Kurz-Protokoll 296. Verhandlungstag – 12. Juli 2016

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An diesem Prozesstag geht es zunächst um Verlesungen, die sich u.a. um den sog. NSU-Brief und die diesbezügliche Durchsuchung bei David Petereit drehen. Im Anschluss daran lehnt Götzl einen Beweisantrag von Nebenklage-Vertreter_innen zu Andreas Temme ab. Gleichzeitig betont er, dass er Temmes Aussagen für glaubwürdig hält.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Götzl sagt, dass beabsichtigt sei, Behördenzeugnisse des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 05.07. und vom 28.06.2016 zu verlesen.

Richter Lang verliest das Behördenzeugnis vom 28.06.2016. Darin wird mitgeteilt, dass der VS-Abteilung des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern im Zusammenhang mit einer Spendenzahlung an „Der Weisse Wolf“ folgende Informationen aus einer Deckblattmeldung vom 04.04.2002 vorliegen würden: Bei der Zeitschrift ‚Weisser Wolf‘ aus Neustrelitz solle eine Spende von 2.500 Euro eingegangen sein. Dem sei ein Brief gefolgt, in dem sinngemäß stehe: „Macht weiter so, das Geld ist bei Euch gut aufgehoben.“ Diese Information sei, so das Behördenzeugnis weiter, in der obligatorischen Deckblattmeldung nicht enthalten: „Ich versichere, dass weder im Treffbericht noch in der Deckblattmeldung weitere Informationen enthalten sind.“ [phon.]

Es folgt dann die Verlesung des Behördenzeugnisses vom 05.07.2016, ebenfalls durch Richter Lang. In Ergänzung des Zeugnisses vom 28.06.2016 wird darin erklärt, dass die Information in der Deckblattmeldung vom 04.04.2002 zu einer Spende von 2.500 Euro sich auf die Mitteilung einer menschlichen Quelle stütze. Andere Quellen existierten nicht. Weitere Deckblattmeldungen oder Treffberichte, in denen die Spende an den ‚Weissen Wolf‘ auftauche, seien beim VS Mecklenburg-Vorpommern nicht vorhanden [phon.].

Dann verlesen Richterin Odersky und danach Richter Lang einen Durchsuchungsbeschluss vom 02.05.2012 [phon.] gegen David Petereit. Angeordnet wird demnach die Durchsuchung von Wohn- und Nebenräumen, Wahlkreis- und Abgeordnetenbüro, Räumen des Verlags sowie Fahrzeugen von Petereit zur Sicherung eines Schreibens der terroristischen Vereinigung NSU. Zuvor sei die Zustimmung der Präsidentin des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern einzuholen. Es folgt dann die Begründung, in der es zunächst allgemein um den NSU geht. Dann geht es darum, dass Tatsachen vorliegen würden, aus denen zu schließen sei, dass sich der gesuchte Brief im Bereich des Anordnungsbetroffenen [also Petereit]befindet [phon.]. Petereit sei Herausgeber und „verantwortlicher Schriftleiter“ [phon.] der Publikation „Der Weisse Wolf“ gewesen. Der „Weisse Wolf“ sei ein rechtsextremistisches Periodikum, das von 1996 bis 2005 in 20 Ausgaben erschienen sei. Die presserechtliche und tatsächliche Verantwortlichkeit des Anordnungsbetroffenen ergebe sich daraus, dass im Vorwort der Ausgabe 15 eine unter dem Pseudonym „Eihwaz“ auftretende Person die Verantwortung für die Veröffentlichung erkläre und es sei ein Email-Postfach angegeben, für das eine Weiterleitung an „eihwaz@ [nennt einen E-Mail-Hoster]“ eingerichtet sei. Bei der Weiterleitung dieser Adresse handele es sich um den Account „derweissewolf@[nennt einen E-Mail-Hoster]“, die auf Petereit registriert sei, so dass dem Anordnungsbetroffenen die Verantwortung bereits ab Ausgabe 15 zugeordnet werden könne. Auch unterhalte er das Postfach für seinen Internetversandhandel „Levensboom“, wozu er sich im „Weissen Wolf“ bekannt habe. [phon.]
Angesichts dessen sei die Behauptung des Betroffenen, er habe den „Weissen Wolf“ erst ab Ausgabe 20 betreut, als widerlegt anzusehen. [phon.] In der Ausgabe 18 befinde sich im Vorwort die Textzeile „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter…“; eine Danksagung nach derzeitigem Stand des Betroffenen an den NSU, die im Zusammenhang mit einer Bargeldspende stehe, die der NSU dem „Weissen Wolf“ vor der Ausgabe 19 habe zukommen lassen. Das basiere auf Folgendem: „Der Weisse Wolf“ habe 2001 einen Spendenaufruf zu seinen Gunsten auf seiner Website platziert. Die Auswertung einer Festplatte aus der Frühlingsstraße habe ergeben, dass der NSU einen Brief entworfen habe, mit dem Bargeldspenden an Gesinnungsgenossen verbunden gewesen seien. [phon.] Damit liege nahe, dass der NSU dem „Weissen Wolf“ eine solche Spende hat zukommen lassen. Die Ausgabe 4 des „Weissen Wolfs“ [phon.] sei zudem am 26.01.1998 in der Garage sichergestellt worden.
Da im Spendenbrief auch darauf hingewiesen worden sei, dass eine unmittelbare Kontaktaufnahme zum NSU nicht möglich sei, sei davon auszugehen dass der Betroffene in der Textzeile eine Form der Danksagung gesehen hat. Anhaltspunkte dafür, dass der NSU einer größeren Öffentlichkeit in der rechten Szene bekannt gewesen wäre, würden jedenfalls nicht bestehen. Damit würden Tatsachen vorliegen, dass sich das Beweismittel im Besitz des Betroffenen befindet. Es bestehe ferner die Erwartung, dass der Betroffene bis heute aktiv Korrespondenz im Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit in einem persönlichen Archiv, auch insbesondere in seinen geschützten Abgeordnetenräumen, verwahrt. Es folgen dann noch juristische Ausführungen, warum der Durchsuchungsanordnung die gesetzliche Privilegierung durch den Status Petereits als Mitglied des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern oder durch journalistische Tätigkeit für den „Weissen Wolf“ nicht entgegenstehen.

