An diesem Verhandlungstag sagt zunächst der ehemalige Staatsschützer Kö. zu seinen Erkenntnissen zu Ralf Wohlleben und der rechten Szene in Thüringen aus. Danach geht es erneut um Fragen von Nebenklage-Vertreter_innen an Beate Zschäpe.
Zeuge:
- Ernst Kö. (KHK i.R., ehem. Staatsschutz KPI Jena, Erkenntnisse zu Ralf Wohlleben)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:47 Uhr. Zeuge ist Ernst Kö., ehemals KPI Jena. Götzl: „Es geht uns um Herrn Wohlleben und Erkenntnisse zu Herrn Wohlleben in der Vergangenheit, als Sie noch aktiv tätig waren im Polizeidienst und hier geht es uns einfach um die Frage, inwiefern Sie überhaupt mit Herrn Wohlleben befasst waren, insbesondere Ausländer- und Asylpolitik, was Sie von seinen Ansichten, Äußerungen und Aktivitäten mitbekommen haben. Ich würde darum bitten, dass Sie auch die Kameradschaft Jena, den THS noch einbeziehen, dass Sie dazu auch noch Stellung nehmen. Ich würde Sie bitten, damit zu beginnen, inwiefern Sie überhaupt mit Herrn Wohlleben befasst waren, wie Ihre Tätigkeit ausgesehen hat.“ Kö.: „Ich bin ja seit 1990 zuständiger Leiter des Kommissariats Staatsschutz im Bereich Jena gewesen bis zum Ausscheiden 2012 und insofern hatte ich dienstliche Kontakte zu Herrn Wohlleben und allen anderen Beschuldigten, die hier Raum stehen, bekommen.“
Götzl: „Was können Sie denn zu den Kontakten im Einzelnen sagen, inwiefern Ihre Dienststelle, auch Ihre Kollegen, Kontakt zu Herrn Wohlleben hatte, welche Sachverhalte, welche Ermittlungen?“ Kö.: „Nach meiner Erinnerung ist zumindest der Herr Wohlleben 1996 mir bekannt geworden in dem Sinne, dass er in diese Szene hineingehört. Von 1991 an waren es mehr Skinheadszenen, Hooliganszenen, die Probleme bereitet haben, und ’93, ’94, ’95 gab es dann die ersten Erscheinungen von Leuten wie André Kapke und dem Umfeld von ihm, das waren dann Zschäpe, Mundlos, die als Gruppe verbunden waren. Und so ’96 tauchte dann auch der Wohlleben auf. Es gab auch ein Foto von dieser Zeit, wo sie eine Feier hatten, wo sie abgebildet waren. Das entwickelte sich fortführend dann weiter, wo Herr Wohlleben sich mehr engagiert hat im Sinne von in der Kameradschaft Jena, dass er Infostände mitbetrieben hat bzw. anwesend war und solche Geschichten. Straftaten waren 1996 noch nicht bei ihm, zumindest kann ich mich nicht erinnern. Im Vorfeld war André Kapke einer der ersten in dieser Szene, der mit Straftaten, Propagandamittel, Sachbeschädigungen aufgefallen war. Herr Wohlleben war da noch nicht sonderlich mit Straftaten, staatsschutzmäßig, aufgefallen. Später entwickelten sich Kontakte mit Herrn Schwerdt, Bundesvorstand NPD, der zuständig war nach meiner Erinnerung für Thüringen, der später dann auch Landesvorsitzender wurde. Und da war Herr Schwerdt öfters zu sehen gewesen, u. a. auch mit Herrn Wohlleben. Und Wohlleben hat dann begonnen, den KV der NPD aufzubauen und zu führen als stellvertretender und dann als Vorsitzender [phon.]. Und so richtig aktiv ist er, glaube ich, 1999 geworden in der NPD.“
Götzl: „Inwiefern?“ Kö.: „Dass er jetzt Funktionsträger war. Bis dahin war es mehr und weniger, also zumindest keine echte Mitgliedschaft, jedenfalls habe ich da keine Erkenntnisse.“ Götzl: „1999 wäre er richtig aktiv geworden im Sinne eines Funktionsträgers, können Sie das noch näher ausführen?“ Kö.: „Ich hatte den Eindruck, es gab Bestrebungen, – nicht nur der NPD, sondern die Jahre zuvor auch der Partei Die Republikaner, dann der DVU, der NPD – Einfluss zu gewinnen in Thüringen, aber auch insbesondere im Umfeld Jena.
