An diesem Prozesstag ist der ehemalige Herausgeber des Neonazi-Zines „Fahnenträger“ geladen, dieser hatte 2002 den sog. NSU-Brief samt einer Spende von 500€ erhalten. Bei der Befragung kann er sich an so wenig erinnern, dass energisch nachgehakt wird. Außerdem steht zur Diskussion, ob sich der Zeugenbeistand von Wabra unzulässig in die Vernehmung einmischt.
Zeuge:
- Torsten Wabra (heute Au., ehem. Herausgeber von „Fahnenträger“, NSU-Brief)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Gehört wird Torsten Wabra, heute Au. [im Folgenden: Wabra]. Der Zeuge erscheint mit seinem Zeugenbeistand RA Dr. Dr. Gueinzius. Götzl sagt, dass es darum gehe, dass Wabra einen so genannten „NSU-Brief“ bekommen haben solle, und fragt, was Wabra dazu berichten könne. Wabra: „Ich habe einen Brief gekriegt, da waren 500 Euro drin und ein Schreiben, und das war’s. Mehr kann ich dazu jetzt nicht berichten.“ Götzl fragt nach einer zeitlichen Einordnung, wie der Brief ausgesehen habe, was der Inhalt gewesen sei. Wabra: „Zeitlich kann ich das schlecht einordnen. Ich würde sagen, 2002. Das war ein A4-Blatt mit Text auf der einen Seite und auf der anderen Seite ein Bild.“ Götzl: „An wen war dieser Brief adressiert?“ Wabra: „Ich habe damals eine Zeitschrift gehabt und ein eigenes Postfach dafür. Und da dran war das adressiert.“ Götzl: „Um welche Zeitschrift hat es sich gehandelt?“ Wabra: „Fahnenträger hieß die.“ Götzl fragt nach Inhalt und Erscheinungshäufigkeit. Wabra: „Erscheinungshäufigkeit war einmal im Jahr und es ging generell um Musik, Bands, die mich halt interessiert haben, künstlerische Sachen.“ Götzl: „Welche Funktion hatten Sie?“ Wabra: „Na, das Zusammentragen der Artikel und das Setzen.“ Götzl: „Wer hat die Artikel geschrieben?“ Wabra: „Die habe ich geschrieben.“ Götzl: „Sind auch Artikel von anderen Personen bei Ihnen veröffentlicht worden?“ Wabra schweigt eine Weile, dann sagt er: „Ja, von Freunden.“
Götzl: „Zurück zu diesem Brief: War denn im Hinblick auf diese 500 Euro etwas in dem Brief gestanden?“ Wabra: „Da standen keine Forderungen und nichts drin. Überhaupt nichts. An den Inhalt kann ich mich nicht erinnern. Es stand nur drinne, dass, wenn der Empfänger den Brief nicht kriegt, soll der Absender [phon.] das Geld behalten. Das war das einzige, was ich erinnern kann [phon.].“ Auf Nachfrage sagt Wabra: „Der Absender war nicht der richtige Absender. Wenn der Brief zurückgeht, soll der Absender das Geld behalten.“ [phon.] Götzl: „Wer war als Absender angegeben?“ Wabra: „Das war irgendein Verlag, da kann ich mich nicht mehr genau erinnern.“ Götzl: „Aus dem Inhalt dieses Briefes konnten Sie da entnehmen, von wem diese Sendung jetzt kam?“ Wabra: „Nein.“
Götzl: „Was haben Sie mit dem Geld gemacht?“ Wabra: „Ich habe das erstmal eine ganze Weile verwahrt, um nicht in Verantwortung genommen zu werden, weil ich nicht wusste, von wem es ist. [phon.]“ Götzl: „Und dann?“ Wabra: „Ich habe das Geld verwahrt, damit nicht noch Forderungen an mich gestellt werden, und irgendwann, nach ein paar Jahren, habe ich es halt ausgegeben.“
Götzl: „Was ist denn aus dem Schreiben geworden?“ Wabra: „Habe ich vernichtet.“ Götzl: „Wann?“ Wabra: „Das kann ich nicht mehr sagen.“ Götzl: „Von der Größenordnung her, ungefähre zeitliche Einordnung, was die Vernichtung anbelangt?“ Wabra: „Nee, aber bestimmt kurze Zeit später.“
