Protokoll 286. Verhandlungstag – 02. Juni 2016

0

An diesem Verhandlungstag gibt es zunächst zwei Zeugenvernehmungen von Polizeibeamten. Dabei dreht es sich erst um Ermittlungen zum Konto von Ralf Wohlleben zwischen 1999 und 2000. Danach sagt ein Beamter zur Vernehmung von Carsten Schultze im Jahr 2012 aus. Dominiert wird der Prozesstag allerdings von der Verlesung von Gegenvorstellungen durch Vertreter_innen der Nebenklage zu Ablehnungen von Beweisanträgen. Dabei geht es u.a. um die V-Leute Ralf Marschner („Primus“), („Piatto“) und Michael Doleisch von Dolsberg („Tarif“).

Zeugen:

  • Bernd Ko. (Ermittlungen zu den Einnahmen und Ausgaben von Ralf Wohlleben 1999 bis 2000)
  • Thorsten We. (Vernehmung von Carsten Schultze am 12.09.2012)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:53 Uhr. Es wird der Zeuge Bernd Ko. vom BKA gehört. Götzl: „Es geht uns um Ermittlungen zu Einnahmen und Ausgaben von Herrn Wohlleben, ein bestimmter Zeitraum, vom 01.01.1999 bis 31.12.2000. Mit welchen Ermittlungen waren Sie befasst? Was haben Sie letztlich ermittelt und zu welchem Ergebnis haben diese Ermittlungen geführt?“ Ko.: „Man muss vorausschicken, dass gerade für 1999 bis 2000 nur rudimentäre Daten vorlagen, die uns von den Banken zur Verfügung gestellt werden konnten. 10 Jahre Löschfrist, so auch in diesem Fall. [phon.] Die Commerzbank konnte noch mitteilen, dass Ralf Wohlleben ein Spar- und ein Girokonto bei der Commerzbank hatte, hatten aber nur noch rudimentäre Daten der Transaktionen: Wann, welche Höhe und ob die Transaktion eine Lastschrift, Überweisung oder Barabhebung war [phon.]. Weitere Daten waren nicht mehr verfügbar. Das Gegenkonto konnte daraus nicht mehr erkannt werden, man konnte nicht erkennen, wer hat Geld übersandt und wohin [phon.], auch nicht mehr die Daten des Verwendungszwecks. Ich habe also grob abgesteckt, über welche Geldmittel Ralf Wohlleben verfügen konnte. Auf dem Sparkonto wurden im Juli 1999 1.750 DM gutgeschrieben, Herkunft nicht feststellbar. So war ein Guthaben von rund 1.900 DM. Im Oktober 1999 wurden 900 Euro auf das Girokonto umgebucht und dann in mehreren Tranchen verbraucht, wie es den Anschein hat.“

Ko. weiter: „1.000 DM verblieben bis Mai 2001 auf dem Sparbuch und wurden erst im Mai 2001 aufs Girokonto umgebucht. Das waren alle Transaktionen, die dem Sparbuch zugeordnet werden konnten. Auf dem Girokonto waren natürlich mehr Transaktionen. 1999 wurden 19.000 DM an Einkommen erzielt, im Jahr 2000 waren es 20.800, die dann auch ausgegeben wurden, da wurde sogar mehr ausgegeben als eingenommen. Um die Herkunft etwas einschränken zu können, haben wir in die Asservate geschaut, da haben wir einen Lebenslauf aufgefunden und konnten erkennen, wo Ralf Wohlleben beschäftigt war. Anfang 1999 kurze Zeit der Arbeitslosigkeit, dann feste Arbeit im Einzelhandel von ca. April 1999 bis Juni 2000 und danach wieder arbeitslos. Das hat sich in den Summen der Zahlungseingänge widergespiegelt: Anfang des Jahres ein bisschen weniger, während der Vollbeschäftigung etwas mehr, am Ende etwas weniger. Zu den Geldflüssen: Grundsätzlich kann man sagen, das was rein gekommen ist, wurde im Monat auch wieder ausgegeben.“

Ko weiter: „Als er dann eine vollwertige Beschäftigung hatte, hat er regelmäßig mehr ausgegeben als eingenommen, so dass sich ein Dispokredit aufgetürmt hat: Im Februar 2000 waren es 1.700 DM [phon.], die das Girokonto im Soll war. Die Einnahmen im Monat waren da 1.500 DM. Das war der Höhepunkt. Dann wurde weniger ausgegeben als eingenommen, so dass dann im Laufe der Zeit das Girokonto auf Null gebracht werden konnte. Ich habe dann noch die Bargeldtransaktionen auf die Monate aufgeschlüsselt, ob da Auffälligkeiten waren. Für 1999 und 2000 gab es Monate, wo gar nichts abgehoben wurde, sonst so 2, 3, 800 DM, einmal auch 1.000 DM im Mai 1999 [phon.]. Auch daraus konnte man keine Auffälligkeiten ableiten. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Konto, so wie es mir vorlag mit den rudimentären Daten, für seine privaten Zwecke genutzt wurde, ansonsten keine relevanten Transaktionen, nichts, was auf eine Unterstützung oder kriminelle Handlungen hingedeutet hätte.“ Der Zeuge wird entlassen. Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Wir würden uns gern dazu eine Erklärung vorbehalten.“

Es folgt der Zeuge Thorsten We. Götzl: „Es geht uns um die Beschuldigtenvernehmung von Herrn Schultze, 12.09.2012, mich interessiert die Situation, der Ablauf, inhaltliche Angaben, sein Verhalten und sonstige Besonderheiten.“ We.: „Ja, die Beschuldigtenvernehmung fand am 12.09.2012 im BKA Meckenheim statt, anwesend waren seine beiden Verteidiger, Herr Pausch und Herr Hösl, sowie der Herr [Timo] Ko. und ich. Die Beschuldigtenvernehmung kam auf Initiative des Herrn Schultze zustande. Rechtsanwalt Hösl hatte sich bei der Bundesanwaltschaft gemeldet, um um einen weiteren Vernehmungstermin zu bitten, da ihm weitere Sachverhalte zwischenzeitlich eingefallen seien. Zu Beginn hatten die Rechtsanwälte mitgeteilt, dass sie auch über die ideologische Einbindung Schultzes sprechen wollten. Und wir wollten auch noch was klären. Vor der Vernehmung hat Herr Schultze ein Gespräch mit den Rechtsanwälten geführt, etwa zwei Stunden. Er wurde als Beschuldigter belehrt und wir haben ihn dann gebeten, uns die Sachverhalte zu schildern, die er noch ergänzen wollte.“

We. weiter: „Er hat damit angefangen, dass er im Fernsehen ein Interview mit den Eltern Uwe Böhnhardts gesehen habe, dabei sei ihm eingefallen, dass er in Chemnitz einen Brief eines der beiden Uwes erhalten habe. Er habe in einem Kasten in Jena-Winzerla den Brief eingeworfen. Zum Inhalt könne er nichts sagen, weil er zugeklebt gewesen sei. Er wollte das auch mitteilen, um den Zeitpunkt der Waffenübergabe einzugrenzen. Er habe auch in den Akten gelesen, dass die Mutter von Mundlos im Rewe arbeiten würde. Ihm sei eingefallen, dass er mit Wohlleben mal im Rewe gewesen sei und dabei eher zufällig Frau Mundlos getroffen habe. Und Wohlleben habe gesagt, es sei in Ordnung, dass er, Carsten Schultze dabei sei und dass es ihrem Sohn gut gehen würde. Dann hat er zur Waffenübergabe Chemnitz angegeben, dass er da den Pullover mit ‚ACAB‘ angehabt habe, ein Comicmotiv, wo ein Glatzkopf einem Polizeibeamten auf der Motorhaube eines Polizeiwagens eine Waffe an den Kopf hält. Den habe er im Madleys gekauft und getragen, weil er farblich zur Hose passte. Er sei von einem der Uwes aufgefordert worden den Pulli auszuziehen, es sei kühl gewesen [phon.] und er habe gefroren.“

We. weiter: „Zur zeitlichen Eingrenzung. Dann berichtete er von zwei Szenekontakten nach dem Ausstieg. Einmal, ca. 2001, sei er mit Ronny Ar. unterwegs gewesen, dabei habe Ar. mit Tino Brandt telefoniert, sie seien zu Brandt gefahren, sie seien 10 bis 15 Minuten da gewesen und Brandt habe ihm seine Gay-Homepage gezeigt. Und er berichtete von einem Kontakt zu André Kapke. Er sei nach seinem Ausstieg in einen anderen Freundeskreis geraten, da sei auch die Marlen Ri. gewesen, die sei auch ein, zwei mal auf rechten Demonstrationen gewesen. Die habe ihn überredet, am ‚Braunen Haus‘ vorbeizufahren, um dem André Kapke zum Geburtstag zu gratulieren. Er habe da um die Ecke gewohnt damals. Er sei dort angestarrt worden von den Anwesenden. Er habe dem André Kapke gratuliert, ohne dass es weitere Gespräche gegeben habe. Kapke habe dort gelegen, sei wohl krank gewesen, und es sei das erste und letzte Mal gewesen, dass er das ‚Braune Haus‘ betreten habe. Der Anwalt hat gefragt, ob er wegen des Ausstiegs damals angemacht worden sei im ‚Braunen Haus‘. Das hat er verneint.“

We. fährt fort: „Dann wollten die Anwälte zur ideologischen Festigkeit des Mandanten fragen. Zuerst, wie tief denn seinen ideologische Verankerung gewesen sei. Schultze führte Beispiele auf: Diskussionen untereinander, Infostände, NPD-Thesenpapiere, JN-Schulungsbriefe und Schulungsveranstaltungen, die stattgefunden hätten. Einmal zum Thema Ostgebiete. Ansonsten sei man schnell zum gemütlichen Teil übergegangen. Und die Musik habe ihn wesentlich geprägt. Bücher habe er keine gelesen. Er hat erwähnt, dass er als JN-Stützpunktleiter die JN-Schulungsveranstaltungen vorbereitet habe, zusammen mit Ronny Ar. Dazu habe er die JN-Schulungsbriefe ausgewertet und mit Ar. besprochen, was mit den Kiddys, so wurde das genannt, besprochen werden sollte. Er wurde dann von seinem Rechtsanwalt noch gefragt, ob er Weisungen bekommen habe, womit sie sich bei den JN-Schulungen inhaltlich befassen sollten. Er hat gesagt, nein, dass er autonom gearbeitet habe, André Kapke und Ralf Wohlleben hätten sich da nicht eingemischt, die seien mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, André Kapke mit Black Metal und Ralf Wohlleben mit Internet. Die JN-Schulungsbriefe habe er an ein Postfach zugesandt bekommen.“

We. weiter: „Der Rechtsanwalt hat nach Positionen in der Partei gefragt. Im vierten Quartal 1999 sei er Stützpunktleiter der JN Jena geworden, ein halbes Jahr davor sei der Kreisverband der NPD gegründet worden, wo er stellvertretender Vorsitzender wurde. Am 05.02.2000 [phon.] sei er in den Bundesvorstand der JN als Bundesgeschäftsführer gekommen, das habe Tino Brandt organisiert. Da habe er nur an einer Sitzung teilgenommen. Später sei er stellvertretender JN-Landesvorsitzender in Thüringen geworden. Tino Brandt, Ralf Wohlleben und André Kapke und Sandro Tauber wollten eigentlich, dass er Landesvorsitzender werden sollte, aber er habe abgelehnt weil er seinen Ausstieg schon im Hinterkopf hatte. Dann hat er auf Frage auch noch gesagt, dass es für seine Tätigkeit keine Vergütung oder Spesen gegeben habe und er die Auslagen auch selber habe tragen müssen. Dann weiter zu seiner Tätigkeit im NPD-Kreisvorstand, da hat ihn sein Rechtsanwalt gefragt. Er hat gesagt, er sei stellvertretender Vorsitzender gewesen und Ronny Ar. Schatzmeister. Wohlleben habe Tagesordnungspunkte mitgebracht, das sei man durchgegangen, z. B. dass der Schatzmeister Geld eintreiben sollte [phon.], dass Infostände und Demos angemeldet werden sollten. Er habe auch einmal Demo angemeldet, eine Gegendemo zu einer linken Demo, die habe aber nicht stattgefunden. Das habe Tino Brandt im Hintergrund organisiert.“

We.: „Dann wurde er nach den Infoständen gefragt. Da hat er gesagt, dass er da 10 bis 15 Mal teilgenommen habe, da wären dann Handzettel verteilt worden. Dann ging es um seine zeitliche Beanspruchung, wurde er gefragt, im Vergleich zu seinem restlichen Leben. Da hat er gesagt, er habe fünf Tage die Woche acht Stunden bei einer Zeitarbeitsfirma gearbeitet und deshalb nicht jeden Tag in der Szene unterwegs gewesen wäre, sondern schwerpunktmäßig am Wochenende. Wie Nachwuchs gewonnen worden wäre: Es sei nicht so gewesen, dass sie aktiv vor Schulen gestanden hätten, sondern Leute, die szenetypische Kleidung gewesen seien oder auf Partys mitgebracht worden seien, habe man angesprochen. Auf die Frage, wie: Es sei ein Mittelding zwischen Reden über Freizeitaktivitäten und politisch-ideologischen Themen gewesen. [phon.] Am wichtigsten wäre der gemütliche Teil gewesen, zusammensitzen und dazuzugehören. Er hat gesagt, es gab ein verbindendes Gefühl in der rechten Szene, er habe das Gefühl gehabt, überall hingehen zu können, überall Leute zu kennen in den Städten. [phon.]“

We. erzählt weiter: „Dann ging es um seinen Ausstieg. Sein Rechtsanwalt hat dazu formuliert, dass der Ausstieg eine unterbewusste Entwicklung gewesen sei, die sich durch äußere Einflüsse verdichtet habe. Das hat Schultze bestätigt. Dass er gemobbt worden sei und sich noch weiter zurückgezogen habe. [phon.] Es sei kritisch hinterfragt worden, warum er keine Freundin hätte. Und als er aus dem Unterbindungsgewahrsam entlassen worden sei, seien seine Eltern da gewesen und hätten ihn abgeholt, dafür [phon.] sei er von Ralf Wohlleben ausgelacht worden. Dann hat er erzählte zur Aussage von Jürgen Helbig zum -Spiel: Er habe das Spiel zwar mal gesehen, aber mehr nicht damit zu tun gehabt. Und auf die Frage, wer dabei gewesen sei, als der mobile Dönerstand am Columbus-Center umgeworfen worden sei, sagte er, das weiß er nicht mehr, nur Daniel Sch. der seinen Schlüssel auf der Flucht verloren habe, ’99 oder 2000. [phon.] Dann hat er gesagt zum Einwerfen der Fensterscheibe der Dönerbude, da seien sie betrunken auf dem Weg zu einer Haltestelle gewesen. Eine Mischung aus spontaner Suffaktion und gegen Ausländer gerichteten Aktion.“

