An diesem Verhandlungstag geht es erneut um die Verbindungen des NSU zur organisierten Kriminalität und um mögliche Waffenbeschaffungen. Dazu sagt ein Beamter des BKA, Torsten We., zu verschiedenen Aussagen aus.
Zeuge:
- Torsten We. (KHK, BKA Meckenheim, Vernehmungen von von Jens L., Ron E. und Gil E., kriminelle Szene Jena in den 1990ern, mgl. Waffenbeschaffung)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Als Nebenkläger anwesend ist heute der Bruder des am 25. Februar 2004 in Rostock ermordeten Mehmet Turgut.
Erster und einziger Zeuge ist heute Torsten We. vom BKA Meckenheim. Götzl: „Es geht uns um Vernehmungen des Zeugen L. am 20.01.2015, 18.02.2015, des weiteren um Vernehmungen der Zeugen W. [Gil. W., früher E.] und E. [Ron E.] am 29.09.2014.“ Götzl sagt, We. solle mit dem 20.01.2015 beginnen und von sich aus die Vernehmungssituation schildern und welche Angaben L. gemacht habe. We. sagt, die Vernehmung habe am 20.01.2015 in den Räumlichkeiten der LPI Gera stattgefunden. Nach der Belehrung habe L. zu seinen persönlichen Verhältnissen berichtet. Er, L., sei vor der Wende zweimal inhaftiert gewesen wegen Republikflucht. L. habe berichtet, dass er mit der Wende aus der Haft entlassen worden sei. Nach der Wende sei er dann 1991/92 in der rechten Szene in Nordhausen/Sondershausen gewesen und anschließend nach Jena verzogen, wo er bis zur Festnahme gelebt habe. Verurteilt worden sei er wegen bandenmäßigen Betrugs. Von 2000 bis 2009 sei er inhaftiert gewesen.
Auf die Frage, was er vermute, was der Hintergrund der Vernehmung sei, habe L. gesagt, dass er vermute, dass das mit Almuth Bö. zusammenhänge, nicht mit der rechten Szene, weil er die fünf Angeklagten vorm OLG nicht kenne. Dann habe L. gesagt, er habe ein sexuelles Verhältnis mit Almuth Bö. gehabt. Zu Uwe Böhnhardt habe er gesagt, den kenne er aus den Medien, ob er ihn persönlich kennengelernt habe, wisse er nicht mehr. We.: „Dann ging es weiter, ob er während der Zeit in der rechten Szene, ob er Kontakte nach Jena gehabt habe. Da sagt er, könne er sich nicht erinnern, in Jena sei er jedenfalls kein Mitglied der rechten Szene gewesen.“
Auf Frage, ob Leute aus seinem Umfeld in der rechten Szene gewesen seien, habe L. gesagt, da falle ihm keiner ein. Auf die Frage, wer überhaupt in seinem Umfeld gewesen sei, habe L. gesagt, das seien viele gewesen, und schließlich die E.-Zwillinge genannt, dann noch Mike Br., Almuth Bö., Marcel Mü. und noch einige andere Personen aus der Gruppe.
Zu Theile habe L. gesagt, der habe auch zu den E.s gehört, wäre ein Soldat gewesen, den man für Auseinandersetzungen heranziehe. Und L. habe Theile als Freund bezeichnet. Zu Gil habe L. gesagt, der sei auch ein Freund, aber der würde ihn verraten und das würde Theile nicht machen. Sie hätten L. gefragt, wer überhaupt zur Gruppe gehört habe, da habe L. gesagt, wer zur Gruppe, wer zu Ron und wer zu Gil gehört habe.
Auf Frage, ob er etwas zu Waffenhändler aus der Schweiz wisse, habe L. gesagt, Teile der Waffen seien aus der Schweiz gewesen, z. B. eine Uzi, auf welchem Weg wisse er nicht.
