Der Prozess – ein subjektiver Bericht vom NSU-Prozess in München

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Ein Gastbeitrag von https://medium.com/@realramnit, zuerst erschienen bei Medium

Berlin, Montag, der 10.10.16

Ich sitze am Frühstückstisch. Die Nacht gestern war lang und ich bin glücklich ausgeschlafen zu haben. Draußen lassen sich seit Tagen mal wieder ein paar Sonnenstrahlen entdecken. Ich lächele etwas in mich hinein.

Es ist 11:17 Uhr als mein Handy vibriert. Katrin schreibt: “14E?”. Es dauert einen Moment, bis ich verstehe, was damit gemeint ist. 14E ist der Ort, an dem wir morgen verabredet sind. Dienstag, 11. Oktober, 11:15 Uhr, Gleis 14, Abschnitt E. Der Zug nach München fährt um 11:34 Uhr, aber wir mögen es beide, wenn wir etwas früher da sind.

Katrin ist sehr viel früher da. Sie steht schon heute am Gleis. Wie unangenehm. Irgendwas ist da wohl schief gegangen in der Kommunikation. Wir telefonieren kurz und Katrin ist weniger enttäuscht, eher glücklich einen Tag gewonnen zu haben. In 24 Stunden geht es los!

 

Berlin, Dienstag, der 11.10.16

Den Rucksack habe ich gestern bereits gepackt und trotzdem stehe ich um kurz nach 10 Uhr etwas hilflos in meinem Zimmer und überlege, was ich alles nicht vergessen wollte. Jogginghose, Laptop, Hausschuhe — ich werde eine ganze Woche unterwegs sein und würde mich ärgern, wenn ich etwas mir wichtiges zurück lasse.

Eine knappe Stunde später stehe ich am Hauptbahnhof. Katrin tippt mir von hinten auf die Schulter. Der Zug kommt pünktlich, wir finden einen Tisch im Großraum-Abteil, an dem noch zwei Plätze frei sind und fangen an uns auszubreiten. Ich hatte weniger Zeit mich auf den Prozess vorzubereiten, als ich gehofft hatte und lege eine Reihe Zeitschriften und Magazine zum Thema vor mich: Ausgabe 139 & 162 von “Der Rechte Rand”, die letzte Ausgabe des Magazins “Cilip” und das kleine Büchlein “Nicht nur der NSU — Eine kleine Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland” der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen. Die Texte helfen dabei sich auf den aktuellen Stand des Prozesses und des Themenkomplexes NSU einzulassen.

Zwischendurch stöber ich mit dem Smartphone ein bisschen in den Prozessberichten von NSU-Watch und NSU-Nebenklage. Auch die “Live”-Tweets der letzten Wochen vom @nsuwatch-Twitter-Account überfliege ich.

Bei Nürnberg hab ich genug gelesen. Katrin und ich verbringen die letzte Stunde damit, der Sendung vom Radio FSK “Ein Prozess, ein Land, keine Gesellschaft — viel NSU zu lauschen. Jede Woche berichtet das freie Hamburger Radio vom aktuellen Stand des Prozesses. Wir erfahren einiges, was in der letzten Woche bereits durch die Timeline flog und einiges, dass im Rummel um Zschäpes Stimme untergegangen ist.

Mittels U-Bahn und Bus kommen wir zu unserem Schlafplatz im Norden der Münchener Innenstadt. Eine Aktivistin, die wir über drei Ecken kennen, hat uns bei sich aufgenommen. Sie macht seit Jahren Antira-Arbeit und hat anfangs aus Interesse auch den Prozess unregelmäßig besucht. Wir erfahren spannendes: Die komplette Nebenklage ist von der Zuschauertribüne nicht zu sehen? Beate Zschäpe hat einen “Stalker” der bevorzugt Shirts mit Herz oder Kussmund trägt? Weitere Details und Erfahrungen prasseln auf uns ein. Meine größte Sorge — “Ich hab Angst, dass das einfach sehr langweilig wird.” — wischt sie von Tisch. “Das ist mega spannend und sehr absurd. Es gibt so viel zu beobachten. Langweilig wird euch sicher nicht!.”

Wir beschließen früh schlafen zu gehen, damit wir morgen fit sind. Der Prozess beginnt um 9:30 Uhr. Uns wird geraten spätestens gegen 9:00 Uhr am Gebäude zu sein. Wir stellen den Wecker auf 7:00 Uhr und legen uns schlafen.

