Kurz-Protokoll 318. Verhandlungstag – 27. Oktober 2016

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An diesem Verhandlungstag geht es erneut um die Angaben von Carsten Schultze zu einem Angriff an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla. Dazu sagt zunächst Steffen Gu. vom Jenaer Nahverkehr aus. NK-Vertreter RA Langer wird danach als Zeuge zu von ihm recherchierten Zeitungsartikeln befragt. Im Anschluss daran folgt auf eine Antragsablehnung durch Götzl ein Ablehnungsgesuch gegen den ganzen Senat durch die Verteidigung Wohlleben.

Zeugen:

  • Steffen Gu. (Jenaer Nahverkehr, örtliche Gegebenheiten an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla)
  • Hardy Langer (Rechtsanwalt, NK-Vertreter, Authentizität von Kopien von Zeitungsartikeln)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:47 Uhr. Erster Zeuge ist Steffen Gu. Götzl: „Es geht uns um eine bestimmte Örtlichkeit, den Bereich der Wendeschleife der Straßenbahnendhaltestelle an der Rudolstädter Straße Ende der 90er Jahre, 1998/99“ Gu.: „Mir ist die Örtlichkeit bekannt, das Grundstück ist im Eigentum des Jenaer Nahverkehrs. Zu der Zeit kann ich aber keine Aussagen treffen, da ich erst seit 2014 Geschäftsführer des Jenaer Nahverkehrs bin.“ Götzl: „Die Örtlichkeit selbst, haben Sie die vorher schon mal gesehen?“ Gu.: „Ja, ich habe mein halbes Leben in Jena verbracht, insofern ist mir die Haltestelle Winzerla bekannt.“ Götzl: „Haben Sie sonst Bezug auch zu dem Bereich gehabt?“ Gu.: „Wie gesagt, ich habe jetzt beruflichen Bezug, ansonsten wie jeder andere in Jena auch, wenn er mit der Straßenbahn gefahren ist.“ Götzl: „Es geht darum, ob sich in dem Bereich ein Holzhäuschen befunden hat, könne Sie dazu was sagen, unabhängig von Ihrer Geschäftsführertätigkeit?“ Gu.: „Ich habe versucht, im Archiv des Jenaer Nahverkehrs nachschauen zu lassen. Es ist mir nicht gelungen, ein Holzhäuschen irgendeiner Art festzustellen. Auf der Wendeschleife wurde in den 80er Jahren massiv gebaut, das steht auch noch, ein Stahlbetonbau. Was ich weiß, ist, dass das Nachbargrundstück über ein Holzgebäude verfügt, das ist ein Imbiss. Ich muss gestehen, ich war nie drin. Kann man von der Straße erkennen, es wird beworben. Ich kann leider nichts dazu sagen.“
Götzl: „Was Ihre eigene Erinnerung anbelangt?“ Gu.: „Ende der 90er Jahre war ich wenig in der Gegend unterwegs, ich kann mich da wirklich nicht an ein Holzhaus erinnern. Aus meiner früheren Tätigkeit in der Rudolstädter Straße ist mir dieses Holzhaus von der Ansicht bekannt. Ich war aber nicht dort, kenne den Imbiss nicht. Ich kann ihnen da wirklich nichts sagen, was das noch näher beschreibt.“ Der Zeuge wird um 10:20 Uhr entlassen.

