Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 7. Juli 2016
Auch in der letzten Sitzung vor der Sommerpause beschäftigte sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) mit dem ehemaligen V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Ralf Marschner. Ehemalige Bekannte von ihm wurden nach seiner Person, ihrem jeweiligen Verhältnis zu ihm sowie möglichen Verbindungen zum NSU-Kerntrio gefragt. Wie gewohnt konnten sich die der rechten Szene nahe stehenden Zeugen erneut nicht an Details oder gar Verbindungen in die rechte Szene erinnern. Der zuletzt geladene BKA-Beamte wurde zu den Ermittlungen rund um die Mordwaffe Ceska vor und nach der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios befragt.
von NSU-Watch
ZeugInnen:
- Reinhard Rupprecht (Ministerialdirektor a.D.)
- Jens Gützold (ehemaliger Bekannter Marschners)
- Sebastian Rauh, (Betreiber der Kneipe „White Trash“ in Zwickau zwischen November 2004 und Sommer 2005)
- Rainer Grimm (Hauptkommissar BKA, ermittelte zu Waffenkäufen)
Gefundene SIM-Karten von V-Mann Corelli
Thema im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung war der Fund weiterer SIM-Karten in einem Panzerschrank des BfV. Die SIM-Karten wurden mutmaßlich vom ehemaligen V-Mann Corelli genutzt, blieben jedoch auch nach dessen Tod unbeachtet in der Schublade des zuständigen V-Mann-Führers liegen. Ministerialdirektor a.D. Reinhard Rupprecht präsentierte in Anwesenheit von BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses seinen Bericht zum Umgang des BfV. Der Bericht wurde im Auftrag des Bundesinnenministers angefertigt. Die öffentliche Sitzung begann mit deutlicher Verspätung und wurde mehrfach für nicht-öffentliche Sitzungsteile unterbrochen.
„Durch und durch ein Unsympath“ – Zeuge über Ralf Marschner
Der zuerst geladene Jens Gützold wohnt seit über 20 Jahren in der Zwickauer Polenzstraße und damit in direkter Nachbarschaft der ersten Wohnung des NSU-Kerntrios. Auf Nachfrage konnte er sich nicht erinnern, Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt in der Straße gesehen zu haben. Jedoch bestätigte er, Ralf Marschner gekannt zu haben. Marschner und er hätten sich in den 1990er Jahren über die Skinheadszene kennen gelernt, die Bekanntschaft habe bis in die Jahre 2001/2002 gehalten, sei aber nie eng gewesen. Man habe sich von Zeit zu Zeit in der Kneipe gesehen. In der Kneipe „White Trash“ habe Gützold nach einer Schlägerei Hausverbot erhalten, weil er sich „nicht richtig benommen habe“ im trunkenen Zustand. Angesprochen auf einen Zwischenfall im April 2001 erinnert er sich zwar an eine Schlägerei im „White Trash“, an der Marschner beteiligt gewesen sei. Angesprochen auf Susann H. (heute Eminger) und André Eminger konnte er sich jedoch an keine weiteren Namen erinnern. Sein damaliger Alkoholkonsum, so Gützold, habe ihn sämtliche Namen vergessen lassen.
Gützold beschrieb Marschner als Unsympathen durch und durch, der in allem, was er tat, darauf aus gewesen sei, Geld zu verdienen. Immer wenn er gerade mal Geld gehabt habe, habe er damit geprahlt. In seinem Klamottenladen „Last Resort Shop“ habe Marschner nicht selbst hinterm Tresen gestanden, da habe er Angestellte gehabt, „vier oder so“. Gützold habe den Laden gekannt, Zschäpe habe er dort nie arbeiten sehen. Danach gefragt sagte er, dass Marschner „irgendwie mit dringehangen habe“ im von Rauh betriebenen „White Trash“. Angesprochen auf Kontakte Marschners in die kriminelle Szene, erinnerte sich Gützold an einen Vorfall in Leipzig, bei dem es um viel Geld gegangen sein müsse. Ob das mit den von Marschner verkauften Klamotten etwas zu tun gehabt habe, wisse er nicht. Es könne auch um Drogen gegangen sein – auch damit habe Marschner zu tun gehabt.
Der Einbindung Marschners als Führungsperson der sächsischen Naziszene widersprach Gützold: zwar habe er szenetypische Klamotten in seinem Laden verkauft, in Wirklichkeit habe er jedoch eher der Punkszene nahe gestanden. Von Marschners Band „Westsachsengesocks“ habe er gewusst – ein Konzert oder eine CD habe er jedoch nie gehört. Er könne sich nicht vorstellen, was das BfV von Marschner gewollt habe – wo es diesem doch nur ums Geld gegangen sei.
