Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 11. Mai 2016
Für die wohl überraschendsten Neuigkeiten sorgte der Verfassungsschutz noch vor Beginn der öffentlichen Sitzung. Im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung informierte das Amt die Ausschussmitglieder über das Auffinden eines weiteren Handys von V-Mann Corelli. Dies führte offenbar zu jeder Menge Nachfragen und so begann die öffentliche Sitzung erst mit einiger Verspätung. Hier ging es zum einen um die Banküberfälle in Arnstadt und Eisenach im Jahr 2011 und zum anderen um das Auffinden des Wohnmobils am 4.11.2011.
von NSU-Watch
Zeugen:
- KHK Mario Wötzel (Polizeidirektion Gotha)
- Michael Menzel Leitender Kriminaldirektor beim ‚Thüringer Innenministerium für Inneres und Kommunales in Erfurt, (2011 Leiter der Polizeidirektion Gotha)
Banküberfälle in Arnstadt und Eisenach
Der erste Zeuge KHK Mario Wötzel war im Rahmen der SOKO Capron (die erste Sonderkommission, die nach Auffinden des Wohnmobils gegründet wurde) damit beschäftigt, Durchsuchungsbeschlüsse unter anderem für Holger Gerlach zu erwirken. Auf Holger Gerlachs Namen war das Wohnmobil angemeldet. Außerdem vernahm er Zeug_innen, die Urlaubsbekanntschaften des Trios waren und erhielt durch diese Fotos, die ab 2007 auf Fehmarn gemacht worden sind und in der Presse teilweise veröffentlicht wurden. Außerdem ermittelte er 2011 im Fall eines Banküberfalls in Arnstadt, der mutmaßlich dem NSU zuzurechnen ist.
Mario Wötzel erklärte zunächst in einer Einlassung Details des Bankraubes in Arnstadt am 7. September 2011. Zeug_innen sagten aus, dass die Täter sehr brutal vorgegangen sein sollen, einer Angestellten in der Bank wurde mit einem Telefon auf den Kopf geschlagen, wodurch sie eine Platzwunde erlitt. Der Filialleiter Herr Ackermann wurde mit vorgehaltener Waffe bedroht. Einer der Täter sei Linkshänder gewesen. Die Täter flüchteten mit Fahrrädern. Bei dem Banküberfall wurden 15.000 Euro erbeutet.
Von einem Kollegen erfuhr Wötzel von einer Raubserie in Chemnitz und Stralsund, auch dort sei das Vorgehen brutal und arbeitsteilig gewesen. Aufgrund von äußerlichen Gemeinsamkeiten und der ähnlichen Vorgehensweise lag eine Verbindung bald auf der Hand. So wurde bei dem Überfall in Arnstadt unter anderem ein silberner Revolver benutzt. Eine solche Waffe war auch beim Überfall in Stralsund benutzt worden. Ein sächsischer Kollege teilte ihm außerdem die Vermutung mit, dass die Täter_innen vermutlich einen Transporter benutzen könnten, um die Fluchtfahrräder nach kurzer Strecke zu verstauen und die Flucht fortzusetzen.
Am 4. November 2011, dem Tag des Banküberfalls in Eisenach, telefonierte KHK Wötzel, nach eigener Aussage zufällig, mit einem Kollegen in Eisenach, dabei ging es um die Funkzellenauswertung in Arnstadt. Während des Gesprächs erfuhr er vom Banküberfall an diesem Tag. Zuvor stand im Ausschuss die Frage im Raum wie er an diese Information gelangte, ohne selbst in Eisenach eingesetzt gewesen zu sein.
Mit Blick auf die Ermittlungsarbeit des PD-Leiters Menzel gab Wötzel an, seiner Meinung nach hätte der damalige Kriminaldirektor Menzel „Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt“ um die Ermittlungen voran zu bringen, da müsse er mal den Hut ziehen.
Eine Unmenge von Ermittlungsansätzen – Das Auffinden des Wohnmobils
Als zweiter Zeuge des Tages sagte dann Michael Menzel selbst aus. Dieser war im November 2011 Leiter der Polizeidirektion Gotha. In seiner Einlassung war ihm wichtig, Spekulationen und Verschwörungstheorien, die in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert werden, auszuräumen, deswegen ging er konkret auf die Auffindesituation des Wohnmobils ein.
Er habe nur den Eingangsbereich betreten und selbstverständlich Handschuhe getragen. Da er bei Erstsichtung viele Waffen sah, war ihm klar, dass bei dieser Spurenlage eine Unmenge von Ermittlungsansätzen herauskommen würden. Durch die Wetter- und Lichtbedingungen hätte Zeitdruck bestanden. Außerdem bestand seiner Schilderung nach die Gefahr einer Sprengfalle. Menzel wurde für die Entscheidung, das Wohnmobil aufladen und abtransportieren zu lassen, immer wieder heftig kritisiert. Menzel gab an, der Tatort sei durch massive Brandauswirkung und Löschwassereinsatz erheblich verändert worden, dies rechtfertige die Entscheidung, das Wohnmobil zu bewegen.