We. spricht weiter: „Solche Aktionen seien nicht geplant gewesen. Dann wurde er noch auf ein Schreiben des MAD angesprochen, wonach dort bekannt sei, dass ihm 2001 ein Aussteigerprogramm angeboten worden sei, das er aber abgelehnt habe, weil er sich der nationalen Bewegung weiterhin verpflichtet fühle, und in dem Zusammenhang habe er sich bei Kö. vom Staatsschutz Jena beschwert. Er hat gesagt, ihm sei nie ein Aussteigerprogramm angeboten worden. Auf Nachfrage seines Rechtsanwalts hat er ebenfalls verneint, dass er gesagt habe, dass er sich der rechten Szene weiterhin verpflichtet fühlen würde. Zum Schluss ist er nochmal gefragt worden, ob es neben dem Einbruch noch einen weiteren Einbruch mit Sven Kl., Spitzname ‚Torte‘ ,gegeben habe. Das hat er verneint. Dann haben wir gefragt, ob er noch was ergänzen wolle. Das hat er verneint.“

Götzl: „Wie war das Verhalten von Herrn Schultze bei der Vernehmung?“ We.: „Ich würde sagen, ruhig und sachlich und bedächtig ist er aufgetreten. Er hat ja zuerst von Sachen erzählt, die er auch erzählen wollte. Dann die Fragen der Rechtsanwälte, das war, ja, hat für mich nicht den Eindruck gemacht, dass das alles vorher abgesprochen gewesen sei. Sondern er hat immer noch überlegt, bevor er geantwortet hat. Er hat insgesamt aber sehr bedächtig geantwortet.“ Götzl fragt, ob Schultze den Kontakt mit Tino Brandt eingeordnet habe. We.: „Er hat gesagt, ca. 2001.“ Vorhalt: Auf Frage von RA Hösl, wann Herr Schultze Funktionen übernommen hatte: JN muss im letzten Quartal 1999 losgegangen sein, wir haben den Stützpunkt gegründet und ich leitete ihn. Der NPD-Kreisverband wurde ein halbes Jahr früher gegründet. Für den Posten im JN-Bundesvorstand wurde ich auserkoren, genauso wie bestimmt worden war, dass ich JN-Landesvorsitzender werden sollte, wogegen ich mich aber zur Wehr gesetzt habe. Alle haben mich bequatscht, Tino Brandt und Sandro Tauber, der es letztlich wurde. Ich wurde für maximal drei Monate noch stellvertretender Landesvorsitzender. We. bestätigt die Vorhalte. Götzl: „Hat er was dazu gesagt, ob er noch Aktivitäten entfaltet hat?“: We.: „Nicht mehr als in der Vernehmung drin steht.“ [phon.]

Vorhalt: Nichts mehr gemacht in der Funktion, da hatte ich die Füße schon still gehalten, weil bei dem Posten den Ausstieg schon im Hinterkopf hatte. Stellvertretender Bundesvorsitzender der JN wurde ich 2000 einen Tag vor meinem Geburtstag. We. bestätigt das. Götzl: „Hat er dazu was gesagt, was er in dieser Funktion gemacht hat?“ We.: „Er hat gesagt, einmal an einer Vorstandssitzung teilgenommen, ansonsten nichts gemacht.“ Götzl: „Wie kam es zu dieser Funktion?“ We.: „Der Tino Brandt habe da wohl mit dem Bundesgeschäftsführer Alexander Delle ein Gespräch geführt und die hätten das so vereinbart und das sei auch so umgesetzt worden.“ Vorhalt: Dazu kam ich über Tino Brandt, der hat mit Alexander Delle gesprochen. Was ein Bundesgeschäftsführer macht oder nicht, davon hatte ich damals keine Ahnung, das wurde einfach festgelegt, wer den Posten bekommt und das wurde dann umgesetzt. Es ging darum, Leute zu positionieren, damit man als Landesverband jemanden hat, der den Kopf hinhält. Es haben sich eher Leute geprügelt, um den Posten nicht zu bekommen. Und der Sandro Tauber ist es dann geworden. We. bestätigt die Vorhalte. Götzl: „Zum Punkt Sachbeschädigungen: Da hatten Sie gesagt, er hätte angegeben, dass das meist aus der Situation heraus entstanden sei. Hier im Protokoll findet sich: ‚Ist immer aus der Situation heraus entstanden‘.“ We.: „Ja.

Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath: „Hat Herr Schultze in der Vernehmung irgendwas von einem Postfach berichtet?“ We.: „Ja, stimmt, die JN-Schulungsbriefe wären an ein Postfach gegangen, das er eingerichtet habe.“ RAin Schneiders: „Der Posten des Bundesgeschäftsführers der JN. Hier fällt die Begrifflichkeit: stellvertretender Bundesvorsitzender. Ist das erläutert worden?“ We.: „Wie ich mich erinnere, war das Thema gewesen, weil er mal gesagt hat Bundesvorstand, mal Bundesgeschäftsführer. Ich hatte den Eindruck: Er war mit dem Posten des Bundesgeschäftsführers im Bundesvorstand. Ich glaube, er war aber stellvertretender Bundesgeschäftsführer.“ [phon.] Schneiders: „Woher wissen Sie das?“ We.: „Ich habe das mal im Internet recherchiert.“ Schneiders: „Wo?“ We.: „Weiß ich nicht mehr. Wikipedia oder JN.“ Schneiders: „Sind mal der Vorsitzende Roßmüller oder der Alexander Delle dazu befragt worden?“ We.: „Kann ich nicht sagen.“ Auf Frage, ob es noch Fragen gebe, teilt die Verteidigung Schultze mit, dass sie eine Pause benötige. Um 10:53 Uhr geht es weiter. Schultze-Verteidiger RA Pausch: „Nur eine kurze Nachfrage: Hatten Sie die Anzahl der möglichen Beteiligten bei der Dönerbudenaktion genannt?“ We.: „Acht bis neun Leute.“ Der Zeuge wird entlassen. RAin Schneiders behält sich eine Erklärung vor.

Hoffmann verliest eine Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluss vom 11. Mai 2016, mit dem die am 12. April 2016 beantragte Vernehmung des Zeugen Ralf Marschner sowie mit diesem Zeugen in Zusammenhang stehende Beweis- und Beweisermittlungsanträge abgelehnt wurden: Die rechtliche Begründung der Ablehnung zeigt, dass diese um jeden Preis gewollt ist. Die Begründung ist so formuliert, dass es quasi beliebig ist, welcher der Maßstäbe des § 244 StPO zur Anwendung kommen soll. Die weit gehenden Ausführungen zu den jeweiligen Maßstäben können nicht darüber hinweg täuschen, dass die Ablehnung der Anträge nach jedem dieser Maßstäbe gelingen soll. Dafür hätte es gar nicht die Spitzfindigkeit der Unterstellung gebraucht, die Antragsteller wollten allein die bislang fehlende Glaubwürdigkeit Marschners unter Beweis stellen. Der Senat nimmt in dem Beschluss vielmehr nunmehr den grundsätzlichen Standpunkt ein: Was der V-Mann Marschner – oder andere V-Männer – über die Drei wussten, ob Marschner Mundlos und Zschäpe beschäftigt hat, ob Marschner durch das Anmieten von Fahrzeugen Beihilfe zu einigen der angeklagten Taten geleistet hat, ist unerheblich. Kurz zusammengefasst: Der V-Mann Ralf Marschner ist ein unbedeutender Zeuge und Beweise zu Leben und Aktivitäten von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt während ihrer Zeit in Zwickau sind irrelevant.

Der Senat versteigt sich sogar zu der Behauptung, etwaige Beihilfehandlungen von Marschner zu Morden seien hier nicht aufzuklären, wenn sie nicht konkret in der Anklage erwähnt sind. Dabei ist die Frage, welche Erkenntnisse staatliche Stellen aufgrund der Mitteilungen des V-Manns Marschner zu Aufenthalt und Handlungen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hatten, nicht nur ein – den Nebenklägern natürlich sehr wichtiger – Aspekt. Diesem Aspekt begegnet der Senat mit der folgender Überlegung: Eine Kausalität eines ggf. sogar tendierten staatlichen Nichteingreifens sei auch dann nicht nachzuweisen, wenn die Behörden eine Wohnung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt festgestellt hätten. Denn in diesem Fall hätte das Trio aus der so festgestellten Wohnung bei einem etwaigen Festnahmeversuch fliehen können. Diese Überlegung greift sehr kurz und ist mit dem Aufklärungsinteresse der Nebenklage, geschützt durch die bereits dargestellten menschenrechtliche Vorgaben, nicht vereinbar. Das Aufklärungsgebot, nach dem der Senat den Anträgen hätte nachgehen müssen, gebietet die Vernehmung des Zeugen Marschner bzw. die Umsetzung der weiteren Beweis- und Beweisermittlungsanträge zu seiner Person aber auch schon allein deswegen, weil zu den Lebensumständen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt während der Zeit in Zwickau nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme noch keine ausreichenden Feststellungen getroffen sind. Aus welchem Grund sollte es insbesondere für die Feststellungen zu der terroristischen Vereinigung „NSU“ nicht von Bedeutung sein, wenn Mundlos für eine Baufirma gearbeitet hat?

Eine solche Beschäftigung bedeutet nicht nur eine weitere Geldquelle. Die Finanzierung der Lebenshaltungskosten der Untergetauchten, aber auch der Kosten, die für die Vorbereitung und Ausführung der Taten angefallen sind, spielen in diesem Verfahren eine gewichtige Rolle. Eine Beschäftigung bedeutet, dass die Vereinigung auf ein Größeres als das bisher ermittelte Geldvolumen zurückgreifen konnte. Zugleich bedeutet eine Beschäftigung, dass die Mitglieder der Vereinigung sich in unglaublicher Sicherheit vor den Ermittlungsbehörden gewogen haben müssen, um das Risiko einer regelmäßigen Tätigkeit in der legalen Wirtschaft einzugehen. Eine Beschäftigung bedeutet schließlich ferner, dass es weitere Personen gibt, die Mundlos in der Zeit in Zwickau gekannt haben und die deshalb über seinen Charakter und politische Äußerungen ggf. Angaben machen können. Dasselbe gilt für eine Beschäftigung oder jedenfalls einen häufigen Aufenthalt der Angeklagten Zschäpe in Läden Marschners. Diese Personen und potentielle Zeugen wird der Zeuge Marschner benennen können, so dass sie geladen werden können.

Es wird außerdem beantragt, die Strafakte aus dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Zwickau, das gegen den Zeugen Marschner und die gesondert verfolgte Susann Eminger wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung vom 21. April 2001 in Zwickau geführt worden ist, beizuziehen und Akteneinsicht hierein zu gewähren. Die Akte ist relevant, um weitere potentielle Zeugen namhaft machen zu können und für die weitergehende Begründung der Gegenvorstellung zu dem abgelehnten Antrag auf Ladung des Zeugen Ralf Marschner. Nach einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ vom 17. Mai 2016 gehörten u.a. Ralf Marschner und Susann Eminger zu einer Gruppe von Neonazis, die am 21. April 2001 gezielt eine Schlägerei in einer Zwickauer Kneipe anzettelt haben sollen. Susann Eminger soll die Wirtin der Kneipe geschlagen haben und später ihren damaligen Verlobten André Eminger als Alibizeugen für die Tatzeit angegeben haben. Aus der Akte wird sich ergeben, welch engen Kontakt der Zeuge Marschner mit Susann Eminger und auch André Eminger hatte. In seiner Vernehmung hat Marschner zwar angegeben, Susann Eminger zu kennen, aber nicht, dass sie sich so eng kennen, dass sie etwa ein gemeinsam geplantes Gewaltdelikt begangen hätten und dass sie regelmäßig ihre Freizeit miteinander verbrachten. Weiter wird sich aus der Akte ergeben, wer zu der Gruppe gehörte, die die Kneipe mit überfallen hat und mit welchen von diesen Personen Susann und André Eminger regelmäßig verkehrten. Diese übrigen Beteiligten an der Schlägerei sind potentielle Zeugen für politische Einstellung und Aktivitäten von André Emingers. Das enge Verhältnis von Marschner und den Eheleuten Eminger ist relevant, da es zeigt, dass das BfV deutlich mehr Informationen über den Angeklagten Eminger haben muss, als es bisher mitgeteilt hat.

Die Gegenvorstellung ist von mehreren NK-Vertreter_innen unterschrieben. Es folgt dann die Mittagspause bis 12:06 Uhr.

