Protokoll 282. Verhandlungstag – 11. Mai 2016

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An diesem Verhandlungstag werden zunächst einige Schreiben verlesen und die Urlaubsbilder des Kerntrios kurz nach dem Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Augenschein genommen. Danach lehnt Götzl umfassend den Beweisantrag zu ab.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl, für heute seien Verlesungen vorgesehen, er wolle beginnen mit einem Schreiben des LfV Hessen an [zuletzt 65. Verhandlungstag]. Dann verliest Richter Lang ein Schreiben des hessischen LfV an Gärtner vom 13.04.2012, in dem steht, dass man Gärtner im Anhang die Aussagegenehmigung zur geplanten Vernehmung am 26.04.12 übersende, außerdem teile man ihm mit, dass das LfV zur Wahrung von Gärtners Interessen RA Volker Hoffmann als Zeugenbeistand zur Seite gestellt wird. Die Kosten dafür übernehme das LfV Hessen. Danach wird zunächst ein Schreiben von RA Volker Hoffmann verlesen, in dem dieser die Vertretung von Gärtner anzeigt und darum bittet, dass der Zeuge seinen Wohnort nicht angeben müsse. Dann wird die beigefügte Vertretungsvollmacht von Gärtner verlesen.

Nun verliest Richterin Odersky einen Durchsuchungsbeschluss des BGH vom 05.04.2012 gegen . In der Begründung des Durchsuchungsbeschluss wird der Stand der Ermittlungen zum damaligen Zeitpunkt wiedergegeben und dargelegt, warum anzunehmen sei, dass die Tatwaffe 83 über den Anordnungsbetroffenen Theile von Hans-Ulrich Mü. an Jürgen Länger gelangt sei. Es sei zu erwarten, dass sich noch Gegenstände und Schriftstücke im Besitz von Theile befinden, die die Äußerungen von Carsten Schultze, und Holger Gerlach zur Waffenbeschaffung objektiv belegen.

Dann verliest Richter Kuchenbauer einen Durchsuchungsbeschluss der StA Bern, Schweiz, gegen Hans-Ulrich Mü. vom 31.01.2012. Der Beschluss ist wesentlich knapper als der erste und gibt keine detaillierten Gründe für die Durchsuchung wieder, sondern lediglich den Straftatbestand der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach schweizerischem Recht.

Es folgt die Verlesung eines Überweisungsbeleges. Dabei geht es um die Anzahlung von „Max Burkhardt“ [Aliaspersonalie von Mundlos] vom 15.03.2004 für einen Wohnwagen vom 20.07. bis zum 05.08.2004. [Siehe hierzu Beweisantrag von RA Reinecke vom 277. Verhandlungstag und Vernehmung des Zeugen Wi. vom 284. Verhandlungstag.]

Götzl sagt, dann seien Lichtbilder von der CD „Urlaub 2004“ in Augenschein zu nehmen. Es sollen dann die Lichtbilder in digitaler Form gezeigt und an die Leinwände projiziert werden. Götzl sagt zu dem Justizangestellten: „Die obere Leiste [wohl: Dateinamen] müsste vergrößert werden.“ Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Das Programm XP hat eine Bildschirmlupe.“ Das funktioniert offenbar nicht. Der Angeklagte Ralf Wohlleben sagt: „Als Hilfe: Unter Hilfe, Start, Programme ist die Bildschirmlupe.“ Götzl: „Vielen Dank!“ Es folgt die Inaugenscheinnahme der Fotos. [Zu einer Beschreibung einiger Fotos siehe Beweisantrag von RA Reinecke vom 277. Verhandlungstag.]

Danach sagt NK-Vertreter RA Reinecke: „Ich würde mir dazu gerne eine Erklärung vorbehalten.“ Zschäpe-Verteidiger RA Stahl: „Man kann jedenfalls sagen, dass die Schlüsse, die der Antragsteller in seinem Beweisantrag gezogen hat, das sind keine zwingenden Schlüsse. Und da es keinen Untergrundcampingplatz und keine Untergrundfußgängerzone gibt, zeigen die Bilder lediglich, dass hier Menschen lediglich unter falscher Identität gelebt haben.“ Götzl: „An Sie, Frau Zschäpe, hätte ich die Frage, wer die Fotos gefertigt hat und bei Bild 21 und 23 wo Sie zu dritt zu sehen sind, wer die Fotos gefertigt hat.“ RA Grasel: „Die Bilder wurden abwechselnd gefertigt, und wo alle drei zu sehen sind, wurden sie per Selbstauslöser aufgenommen.“ Götzl: „Ist das zutreffend, Frau Zschäpe?“ [Eine Antwort Zschäpes ist nicht zu vernehmen.] RA Grasel: „Ich muss ergänzen: Die Bilder, die aus weiterer Entfernung gefertigt wurden, wurden von Passanten gefertigt, nicht per Selbstauslöser, da hat man Passanten gefragt.“ Götzl: „Ist das richtig?“ [Zschäpe nickt deutlich.]

