Kurz-Protokoll 316. Verhandlungstag – 13. Oktober 2016

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An diesem Prozesstag sagt zunächst ein Sachverständiger dazu aus, ob die Unterschrift von Marcel Degner auf der Verpflichtungserklärung des Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz echt ist. Er konnte keine Hinweise auf Fälschung feststellen. Degner hatte in der Hauptverhandlung behauptet, kein V-Mann gewesen zu sein. Danach geht es erneut um die Verwendung eines Briefes von Beate Zschäpe an Robin Schmiemann im Verfahren. Die Verteidigung von Ralf Wohlleben stellt einen ihrer umstrittenen Anträge, sie wollen den ehemaligen Pfleger von Rudolf Heß laden, zum Beweis, dass Heß ermordet worden sei. Aufgrund der Ablehnung eines anderen Antrags von ihnen stellt die Verteidigung Wohlleben ein Ablehnungsgesuch gegen die Richter_innen des Senats.

Sachverständiger:

  • Erwin Sadorf (LKA Bayern, Schriftgutachten zur Unterschrift auf der TLfV-Verpflichtungserklärung von Marcel Degner)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Dann folgt die Befragung des SV Erwin Sadorf. Götzl: „Es geht um ein Schriftgutachten, das in Auftrag gegeben wurde. Ich würde Sie bitten, dass Sie uns Ihr Gutachten erläutern.“ Sadorf: „Bei diesem Gutachten ging es um die Frage, ob die Unterschrift ‚Marcel Degner‘ unter einer Erklärung vom 07.01.1999 des LfV Thüringen echt ist oder gefälscht, d.h. vom Namenseigner Marcel Degner herrührt oder von einer anderen Person.“ Es gebe bei der Begutachtung einige Einschränkungen, weil die Unterschrift „relativ formbetont“ und relativ kurz sei. Es handele sich aber um keine grundsätzlichen Einschränkungen. Sadorf sagt, er habe Vergleichsmaterial gehabt, 39 [phon.] Vergleichsunterschriften, die Einblick in Degners Unterzeichnungsweise gegeben hätten.
Es handele sich um Unterschriften aus den Jahren 2004 bis 2016. Insofern gebe es hier keine „Zeitgerechtigkeit“ [phon.], aber doch die Möglichkeit, mit der Unterzeichnungsweise vertraut zu werden. Die fragliche Unterschrift liege im Original vor, es handele sich um eine primäre Schreibleistung von Hand. Schriftvergleichend ergäben sich weitgehende Übereinstimmungen, lediglich einige wenige Merkmale würden nicht in der Variationsbreite liegen, seien aber erklärbar durch entwicklungsbedingte Veränderungen. Es gebe keine Merkmale, die auf eine Fälschung hinweisen würden.

Es folgt ein Antrag, der von Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders verlesen wird. Schneiders verliest, dass der Senat es für erforderlich gehalten habe, auf Antrag von NK-Vertreter_innen am 311. Verhandlungstag Asservate, die während der Durchsuchung der Wohnung von Wohlleben aufgefunden wurden, in Augenschein zu nehmen sowie die Inhalte zu verlesen: „Einer der Aufkleber bezeichnet den Tod von Rudolf Heß als Mord. Offensichtlich erachtet der Senat die Umstände und die Bewertung des Todes von Rudolf Heß als Mord, obwohl zwischen der angeklagten Tat und der Sicherstellung des Aufklebers mehr als 11 Jahre vergangen sind, für die Tat- und Schuldfrage als beweiserheblich.
Die Verteidigung besorgt, dass der Senat die Behauptung, Rudolf Heß sei ermordet worden, als vermeintliche Propagandabehauptung ohne Tatsachengrundlage zum Nachteil unseres Mandanten bewertet. Die nachfolgend beantragte Beweiserhebung wird indes ergeben, dass sich der Schluss aufdrängt, dass Rudolf Heß ermordet wurde. Zur Bewertung des Inhalts des in Augenschein genommenen und verlesenen Aufklebers ist dies seitens des Senats aufzuklären.“ Schneiders beantragt Abdallah Melaouhi aus Berlin zu laden.
[Schneiders verliest im Folgenden umfangreich Melaouhis Darstellung der Todesumstände von Rudolf Heß. Melaouhi war einige Jahre bis zum Suizid von Heß am 17.08.1987 im Kriegsverbrechergefängnis Spandau dessen Pfleger. Melaouhi hat ein Buch veröffentlicht, demzufolge Heß sich nicht selbst umgebracht habe, sondern von den Alliierten ermordet worden sei. Dies versucht Melaouhi mit seinen angeblichen Erlebnissen am 17.08.1987 zu belegen. Zu diesem Thema tritt Melaouhi seit einigen Jahren immer wieder auf neonazistischen Veranstaltungen auf. Die Behauptung, Rudolf Heß sei ermordet worden, erfreut sich in der Neonaziszene großer Beliebtheit. Zur Bedeutung des Heß-Mord-Mythos siehe: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/25-jahre-mythos-%C2%BBrudolf-he%C3%9F%C2%AB]
RA Hoffmann: „Der Antrag ist zurückzuweisen. Es ist bezeichnend, dass uns die Verteidigung Wohlleben hier Propaganda präsentiert wie sie seit Jahrzehnten, seit dem Tod von Rudolf Heß von den schlimmsten Nazizeitungen verbreitet wird. Es wäre angemessen, den Angeklagten Wohlleben zu fragen, ob er sich inhaltlich anschließt, weil das Rückschlüsse auf seine eigene politische Einstellung zulässt.“
NK-Vertreter RA Behnke: „Ich komme zurück auf den Antrag von Rechtsanwältin Schneiders. Ich bin der Auffassung, dass er zurückzuweisen ist, weil er mit der Sache, die hier verhandelt wird, nichts zu tun hat.“ RA Reinecke: „Ich teile das. Da wird ein Aufkleber in Augenschein genommen und – im Rahmen des Beschleunigungsgrundsatz, der gerne zitiert wird – soll jetzt auch noch die Frage geklärt werden, wie Rudolf Heß zu Tode gekommen ist. Die Verknüpfung macht deutlich, dass es nicht um die Sache geht, sondern darum hier Propaganda in das Verfahren zu bringen.“