Dann verlesen nacheinander RAin Basay, RA Elberling und RA Kuhn eine Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 02.03.2016, mit dem die am 16.09.2015 beantragte Beziehung der acht Ordner umfassenden Akten, die den Zeugen Görlitz und Meyer-Plath zur Vorbereitung auf ihre Vernehmungen in den parlamentarischen UAen und in der Hauptverhandlung vorgelegen haben, sowie der Hilfsantrag, nur die sich in diesen Ordnern befindlichen Treffberichte von den Treffen des V-Mannes Szczepanski mit seinen V-Mann-Führern beizuziehen, abgelehnt wurden. Zusätzlich wird beantragt, das Protokoll der durch das BfV nach dem 04.11.2011 und vor dem 28.01.2013 durchgeführten „Anhörung“ von Szczepanski beizuziehen. Zur Begründung wird ausgeführt:

A) Die Ablehnung des Antrages auf Beiziehung der acht Ordner wurde seitens des Senats u.a. damit begründet, dass die Aufklärungspflicht nicht zu einer Beiziehung dränge, da es keine Hinweise darauf gäbe, dass nicht alle für die Schuld- und Straffrage relevanten Aktenteilen übermittelt worden seien und da es weiter keine Hinweise darauf gäbe, dass der Zeuge Görlitz nicht zutreffende oder unvollständige Angaben in der Hauptverhandlung gemacht habe. Diese Begründung ist für die Unterzeichner nicht nachvollziehbar. Nach allem bisher Bekannten enthalten die genannten Akten weitere für die Schuld- und Straffrage relevante Informationen. Hinzu kommt, dass insbesondere die letzte Vernehmung des Zeugen Görlitz gezeigt hat, dass seine Angaben unglaubhaft und ihm deshalb Vorhalte aus den Akten zu machen und seine Angaben anhand der Akten zu überprüfen sind.
I. Bestandteil der Gerichtsakte in Bezug auf den Zeugen Szczepanski sind bisher nur zwei polizeiliche Protokolle von Vernehmungen Szczepanskis, fünf Deckblattmeldungen zu Treffen zwischen Szczepanski und seinen V-Mann-Führern, den Zeugen Görlitz und Meyer-Plath, in denen er Informationen zu den gesuchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt weitergegeben hat, sowie die Handakte des Zeugen Görlitz, die nicht freiwillig von ihm vorgelegt wurde, sondern erst aufgrund des Gebrauchs dieser Handakte durch den Zeugen in der Hauptverhandlung zur Gerichtsakte gelangte. Aus diesen bisher vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich jedoch zum einen das Fehlen von Schriftstücken des VS Brandenburg mit konkreten, verfahrensrelevanten Informationen. Zum anderen sind die beantragten Akten in ihrer Gesamtheit verfahrensrelevant, weil sich aus einer Gesamtschau der darin enthaltenen Schriftstücke eine staatliche Mitverantwortung in der Form ergeben wird, dass die VS-Ämter gezielter und weiter gehend als bisher bekannt, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt und deren Unterstützerumfeld in Chemnitz mit dem Ziel überwacht haben, Informationen über Leben und Netzwerke von Neonazis im Untergrund zu erhalten und deshalb die Strafverfolgungsbehörden in einer Art und Weise gesteuert haben, die eine Festnahme der Drei verhindert hat.
Die unter 1. und 2. dargelegten Erkenntnisse sind für die Schuld- und Straffrage der Angeklagten sowie für den menschenrechtlich begründeten Aufklärungsanspruch der Nebenkläger relevant.
1. Folgende konkrete Informationen fehlen in der Gerichtsakte, müssen sich jedoch in den beantragten Akten des Verfassungsschutzes Brandenburg, insbesondere in den Treffberichten über die Treffen der V-Mann-Führer mit dem V-Mann Szczepanski, befinden. Im Einzelnen
a) Es fehlen in der Gerichtsakte Schriftstücke des VS Brandenburg aus der Zeit 3. Februar bis März 1998, aus denen sich ergibt, was aufgrund der an alle Nachrichtendienste am 3. Februar 1998 verschickten Anfrage des TLfV zu Erkenntnissen zu den drei Untergetauchten, veranlasst wurde. Weiter fehlen Dokumente dazu, auf welcher Erkenntnisgrundlage und aufgrund welcher internen Analysen der damalige Leiter des VS Brandenburg, Hans-Jürgen Förster, am 14. März 1998 gegenüber der Presse das untergetauchte Trio als ein Beispiel für eine Entwicklung der rechten Szene hin zum Terrorismus anführte. Diese Aktenbestandteile des brandenburgischen Innenministeriums sind relevant, da sich aus ihnen ergibt, dass – entgegen der Behauptungen der V-Mann-Führer in der Hauptverhandlung – ihnen und dem Amt von Anfang an die drei Untergetauchten „Bombenbastler“ aus Jena ein Begriff waren, dass der V-Mann Szczepanski gezielt auf diese angesetzt bzw. nach ihnen gefragt worden und die Bedeutsamkeit
diesbezüglicher Informationen bekannt war (vgl. dazu auch unten unter 2a).

b) In der Gerichtsakte fehlt der Treffbericht, aus dem sich die Meldung von Szczepanski ergibt, die Drei seien im „Raum Chemnitz“ untergetaucht. Wie in dem Verfahren bereits mehrfach angesprochen, hat der Zeuge und V-Mann-Führer des TLfV, Norbert Wießner, am 7. September 1998 von dem Zeugen Görlitz telefonisch die Information erhalten, dass die Drei sich laut dem brandenburgischen V-Mann – also laut Szczepanski – im „Raum Chemnitz“ aufhalten. Diese Information findet sich bisher aber so in keiner der vorgelegten Deckblattmeldungen; in diesen ist immer nur von dem Unterstützerumfeld aus Chemnitz bzw. Limbach-Oberfrohna die Rede, aber nicht davon, dass sie in Chemnitz unterkommen sind. Der Vermerk spricht dafür, dass entweder der Treffbericht über die Mitteilung Szczepanskis vom 19. August 1998 noch weitere Informationen enthält, die auf der Deckblattmeldung fehlen, nämlich die des Aufenthaltsortes, oder, dass es zwischen dem 19. August und dem 9. September 1998 noch eine weitere Meldung oder Meldungen von Szczepanski zu dem Trio gegeben hat, für die bisher kein Treffbericht oder Deckblattmeldung vorliegt. Hierfür spricht, dass das Telefonat am 7. September 1998, also vor der der zweiten Mitteilung von Szczepanski zum Trio, stattfand und es dort heißt: „[…] die Quelle [hat]keine neuen Erkenntnisse mitgeteilt. Sie hat nur mitgeteilt, dass die Sächsischen Skins sich im Raum Chemnitz aufhalten […]“. Die entsprechende verschriftlichte Mitteilung des Zeugen Szczepanski ist
verfahrensrelevant, da sie belegt, dass spätestens am 7. September 1998 die
Verfassungsschutzbehörden in Thüringen und Brandenburg wussten, dass die Drei
sich im „Raum Chemnitz“ aufhielten.

c) Es fehlt des Weiteren in der Gerichtsakte auch der Treffbericht, aus dem sich ergibt, dass Szczepanski mitgeteilt hat, dass die Drei in Südafrika bei Claus Nordbruch untertauchen wollen, dass Nordbruch sich im Zeitpunkt der Meldung in Deutschland aufhielt, und der gegebenenfalls noch weitere, bisher nicht bekannte Einzelheiten zu der geplanten Ausreise nach Südafrika beinhaltet. Auch fehlen die Aktenteile, aus denen sich ergibt, was aufgrund dieser Information veranlasst wurde. In einem Vermerk des Innenministeriums Brandenburg vom 17. September 1998 heißt es: „Sie [gemeint ist das Trio]beabsichtigen eine Ausreise nach Südafrika. Der dortige Unterkunftsgeber ist bekannt und war kürzlich in Deutschland“. Handschriftlich findet sich daneben der Vermerk „ist noch ca. 10 Tage in Deutschland. (17.09.1998)“ . Der Name des Unterkunftsgebers wird in dem Vermerk nicht genannt, muss aber aufgrund der Erkenntnisse zur Aufenthaltsdauer in Deutschland bekannt sein. In der sich in der Gerichtsakte befindlichen Deckblattmeldung vom 9. September 1998 heißt es lediglich, eine Ausreise der Drei nach Südafrika sei geplant, ein konkreter Unterkunftsgeber und dessen derzeitiger Aufenthalt in Deutschland werden nicht genannt.

Der in Südafrika lebende rechtsextreme Publizist Claus Nordbruch war am 12. September 1998 in Deutschland und hatte auch Kontakt zu Unterstützern der Drei wie z.B. zu André Kapke, der ihn erst im August 1998 zusammen mit Mario Brehme in Südafrika besucht hatte . Darauf, dass es einen direkten – mglw. von André Kapke hergestellten – Kontakt zwischen Nordbruch und den Drei im September 1998 gab, deuten ein Buch von ihm und zwei Visitenkarten hin, die in der 26 gefunden wurden. Im Übrigen hat Nordbruch selbst von einem Aufenthalt in Sachsen im Jahr 1998 berichtet. Wenn schon der Name von Nordbruch und dessen Aufenthalt in Deutschland auf den bisher vorliegenden Deckblattmeldungen fehlen, ist davon auszugehen, dass auch noch weitere, in den Treffberichten zu findende Einzelheiten zu der geplanten Ausreise nach Südafrika fehlen. Die Informationen zu dem Unterkunftsgeber Nordbruch sind u.a. zu der Bewertung der Angaben der Zeugen Kapke und Brehme notwendig, da dadurch deren Behauptung, sie hätten mit Nordbruch nicht über die Unterbringung der Drei gesprochen, erheblich in Zweifel gezogen wird.

d) Es fehlt in der Gerichtsakte auch der Treffbericht, aus dem sich ergibt, was das Innenministerium Brandenburg in dem Vermerk vom 17. September 1998 zu Werners Rolle bei der Waffenbeschaffung festgehalten hat. Es heißt dort: „Werner hat nicht gesagt, dass er bereits Waffen beschafft oder geordert hat, sondern er hat mehr den Eindruck vermittelt, das er jemanden suche, der Waffen beschaffen kann.“ In der korrespondierenden Deckblattmeldung heißt es hingegen nur: „Jan Werner soll zur Zeit den Auftrag haben, ‚die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen'“. Der Sinn beider Aussagen ist zwar der gleiche, jedoch fehlt in der Deckblattmeldung die offensichtlich von dem V-Mann Szczepanski stammende und mit Unsicherheiten belegte Einschätzung „Eindruck
vermittelt“. In der Deckblattmeldung wird diese vielmehr als feststehend dargestellt.
Daraus ergibt sich, dass der der Deckblattmeldung zugrunde liegende, sich nicht in der Gerichtsakte befindliche Treffbericht auch bezüglich der Frage der Waffenbeschaffung ausführlicher gehalten ist. Die Fragen, wie und woher die Vereinigung ihre Waffen erhalten hat, sind zweifellos verfahrensrelevant.

e) Es fehlen in der Gerichtsakte auch die Unterlagen, aus denen sich ergibt, dass Szczepanski die Informationen zu den Waffen und den Überfällen in einem Vier- Augengespräch erworben hat und dieses für einen möglichen Test seiner Person hielt. Diese Umstände ergeben sich jedoch aus einem handschriftlichen Vermerk über ein Telefongespräch vom 21. September zwischen dem Abteilungsleiter Tüshaus und einem unbekannten Beamten des VS Brandenburg. Sie sind relevant, da dieser Vermerk so gelesen werden kann, als ob Szczepanski mit der Beschaffung von Waffen beauftragt worden ist und dies ein Test sein soll („Weiterleitung der Meldung sei unmittelbar gefährlich für Quelle, da Vier-Augengespräch. Es handelt sich möglw. um Test, da andere Beschaffungsform leichter“).

f) Es fehlen in der Gerichtsakte darüber hinaus Schriftstücke zu einem oder zwei Treffen der drei Landesverfassungsschutzbehörden Brandenburg, Sachsen und Thüringen am 15. oder 17. September 1998. Aus der Akte bekannt ist bisher nur ein Vermerk des sächsischen LfV zu einem Treffen am 17. September 1998 sowie eine Erwähnung eines Treffens an diesem Tag in der Chronologie, die der Zeuge Görlitz in seiner Handakte hatte, bekannt. In Zusammenhang mit diesem oder diesen Treffen ist der bereits erwähnte Vermerk des brandenburgischen VS vom 17. September entstanden, der – ohne Erwähnung des Datums des Treffens – Erkenntnisse zum Aufenthaltsort Trio zusammenfasst. Dass es vor dem 17. September bereits ein Treffen gab bzw. dass das fragliche Treffen nicht am 17., sondern am 15. September stattgefunden haben könnte, ist erst aufgrund der öffentlichen Sitzung der brandenburgischen Parlamentarischen Kontrollkommission vom 12. April 2016 bekannt geworden; die dort gezeigte Powerpoint-Präsentation mit den entsprechenden Angaben zu einem Treffen der drei Landesverfassungsschutzbehörden am 15. September ist dieser Gegenvorstellung beigefügt.

Ob es am 15. und am 17. September 1998 Treffen gab, oder ob das Treffen vom 15. September von dem sächsischen VS lediglich in dem Vermerk unzutreffend auf den 17. September 1998 datiert wurde, ist offen. Die entsprechenden brandenburgischen Vermerke oder Ausarbeitungen zu dem oder den Treffen drei Verfassungsschutzbehörden sind relevant, um aufzuklären, ob es sich um ein oder zwei Treffen gehandelt hat und welche Absprachen und Maßnahmen dort auf die Meldungen von Szczepanski hin getroffen worden sind. Aus den im Folgenden dargelegten Umständen wird sich ergeben, dass aus sachfremden Erwägungen die Informationen nicht zur Festnahme der Drei verwandt bzw. weitergegeben worden sind. Dem stehen auch nicht die Gründe in der Ablehnung des entsprechenden Antrags der Nebenklage Yozgat auf Aufklärung der Umstände eines Treffens vom 17. September 1998 durch den Senat entgegen, da in dem Beschluss noch von einem Treffen am 17. September 1998 ausgegangen wurde. Nunmehr ist jedoch unklar, ob es eines oder zwei Treffen gab und was der Inhalt der Treffen war.

2. Es fehlen, wie oben dargelegt, nachweislich nicht nur einzelne Dokumente mit verfahrensrelevanten Informationen, vielmehr drängt die Aufklärungspflicht auch, die Akten in ihrer Gesamtheit beizuziehen, da sich aus der Gesamtschau der in ihr enthaltenen Schriftstücke nachfolgendes ergeben wird:
– dass der Aufenthaltsort der untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nicht erst durch die Meldung von Szczepanski bekannt geworden ist, sondern dass dieser wie auch der Unterstützerkreis schon vorher bekannt war und Szczepanski gezielt nach Chemnitz und an die dortige B&H Sektion, insbesondere an Jan Werner, herangesteuert wurde, um Informationen zu den Dreien zu erlangen;
– dass es eine gemeinsame Entscheidung wenigstens der VS-Behörden von Thüringen und Brandenburg gab, die insbesondere bereits im TLfV vorliegenden konkreten Informationen über den Aufenthaltsort und die Unterstützer der Drei durch entsprechende Meldungen der V-Männer Degner und Szczepanski aktenkundig zu machen;
– dass dem Innenministerium Brandenburg und den V-Mann-Führern Görlitz und Meyer-Plath der Inhalt der am 25. August 1998 von Werner an Szczepanski versandten SMS mit dem Inhalt „Was ist mit dem Bums?“ schon vor dem 4. November 2011 bekannt war, dass mit dem V-Mann Szczepanski deren Inhalt erörtert worden war, dass Szczepanski angegeben hatte, von Werner mit der Beschaffung von Waffen für die Drei beauftragt worden zu sein, dass es in der Folge mindestens weitere Kommunikation zwischen Szczepanski und Werner in Bezug diese Frage gab und es aus dieser Kommunikation weitere, bisher nicht bekannte relevante Erkenntnisse gibt;
– dass es nach der Meldung von Szczepanski vom 9. September 1998, nach der die Drei durch Jan Werner und B&H mit Waffen versorgt werden sollen und einen Überfall begangen und einen weiteren begehen wollten, in der Zeit vom 14. bis zum 21. September 1998 zu umgehender und intensiver Kommunikation und auch Aktivitäten in den VS-Behörden Brandenburg, Thüringen und Sachsen und dem Bund gekommen ist, die belegen, für wie dringlich die Angelegenheit schon damals gehalten wurde;
– dass zu diesen Aktivitäten u.a. zwei Treffen der drei Landesbehörden vom 15. und 17. September 1998 gehören, wobei in dem Treffen vom 17. September 1998 entschieden wurde, Quellenschutzgründe gegenüber den Strafverfolgungsbehörden anzugeben, damit die bei den Nachrichtendiensten bekannten Informationen nicht durch die Polizei für eine Festnahme der Drei verwendet würden und dass somit deren Festnahme verhindert wurde;
– dass es auch nach dem letzten in der Handakte des Zeugen Görlitz dokumentierten Kontakt vom 21. September 1998 eine fortlaufende Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden von Thüringen, Sachsen, Brandenburg und dem Bund in Bezug auf das Trio gab, dass in dieser fortlaufenden Zusammenarbeit konkrete Operationen abgesprochen wurden mit dem Ziel, die drei Untergetauchten und ihre Unterstützer zu überwachen, um Information über die Organisation von Neonazis im Untergrund, die angewandte Art und Weise der Waffen- und Geldbeschaffung zu erhalten und dass durch diese Überwachung auch konkrete Informationen über die Gründung einer terroristischen Vereinigung durch mindestens die drei Untergetauchten bekannt wurden, dass eine Weitergabe des Wissens und Festnahme der Drei jedoch weiterhin nicht im Interesse der VS-Behörden lag und deshalb die notwendigen Schritte dazu unterblieben (dazu unter f).