Danach verliest Götzl ein Schreiben des KHK Le. vom BKA [zuletzt 241. Verhandlungstag]im Freibeweisverfahren. Demnach habe Le. die Mobiltelefonnummer der schweizerischen Zeugin Brigitte Ge. kontaktiert. Auf Nachfrage habe Frau Ge. erklärt, dass sie für eine Aussage nicht zur Verfügung stehe, sie habe mit der Sache abgeschlossen. [Brigitte Ge. ist die Ehefrau von Peter Anton Ge.; es geht um die Lieferkette der Tatwaffe Ceska.] Götzl: „Dann werden wir eine Pause einlegen und setzen um 11:05 fort.“

Um 11:10 Uhr geht es weiter. Götzl verkündet den Beschluss, dass die Verlesung der Niederschrift der Vernehmung der Zeugin Ge. angeordnet wird. Die Zeugin sei in der Schweiz wohnhaft und sei trotz Ladung nicht zur Vernehmung in der Hauptverhandlung erschienen. Bereits am 15.06.2015 habe das Gericht ein Schreiben von „Toni Ge.“ [vermutlich Peter Anton Ge.]erhalten, in dem mitgeteilt worden sei, dass die Zeugin nicht vor Gericht erscheinen werde, weil sie mit dieser „traurigen Geschichte nichts zu tun“ habe. Die Zeugin Ge. habe zudem dem BKA-Beamten Le. bei einem Telefonat am 04.05.2016 mitgeteilt, sie stehe für eine Aussage nicht zur Verfügung, sie habe mit der Sache abgeschlossen. Obwohl es sich um eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung handele, könne sie hier verlesen werden. Eine Niederschrift, die wie hier von der in der Schweiz für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen zuständigen Behörde, hier dem StA, aufgenommen worden sei, stehe einer richterlichen Vernehmung gleich, wenn sie dem maßgeblichen Recht des Vernehmungsortes und grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen entspreche. Dies sei hier der Fall. Die Zeugin sei vom StA sinngemäß entsprechend der deutschen StPO belehrt worden, die Verfahrensbeteiligten seien vom Vernehmungstermin im Hinblick auf eine Teilnahme in Kenntnis gesetzt worden und es sei den anwesenden RAen und StAen die Möglichkeit gegeben worden, Fragen zu stellen. Es folgt die Mittagspause.

Um 12:24 Uhr geht es weiter. RA Klemke erhebt für die Verteidigung Wohllebengegen den Beschluss des Senats Gegenvorstellung: „Und zwar kritisieren wir an erster Stelle, dass aus dem Beschluss nicht nachvollziehbar hervorgeht, dass hier der Staatsanwalt des Kantons Bern zuständig war im Wege der Rechtshilfe, die Frau Ge. zu vernehmen.“ Der Senat drücke sich, so Klemke, um eine Rechtszuständigkeitsprüfung herum, so dass er, Klemke, „besorge“, dass sich der Senat nicht mit dem Schweizer Prozessrecht auseinandergesetzt hat. Es werde keine Rechtsvorschrift genannt. Im Übrigen habe die Verteidigunggrundlegend ein Problem mit der Verlesung des Protokolls anstelle der Vernehmung des Staatsanwalts.

