V-Mann „Corelli“ und V-Mann „Primus“: VS muss sich erklären – Bericht aus dem BT-UA

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Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 2. Juni 2016

Am 2. Juni 2016 fand die 20. Sitzung des 2. NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestag statt. Als Zeuge der nichtöffentlichen Sitzung war Hans-Georg Maassen, Praesident des Bundesamt fuer Verfassungsschutz geladen. Im Bild: Hans-Georg Maassen (rechts) nach der Sitzung mit dem Pressesprecher des BfV Markus Beyer-Pollok (links). Copyright: Christian-Ditsch.de

Als Zeuge der nichtöffentlichen Sitzung vom 2. Juni 2016 war Hans-Georg Maaßen, Präsident des BfV, geladen. Im Bild: Maaßen (rechts) nach der Sitzung mit dem Pressesprecher des BfV, Markus Beyer-Pollok (links). Copyright: Christian-Ditsch.de

Es war die erste Sitzung des Untersuchungsausschuss zum Themenkomplex . In dieser und in den kommenden Wochen wollen die Ausschussmitglieder der Frage nach gehen, wie nah der V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz dem NSU war und ob er eventuell sogar Mitglieder des Kern-Trios in seinen Firmen beschäftigt und so ihr Leben im Untergrund mitfinanziert hat.

von NSU-Watch

Zeugen:

  • Zeuge KHK Ben Schönrock, Polizei Sachsen
  • Zeuge KOK Paul Lehmann, BKA
  • KOR Dirk Münster, Polizei Sachsen

BfV-Chef Maaßen muss sich für Chaos in seiner Behörde verantworten

Bevor die öffentliche Sitzung los ging, wurde zunächst der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, zur nicht-öffentlichen Sitzung geladen. Bereits das letzte Mal überraschte die Behörde mit der Nachricht, dass nach Jahren nun ein weiteres Handy des V-Manns „“ in einem Panzerschrank aufgetaucht sei. Ende Mai wurde bekannt, dass zusätzlich vier weitere Sim-Karten gefunden wurden. Maaßen musste erklären, wie es sein könne, dass in seiner Behörde immer weitere Beweismittel auftauchen und wie er gedenke endgültig alle relevanten Akten und Beweisstücke zur Verfügung zu stellen.

Maaßen stand nach Ende der Sitzung nicht für Pressenachfragen bereit. Berichten der Fraktionen zufolge räumte er Versäumnisse ein, gehe aber davon aus, dass das gefundene Material wahrscheinlich keinen direkten NSU-Bezug habe. In der Frage nach möglichen personellen Konsequenzen beim BfV gingen die Meinungen der Abgeordneten weit auseinander. Einig war man sich hingegen in dem Punkt, dass in der Behörde offenbar großes Chaos herrsche und bei diversen MitarbeiterInnen noch immer die nötige Sensibilisierung für das Thema fehle.
Petra Pau (DIE LINKE) sagte: „Es gibt zwei Dinge, die kann und will ich seit Ende des ersten Untersuchungsausschusses hier im Bundestag nicht mehr hören. Das Erste ist das Wort Panne, was ich in Bezug auf den NSU-Komplex aus meinem Wortschatz gestrichen habe und das Zweite: Die voreilige Feststellung, egal was passiert, ob man etwas findet, ob jemand was sagt, ob jemand auftaucht – das hat alles keinen NSU-Bezug. Ich sage ganz deutlich, was NSU-Bezug (…) hat, werden wir zum Schluss entscheiden.“

Der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) gab an, er gehe davon aus, dass Corellis V-Mann-Führer offenbar über seine Kompetenzen hinaus gehandelt habe und außerdem „keinerlei Distanz“ zwischen V-Mann und V-Mann-Führer vorhanden gewesen sei. Irene Mihalic (Bündnis 90/ Die Grünen) sagte: „Nach den Erklärungen von Verfassungsschutzpräsident Maaßen heute im Untersuchungsausschuss muss man feststellen, dass in diesem Bundesamt für Verfassungsschutz offensichtlich das absolute Chaos herrscht was den NSU-Komplex betrifft.“

Hooligans-Nazis-Rassisten, Ralf Marschner und die Ermittlungen im Mordfall Patrick Thürmer