 

München, Mittwoch, der 12.10.16

Draußen dämmert es. Katrin und ich leeren unsere Hosentaschen. Demoerfahren, wie wir sind, bleibt alles unnötige zu hause. Ausweis, Krankenkassenkarte, ein bisschen Kleingeld, Block, Bleistift, Anspitzer, eine Packung Taschentücher — viel mehr bleibt nicht in unseren Taschen. Durch reif-kalte Wiesen machen wir uns auf den Weg in Richtung U-Bahn, um von selbiger wenig später in der Münchener Innenstadt vor einem ranzigen Beton-Ungetüm wieder ausgespuckt zu werden. Den Eingangsbereich kenne ich von Fotos und Presseberichten.

Unter dem weißen Pavillion-Dach, dem die letzten Jahre Wind und Wetter anzusehen sind, warten bereits ein paar wenige Menschen auf Einlass. Ich spreche eine Person an, die mir von der Frisur her am sympatischsten erscheint und frage, ob wir in der richtigen Schlange stehen. Die Frage erübrigt sich, denn wir werden wenige Sekunden später von einem Justiz-Beamten mit breitem bayrischem Akzent Richtung Eingangstür gewiesen.

In einer Schlange aufgereiht und durch alte hässliche beige Stellwände vom Rest des Foyers abgetrennt, warten wir darauf, einzeln durch die Sicherheitskontrolle geschleust zu werden. Die Person vor mir hat ihren Ausweis nicht dabei. Der Justizbeamte erklärt süffisant, dass er auch schon Anwälte und Richter nicht durchgelassen hat, weil sie keinen gültigen Personalausweis dabei hatten. “Anordnung ist Anordnung. — Nein, der Führerschein reicht nicht.” Damit endet der Prozesstag für die Person vor mir bereits bevor er richtig begonnen hat.

Katrin und ich lassen die von Flughäfen im Ausland und anderen Prozessen bekannten Sicherheitsmaßnahmen mehr oder weniger duldend über uns ergehen. Wir werden insgesamt 3 Mal gefragt, ob unser Handy aus ist. Das scheint allen Beteiligten hier besonders wichtig zu sein — mitnehmen dürfen wir es eh nicht. Es wandert, wie vieles andere auch, in eine blaue Plaste-Box. Als Dank bekommen wir zum Abschluss einen in Folie geschweißten Papier-Schnipsel mit drei-stelliger Nummer ausgehändigt, den wir später wieder gegen unsere Sachen eintauschen dürfen. In den Gerichtssaal selbst kommen außer uns und der Kleidung die wir am Körper tragen nur Bleistift, Anspitzer und Notizblock. Alles andere “…brauchen’s ja eh nicht…” wird uns erklärt.

Die Zuschauertribüne ist voller als erwartet. Wir bekommen nur einen Platz auf einer nachträglich installierten Bank an der Rückwand ohne wirkliche Sicht auf den Innenraum einen Stock tiefer, in dem der Prozess abgehalten wird. Die Presse-Tribüne, die direkt an die der Zuschauer angrenzt ist fast komplett leer. Lediglich eine Handvoll Journalist_innen sitzen hier. Später werden wir erfahren, dass das seit Monaten die Stamm-Besetzung ist. DPA, Süddeutsche, BR, Spiegel, …der Rest der deutschen Medienlandschaft hat den NSU-Prozess scheinbar bereits abgeschrieben. Die internationale Presse ist bereits seit Jahren nicht mehr vertreten. Lediglich das türkische Konsulat in München entsendet regelmäßig eine Person, die handschriftlich den Prozess dokumentiert.

Die Vertreter von NSU-Watch sind damit die Einzigen, die jeden Prozesstag komplett dokumentieren und transparent für die Nachwelt erhalten, ohne selbst am Prozess beteiligt oder von Verwertungsinteressen getrieben zu sein. Einige Pressevertreter_innen haben Deadlines und verfolgen so oft nur den Vormittag. An einem “normalen Prozesstag” bleibt die Presse selten bis zum Ende.

Einer der Mitarbeiter von NSU-Watch erkennt mich am vorher per Mail vereinbarten Erkennungsmerkmal und bietet uns eine kleine Einführung im “Pausenbereich” an, einem weiteren, durch Stellwände zerschnittenen, Foyer auf Höhe der Zuschauer- & Pressetribüne. Lieblos stehen ein paar Tische und Stühle herum. Zwei Wasserspender und ein alter Kaffee-Automat komplettieren das Bild. Letzterer liefert statt “Heißer Schokolade” eine warm-weiße Milchpulver-Wasser-Plörre. Scheinbar ist das Schoko-Pulver alle.