Diese Schlussfolgerungen lassen sich im Einzelnen aus Folgendem ableiten:
a) Schon vor der Meldung von Szczepanski waren der Aufenthaltsort und das Unterstützerumfeld der drei Untergetauchten den VS-Behörden bekannt. Szczepanski wurde gezielt an diesen Kreis in Chemnitz herangesteuert, um Informationen über die drei Untergetauchten und deren Unterstützer zu erlangen. Die bekannten und bisher noch unbekannten Informationen, die auf Chemnitz als Unterbringungsort hinwiesen, hatten sich – unabhängig von den Chemnitzer Adressen auf der angeblich nicht ausgewerteten Adressliste von Mundlos – schon vor der ersten Meldung von Szczepanski vom 19. August 1998 so verdichtet, dass der Aufenthaltsort der Drei eindeutig zu bestimmen war. Deshalb spricht viel dafür, dass Szczepanski gezielt vom VS Brandenburg nach Chemnitz gesteuert und auf die dortige B&H-Szene und auch die drei Untergetauchten angesetzt worden war.
aa) Tino Brandt hatte dem TLfV bereits im Februar 1998 mitgeteilt, dass Rachhausen wahrscheinlich am 16.02.1998 nach Dresden gefahren war, um das verunglückte Fluchtauto der Drei abzuschleppen. Damit war bekannt, dass Sachsen zumindest ein mögliches Fluchtziel der Drei gewesen war.

bb) Spätestens im März/April 1998 sprachen alle Indizien für Chemnitz als Aufenthaltsort der Untergetauchten. Aus einer TKÜ des TLKA bei dem Zeugen Jürgen Helbig war bekannt geworden, dass dieser in Bezug auf die Drei am 17. März und am 16., 20. und 22. April 1998 aus Chemnitz angerufen worden war. Von Ralf Wohlleben sind zwei Anrufe, einer am 13. April 1998 und einer erneut am 31. August 1998, bei Thomas Starke registriert. Einer der Anrufer bei Jürgen Helbig aus Chemnitz war aufgrund seiner Stimme von einem noch unbekannten sächsischen V-Mann als Jan Werner identifiziert worden; wann die Identifizierung stattfand, ist nicht bekannt. Unmittelbar nach den festgestellten Anrufen aus Chemnitz fand vom 23. bis 24. April 1998 eine Observation von Jan Werner und Michael und durch das sächsische LfV statt.
cc) Laut der Quellenmeldung eines noch unbekannten sächsischen V-Mannes hat Antje Probst bei einem B&H-Treffen in Sachsen am 14. Juni 1998 angeregt, die politische Arbeit im Untergrund weiter und in Form von Anschlägen durchzuführen.

dd) Ab dem 4. August 1998, also bereits vor den Meldungen von Degner und Szczepanski, hörte das TKLA die heute bekannten Unterstützer des Trios aus Chemnitz Thomas Starke, Jan Werner und Hendrik Lasch ab. Woher der ursprüngliche Hinweis auf die sächsische B&H-Sektion als Unterstützerkreis des Trios kommt, ist bisher nicht bekannt und ergibt sich nicht aus den Akten. Die erste Erwähnung dieses Kreises ist eine Abfrage des TLfV bei der Personenzentraldatei, der Verbunddatei der VS-Ämter, am 31. Juli 1998 zu Hendrik Lasch, Jan Werner und Thomas Starke, für die kein Anlass aktenkundig ist. Aus diesen Umständen ergibt sich zwangsläufig, dass es spätestens ab Juli 1998 neben den genannten Informationen weitere, bisher noch nicht bekannte Erkenntnisse gegeben haben muss, die auf Starke, Werner und Lasch als Unterstützer hinweisen.
ee) Durch die TKÜ der Zielfahndung waren also nicht nur die Chemnitzer Unterstützer bereits ab Frühjahr 1998 bekannt, sondern es gab ausreichend Anhaltspunkte für das Aufspüren bzw. eine Festnahme der Drei, wie z.B. in Zusammenhang mit dem durch die TKÜ bekannt gewordenen Umzug der Drei von der Wohnung von Max-Florian [Bu.] in die Altchemnitzer Straße am 30. August 1998.

ff) Diese Informationen des TLKA aus den TKÜs, zu dem Aufenthaltsort – also Chemnitz, und den zutreffenden Unterstützern – also Starke, Werner, Lasch – standen auch dem TLfV zu Verfügung, während nicht alle Informationen des TLfV auch dem TLKA übermittelt wurden. Dies ergibt sich aus dem damaligen Schriftverkehr und aus den Zeugenaussagen von Beamten des TLKA, wie EKHK Dressler in der Hauptverhandlung vom 04.09.2014. Der Zeuge KHK Wunderlich von der Zielfahndung des TLKA legte bereits damals in einem Vermerk vom 14. Februar 2001 und erneut nach dem 4. November 2011 dar, dass die Zielfahndung einseitig vom TLfV abgeschöpft worden sei und dass das TLfV nie wirklich an einer Festnahme der Drei interessiert gewesen war.

gg) Der V-Mann Szczepanski war 1998 in der JVA Brandenburg inhaftiert, war Freigänger und machte ab April 1998 ein „Praktikum“ im Szeneladen „“ von Antje und in Chemnitz. Szczepanskis V-Mann-Führer Görlitz und Meyer-Plath behaupteten in der Hauptverhandlung, das Praktikum habe Szczepanski selber organisiert und er sei nicht gezielt nach Chemnitz und auf die dortige B&H Sektion gesteuert worden. Diese Angabe ist völlig unglaubhaft, da nicht ersichtlich ist, warum Szczepanski, der aufgrund der Vielzahl seiner Szenekontakte und seinem hohen Szeneansehen in Brandenburg oder Berlin sofort ein Praktikum bekommen hätte, in das weit entfernte Chemnitz auswich. Das konnte weder sein eigenes noch im Interesse des VS Brandenburg sein, da Szczepanski laut den Angaben seiner V-Mann-Führer in der Hauptverhandlung die brandenburgische Szene aufklären sollte und die Fahrten nach Chemnitz für alle Seiten einen erheblichen Zeitverlust darstellten. Wie dargelegt, war jedoch schon im April 1998 bekannt, dass zumindest Jan Werner, ein enger Vertrauter der Eheleute Probst, die drei Untergetauchten in Chemnitz unterstützte, so dass dies den Grund für den gezielten Einsatz von Szczepanski in Chemnitz darstellt.

hh) Wie bereits unter 1.c) dargelegt, war dem Innenministerium Brandenburg nicht nur durch die allgemeine Mitteilung des TLfV vom 3. Februar 1998 das Untertauchen der Drei bekannt, sondern amtsintern spätestens Anfang März 1998 der Charakter der Aktivitäten und die Gefährlichkeit der Drei zutreffend analysiert worden, wie das genannte Interview mit dem damaligen Leiter Förster belegt. Schließlich muss dem Innenministerium auch durch Analysen des BfV und des sächsischen LfV, die sich mit ihrer eigenen Einschätzung deckten, die Gefährlichkeit der drei Untergetauchten bekannt gewesen sein. Dem wöchentlichen Rundschreiben „BfV aktuell 7/1998″ von 9. Februar 1998 ist zum Fall „Rohrbomben in Jena“ zu entnehmen, dass das BfV davon ausging, dass die Drei systematisch Gewalt geplant bzw. vorbereitet hätten. In dem Dossier des sächsischen LfV „Extremismus in Ostdeutschland“ werden die Taten der Drei als „rechtsterroristischer Ansatz“ bewertet. Nach der Einstufung der Handlungen der Drei als rechtsterroristisch gab es beim brandenburgischen VS und dessen Auswertungsabteilung also das Wissen und das Interesse, weitere Informationen – u.a. durch den V-Mann Szczepanski – zu den Drei zu erlangen.

ii) Die oben genannten Gründe belegen, dass Szczepanski den weit von der JVA Brandenburg entfernten „Praktikumsort“ auf Betreiben des VS angenommen hat, damit er u.a. über die Eheleute Probst und den engen Vertrauten von Antje Probst, Jan Werner, Informationen zu den Drei erhalten sollte. In den Gerichtsakten fehlen diese Dokumente zu der gezielten Steuerung von Szczepanski in Richtung des untergetauchten Trios. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Unterlagen, also die schriftliche Anweisungen der Abteilung „Auswertung“ an die Abteilung „Beschaffung“ im VS Brandenburg in den beantragten Akten befinden. Diese Dokumente sind auch für sich genommen verfahrensrelevant, da sie zeigen werden, dass Szczepanski nicht beiläufig Informationen zu den Drei erlangt hat, sondern gezielt auf sie angesetzt war und dies bisher nicht offen gelegt worden ist.

b) Anfang September 1998 entschieden mindestens der thüringische und der brandenburgische VS, das bisher bei den beiden Diensten aufgelaufene – und bis heute nicht bekannte – Wissen zu den drei Untergetauchten aktenkundig zu machen. Am 2. September 1998 hatte das TLfV vom VS Brandenburg die erste Deckblattmeldung zu der Mitteilung von Szczepanski, Antje Probst hätte gemeldet, drei „sächsische Skinheads“ seien auf der Flucht und wollten nach Südafrika ausreisen, erhalten. Wie dargelegt, telefonierte daraufhin der Zeuge Wießner vom TLfV am 7. September 1998 mit dem Zeugen Görlitz, der Wießner zusätzlich mitteilte, dass ihr V-Mann – also Szczepanski – gemeldet habe, die Drei seien im Raum Chemnitz. Aufgrund dieser Mitteilung entfaltete der V-Mann-Führer Wießner – der zu der damaligen Zeit alle fünf V-Leute bzw. Gewährspersonen im TLfV führte, die etwas zu dem Trio gemeldet hatten – eine erhebliche Betriebsamkeit. Noch am selben Tag fand im TLfV eine Unterredung zwischen Wießner und seinen Vorgesetzten Schrader und Nocken statt, bei der beschlossen wurde, den V-Mann – VM 2100 – über eine Sonderprämie von 3.000 DM für Informationen zu dem Trio zu informieren. Eine Prämie, die die Staatsanwaltschaft schon Ende Mai 1998 ausgelobt hatte. Nicht beteiligt an diesem Treffen wurde der eigentliche V-Mann-Führer von Degner, Jürgen Zweigert. Am folgenden Tag, den 8. September 1998, traf nicht Zweigert, sondern der nur vertretungsweise zuständige Zeuge Wießner den V-Mann Degner und dieser sprudelte nur so vor Informationen zu dem Trio und dessen möglichen Unterstützern.

Diese Informationen hatte der V-Mann offensichtlich nicht gezielt eingeholt, sondern verfügte schon längere Zeit über sie – ob oder ggf. warum er diese nicht früher mitgeteilt hat, ist nicht aktenkundig. U.a. gab Degner laut der vorliegenden Deckblattmeldung vom 9. September 1998 an, Zschäpe sei mit dem B&H-Mitglied Thomas Starke liiert gewesen, André Kapke wiederum habe ein enges Verhältnis zu Starke und als Unterstützer des Trios kämen die B&H-Mitglieder Jan Werner und Antje Probst in Chemnitz in Frage. Einen Tag später, am 9. September 1998, folgte die entscheidende Meldung von Szczepanski, die die Informationen von Degner bestätigte und ihnen weitere hinzufügte: nämlich dass mit Geldern der B&H-Sektion Sachsen durch Jan Werner Waffen für das Trio gekauft werden sollten, diese einen Überfall begangen hatten, einen weiteren Überfall planten und mit dem Geld nach Südafrika auswandern wollten. Degner und Szczepanski meldeten also in einer insbesondere beim TLfV auffälligen Abfolge von Ereignissen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen denselben Unterstützerkreis. Dieser Umstand deutet daraufhin, dass die beiden Ämter sich abgesprochen und entschieden hatten, dass die Information bzgl. der Unterstützung der Drei durch B&H Chemnitz aktenkundig werden sollte oder das das TLfV dem Innenministerium Brandenburg mit der offiziellen Niederschrift der bisher nicht verschriftlichten eigenen Informationen zuvorkommen wollte. Die möglichen Absprachen zwischen den Ämtern fehlen in der Gerichtsakte. Die Feststellung dieser Absprache ist im Hinblick auf die staatliche Mitverantwortung bezüglich der angeklagten Taten verfahrensrelevant.

c) Die Version des Zeugen Görlitz zu der SMS von Werner an Szczepanski mit dem Inhalt: „Was ist mit dem Bums?“ ist – entgegen der Ausführungen in dem Beschluss des Senats vom 10. Mai 2016 – nicht glaubhaft, vielmehr ist davon auszugehen, dass dem Amt und Szczepanski diese SMS schon damals bekannt war und es zu einem weiteren Kontakt zwischen Werner und Szczepanski in Bezug auf den Inhalt der SMS gekommen ist und es aus dieser Kommunikation weitere, bisher nicht bekannte, relevante Erkenntnisse gibt. Die bisher letzte Version des Zeugen Görlitz, wie sie sich aus dessen schriftlicher Ausarbeitung und den letzten Angaben in der Hauptverhandlung vom 2. März 2016 ergibt, ist folgende: Er habe am 25. August 1998 gegen 15.00 Uhr zusammen mit dem V-Mann zwei neue Handys jeweils mit einer neuen SIM-Karte gekauft. Das für Szczepanski bestimmte Gerät habe er nach dem Kauf gegen 16.00 Uhr – der letzte Anruf fand laut Akte um 16.25 Uhr statt – ausgetauscht und habe dieses, ohne dass es zu einer Übertragung der Daten gekommen wäre, „eingezogen“.