L. habe dann die Vernehmung abbrechen wollen wegen Gefahr für sich selbst. L. sei aber noch bereit gewesen, sich Lichtbilder anzusehen. Zu den Lichtbildern von Mundlos und Zschäpe habe L. gesagt, die kenne er aus den Medien. Bei Böhnhardt habe er vermutet, dass das der Cousin von Almuth Bö. sei. Beim Lichtbild zu André Eminger habe er gesagt, es könne sein, dass er den kennen würde. Bei Tino Brandt habe L. gesagt, es könne sein sein, dass das ein Spitzel sei, es könne sein, dass das ein Dealer sei, aber er wisse es nicht mehr. L. habe gemeint, den André Kapke erkannt zu haben auf einem anderen Lichtbild, aber auch nicht sicher.
Zu Bild 30 habe L. gesagt, es könne sein, dass er den kennt. Sie hätten L. dann den Namen Liebau vorgehalten, da habe L. gesagt, der könne mit Waffenbesorgen zu tun haben [phon.], aber er wisse nicht, dass im Madley auch Waffen verkauft werden. Zu Bild 32 habe L. gesagt, das könne sein. [phon.] Sie hätten ihm den Namen Andreas Schultz vorgehalten und L. habe gesagt, den kenne er auch, rechte Szene Jena, habe auch eine Waffe gehabt, hänge mit Liebau zusammen.
Zu Bildern von Carsten Schultze habe L. gesagt, es könne sein, dass er den kennt, aber nicht sicher. Zu Jürgen Helbig habe L. gesagt, es könne sein, dass der aus Jena kommt.
Bei einem Bild habe er Hans-Ulrich Mü. genannt, hat er gesagt, seiner Erinnerung nach hätte der was mit Waffen zu tun gehabt. Würde Waffen an- und verkaufen. Dann sei die Vernehmung zu Ende gewesen.
Sie hätten sich erstmal für 13 Uhr am folgenden Tag verabredet, das habe nicht geklappt, erst am übernächsten Tag, da sei L. mit dem RA Streibhardt erschienen. Die Vernehmung sei beim TLKA gewesen. Der RA habe die Vernehmung durchgelesen, L. selbst nicht, weil der seine Brille nicht dabei gehabt habe. Dann habe er, We., L. die Vernehmung vorgelesen. L. habe sich mit dem RA beraten und habe dann nicht mehr unterschrieben und auch nichts mehr sagen wollen, weil ihm das zu heiß gewesen sei. Auch wenn er dann zum GBA müsse, wolle er jetzt nichts mehr sagen.
Bei der Vernehmung in Karlsruhe am 18.02.2015 seien neben L. und RA Streibhardt StA Schmidt vom GBA, Un. und er selbst vom BKA und eine Protokollführerin anwesend gewesen, so We. StA Schmidt habe L. belehrt. StA Schmidt habe dann gefragt, wo die Waffen denn hergekommen seien. L. habe verschiedene Bezugsquellen genannt: alte Bestände der russischen Armee, Ex-Jugoslawien, dann Waffen aus der Schweiz [phon.], dann Waffen aus Kahla. Dann hätten die Brüder Kontakt zum Inhaber einer Waffenfirma gehabt. Schmidt habe gesagt, er habe den Eindruck, dass L. weitergehendes Wissen zu Waffengeschäften der E.s habe, und falls er eine Gefährdung für sich sehe, könne dem durch prozessuale Maßnahmen begegnet werden und dann müsse er aber wissen, was L. noch so wisse. We.: „Darauf hat er spontan gesagt: ‚Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen erzählen würde, dass Gil [phon.] den Mundlos und den Böhnhardt über den Liebau kennt?‘ Dann hat er gesagt, kein Waffengeschäft würde in Jena ohne die E.-Brüder gehe.“
Es habe dann ein Gespräch zwischen RA Streibhardt und L. gegeben und eines von RA Streibhardt mit StA Schmidt. Es sei darum gegangen, inwiefern er denn noch 55 machen könnte und inwieweit Schutzmaßnahmen in Frage kämen. Daraufhin habe StA Schmidt gesagt, dass er nochmal prüfen wolle, über welches Wissen L. noch verfügen würde, welches Wissen er noch zu Treffen von Gil [phon.] mit Mundlos und Böhnhardt habe. L. habe ein Treffen in der Wasserelse, einer Lokalität in Jena genannt, 1997, noch vor dem Untertauchen, und gemeint, dass es da um ein Darlehen gegangen sei. Dann habe L. gesagt, er habe noch Kenntnisse zu Waffengeschäften, zu Kenntnissen Theile und Liebau müsse er noch nachdenken. [phon.] Es sei dann vereinbart worden, dass der RA sich bis zum Freitag mit StA Schmidt in Verbindung setzen wolle, wie es weitergehen soll.