Götzl: „Sind Sie denn mal im Hinblick auf diese Themen von der Polizei befragt worden?“ Wabra: „Vor vier Jahren.“ Götzl: „Ja, worum ging es jetzt bei der Vernehmung?“ Nach kurzem Schweigen sagt Wabra: „Um den Brief.“ Götzl: „Ja, inwiefern ging es um den Brief?“ Wabra: „Na, auch um Aussehen und wann ich ihn erhalten habe.“ Götzl: „Ging es um die Zeitschrift, den Fahnenträger?“ Wabra: „Möglich.“
Götzl: „Wie kam es dazu, dass Sie dort auch waren?“ Wabra: „Ich hatte eine Hausdurchsuchung, da waren mehrere Polizisten bei mir zu Hause und wir sind von dort aus, von meiner Wohnung aus, gleich ins Polizeirevier gefahren.“ Götzl: „Wonach wurde gesucht?“ Wabra: „Nach dem Brief.“ Götzl: „Wurde was gefunden bei Ihnen?“ Wabra: „Nein.“
Vorhalt: Wie groß war der Verbreitungsraum des Fahnenträger? – Bundesweit mit einer Auflage von 300. Wabra: „Habe ich ja vorhin schon gesagt.“ Götzl: „Sie sprachen von regional.“ Wabra: „Das Postfach war ja für jeden ansteuerbar, das habe ich ja vorhin schon gesagt.“ Vorhalt: Die Zeitschriften wurden an die Anfrager verschickt. Ca. 3 DM. Wabra bestätigt das. Götzl: „Wie war es zu Eurozeiten?“ Wabra: „So zwei Euro, vielleicht.“ Vorhalt: Wer waren die Abnehmer? – Es gab einen Großabnehmer, V7-Versand aus dem norddeutschen Raum und einen mir nicht namentlich bekannten Versand aus Guben. Wabra: „Ja, aber wie das genau gelaufen ist, kann ich nicht mehr sagen.“ Vorhalt: Diese haben 50 bis 100 Hefte gekauft, sonst gab es kleinere Versände, die 10 bis 20 Hefte abgenommen haben. Wabra: „So genau, das ist einfach zu lange her, dass ich mich da genau erinnern kann.“ Vorhalt: Zusätzlich dazu ca. 15 Bestellungen per Post durch das Postfach. Wabra: „So in etwa.“ Vorhalt: Und an Freunde und Bekannte ca. 10 bis 15 Hefte verkauft. Wabra: „Wie genau das gelaufen ist, da kann ich mich nicht mehr erinnern. Wie gesagt, das ist einfach zu lange her.“
Vorhalt: Erzählen Sie doch mal was zum Erhalt des NSU-Briefes. – Ein brauner DIN A4-Umschlag mit einem Sichtfenster. Als Empfänger meine Postfachadresse vom Fahnenträger. Wabra: „Ja, die Postfachadresse.“ Götzl: „Bzgl. Absender sprachen Sie von einem Verlag.“ Wabra: „Das ist mir nicht mehr bekannt.“ Vorhalt: Absender war der Nation Europa Verlag. Wabra: „Das Verhör ist ja auch schon vier Jahre her, ich weiß das nicht mehr genau.“ Vorhalt: Auf der Textseite war noch groß „Nationalsozialistischer Untergrund“ ausgeschrieben. Wabra: „Ich habe das Bild von dem Brief nicht mehr so exakt im Kopf. So extreme Details kann ich jetzt nicht mehr erinnern. [phon.]“
Vorhalt: Wir haben uns im Freundeskreis Gedanken gemacht, wer so viel Geld spenden könnte. Wabra: „Ja, was soll ich dazu sagen?“ Götzl: „Ja, gab es so was, dass Sie sich im Freundeskreis darüber unterhalten haben?“ Wabra: „Das kann sein, dass ich mich mit wem unterhalten habe. Ich kann mich daran nicht mehr erinnern.“ Götzl: „Und zum Begriff NSU?“ Wabra: „Wahrscheinlich habe ich das in einem Gespräch mit erwähnt. Aber ich kann mich nicht dran erinnern.“ Vorhalt: Haben Sie danach nochmal etwas von dem NSU gehört? – Nein, gar nicht, erst als das im November 2011 in den Nachrichten auftauchte. Da erkannte ich auch das Logo. Wabra: „Das ist einfach zu lang her, das Verhör. Ich kann nichts mehr genau zu dem Zusammenhang sagen.“ Götzl: „Ja, die Frage ist doch, ob Sie im November 2011 das Logo erkannt haben.“ Wabra: „Vielleicht.“ Götzl: „Was heißt vielleicht?“ Wabra: „Ja, sicherlich.“