Aufbrausend und cholerisch sei Marschner gewesen
Als zweiter Zeuge geladen war Sebastian Rauh, Betreiber des „White Trash“ zwischen November 2004 und Sommer 2005. Auf Nachfragen zu seinen Angestellten – zwei Kellnerinnen und ein Koch – antwortete Rauh nur in nicht-öffentlicher Sitzung, was ihm ohne Widerrede zugestanden wurde. Rauh gab an, dass Marschner ihm Geräte aus der Kneipe entwendet habe. Kennengelernt hätten sie sich Mitte 2003 beim Hunde ausführen und zunächst ein gutes Verhältnis gehabt, er sei häufig bei Marschner im „Last Resort“ gewesen. Marschner habe ihm für’s „White Trash“ die Speisekarten gelayoutet. Während Marschners Urlauben habe sich Rauh um dessen Wohnung gekümmert. Die Wohnung habe katastrophal ausgesehen: der Hund habe auf dem Balkon Geschäft machen müssen, Marschner habe Pappteller genutzt, um nicht abwaschen zu müssen. Auch Rauh beschreibt Marschner im Rückblick als „dummen Menschen“ und Unsympathen, der chronisch pleite gewesen sei und „von der Hand in den Mund gelebt“ habe. Auf die Frage, wer Marschner überhaupt gemocht habe, antwortete Rauh: „Seine Hunde“. Rauh beschrieb Marschner zudem als aufbrausend und cholerisch, Leute in der Stadt hätten Angst gehabt vor ihm. In der rechten Szene sei er nicht drin gewesen, in seinem Laden seien Punkrock und Hardcore gelaufen.
Rauh gab an, dass auch Jan Werner, welcher mit der Waffenbeschaffung des Trios in Verbindung gebracht wird, gelegentlich im „Last Resort“ anzutreffen war. Dieser habe Klamotten aus Chemnitz gebracht.
Über den plötzlichen Weggang Marschners seien alle in Zwickau überrascht gewesen. Nach Bekanntwerden der V-Mann-Tätigkeit traue Rauh ihm jedoch alles zu.
Hausverbot für Marschner im „White Trash“
Das „White Trash“ sei ursprünglich nicht als rechtes Lokal gedacht gewesen, dies habe sich jedoch geändert, wenn Ralf Marschner dagewesen sei. Er habe stets „seinen üblichen Rattenschwanz“ dabei gehabt, Leute, die auch bei ihm eingekauft hätten. Ob sie der rechten Szene angehört haben, konnte Rauh nicht sagen. Er habe den Laden schnell wieder schließen müssen. Außerdem habe er Marschner zunächst untersagt, seine Freunde mitzubringen, weil dies schädigend für sein Geschäft sei, und ihm später ein Hausverbot erteilt. Ab diesem Zeitpunkt seien die Einnahmen schlagartig zurück gegangen, sie fielen von 800 € auf 20 € am Tag. Marschner habe es somit geschafft, sämtliche Kundschaft aus dem „White Trash“ fern zu halten.
An Susann Eminger erinnerte sich Rauh noch aus der Zeit seiner Lehre als Hauswirtschaftler; sie hätten dieselbe Schule in Glauchau besucht, danach aber keinen Kontakt mehr gehabt. Andre Eminger kenne er nicht.
Vom NSU erfahren habe Rauh zum ersten Mal aus der Zeitung. Er erinnere sich nicht, das Paulchen-Panther-Symbol auf T-Shirts oder gar auf Marschners Rechner gesehen zu haben. Mit der Szene habe er, Rauh, nichts zu tun. Er verorte sich politisch „neutral“ – kenne aber einzelne Szenemitglieder. Neben Katrin Borowski (siehe Bericht vom 23.Juni 2016) und einem Michael hätten keine weiteren Personen im „Last Resort“ gearbeitet. Borowski kenne Rauh persönlich, man sage sich Hallo und Tschüss, flirte ein wenig miteinander. Borowski sei Verkaufsleiterin im „Last Resort“ gewesen, wenn Marschner nicht da war. Beide hätten ein enges Verhältnis gehabt.
Ermittlungsgruppe Ceska
Der dritte Zeuge, BKA-Hauptkommissar Rainer Grimm, gab einen Überblick zu den Ermittlungsschritten nach dem 4.11.2011 sowie zu den Ermittlungen bezüglich der Ceska. Alle Fragen zur V-Mann-Tätigkeit Marschners wurden durch das Bundesministerium des Innern (BMI) in den nicht-öffentlichen Part der Sitzung geschoben. Die mögliche V-Mann-Tätigkeit Marschners, so Grimm, hätte die Ermittlungsarbeit nicht beeinträchtigt.
