Kurz-Protokoll 317. Verhandlungstag – 26. Oktober 2016

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An diesem Verhandlungstag geht es um eine mögliche Ausspähung der Synagoge Rykestraße in Berlin durch den NSU. Zunächst nimmt Beate Zschäpe Stellung und lässt verlesen, sie seien zwar in Berlin gewesen, allerdings habe eine Ausspähung nicht stattgefunden. Danach ist der damalige Wachhabende, dem Beate Zschäpe im Jahr 2000 aufgefallen sei, als Zeuge geladen. Er erzählt, wie die Gruppe ihm auf seinem Rundgang aufgefallen sei und er später die Sendung ‚Aktenzeichen XY‘ mit dem Fahndungsaufruf nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gesehen habe. Danach habe er sich bei der Polizei gemeldet, die habe ihn vernommen und er habe die Frau identifizieren können. Nach der Zeugenvernehmung geht es noch um weitere Anträge.

Zeuge:

  • Frank Gr. (Erkenntnisse zu einer möglichen Sichtung von Beate Zschäpe in Berlin, mögliche Ausspähung der Synagoge Rykestraße am 07.05.2000)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:49 Uhr. Auf der Empore haben relativ viele Besucher_innen und Pressevertreterinnen Platz genommen. Anwesend ist heute ausnahmsweise Zschäpes Verteidiger RA Borchert. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Bevor wir zu dem für heute geladenen Zeugen kommen, die Frage an Sie, Frau Zschäpe: Sollen denn die Fragen zu Berlin beantwortet werden?“ Zschäpe-Verteidiger RA Borchert: „Ja.“ Götzl: “ Götzl: „Dann bitte ich darum.“ Zschäpe-Verteidiger RA Grasel beginnt mit der Verlesung:

Die Fragen des Senats vom 12.10.2016 beantworte ich wie folgt:
Frage: Haben Sie sich am 07.05.2000 in Berlin aufgehalten? Wenn ja, waren Sie in Begleitung weiterer Personen? Wo haben Sie sich gegebenenfalls aufgehalten und wie waren die näheren Umstände des Aufenthaltes?
Antwort: Ob ich mich am 07.05.2000 in Berlin aufgehalten habe kann ich heute nicht mehr sagen.
Ich erinnere mich, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und ich zwei Jahre nach unserem Untertauchen, etwa im Frühjahr/Sommer 2000 in Berlin waren. Ich meine mich zu erinnern, dass es vor dem Umzug in die Heisenbergstraße 6 in Zwickau gewesen war. Es gab keinen besonderen Grund für die Reise, außer, dass wir mal aus Chemnitz rauskommen wollten, das heißt, dass wir ein Wochenende in der Großstadt Berlin verbringen. Wir sind an einem Wochenende mit dem Zug nach Berlin gefahren. Dort übernachteten wir in einer Pension, deren Namen ich beim besten Willen nicht mehr weiß. Ich erinnere mich daran, dass wir die meiste Zeit in der Innenstadt waren und dort erinnere ich mich insbesondere an das KADEWE, weil ich ein solches Kaufhaus noch nicht erlebt hatte. Wir waren auch am Alexanderplatz und am Brandenburger Tor.
Wir sind tagsüber ab und zu in ein Cafe gegangen, wobei mir eine Gaststätte namens „Wasserturm“ unbekannt ist. Ich hatte mit Uwe Mundlos und/oder Uwe Böhnhardt zu keinem Zeitpunkt eine Synagoge aufgesucht, oder, wie es der Vertreter der Nebenklage formuliert, ausgespäht. Ich kenne keine Synagoge in Berlin. Meine beiden Verteidiger haben mir Bilder gezeigt, die die Rykestraße in Berlin und den Eingangsbereich zum Innenhof der Synagoge zeigen – ich kann mich an diese
Örtlichkeit nicht erinnern.

Götzl: „Ist das Ihre Erklärung, Frau Zschäpe?“ [Zschäpe stimmt wohl zu.]