Denn nach StPO gelte der Grundsatz des Personal- vor dem Urkundenbeweis. Und auf den § 251 [Urkundenbeweis durch Verlesung von Protokollen] solle nur zurückgegriffen werden, wenn über die bloße Verlesung hinaus kein weiterer Beweiswert erwartet werden kann: „Das sehen wir hier nicht so. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Staatsanwalt über den reinen Wortlaut des Protokolls überschießende Erinnerungen an die Vernehmung hat. Von daher meinen wir, dass der Staatsanwalt vernommen werden sollte.“ Götzl sagt, er habe darauf hingewiesen, dass nach schweizerischer StPO für Rechtshilfehandlungen die Staatsanwaltschaft zuständig sei: „Das war ein Punkt, den wir erörtert hatten. Sind noch Stellungnahmen?“ Bundesanwalt Diemer sagt, er halte die Verlesung aus den Gründen, die der Senat vorgetragen habe, für absolut zulässig. Es bestehe keinerlei Verpflichtung des Senats die Rechtshilfe im ersuchten Staat zu klären. Es gibt keine weiteren Stellungnahmen.

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass die Beweisanträge aus der NK zu Ralf Marschner [siehe 274. Verhandlungstag]abgelehnt sind. Zur Begründung führt er aus: Die Beweisanträge auf Vernehmung des Zeugen Marschner konnten abgelehnt werden, weil die Vernehmung des Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Den Anträgen, den Zeugen Marschner im Wege der Beweisermittlung zu den in den Anträgen aufgeführten Sachverhalten zu befragen, wird nicht nachgekommen, weil die Aufklärungspflicht zu diesen Ermittlungen nicht drängt. Die Beweisanträge auf Vernehmung des Zeugen KHK St., auf Verlesung seines Schreibens vom 11.12.2001, auf Vernehmung des Zeugen Kaldrack und auf Verlesung des Lagefilms der PD Zwickau konnten abgelehnt werden, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung sind.

Den Anträgen, das Schreiben von KHK St. vom 11.12.2001, den Lagefilm der PD Zwickau und sämtliche weitere Ermittlungen, insbesondere Vernehmungsprotokolle mit Bezug zu Ralf Marschner und den Zwischenbericht in dem Ermittlungsverfahren gegen Max-Florian Bu. beizuziehen, wird nicht nachgekommen, weil die Aufklärungspflicht zu diesen Ermittlungen nicht drängt. Nach § 244 Absatz 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen.

In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss der Aussage des Zeugen auf seine – des Tatrichters – Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden. Allgemein gilt im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann, insbesondere wenn er nur zu Beweisthemen benannt ist, die lediglich indiziell relevant sind oder die Sachaufklärung sonst nur am Rande betreffen.

Der Umstand, dass der im Ausland lebende Zeuge nach dem Vortrag der Antragsteller über das BfV geladen werden kann, ändert nichts daran, dass dessen Ladung im Ausland, wo der Zeuge Marschner wohnt, „bewirkt“ werden müsste. Der Senat hat die sichere Überzeugung gewonnen, dass durch die beantragte Einvernahme des Zeugen Marschner, auch wenn er die Beweistatsachen im o.g. Sinn glaubhaft bestätigt, eine weiterführende und bessere Sachaufklärung nicht zu erwarten ist. Die Aufklärungspflicht gebietet daher seine Vernehmung nicht:

Die Umstände I.a. bis I.e. lassen sich schlagwortartig zusammenfassen als die Kenntnisse des Zeugen Marschner im Zusammenhang mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. So ist unter Beweis gestellt, dass dem Zeugen Marschner die verstorbenen Mundlos und Böhnhardt sowie die Angeklagte Zschäpe bereits vor deren Verschwinden am 26.1.1998 persönlich bekannt waren. Weiter waren ihm, so die Beweisbehauptungen, der Umstand und der Grund des Verschwindens und die Gruppenzugehörigkeit von Unterstützern beim Untertauchen“ bekannt. Weiter ist unter Beweis gestellt, dass der Zeuge Kenntnis davon hatte, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe im Jahr 2000 nach Zwickau umgezogen sind. Deren Wohnung in der Polenzstraße 2 war dem Zeugen, so die Beweisbehauptung, ebenfalls bekannt. All diese Umstände lassen jedoch einzeln oder in ihrer Gesamtheit keinen Schluss zur möglichen Schuld- und Straffrage bei den Angeklagten zu.