Nach dem 5.Mord mit der Ceska sei ein ergänzender Auftrag ans BKA gegangen, potentielle Zusammenhänge und Organisationen zu ermitteln. Grimm selbst sei daraufhin Teil der neu gegründeten Ermittlungsgruppe Ceska (EG Ceska)geworden – und dies bis ca. Juni 2007 geblieben. Während der Ermittlungsarbeiten habe es den klaren Auftrag an die EG Ceska gegeben, sich auf Organisationen und Gruppierungen zu konzentrieren – weshalb sie zunächst in Richtung der organisierten Kriminalität ermittelt hätten, später auch in Richtung politischer, ausländischer Organisationen. Darauf angesprochen sagt Grimm heute, es sei falsch gewesen, ergänzt jedoch, nach bestem Wissen und Gewissen ermittelt zu haben. Es hätten ihm harte Fakten gefehlt, um ein anderes Motiv für weitere Ermittlungsschritte darlegen zu können. Es sei nie von szenetypischen Erscheinungsbildern die Rede gewesen, auch dort wo Täter nachweislich beobachtet wurden.
Grimm sprach von seiner eigenen Fassungslosigkeit, nachdem sich am 4.11.2011 der rechtsextreme Hintergrund der Mordserie herausgestellt habe. Er sei dann nach dem 12.11.2011 direkt zum BKA nach Meckenheim zur BAO Trio geschickt worden. Alles was an Informationen aus den regionalen Einsatzabschnitten gekommen sei, hätten er und sein Kollege sortiert und weitergeleitet. Eine Verbindung in die Schweiz sei zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen und sie hätten diesen Ermittlungsstrang übernommen, mit allen 19 Waffen. Hinzu kamen Koordinierungsaufgaben im Zusammenführen von DNA-Spuren und Personenspuren zu Andreas Temme, Ralf Marschner und Bernd Tödter. Er selbst sei dann im August 2012 ausgeschieden.
Keine Informationen über V-Mann Tätigkeit Marschners
Grimm berichtete von einem einzigen Funkzellentreffer mit einem Zwickauer Anschluss an einem Tattag – es handele sich dabei um den Tatort in der Münchner Trappentreustraße. Der Anruf sei von einer Zwickauer Telefonzelle an ein sich in der Nähe des Tatorts befindliches Handy rausgegangen, circa drei Stunden vor der Tat. Die Hoffnung, ähnliche Treffer an anderen Tatorten zu finden, blieb ohne Erfolg. Clemens Binninger (CDU) fragte den Zeugen nach einem Notizzettel aus der Frühlingsstraße mit der Adresse Holländische Straße 82, einem Grundriss und Frequenzen für die Funkkommunikation. Der Zeuge sagte, die Skizze für den hinteren Raum sei falsch, wahrscheinlich sei der Täter nie im hinteren Teil des Ladens gewesen, die Funkfrequenzen dagegen sprächen dafür, dass der Täter vor Ort gewesen sei. Der Zettel würde Uwe Mundlos zugeordnet.
Petra Pau (Die Linke) fragte den Zeugen nach den verzögerten Reaktionen des BfV auf seine Anfrage nach Informationen zur Person Marschner. Dieser antwortete, sich dabei nichts gedacht zu haben. Als nach insgesamt 40 Tagen eine Antwort kam, hätten die Informationen bereits durch eine Antwort der Sächsischen Polizei vorgelegen. Die Informationen der Polizei seien umfangreicher gewesen als die des BfV. Grimm selbst habe nichts von der V-Mann-Tätigkeit Marschners gewusst, es sei lediglich eine Vermutung eines Kollegen gewesen, dass Marschner für ein LfV oder das BfV tätig sei. Angesprochen auf die Aussage, dass Zschäpe im Laden Marschners gesehen wurde, erwidert der Zeuge, dass dies nicht durch das unmittelbare Umfeld – ehemalige Angestellte, Kunden, Geschäftspartner – bestätigt worden sei. Warum dies nicht als interessensgeleitet hinterfragt wurde? Das sei natürlich theoretisch denkbar, so Grimm. Deswegen hätten große Hoffnungen auf der Auswertung des PCs gelegen. Aber auch dort seien keine Spuren von Zschäpe gefunden worden.
Damit endete die Sitzung. Nach der Sommerpause wird sich der Ausschuss unter anderem mit dem V-Mann-Führer Marschners beschäftigen.