Danach verliest Richter Kuchenbauer den Durchsuchungsbericht zu der entsprechenden Durchsuchung am 03.05.2012 in der Wohnung von David Petereit in Papendorf. Zunächst wird kurz der Hergang bis zum Beschluss des BGH erläutert. Dann wird festgestellt, dass der Beschluss am 03.05.2012 durch BKA und LKA Mecklenburg-Vorpommern vollstreckt worden sei. Es werden die eingesetzten Kräfte aufgezählt, danach folgt eine Objektbeschreibung. Gegen 8 Uhr habe man das Objekt aufgesucht und es sei durch die Lebensgefährtin von Petereit geöffnet worden. Diese habe Petereit über die Situation informiert. Dieser sei mit Stefan Rakowski [phon.] eingetroffen. Petereit sei der Durchsuchungsbeschluss ausgehändigt worden. Er habe gesagt, dass er diesen Brief nicht besitze und kein „Messie“ sei, um solch alten Sachen aufzuheben. Petereit habe drei Ordner zur Publikation „Weisser Wolf“ dem Regal im Schlafzimmer entnommen. Im dritten Ordner sei dann der gesuchte Brief gefunden worden. [phon.] Die Durchsuchung sei daraufhin beendet, das Auffinden der Einsatzleitung mitgeteilt worden, ein Durchschlag des Durchsuchungsprotokolls sei ausgehändigt und die Wohnung verlassen worden. Der NSU-Brief sei sichergestellt worden. Petereit sei mit der Sicherstellung einverstanden gewesen.

Götzl sagt, im Folgenden werde eine Asservatenauswertung vom 22.01.2012 verlesen. Richter Lang verliest die Auswertung, bei der es um das Asservat 2.12.357 geht. [gesamte Verlesung phon.]Bei dem Asservat handele es sich um einen Notizzettel, ausgerissen, mit handschriftlichen Aufzeichnungen. Auf dem Zettel sei geschrieben worden: „HNG, Deutsches Rechtsbüro, UN, Nordische Zeitung, Weisser Wolf, Der Förderturm, Der Landser, Feuersturm, Nation Europa, Fahnenträger“. Dazu seien Internetrecherchen durchgeführt worden. Es bestehe kein Anspruch auf Vollständigkeit und kein Wahrheitsanspruch. Die Auswertung listet auf: „HNG: Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige, verbotene rechtsextremistische Organisation in Deutschland, Quelle: Wikipedia. Dt. Rechtsbüro: wahrscheinlich Deutsches Rechtsbüro, Quelle: deutsches-rechtsbuero.de. UN: Keine Auswertung möglich. Nordische Zeitung: Erscheint unter dem Dach der Artgemeinschaft vierteljährlich. Weisser Wolf: Wahrscheinlich handelt es sich um die bildliche Darstellung weißer Wölfe im Internet. Der Förderturm: Keine Anhaltspunkte. Der Landser: kriegsverherrlichende Romane, Quelle: landser.de. Der Feuersturm: Dresden, erschien bis 2003 mit 11 Ausgaben, Quelle: [Internetadresse von fanzine.aryan] Nation Europa: NE war eine deutsche politische Monatsschrift rechtsextremistischer Ausrichtung bis zum 59. Jahrgang im November 2009, dann von Dietmar Munier gekauft und durch „Zuerst“ ersetzt, Quelle: de.wikipedia.org. Fahnenträger: Wahrscheinlich handelt es sich um einen Musiktitel von Von Thronstahl, Quelle: youtube. Fazit: die Verfahrensrelevanz ist derzeit nicht ersichtlich.“