Götzl: „Können Sie sich erinnern, dass Sie nochmal Kontakt zu den Beamten hatten?“ Wabra: „Ich hatte Nachtschicht und ein Beamter hat mich angerufen, da war ich müde und abgespannt. Ich weiß nicht mehr so genau, ich hatte Nachtschicht und dann hatte der mich angerufen.“ [phon.] Vorhalt: Vermerk zum Telefonat mit Torsten Wabra: Rief ich Herrn Wabra an und fragte ihn, ob er den Zeitpunkt des Erhalts des NSU-Briefs näher eingrenzen könnte und welche Personen noch über die Existenz Bescheid wüssten. Götzl: „Können Sie sich erinnern?“ Wabra: „Ich sage ja, das war an einem Tag, wo ich Nachtschicht hatte. Und er hat mich immer wieder, jetzt nicht unter Druck gesetzt, aber der wollte Namen. Und ich war gar nicht richtig wach.“ Götzl: „Ja, haben Sie Namen genannt?“ Wabra: „Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich war völlig übermüdet und kann mich da nicht mehr so genau erinnern.“ Götzl: „Ja, haben Sie eine Erinnerung? Haben Sie Namen genannt?“ Wabra: „Ich weiß es nicht mehr.“ Götzl: „War im Telefonat von Ihrer Mutter die Rede?“ Wabra: „Möglich.“ Götzl: „Was heißt das?“ Wabra: „Er hat Druck gemacht: Er will wissen, wer das noch wissen könnte. Und er hat immer wieder nachgehakt und vielleicht ist mir da auch was rausgerutscht, was ich nicht hätte sagen wollen.“ Wabra sagt, er habe seine Ruhe haben wollen.
Götzl: „Hatten Sie in der damaligen Zeit, als Sie den Fahnenträger rausgegeben haben, hatten Sie damals Bezug nach Jena?“ Wabra: „Nein.“ Götzl: „Nach Zwickau? Chemnitz?“ Wabra: „Chemnitz, ich hatte die siebente und achte Ausgabe an den Versand PC-Records geschickt.“ Götzl: „Sind Ihnen da Personen bekannt?“ Wabra: „Nee, das lief alles über Telefon und Schriftverkehr.“ Götzl: „Sie sagten, Sie hätten diese 500 Euro verbraucht. Für welche Zwecke?“ Wabra: „Nach längerer Zeit habe ich es verbraucht, privat.“
StA Weingarten: „Ihnen ist das polizeiliche Vernehmungsprotokoll in weiten Teilen vorgehalten worden. Wenn ich dran denke, was Sie initial hier vor dem Vorhalt gesagt haben, scheint Ihre Erinnerung damals präziser gewesen zu sein. Habe Sie da eine Erklärung dafür?“ Wabra: „Das ist ja schon lange her. Ich habe an die Vernehmung keine Erinnerung mehr und weiß nicht, warum das so ist. [phon.]“ Weingarten: „Zum Zeitpunkt der Vernehmung lag der Brief etwa 10 Jahre zurück und Sie kannten sogar noch das Aussehen des Briefumschlags. Jetzt liegt der Sachverhalt 14 Jahre zurück und Sie wissen fast gar nichts mehr. Hat sich irgendwas zugetragen in den letzten vier Jahren?“ Wabra: „Das mit dem Aussehen des Briefumschlags, also ich habe da keine Erklärung für.“ Weingarten: „Haben Sie in den letzten vier Jahren Unfälle gehabt, Betäubungsmittel genommen, Alkohol in nennenswertem Umfang?“ Wabra: „Nein.“ Weingarten: „Ich frage Sie ganz offen: Haben Sie heute Erinnerungslücken vorgetäuscht?“ Wabra: „Nein.“
