: „Bei der Vernehmung, 20.01.2015 heißt es zu Bild 96 wo Sie jetzt sagten, könnte der Schweizer sein: ‚Kommt mir bekannt vor, wenn Sie mir den Namen Hans Ulrich Mü. aus Apolda sagen, dann kommt mir das bekannt vor. Ich glaube, der hat damals Waffen verkauft oder gekauft.‘ L.: „Wenn ich das damals so gesagt habe, kann es sein. Aber ich bringe zeitlich alles durcheinander, das habe ich viermal schon gesagt.“
Vorhalt: Wer gehörte zu diesen Leuten, die Waffen beschafft haben? – Mir fallen da der Mü., der Leo ein. – Welchen Mü. meinen Sie? – Weiß nicht, wie der mit Vorname hieß, der war aus Apolda. L.: „Wenn ich das so gesagt habe.“ Götzl: „Was verbinden Sie mit Apolda?“ L. sagt, das sei Einzugsgebiet gewesen, er habe da selber gewohnt. Götzl: „Und Hans-Ulrich Mü.?“ L.: „Ich kenne ja viele Mü.s, ich kann den Bezug nicht mehr herstellen.“
L.: „Können wir mal zehn Minuten unterbrechen?“ Götzl: „Setzen wir fort um 11:15 Uhr“
Um 11:18 Uhr geht es weiter. Zeugenbeistand RA Windisch sagt, dass L. von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch mache, das sich zu einem Aussageverweigerungsrecht verstärke. L. habe ihm gerade in der Pause noch Einzelheiten genannt: „Er würde sich hier um
Kopf und Kragen reden und möchte sich jetzt auf 55 berufen.“
Dann verliest RA Narin einen Beweisantrag:
1. Ralf L. und 2. Volker B. als Zeugen zu vernehmen.
I. L. wird bekunden: dass er über einen längeren Zeitraum während der 1990er Jahre einer Gruppierung um die Brüder Ron E. und Gil E. angehörte; dass die Gruppierung auch mit bandenmäßig organisierten Straftätern aus den Staaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere aus dem Kaukasus und dem Baltikum, zusammenwirkte; dass die Gruppierung Kontakte zu Polizeibeamten in Thüringen, u.a. in Jena und Erfurt, unterhielt und durch den Verrat von Dienstgeheimnissen Straftaten der Gruppierung ermöglicht oder deren Verfolgung vereitelt wurden; dass er innerhalb der Gruppierung auch unter den Spitznamen „Ralle“ oder „der Hesse“ bekannt war und Führungsaufgaben insbesondere als sog. „Geldeintreiber“ innehatte; dass in seinem Verantwortungsbereich bevorzugt Jugendliche und Heranwachsende aus dem rechtsextremen Milieu für die Begehung von Straftaten rekrutiert wurden, und dass hierbei der Zeuge Frank Liebau als Ansprechpartner diente; dass er bei der Rekrutierung und Führung der Jugendlichen Straftäter mit Ralf W. zusammenarbeitete und dass dieser vorwiegend im sog. Türstehermilieu, in der „Security-Branche“ und als „Geldeintreiber“ tätig war; dass er im Rahmen dieser Tätigkeit den Uwe Böhnhardt zur gewerbsmäßigen Begehung von Straftaten anhielt, dessen Handeln koordinierte und für dessen Disziplinierung zuständig war; dass zu den Aufgaben des Uwe Böhnhardt u.a. die gemeinsam mit anderen Jugendlichen und Heranwachsenden durchgeführte Einschüchterung vermeintlicher Schuldner durch Androhung oder Anwendung von Gewalt zählte, um diese zur Zahlung von Geldbeträgen zu bewegen; dass er den Uwe Böhnhardt in diesem Zusammenhang mindestens einmal körperlich schwer misshandelte, um diesen zu disziplinieren; dass für die Gruppierung vorwiegend rechtsextrem eingestellter Jugendlicher und junger Erwachsener neben Uwe Böhnhardt und Frank Liebau zumindest zeitweise auch die Personen Sven K., Marcel K., Mike G., Thomas Bi., Stefan Apel, Holger Gerlach, Marcel M., Enrico Theile, Jürgen Länger und Ralf Wohlleben tätig waren; dass er sich nach mehreren Exekutivmaßnahmen und Inhaftierungen wegen des anhaltenden Verfolgungsdrucks ab Mitte der 1990er Jahre verstärkt in den Großraum Frankfurt, Offenbach und Hanau zurückzog; dass er sich spätestens ab diesem Zeitpunkt im hessischen Rockermilieu bewegte und hierbei den sog. „Saints“ und den sog. „Hells Angels“ bzw. deren Ableger „Westend“ in Offenbach angehörte und zum sog. Präsidenten der Kasseler „Hells Angels“, Michael Sch. persönlichen Kontakt unterhielt; dass er bis in die Gegenwart ein freundschaftliches Verhältnis zu Ralf W. und dessen Ehefrau, der Polizeibeamtin Anja W., unterhält; dass er weiterhin Kontakte zu Personen aus der Jenaer rechten Szene, darunter Ronny We., Sven K., Marcel K. und Mike G. pflegt. Der Zeuge wird zu befragen sein: ob er neben Uwe Böhnhardt auch den verstorbenen Uwe Mundlos und die Angeklagte Beate Zschäpe kannte; ob er ggf. auch nach dem Untertauchen der drei Personen Kontakt zu diesen oder zu Uwe Böhnhardt hielt; ob ein Kennverhältnis zu Andreas Temme bestand und ob der Zeuge ggf. einen Kontakt zwischen Mundlos, Böhnhardt und/oder Zschäpe einerseits und Andreas Temme andererseits herstellte oder Informationen über ein mögliches Kennverhältnis der genannten Personen hat; ob er den Onkel der getöteten Michèle Kiesewetter, den Polizeibeamten Mike W., ebenfalls kannte; ob er Kenntnisse zu Tätern und Hintergründen des Mordanschlags auf Michèle
Kiesewetter und deren Streifenpartner hat.
II. B. wird bekunden: dass er seit Anfang der 2000er Jahre sowohl im kriminellen Rockermilieu als auch in der rechtsextremen Szene im Großraum Kassel verkehrte; dass er den Uwe Mundlos häufig in der Gaststätte „Scharfe Ecke“, Wilhelmsplatz 1, 34359 Reinhardshagen angetroffen habe; dass Mundlos dort Kontakt zu Mitgliedern einer „Hells Angels“ und „Blood & Honour Gruppe“ unterhalten habe; dass die Gaststätte „Scharfe Ecke“ in der besagten Zeit sowohl den Kasseler „Hells Angels“ als auch Mitgliedern der von Thorsten Heise angeführten, rechtsextremen „Kameradschaft Northeim“ als Treffpunkt diente; dass Mitglieder der Hells Angels enge Kontakte zu Ausbildern und Schülern der nahe gelegenen Landespolizeiakademie, Standort Hann. Münden, unterhielten. Außerdem wird der Zeuge ggf. unter Vorlage von Lichtbildern zu befragen sein, ob in der bezeichneten Gaststätte neben Uwe Mundlos auch Andreas Temme, Frank E., Holger L., Ralf L., Michael Sch., Jürgen Sch., Walter K., Dirk M. und Thorsten Heise verkehrten und ob die genannten Personen ggf. Kontakte zueinander unterhielten. Der Verhandlungstag endet um 14:06 Uhr.
Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/04/13/13-04-2016/