Und mehr oder weniger hat sich die NPD als solche durchgesetzt und mit der KV-Gründung durch Herrn Wohlleben war er aktiv, hat versucht, weitere Mitglieder zu werben und in den KV mehr Struktur rein zu bringen, im Sinne von Mitgliederschulungen, Mitgliedsbeiträge einzutreiben, dass es eine geordnete Partei in dem Sinne wird. Später hat er versucht, weitere KV-Gründungen im Umland von Jena, Saale-Holzland-Kreis, anzuregen, da gab es einen Herrn Ja., der enge Kontakte zu Wohlleben hatte, ist mir in Erinnerung, dort einen KV zu installieren [phon.]. Das ist aber eine relativ kurzfristige Erscheinung geblieben.
Götzl: „Was können Sie denn noch einerseits zur Kameradschaft Jena, andererseits zu THS und ggf. Aktivitäten von Herrn Wohlleben in Zusammenhang damit sagen?“ Kö.: „Hebt sich nicht ab. [phon.] Hinsichtlich Aktivitäten der Kameradschaft Jena bin ich der Auffassung, das war mehr eine Entstehungsgeschichte um André Kapke, der die Kameradschaft Jena ins Leben gerufen hat. Irgendwann ist dann sicherlich der Herr Wohlleben dazu gestoßen und andere aus dieser Szene. Ich hatte bis dahin keinen Eindruck, dass sich der Herr Wohlleben im Sinne von militanten Äußerungen, Taten, Straftaten hervortun würde. Ich habe keine Kenntnisse, dass von ihm Straftaten ausgegangen sind oder er beteiligt war. Er hat sich immer, für meine Auffassung, im Hintergrund gehalten und war clever genug bzw. intelligent genug, sich auf diese Dinge nicht einzulassen [phon.]. Anfangsweise. Es gab dann eine Umgruppierung, da führte Tino Brandt den Thüringer Heimatschutz ein, wo man versuchte, alle Kameradschaften in Thüringen zu integrieren. Es bildete sich noch eine Untergruppierung [phon.] aus, die nannte sich Anti-Antifa Jena bzw. – Thüringen [phon.], wo man gegen die militanten Kräfte der linken Szene vorgehen wollte bzw. sich [phon.] verteidigen wollte. Es gab ja immer Auseinandersetzungen rechts-links. Und später wurde dann federführend der THS mit Tino Brandt an der Spitze, bis er dann zerfiel und sich wieder eine Kameradschaft Jena etablierte oder das Freie Netz Jena mit Ablegern in Kahla, wo auch bekannte Persönlichkeiten – in Anführungszeichen – integriert waren. [phon.]“
Götzl: „Was jetzt einzelne politische Aktivitäten der Kameradschaft Jena einerseits angeht und andererseits die Frage danach, ob Herr Wohlleben in dem Zusammenhang eine Rolle gespielt hat und ggf. welche?“ Kö.: „Nach meiner Auffassung hat Herr Wohlleben alles, was parteipolitisch mit der NPD zu tun hatte, Infostände, Mahnstände, Demoveranstaltungen, Kundgebungen, da hat er versucht, Personen vorzuschicken als Anmelder und im Hintergrund blieben immer oder oftmals der Herr Wohlleben und der Herr Kapke. Und insbesondere aktiv wurde Wohlleben dann beim Thüringentag der Nationalen Jugend. Eine Veranstaltung, die jährlich stattfinden sollte in verschiedenen Orten. [phon.] Die erste Veranstaltung fand in Jena statt und dort reisten dann überregional Leute der rechten Szene an.“
Götzl: „Welche politischen Aktivitäten hat denn jetzt die Kameradschaft entfaltet und in welcher Form?“ Kö.: „Es gab verschiedene Demonstrationsanmeldungen. Schwerpunkt bildete später das Fest der Völker, was auch erstmals in Jena stattgefunden hat 2005. Wo Personen der Parteienszene, auch der rechtskonservativen, NPD, Republikaner [phon.], und natürlich auch diese Kameradschaften aktiv an diesen Veranstaltungen teilgenommen haben. Es wurde thüringenweit zu Demonstrationen aufgerufen. Markant ist der Rudolf-Heß-Gedenktag, der am 17.08. stattfand, da versuchte man auch in Jena mehrere Veranstaltungen durchzuführen, wo es dann auch immer heftige Auseinandersetzungen gab mit der linken Szene und teilweise Protestaktionen der Zivilbevölkerung [phon.]. Hintergrund war immer NPD oder aber Kameradschaft.“