Weingarten: „Haben Sie sich bei der Polizei bemüht, die Wahrheit zu sagen?“ Wabra: „Ja.“ Weingarten: „Auch bei dem Telefonat?“ Wabra: „Da habe ich erklärt, dass ich da völlig übermüdet war und gesundheitlich angeschlagen. Ich habe versucht, immer die Wahrheit zu sagen, aber ich kann nicht genau dazu stehen, dass ich in dem Zustand noch bei klarem Verstand war.“ Weingarten: „Wie erklärt sich dann hier: ‚Da ist mir vielleicht was rausgerutscht, was ich nicht hatte sagen wollen“?“ Wabra: „Das bezog sich auf meine Mutter.“ Weingarten: „Also gab es Dinge, die Sie nicht sagen wollten?“ Wabra: „Nein, dass ich den Namen meiner Mutter genannt habe.“ [phon.] Weingarten: „Ja, und?“ Wabra: „Also in dem Zusammenhang …“ Wabra unterbricht kurz und spricht dann weiter: „Der Polizist wollte Namen. Und dass mir der Name meiner Mutter rausgerutscht ist, war, dass ich vielleicht einfach nur einen Namen gesagt hatte.“ Weingarten: „Also es war nicht so, dass Sie in Vernehmung und oder Telefonat Umstände zurückhalten wollten?“ Wabra: „Nein.“ Weingarten: „Haben Sie Namen genannt, nur dass Ruhe ist, oder haben Sie die Wahrheit gesagt?“ [phon.] Wabra: „Das kann ich schlecht beurteilen, aber weil der Polizist mich unter Druck gesetzt hat.“
Weingarten: „Gut, Herr Zeuge, wären Sie so nett, mir mal die Freunde zu benennen aus dem Jahr 2002, an die Sie sich noch erinnern können?“ Wabra: „Kann mich nicht erinnern.“ Weingarten: „An gar keine Freunde? An welche können Sie sich erinnern?“ Wabra: „Soll ich meine Freunde aufzählen?“ Weingarten: „Ja.“ Wabra: „Was hat das für einen Sinn?“ Weingarten: „Möchten Sie nicht?“ Wabra: „Nee, ich weiß nicht.“ Weingarten: „Verweigern Sie die Antwort oder wollen Sie die Frage beanstanden? Davon hängen auch die Konsequenzen ab unter Umständen.“ Der Zeuge tuschelt mit seinem Beistand. [Laut einigen Zuhörer_innen auf der Besucherempore hat der Zeugenbeistand vernehmlich zu Wabra gesagt: „Sagen Sie einfach, dass Sie sich nicht erinnern.“] Wabra: „Ich weiß nicht, mit wem ich da so befreundet war.“ Weingarten reagiert sehr ungehalten: „Hat Ihr Zeugenbeistand gerade gesagt, dass Sie sagen sollen, dass Sie nicht wissen, wer 2002 Ihr Freund war? Hat er Ihnen das gesagt?“ Wabra schweigt. Weingarten: „Sie beantworten jetzt die Frage und zwar wahrheitsgemäß!“ Wabra: „Er hat gesagt, dass ich nicht mehr weiß, wer meine Freunde waren.“ Götzl sagt zu Gueinzius: „Herr Zeugenbeistand, ich weise Sie drauf hin, dass das ein völlig unzulässiges Verhalten ist als Zeugenbeistand! Wir unterbrechen bis 13:30 Uhr.“
Um 13:35 Uhr geht es weiter. Weingarten: „Ich beantrage, gemäß § 183 GVG den Tatbestand zu Protokoll festzustellen, dass der Zeugenbeistand dem Zeugen die Frage nach den Namen der Freunde aus 2002 inhaltlich insofern zu beantworten geraten hat, dass dieser sich nicht erinnere. Es liegt gegen den Beistand der Verdacht einer Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage vor.“ Außerdem beantragt Weingarten, den Zeugenbeistand von der Vernehmung auszuschließen.
Götzl verkündet den Beschluss, dass der Antrag auf Feststellung der Begehung einer Straftat abgelehnt wird. Eine Protokollierung einer Straftat könne nur erfolgen, wenn das Gericht gemeinsam den Tatbestand wahrgenommen habe; das sei hier nicht der Fall. Danach verkündet Götzl den Beschluss, dass der Zeugenbeistand von der Vernehmung ausgeschlossen wird. Um 15:11 Uhr endet der Verhandlungstag.
Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage hier.
Zur vollständigen Version des Protokolls geht es hier.