Es folgt die Einvernahme des Zeugen Frank Gr. Götzl: „Es geht uns um einen Zeitpunkt Mai 2000, hier geht es uns darum, ob Sie irgendwelche Beobachtungen in Zusammenhang mit der Tätigkeit als Polizeiangestellter gemacht haben, Berlin, Postendienst Synagoge. Mir käme es darauf an, dass sie im Zusammenhang berichten.“ Gr.: „Ja, gut, das ist 16 Jahre her jetzt, aber ich kann mich noch soweit erinnern: Ich hatte Tagdienst gehabt und bin meine Streife gelaufen vor der Synagoge. Der Sicherheitsbereich erstreckte sich auf die Gaststätten, die Kneipen neben der Synagoge. Damals war Mai, es waren schon Biergärten. Wir mussten nicht nur die Synagoge selbst bewachen, sondern auch das Umfeld sondieren. Drei Personen sind mir aufgefallen, eine junge attraktive Frau mit zwei jungen Männern. Die ließen sich in der Eckkneipe nieder. Irgendwie passte die junge Frau nicht zum Publikum, was da sonst verkehrte, vom Aussehen her, von der Kleidung her. Die jungen Männer habe ich mir nicht so gemerkt.
Ein paar Tage später abends haben wir die Sendung Kripo Live geguckt im Fernsehen, da stellte das LKA Thüringen drei Personen zur Fahndung mit Bildern vor. Ich habe die junge Frau erkannt. Ich habe da angerufen, die haben das weitergeleitet ans LKA Berlin, dann kam ein Anruf, ich musste Hals über Kopf dort hin und Aussage machen. Die haben mir eine Menge Fotos vorgelegt und auf einem dieser Fotos habe ich die junge Frau auch wiedererkannt. Bei den jungen Männern musste ich leider passen, weil, wie gesagt, die hatte ich nicht so im Blickfeld und einer war auch kurz danach wieder weg gewesen.
Götzl: „Diese Synagoge und das Umfeld, was Sie im Rahmen Ihres Dienstes betreut haben, wo befand sich das?“ Gr.: „Das war die Rykestraße, oder ist die Rykestraße, die gibt es ja noch.“ Götzl: „Können Sie denn die Frau – haben Sie da was das Aussehen anbelangt noch eine Erinnerung?“ Gr.: „Gesichtsmäßig muss ich jetzt passen, aber Haarfarbe war schwarz, ziemlich langes, wallendes Haar und eine schlanke Figur. Die drei haben sich ziemlich lebhaft dort benommen.“
Götzl: „Sie hatten geschildert, dass Sie dann von der Polizei vernommen worden sind, wann war das?“ Gr.: „Wo ich dort angerufen habe beim LKA Thüringen, war das dann vielleicht ein oder anderthalb Wochen später, also es war ziemlich kurz aufeinander folgend.“ Götzl sagt, es liege ein Protokoll der Vernehmung vor. Götzl: „Haben Sie zur Vernehmungssituation noch eine Erinnerung, von wem Sie vernommen wurden, wie viele Personen?“
Gr.: „Es waren zwei Personen anwesend und die befragten mich hauptsächlich über das Aussehen und deswegen haben Sie mir die Fotos vorgelegt, ihnen ging es hauptsächlich darum, ob ich da wen wiedererkenne. Die junge Frau habe ich da wiedererkannt.“
Vorhalt: Kurz nach 13 Uhr fiel mir rechterseits der Eingangstür eine Frau auf, welche für meinen Geschmack sehr gut aussah und im Stile der 60er Jahre gekleidet war. Gr.: „Ja, das war aufgrund der sehr bunten Bluse gewesen.“ Vorhalt: Dementsprechend habe ich die Frau auch angeschaut, worauf diese mit einem giftigen Blick erwiderte. Gr.: „Daran kann ich mich jetzt nicht mehr so erinnern.“ Vorhalt: Zu dieser Zeit nahm ich auch die beiden männlichen Begleiter und eine weitere weibliche Person wahr. Gr.: „Kann ich mich nicht mehr erinnern. Auch das weiß ich nicht mehr so genau.“
Vorhalt: Alle vier saßen an einem Tisch. Die Personen waren während meiner Beobachtung [phon.] mit einem Stadtplan oder Landkarte beschäftigt. Götzl: „Haben Sie das noch in Erinnerung?“ Gr.: „Wie gesagt, ich habe nie wieder davon gehört und da habe ich das alles vergessen.“ Vorhalt: Des weiteren konnte ich noch zwei Kinder, das eine ca. 2 Jahre und das andere 3 oder 4 Jahre alt wahrnehmen, diese spielten in der Nähe des Tisches. [phon.] Gr.: „Da waren öfters Kinder dort und vielleicht [phon.] sind sie mir aufgefallen weil sie lebhaft gewesen sind.“
Vorhalt: Kurz vor 20 Uhr am gestrigen Abend schaute ich dann unter anderem Fernsehen. Auf dem MDR lief die Sendung Kripo Live, welche ich teilweise verfolgte. Da ich mich zum Teil in der Küche befand, habe ich die Sendung nur unvollständig wahrgenommen. Als ich rein kam, wurden drei Fahndungsfotos von Personen in Zusammenhang mit rechtsgerichteten Straftaten dargestellt. [phon.] Gr.: „Das ist natürlich möglich, dass es damals noch am gleichen Abend passiert ist, wo ich die Sendung gesehen habe, deswegen wahrscheinlich auch das Wiedererkennen, und am nächsten Tag zum LKA geladen wurde.
NKRA Scharmer: „Konnte man vom Biergarten des, wie Sie sagen, Gagarin in den Sicherheitsbereich schauen, der von den Pollern umgeben war?“ Gr.: „Also auf diesen Vorbereich [phon.] konnte man schauen, ja .“
Götzl: „Erklärungen?“ NK-Vertreter RA Daimagüler. „Der Zeuge hat bekundet, dass der Eingangsbereich zur Synagoge gesichert war, dass dort Steine waren, Objekte waren, die verhindern sollten, dass dort geparkt wird, dass Polizeibeamte sichtbar zum Objektschutz eingesetzt waren, und dass der Eingangsbereich vom angrenzenden Restaurant einsehbar war. Und dass das ganze am 07. Mai 2000 stattgefunden hat. Am 09. September 2000 gab es den ersten bekannten Mord an Enver Şimşek in Nürnberg und am 21. Dezember den ersten Bombenanschlag auf das Geschäft der Familie [N.] in der Probsteigasse Köln. Nach den Aussagen des Zeugen heute und den zeitlichen Abläufen drängt sich für mich der Eindruck auf, dass durchaus die Synagoge ausgespäht worden ist, dass aber bemerkt wurde, dass die Synagoge geschützt ist und dann der Entschluss gefasst wurde, sich nach weichen, ungeschützten Zielen umzusehen: In Nürnberg Enver Şimşek und drei Monate später das Geschäft der Familie [N.] in Köln.“