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass den Anträgen, sämtliche beim GBA geführten Verfahrensakten zu Ermittlungen gegen mutmaßliche NSU-Unterstützer beizuziehen etc. [298. Verhandlungstag] nicht nachgekommen wird. Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze sei nicht erkennbar, dass der Inhalt der Akten im Hinblick auf eine mögliche Schuld- und/oder Rechtsfolgenfrage zu einem Aufklärungsgewinn führen könnte. Götzl führt aus, dass die Antragsteller die Beiziehung aller vom GBA geführten Verfahrensakten gegen „namentlich bekannte und unbekannte Unterstützer des sogenannten NSU“ und insbesondere die gegen Jan Werner sowie gegen Unbekannt beantragt hätten.
Götzl: Der Inhalt von Verfahrensakten gegen Personen, die im Verdacht stehen, den „NSU“ unterstützt zu haben, ist aber nicht aufgrund des bestehenden Verdachts von vornherein für hiesiges Verfahren im genannten Sinn von Bedeutung. Eine derartige Relevanz ergibt sich auch nicht aus dem hier vorliegenden Akteninhalt und aus der bisher durchgeführten Beweisaufnahme. Die Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung deuten im Gesamtzusammenhang betrachtet ebenfalls nicht in diese Richtung.
Dies gelte, so Götzl, auch hinsichtlich des Verfahrens gegen Unbekannt, dort sei noch nicht einmal bekannt, wer z.B. möglicher Unterstützungshandlungen verdächtig ist. Bezogen auf die Akten des Verfahrens gegen Jan Werner gelte zusätzlich, dass der Senat Werner als Zeugen vernommen habe. Werner habe von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Vernehmung der Polizeibeamten G. und St. zu den Angaben Werners ihnen ggü. im Ermittlungsverfahren habe keinen Hinweis auf einen Zusammenhang mit den im vorliegenden Verfahren relevanten Umständen zur möglichen Schuld- und/oder Rechtsfolgenfrage bei den angeklagten Personen ergeben.
Götzl sagt, dass die Antragsteller nicht ausführten, woraus sich die Relevanz der beizuziehenden Akten im vorliegenden Verfahren ergeben solle, würden aber darauf hinweisen, dass die Sichtung der vom GBA am 12.07.2016 zur Akte gereichten Vernehmungsniederschriften des Sven Kl. vom 20.06.2013 und des Mirko Sz. vom 21.06.2013 und vom 11.07.2013 ergeben hätte, dass diese Vernehmungen die angeklagte Tat betreffen und Wohlleben entlasten würden. Vernehmungsniederschriften des Frank Wu. hätten sich laut den Antragstellern nicht bei den zu den Akten gereichten Unterlagen befunden.
Aus der Vorgehensweise des GBA, so Götzl weiter, lasse sich kein Anhaltspunkt gewinnen, dass von Seiten der Anklagebehörde relevante, Wohlleben entlastende Vernehmungsniederschriften zurückgehalten worden sind: Der Vortrag der Antragsteller, die Sichtung der Vernehmungsniederschriften von Sven Kl. und Mirko Sz. hätte ergeben, dass diese Vernehmungen die angeklagte Tat betreffen, verfängt nicht.
Dem Hilfsantrag, dem GBA aufzugeben, der Verteidigung Wohlleben eine Übersicht über sämtliche im sogenannten NSU-Komplexes eingeleiteten Ermittlungsverfahren sowie die in ihnen durchgeführten Vernehmungen unter Nennung des jeweiligen Vernehmungsgegenstandes mitzuteilen, könne nicht entsprochen werden, so Götzl, weil dem Gericht keine Rechtsgrundlage zur Verfügung stehe, den GBA wie beantragt anzuweisen. Götzl legt mit Bezug auf die StPO dar, warum keine Rechtsgrundlage dafür vorliege, dann sagt er, dass der GBA zur Wahrung des von der Verteidigung vorgetragenen Interesses auf Informationen aus diesem Aktenbestand in seiner Stellungnahme vom 20.7.2016 aufgezeigt habe, welche Möglichkeiten für die Verteidigung Wohlleben bestehen würden, Kenntnis vom Inhalt dieser Akten zu erhalten.

RA Klemke: „Wir beantragen die Unterbrechung der Hauptverhandlung für 90 Minuten. Es ist ein umfangreicher Beschluss, wir wollen den Beschluss mit unserem Mandanten besprechen und etwaige weitere prozessuale Schritte überlegen.“ Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen. Wir setzen fort um 13:30 Uhr.“ Um 13:40 kommt die Durchsage, dass die Hauptverhandlung erst um 16 Uhr fortgesetzt werden soll. Danach verliest Klemke ein Ablehnungsgesuch Wohllebens gegen den gesamten Senat. Gegenstand des Ablehnungsgesuches sei der heute verkündete ablehnende Beschluss zum Antrag auf Beiziehung sämtlicher Verfahrensakten etc. Der Verhandlungstag endet um 16:20 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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