Der Verhandlungstag dauert nur bis mittags und ist relativ ereignisarm. Nach den Zwillingsbrüdern Ron Eh. und Gil Wo. aus Jena, die beide ihre Aussage verweigern, werden Stellungnahmen, Erkenntniszusammenstellungen und Beschlüsse, die Beweisanträge ablehnen, verlesen.
Zeugen:
- Ron Eh. (Erkenntnisse zur Waffenbeschaffung der Ceska)
- Gil Wo. (Erkenntnisse zur Waffenbeschaffung der Ceska)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Dann betritt Ron Eh. als Zeuge den Gerichtssaal gemeinsam mit RA Endress. Götzl erklärt dem Zeugen, es gehe ihm um die Angeklagten, aber auch um Hans-Ulrich Müller [u.a. 269. Verhandlungstag]. RA Endress sagt daraufhin, sein Mandant möchte von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen. Der Vorsitzende Richter Götzl fragt daraufhin: „Umfassend? Auch, ob er die Angeklagten kennt?“. RA Endress bejaht die Frage. Götzl fragt: „Stimmt das?“ Der Zeuge Eh. antwortet mit Ja. Götzl fragt: „Sehen Sie die Gefahr, dass Sie sich auch durch die Frage, ob Sie die Angeklagten kennen, der Strafermittlung aussetzen würden?“ Der Zeuge bejaht. Götzl fragt die Verfahrensbeteiligten: „Soll dazu Stellung genommen werden?“
OStA Weingarten: „Wir sind im Ergebnis der Auffassung, das dem Zeugen ein Verweigerungsrecht zusteht.“ Er hält aus den Akten vor, ein Zeuge habe in seiner Aussage auf die Frage, ob er etwas zu Waffendepots sagen könne, gesagt: Damals sei das in einem Brunnen gegenüber dem Haus von Ron Eh. Sie hätten es bei Ron Eh. mit jemandem zu tun, der in rechtsverjährter Zeit mit Waffenhandel beschäftigt gewesen sei. Diese Aussage verlagere aber den Waffenbesitz im Sinne eines Waffenbesitzes in die Gegenwart. Weingarten weiter: „Und Sie hatten ja angedeutet, dass sich die Fragen nur auf Waffenerwerb und Besitz in der damaligen Zeit richten kann, wegen eines nach wie vor bestehenden Depots könnte das Delikt doch noch bestehen, so dass wir glauben, dass der Zeuge dazu keine Angaben machen muss.“ Es gibt keine weiteren Stellungnahmen.
Als nächster Zeuge betritt Gil Wo. auch mit RA Endress den Verhandlungsraum. Die Zeugen sehen sich äußerlich sehr ähnlich. RA Endress sagt: „Ich habe extra gesagt, dass sie sich unterschiedlich anziehen.“ Götzl dazu: „Ansonsten ist die Ähnlichkeit frappierend!“ Götzl erklärt dem Zeugen, es gehe ihnen um Erkenntnisse zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, Carsten Schultze, André Eminger, Enrico Theile, Hans-Ulrich Müller und deren Umfeld. RA Endress sagt: „Sie werden nicht erstaunt sein, aber wir gehen von einem Recht auf Verweigerung aus.“ Götzl fragt den Zeugen: „Ist das richtig?“ Der Zeuge antwortet mit Ja. Götzl fragt nach Stellungnahmen und OStA Weingarten sagt, angesichts des Umstandes, dass der Paragraph 55 auch Familienangehörige einschließe, und damals Ron und Gil möglicherweise zusammenwirkten, seien sie der Meinung, dass hier ein Zeugnisverweigerungsrecht bestehe.
Götzl sagt, es seien noch Stellungsnahmen zu den Beweisanträgen, die gestellt worden seien, vorbehalten und angekündigt. BAW Diemer sagt, sie würden zum Beweisantrag der Kanzlei Bliwier Stellung nehmen. OSTA Weingarten verliest zum von RAin Dierbach am 15.03.2016 [270. Verhandlungstag] vorgetragenen Beweisantrag. Dieser Antrag, der unter anderem die Einvernahme der Zeugen Ti. und Lu. sowie Beziehung ungeschwärzter Berichte beinhaltete, sei wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen und mangels Aufklärungsbedürftigkeit abzulehnen. Im Antrag ginge es um das Brandenburger Innenministerium, welches ein Behördenzeugnis aus Gründen des Quellenschutzes den Strafverfolgungsbehörden nicht zur Verfügung gestellt habe. Weingarten sagt, die Beweistatsachen seien für die Tat und Rechtsfolgenfrage ohne Bedeutung. Relevant könnten die Tatsachenbehauptungen allenfalls für die Angeklagte Zschäpe im Falle einer möglichen Verurteilung zum Raubüberfall auf den Edeka-Markt in Chemnitz 1998 sein.