Götzl: „Gab es denn jetzt in Zusammenhang mit den von Ihnen aufgezählten Veranstaltungen und Demonstrationen, gab es denn da irgendwelche politische Parolen, Äußerungen? Wobei ich da bitte, immer zu unterscheiden: von der Kameradschaft Jena, vom THS und dann auch von Wohlleben.“ Kö.: „Zumindestens der Herr Wohlleben ist beim Thüringentag der Nationalen Jugend oftmals mit Schwerdt und aber auch anderen als Redner aufgetreten. Schwerpunktmäßig ging es immer darum, dass die Regierung, die etablierten Parteien versagt haben. Das Problem Ausländer im Sinne Überfremdung spielte immer eine Rolle. Man war der Meinung, zu viele Ausländer gäben zu viele Probleme in der Bundesrepublik. Man solle sich zusammenschließen, die freien Kräfte, die nationalen Kräfte sollten sich verbinden, um einen Gegenentwurf zu den etablierten Parteien zu bilden. Die Reden sind oft ausgewertet worden, ob sie strafbar sind. Sie waren mal grenzwertig, aber ich kann mich nicht erinnern, dass Herr Wohlleben mal eine Straftat im Sinne einer Volksverhetzung von sich gegeben hätte.“
Götzl fragt, ob es Äußerungen Wohllebens zu „Überfremdung“ gegeben habe, oder dass es zu viele Ausländer gebe. Kö.: „Ja, das war immer der Tenor dieser Redner, die meistens aus rechtsradikalen Kreisen waren. Egal ob das aus Thüringen, Deutschland war oder Bürger aus Europa , z. B. Slowakei, Russland. [phon.] Insbesondere beim Fest der Völker, wo dann relativ rechtsradikale Reden gehalten wurden. Bestimmte Äußerungen von Herrn Wohlleben habe ich jetzt nicht mehr in Erinnerung, immer nur der allgemeine Tenor.“
Götzl: „Welche Rolle spielte Herr Wohlleben beim Fest der Völker 2005?“ Kö: „Er war zumindest Mitorganisator, zusammen mit André Kapke. Die haben die organisatorischen Dinge gemanagt, sich teilweise um die Musikbands gekümmert.
Götzl: „Plakatierungen, Aufkleber, können Sie dazu noch etwas sagen in Zusammenhang mit Kameradschaft Jena, THS und Herrn Wohlleben, auch im Hinblick auf Frau Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und die anderen Angeklagten?“ Kö.: „Sicherlich muss man da nochmal trennen zwischen der Kameradschaft, sprich denen ihren Aktivitäten, dass sie insbesondere über Kapke und weitere Flyer verteilt haben oder angeschlagen an Laternenmasten und alles, wo Freiflächen waren, teilweise gegen die Ausländerproblematik Parolen verfasst. Ich kann mich erinnern an ein Bild, da sieht man einen typisch türkischen oder arabischen Bürger auf einem Teppich, der fliegt zurück in die Türkei oder den Orient. Also solche Dinge wurden verteilt. Es gab auch Flyer mit antisemitischem Hintergrund, das Profil, wo man Juden so dargestellt hat, wie man im Nationalsozialismus einen Juden dargestellt hat, mit der typischen Physiognomie. Solche Geschichten gab es. Und dann die der NPD mehr Wahlwerbung. Da gab es schon eine Trennung. Während die einen strafrechtlich verfolgt wurden, waren die anderen außer Sachbeschädigung meist strafrechtlich nicht weiter relevant.“