Obwohl das Treffen mit Szczepanski bis 20.00 Uhr gedauert habe, hätten weder er noch Szczepanski von der SMS Kenntnis gehabt, da das Handy unmittelbar nach seiner Übergabe an ihn ausgeschaltet worden wäre. Später sei das Handy von weiteren Mitarbeitern des Amtes, ohne inhaltlich ausgewertet worden zu sein, zerstört worden, was er aber erst nach dem 4. November 2011 erfahren hätte. Entgegen dieser Version sprechen alle Umstände dafür, dass das Handy und die SIM-Karte nicht sofort eingezogen wurden und Szczepanski bzgl. des Inhaltes der SMS auf Anweisung des Amtes weiter Kontakt mit Werner hatte. Dies ergibt sich aus folgenden, zu den bereits in dem abgelehnten Antrag der Nebenklage Yozgat genannten, zusätzlichen
Gründen:

aa) Schon die Angabe des Grundes für den Austausch des Handys durch den
Zeugen Görlitz in der Hauptverhandlung und in der Handakte des Zeugen ist nicht zutreffend. Nach diesen Angaben soll das Telefon in einer TKÜ-Maßnahme des TLKA gegen Werner aufgefallen und deshalb aus dem Verkehr gezogen worden sein. Aus den Gerichtsakten ist diese Behauptung nicht belegbar. Vielmehr ergibt sich aus den Gerichtsakten, dass erst im November 1998 durch die Übersendung eines Verbindungsnachweises vom 29. Oktober 1998 für die von Werner genutzte Nummer bekannt wurde, dass die von Szczepanski genutzte Nummer auf das Innenministerium Brandenburg zugelassen war.

bb) Auch nicht nachvollziehbar ist die Behauptung des Zeugen Görlitz, er habe das Handy gegen 16.00 Uhr eingezogen und von der SMS nichts mitbekommen. Auf welcher Grundlage der Zeuge, der sich ansonsten an nichts, auch an nichts schriftlich fixiertes erinnert, ausgerechnet diese beiden Umstände präsent haben will, ist nicht ersichtlich und auch von ihm nicht dargelegt worden. Dies ist umso weniger glaubhaft, als diese Umstände nicht in dem Treffbericht festgehalten sind und er somit auch sein Gedächtnis nicht auffrischen konnte.
cc) Weiterhin ist die Angabe des Zeugen, das Handy sei von ihm eingezogen worden, ohne dass Daten übertragen worden seien, nicht glaubhaft. Welchen Zweck es haben soll, dass ein V-Mann von heute auf morgen nicht mehr erreichbar ist, dass er keine einzige der sorgfältig gesammelten und im Telefon gespeicherten Telefonnummern hat, ist nicht ersichtlich. Allgemein übliche Praxis ist es, bei einem Wechsel von Telefon und der Telefonnummer die Kontakte auf das neue Gerät bzw. die neue SIM-Karte zu übertragen und allen Kontaktpersonen die neue Erreichbarkeit mitzuteilen. Nach dem von dem V-Mann-Führer behaupteten Ablauf hätte er aber, ohne dass es dafür einen nachvollziehbaren Anlass gab, seinen V-Mann in die Lage versetzt, alle Kontaktdaten neu ermitteln zu müssen und ihn damit für Wochen von der Szenekommunikation abgeschnitten.

dd) Dafür, dass das Handy und die SIM-Karte mit der alten Nummer noch nach der SMS vom dem 25. August 1998, 19.25 Uhr, von Szczepanski genutzt worden sind, spricht ferner: Unmittelbar auf die SMS von Werner hin wird Werner mehrfach kurz hintereinander mit einer unterdrückten Nummer – möglicherweise von Szczepanski – angerufen. Am 26.08.1998 um 12.25 Uhr wurde eine Werbe-SMS zwischen Werners und Szczepanskis alter Nummer verschickt, auch wenn den S-Records nicht zu entnehmen ist, wer Absender und Empfänger waren.

ee) Ein weiteres Indiz schließlich ist, dass derzeit nur aufgrund lückenhafter Akten die Behauptung des VS Brandenburg von der Nichtkenntnis der SMS und der unausgewerteten Vernichtung des Handys nicht widerlegbar ist. Diese Lücken und das Krisentreffen zwischen dem GBA, dem BfV, BKA und VS Brandenburg am 29. Januar 2013 sprechen vielmehr dafür, dass es zu weiterem Kontakt zwischen Szczepanski und Werner im Zusammenhang mit der SMS gekommen ist, dies jedoch nicht bekannt werden soll. Es fehlen nämlich die Protokolle der S-Records aus der TKÜ bei Jan Werner aus der Zeit vom 26. August 1998, 15:31:34 Uhr, bis zum 27. August 1998, 06:58:44 Uhr. Kurz bevor die Seite der S-Records fehlt, gab es jedoch den oben genannten Werbe-SMS-Austausch zwischen den Handys von Werner und Szczepanski. Ob die sich in der Akte des brandenburgischen VS befindliche Abrechnung für das Handy von Szczepanski vom 8. September 1998 über den 25. August 1998 hinausgeht, lässt sich der Zusammenfassung des Innenministeriums nicht entnehmen. Dort heißt es lediglich, dass der letzte auf der vorliegenden Abrechnung verzeichnete Anruf von dem Handy am 25. August 1998 um 16.25 Uhr erfolgt sei – ob jedoch die nachfolgenden Blätter der Abrechnung fehlen oder die Abrechnung dort regulär endet, kann mangels Beiziehung nicht überprüft werden und ergibt sich auch nicht aus der Zusammenfassung.
Schließlich ergibt sich auch nicht aus der Zusammenfassung, ob die Abrechnung für die neue Telefonnummer vorliegt, und ob sich aus dieser ein weiterer Kontakt mit Werner in Bezug auf die fraglichen SMS ergibt.

ff) Somit zeigt sich, dass nicht nur wesentliche Aktenbestandteile in Bezug auf die SMS fehlen – wie in dem Antrag auf Beiziehung des Treffberichts dargelegt -, sondern dass bereits die uns bekannten Akten und die Beweisaufnahme dafür sprechen, dass wesentliche Angaben des Zeugen Görlitz in Bezug auf die SMS nicht zutreffend sind und das Handy und die SIM-Karte nicht am 25. August 1998 eingezogen worden sind. Es ist damit davon auszugehen, dass die Version von der Einziehung gegen 16.00 Uhr und späteren Vernichtung der SIM-Karte so nicht stimmen, und dass somit der Zweck der Geschichte, nämlich begründen zu können, warum der VS Brandenburg von der SMS keine Kenntnis gehabt haben will, nicht erfüllt werden kann. Daraus folgt, dass die SMS Szczepanski und dem V- Mann-Führer bekannt war und dass versucht wurde, über das Ansinnen von Werner an Szczepanski, bei der Waffenbeschaffung für das Trio behilflich zu sein, weitere Informationen zu erlangen und dass Szczepanski und Werner in der Folge noch diesbezüglichen Kontakt hatten. Die Frage, was der VS und Szczepanski als Reaktion auf die SMS von Werner unternommen haben, ist verfahrensrelevant. Dem steht auch nicht der Beschluss des Senats vom 10. Mai 2016 entgegen, mit dem u.a. der Antrag der Nebenklage Yozgat auf Beiziehung des Treffberichts vom 25. August 1998 abgelehnt worden ist.

Denn dieser stützt sich maßgeblich darauf, dass die Angaben von Görlitz, er habe das Handy eingezogen, glaubhaft seien. Wie oben dargelegt, ist diese Annahme jedoch nicht zutreffend. Zu der Verfahrensrelevanz der Frage, was mit dem Handy/der SIM-Karte geschehen sei, schweigt der Beschluss. Die Dokumente mit Bezug zu der SMS sind zum einen deshalb verfahrensrelevant, um die Angaben des Zeugen Görlitz zu überprüfen und diese auf ihren Wahrheitsgehalt hin bewerten zu können. Zum anderen sind die Dokumente relevant, da die fragliche SMS von Jan Werner an Carsten Szczepanski so verstanden werden muss, dass Werner Szczepanski nach dem Verbleib von Waffen fragt und zwar zu derselben Zeit, als Szczepanski seinem V-Mann-Führer meldete, dass Werner auf der Suche nach Waffen für das Trio sei. Insofern sind weitere Informationen zu dem Hintergrund der SMS, deren Bedeutung und die Kenntnis des VS von der SMS und mögliche Äußerungen von Szczepanski zu ihr aufgrund der Bedeutung der staatlichen Mitverantwortung für die angeklagten Taten von Bedeutung.

d) Aus den genannten Aktenteilen wird sich weiter ergeben, dass es nach der Meldung von Szczepanski in der Zeit vom 14. bis zum 21. September 1998 zu schnellen und intensiven Aktivitäten der Verfassungsschutzbehörden gekommen ist.
aa) Wie dargelegt hatten die V-Männer Degner und Szczepanski am 8. bzw. 9. September 1998 ganz ähnliche Informationen zu den Unterstützern der Drei mitgeteilt. Die Information von Szczepanski, die in einer Deckblattmeldung vom 11. September 1998 festgehalten ist, wurde nach Auskunft des Innenministeriums Brandenburgs in der öffentlichen PKK [Parlamentarische Kontrollkommission] am 11. September an das BfV und die Landesverfassungsämter versandt, laut dem Telefaxbericht in der Thüringer Drillingsakte ging er dort erst am Mittag des 14. September 1998 ein.

bb) Wie bereits oben dargelegt, fand aufgrund der Meldung von Szczepanski vom 9. September 1998 ein erstes bzw. erste Treffen der VS-Ämter Brandenburg, Thüringen und Sachsen bereits am 15. bzw. 17. September 1998 statt, was für eine enorme Dringlichkeit seitens der Ämter spricht. Teilgenommen an dem bzw. den Treffen der Nachrichtendienste am 15. bzw. 17. September 1998 haben aus Brandenburg der verstorbene Referatsleiter sowie der Zeuge Görlitz, aus Thüringen die Zeugen Nocken und Schrader und aus Sachsen der damalige Referatsleiter Diemaier, der auch zugleich der Vermerksverfasser war, sowie ein Beschaffer – wahrscheinlich ein Herr König – und eine Auswerterin. Das BfV war angeblich durch eine kurzfristige Änderung des Tagungsortes faktisch von diesem Treffen ausgeladen worden. Aus Brandenburg ist bisher kein eigenes Protokoll, weder für das Treffen am 15. noch das am 17. September 1998, bekannt, dafür aber der bereits erwähnte, ebenfalls auf den 17. September 1998 datierte Vermerk, der anscheinend die Inhalte des Treffens in einer Analyse zu den Drei und ihren Unterstützern zusammenfasst. Diese Analyse zeigt, wie viel die Ämter damals schon wussten und die Nennung von André Kapke als weiterer Unterstützer neben Lasch, Starke, Werner zeigt, dass auch die Informationen von Degner in die Analysen eingeflossen sind, da nämlich Kapke ausdrücklich als möglicher Unterstützer genannt wird, während Szczepanski – nach den vorliegenden Akten – ihn nicht erwähnte.
cc) In diesem Zusammenhang gab es am 16. September 1998 eine Besprechung zwischen dem Präsidenten LKA Thüringen, Luthardt, und Beamten des TLfV zu dem Thema des Umgangs mit den Informationen von Szczepanski.

dd) Dokumentiert ist schließlich noch das bereits erwähnte Telefonat am 21. September 1998 zwischen dem Abteilungsleiter Tüshaus vom sächsischen LfV, und einer im hiesigen Verfahren aufgrund von Schwärzungen in der Akte unbekannten Person des brandenburgischen Innenministeriums. Aus dem hierzu gefertigten Vermerk ergibt sich, dass der VS Brandenburg an dem Quellenschutz für Szczepanski festhält und dass Thüringen bei den künftigen Maßnahmen die Federführung hat.
ee) Parallel zu diesen Aktivitäten der VS-Behörden fanden weitere Maßnahmen gegen den Unterstützerkreis statt: Die TKÜ-Maßnahmen des TLKA bei Werner dauerten beispielsweise bis zum 24. September 1998. Jan Werner, Thomas Starke und Antje Probst wurden vom 11. bis zum 12. September 1998 („Harmonium“) durch das sächsische LfV observiert. Am 16. September 1998 begann eine Observation von Antje Probst durch das TLfV, die am 17. September 1998 von dem sächsischen LfV übernommen und auf Jan Werner ausgeweitet wurde („Kuhglocke“). Vom 25. bis zum 28.09.1998 („Glockenspiel”) und erneut am 15./16.10.1998 („Pappmaschee“) wurde Jan Werner vom sächsischen LfV z.T. mit Unterstützung des BfV observiert. Außerdem war in dieser Zeit neben der TKÜ der Zielfahndung des TLKA eine G10- Maßnahme des BfV bei Werner geschaltet.

ff) Die Schnelligkeit und Intensität also, mit der die Verfassungsschutzbehörden auf die Meldungen von Szczepanski reagierten, und die Überwachungsdichte der von Degner und Szczepanski genannten Unterstützer Starke, Werner und Probst zeigen, wie ernst die Ämter schon damals diese Informationen genommen haben, und gleichzeitig, wie sehr die drei Landesbehörden und das BfV an den drei Untergetauchten interessiert waren. Entsprechende Schriftstücke zu dieser Bewertung und einer Begründung, warum in solch einer Eile reagiert worden ist, müssen sich in den beantragten Akten befinden. Die Frage, wann genau welche Treffen und welche Kommunikation mit welchem Inhalt im Anschluss auf die Meldung von Szczepanski stattfanden, ist aufgrund der widersprüchlichen Informationen ebenfalls nur auf Grundlage der beantragten Akten zu klären. Diese Frage ist aufgrund der Klärungsbedürftigkeit der staatlichen Mitverantwortung für die angeklagten Taten relevant, um zu analysieren, welche weiteren Maßnahmen von den Ämtern unternommen wurden und welche Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden verhindert wurden.

e) Der laut dem Vermerk des sächsischen LfV vom 17. September 1998 bei dem oder
den Treffen der drei Verfassungsschutzbehörden vereinbarte Quellenschutz für Szczepanski, die eine Weitergabe von Informationen an die Strafverfolgungsbehörden in einer für diese verwertbaren Form ausschließt, ist eine vorgeschobene Begründung, um eine Festnahme der Drei zu verhindern. Bei dem oder den Treffen am 15. oder 17. September 1998 wurde folgende Vereinbarung getroffen, die durch das Gespräch am 21. September 1998 bestätigt wurde: Aus vorgeblichen Quellenschutzgründen sollte die Information von Szczepanski zu der durch B&H-Gelder finanzierten Bewaffnung der Drei durch Werner und zu dem erfolgten und geplanten Raubüberfall, nicht in verwertbarer Form an die Strafverfolgungsbehörden gegeben werden. Deshalb kam es zu keiner Festnahme der Drei, obwohl sie durch eine entsprechend intensive Observation – vor dem Raubüberfall auf den Edeka-Markt am 18. Dezember 1998 – möglich gewesen wäre. Dass der Quellenschutz nicht der tatsächliche Grund war, warum die Informationen von der Polizei nicht verwandt werden sollten, zeigt sich daran, dass der Quellenschutz von Szczepanski in weit weniger gewichtigen Fällen kein Hindernis war, von ihm erlangte Informationen an die Polizei weiterzuleiten, so z.B. Informationen zu einer Lieferung illegaler CDs, die aufgrund eines Hinweises von Szczepanski am 16. Oktober 1998 beschlagnahmt wurden.