Ein paar andere Interessierte Prozessbeobachter_innen gesellen sich zu uns. Nach einer kurzen “Was euch erwartet…”-Einführung durch das NSU-Watch-Team und ganz vielen Fragen von unserer Seite werden wir von Justizbeamten aufgefordert, in den Zuschauerbereich zurückzukehren. Das Wasser dürfen wir nicht mit rein nehmen.

Mittlerweile ist auch der Pressebereich für “normale” Prozessbeobachter_innen wie uns geöffnet worden. Wir bekommen zwei Plätze mit etwas besserer Sicht und werden sogleich ermahnt uns zu erheben, denn der Senat (die Richter_innen und Ergänzungsrichter, um Herrn Götzl) betreten den Raum.

Nun wird erstmals die ganze Absurdität der Architektur des Gerichtssaals deutlich. Auf Grund des sehr begrenzten Platzes im Saal unter uns ist die Nebenklage (Vertreter_innen der Opfer des NSU) für uns nicht sichtbar. Auch vom Zeugenstand (zwei Sitze, halbmittig im Saal mit Blickrichtung zum Senat) ist die Nebenklage unsichtbar. Selbst die Angeklagten Zschäpe, Wohlleben, Eminger, Schultze und Gerlach sitzen in einem derart unpraktischen Winkel, dass sie die Nebenklage kaum wahrnehmen. Die Angeklagten blicken der Bundesanwaltschaft ins Gesicht — dazwischen Zeugen, Schriftführende und Sachverständige. Im Prozess führen diese Unsichtbarkeiten zu Situationen irgendwo zwischen Loriot und Kafka.

An diesem Tag sitzt ein ehemaliger Jenaer Ortsteilbürgermeister im Zeugenstand. Es geht, wie “seit Monaten”, um die konkreten Beschaffenheiten einer Straßenbahn-Wendeschleife im Jenaer Süden. Ursache ist eine Aussage des Angeklagten Schulze, die Wohlleben belastet und deswegen von der Verteidigung in Frage gestellt wird. Der Zeuge Mario Sch., der an diesem Tag gehört wird, ist seit Jahren stark seh-eingeschränkt. Bei Fragen richtet er sein Gesicht in Richtung des nächsten Lautsprechers, wie sollte er es auch anders wissen, weg von Götzl und den Anwälten der Verteidigung.

Auf die Spitze getrieben wird diese geballte Absurdität dann durch die Aufforderung einer Nebenklage-Anwältin, der Zeuge möge doch bitte einmal Herrn Wohlleben anschauen. Der Zeuge weißt darauf hin, dass er auf diese Distanz nicht sehen könne, worauf sich die Nebenklageanwältin entschuldigt: “Sie hätte das nicht gewusst. Hinten höre man schlecht und sie würde ihn ja leider auch nicht sehen können.” Mir klappt der Unterkiefer runter. Wo bin ich hier gelandet?

Blick in den Saal A 101 im Oberlandesgericht München. Foto: Robert Andreasch.

Blick in den Saal A 101 im Oberlandesgericht München. Foto: Robert Andreasch.

Einer der größten Strafprozesse der bundesdeutschen Geschichte — und die Nebenklage, jene also die Jahre lang unter der rassistischen polizeilichen “Ermittlungsarbeit” leiden mussten — können dem Prozess kaum sinnvoll folgen, weil sei weder voll sehen noch hören können, was geschieht? Ich bin erschüttert.

Begleitet vom Klackern der Tastaturen läuft der klägliche Rest des Prozesstages vor sich hin. Da es kein einheitliches Protokoll gibt, müssen alle selbst mitschreiben. Egal ob Bundesanwaltschaft, Senat, Anwälte der Angeklagten, Nebenklage oder Journalist_innen — sobald etwas gesagt wird, senken alle den Blick und schreiben bzw. hacken auf ihre Tastaturen ein. Kaum jemand hat Zeit, auf Reaktionen der Angeklagten oder das Minenspiel der Zeugen zu achten.

Eine Ausnahme stellt der Verantwortliche für das psychologische Gutachten Prof. Dr. Saß dar. Eine weitere tragische Person dieses Prozesses. Da Zschäpe die Zusammenarbeit verweigert, wird sein Gutachten, dessen baldige Einreichung allgegenwärtiges Gesprächsthema unter den Prozess-Profis ist, einzig auf seinem Eindruck in den Prozessstunden beruhen. So verfolgt er mehr oder weniger aufmerksam die Interaktionen zwischen Zschäpe und ihrer Umgebung, welche allerdings, wo immer sie sich seinem Blick ausgesetzt wähnt, äußerst spärlich bleiben.