„Insoweit ziehen die Antragssteller offenbar in Betracht, dass sich eine von ihnen konstatierte staatliche Mitverantwortung für Zschäpes Schuld mildernd auswirken könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Nach der Rechtssprechung des BGH hat ein Straftäter keinen Anspruch darauf, dass die Behörden gegen ihn einschreiten.“ Daher sei es nicht zugunsten eines Angeklagten zu werten, wenn die Ermittlungsbehörden nicht schon früher eingriffen. Weingarten weiter: „Soweit der BGH eine Staatliche Mitverantwortung als Strafmilderungsgrund grundsätzlich für denkbar hält, meint er damit ersichtlich andere Fallgestaltungen. In jedem Fall verlangt der BGH eine zumindest kausale Mitverursachung der von ihm begangenen Tat durch staatliche Stellen. Eine Kausalität der staatlichen Unterlassung ist den Tatsachen jedoch nicht zu entnehmen.“
Weiter spricht er von einer Observation Jan Werners, die laut Antrag den Aufenthaltsort offenbart hätte. Es sei nicht belegt, dass die Lokalisierung auch zutreffe und gelungen wäre. Damit sei der Schluss, die Erstellung eines gerichtsverwertbaren Behördenzeugnisses hätte einen Raubüberfall verhindert, nicht zwingend. Ein anderer Antrag von RA Kienzle sei wegen Bedeutungslosigkeit insgesamt abzulehnen. Darin ging es um das Mobiltelefon Carsten Szczepanski und den Satz „Was ist mit den Bums“ [199. Verhandlungstag]. Laut Weingarten würde sich daraus nichts Entscheidungserhebliches ergeben und der Umstand einer dazu unrichtigen Aussage von Görlitz würde keinen Einfluss auf die Tat haben.
Im Anschluss sagt BAW Diemer etwas zum Antrag von RA Reinecke, der die Inaugenscheinnahme von Bildern und Zeugen zum Urlaub von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Juli 2004 betrifft: „Wir treten diesem Antrag nicht entgegen. Es werden zwar zum Teil keine Tatsachen behauptet, sondern Wertungen, aber bei der Beweisaufnahme können Tatsachen entstehen. Daher treten wir nicht entgegen.“
Als nächstes verliest RA Grasel von der Verteidigung Zschäpe eine Stellungnahme zum Beweisantrag der Nebenklage-Vertreter_innen RA Reinecke und RA Schön: „Die Anträge auf Inaugenscheinnahme der Einzahlungsbelege bezüglich Urlaub Holsteinische Schweiz und Vernehmung der Zeugen sind abzulehnen, weil für die Entscheidung ohne Bedeutung.“ Grasel sagt, sofern seine Mandantin angegeben habe, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sich alleine auf einem Campingplatz aufgehalten haben, ließe sich nichts anderes feststellen. Dafür sei kein Fahrzeug angemietet worden und es müsse sich nicht um einen gewerblichen Campingplatz handeln. Der Inaugenscheinnahme der Bilder werde nicht entgegengetreten, aber den im Beweisantrag aufgeführten Wertungen, wie derjenigen, dass es sich um einen fröhlichen und entspannten, besonders gelungenen und glücklichen Urlaub gehandelt habe. Grasel weiter: „Dass meine Mandantin den Uwe Böhnhardt bewundernd angesehen habe. Diese Beweiswürdigungen sollten dem Plädoyer vorbehalten werden. Anhand der Lichtbilder können keinen Rückschlüsse auf die Gemütslage gezogen werden, da im Abstand von sechs Wochen [phon]. Dass Uwe Böhnhardt seinen Kopf auf meine Mandantin legte und sie im Arm gehalten hat, steht nicht im Widerspruch. Meine Mandantin hat selbst angegeben, dass sie Uwe Böhnhardt geliebt habe.
RAin Schneiders von der Verteidigung Wohlleben liest eine Reaktion auf die Stellungnahme der BAW zur Aktenübersendung in die jeweiligen Kanzleien vor: „Die Anträge werden aufrecht gehalten. Der Generalbundesanwalt führt an, dass die Verzögerung des Verfahrens dies verbiete.“ Weiter sagt sie: „Der Generalbundesanwalt übersieht, dass dies nicht der Fall sein kann, wenn Akteneinsicht nicht vollständig gewährt wurde.“ Schneiders führt Argumente für die Akteneinsicht an. Für sie habe sich die Notwendigkeit erst jetzt offenbart. Die Kosten seien in Anbetracht der Kosten des Verfahrens kein Argument.