Es folgt die Einvernahme des NK-Vertreters RA Langer. Götzl: „Sie wissen, worum es geht, es geht um diese Artikel.“ Langer: „Mir war jetzt nicht ganz klar, geht es nur um Freie Presse oder um beide?“ Götzl: „Es geht eigentlich um beide, auch um den Artikel der OTZ.“ Langer berichtet, dass er am 29./30. in Jena in der Thüringer Uni-und Landesbibliothek gewesen sei und sich die Jahrgänge 1998/99 habe raussuchen lassen, das seien 43 Bände gewesen. Er habe nicht alles durchgeguckt, sondern die OTZ sei so aufgebaut gewesen, dass vorn immer das Hauptblatt gewesen sei und dann die Regionalseiten. Er habe immer die Titelseite, die Thüringen-Seite und die Seite „Jena und Umgebung“ durchgesehen. Da sei er auf den Artikel gestoßen und habe das dann fotografiert, weil man dort nicht kopieren dürfe. Bei der „Freien Presse“ habe er über die Unibibliothek Leipzig herausbekommen, dass die Lokalausgabe Chemnitz in der Staatsbibliothek in Berlin lagert. Er habe vorher drum gebeten, dass ihm die Bände vom Zeitraum Mitte 2000 gegeben werden und sei am 5.9. [phon.] dort gewesen und habe es eingesehen. Auch dort habe er nur Fotos machen dürfen und habe Titelseite, Lokalseite Sachsen und Lokalseite Chemnitz immer durchgeblättert.
Klemke: „Was war Ihre Motivation, die Erzählung des Carsten Schultze nachzuprüfen, nachzuforschen, ob es dort laut Presseberichten zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen ist?“ OStA Weingarten: „Ich beanstande die Frage als nicht zur Sache gehörig. Die Frage, aus welcher Motivation der Zeuge Recherchen vornimmt, ist im Hinblick auf Schuld- und Rechtsfolgenfragen unerheblich. Insbesondere vor dem Hintergrund des Gegenstands der Aussage des Zeugen. Es geht nämlich nur um die Authentizität der Kopien. Die Frage ist provokativ.“
Klemke: „Sie ist nicht provokativ. Wenn eine solche Behauptung aufgestellt wird, muss sie auch belegt werden. Außerdem ist die Frage zulässig und zur Sache gehörig, weil es schon interessant ist, dass ein Nebenklägervertreter hier den Fragen nachgeht, um die Glaubwürdigkeit eines Angeklagten zu stützen. Von daher kann man das schon nachfragen.“ Götzl: „Soll die Beanstandung aufrecht gehalten werden?“ Weingarten: „Ich halte einen Beschluss des Senats nicht für erforderlich.“ Langer: „Es ist in der Tat so, dass ich der Aussage von Herrn Schultze kritisch gegenüberstand, auch in anderen Teilen. Ich bin auch der Meinung, das war eine innere Tatsache, das sind Anhaltspunkte, die er benannt hat, die haben sich bestätigt. [phon.]“
Nach einer Pause bis 10:59 Uhr kommt dann die Kopie des Artikels aus der Ostthüringer Zeitung vom 29.07.1998 zur Verlesung. Der Artikel wird von Richter Dr. Lang verlesen: Noch immer keine Spur von den Schlägertypen. Polizei sucht Zeugen zur Körperverletzung. Jena (OTZ). Die Polizei sucht weiter Zeugen, die Hinweise zur Körperverletzung vom 12. Juli (OTZ berichtete) geben können. Gegen 2.45 Uhr wurden an der Straßenbahnhaltestelle Winzerla zwei junge Männer von sieben bis acht anderen jungen Männern angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Einer mußte mehrere Tage in der Klinik verbringen. Nach Aussagen der Geschädigten waren die Täter ca. 180 cm groß, kurzgeschoren und mit Bomberjacken bekleidet. Einer war sehr kräftig. Bisherige Ermittlungen der Polizei haben noch nicht zur Aufklärung der Straftat geführt. Zeugen, die Angaben zur Straftat machen können, werden gebeten, sich mit Ermittlern der Polizei in Lobeda (39 46 71) oder der Polizeiinspektion Mitte (810) in Verbindung zu setzen. Danach wird die Kopie der kompletten Zeitungsseite mit dem Artikel in Augenschein genommen.