Er erwartete den Tathergang rekonstruieren und dadurch das Tatmotiv herausfinden zu können, welche Waffe für die Verletzungen und Tötung der Leichen benutzt wurden. Die Rechtsmedizin bekam von ihm den Auftrag, bei der Identifizierung der Toten zu helfen und bei einer Obduktion die erlittenen Verletzungen herauszufinden.
Nach dieser Einlassung begann der Ausschussvorsitzende Binninger (CDU) mit der Befragung des Zeugen. Menzel gab an, Nazigrößen wie Tino Brandt und der Thüringer Heimatschutz seien ihm, Menzel, ein Begriff gewesen, wenn er auch kaum direkt mit ihnen zu tun hatte. Auf die Frage, ob ihm die Namen oder Taten des Trios, die ja 1998 untergetaucht waren, schon in den Neunziger Jahren ein Begriff war, gab Menzel an, durch den polizeilichen Meldedienst gewusst zu haben, dass es einen Sprengstoffkoffer oder eine Attrappe gegeben hätte, aber mehr nicht. Zwischen 1998 und 2011 habe er die Namen der Drei nicht präsent gehabt und brauchte auch am 4. November 2011 die Hilfe seiner Mitarbeiter, um die Namen einordnen zu können.
Eine weitere, bisher ungeklärte Frage im Untersuchungsausschuss ist, warum Böhnhardt nicht aus der Sprengmittelmeldedatei des BKA gestrichen wurde. Es gibt beim BKA eine Sperrfrist von zehn Jahren in der Sprengmittelmeldedatei. Die Namen von Zschäpe und Mundlos wurden nach zehn Jahren, im Jahr 2008, gelöscht. Zu Böhnhardt aber gab es von der Polizeidirektion Gotha die Bitte, die Frist zu verlängern, der zuständige BKA-Mitarbeiter sagte dazu vor dem Untersuchungsausschuss, es müsse irgendwann in Gotha ein Ereignis gegeben haben, wo Böhnhardt aufgefallen sei. Laut Menzel gab es keinen Kriminalaktennachweis über Böhnhardt.
Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzämtern
Binninger (CDU) fragte Menzel, ob er den Zielfahnder Herrn Wunderlich vom LKA schon vor dem 4. November kannte. Binninger zitierte diesbezüglich einige Aktennotizen, Mitgeschriebenes von Polizeibeamt_innen während Besprechungen, am 5., 6. und 11. November in Gotha. Dort stehe unter anderem: „PD-Leiter will alles tun. Um Frau Zschäpe zu finden bevor sie vom LfV abgezogen wird.“ Und eine weitere Notiz laute: „Mindestens eine Person des Trios soll Mitarbeiter des Polizeilichen Staatsschutzes gewesen sein.“ Auf die Frage, ob sich Menzel an diese Sätze erinnern kann, antwortete er „im Wesentlichen ja“. Er habe Wunderlich zu den Ermittlungen und Besprechungen hinzugezogen, weil er dachte, dieser kenne Zschäpe persönlich. Wunderlich habe auch die These ausgesprochen, dass das Trio vom Landesamt für Verfassungsschutz abgedeckt oder geschützt worden sei. Das habe er auch in der Besprechung so geäußert, deswegen stehe das so in diesen Notizen. Allerdings könne er die letzte Aussage nicht zuordnen und sich auch nicht an solch eine erinnern.
Armin Schuster (CDU) zitierte Wunderlich, der beim BKA ausgesagt habe, ihm sei es vom damaligen Polizeiführer Menzel untersagt worden, Zschäpe zu befragen. Menzel bejaht diese Aussage und erklärt sein Vorgehen damit, dass Wunderlich kein Vernehmungsspezialist sei, sondern nur zur Identifizierung herangezogen wurde. Die Vernehmung von Zschäpe sollten dann Spezialisten aus Jena übernehmen.
Viele Fragen und Widersprüche
Frank Tempel (DIE LINKE) fragte Menzel, ob er jemals unter Druck gesetzt wurde wegen seiner Äußerungen. Dies verneint Menzel. Den Satz, „Ist mir egal was der Staatsschutz jetzt sagt, ich zieh das durch“ hätte er so nicht gesagt, sondern diese Aussage bezog sich auf den Kollegen Wunderlich und dass sie ihre Polizeiarbeit machen sollten und sich dabei nur auf Fakten beziehen sollten und auf nichts anderes. Auf die Frage des Abgeordneten Ulli Grötsch (SPD), ob ihm Verbindungen zwischen Neonazis und Organisierter Kriminalität, Hooligans oder Rockerszene bekannt seien, gab Menzel an, dass ihm solche Verbindungen nicht fremd seien. Konkret gab es aber in Gotha und im Falle des Trios keine solchen Strukturen. Grötsch fragte weiter ob der Zeuge wusste, dass es untergetauchte Neonazis gab, diese Frage bejaht Menzel.
Auf einem Foto bei der SOKO Capron vom 11.11. ist eine Tafel zu sehen, dort stehe unter anderem der Name Andreas Rachhausen drauf. Rachhausen war Neonazi aus Saalfeld, die Frage warum der Name dort stehe, kann Menzel nicht beantworten.