Götzl sagt, sie setzten mit der Verlesung von Erkenntniszusammenstellungen fort. Beisitzerin Michaela Odersky verliest Erkenntnisse des Thüringer LfV zu Tino Brandt vom 13.12.2011 sowie dazu, dass gegen ihn gegenwärtig ein Strafverfahren anhängig sei. Seit Anfang 1990er sei er aktiv im Thüringer rechtsextremistischen Spektrum gewesen. Dabei werden die Gruppen Anti-Antifa Ostthüringen sowie deren Nachfolgeorganisation THS sowie der Thüringische Landesverband der NPD genannt. Brandt sei August 1994 als V-Mann 2045/2150 des TLfV angeworben worden. Ende Januar sei 2001 die Abschaltung als V-Mann erfolgt. Brandt habe Februar 1998 bis April 2001 Hinweise auf den Aufenthaltsort von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gegeben. Dabei habe Brandt auch über Aktivitäten berichtet, die dazu dienen sollten, dem Unterstützerumfeld näher zu kommen.
Beisitzender Richter Konstantin Kuchenbauer verliest die Erkenntniszusammenstellung des BfV vom 31.01.2012 zu Juliane Walthers Person und ihren Kontakt zu unter anderem Uwe Mundlos und Ralf Wohlleben. Diese ergeben sich aus Oberservationsmaßnahmen des LfV Thüringen in den Jahren 1998 und 1999. Kuchenbauer liest: „Für die Jahre ’98 und ’99 liegen Anhaltspunkte dafür vor, das Walther die Freundin des Ralf Wohlleben war. Aufgrund der guten Kontakte zu Kapke ist zu unterstellen, dass auch zwischen Walther und Kapke ein besonderes Vertrauensverhältnis geherrscht hat. Zumindest zeitweise wurde Walther als Logistikperson für die drei genutzt.
Beisitzender Richter Axel Kramer verliest die Erkenntiszusammenstellung des BfV zu Antje Probst von 2012. Die Informationen beziehen sich auf den Zeitraum 1997-1999 und basieren auf Aussagen von Informanten sowie Observationen seitens Thüringen und Sachsen. Unter anderem liest Kramer vor, Probst habe bei der B&H Sektion Sachsen angeregt, die politische Arbeit durch Anschläge fortzuführen. Im August 1998 habe ein Informant zu Antje Probst Informationen zu drei sächsische Skinheads, die auf der Flucht seien, und sich nach Südafrika absetzen wollten, mitgeteilt. Weiter geht es um die Vernetzung Probsts und ihren Szeneladen Sonnentanz in Chemnitz. Neben Kontakten ins Ausland wird ihre Teilnahme an einem Kirchenfest in Chemnitz erwähnt, sowie bei einem Skinheadkonzert in Munzig. Bezüglich der drei flüchtenden Skinheads heißt es, Antje Probst wolle der weiblichen Person ihren Pass zur Verfügung stellen.
Peter Lang liest die Erkenntniszusammenstellung zu Jan Werner des BfV vor. Die Informationen betreffen die Jahre 1994 bis 2011 und stammen von den LfV von Sachsen, Bayern und Thüringen. Darunter fallen Ermittlungsverfahren wegen Paragraph 86a (Verwenden von Kennzeichen Verfassungswidriger Organisationen) und seine führende Tätigkeit bei B&H Sachsen. Außerdem wird verlesen, dass Jan Werner mehrfach mit dem Vorhaben verbunden wird, „die drei Skinheads“ mit Waffen zu versorgen. Werners große Mobilität in andere Bundesländer und Kontakte, zum Beispiel in die Schweiz und nach Frankreich, werden erwähnt. Kramer liest vor: „Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen hält 2011 fest: Werner war eine Führungspersönlichkeit in Chemnitz und Mitglied der B&H-Szene. Anrufe zu den Untergetauchten unter konspirativen Umständen. Werner soll Unterstützungsfahrten und persönliche Gegenstände übergeben haben.“ Im Anschluss erfolgen zahlreiche Informationen zu Werners Tätigkeiten in der rechten Musik- und Kulturszene. Die Verhandlung wird um 10:56 Uhr unterbrochen.
Um 11:21 Uhr sagt Götzl, sie kämen zur Verlesung der Zuleitung des Behördenzeugnisses des Thüringer LfV. Richter Peter Lang liest Schreiben aus dem Jahr 2015 vor, in welchem das Thüringer Innenministerium und das BfV über den Informationsaustausch hinsichtlich des NSU-Ermittlungsverfahrens durch Erkenntniszusammenstellungen informiert. Es handelt sich um Erkenntniszusammenstellungen des Thüringer LfV zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, Holger Gerlach, Carsten Schulze, André Kapke, Tino Brandt, Juliane Walther, Antje Probst und Jan Werner.