Götzl: „Inwiefern waren sie mit Frau Zschäpe befasst?“ Kö.: „Ich kannte sie dienstlich. Ich wusste, wer Frau Zschäpe ist. Sie war ja auch mehrmals zu Vernehmungen auf der Dienststelle und wurde von meinen Kollegen vernommen als Beschuldigte oder Zeugin wegen verschiedener Delikte, ohne das konkretisieren zu können, was das im Detail war.“ Götzl: „Und Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt?“ Kö.: „Die waren natürlich hinlänglich bekannt, im Vorfeld schon. Die waren immer schon, wenn Straftaten irgendwo im Raum waren, waren sie in der Nähe gewesen oder mit dabei.“ Kö. spricht von Hinweisen auf Straftaten, die man der Gruppierung um Kapke, Wohlleben oder mehr Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe zugeordnet habe: „Schmierereien, Hakenkreuzschmierereien am Nordfriedhof, ’96 das Aufhängen einer Puppe an einer Heizungstrasse mit Judenstern [phon.], später dann die Puppe bei der Autobahnbrücke in Bucha-Pösen [phon.], in Verbindung mit einer USBV [= Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung]. Das ist [phon.] der harte Kern, die sich doch zu solch massiven Straftaten hinreißen lassen oder sie durchführen. Da kam es dann aufgrund dieser Häufung von Straftaten dazu, dass das LKA im Form der Soko Rex diesen Komplex übernommen hat.“
Götzl fragt, welche Personen zu diesem harten Kern gehört hätten. Kö.: „Diese Gruppierung Mundlos, Böhnhardt, Gerlach zählte noch dazu, Kapke, Frau Zschäpe. Das war der früher enge Freundeskreis, wo Wohlleben später dazu kam. Die waren eng verbunden und das war für uns die gefährliche Gruppe.“
Götzl: „Gefährlich, in welcher Hinsicht?“ Kö.: „Dass die Straftatenintensität zugenommen hat, gerade ’96 und ’97, mit der Ablage der Kofferbombe am Theatervorplatz. Das sind Zeichen gewesen für uns: Diese Militanz nimmt zu. Wobei man bei der Kofferbombe wohl nur zeigen wollte: Wir haben die Fähigkeiten so ein Ding zu bauen oder zu basteln, aber wir wollen es noch nicht zünden, weil es ja keinen Zünder gab. Das sind so die Erkenntnisse, auch aus der Soko Rex, die ich so weiß. Aber wer sich mit sowas beschäftigt, da kann man eine größere kriminelle Intensität unterstellen, denke ich mir.“
RAin Schneiders verliest dann einen Beweisantrag. Sie beantragt, KOK Schn. vom BKA zu vernehmen. Der Zeuge sei 2014 aufgrund eines Ermittlungsersuchen des GBA damit befasst gewesen, Erkenntnisse über ungeklärte Straftaten mit Schusswaffengebrauch dahingehend zu überprüfen, ob als deren mögliche Täter Mundlos und Böhnhardt in Betracht kommen. Hierfür habe Schn. die verschiedenen LKA um Erkenntnismitteilungen hinsichtlich ungeklärter Straftaten mit Schusswaffengebrauch für den Zeitraum vom 26.01.1998 bis zum 11.08.2000 gebeten. Im Ergebnis habe er feststellen müssen, dass keine der in diesem Zusammenhang zugeleiteten Straftaten auf eine „Täterschaft des NSU“ hindeuteten. Zur Begründung des Antrags sagt Schneiders, dass Carsten Schultze sowohl in der Hauptverhandlung am 11.06.2013 als auch in seiner polizeilichen
Vernehmung vom 02.07.2013 behauptet habe, dass ihm Wohlleben von einem Schusswaffengebrauch durch Mundlos und Böhnhardt berichtet habe. Wohlleben solle laut Schultze ein Telefonat mit den sinngemäß wiedergegebenen Worten beendet haben: „Die Idioten haben jemanden angeschossen.“ Schn. sei wegen dieser erstmals in der Hauptverhandlung getätigten Aussage Schultzes mit Ermittlungen betraut worden, die diesen „angeblichen Schusswaffengebrauch“ einer möglichen Straftat zuordnen sollten. In seinem Bericht habe der Zeuge aber festgestellt, dass die „mutmaßlich durch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangene Straftat“ im Rahmen dieser Erhebungen nicht habe ermittelt werden können. Die beantragte Beweiserhebung diene der Entlastung Wohllebens, so Schneiders, sie belege, dass die diesbezüglichen Angaben Schultzes nicht glaubhaft seien.
Dann beginnen mehrere NK-Vertreter_innen Stellungnahmen zu den Beanstandungen ihrer Fragen an Beate Zschäpe zu verlesen. Dies wird im Anschluss diskutiert. Der Verhandlungstag endet um 16:08 Uhr.
Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.
Hier geht es zur vollständigen Version des Protokolls.