Götzl: „Ich hätte dann noch hier Fragen an Sie, Frau Zschäpe. Die erste Frage wäre: Verfügen Sie über Informationen zu Peggy K., die Sie nicht aus den Medien haben? Dann die Frage: Wer nutzte den als Asservat EDV 01 OC AMD bezeichneten PC [phon.], der laut KHM Le. unter dem Hochbett im Brandbereich E aufgefunden wurde? Befanden sich auf der Festplatte des PC Bilder von Kindern und Jugendlichen? Und welche Informationen haben Sie ggf. zu diesen Bildern? Wollen Sie dazu Angaben machen?“ RA Borchert: „Wird schriftlich erfolgen, Herr Vorsitzender.“

Götzl: „Dann kommt zur Verlesung die Anlage 1 Seite 2 Sachsen.“ Richter Lang verliest den Artikel: „‚Seite 2, Freie Presse, Sachsen, Donnerstag, 15. Juni 2000‘ Auf der linken Seite, unten links: ‚Luftgewehr-Schuss auf Arbeiter. Chemnitz. Ein 23-jähriger Arbeiter ist in Chemnitz mit einem Luftgewehr beschossen worden. Laut Polizei führte der Mann Reinigungsarbeiten auf einer Baustelle aus, als er plötzlich einen Schmerz im rechten Unterarm spürte. Ein Arzt entfernte aus dem Arm einen Diabolo. (HR)“ Die Seite wird dann kurz in Augenschein genommen. Götzl: „Dann Verlesung, Seite 15, Lokalseite Chemnitz, Anlage 2.“ Wieder verliest Richter Lang: „‚Freie Presse, Chemnitzer Zeitung, Seite 15, Donnerstag, 15. Juni 2000.‘ ‚Auf Bauarbeiter wurde geschossen. Auf einen Bauarbeiter in der Wolgograder Allee wurde gestern gegen 10:15 Uhr mit einer Luftdruckwaffe geschossen. Der Arbeiter, der mit Kehren beschäftigt war, verspürte einen Schmerz im rechten Unterarm. Der Arzt entfernte ihm ein Diabolo, Die Polizei bittet Zeugen
um Hinweise (0371/3872319).'“ Auch diese Seite wird kurz in Augenschein genommen.

Dann stellt RAin v. d. Behrens einen Beweisantrag: In der Strafsache gegen Zschäpe u.a. 6 St 3/12 wird beantragt, die über das Landesamt für Verfassungsschutz namentlich zu machende Zeugin, die mit Jan Werner bekannt ist und die am 7. Mai 2000 mehrfach mit Jan Werner telefonierte, zu laden und in der Hauptverhandlung zu dem Beweis der Tatsache zu hören, dass sie um die Mittagszeit des 7.5.2000 zusammen mit ihren zwei Kindern, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt oder Jan Werner im Restaurant Wasserturm, Rykestraße/Ecke Knaackstraße, in Berlin war, und
dass zumindest Beate Zschäpe und Uwe Mundlos sich die Synagoge näher betrachtet haben, Kartenmaterial anschauten und sich dazu Aufzeichnungen gemacht haben.

Der Verhandlungstag endet um 14:22 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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