Kurz-Protokoll 289. Verhandlungstag – 15. Juni 2016

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An diesem Prozesstag ist zunächst ein Beamter des LKA Berlin geladen, der im Verfahren gegen die Band Landser tätig war. Im Zuge dieses Verfahrens wurde auch gegen Jan Werner ermittelt, sein Telefon wurde überwacht. Der Beamte antwortet auf die Großteil der Fragen, diese Aspekte seien ihm „nicht mehr erinnerlich“. Im Anschluss daran verliest die Verteidigung von Ralf Wohlleben ein Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. Dr. Leygraf. Danach begründet Götzl erneut zwei Ablehnungsbeschlüsse gegen zwei Anträge der Nebenklage.

Zeuge:

  • Michael Th. (Polizeibeamter aus Berlin zur Überwachung von Jan Werner durch das LKA Berlin)

Der Prozesstag beginnt um 09:46 Uhr mit der Befragung von Michael Th. Götzl: „Es geht um die Überwachung von Jan Werner durch das LKA Berlin, 1998-2001, zu den Themen Waffen, Waffenbeschaffung, Kontakte zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos. Was Sie dazu sagen können, wie Sie damit befasst waren und was Sie inhaltlich berichten können? Th.: „Gerne. Ich war Leiter der EG Rechts, die hatte das Komplexverfahren gegen die Band Landser im Auftrag der BAW zu führen. Wir sind dem Auftrag nachgekommen und haben auch die dementsprechenden Personen, die uns benannt worden sind oder wir selber benennen konnten, dementsprechend telefonüberwacht. Über die gewonnenen Erkenntnisse sind natürlich weitere Kontaktpersonen dazugekommen, die als Unterstützer der Band bei uns eingestuft worden sind und dementsprechenden TÜ-Anträgen wurde vom BGH nachgekommen und wir haben die Telefonüberwachung dementsprechend gehört. Die Auswertungen erfolgten immer tagesaktuell, um auch hinsichtlich der Aktivitäten der Band tagesaktuell reagieren zu können.“
Götzl fragt nach Jan Werner. Th.: „Den haben wir in die TÜ aufgenommen, ich kann mich nicht mehr erinnern wann. Nur noch, dass meine Kollegen ganz schön Arbeit mit ihm hatten, da er pausenlos SMS geschrieben hat. Da war er wahrer Künstler drin. Er war Kurierfahrer und muss blind SMSen während der Fahrt geschrieben haben.“ Götzl: „Inwieweit waren Sie selbst mit Protokollen befasst?“ Th.: „Zu keiner Zeit. Vielleicht mal als der Ermittlungsführer das ein oder andere gelesen hat.“ Götzl: „Was können Sie aus Informationen von Kollegen sagen?“ T.: „Werner war der, der den Auftrag bekommen hatte, die neue CD, die in England damals eingespielt wurde, ‚Ran an den Feind‘, komplett zu vermarkten. Und da hat er mit zu tun gehabt. Das heißt also, das Masterband zum Presswerk, die CDs wurden hergestellt und nach Deutschland geliefert, von Dänemark, da befand sich das Presswerk. Und dann haben wir zugesehen, dass wir bei der Verteilung möglichst viele Abnehmer identifizieren können und CDs beschlagnahmen. War schwierig, weil es quer durchs Bundesgebiet ging. Da waren insbesondere Personen aus Sachsen handlungsaktiv, die den Jan Werner da unterstützt haben. Das war der Kernpunkt. Das wurde uns auch später von Jan Werner bestätigt, dass er auch derjenige war, der die Band entlohnt hatte für die Aufnahme und über Unterstützer die CD hat herstellen lassen, verbreiten lassen, die Booklets hat herstellen lassen und dementsprechend auch kassiert hat.“
Götzl: Hat im Rahmen der Überwachung das Thema Waffenerwerb mal eine Rolle gespielt?“ Th.: „Ich sag Ihnen ganz ehrlich, wir haben uns um die rechtsextremistische Musik gekümmert. Ich kann mich nicht erinnern, dass das Thema Waffen fiel. Wenn wir andere Hinweise bekommen haben aus den Überwachungsmaßnahmen, haben wir die generell in den Bereich gegeben, der für solche Sachen gerade zuständig ist. Da wurden immer separate Verfahren eröffnet, so wie auch gegen die Unterstützer in Sachsen separate Verfahren gelaufen sind. Die Weitergabe wurde dementsprechend veranlasst. Aus der Erinnerung kann ich da nichts mehr beitragen.“
