Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 23. Juni 2016
In der Sitzung des Bundestagsuntersuchungsausschuss am 23.06. beschäftigten sich die Abgeordneten, wie bereits in den Sitzungen zuvor, mit dem ehemaligen BfV-V-Mann und Neonazi Ralf Marschner. Die Ausschussmitglieder erhofften sich Informationen bezüglich der ungeklärten Finanzierung von Marschners Firmen und gingen weiter der Frage nach, ob dieser die NSU-Mitglieder Mundlos und Zschäpe beschäftigt hat. Geladen waren diesmal keine Ermittler_innen, sondern ausschließlich Personen, die Marschner auf persönlicher Ebene oder aus dem Arbeitsumfeld kannten.
von NSU-Watch
ZeugInnen:
- Ralph Münch (Geschäftspartner, betrieb mit Marschner den „Heaven & Hell Shop“ in Zwickau)
- Katrin Borowski (arbeitete in verschiedenen von Marschners Läden)
- Arne Andreas Ernst (Bauleiter, arbeitete auf Baustellen, auf denen auch Marschners Baufirma eingesetzt war)
Gut vernetzte Neonaziszene in Zwickau
Der erste Zeuge des Tages war Ralph Münch. Dieser betrieb gemeinsam mit Marschner von 2005 bis 2008 den rechten Szeneladen „Heaven & Hell“ in Zwickau. In Sachen Geschäftsführung seien die Beiden immer wieder an einander geraten. Münch habe mehrfach vorgehabt den Laden zu schließen. Er sagte aus, diesbezüglich von Marschner bedroht worden zu sein, sodass er von seinem Vorhaben abliess. Auf die Frage, wie sein Geschäftspartner sich finanziert habe, gab Münch an, Marschner habe immer Geld gehabt, woher konnte er sich jedoch nicht erklären. Einmal habe er aber eine größere Menge Drogen in Marschners Auto gefunden. Er erinnerte sich an „beutelweise weißes Pulver“.
Berichte, denen zufolge schon vor 2011 möglicherweise Solidaritäts-T-Shirts für den NSU im Umlauf waren, konnte Münch nicht bestätigen. Er habe solche Motive in seinem Laden jedenfalls nicht wahrgenommen. Im „Heaven & Hell“ war Marschner für das Layout der Textilien verantwortlich. Die Zwickauer Neonaziszene beschrieb Münch widersprüchlich. Einerseits sei diese sehr gut vernetzt gewesen und „jeder kenne jeden“, andererseits könne er sich aber dennoch vorstellen, dass der NSU dort untertauchen konnte, ohne dass andere Neonazis davon etwas mitbekamen. Münch hatte in der Vergangenheit angegeben, Beate Zschäpe wiederholt im Laden gesehen zu haben. Ob sie als Kundin oder Aushilfe dort war, konnte er aber nicht sagen. Laut Münchs Darstellungen hätten regelmäßig Personen im Laden ausgeholfen, die dort nicht ordentlich angestellt waren. Diese seien in bar bezahlt worden. Auf die Frage, ob er weiterhin die Aussage aufrecht erhalten könne, Zschäpe gesehen zu haben, gab er an, sich zu 90 Prozent sicher zu sein. Nähere Einlassungen zur sonstigen Kundschaft des Ladens machte der Zeuge nicht. Während seiner Aussage gab Münch wiederholt an, Angst vor Racheakten aus der Naziszene zu haben.
Marschner – der missverstandene liebe Nazi mit großem Herz?
Warum es fragwürdig ist, Neonazis vor den Ausschuss zu laden, zeigte die anschließende Befragung von Katrin Borowski in aller Deutlichkeit. Diese kannte Marschner seit ihrer Jugend und arbeitete über Jahre in verschiedenen seiner Läden. Im „Heaven & Hell“ half sie regelmäßig im Verkauf aus. Vor dem Ausschuss erschien Borowski provokant mit einer Hose der extrem rechten Kleidungsmarke „Thor Steinar“. In ihren Aussagen beschrieb sie den Neonazi, als „lieben Kerl“, der sich nie geprügelt habe. Marschner war nachweislich im April 2001 zusammen mit Susann Eminger in eine Kneipenschlägerei in Zwickau verwickelt**. Befragt nach rassistischen und sexistischen Songs von Marschners Rechtsrock-Band „Westsachsengesocks“, lachte sie und sagte dann an: „So was meint der nicht ernst. Da denkt der sich nichts dabei“. Sie selbst sehe sich auch nicht als Teil der rechten Szene.