Ein unmittelbarer oder wenigstens mittelbarer Zusammenhang mit tat- oder schuldrelevanten Umständen bei den Angeklagten oder mit den angeklagten Taten ist nicht erkennbar. Auch eine wie auch immer geartete indizielle Bedeutung dieser Umstände für den Tatnachweis, für die mögliche Schuldfrage oder für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Angaben der Angeklagten bzw. bereits gehörten Zeugen erschließt sich dem Senat nicht. In diesem Zusammenhang versuchen die Antragsteller als Beweisziel zu belegen, dass die Angaben des Zeugen Marschner in seinen Vernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung, er kenne Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nicht, unglaubhaft seien. Es ist aber nicht ersichtlich, welchen Aufklärungsgewinn diese Erkenntnis, nämlich der Zeuge Marschner habe unzutreffende Angaben gemacht, erbringen könnte.

Die Umstände unter I.d. betreffen das Wissen des Zeugen Marschner im Zusammenhang mit dem Angeklagten André Eminger und dessen Bruder Maik. So ist unter Beweis gestellt, dass der Zeuge Marschner die Brüder und deren politische Einstellung kannte. Weiter sei er über deren Gründung einer „Bruderschaft“ und das von ihnen herausgebrachte Fanzine informiert gewesen.

Insbesondere wird unter Beweis gestellt, dass der Zeuge Marschner wusste, dass die Eminger-Brüder Kontakt zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gehabt hätten. Das Wissen des Zeugen Marschner hat keinerlei unmittelbare oder mittelbare Auswirkung auf die mögliche Schuld- und/oder Straffrage bei den im vorliegenden Verfahren angeklagten Personen. Der Umstand, dass dem Zeugen Marschner die unter Beweis gestellten Tatsachen bekannt waren, hat keine Aussagekraft im Hinblick auf die mögliche Verwirklichung der angeklagten Taten durch die Angeklagten und/oder deren mögliche persönliche Schuld.

Unter Punkt I.e. ist für den Umstand der Beschäftigung des verstorbenen Mundlos durch den Zeugen Marschner Beweis angeboten: In das Wissen des Zeugen Marschner ist gestellt, dass er Uwe Mundlos in seiner Baufirma in Zwickau in den Jahren 2000 und 2001 unter der Aliasidentität „Max-Florian-Burghardt“ beschäftigt hat. Der Umstand, dass Uwe Mundlos vom Zeugen unter einer falschen Identität in seiner Baufirma beschäftigt wurde, hat keinen erkennbaren unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit den angeklagten Taten und/oder der möglichen Täterschaft oder Teilnahme der Angeklagten hier an. Auswirkungen dieses Umstands auf die möglichen Rechtsfolgen bei den Angeklagten erschließen sich ebenfalls nicht. Ein Aufklärungsgewinn ist demnach nicht zu erwarten.

Unter Punkt I.f. ist Beweis dafür angeboten, dass der Zeuge Marschner seinem V-Mann-Führer über sein Wissen berichtete: Unter Beweis gestellt ist, dass der Zeuge Marschner seinen V-Mann-Führer sowohl über seine Kenntnisse zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe als auch über seine Kenntnisse zu den Eminger-Brüdern informierte. Zusätzlich berichtete er auch über die Beschäftigung des Uwe Mundlos in seiner Firma in Zwickau. Der Umstand, dass Ralf Marschner seinem V-Mann-Führer über sein unter Beweis gestelltes Wissen berichtete, ist für sich genommen für eine mögliche Schuld- oder Rechtsfolgenfrage ohne Bedeutung. Der aus der Information folgende Umstand, dass der V-Mann-Führer und damit im Regelfall auch die zuständigen Stellen im BfV hierüber informiert waren, lässt ebenfalls keinen direkten oder indirekten Zusammenhang mit den angeklagten Taten oder möglichen Rechtsfolgen erkennen. Ein staatliches Mitverschulden an möglichen Taten der unter getauchten Personen ergibt sich hieraus nicht, da keine Umstände bekannt sind, dass staatliche Stellen im Jahr 2000/2001 von möglichen Straf taten der untergetauchten Personen bereits im Vorfeld der Begehung Kenntnis hatten. Zudem ist auch nicht erkennbar, wie staatliche Stellen an der Tatgenese an ihnen nicht bekannten Taten hätten mitwirken sollen. Spekulativ bleibt auch die Annahme der Antragsteller, staatliche Stellen hätten mit den vom Zeugen Marschner mitgeteilten Informationen die untergetauchten Personen festnehmen und damit mögliche Taten verhindern können.