Schließlich hat auch das Innenministerium Brandenburg in einer Presserklärung aus dem Jahr 2013 zu Szczepanski geschrieben: „Das Fazit: Carsten S. hat der Verfassungsschutzbehörde zahlreiche wertvolle Informationen geliefert, von denen viele auch den Strafverfolgungsbehörden zugute kamen.“ Bis auf den Vermerk des sächsischen LfV vom 17. September 1998 finden sich in der Gerichtsakte keine weiteren Vermerke, insbesondere keine des Innenministeriums Brandenburg dazu, dass und warum dem Quellenschutz von Szczepanski angeblich ein so hoher Stellenwert eingeräumt worden ist. Um die entsprechende Behauptung in dem Vermerk und der Zeugen Görlitz und Meyer-Plath zu überprüfen, sind die entsprechenden internen Vermerke, die sich in der beantragten Akte befinden müssen, notwendig. Sie sind auch verfahrensrelevant, da sie bestätigen werden, dass der Quellenschutz nur vorgeschoben war, damit die Ämter ihre eigenen Maßnahmen bzgl. der Überwachung der Drei und ihres Umfeldes durchführen können. Dies wiederum ist für die Klärung der staatlichen Mitverantwortung an den Taten relevant.

f) Es fehlen bisher Informationen, welche Maßnahmen und Kommunikationen zwischen den drei Landesbehörden und dem BfV nach dem 21. September 1998 hinsichtlich der Meldungen von Szczepanski erfolgt sind.
aa) Aus der Drilling-Akte des TLfV ergibt sich nur, dass die drei an dem oder den Treffen am 15. oder 17. September 1998 beteiligten Landesverfassungsschutzbehörden und das BfV weiter miteinander in Bezug auf die Suche nach dem Trio kommunizierten. Von dieser Kommunikation sind nur zwei Blätter in der Drillingsakte erhalten, diese verweisen aber auf weiteren Austausch und Abstimmung der vier Behörden untereinander.
bb) Dafür, dass bei dieser Kommunikation wesentliche Informationen geflossen sind, sprechen auch die Übersendung von „G10-Unterlagen aus AO [Anordnung] 774“, die aus einer G10-Maßnahme des BfV gegen Werner stammen, mit dem Betreff „Fall ‚Drilling'“ vom 10. November 1998. Der Übersendung ging ein Telefongespräch zwischen dem BfV (Hr. Mehdorn) und dem TLfV (Hr. Schrader) voraus. Nach dem Akteninhalt ging es „nur“ um ein mögliches CD-Lager von Werner, da das BfV jedoch die Unterlagen mit dem Betreff „Drilling“ übersandt hat, muss es auch einen – nicht bekannten – Bezug zu den drei Untergetauchten gegeben haben, der wahrscheinlich mündlich kommuniziert wurde oder sich in anderen, nicht bekannten Aktenteilen befindet. Hierfür spricht auch, dass nach dem 4. November 2011 im BfV die Anlageordner zu insgesamt 26 G-10-Anträgen mit Bezug „rechts“ vernichtet wurden. Unter anderem wurden die Anlageordner zu den vom BfV bezeichneten Anordnungen 774 – also der G10 gegen Werner – am 5. Dezember 2011 vernichtet.

cc) Es ist nicht vorstellbar, dass die extrem schnelle und intensive Reaktion in unmittelbarem Anschluss an die Meldung von Szczepanski – so fand ein Treffen der drei Behörden nur einen Tag nach Eingang der brandenburgischen Deckblattmeldung statt – nach nur wenigen Tagen beendet worden sein soll. Wenn die Dienste aufgrund der Nachricht von Szczepanski oder weiterer Informationen einen Grund hatten, alarmiert zu sein und schnell zu handeln, dann ist dieser Grund nicht nach dem 21. September 1998 entfallen. Auch ist nicht vorstellbar, dass es bei dem intensiven anfänglichen Kontakt zu keinen konkreten Absprachen und gemeinsamen oder individuellen Operationen der beteiligten Behörden gekommen sein soll. Hiergegen spricht schon der Vermerk des Innenministeriums Brandenburg vom 17. September 1998, der offensichtlich von dem TLfV handschriftlich korrigiert worden ist. Dieser Vermerk nimmt eine Analyse des Erkenntnisstandes vor und schlägt ganz konkrete Maßnahmen, wie die Observation der Eheleute Probst vor. Dass es u.a. auf der Grundlage dieses Vermerks noch zu weiteren Aktivitäten gekommen ist, zeigen die wenigen, oben genannten rudimentären Reste einer Kommunikation der vier VS-Behörden.

Auch ist das gezielte Heraushalten der Strafverfolgungsbehörden mit dem vorgeschobenen Quellenschutzargument nur erklärlich, wenn die nachrichtendienstlichen Maßnahmen nicht sang- und klanglos eingeschlafen sind, sondern in einer Weise fortgeführt wurden, die nicht mit anderen Behörden geteilt werden sollte bzw. von diesen nicht durch eine Festnahme der Zielobjekte gestört werden sollte. Somit spricht alles dafür und wird sich aus den beantragten Akten ergeben, dass das Ziel der vier beteiligten VS-Behörden nicht die Festnahme der Drei war, sondern es ihnen darum ging, die drei Untergetauchten und ihre Unterstützer zu überwachen, um Informationen über die Organisation von Neonazis im Untergrund und die angewandte Art und Weise der Waffen- und Geldbeschaffung zu erhalten und dass durch diese Überwachung auch konkrete Informationen über die Gründung einer terroristischen Vereinigung durch mindestens die drei Untergetauchten bekannt wurden, dass eine Weitergabe des Wissens und Festnahme der Drei jedoch weiterhin nicht im Interesse der VS-Behörden lag und deshalb die notwendigen Schritte dazu unterblieben.

3. Die Beobachtung der „untergetauchten“ Angeklagten Zschäpe und der verstorbenen Uwe Böhnhardt und Mundlos sowie von deren Unterstützern durch Geheimdienste ist nicht nur für die Schuld- und Straffrage relevant, sondern insbesondere für das Aufklärungsinteresse der Nebenkläger. Zu der Frage der Relevanz für die Schuld- und Straffrage ist festzuhalten, dass auch
die Rechtsprechung, die vom Senat und dem GBA in diesem Zusammenhang zitiert wurde, davon ausgeht, dass eine Erleichterung der Straftatbegehung durch staatliche Stellen aus sachfremden Erwägungen zu berücksichtigen wäre. Aus dem Institut der Nebenklage und dem menschenrechtlichen Anspruch auf Schutz des Lebens folgt außerdem, dass in staatlichen Ermittlungen staatliche Mitverantwortlichkeit für Tötungsdelikte – auch unabhängig von der Frage der Strafmilderung – aufzuklären sind. Wie dargelegt, wussten die genannten VS-Behörden aufgrund der Meldung von Szczepanski vom 9. September 1998 und von Antje Probst vom Juli 1998 – wenn diese sich auch soweit bekannt nicht ausdrücklich auf die Drei bezog – von der Gefährlichkeit und der Planung von konkreten Straftaten bzw. mussten mit diesen rechnen. Dass die Ämter auf jeden Fall von einer erheblichen Gefährlichkeit ausgingen, wird durch das oben dargelegte sehr schnelle und intensive Handeln der Behörden nach der Meldung vom Szczepanski belegt. Schon aus der bisherigen Aktenlage und Beweisaufnahme ergibt sich, dass das „Nicht-Einschreiten“ bzw. das nicht ausreichende Weitergeben von Informationen vorwerfbar ist, weil die VS-Behörden das primäre Ziel hatten, das Leben der Drei im Untergrund und das Verhalten ihrer Unterstützer zu beobachten, um zu verstehen, wie Neonazis im Untergrund leben, und nicht die Festnahme der Drei und Straftaten zu verhindern. Diese Motivation der VS-Behörden ist in diesem Sinne eine sachfremde Erwägung, die die Strafverfolgung verzögert hat.

II. Die Ablehnung des Beiziehungsantrags wurde auch damit begründet, dass es entgegen der Antragsbegründung keine Anhaltspunkte dafür gäbe, dass der Zeuge Görlitz bei seinen Vernehmungen vor dem Senat insoweit die Unwahrheit gesagt habe, als er absichtlich nicht alles, was er gewusst habe, auch gesagt habe.

1. Entgegen dieser Einschätzung des Senats in dem Beschluss vom 2. März 2016 hat die sich an die Verkündung des Beschlusses anschließende Vernehmung des Zeugen Görlitz vom 2. März 2016 gezeigt, dass der Zeuge Erinnerungslücken und allgemeine Verwirrtheit nur vortäuscht, um seiner Zeugenpflicht nicht in vollem Umfang nachkommen zu müssen.
a) Der Zeuge widerlegte in seiner letzten Vernehmung die Annahme, er sei glaubwürdig und seine Angaben glaubhaft. Auf dieser – jedenfalls danach klar unzutreffenden – Annahme gründet aber der Beschluss. Die Vernehmung des Zeugen glitt ins Groteske ab, wenn er sich lieber als extrem langsam und verwirrt darstellte, als auf konkrete Fragen zu antworten. Ihm war förmlich die Angst anzumerken, auf eine nicht gut überlegte Antwort könnten für ihn nicht kalkulierbare Nachfragen folgen. Dieses Aussageverhalten konnte bei der letzten Vernehmung auch nicht mehr auf das lange Zurückliegen der Ereignisse, nach denen der Zeuge gefragt wurde, geschoben werden. Denn es ging in dieser Vernehmung fast ausschließlich um Ereignisse, die nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 stattgefunden haben oder sogar erst wenige Wochen und nicht 17 Jahre zurücklagen.

b) Plastisch wurde dieses Verhalten gleich zu Beginn der Vernehmung, als der Zeuge scheinbar mehrere Minuten benötigte, um eine Frage der Verteidigung zu verstehen. Der Zeuge hatte auf Fragen des Vorsitzenden angegeben, „erst hinterher“, gemeint war ein Zeitpunkt nach der Einziehung des Mobiltelefons von Szczepanski am 25. August 1998, von der Nichtauswertung des Telefons erfahren zu haben. An diese Antwort des Zeugen anknüpfend fragte die Verteidigung, was er mit „hinterher“ gemeint habe, „wann er erfahren habe, dass das Telefon nicht ausgewertet worden sei“. Nach einigem Hin und Her und Hilfe durch den Zeugenbeistand endete der Dialog mit dem Verteidiger wie folgt:
„Görlitz: Ich überlege gerade: hinterher, welcher Zeitpunkt mit hinterher gemeint ist.
Verteidiger: Sie haben gesagt hinterher, ich habe Sie gefragt, was hinterher bedeutet. Sie eiern hier rum.
Görlitz: Ich eiere nicht, ich überlege. Hinterher bedeutet, nach, nach, hinterher bedeutet nach nach, ich kann das jetzt nicht präzisieren. Hinterher, hinterher, nach nach nach dem Vorfall, nach Abgabe, nach…
Verteidiger: Wollen Sie mich veräppeln? Sie haben gesagt, hinterher haben Sie das erfahren, wann haben Sie das erfahren?
Görlitz: Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden. Ich habe, ja wann war das, hier vor vor vor äh vor meiner Ladung habe ich davon erfahren, also letztes Jahr, 2015.“

c) Eine völlig lebensfremde Erinnerungslücke hinsichtlich eines erst sehr kurz zurückliegenden Umstandes behauptete der Zeuge auf die Frage, wann er die behördlichen Dokumente, die Teil seiner am 29. Juli 2015 in die Hauptverhandlung mitgebrachten Handakte waren, erhalten hat. Der Zeuge hatte angegeben, diese Unterlagen seien ihm kommentarlos in sein Fach gelegt worden, es habe dazu auch kein Anschreiben gegeben und keine mündliche Erläuterung, was er mit diesen Unterlagen tun solle. Obwohl diese Handakte mit den fraglichen Dokumenten bereits am 1. Juli 2015 von dem Zeugen an den Senat übergeben worden war, behauptete der Zeuge in der Verhandlung am 2. März 2016, nicht einmal mehr ganz ungefähr zu wissen, wann er die darin enthaltenen Dokumente erhalten hat, und nicht sagen zu können, ob es mehr als einen Monat – vom 2. März 2016 aus gerechnet – her sei, dass er die Dokumente erhalten habe. Diese angebliche vollständige „Erinnerungslosigkeit“ lässt nur darauf schließen, dass der Zeuge Sorge hatte, jede Zeitangabe könnte problematische Fragen nach sich ziehen, und er diese Erinnerungslosigkeit vorgetäuscht hat.

d) Hinsichtlich der fraglichen SMS von Werner vom 25. August 1998 präsentierte der Zeuge völlige Ahnungs- und Erinnerungslosigkeit. Auf Nachfrage gab der Zeuge mehrfach an, erst im Jahr 2015 „im Vorbeigehen“ von seiner Chefin, Frau Dr. Wagner, über diese SMS informiert worden zu sein und auf gar keinen Fall früher. Nach einem Vorhalt, er sei schon im Jahr 2013 im Bundestags-UA zu dieser SMS befragt worden, bestätigte er dies, behauptete aber, daran nur gerade nicht gedacht zu haben, als er versichert habe, erst 2015 davon erfahren zu haben. Dieses Nichterinnern/Nichtwissen des Zeugen ist umso weniger glaubwürdig, als diese SMS, seitdem sie im Mai 2012 das erste Mal im Schäfer-Gutachten erwähnt worden war, in den Medien, in den Untersuchungsausschüssen und dann auch im Ermittlungsverfahren gegen Zschäpe u.a. häufig Thema war. Spätestens nach der Erwähnung der SMS in dem Schäfer-Gutachten hatte sich für das Innenministerium Brandenburg die Frage der möglichen Einbindung des V- Manns Szczepanski in eine Waffenbeschaffung für das Trio oder andere Neonazis gestellt, der behördenintern nachgegangen worden sein muss.