Götzl: „Hat bei der Überwachung mal Carsten Szczepanski eine Rolle gespielt?“ Th.: „Ja, ich kann mich an den Namen zumindest erinnern, ob der aus der TÜ gekommen ist oder anderweitig, das kann ich jetzt nicht mehr sagen.“ Götzl: „Haben denn im Rahmen der Auswertung der Informationen die Namen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos eine Rolle gespielt?“ Th.: „Kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Wir haben tagesaktuell ausgewertet und einer war verdonnert, das Tagesprotokoll zu schreiben und hat die Punkte niedergelegt. Ich kann mich da an Einzelheiten nicht mehr erinnern. Es ging im wesentlichen um die Band.“
Götzl: „Hat bei der Überwachung das Thema „Erlöse aus Konzerten“ eine Rolle gespielt?“ Th.: Ich kann Vernehmungswissen später wirklich nicht mehr trennen von den Erkenntnis während des Ermittlungsverfahrens. Ist möglich, es waren immer verklausuliert Summen im Spiel. Die Bestellung der CDs, also die CDs waren ‚T-Shirts‘, daran kann ich mich erinnern.“ Götzl: „War Thema, wofür Erlöse verwendet werden?“ Th.: „Das kann ich aus meiner Erinnerung nicht mehr berichten. Da ist damals schon viel Interpretation gewesen, weil wie gesagt keine offenen Gespräche liefen, man musste sich das aus Gesamtzusammenhängen zusammenreimen, ich kann es nicht mehr sagen weil ich da nichts durcheinanderbringen will, ist schon lange her, 15 Jahre.“
Wohlleben Verteidigerin Rain Schneiders: „Ist bekannt geworden aus der Überwachung, ob Jan Werner drei Personen, die untergetaucht sein sollen, unterstützt hat?“ Th.: „Da ist mir nichts bekannt.“ Schneiders: „Ob Gelder aus CD-Verkäufen oder Konzerten in Sachsen für Personen, die auf der Flucht sind, verwendet wurden?“ Th.: „Da kann ich nichts zu sagen. Aus meiner Erinnerung ist nichts bekannt. Ich war bei der Vernehmung Werner dabei, da sollte das Papier bemüht werden, vielleicht sind da Punkte.“
Schneiders: „Ist Ihnen bekannt geworden, ob Jan Werner auf der Suche nach Waffen war?“ Th.: „Da ist mir nichts erinnerlich.“ Schneiders: „Ist an Sachsen Informationen weitergeleitet worden zu Jan Werner, ob da was geprüft werden soll, ist Ihnen da was bekannt?“ Th.: „Nein.“ Schneiders: „Um wie viel Geld ging es bei Jan Werner: das Presswerk, Booklets, Vertrieb? Wie viel hat er da eingenommen?“ Th.: “Das ist mir nicht mehr so richtig erinnerlich. Ich weiß bloß, dass der Band versprochen wurde, jeweils 10.000 DM, ich glaub damals noch DM. Aber ob die das jemals erhalten haben, weiß ich nicht mehr.“
NKRAin von der Behrens: „“Wie oft sind Sie in den Untersuchungsausschüssen vernommen worden?“ Th.: „Einmal, nein zweimal.“ V. d. Behrens: „In welchen?“ Th.: „In Sachsen.“ V. d. Behrens: „Wie haben Sie sich da vorbereitet?“ Th.: „Da war nicht viel Vorbereitung möglich, kann ich Ihnen jetzt auch nicht mehr sagen, das ist auch schon eine Weile her.“ V. d. Behrens: „Wann war das?“ Th. antwortet, da sei er überfragt. V. d. Behrens: „Haben Sie da auch Akten eingesehen?“ Th.: „Ist mir nicht mehr erinnerlich.“ V. d. Behrens: „Sie wissen nicht mehr, ob Sie dort waren um Akten zu lesen?“ Th.: „Das ist eine Weile her, der Untersuchungsausschuss.“
V. d. Behrens: „Wurden Sie im Jahr 2002 mal vom LKA Thüringen gefragt, mit der Bitte, die Namen Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe durch Ihre TKÜ-Datenbank zu schicken?“ Th.: „Ist mir nicht erinnerlich.“ V. d. Behrens: „Da möchte ich Ihnen mal dazu vorhalten und zwar Aktenvermerk, der wird von Herrn Binninger im Bundestags-UA zitiert, 22.04.2013, eine Frage von Herrn Binninger.“ Vorhalt: Die Thüringer erfahren von einer TÜ des LKA Berlin gegen Jan Werner. Daraufhin teilt Thüringen Herrn Th. zwei Monate nach dem Hinweis ‚es geht um drei Personen aus Thüringen‘ noch einmal die Namen der drei Gesuchten mit, damit diese mit den erlangten TÜ-Inhalten abgeprüft werden. Eine Rückmeldung des LKA ist nicht ersichtlich. V. d. Behrens: „Also zweimal ist bei Ihnen angefragt worden, dass Sie nach den Namen suchen sollen.“ Th.: „Kommt keine Erinnerung zurück, tut mir leid.“ Der Zeuge wird entlassen.