Dann macht Götzl die üblichen Ausführungen dazu, wann ein Beweisantrag abgelehnt werden kann und zur prognostischen Prüfung. Er fährt danach wie folgt fort:

Die Antragsteller begehren die Vernehmung des Zeugen KHK St. und die Verlesung von dessen Schreiben vom 11.12.2001 zum Beweis der Tatsachen, dass die Landeskriminalämter Sachsen und Thüringen spätestens im Dezember 2001 Kenntnisse zur Herkunft der Unterstützer des „NSU“ aus der Blood & Honour-Szene hatten, dass ihnen der Aufenthalt von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Zwickau bekannt war und dass zu den möglichen Unterstützern neben , , auch Ralf Marschner gehörte. Weiter wird unter Beweis gestellt, dass diese Erkenntnisse auch an das LfV Sachsen weitergegeben wurden. Diese Umstände beziehen sich zusammengefasst auf die „subjektive Kenntnislage“ bei verschiedenen Behörden. Es ist nicht ersichtlich, wie sich diese auf die Beurteilung einer möglichen Schuld- und/oder Straffrage bei den Angeklagten auswirken könnte. Auch für die Beurteilung des Beweiswerts eines anderen Beweismittels spielt die Kenntnislage innerhalb verschiedener Behörden keine Rolle.

Ob und welcher Behördenmitarbeiter welchen Umstand kannte, ist damit nicht belegt. Anhaltspunkte für die von den Antragstellern in diesem Kontext vermutete Mitverantwortung staatlicher Stellen für die angeklagten Straftaten sind ebenfalls nicht erkennbar. Sie werden von den Antragstellern auch nicht benannt. Die von den Antragstellern unter Beweis gestellten und als erwiesen unterstellten Erkenntnisse der Behörden führen nicht zwangsläufig dazu, dass eine Festnahme der gesuchten Personen durchgeführt werden konnte und dass damit eine Verhinderung angeklagter Taten für die Behörden möglich gewesen wäre. Selbst für den Fall, dass eine Wohnung der gesuchten Personen ermittelt hätte werden können, steht das Gelingen einer Festnahmeaktion nicht zwingend fest. Beispielsweise können Vorsichtsmaßnahmen der Gesuchten, wie das Schaffen eines Fluchtwegs oder das Auffallen polizeilicher Vorbereitungsmaßnahmen, den Erfolg einer Festnahme vereiteln. Nachdem eine Tatverhinderung demnach nicht sicher gewährleistet war, fehlt es jedenfalls an einer Kausalität staatlichen Handelns bzw. Unterlassens für mögliche Taten, was Voraussetzung für ein staatliches Mitverschulden wäre, das bei einer möglichen Strafzumessung Berücksichtigung finden könnte.

Die Antragsteller begehren die Vernehmung des Zeugen Kaldrack zum Beweis der Tatsachen, dass der Zeuge Marschner die Beweistatsachen I. a. bis I.e. ihm während Marschners Tätigkeit als V-Mann berichtet hat. Diese Umstände beziehen sich zusammengefasst auf die „subjektive Kenntnislage“ eines Behördenmitarbeiters, nämlich des V-Mann-Führers Kaldrack. Es ist nicht ersichtlich, wie sich dessen Kenntnislage auf die Beurteilung einer möglichen Schuld- und/oder Straffrage bei den Angeklagten auswirken könnte. Auch für die Beurteilung des Beweiswerts eines anderen Beweismittels spielt die Kenntnislage des Zeugen keine Rolle. Anhaltspunkte für die von den Antragstellern auch in diesem Kontext vermutete Mitverantwortung staatlicher Stellen für die angeklagten Straftaten sind ebenfalls nicht erkennbar und werden von den Antragstellern auch nicht benannt.