Zuvor, so We., habe noch die Vernehmung Ron und Gil E. stattgefunden. Auf polizeiliche Ladung seien die nicht erschienen, dann seien sie nach Karlsruhe geladen worden, zunächst Ron mit einem RA. Anwesend seien außer ihm selbst StA Schmidt, KK Un. und die Protokollführerin gewesen, so We. Schmidt habe die Belehrung gemacht und dann gefragt, ob Ron einen der fünf Angeklagten kennen würde, das habe Ron jeweils verneint. Dann sei Ron gefragt worden, was er zu Enrico Theile sagen könne, da habe Ron mit seinem RA geflüstert. Daraufhin habe der RA gesagt, dazu würde sein Mandant die Auskunft verweigern. Dann hätten die noch ein bisschen hin und her geflüstert. Der RA habe als Begründung angegeben, dass es in der Vergangenheit ein Verfahren gegen seinen Mandanten und Enrico Theile gegeben habe, das eingestellt, aber nicht verjährt sei. StA Schmidt habe gesagt, dass E. ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nicht zustehe zu Theile, und Beugehaft angedroht. E. habe gesagt, er würde nichts sagen. Daraufhin sei Ron E. zu Hans-Ulrich Mü. befragt worden und habe wieder mit dem RA geflüstert und gesagt, er wolle sich auf 55 berufen. Es sei wieder geflüstert worden, dann habe E. eine Begründung genannt, die sei wieder verworfen worden. Dann seien E. und sein RA raus. Dann habe der RA gesagt, nach seinen Kenntnissen werde ein Ermittlungsverfahren wegen Waffenhandels, u.a. gegen Hans-Ulrich Mü., geführt. Daraufhin habe Schmidt gesagt, man breche ab und es werde über Ordnungsmittel entschieden.
Dann habe Ron seinen Zwillingsbruder angerufen und Ron sei verabschiedet worden. Gil W. sei dann gekommen und belehrt worden. Er habe auf die Frage nach den fünf Angeklagten gesagt, die würde er nicht kennen. Zu Enrico Theile habe der RA gesagt, hier gelte dasselbe wie eben. Als Angehöriger könne sich Gil auf 55 berufen, zu Hans-Ulrich Mü. würde dasselbe gelten. Der Zeuge wird um 11:03 Uhr entlassen. Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders behält sich eine Erklärung vor.
Dann sagt Zschäpe-Verteidiger RA Borchert, er wolle zwei Anträge stellen. Zuerst beantragt Borchert Akteneinsicht in sämtliche dem Gericht vorliegenden Originalakten. Mit Schreiben vom 10.11.2015 habe er, so Borchert weiter, die Verteidigung Beate Zschäpes angezeigt und gleichzeitig um Überlassung der Akten gebeten. Dabei sei er davon ausgegangen, dass die Akteneinsicht in Form einer externen Festplatte gewährt wird. Die Festplatte sei ihm am 11.11.2015 auf der Geschäftsstelle des OLG übergeben worden. Ein Hinweis darauf, dass die darauf befindlichen Dateien mglw. nicht mit den Originalakten übereinstimmen, bzw. dass die elektronisch überlassenen Datenträger die Originalakten nicht vollständig abbilden, sei ihm weder von einer Mitarbeiterin der Geschäftsstelle noch von einem Mitglied des 6. Strafsenats mitgeteilt worden. Dann sagt Borchert, dass er vor diesem Hintergrund die Aussetzung des Verfahrens beantrage.