NK-Vertreter RA Hoffmann gibt eine Erklärung ab: „Damit man die Qualität dieser Auswertung nachvollziehen kann: ‚UN‘, das sind die ‚Unabhängigen Nachrichten‘. Wer sich ein bisschen damit beschäftigt, kennt die. Der ‚Förderturm‘ ist eine Nazizeitschrift und eine Internetseite. Also, die Menschen, die das hier ausgewertet haben, kannten sich nicht besonders gut aus in der rechten Szene, will ich mal euphemistisch sagen.“

Götzl verliest dann einen Beschluss zu Beweisanträgen der Nebenklage Yozgat bzw. von NK-Vertreter RA Narin zum Mord an Halit Yozgat und zu Andreas Temme. Er verkündet, dass die Beweisanträge die Zeugen KD Ho. und S. von der hessischen Polizei zu vernehmen, die Anträge, Dr. Pi. vom hessischen LfV zu laden und zu vernehmen und Pi.s Schreiben vom 24.03.2006 nebst Anlage in Augenschein zu nehmen und zu verlesen sowie die Anträge, einen instruierten Vertreter der DPA als Zeugen zu vernehmen, abgelehnt werden, weil sie „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“ seien. Außerdem abgelehnt sind die Anträge auf Verlesung und Inaugenscheinnahme mehrerer Presseveröffentlichungen vom April 2006, auf Vernehmung des Zeugen KOK Mü. und KOK Me. vom PP Nordhessen, weil sie „für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung“ seien. Zur Begründung macht Götzl zunächst die üblichen, meist gleichlautenden Ausführungen zur Bedeutung bzw. Bedeutungslosigkeit von Indiz- bzw. Hilfstatsachen für die Entscheidung und zur prognostischen Prüfung durch den Senat. Zur konkreten Begründung der Ablehnung der Anträge verliest er dann:
Die Antragsteller, verfolgen, so legt der Senat ihre Anträge aus, das Ziel, zu belegen, dass die Angaben des Zeugen Temme unglaubhaft sind. Eine Bestätigung der unter Beweis gestellten Tatsachen würde aber nicht dazu führen, dass der Senat die Angaben des Zeugen Temme in der Hauptverhandlung als unglaubhaft und unvollständig ansehen würde. Der Senat würde folglich auch nicht die mögliche Beteiligung der Angeklagten Zschäpe, Wohlleben und Schultze an den ihnen vorgeworfenen Taten oder die möglichen Rechtsfolgenfragen hieran angepasst anders beurteilen. Die Angaben des Zeugen Temme in der Hauptverhandlung sind nach vorläufiger Würdigung glaubhaft.

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass den Anträgen den Aktenbestand des 2. Bundestags-UA zur Verfahrensakte beizuziehen, nicht nachgekommen wird. Es handele sich um einen Beweisermittlungsantrag. Der Antrag behaupte, aus den Akten würde sich ergeben, dass Temme von seinen Vorgesetzten über sein Ermittlungsverfahren informiert wurde. Der Senat könne aber offenlassen, ob es zu so einer Informationsweitergabe gekommen ist. Die StA habe einen Verdacht auf Verrat von Geheimnissen ausdrücklich verneint. Unter Würdigung des aktuellen Prozessstands sei nicht ersichtlich, dass der Inhalt der Akten für die Feststellung der vorgeworfene Taten oder Rechtsfolgen oder die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben von Temme von Relevanz sei. Der Verhandlungstag endet um 13:24 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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