Die Antragsteller begehren die Verlesung des Lagefilms aus der Zeit vom 4. bis zum 11. November 2011 des Führungs- und Lagezentrums in der Polizeidirektion Zwickau zum Beweis der Tatsache, dass Ralf Marschner dort am 11.11.2011 als Spurenkomplex Nr. 85 verzeichnet ist. Der Umstand, dass der Zeuge Marschner am 11.11.2011 im Lagefilm unter Spurenkomplex 85 erfasst ist, lässt keine Schlüsse zu, die für eine mögliche Schuld- und/oder Straffrage von Bedeutung sind. Dass der Zeuge Marschner vom LKA Sachsen als „Spur“ geführt wird, kann nämlich verschiedenste Gründe haben. Aufgrund der Unbestimmtheit der Gründe, die zur Anlegung als „Spur“ führen, können hieraus keine Schlüsse im Hinblick auf die angeklagten Taten bzw. Personen gezogen werden können. Auch die Antragsteller tragen in diesem Zusammenhang keine Umstände vor, die erkennen ließen, welche Bedeutung sich aus der unter Beweis gestellten Tatsache ergeben könnte. Vielmehr werden von den Antragstellern lediglich Vermutungen angestellt.

Bei den Anträgen auf Befragung des Zeugen Marschner „im Wege der Beweisermittlung“ handelt es sich nicht um Beweisanträge, da keine bestimmten Beweistatsachen bezeichnet werden. Es handelt sich demnach um Beweisermittlungsanträge, die durch Vernehmung des Zeugen zu den aufgeführten Fragenkomplexen erfüllt wer den sollen.

Dann macht Götzl die üblichen Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen und fährt danach wie folgt fort:
Die Antragsteller begehren die Befragung des Zeugen Marschner zur Frage der Anmietung und Zurverfügungstellung von Fahrzeugen durch ihn oder Jens Gü. an die Angeklagte Zschäpe oder Uwe Mundlos und/oder Uwe Böhnhardt. Die Aufklärungspflicht drängt jedoch nicht dazu, die diesbezügliche Befragung des Zeugen durchzuführen. Anhaltspunkte dafür, dass es zu derartigen Anmietungen von Fahrzeugen und der anschließenden Überlassung von Fahrzeugen gekommen ist, sind nicht vorhanden. Dies gilt auch dann, wenn zusätzlich die Beschäftigung von Uwe Mundlos und Beate Zschäpe durch den Zeugen Marschner als erwiesen unterstellt wird. Aus der umfangreichen Beweisaufnahme ergaben sich keinerlei Hinweise auf die Überlassung von gemieteten Fahrzeugen an die Angeklagte Zschäpe oder Uwe Mundlos und/oder Uwe Böhnhardt. Die Antragsteller vermuten, Ralf Marschner habe im Auftrag und für die Drei Fahrzeuge angemietet“. Die Frage, „wer so wesentliche Beiträge wie das Anmieten eines Fahrzeuges für die Begehung eines Mordes vorgenommen“ hat, sei für die Tatfrage relevant. Die Antragsteller vermuten hier also, eine Unterstützungshandlung und/oder eine Gehilfenschaft der Zeugen Marschner und/oder Gü.

Diese Argumentation übersieht aber zunächst, dass derartige Handlungen von Marschner und/oder Gü. nicht Gegenstand der Anklage und damit des Verfahrens sind. Zudem kann aus der bloßen Weitergabe von Fahrzeugen nicht auf das Vorliegen des subjektiven Tatbestands geschlossen werden. Ohne das Vorliegen eines subjektiven Tatbestands ist aber eine strafrechtlich relevante Weitergabe von Fahrzeugen ohnehin nicht erkennbar. Die Antragsteller begehren die Befragung des Zeugen Marschner zur Frage der Beschäftigung der Angeklagten Zschäpe in einem seiner Läden. Die Aufklärungspflicht drängt jedoch nicht dazu, die diesbezügliche Befragung des Zeugen durchzuführen. Die Klärung des Umstands, ob die Angeklagte Zschäpe in einem der Läden des Zeugen Marschner beschäftigt war, führt zu keinem Aufklärungsgewinn. Es ist nicht ersichtlich, in welcher Hinsicht dieser Umstand Bedeutung für die mögliche Schuld- und/oder Rechtsfolgenfrage gewinnen könnte. Dabei wurde der Umstand der Beschäftigung für sich und auch zusammen mit den weiteren unter Beweis gestellten Umständen gewürdigt, die in diesem Zusammenhang als erwiesen unterstellt wurden.