Irene Mihalic (GRÜNE) stellt Fragen zur Einschaltung des LfV und warum Menzel dieses erst am 8. oder 9. November kontaktiert hat und nicht schon vorher. Mihalic hält Menzel vor, dass er jetzt sehr sachlich darstelle, wie das Telefonat mit Wießner (LKA Thüringen, V-Mann Führer von Tino Brandt) war, aber sie glaube, dass es dabei sehr viel hitziger zugegangen sein muss, und zitiert Sätze wie „Sag mir wo die Zschäpe ist oder ich beschlagnahme die Akten vom LfV“ und ähnliches. Menzel widerspricht, sagt, diese Aussagen könne er nicht bestätigen, die habe er so nicht gemacht. Wießner hätte ihm in dem Gespräch die Namen von Kapke und Wohlleben genannt, aber sonst keine konkreteren Hinweise gegeben. Mihalic äußert Verwunderung darüber, dass Wießner angerufen wurde, der ja zum Zeitpunkt schon seit 10 Jahren nicht mehr beim LfV war. Menzel antwortet, wenn sie erfahren hätten, wo Zschäpe sich 1998 aufgehalten hätte, hätten sie einen Anknüpfungspunkt gehabt.
Verhalten am Tatort und der Umgang mit Spuren
Menzel erklärte ausführlich, warum er eine Feuerwehrharke benutzt hatte, um Gegenstände im Wohnmobil in Augenschein zu nehmen. Laut seiner Aussage wollte er vermeiden, dass im Wohnmobil noch mehr durch Löschwasser beschädigt wurde. Aber er sah noch Glutnester und glimmendes Bettzeug. Armin Schuster (CDU) wollte von Menzel wissen, ob dieser an der Bewertung beteiligt gewesen war, nach der es keine dritte Person im Wohnmobil gegeben hätte und wie diese chronologisch zustande kam.
In seiner Erstbewertung um 14 Uhr, nach Rücksprache mit der Feuerwehr, die berichtete, die Tür sei fest verschlossen gewesen und ließ sich erst öffnen, nachdem sich das Wohnmobil abgekühlt hatte, war Menzel relativ klar, dass es keinen dritten Täter gegeben hätte. Um 13:45 Uhr habe es eine Meldung gegeben, dass sich eine verdächtige Person an der Straße Richtung Mühlhausen aufhält und dort versucht haben soll, Fahrzeuge anzuhalten. Eine Minute vor dieser Meldung wurde der Hubschrauber zurückgezogen. Schuster fragt Menzel, warum der Hubschrauber nicht gleich wieder angefordert worden sei, um diese Person zu finden. Menzel erklärt, der Hubschrauber hätte doch weiter gefahndet, sie hätten eine Person gefunden, die da auf einem Feld abseits stand und von dieser auch per ED-Behandlung die Daten aufgenommen. Aber dabei sei nichts herausgekommen und er hätte der Sache nicht soviel Bedeutung beigemessen. Mundlos sei noch in der Nacht von der Rechtsmedizin identifiziert worden, Menzel habe dies am nächsten Tag erfahren und auch gleich Informationen zu Mundlos erhalten.
Petra Pau (DIE LINKE) fragte Menzel nach den Bekenner-DVDs, wann er zum ersten Mal von deren Inhalt erfahren habe und wie die Priorisierung der Asservaten gelaufen sei. Vom Inhalt habe er erst am 11.11. erfahren. Menzel war überrascht, dass im Wohnmobil so viel Sachen waren und seine Kollegen meinten, sie bräuchten 40 Umzugskartons, deswegen habe er ein paar CDs zunächst nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Asservate seien auf dem Revier Stück für Stück untersucht worden. Pau fragt nochmal nach, ob er denn, als er am 11.11. erfahren habe, was auf den DVDs gewesen sei, nochmal bei den Asservaten nachgeschaut hätte, ob sie auch solche DVDs dabei hätten. Menzel antwortete, da der Fall vom GBA übernommen wurde, hat er das nicht mehr gemacht.
Pau fragt nach, ob bei Menzel, so lange er die Verantwortung für die Ermittlungen hatte, Beamte von Verfassungsschutzämtern, vom MAD oder BND mal Kontakt mit ihm aufgenommen hätten. Menzel antwortet: „Solange ich Verantwortung hatte, nein.“
Themenkomplex 4.11.2011 in Eisenach abgeschlossen
Der Tag im Untersuchungsausschuss brachte wenig neue Erkenntnisse. Zu erleben war ein deutlich defensiver Michael Menzel, der sich bemühte, mögliche Ermittlungsfehler zu erklären. Dabei konnte man deutlich erkennen, dass Menzel tatsächlich „Himmel und Hölle“ in Bewegung setzte um so schnell wie möglich Ermittlungserfolge zu erzielen, die es zweifelsohne gab. Dennoch lassen sich das Bewegen von Gegenständen mit einer Feuerwehrharke am Tatort und der übereilte Abtransport des Wohnmobils kaum anders denn als Fehlentscheidungen werten. Mit Menzels Aussage wurde der Themenkomplex 4.11.2011 in Eisenach abgeschlossen.