Dann stellt Klemke einen Beweisantrag. Er beantragt, die auf einer Festplatte bei Wohlleben sichergestellte Selbstdarstellung „Wir über uns“ des „Nationalen Widerstands Jena“ zu verlesen. Zunächst zitiert Klemke Teile der Selbstdarstellung. U.a. zitiert Klemke die Stelle: „Wir möchten ausdrücklich betonen das wir unser Volk niemals über ein anderes stellen. Jedes Volk, und somit jede Kultur, hat sich in Jahrhunderten entwickelt und ist somit schützenswert. Für ein Europa der Vaterländer!“ Zur Begründung führt er aus: „Unser Mandant äußerte in seiner Einlassung zur Sache, dass er diesen Text etwa um die Jahrtausendwende auf der Internetseite des Nationalen Widerstands Jena eingestellt hat und diesen auch heute noch so unterschreiben würde. Die Beweiserhebung wird die Behauptung der Anklage widerlegen, unser Mandant habe aus ‚einer ideologischen Gesinnung‘ heraus die Mordtaten billigend in Kauf genommen. Der zu verlesene Text belegt im Gegenteil, dass der Angeklagte Wohlleben zum Zeitpunkt der Erstellung desselben eine grundsätzlich positive Haltung zu Ausländern im Sinne des im Text geforderten ‚Europas der Vaterländer‘ hatte, mithin keine ‚ausländerfeindliche Gesinnung‘ im Sinne der Anklageschrift hegte.
Danach stellt RAin Schneiders den Beweisantrag, Tino Brandt erneut zu vernehmen. Zur Begründung führt sie aus, dass Wohlleben in der Anklage vorgeworfen werde, er habe Carsten Schultze 2.500 DM zur Bezahlung der Waffe übergeben. Die Finanzermittlungen bzgl. Wohlleben hätten ergeben, dass Wohlleben in diesem Zeitraum über keine finanziellen Mittel in dieser Größenordnung verfügt habe. In seiner Einlassung habe Wohlleben erklärt, dass er sich an ein Gespräch mit Uwe Böhnhardt erinnere, in dem sich dieser dahingehend äußerte, dass er sich wegen Geldes für den Kauf einer Schusswaffe an Tino Brandt wenden solle. Es dränge sich deshalb auf, dass Carsten Schultze das Geld zum Erwerb der Waffe von Brandt erhielt.
Schultze hatte, wie er selbst angegeben habe, ebenso wie Wohlleben kein Geld für den Kauf einer Waffe zur Verfügung gehabt. Im Gegensatz hierzu habe Tino Brandt bis 2001 über 200.000 DM allein an Spitzellohn vom TLfV in bar erhalten. Die Beweiserhebung werde ergeben, so Schneiders, dass Schultze Geld für den Kauf der Waffe von Brandt erhalten habe. Brandt sei nicht konkret dazu befragt worden, ob er Carsten Schultze das Geld zum Kauf einer Waffe übergeben habe.
In Bezug auf den Antrag der Verteidigung Wohlleben zu Tino Brandt sagt der Angeklagte Carsten Schultze persönlich, er habe am 01.02., dem Tag seiner Festnahme, angegeben, dass er wisse, dass er dass er das Geld von Ralf Wohlleben bekommen hat. Der Verhandlungstag endet um 13:30 Uhr.
Hier geht es zur vollständigen Version des Protokolls.
Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.