Unprofessionelle Ermittlungen in Eisenach – Bericht aus dem BT-UA

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Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 14. April 2016

Die Ausschussmitglieder im Gespräch (Feb. 2016) (c) Christian-Ditsch.de

Die Ausschussmitglieder im Gespräch (Feb. 2016) (c) Christian-Ditsch.de

In der vierten öffentlichen Zeug_innenanhörung am 14. April 2016 beschäftigten sich die Parlamentarier_innen des zweiten Untersuchungsausschuss des Bundestages erstmalig mit den Ereignissen am 4.11.2011 in Eisenach. Gehört wurden in der Sitzung, die bis kurz vor 22 Uhr andauerte, fünf Beamt_innen zum Thema.

von NSU-Watch

Spitzel wird Thema im Ausschuss

Aufgrund der jüngsten Erkenntnisse rund um den V-Mann Ralf Marschner, alias „“ alias „“, kommt auch der Untersuchungsausschuss im nicht umhin, dies in seine weitere Planung einzubeziehen. Presserecherchen legen den Verdacht nahe, dass Uwe Mundlos nach dem Abtauchen des NSU zwischen 2000 und 2002 in der Baufirma des sächsischen Neonazis und V-Mann des gearbeitet hat. In einem anderen durch ihn betriebenen Szeneladen soll eventuell auch beschäftigt gewesen sein. Vertreter_innen der Nebenklage im Münchner NSU-Prozess forderten den Untersuchungsausschuss in einer Presseerklärung auf, zu untersuchen, welches Wissen über den NSU Marschner an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet hat. Zudem müsse geklärt werden, warum Marschners V-Mann-Akte bereits im Jahr 2010 „lange vor der fälligen Zeit“ vernichtet wurde (Presseerklärung Nebenklage).

In der Sitzung vom 14.4.2016 wurden nun die entsprechenden Beweisbeschlüsse gefasst, um Akteneinsicht zu bekommen. Im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung vereinbarten die Ausschussmitglieder, sich im Juni mit dem Thema Ralf Marschner zu beschäftigen.

Zeug_innen:

  • KHK Christian Leucht (Polizei Sachsen, ermittelte die Serie von Banküberfällen)
  • KOK Christian Lotz (leitete die ersten Ermittlungen am 4.11.2011 in Eisenach)
  • KHK Sylvia Michel (LKA / Tatortermittlungsgruppe – Spurensicherung im )
  • KOK Gerd Sopuschek (Spurensicherung im Wohnmobil)
  • Prof. Dr. Christian Hummert (ehemals LKA Thüringen / IT-Spezialist)

Ortswechsel. Nachdem der NSU-Bundestagsuntersuchungsauschuss in den vergangenen Sitzungen den Ereignissen am 4.11.2011 in der Wohnung des NSU in der Frühlingsstraße in Zwickau  nachging, stand nun das Geschehen an jenem Tag im thüringischen Eisenach auf der Tagesordnung. Hier überfielen mutmaßlich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in den Morgenstunden eine Sparkassenfiliale und nahmen sich später in einem Wohnmobil im Stadtteil Stregda das Leben. Zuvor setzten sie das Fahrzeug in Brand. Geladen waren fünf Zeug_innen der Thüringer und Sächsischen Polizei. Im Mittelpunkt stand die Tatortsauswertung des Wohnmobils und die damit verbundenen Ermittlungsfehler.

Der in Eisenach

Als erster Zeuge war der sächsische Kriminalhauptkommisar Christian Leucht geladen. Dieser war  mit den Ermittlungen zur Serie von Banküberfällen befasst, die mutmaßlich durch den NSU seit 1999 verübt worden sind. Die Befragung des Zeugen kreiste vor allem um die Frage, wie er als Mitglied der sächsischen Polizei bereits eine Stunde nach dem Banküberfall von diesem erfahren hatte und eine entsprechende Meldung an das Lagezentrum in Sachsen hatte machen können. Der Umstand ließ sich dadurch erklären, dass die mutmaßlichen Täter bereits wenige Monate zuvor im thüringischen einen Überfall auf eine Bankfiliale versucht hatten. Seither standen die Ermittler_innen aus Sachsen und Thüringen in engem Kontakt miteinander, da sie von einer weiteren Raubtat in der Region ausgingen.