RA Klemke sagt, er hätte hätte einen prozessualen Antrag. Der Angeklagte Wohlleben lehne den Sachverständigen Prof. Dr. Leygraf wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Sachverständige habe 2012 ein vorläufiges psychiatrisches Gutachten zur Frage, ob der Angeklagte Schultze in seinem Entwicklungsstand einem Jugendlichen gleichstand oder es sich bei der Tat um eine Jugendverfehlung handelte, erstattet. Der Gutachter habe sinngemäß und wörtlich große Teile des Explorationsgespräch weitergegeben. Die Verteidigung Wohlleben habe befragt, auf welcher Grundlage er dem Angeklagten Carsten Schultze vorgehalten habe, dass es doch ‚ausgeprägte ausländerfeindliche Parolen gegeben habe‘. Der Sachverständige habe es weder vermocht, konkrete Parolen zu benennen, noch wann und wo diese verwendet worden seien.
Bisher habe kein Zeuge Angaben getätigt, dass die jungen Jenaer, die sich dem THS, dem NW Jena zugerechnet hätten, ausländerfeindliche Parolen verwendet hätten. Als einzige mögliche Ausnahme sei bisher bekundet worden, dass der V-Mann Tino Brandt ohne Absprache mit seinen Kameraden einen Aufkleber ‚Bratwurst statt Döner‘ verteilt habe. Abgesehen davon habe der Angeklagte Carsten Schultze zu keiner Zeit ausgesagt, dass er ‚ausländerfeindliche Parolen‘ ‚übernommen‘ habe. Dennoch habe genau dies der Sachverständige ihm unterstellt. Dadurch habe der Sachverständige überdeutlich zu Erkennen gegeben, dass er den Angeklagten nicht mit der ausreichenden Objektivität gegenüberstehe. Er habe negative Zuschreibungen dahingehend vorgenommen, dass die dem THS zuzurechnende jungen Jenaer, und damit die Angeklagten, durchweg Rechtsextremisten gewesen seien und automatisch Ausländerfeinde. Damit habe der Sachverständige Vorurteile bzw. Klischees übernommen. Das berechtige den Angeklagten Wohlleben, den Sachverständigen abzulehnen.

Götzl verkündet Beschlüsse zu Gegenvorstellungen von Vertreter_innen der Nebenklage [siehe 286. Verhandlungstag]: „Es ergeht nach geheimer Beratung folgender Beschluss: Bei dem Beschluss des Senats vom 30.09.2015 mit dem die Anträge, die Akten des Thüringer Landeskriminalamts „Zielfahndung 1″ beizuziehen und auszugsweise, soweit es die unter Beweis gestellten Tatsachen betrifft, zu verlesen, zu dem Beweis der Tatsachen, dass durch die Überwachung des Telefonanschlusses von Thomas Starke bekannt wurde, dass Thomas Starke, Mandy Struck und Max-Florian Burkhardt im August 1998 konspirativ formulierte SMS bezüglich der Suche nach einer Wohnung und der Organisation eines Umzuges austauschten, abgelehnt wurden, hat es sein Bewenden.

Götzl verkündet einen weiteren Beschluss:
Bei dem Beschluss des Senats vom 02.03.2016, mit dem der Senat den Anträgen,
• die acht Ordner umfassenden Akten, die dem Zeugen Rainer Görlitz zur Vorbereitung auf seine Vernehmung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages am 28. Februar 2013 und in den Hauptverhandlungen am 1. Juli 2015/29. Juli 2015 bzw. dem Zeugen Meyer-Plath zur Vorbereitung seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung am 22. April 2015 im Innenministerium Brandenburg zur Verfügung ständen, beizuziehen und den Unterzeichnern Akteneinsicht zu gewähren,
• hilfsweise dazu die vier Aktenordner, die – nach Angaben des Zeugen Görlitz – ausschließlich Treffberichte und Deckblattmeldungen des V-Mannes Szczepanski beinhalten, die zum hiesigen Verfahrenskomplex gehören, beizuziehen,
• hilfsweise dazu aus diesen vier Aktenordner sämtliche Treffberichte und Deckblattmeldungen aus der Zeit vom 26. Januar 1998 bis zur Enttarnung des Zeugen Szczepanski im Juli 2001 beizuziehen, nicht nachgekommen ist, hat es sein Bewenden.
Der Prozesstag endet um 14:08 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

Die vollständige Version des Protokolls ist hier zu finden.