Borowski bestritt, dass Beate Zschäpe im Laden gearbeitet habe. Zu Marschners Geschäftsgebaren sagte sie aus, dass dieser kaum mit Geld umgehen konnte. Wenn sie tagsüber Geld eingenommen hatte, nahm Marschner das Geld abends meist direkt aus der Kasse. Von seiner Spielsucht hätte sie damals nichts gewusst. Zu dessen Rolle in der Zwickauer Neonaziszene sagte sie aus, von 1990 bis 2002 sei er enorm wichtig gewesen. Diesbezüglich nannte sie ihn einen „Trendsetter“, „Oberguru“ und „Oberhäuptling“. Nach 2002 habe er mehr und mehr an Einfluss verloren. Als Grund gab sie Marschners Verhalten an, welches sie als sehr negativ wahrgenommen hat.
„Das ist eindeutig der Vorarbeiter, der auf meinen Baustellen für den Herrn Marschner tätig war.“***
Als letzter Zeuge des Tages sagte der Bauleiter Arne Andreas Ernst aus. Dieser hatte in seiner Funktion als Bauleiter mehrfach mit Marschners Baufirma zu tun. In der Sitzung bestätigte er noch einmal nachdrücklich seine Aussage, Mundlos auf zwei Baustellen als Vorarbeiter von Marschners Firma gesehen zu haben. Dies hatte er bereits im April gegenüber von Journalist_innen geäußert und so erheblichen Anteil daran gehabt, dass die Causa Marschner in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Konkret sprach er von Baustellen am Hauptmarkt 17-18 in Zwickau und in der Nollendorfer Straße 2 in Plauen. Er erinnere sich genau und erkannte auf Fotos die markanten Augenbrauen und Bart von Mundlos wieder. Außerdem gab er an, sich im Gespräch mit ihm gewundert zu haben, dass der Vorarbeiter im gleichen Dialekt wie er selber sprach. Auf die Nachfrage welcher Dialekt dies sei, gab Ernst den Jenaer Dialekt an. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hatten in Jena bis zu ihrem Untertauchen 1998 gelebt und waren Teil der Thüringer Neonaziszene um den „Thüringer Heimatschutz“. Welchen Namen die von ihm als Mundlos identifizierte Person benutzte, konnte Ernst aber nicht sagen.
Ralf Marschner beschrieb er als einen Selbstdarsteller mit „überschaubarer Intelligenz“ und schob hinterher: „Ich als Verfassungsschutz hätte ihn nicht engagiert.“ Im weiteren Verlauf der Befragung ging es um Ernsts Aussage, Zschäpe im „Heaven & Hell“ in Zwickau gesehen zu haben. Der Zeuge gab an, auf dem Weg zur Arbeit einmal zufällig auf Ralf Marschner getroffen zu sein, der zu dieser Zeit seine Baufirma bereits aufgegeben hatte und ihm seinen Laden präsentierte. Bei einem Blick von Außen in das Geschäft habe er eine Frau gesehen, die Beate Zschäpe ähnlich gesehen habe. Diesbezüglich ruderte Ernst nun jedoch zurück. Er gab an, dass die Zeugin Borowski ihm in der Pause auf ihrem Handy Fotos einer Freundin gezeigt habe, welche damals häufiger im Laden war und nun könne er nicht mehr mit Sicherheit sagen, dass er tatsächlich Zschäpe gesehen hat. Mehr als verwunderlich ist an dieser Stelle, dass sich die im Ausschuss geladenen Personen offenbar ohne Einschränkungen in den Pausen untereinander austauschen können.
Marschner bleibt weiterhin Thema
Die wichtigste Aussage des Tages war die des Zeugen Ernst, der glaubhaft versichern konnte, Mundlos als die Person wieder zu erkennen, mit der er auf den genannten Baustellen zu tun hatte. Diese Aussage zu verifizieren dürfte aber schwierig werden. Eine Möglichkeit könnte die Überprüfung weiterer Polizeiakten sein. Ernst sagte aus, dass es auf der Baustelle Hauptmarkt 17-18 in Zwickau eine Kontrolle der Polizei gegeben habe, bei der die Personalien aller anwesenden Personen kontrolliert wurden. Das Bild, dass an diesem Tag erneut von Ralf Marschner als „Selbstdarsteller“ entstand, machte einmal mehr die Unbrauchbarkeit des V-Leute-Systems deutlich.
*Arne Andreas Ernst in seiner Vernehmung am 23.06. vor dem UA
** Die Welt vom 17.05.2016
***Arne Andreas Ernst im Interview mit Die Welt vom 06.04.2016