Die Antragsteller begehren weiter die Befragung des Zeugen Marschner zum sogenannten „Pink Panther“-Lied und zu seinem Kenntnisstand zum sogenanntenBekennervideo“. Auch in diesem Kontext ist nicht ersichtlich, welchen Aufklärungsgewinn die Befragung des Zeugen zu diesen Themenkomplexen für eine mögliche Schuld- und/oder Straffrage im Hinblick auf die angeklagten Taten und Personen erbringen sollte. Auch die Antragsteller tragen insoweit nur vor, dass sich hieraus ergeben könnte, dass es zwischen dem Zeugen Marschner und der Angeklagten Zschäpe oder Uwe Mundlos und/oder Uwe Böhnhardt zuKontakten“ gekommen war. Die mögliche Feststellung von „Kontakten“ des Zeugen Marschner zu den genannten Personen lässt aber keine schuld- und/oder rechtsfolgenrelevanten Schlüsse zu. Anhaltspunkte dafür, dass die Speicherung des Pink-Panther-Lieds auf dem Computer des Zeugen einen Zusammenhang mit dem hiesigen Verfahren hat, sind nicht vorhanden. Ebenso wenig gibt es Hinweise darauf, dass dem Zeugen Marschner das sogenannte Bekennervideo bereits vor November 2011 bekannt gewesen ist.

Götzl sagt, bei den Anträgen auf Beiziehung des Schreibens von KHK St., auf Beiziehung des Lagefilms der PD Zwickau und auf Beiziehung sämtlicher weiterer Ermittlungen, insbesondere der Vernehmungsprotokolle mit Bezug zu Ralf Marschner und des Zwischenberichts in dem Ermittlungsverfahren gegen Max-Florian Bu. handele es sich nicht um Beweisanträge, sondern um Beweisermittlungsanträge. Wieder macht er die üblichen Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen. Dann fährt er fort:

Die Anträge auf Beiziehung des Schreibens von KHK St. vom 11.12.2001 konnten abgelehnt werden, weil die Aufklärungspflicht nicht zur Erholung dieses Schreibens drängt. Die Umstände, die durch dieses Schreiben bewiesen werden sollen, sind für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung. Daher drängt die Aufklärungspflicht auch nicht dazu, das Schreiben durch Beiziehung zu den Akten zu beschaffen.

Die Anträge auf Beiziehung des Lagefilms der PD Zwickau konnten abgelehnt werden, weil die Aufklärungspflicht nicht zur Erholung dieser Einsatzchronologie, also des Lagefilms, drängt. Der Umstand, der durch diese Unterlage bewiesen werden soll, ist für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung. Daher drängt die Aufklärungspflicht auch nicht dazu, den Lagefilm durch Beiziehung zu den Akten zu beschaffen.

Die Anträge auf Beiziehung sämtlicher weiterer Ermittlungen, insbesondere Vernehmungsprotokolle mit Bezug zu Ralf Marschner und des Zwischenberichts in dem Ermittlungsverfahren gegen Max-Florian Bu. konnten abgelehnt werden, weil die Aufklärungspflicht nicht zur Erholung dieser Unterlagen drängt. Nach den Ausführungen der Antragsteller soll mithilfe dieser Unterlagen zusätzlich belegt werden, dass der verstorbene Uwe Mundlos vom Zeugen Ralf Marschner in seiner Firma beschäftigt worden ist. Nachdem der Nachweis dieses Umstands wie oben dargelegt keinen Aufklärungsgewinn erbringt, drängt die Aufklärungspflicht auch nicht dazu, Unterlagen zu erholen, welche dieselbe Tatsache belegen. Nachdem keine Beiziehung erfolgt, hat sich der Antrag auf Akteneinsicht in diese Unterlagen erledigt.