Nach vierzig Minuten ist der Zeuge entlassen. Nach weniger als zwei Stunden ist der Prozesstag beendet. Wir wurden schon morgens darauf vorbereitet, dass das gerade “eher üblich” wäre. Wir verlassen dennoch verdutzt den Betonklotz. Langweilig wurde uns tatsächlich nicht.

Im Nachgang nimmt sich das Team von NSU-Watch noch viel Zeit für unsere Fragen und ordnet das Gehörte in mühsamer Detailarbeit in den größeren Rahmen des Prozesses ein. Irgendwann nach 13 Uhr verlassen wir das Café und machen uns auf den Weg in Richtung Schlafplatz, um uns mit anderen Dingen zu beschäftigen. Wir stellen beide fest, irgendwie hatten wir uns das anders vorgestellt.

 

München, Donnerstag, der 13.10.16

Natürlich sind wir am Vorabend viel zu spät ins Bett gekommen und so quälen wir uns nach zu wenig Nachtschlaf aus den Federn, um eine knappe Stunde später, etwas früher als am Vortag, wieder auf dem unsympathischen Vorplatz des Gerichtsgebäudes in der Kälte zu stehen. Es gibt zwar eine Cafeteria, die auch uns Gästen offen steht, doch ist sie durch eine andere Sicherheitsschleuse zu erreichen. Nur für einen Kaffee müssten wir also eine zusätzliche Sicherheitskontrolle über uns ergehen lassen. Wir entscheiden uns dagegen — unwissend, dass wir an diesem Tag noch insgesamt sechsmal die Sicherheitsschleuse zur Zuschauertribüne passieren würden.

Der Saal ist heute wesentlich leerer als gestern. Nur etwa 30 Personen begleiten an diesem Donnerstag den Prozess, darunter die ~5 Pressemenschen des Vortages und das NSU-Watch-Team. Da nicht alle Presse-Plätze mit entsprechenden Hinweisschildern ausgezeichnet sind, wollen Katrin und ich uns schon um 9:10 Uhr auf zwei Plätze im sehr leeren Presse-Block setzen. Ein Justizbeamter verhindert das und weißt uns harsch zurück auf die Zuschauer-Ränge. Für eine ausreichende Anzahl laminierter “Presse”-Schilder fehlt entweder Geld oder Wille. Vielleicht Beides. Fünfzehn Minuten später sitzen wir auf eben jenen Plätzen in der ersten Reihe, denn es ist, wie zu erwarten war, niemand weiter erschienen.

Nachdem alle Prozessbeteiligten ihren Platz eingenommen haben, beginnt von neuem das Geklacker der Tastaturen. Ein Schriftsachverständiger des LKA Bayern erläutert ausführlich und detailliert, dass V-Person Marcel Degner seine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz höchstwahrscheinlich eigenhändig unterschrieben hat. Niemanden überrascht diese scharfsinnige Analyse. Der Sachverständige wird noch kurz nach seinem Sachverstand befragt, ja — ernsthaft — und dann entlassen. Ob das jetzt der Wahrheitsfindung wirklich diente, mag ich nicht zu beurteilen.

Nach einer kurzen eher unübersichtlichen Phase in der, durch Götzl moderiert, verschiedene Komplexe verhandelt und in ihrer Priorität gegeneinander abgewogen werden, pausiert der vorsitzende Richter, der als Einziger von Seiten des Senats spricht, die Verhandlung für 15 Minuten.

Foyer, Trinken, Toilette, Warten, Zuschauertribüne, Sitzen, Erheben (wir werden jedes mal persönlich aufgefordert) und schon beginnt das Klackern wieder. Langsam erscheint das alles erstaunlich vertraut, denke ich mir und mir kommen die Worte von einem der wenigen regelmäßigen Beobachter von gestern wieder in den Sinn: “Manchmal frage ich mich, was mache ich hier eigentlich…” . Wenige Minuten später werde ich eines besseren belehrt.