Als erster Zeuge in öffentlicher Sitzung war Kriminalhauptkommissar Ben Schönrock von der sächsischen Polizei geladen. Von diesem erhofften sich die Abgeordneten Erkenntnisse über die westsächsische Neonaziszene um die Jahrtausendwende, sowie Einblicke in die Ermittlungen im Mordfall Patrick Thürmer. Dieser war im Oktober 1999 nach dem Besuch eines Punkkonzerts in Hohenstein-Ernstthal nahe Chemnitz von drei Neonazis erschlagen wurden. Mindestens einer der Täter stammte aus dem Umfeld von , einer Hooligangruppe, welche vor allem bei Spielen des Chemnitzer FC auftrat. Der Name der Gruppe ist die Kurzform für Hooligans, Nazis und Rassisten. Im Umfeld dieser Gruppierung war auch der Neonazi und V-Mann Ralf Marschner aktiv. KHK Schönröck selbst konnte jedoch kaum zu den damaligen Ermittlungen Auskunft geben, da er gar nicht direkt daran beteiligt war. Lediglich seine Einschätzungen zum Hooligan-Milieu habe er damals in seiner Funktion als szenekundiger Beamter im Bereich „Gewalttäter Sport“ beigetragen. Dabei schilderte er Überschneidungen zwischen Hooligan- und Türstehermilieu. Lokale Größen wie HooNaRa-Anführer Thomas Haller kannte er zwar, zu weiteren Verbindungen zur lokalen Neonaziszene wusste er jedoch nichts zu berichten, da er ja vor allem im Stadion eingesetzt gewesen sei. In den Schilderungen des Zeugen entstand folglich auch das Bild einer Gruppe, die vor allem im Umfeld von Fußballspielen nach gewaltsamen Auseinandersetzungen mit anderen Fußballfans gesucht hat. Weitere Erkenntnisse brachte die Aussage des Zeugen nicht.

Interessant scheint unterdessen ein Vermerk in den Ermittlungsakten des Mordfalls. Noch im Oktober 1999 ging bei der Polizei ein anonymer Anruf ein. Der Anrufer gab damals an, dass er ein Gespräch mitbekommen habe, in dem ein „Manole“ sagte, zusammen mit einem „Klauß aus Meerane“ (der Zeuge erwähnte ausdrücklich die Schreibweise ‚Klauß‘ mit ß) einen Punker ermordet zu haben. „Manole“ ist der Spitzname von Ralf Marschner. Dieser bestritt in Vernehmungen, etwas mit dem Mord zu tun gehabt zu haben. Offenbar wusste Marschner aber noch während der Ermittlungen, dass im Zusammenhang mit dem Mord nach einem Ford-Galaxy gefahndet wurde. Laut der Abgeordneten Petra Pau sei davon auszugehen, dass Marschner die Ermittlungen im Mordfall Thürmer behindert habe und zumindest einem der später verurteilten Täter Tipps gab, wie dieser sich den Ermittlungen entziehen könne – alles zu einer Zeit, als Marschner bereits für das BfV tätig war.

Wie glaubwürdig sind Neonazi-Zeugen für das BKA?

Als zweiter Zeuge des Tages war Kriminaloberkommissar Paul Lehmann vom BKA geladen. Dieser hatte nach Auffliegen des NSU zu Marschner und dessen Rolle im Umfeld des NSU ermittelt. Nach einer ARD-Dokumentation und Berichten in der Tageszeitung „Die Welt“ steht der Verdacht im Raum, dass Marschner alias V-Mann „“ den NSU-Terroristen Uwe Mundlos in den Jahren 2000 bis 2001 in seiner damaligen Baufirma in Zwickau angestellt hat. Außerdem gibt es Zeugenaussagen, die nahelegen, dass Beate Zschäpe in einem von Marschner betriebenen Szeneladen in der Stadt gearbeitet haben könnte.

Der BKA-Beamte gab an, dass die Mitarbeiter von Marschners Baufirma nach Mundlos beziehungsweise „Max-Florian Burkhardt“, dessen Alias-Identität, befragt wurden. Diese hätten bis auf Einen angegeben, den Besagten nicht zu kennen. Aufgrund der hohen Anzahl übereinstimmender Zeugenaussagen erachtete man diese als glaubwürdig, so KOK Lehmann. Problematisch ist an dieser Stelle, dass bis auf eine Person aus der Firma, welche dieser Darstellung widerspricht und nur vorübergehend hier angestellt war, alle anderen Angestellten selbst Angehörige der rechten Szene in und um Zwickau waren oder gute Kontakte in diese Richtung hatten. Auf die Frage, ob es nicht denkbar sei, dass die Befragten sich hier abgestimmt haben, gab der Beamte an, dass zumindest keine Vorkehrungen getroffen worden seien, um dies zu verhindern. Ausschließen kann man es also nicht.

In einer ARD-Dokumentation der Journalisten Stefan Aust und Dirk Laabs gibt außerdem der Bauleiter Arne-Andreas Ernst an, mit Marschners Firma auf einigen Baustellen zusammen gearbeitet zu haben. Er erkennt Mundlos als den Mann wieder, der in der Firma als eine Art Vorarbeiter tätig war und der seine Ansprechperson gewesen sei für den Fall, dass Marschner selbst nicht auf der Baustelle war. Im Brandschutt der NSU-Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße war 2011 ein Personalausweis gefunden wurden, der auf „Burkhardt“ ausgestellt war, aber ein Foto des Rechtsterroristen Mundlos zeigte.