RA Pausch von der Verteidigung Carsten Schultzes sagt, er würde eine kurze Erklärung abgeben: „Nach unserer Auffassung ist der Beweiswert ein relativer, weil sie ausschließlich auf Quellen fußen, deren Qualität in Frage gestellt werden kann. Bezüglich Carsten Schultze kamen drei sehr ausführliche zur Verlesung. Dem steht gegenüber eine Erkenntniszusammenstellung zu Ralf Wohlleben, die sehr knapp gehalten ist.“ Dort bestehe ein gewisses Missverhältnis. Pausch sagt weiter, in dem Zusammenhang sei anzuregen, eine Anlage zu einem Antrag zu Wohlleben zu verlesen, da sie davon ausgingen, dass Erkenntnisse zu Ralf Wohlleben nicht komplett verlesen worden seien. Die Erkenntniszusammenstellung sei nicht in die hier verlesenen eingeflossen. Zur relativen Komplettierung regten sie an, diese drei, vier Blätter auch noch zur Verlesung zu bringen. Götzl fragt die Verteidigung Wohlleben, ob sie die Abstimmung durchführen konnte. RA Klemke sagt, er wolle noch zur Anregung gerade etwas mitteilen. Er vermute auch, dass die Erkenntniszusammenstellungen einen geringen Beweiswert haben, weil sie aus nicht überprüfbaren Quellen zusammengestellt worden seien. Klemke sagt weiter: „Im Übrigen möge die Verteidigung doch einen Beweisantrag stellen.“
RAin Schneiders, ebenfalls Verteidigung Wohlleben, verliest daraufhin zwei Beweisanträge. Darin beantragen sie die Vernehmung des Zeugen Kriminaloberkommissar Schn. sowie von Andreas Zb. zum Zusammenhang des Waffenverkaufs. Sie schließt den Antrag mit dem Satz: „Dies lässt bezweifeln, dass es sich bei der von Carsten Schultze gekauften Waffe um die Tatwaffe handelte.“ RA Narath von der Verteidigung Wohlleben verliest einen Beweisantrag zum Zusammenhang der Waffengeschäfte und einer Vernehmung des Zeugen Rolf Ba. [166. Verhandlungstag]. Bewiesen werden soll, dass die Eintragungen im Waffenbuch falsch seien. Dieser Beweisantrag würde zur Entlastung ihres Mandanten dienen. Götzl fragt nach weiteren Stellungnahmen und Anträgen.
Daraufhin verliest Götzl Beschlüsse zu gestellten Anträgen. Die Anträge zur Ermittlung der Identität eines V-Mannes, der für das Hamburger LfV eingesetzt gewesen sei und von Thomas Richter eine DVD NSU/NSDAP erhalten habe, zu ermitteln und zu vernehmen, werde abgelehnt, da kein unmittelbarer Zusammenhang zur Schuld und Straffrage im vorliegenden Verfahren bestehe. Außerdem verliest Götzl die Beschlüsse, die Anträge zur Vernehmung von Kriminalhauptkommissar Hi. und Ka., den OStA Illig und Georg Maaßen vom Bundesamt für Verfassungsschutz abzulehnen.
RAin van der Behrens von der Nebenklage sagt, sie wollte zum ersten Beschluss, der Ablehnung des Antrags zur NSU-NSDAP-CD etwas sagen. Götzl habe dazu gesagt, die BAW hätte gesagt, es werde ermittelt, es lägen aber keine Hinweise vor. Deswegen sei nun ihre Frage, ob die Ermittlungen abgeschlossen seien und ob es neue Erkenntnisse gäbe. BAW Diemer sagt: „Es gibt keine neue Erkenntnisse. Es bleibt dabei: Es gibt keinen Zusammenhang zu dem Verfahren. Ich denke nicht, dass ich zum Ermittlungsverfahren hier Auskunft geben muss.“ Der Prozesstag endet um 12:03 Uhr.
Der Blog der NSU-Nebenklage kommentiert: „[D]ie Verhandlung heute [verlief]ohne besondere Ereignisse. Die beiden heute vorgeladenen Zeugen, zwei Männer aus Jena, Zwillingsbrüder und nach Angaben des Zeugen vom 13.04.2016, seine damaligen „Bandenchefs“, die in großem Umfang mit Waffen gehandelt haben sollen, verweigerten wie erwartet die Aussage, weil sie sich durch wahrheitsgemäße Aussage selbst belasten könnten.“