Die Verteidigung von Wohlleben hat das Wort. Nach zwei eher uninteressanteren Anträgen holt die aus dem NPD-Umfeld stammende Rechtsanwältin Schneiders zum großen Schlag aus. In einem zehnmünitigen Antrag fordert sie am Ende den Pfleger von Rudolf Heß im Prozess als Zeuge zu laden. Ein weiteres Mal entgleitet mir der Unterkiefer. Minutenlang zitiert sie zur Begründung der Notwendigkeit, dass dieser Zeuge gehört werden muss, aus einem Buch feinster Nazipropaganda. Rudolf Heß sei ermordet worden und hätte keinen Suizid begangen. Dieser Zeuge würde das belegen und damit klären, dass ein bei Wohlleben gefundener Aufkleber nichts mit Propaganda zu tun hat.

Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass so etwas hier Raum bekommen würde. Doch die StPO bindet Götzl die Hände und so müssen wir uns rechte Verschwörungstheorien anhören. Minuten lang. In einem Raum in dem eine Gruppe von Nazis vor Gericht steht, die unter Anderem durch die Heß-Gedenk-Märsche der 90ger zusammen geschweißt wurde. Hier, wo sie für ihre Taten verurteilt werden sollen, haben sie Raum ihre menschenverachtenden Theorie-Gebäude zur Schau zu stellen. Ich bin empört. Möchte Lachen und Weinen zu gleich. Hilflose Blicke wandern zwischen den Antifaschist*innen auf der Tribüne hin und her. Wir können es nicht fassen.

Heß-Gedenkmarsch in Worms 1996 mit Tino Brandt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Rals Wohlleben in der ersten Reihe. Foto: apabiz

Heß-Gedenkmarsch in Worms 1996 mit Tino Brandt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben in der vorderen Reihe. Foto: apabiz

Nach dem Antrag unterbricht Götzl auf Bitte der Verteidigung Wohlleben die Sitzung bis 13:30 Uhr für 1,5 Stunden. Beim Verlassen des Gebäudes kommen wir wieder am Gepäck-Scanner vorbei und werden Zeuge wie zwei Justiz-Beamte versuchen, das seitlich eingerissene Förderband mit einem Papier-Tacker zu flicken. Den Scanner, der einen der wichtigsten Prozesse gegen Rechten Terror vor Anschlägen schützen soll, flicken sie mit ein paar Metall-Nadeln. Mir fehlen die Worte.

Es ist die Masse dieser kleinen absurden Details, die bei dreckig-beigen Behelfs-Stellwänden anfängt und bei einem mit Tacker-Nadeln notdürftig geflickten Gepäck-Scanner für heute zu enden scheint und mich hilflos zurück lässt.

Um 13:30 Uhr wird uns unter der Hand erzählt, dass der Prozess nicht weiter gehen kann, weil einer der Verteidiger der Angeklagten bereits auf dem Heimweg ist und Götzl seine Anwesenheit für unabdingbar hält. Die Fortsetzung des Prozesses wird auf 16 Uhr verlegt. Weitere zwei Stunden warten wir. Um kurz nach Vier, der Verteidiger sitzt kopfschüttelnd wieder an seinem Platz und zeigt entschuldigend sein nun wertloses Flugticket herum, wird die Sitzung mit einem Befangenheitsantrag fortgesetzt, der von der Verteidigung Wohlleben verlesen wird. Ohne einen Kommentar schließt Götzl danach die Sitzung. Warum für den, die Profis vermuten knapp 60ten, Befangenheitsantrag gegenüber dem Senat in diesem Prozess die Anwesenheit dieses einen Verteidigers unabdingbar war, werden wir wohl nicht mehr erfahren. Gegen 17:30 Uhr besteigen wir die U-Bahn und verlassen diesen absurden Ort.

 

Abends sitzen wir beide an unseren Rechnern und versuchen, das Erlebte in Textform zu gießen. Nebenbei fliegt über Twitter eine Eilmeldung der Tagesschau in unseren Wahrnehmungsbereich:

Screenshot von https://twitter.com/tagesschau/status/786622182495547392

Screenshot von https://twitter.com/tagesschau/status/786622182495547392

Diese Meldung ist für mich der krönende Abschluss dieser unglaublichen letzten 48 Stunden.Was passiert hier? Ich verstehe es nicht mehr.

Wenige Stunden später ziert das alte Schwarz-Weiß-Foto von Böhnhardt wieder sämtliche Titelseiten der großen Nachrichtendienstleister. Vom Heß-Skandal, den die Verteidigung Wohlleben im Prozess losgetreten hat, berichtet nur die Süddeutsche in einem kurzen Artikel. Er hat also medial nicht statt gefunden. So wie es auch dieser Prozess immer weniger tut…

 

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