Wie Marschner seine Firmen und Geschäfte finanziert hat, führte ebenfalls zu Nachfragen im Ausschuss. Die Baufirma war ein finanzielles Fiasko und auch die diversen von ihm betriebenen Szene-Läden waren nach kurzer Zeit immer wieder pleite gegangen. Der geladene BKA-Beamte konnte hierzu keine Erkenntnisse präsentieren. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis Marschners zum bekannten Scientologen Kurt Fliegerbauer. Dieser vermietete Marschner eine Ladenfläche in Zwickau und verschaffte ihm außerdem Aufträge für dessen Baufirma unter anderem in München.

Marschner, eine zentrale Figur in der Zwickauer Naziszene

Der weitere Verlauf der Sitzung zeigte einmal mehr, wie tief Marschner in die militante Neonaziszene eingebunden war. Laut einer Zeugenaussage war Marschner noch 1998, nach Untertauchen des NSU, bei einem Fussballtunier im thüringischen Greiz in Begleitung von Böhnhardt und Mundlos gesehen worden. Damals habe Marschner auch mit dem Zeugen über Waffen gesprochen. Über Jahre hatte Marschner Kontakte zu Personen aus dem NSU-Unterstützungsumfeld wie Thomas Starke, Jan Werner und Hendrik Lasch. Am engsten war Marschners Verbindung aber zu Susann Eminger, gute Freundin von Beate Zschäpe und Ehefrau des ebenfalls in München angeklagten André Eminger. Susann Eminger war eine der wenigen, die das Trio auch nach Untertauchen nachweislich in Zwickau besuchte. Zusammen mit Marschner war sie 2001 in einem Körperverletzungsverfahren angeklagt, nachdem die beiden in einer Gasstätte in Zwickau eine Schlägerei begonnen hatten.

Auf einem PC in Marschners Laden fand sich die später im NSU-Bekenner-Video verwendete „Pink-Panther-Melodie“. Marschner hatte den Laden im Jahr 2007 offenbar nach Streitigkeiten „über Nacht“ verlassen. Schilderungen des BKA-Ermittlers Lehmann zu Folge gab Marschners ehemaliger Geschäftspartner Ralf Münch an, dass später mehrfach nach eben diesem PC gefragt wurde. Er hätte den Eindruck bekommen, dass dieser Rechner mehreren Personen sehr wichtig gewesen sei. Münch war es auch, der dem BKA gegenüber angab, Beate Zschäpe im Laden „Last Resort Shop“ gesehen zu haben.

Weitere Fragen ergeben sich außerdem hinsichtlich verschiedener Autoanmietungen durch Marschners Baufirma. Zwei Anmietungen decken sich mit Tattagen des NSU. Als Fahrer war unter anderem ein Mitarbeiter Marschners eingetragen, der in der Polenzstraße nur knapp entfernt von der ehemaligen Wohnung des Trios wohnte.

Schleppende Vernehmungen

Als letzter Zeuge des Tages sagte Kriminaloberrat Dirk Münster von der sächsischen Polizei aus. Auch dieser ermittelte zu Marschner und dessen Umfeld. In seiner Befragung ging es vor allem um mögliche Verbesserungen im Datenverarbeitungsbereich. Münster beklagte, dass die verschiedenen Landesbehörden noch immer mit unterschiedlicher Software arbeiten und dadurch die Informationsweitergabe von einer zu anderen Behörde erschwert werde. Die Anhörung eines vierten Zeugen wurde aufgrund der vorgerückten Zeit verworfen und auf eine der folgenden Sitzungen verschoben.

Marschner wird den Ausschuss weiterhin beschäftigen

Auch nach dieser Sitzung bleiben viele Fragen zu Personalie Ralf Marschner offen. Es ist schlicht unglaubwürdig, dass eine zentrale Größe der Zwickauer Neonaziszene und V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz trotz enger Kontakte zum NSU-Umfeld nie von der Existenz der Terrorgruppe erfahren haben will. Dass Marschner mit den Taten des NSU offen sympathisiert, zeigt ein Eintrag auf dessen Facebook-Profil. Unter dem Psydeunym „Rolf Rollig“ schrieb er noch Ende 2011 in einem Post „Heil NSU“. Auch in den nächsten Sitzungen des Untersuchungsausschusses werden Zeug_innen der Polizei und aus Marschners Arbeitsumfeld geladen. Schwer nachvollziehbar bleibt, warum die Rolle des Neonazis und VS-Spitzels nicht schon viel früher mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Da vor dem OLG München alle Beweisanträge diesbezüglich abgelehnt wurden, liegt die Aufmerksamkeit nun voll und ganz beim Bundestagsuntersuchungsausschuss.