KOK Michael Lotz verteidigt Abschleppen des Wohnmobils

Den Großteil der Ausschusssitzung nahm die Zeugenvernehmung von Kriminaloberkommissar Michael Lotz ein. In einer mehrstündigen Einlassung schilderte dieser die Situation in Eisenach am 4.11.2011 und seine weiteren Ermittlungen in den folgenden Tagen. Zunächst sei er morgens am Tatort in der Eisenacher Sparkasse eingetroffen. Aufgrund einer Zeugenaussage ließ er nach einem Wohnmobil fahnden. Als die Erstermittlungen zum Banküberfall gerade abgeschlossen waren, ging die Meldung einer Streife aus Eisenach-Stregda über ein verdächtiges Fahrzeug ein, woraufhin Lotz sich dorthin begab. Bei seinem Eintreffen vor Ort berichteten zwei Streifenbeamte von Schüssen, die sie gehört hatten – das Wohnmobil habe bereits in Flammen gestanden. Lotz übernahm die Leitung der Ermittlungen bis später Polizeidirektor Michael Menzel (KPI Gotha) am Tatort eintraf. In seiner Vernehmung banalisierte und verteidigte der Beamte trotz deutlicher Kritik der Abgeordneten den Umstand, dass das Wohnmobil inklusive der Leichen von Böhnhardt und Mundlos abtransportiert wurde und so der Tatort zumindest teilweise verändert und Spuren vernichtet wurden. Er rechtfertigte dies mit der aufgefundenen Behördenmunition und der Dringlichkeit, die Identität der Leichen festzustellen. Eine Bergung der Leichen um anschließend das Wohnmobil am Standort weiter untersuchen zu können lehnte er ab. Dies wäre seiner Meinung nach aufgrund der anwesenden Öffentlichkeit pietätslos gewesen.
Lotz gab an, bei einem ersten Blick in das Wohnmobil auf dem Tisch eine Waffe gesehen zu haben, deren Magazin aufgrund der Hitzeentwicklung „aufgeschmolzen“ war. So habe er auch die Munition erkennen können und als Behördenmunition identifiziert. Gerüchten um eine mögliche dritte Person im Wohnmobil widersprach Lotz. Dies decke sich nicht mit den Beobachtungen der Beamten vor Ort. Diese hätten sich nach den Schüssen zwar auf dem Boden gelegen – zum Selbstschutz-, die Tür des Fahrzeugs aber im Blick gehabt und keine Füße unter dem Wohnmobil gesehen.

Wohnmobil war von Holger Gerlach angemietet

Da das Wohnmobil auf den Namen Holger Gerlach angemietet war, wurde dieser wenig später in Bad Nenndorf verhaftet. Lotz flog direkt zur Vernehmung dort hin. Bei der Vernehmung stellte sich aufgrund einer Schriftprobe heraus, dass die Unterschrift unter dem Mietvertrag wohl nicht von Gerlach stammt – der Unterschriftgebende aber offenbar genau gewusst habe, dass dieser in der Form „Nachname [Komma] Vorname“ unterschreibt. Gerlach gab zu, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe seinen Führerschein überlassen zu haben. Auch die Lebensgefährtin von Gerlach wurde vernommen. Die Tatsache, dass sie ein Bankschließfach mit 30.000 €  besaß, konnte laut dem Ermittler nicht in Zusammenhang mit den Banküberfällen gebracht werden.
Erst gegen 18.00 Uhr endete die Vernehmung des Zeugen Lotz.

Tatortermittlungen verliefen „nicht optimal“

Die dritte Zeugin des Tages war die Ermittlerin Sylvia Michel, Mitglied der Tatortermittlungsgruppe des LKA Thüringen. Die Einheit wurde nach dem Auffinden von Behördenmunition durch KOK Lotz angefordert. Michel sagte gegenüber den Ausschussmitgliedern, dass sie den Abtransport des Fahrzeugs inklusive der Leichen für „nicht optimal“ hielt. Dies habe sie Lotz auch vorher mitgeteilt, wollte aber auch nicht darauf bestehen, das Abschleppen zu unterlassen. Unklar ist an dieser Stelle, warum eigens ein Team von Spezialist_innen des LKA angefordert wurde, die Entscheidung über das weitere Verfahren aber weiterhin bei der örtlichen Polizeiführung lag.

Auf die Frage, welche möglichen Tatortveränderungen ihr bei ihrem Eintreffen mitgeteilt wurden, gab die Polizistin an, man habe ihr vom einem durch die Feuerwehr eingeschlagenen Fenster berichtet. Außerdem sei die Tür geöffnet worden und sowohl Feuerwehr als auch KOK Lotz und Polizeiführer Menzel hätten zuvor das Fahrzeug betreten. Die Tatsache, dass Polizeiführer Menzel zur Inaugenscheinnahme mit einer Gartenharke die Lage einzelner Gegenstände im Wohnmobil verändert hatte, wurde ihr unterdessen nicht mitgeteilt. Es dürfte aufgrund der Enge im Inneren des Wohnmobils auch unmöglich gewesen sein, ins Hintere des Fahrzeugs zu gelangen, ohne eine der Leichen zu berühren. Auch Michel spielte in ihrer Aussage das unprofessionelle Vorgehen am Tatort herunter. So habe sich die Lage der Leichen durch das Auf- und Abladen des Fahrzeugs um maximal 20 Zentimeter verändert. Ob Patronen beispielsweise durch den Transport verrutscht seien, könne sie nicht sagen.