Die widersprüchlichen Angaben des Zeugen Görlitz zu diesem Thema lassen nur den Schluss zu, dass er in der Hauptverhandlung nicht die Wahrheit gesagt hat: So widerspricht die ohnehin unglaubwürdige Angabe des Zeugen zu dem nur einmaligen Ansprechen auf die SMS im Amt seiner weiteren Angabe, von seiner Behördenleitung nicht systematisch von allen Informationen in Bezug auf Szczepanski abgeschnitten und aus Informationsflüssen des Amtes herausgehalten worden zu sein. Die Klärung der Bedeutung der SMS war und ist für das Innenministerium Brandenburg und weitere Behörden von erheblicher Relevanz, wie das Treffen am 28. Januar 2013 zwischen Vertretern des GBA, des BfV, des BKA und des Innenministeriums Brandenburg zu dem Thema der SMS und Szczepanski zeigt. Dass der Zeuge trotz dieser Relevanz des Themas als derjenige, der den V-Mann damals geführt hat und die Handys ausgetauscht haben will, auf diese SMS nicht weiter angesprochen worden sein will, ist deshalb realitätsfern und damit ein weiterer Beleg für die unzutreffenden Angaben des Zeugen.

e) Genauso wenig glaubhaft ist die Angabe des Zeugen, er könne sich nicht erinnern, an dem Treffen vom 17. September 1998 teilgenommen zu haben, obwohl auf dem Protokoll sein Name als Teilnehmer steht. Bei der Einvernahme am 1. Juli 2015 hatte der Zeuge sogar noch so getan, als wisse er überhaupt nicht, von welchem Treffen die Rede sei, als er danach gefragt wurde. Zwar liegt dieses Treffen tatsächlich schon eine erhebliche Zeit zurück, jedoch war es – wie unter A.I.1.f und A.I.2.d-f dargestellt – ein ungewöhnliches Treffen, bei dem es um den wichtigsten V-Mann des Amtes ging, den der Zeuge führte, und um den Umgang mit brisanten, von dem V-Mann gelieferten Informationen.

2. Dieses Aussageverhalten des Zeugen ist auch nicht auf gesundheitliche Beeinträchtigung zurückzuführen. Der Zeuge ist soweit bekannt nicht als dienstunfähig eingestuft und hat in seiner vorausgegangen Vernehmung am 1. Juli 2015 angegeben, an keiner seine Erinnerungsfähigkeit beeinträchtigenden Erkrankung zu leiden.

3. Auch ist die Beiziehung der Akte notwendig, um weiter zu belegen, dass das Aussageverhalten des Zeugen Görlitz durch das Innenministerium gesteuert wurde. Aus der Handakte des Zeugen und aus seinen Angaben in der Hauptverhandlung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass er sich „etwa“ drei Mal mit seinem von seinem Arbeitgeber bezahlten Zeugenbeistand in Vorbereitung auf seine Vernehmung jeweils für ca. 4 bis 5 Stunden, also insgesamt 12-15 Stunden getroffen hat. In der Handakte des Zeugen befanden sich umfangreiche Fragelisten und Chroniken, die nach Angaben des Zeugen sein Zeugenbeistand für ihn vorbereitet hatte. Der Zeuge betonte immer wieder, dass er sich das Material in seiner Handakte – die ausgearbeiteten Fragen und die ihm ins Fach gelegten Dokumente – nicht richtig angeschaut und sie aus Zeitgründen nur „überflogen“ hätte. Diese Behauptung ist völlig unglaubwürdig. Dem Zeugen war die Relevanz seiner Aussage in hiesiger Hauptverhandlung bekannt und das Amt hat diese Relevanz ebenfalls gesehen, weshalb es ihm nach seiner ersten Vernehmung einen Zeugenbeistand zur Seite gestellt und erhebliche Gebühren dafür gezahlt hat, dass dieser für den Zeugen Fragenkataloge erarbeitet und sie mit ihm durchgeht. Ein bloßes Überfliegen des Materials des Zeugenbeistands und der in sein Fach gelegten Dokumente ist somit nicht denkbar, es sei denn der Zeuge wollte sich und dem Amt bewusst schaden. Für diese Absicht gibt es keine Hinweise.

4. Die Zusammenschau dieser Umstände und des Aussageverhaltens des Zeugen lassen nur den Schluss zu, dass der Zeuge trotz aller Vorbereitung Sorge hatte, kritische Informationen preiszugeben und deshalb die Entscheidung getroffen wurde, er solle sich lieber komplett erinnerungslos und verwirrt darstellen, als konkrete Angaben zu machen. Die Beiziehung der Unterlagen ist deshalb von Bedeutung, weil anhand der Unterlagen dem Zeugen weitere Vorhalte gemacht werden können, die es ihm schwieriger oder sogar unmöglich machen würden, derartig große Erinnerungslücken zu behaupten.

B)

Der Beweisantrag zielt auf die Beiziehung des Protokolls einer erst durch die Handakte des Zeugen Görlitz bekannt gewordenen Anhörung von Carsten Szczepanski wahrscheinlich im Jahr 2012 durch das BfV. Diese Anhörung wird in dem Treffen beim GBA am 29. Januar 2013 erwähnt und das BfV sagt zu, das Protokoll den anwesenden Behörden zukommen zu lassen. Die Beiziehung dieses Protokolls war bereits durch Antrag außerhalb der Hauptverhandlung beantragt und durch Verfügung des Vorsitzenden abgelehnt worden. Diese Verfügung des Vorsitzenden ist jedoch rechtsfehlerhaft, weshalb der Antrag in der Hauptverhandlung erneut gestellt wird. Die Ablehnung des Antrages wurde in der Verfügung darauf gestützt, dass es keine Hinweise auf einen für die Schuld- und Straffrage relevanten oder einen zusätzlichen Aufklärungsgewinn bringenden Inhalt des Protokolls gäbe. Dies sei auch deshalb unwahrscheinlich, weil es umfangreiche Zulieferungen von den mit den Strafverfolgungsbehörden in diesem Verfahren kooperierenden
VS-Ämtern gegeben habe und sowohl Szczepanski als auch seine V-Mann-Führer lange in hiesiger Hauptverhandlung vernommen worden seien.

Unter A) ist dargelegt worden, dass die in diesem Verfahren vorliegenden Akten aus dem Komplex Szczepanski unvollständig sind und nicht alle Informationen enthalten, die Szczepanski zum Trio mitgeteilt hat. Somit ist es zumindest möglich, dass Szczepanski in der Anhörung weitergehende Erkenntnisse zu dem Trio und dessen Unterstützern, wie z. B. André Eminger, mitgeteilt hat. Für die Relevanz des Inhalts des Protokolls spricht auch, dass laut dem Vermerk die Anhörung erster Tagesordnungspunkt des Treffens war: „Gegenstand des Gespräches waren 1. die Anhörung (BfV) und Vernehmung (BKA) des im o.g. Verfahren als Zeugen benannten Carsten Szczepanski und die gegenseitige Abstimmung und Unterrichtung.“ Diese Formulierung weist auf eine klare Absprache zwischen den Nachrichtendiensten und den Strafverfolgungsbehörden und damit auch einer Steuerung des Ermittlungsverfahrens durch diese hin. Schon die Frage des Umfangs dieser Verfahrenssteuerung ist relevant und aufzuklären. Weiterhin zeigt sich der verfahrensrelevante Inhalt der Anhörung durch das BfV dadurch, dass diese – nach dem im Vermerk festgehaltenen Gesprächsgegenstand – in unmittelbarem Zusammenhang mit der polizeilichen Vernehmung des Zeugen Szczepanski stand.

Danach verliest NK-Vertreteter RA Elberling eine weitere Gegenvorstellung:

In der Strafsache ./. Zschäpe u.a. 6 St 3/12 wird Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluss vom 30. September 2015 erhoben, mit dem die am 6. November 2014 beantragte Verlesung der so genannten S-Records zu den Verbindungen Nr. 154, 167, 172, 177, 185-187; 189-192, 539-542, 578, 722, 725, 729, 876 – 888 zum Beweis der Tatsache, dass durch die Überwachung des Telefonanschlusses von Thomas Starke (Nummer 0172/3735657) bekannt wurde, dass Thomas Starke, und Max-Florian [Bu.] im August 1998 konspirativ formulierte SMS bzgl. der Suche nach einer Wohnung und der Organisation eines Umzuges austauschten, abgelehnt wurde.

Begründung: Die Ablehnung des Antrages auf Verlesung der SMS, die in den genannten S-Records wiedergegeben sind, wurde damit begründet, dass sie für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung seien. Dies ist aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen unzutreffend. Für die Aufklärung der Rolle staatlicher Stellen bei der Ermöglichung der Taten des NSU ist es relevant, dass das TLKA aus den genannten Meldungen das Datum des Umzuges der drei Untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt von der Wohnung von Max-Florian [Bu.] in die neue Wohnung in der Altchemnitzer Straße 12 in Chemnitz kannte. Eine Observation der Umzugshelfer Thomas [Mü.], geborener Starke, und Max-Florian [Bu.] an dem Umzugstag hätte die Ermittler zu der neuen Wohnung der drei Untergetauchten in der Altchemnitzer Straße geführt. Die Kenntnis dieser Adresse hätte die Möglichkeit der Festnahme eröffnet.

I. Ab dem 4. August 1998 hörte das TKLA als Maßnahme der Zielfahndung nach der Angeklagten Zschäpe und den verstorbenen Mundlos und Böhnhardt die heute bekannten Unterstützer des Trios aus Chemnitz Thomas Starke, Jan Werner und Hendrik Lasch ab. Während die Gesprächsaufzeichnungen nicht mehr vorhanden sind, sind die so genannten S-Records dieser Gespräche noch vorhanden und in diesen befinden sich die SMS, deren Verlesung beantragt worden ist. Durch diese TKÜ der Zielfahndung gab es ausreichend Anhaltspunkte für das Aufspüren bzw. ein Festnehmen der Drei: In den abgehörten Gesprächen und SMS im August 1998 wurde über das konspirative Anmieten einer neuen Wohnung für unbekannte Personen und die Organisation eines Umzugs für den 30. August 1998 gesprochen. Es ging um Wohnungsübernahme sowie benötigte Möbel, wobei auffällig ist, dass es um die gesamte Grundausstattung einer Wohnung ging (Nr. 186 [Bu.] an Starke: „Alles was mann für W. braucht. Z.B. Töpfe, Besteck, Kühlsch., Campingherd, meine Waschm, muss erst mal herhalten. Meine Matratzen gehen mit.“). Nach dem Inhalt der Anfrage war also klar, dass es nicht um eine Möblierung für Burkhardt selbst gehen konnte, der bereits eine Wohnung und – wie sich aus der Nachricht ergibt – auch eine Grundausstattung hatte. In der Kommunikation sollte der Ort der Wohnung explizit nicht genannt werden (Nr. 190 Starke an [Bu.]: „Wo bekommst Du eine Wohnung?“ Nr. 191 [Bu.] an Starke: „Nicht am Telefon“).

Schon damals musste aufgrund dieses konspirativen Verhaltens der Gesprächsteilnehmer klar sein, dass es sich hierbei um den Umzug der untergetauchten Personen handelt. Beide Punkte: sowohl die Suche nach einer vollständigen Ausstattung als auch die konspirative Vorgehensweise berücksichtigt der Senat in seiner ablehnenden Entscheidung nicht. Eine zutreffende Bewertung der Tatsachen führt zu der Feststellung, dass die Zielfahndung, die gezielt Starke abhörte, um Hinweise auf die Untergetauchten zu bekommen, aufgrund seines Kommunikationsverhaltens eine Observation für den Umzugstag 30. August 1998 hätte anordnen müssen, die zur neuen Adresse der Drei geführt hätte. Die Festnahme von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hätte dann nur nicht erfolgen können, wenn sie aus dem einzigen Fenster der Wohnung in der 2. Etage gesprungen wären.

II. Die Aufklärung dieser Möglichkeit ist nicht nur für die Frage einer Strafmilderung wegen staatlicher Erleichterung der Taten wegen Zurückstellung von Strafverfolgungsmaßnahmen aus sachfremden Erwägungen heraus von Bedeutung. Die Nebenklägerinnen und Nebenkläger haben aus menschenrechtlichen Vorgaben heraus auch ein Anspruch auf Aufklärung der staatlichen Mitverantwortung.

Dann verliest RAin Basay folgende Gegenvorstellung:

In der Strafsache ./. Zschäpe u.a. 6 St 3/12 wird Gegenvorstellung gegen die Beschlüsse vom 18. Februar 2016 erhoben, mit denen die am 3. August 2015 beantragte Beiziehung der am 11. November 2011 beim BfV vernichteten und später wieder rekonstruierten Akten sowie die Ladung und Vernehmung des für die Vernichtung verantwortlichen Zeugen mit dem Tarnnamen „Lothar Lingen“ abgelehnt wurden.

Vorbemerkung : Der abgelehnte Antrag steht – wie der angegriffene Beschluss zum Zeugen „Lingen“ richtig festhält – in Zusammenhang mit dem Interesse der Nebenkläger, dem Verdacht (bzw. aus Sicht der Nebenkläger sogar: den Indizien) nachzugehen, staatliche Stellen hätten durch ihr Handeln Straftaten, die den Angeklagten oder deren Umfeld zur Last gelegt werden, trotz entsprechender Möglichkeiten nicht verhindert. Die Nebenkläger nehmen an, dass es das Motiv für die Aktenvernichtung war, Hinweise auf die Angeklagten und die angeklagten Taten und damit zugleich auch den Nachweis für dieses Wissen beim BfV zu vernichten. Für sie ist die Tatsache der Vernichtung ein gewichtiges Indiz für die Relevanz des Inhalts der Akten. Eine staatliche Mitverantwortlichkeit ist nicht nur für die Nebenkläger relevant, sondern auch für die Straf- und Schuldfrage hinsichtlich der hier Angeklagten.

Auch die Rechtsprechung, die vom Senat und dem GBA in diesem Zusammenhang zitiert wurde, geht davon aus, dass eine Erleichterung der Straftatbegehung durch staatliche Stellen aus sachfremden Erwägungen zu berücksichtigen wäre. Dass diese Bewertung der Bedeutung der Vernichtung zutreffend ist, zeigt sich daran, dass es – wie auch in dem Antrag dargelegt – im NSU-Komplex eine Vielzahl ähnlicher Abläufe gibt, bei denen potentiell verfahrensrelevante Akten in einem irregulären Verfahren vernichtet worden sind. Ausführlich wurde dies nicht nur im Antrag vom 3. August 2015, sondern zum Beispiel auch zum konkreten Fall des V-Manns des BfV, Ralf Marschner , ausgeführt, dessen Akten ebenfalls außer der Reihe vernichtet wurden. Aus dem Institut der Nebenklage und dem menschenrechtlichen Anspruch auf Schutz des Lebens folgt, dass in staatlichen Ermittlungen staatliche Mitverantwortlichkeit für Tötungsdelikte – auch unabhängig von der Frage der Strafmilderung aufzuklären sind.