Götzl: „Wären sonst noch Anträge zu stellen?“

Wohlleben-VerteidigerRA Nahrath beantragt die Ladung von KHK [Bernd] Ko. vom BKA Meckenheim. Der Zeuge habe anhand der vollständig vorliegenden Bankunterlagen Wohllebens dessen Einnahmen und Ausgaben im Zeitraum vom 01.01.1999 bis zum 31.12.2000 überprüft und dabei festgestellt, dass der Angeklagte in diesem Zeitraum zu keinem Zeitpunkt über Gelder verfügt habe, die eine Barabhebung von 2.500 DMzuließen. Eine Barabhebung in dieser Höhe sei aus den Kontounterlagen aus diesem Grund ebenfalls nicht ersichtlich. Der Mitangeklagte Carsten Schultze habe, hinsichtlich Ort, Zeitpunkt und Verfahrensweise völlig unsubstantiiert, behauptet, einen Geldbetrag von 2.500 DM von Wohlleben für den Erwerb einer Waffe von Andreas Schultz erhalten zu haben. Schultze habe hingegen noch in seiner Vernehmung vom 06.02.2012 in Gegenwart der Zeugen OStA Weingarten, KHK Ga. und KOK [Timo] Ko. ausgesagt, dass er sich nicht einmal konkret daran erinnern könne, dass er das Geld von Wohlleben erhalten habe. Auch hier habe er nur geschlussfolgert, dass er das Geld von Wohlleben erhalten haben müsse. Die Zeugen würden dies auch bestätigen. Auch in der Hauptverhandlung habe Schultze keine konkrete Erinnerung hieran gehabt und geschlussfolgert, dass er das Geld von Wohlleben erhalten haben müsse, weil dieser der einzige gewesen sei, der damit zu tun gehabt habe. Die unter Beweis gestellten Tatsachen würden die Angaben Wohllebens bestätigen und die „ohnehin diffusen“ Angaben Schultzes hierzu widerlegen.

Außerdem beantragt RA Klemke einen Text auf einer Festplatte Wohllebens zu verlesen. Auf den Vorhalt: „Solange die und sonstige Rechte Parteien ihren extremen Ausländerhass und Ihre teils sehr fragwürdigen Mitglieder [hier fehlt Original offenbar ein ’nicht‘ – nsu-watch]in den Griff bekommt sehe ich schwarz.“ habe sich Wohlleben folgendermaßen geäußert: „Was für einen Ausländerhass? Ich bin Nationalist und Nationalist bedeutet nichts anderes, als sein Heimatland zu lieben und andere Völker zu ehren. Wenn man etwas gegen die Überfremdung tut, heißt das nicht, dass man Ausländer hasst.“ Dabei handele es sich um einen durch Wohlleben kommentierten Gästebucheintrag, der zuvor an die Internetseite des NPD-Kreisverbandes Jena gesendet worden sei. Er sei, zumindest ausweislich des Zeitstempels, am 22.11.2001 als Textdokument abgespeichert worden. Die Beweiserhebung werde die Behauptung der Anklage widerlegen, Wohlleben habe „ideologisch motivierte Tötungsdelikte an Mitbürgern ausländischer Herkunft“ billigend in Kauf genommen.

Der zu verlesende Text belege vielmehr die Glaubhaftigkeit der Angaben Wohllebens in der Hauptverhandlung. Weiter mache er deutlich, dass sich eine Gleichsetzung der „vom Angeklagten Wohlleben praktizierten kritischen Betrachtung der damaligen und auch der aktuellen Überfremdungspolitik mit einer ihm in der Anklageschrift unterstellten ‚ausländerfeindlichen Gesinnung'“ verbiete. Dem Senat sei es erlaubt, aufgrund der engen zeitliche Nähe zwischen der Wohlleben vorgeworfenen Tat und der Erstellung des Textes belastbare Schlüsse auf die Einstellung Wohllebens gegenüber Ausländern zu ziehen. Dies werde zu der Wertung führen, dass Herr Wohlleben keinen Tötungsvorsatz gehabt habe. Schon gar nicht seien bei Wohlleben niedrige Beweggründe nachweisbar. Schultzes Verteidiger RA Pausch behält sich eine Stellungnahme vor. Der Verhandlungstag endet um 13:08 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage„: Heute verlas das Gericht zum einen diverse Unterlagen. Zum anderen wurden Fotos eines Urlaub von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Jahr 2004, kurz nach dem Anschlag in der Keupstraße in Köln, angesehen. Diese zeigen eine unbeschwert-fröhliche Atmosphäre unter den drei Personen – im krassen Gegensatz zur Einlassung Zschäpes, die behauptet hatte, die Stimmung sei eisig gewesen, nachdem sie vom Anschlag in Köln erfahren hatte. Zudem setzte das Gericht seine Linie der fast vollständigen Aufklärungsverweigerung fort und lehnte weitere Beweisanträge der Nebenklage ab, diesmal betreffend mögliche weitere Unterstützer um den B&H-Aktivisten und V-Mann Ralf Marschner aus Zwickau – auch diese Frage, inklusive möglicher Anmietung von Tatfahrzeugen, hält der Senat demnach für vollständig irrelevant.

http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/05/11/11-05-2016/

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