Auffinden von Bekenner-DVDS im Wohnmobil

Die Tatortermittlungen wurden nur am 4.11.2011 durch die Tatortermittlungsgruppe des LKA vorgenommen. Da diese kapazitätsbedingt bereits am Folgetag nicht mehr in Eisenach war, wurde KOK Gerd Sopuschek von der KPI Gotha mit der weiteren Auswertung des Wohnmobils betraut. Dieses befand sich in der Zwischenzeit in der Halle eines Abschleppunternehmens. Sopuscheks Aufgabe war es unter anderem, nach dem noch nicht gefunden Diebesgut des Banküberfalls zu suchen. Dies fand er im Laufe des 5.11. Außerdem fand er einen Rucksack mit DVDs, welche sich später als Bekenner-DVDs erwiesen. Diese wurden nicht direkt am 5.11. ausgewertet. Sonst hätte man bereits hier das ganze Ausmaß der Mord- und Anschlagsserie des NSU erkennen können und nicht erst Tage später mit dem Auffinden der Ceska in Zwickau.

Kompetenzgerangel zwischen LKA Thüringen und BKA

Zu später Stunde sagte dann der letzte Zeuge des Tages, Prof. Dr. Christian Hummert, ehemals LKA Thüringen, aus. Anders als zuvor angekündigt, konnte dieser nichts zur Auswertung des Motorsteuergerätes des Wohnmobils sagen, da er hier lediglich beim Ausbau und Einbau half. Über diese Daten ließen sich eventuell Rückschlüsse über zuvor getätigte Fahrten ziehen. Die Auswertung unterlag dem BKA, wurde aber laut Hummert ohne Angabe von Gründen unterlassen. Peinlich für die Tatortermittler_innen: Beim Arbeiten im Fahrzeug fand Hummert eine Patronenhülse, welche offenbar zuvor übersehen wurde.

Im Zuge seiner Tätigkeit als Computerspezialist beim LKA hatte Hummert auch mit der Entschlüsselung von Datenträgern von Personen aus dem Umfeld des NSU zu tun. So war er nach den Ermittlungen der Thüringer SoKo Feuerball im Zusammenhang mit einem mutmaßlich geplanten Anschlag auf ein Fahrzeug der Landtagsabgeordneten Katharina König (DIE LINKE) mit der Datensicherung einer Festplatte von André Kapke betraut. In einem anderen Fall war er nach einer Hausdurchsuchung auch mit der Entschlüsselung der Festplatte von Ralf Wohlleben beschäftigt. In diesem Zusammenhang schilderte Hummert einen seltsamen Vorgang: So seien morgens kurz nach 6 Uhr Beamte des BKA auf seiner Dienststelle aufgetaucht und haben ihn aufgefordert die Datensicherung abzubrechen und ihnen die Festplatte auszuhändigen. Einen Grund dafür nannten sie nicht.
Hummert gab außerdem an, dass Neonazis immer häufiger ihre Festplatten professionell verschlüsseln. In der Szene gäbe es entsprechende Schulungen unter dem Titel „Mach deinen PC Bullenfest“.

Kaum Neues

Die Sitzung zeigte einmal mehr das Ausmaß der unprofessionellen Ermittlungen durch die Thüringer Polizei im Zusammenhang mit der Auswertung des Wohnmobils in Eisenach. Fast alle Zeug_innen sagten in der Vergangenheit bereits im Thüringer Untersuchungsausschuss aus. Es ist daher kaum verwunderlich, dass der Tag kaum Neues brachte. Aufgrund der knappen Zeit, die dem Ausschuss bleibt ist fraglich, wie sinnvoll derartige Ladungen sind. Die Geschehnisse in Eisenach sind seit langer Zeit Thema im Thüringer Ausschuss und werden dort sehr viel genauer bearbeitet als dies in zwei bis drei Sitzungen im BT-UA möglich ist. So verliert man unnötig Zeit. Die nächste Sitzung findet am 28. April statt. Thema sind weiterhin die Ereignisse in Eisenach.