Begründung: Die ablehnenden Beschlüsse beruhen auf einer unsachgemäßen Aufspaltung des Vortrags im Antrag und kommen (wohl auch deshalb) zu falschen Ergebnissen. So würdigt es der Senat bei seiner – auch an sich schon fragwürdigen – Bewertung der Unterbringungsanfrage für die drei Untergetauchten bei dem V-Mann „Tarif“ nicht, dass gerade in Bezug auf die Akten dieses V-Manns von staatlichen Stellen ganz offenbar von taktischen Interessen geleitet unrichtige Angaben zu Existenz und Inhalt dieser Akten gemacht wurden. Überhaupt setzt sich der Senat in den Beschlüssen mit dem Vortrag zu unrichtigen oder unvollständigen Angaben des BfV und anderer Stellen zu den hier fraglichen Akten nicht auseinander und beachtet auch den Vortrag zu den zeitlichen Abläufen nicht. Es ist daher ebenso folgerichtig wie inhaltlich falsch, dass der Senat in dem Beschluss zur Ablehnung der Aktenbeiziehung in einer formalen rechtlichen Argumentation die Annahme einer Ermessensreduktion ablehnt, ohne zu berücksichtigen, dass staatliches Handeln die Ursache dafür war, dass die Inhalte der Akten nicht von Vornherein Gegenstand des Verfahrens geworden sind und die Antragsteller nichts näheres zum Inhalt der Akten darlegen können. Ein weiteres Beispiel für die juristische und sachliche Unzulässigkeit der künstlichen Trennung des zusammenhängenden Vortrags im Antrag ist die Behandlung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen, der unter dem Namen „Lingen“ auftritt, in einem gesonderten Beschluss.

I. Die Beschlüsse beschränken sich darauf, den Versuch der Wohnungsbeschaffung über den V-Mann mit dem Decknamen „Tarif“ als eine von vielen Wohnungsanfragen aus dem Umfeld des Trios für nicht relevant zu erklären. Es fehlt hier schon an einer Bewertung der Tatsache, dass eine Wohnungsbeschaffung durch einen V- Mann den staatlichen Behörden eine Möglichkeit der Festnahme von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe eröffnet hätte. Schließlich führte eine Vielzahl von bekannten Anfragen zu tatsächlichen Unterbringungen des Trios (insbesondere in Chemnitz). Die Anfrage des Zeugen André Kapke bei dem V-Mann „Tarif“ war nur eine von drei – bisher bekannten – Anfragen nach Unterbringungsmöglichkeiten für das Trio, die nicht in einer Unterbringung mündeten. Die anderen beiden gingen an und Thorsten Heise, wobei es dabei um Unterbringungsmöglichkeiten im Ausland ging, bei denen vermutlich andere Gründe dazu führten, dass es zu keiner Umsetzung kam. Ein weiteres Beispiel für eine nicht wahrgenommene Möglichkeit einer frühzeitigen Festnahme wird in der folgenden Gegenvorstellung zu dem Beschluss vom 30. September 2015 aufgeführt, mit dem die beantragte Verlesung von SMS bzgl. des Umzugs des Trios abgelehnt wurde.

II. Die angefochtenen Beschlüsse lassen jegliche Auseinandersetzung mit dem Vortrag zum Umgang mit den genannten Akten nach ihrer rechtswidrigen Vernichtung im November 2011 und mit der Darlegung, dass dieser Umgang die Verfahrensrelevanz indiziert, vermissen.

1. In dem Antrag war ausgeführt, dass es nach dem 11. November 2011 mindestens zwei Mal zu unrichtigen Angaben von staatlichen Stellen zu den vernichteten Akten gekommen ist. In dem Antrag war – zusammengefasst – Folgendes hierzu dargelegt worden:
– Ein nach damaligen Angaben frühzeitig rekonstruierter Teil der am 11. November 2011 vernichteten Akten konnte vom Sonderermittler Engelke und der StA Köln eingesehen werden. In diesem Zusammenhang wurde mitgeteilt, dass sich in den Akten gar keine Inhalte mit Verbindung zum NSU und dessen Umfeld befänden und keiner der V-Männer, die diese Akten beträfen, überhaupt eine wesentliche Rolle gespielt habe. Diese Angabe war nachweislich falsch, da erstens Michael Doleisch v. Dolsperg/ „Tarif“ ein hochrangiger und wichtiger V-Mann des BfV war und zweitens er und zwei weitere V-Männer, deren Akten ebenfalls am 11. November 1998 vernichtet worden waren, direkten Kontakt zum Trio oder dessen unmittelbaren Umfeld hatten. Dabei handelt es sich um die THS-Angehörigen Enrico Rosa und Kay Marquard.
– Im Oktober 2014 teilte die Bundesregierung mit, dass keine weitergehende Rekonstruktion der Akten betreffend den V-Mann Michael Doleisch v. Dolsperg/ „Tarif“ möglich sei. Ganze 11 Tage später ordnete der BfV-Präsident jedoch die weitere Rekonstruktion eben dieser Akten an. Das Ergebnis war, dass die Akten, auf die sich die Anträge beziehen, entgegen den früheren Behauptungen rekonstruiert werden konnten. Nicht nur das Schreddern der Unterlagen, sondern auch die – vom Beschluss gänzlich unbeachteten – späteren wahrheitswidrigen Angaben zu Inhalt und Rekonstruktionsmöglichkeiten durch staatliche Stellen sind für die Bewertung ihrer Verfahrensrelevanz von Bedeutung. Dass staatliche Behörden geheim halten wollen, was in diesen Akten steht, ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass der Inhalt für die Aufklärung im hiesigen Verfahren von Bedeutung ist.

2. Wichtiger noch als die in den Beschlüssen fehlende Befassung mit diesen Falschangaben zur Akte „Tarif“ ist, dass in dem Beschluss zur Beiziehung der Akten des BfV vollständig unberücksichtigt bleibt, dass die gesamten Akten, deren Beiziehung beantragt wurde, erst nach Eröffnung des Verfahrens rekonstruiert und nach der Rekonstruktion nicht zum Gegenstand der Ermittlungen im hiesigen Verfahren gemacht wurden (auch – soweit bekannt – nicht in einem der Parallelverfahren gegen Unbekannt bzw. gegen neun weitere Beschuldigte). Weder der Senat noch der GBA haben die rekonstruierten Akten beim BfV angefordert. Der Beschluss erwähnt lediglich einen Hinweis des GBA vom 16. September 2015 auf die vom BKA beim BfV eingeholte Auskunft über den Inhalt von Akten der „Operation Rennsteig“. Diese Anfragen bzw. Auskünfte erfolgten allerdings bereits am 28. Juni und am 13. Juli 2012. Was das BfV im Jahr 2012, also über zwei Jahre vor der weitergehenden Rekonstruktion ab Oktober 2014 angegeben hat, kann für die Bewertung der Relevanz dieser Akten nicht von Bedeutung sein. Nach Angaben in der im Antrag zitierten Antwort auf die Kleine Anfrage wurde ab Oktober 2014 ein erneuter Rekonstruktionsversuch durchgeführt, bei dem eine sehr viel weiter gehende Rekonstruktion möglich war. Es ist nicht bekannt und vom GBA auch nicht dargelegt, dass das BKA oder der GBA diese Akten in dem Stand nach der zweiten Rekonstruktion (ab Oktober 2014) vom BfV erhalten und ausgewertet hätten. Der Verweis in dem Beschluss auf angebliche Sichtung der Akten im Jahr 2012 mit dem Ergebnis, dass sie keinen verfahrensrelevanten Inhalt hätten, geht damit ins Leere.

III. Aber auch eine nunmehr nachgeschobene Behauptung des GBA, auch die nach Oktober 2014 rekonstruierten Aktenteile gesichtet und für nicht verfahrensrelevant befunden zu haben, würde die Pflicht zur Beiziehung der Akten im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht nicht entfallen lassen. Wie bereits in dem Antrag dargelegt, lässt das staatliche Fehlverhalten, also die Vernichtung der fraglichen Akten in einem irregulären Verfahren, das Ermessen in Bezug auf die Beiziehung entfallen und führt dazu, dass die Verfahrensrelevanz mit den im Antrag bereits dargelegten Hinweisen ausreichend belegt ist, da aufgrund der staatlichen Verantwortung für die Schwierigkeit der Darlegung die Anforderungen an die Darlegung verringert ist. Diese Ausführungen hat der Senat in den Beschlüssen sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht nicht ausreichend zur Kenntnis genommen.

1. Wie bereits oben ausgeführt, war in dem Antrag vom 3. August 2015 zu drei der acht V-Leute, deren Akten vernichtet worden waren, dargelegt, dass diese Kontakt zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt oder deren unmittelbaren Umfeld hatten. Insofern bestehen wenigstens Indizien für die Verfahrensrelevanz. Eine Auseinandersetzung mit diesen Indizien fehlt in den Beschlüssen; diese lesen sich so, als wären lediglich Akten vernichtet worden, deren Bezug zu den Angeklagten und den angeklagten Taten völlig unbekannt sei.

2. Über die Darlegungen dieser Indizien hinaus, entzieht sich der Inhalt der vernichteten Akten der Kenntnis der Antragsteller, da der Zeuge „Lingen“ die Akten im Jahr 2011 geschreddert und die in zwei Phasen vor und nach Oktober 2014 rekonstruierten Akten in keiner Version vom GBA vorgelegt oder vom Gericht beigezogen worden sind. Die Anforderungen an die Darlegung der Verfahrensrelevanz der beizuziehenden Akten durch die Nebenklage sind deshalb verringert. Die Ablehnung einer Aktenbeiziehung wegen mangelnden Vortrags zur Relevanz aufgrund von Unkenntnis wurde vom Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1983 damit gerechtfertigt, dass alternativ Einsicht bei der Staatsanwaltschaft hätte genommen werden können. Vor dem Hintergrund, dass die Nebenkläger beim GBA keine Einsicht in diese Akten bekommen können, weil dieser es unterlassen hat, sie in die Ermittlungen mit einzubeziehen und anzufordern, können die Antragsteller nicht auf diesen Weg verweisen werden. In der oben dargelegten Behinderung der Einbeziehung der vernichteten Akten in die Ermittlungen durch staatliche Stellen, also des GBA und des BKA, liegt eine Verletzung des Anspruchs auf eine effektive Aufklärung von Tötungsdelikten, die – wie in der Vorbemerkung dargelegt – von staatlicher Seite jedenfalls nicht verhindert wurden.

Nach der bereits im Antrag zitierten Entscheidung des EGMR ergibt sich aus dem Recht auf Leben eine Verpflichtung des Senats, zu prüfen, ob Sicherheitsbehörden Kenntnis von einem Mordfall hatten oder direkt oder mittelbar an diesem beteiligt waren. Diese müssen durch unabhängige Stellen – bei Vorliegen eines Verdachts gegen eine staatliche Stelle also auf jeden Fall unabhängig von dieser – durchgeführt werden. Es darf nach dieser Rechtsprechung nicht dem BfV oder einer dessen Aufsichtsbehörde angehöriger Person wie dem Sonderermittler Engelke beim BMI überlassen werden, den Inhalt der Akten zu prüfen.

IV. Die von den anderen Anträgen getrennte Behandlung des Beweisantrags bezüglich einer Vernehmung des Zeugen „Lingen“ in einem gesonderten Beschluss lässt besonders augenfällig werden, dass die Trennung verschiedener Gesichtspunkte künstlich ist und zu Unzulänglichkeiten bei der Würdigung führt. In dem angegriffenen Beschluss ist zwar eine Zusammenschau mit dem (nicht näher dargelegten) Umstand der Aktenvernichtung und mit den (kursorisch zusammen gefassten) Angaben der Antragsteller zum Inhalt der vernichteten Akten behauptet – der Senat kommt dann aber ohne weiteres zu dem Schluss, es gebe keine Anhaltspunkte, dass die Akten relevante Tatsachen enthalten haben und aus diesem Grunde vernichtet wurden.

Bei der Entscheidung über den Antrag auf Vernehmung der Person, die der Vernichtung am nächsten war, hätten aber – ebenso wie bei der Entscheidung über die Aktenbeiziehung – die Tatsache der Vernichtung in einem nicht ordnungsgemäßen Verfahren, die weiteren Unregelmäßigkeiten und der vermutete Inhalt der vernichteten Akten ausführlich gewürdigt werden müssen. Wenn festzustellen ist, dass es das Motiv des Zeugen „Lingen“ war, Hinweise auf die Angeklagten und die angeklagten Taten zu vernichten, ist dies ein gewichtiges Indiz für die Relevanz des Inhalts der Unterlagen. In diesem Sinne wird außerdem der ursprüngliche Antrag auf Vernehmung des Zeugen, der unter dem Namen „Lingen“ auftritt, insoweit in geänderter Form erneut gestellt, dass der Zeuge „Lingen“ auch dazu zu vernehmen ist, dass ihm bekannt war, dass eine oder mehrere VS-Behörden bereits vor dem 4. November 2011 Erkenntnisse zum Aufenthaltsort der Angeklagten Zschäpe sowie von Böhnhardt und Mundlos, zur Existenz des NSU bzw. den in der Anklage Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zugeschriebenen und den Angeklagten Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, André Eminger, Carsten Schultze vorgeworfenen Taten hatte.
Der Verhandlungstag endet um 13:37 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage“: „Gegenvorstellungen sind formlose Beschwerden gegen Beschlüsse des Gerichts, die eine Art strafprozessualen Protestcharakter haben. Mit den Gegenvorstellungen macht die Nebenklage deutlich, dass die umfassenden Ablehnungen von Beweisanträgen und der darin deutlich gewordene Kurs des Gerichts von den NebenklägerInnen als nicht akzeptable Aufkündigung des Aufklärungsversprechens empfunden wird. Die Nebenklage wirft dem Gericht unter anderem die Begründung in einem Beschluss vor, etwaige Beihilfehandlungen des damaligen V-Mannes Marschner zu Morden des NSU müssten in diesem Prozess nicht aufgeklärt werden, weil sie nicht konkret in der Anklage erwähnt sind. Scharfe Kritik erfuhr auch die Argumentation, eine Verantwortung des Staates für Verbrechen des NSU dadurch, dass wichtige Chancen, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe festzunehmen, nicht genutzt wurden, sei auch dann nicht nachzuweisen, wenn die Behörden eine Wohnung der drei Personen festgestellt hätten – denn die hätten ja immer noch eine Chance zur Flucht nutzen können. Die Nebenklage kritisiert die rechtliche Begründung der Beschlüsse, die zeigt, dass eine Ablehnung um jeden Preis gewollt ist.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/06/02/02-06-2016/

Pressemitteilung mehrerer NK-Vertreter_innen („Die Aufklärung staatlicher Mitverantwortung kann nicht ausgeklammert werden.“ http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/06/02/02-06-2016-presseerklaerung/

    » «