Götzl verkündet dann den Beschluss, dass die Anträge der Verteidigung Wohlleben auf Vernehmung von Ursula Hi. abgelehnt sind und den Anträgen, die im von Hi. in ihrem Ermittlungsbericht erwähnte Email-Korrespondenz zwischen dem Ermittlungsbeamten Bü. und Andreas Zb. vom Dezember 2008 bei den Schweizer Behörden beizuziehen und Akteneinsicht zu gewähren, nicht nachgekommen wird. Die Anträgen auf Vernehmung von Hi. hätten, so Götzl, abgelehnt werden können, weil die Einvernahme der Zeugin nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Götzl macht allgemeine Ausführungen zur Ladung von Auslandszeugen und zur Aufklärungspflicht. Dann sagt er, dass die Aufklärungspflicht nicht dazu dränge, die in der Schweiz zu ladende Zeugin Hi. zu den unter Beweis gestellten Tatsachen zu vernehmen.

RAin Schneiders beantragt die Erteilung einer Abschrift und eine 30-minütige Pause zur Besprechung mit dem Mandanten. Götzl: „Dann setzen wir fort um 14:15 Uhr.“ Um 14:21 Uhr wird durchgesagt, dass die Hauptverhandlung erst um 16 Uhr fortgesetzt werde. Gegen 16 Uhr wird durchgesagt, dass es um 16:45 Uhr weitergehen soll.
Um 16:55 Uhr geht es dann tatsächlich weiter. RA Nahrath verliest ein Ablehnungsgesuch Wohllebens gegen den Senat. Zunächst gibt er Teile des heutigen Beschlusses wieder und schildert den prozessualen Hergang aus Sicht der Verteidigung Wohlleben. Dann führt er zur konkreten Begründung des Befangenheitsantrags aus, dass die im Beschluss aufgeführten Gründe sich aus Sicht Wohlleben als objektiv willkürlich erwiesen, da sie „selektiv belastend und ergebnisorientiert“ seien. Die abgelehnten Richter ließen zudem im Rahmen ihrer antizipierten Beweiswürdigung bedeutsame Unterschiede außer Acht, so Nahrath weiter. Die Verteidigung Wohlleben habe beantragt, Hi. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass das Postempfangsscheinbuch der Familie Ge. bzgl. der beiden Versandeinträge im April und Mai 1996 im Waffenbuch der Firma
Schläfli & Zbinden keine hiermit korrespondierenden Paketeingänge ausgewiesen habe. Der Senat meine, die Aufklärungspflicht dränge nicht hierzu.
Der Senat führe eingangs aus, dass von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden könne, wenn er nur zu Beweisthemen benannt ist, die lediglich indiziell relevant sind oder die Sachaufklärung sonst nur am Rande betreffen: „Schon diese Erwägung erscheint objektiv willkürlich, da es sich bei dem Weg, den die Ceska 83 gemäß der Hypothese der Bundesanwaltschaft nach Deutschland genommen hat, für die Frage, ob unser Mandant an der Beschaffung der Tatwaffe oder aber an der Beschaffung irgendeiner anderen Waffe beteiligt war, von ausschlaggebender Bedeutung ist. Der gesamte Prozess gegen unseren Mandanten stützt sich ausschließlich auf Indizien. Weder der Mitangeklagte Schultze noch irgendein Beweismittel belegen für sich allein die Verwirklichung auch nur eines Tatbestandmerkmals. Von daher kann es nicht darauf ankommen, ob die Bekundung, zu welcher die Zeugin benannt ist, nur indizielle Bedeutung hat.“
Nahrath weiter: „Im Übrigen ist es für den Angeklagten Wohlleben und jeden vernünftigen Angeklagten in seiner Lage offenkundig, dass die abgelehnten Richter ausschließlich Schweizer Auslandszeugen laden und vernehmen, die die Anklagehypothese stützen könnten. Gegenläufigen Beweisanträgen stehen sie nicht mehr offen gegenüber. Aus Sicht des Angeklagten haben sie sich hinsichtlich des Weges der Tatwaffe endgültig festgelegt und begründen dies, wie dargelegt, selektiv und objektiv willkürlich. Der Verhandlungstag endet um 17:17 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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