Protokoll 315. Verhandlungstag – 12. Oktober 2016

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An diesem Verhandlungstag geht es erneut um den Überfall durch Neonazis an der Wendeschleife in Jena-Winzerla, den der Angeklagte Carsten Schultze schilderte. Dazu ist der ehemalige Ortsbürgermeister von Winzerla geladen, der die Örtlichkeit beschreiben soll, insbesondere was ein Holzhaus in der Mitte der Wendeschleife angeht. Außerdem geht es um verschiedene Anträge und Stellungnahmen.

Zeuge:

  • Mario Sch. (Ehemaliger Ortsbürgermeister Jena-Winzerla, Örtliche Verhältnisse an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla, Erkenntnisse zu Ralf Wohlleben)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Heute ist Ralf Wohllebens Frau Jacqueline anwesend, sie sitzt neben ihrem Mann. Anwesend ist außerdem als Nebenkläger ein Betroffener des Anschlags in der Kölner Keupstraße. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Wir haben für heute den Zeugen Sch. geladen. Rufen Sie ihn bitte auf!“ Der Zeuge Mario Sch. betritt den Saal. Nach Belehrung und Personalienfeststellung sagt Götzl: „Es geht uns um die örtlichen Verhältnisse an einer ganz bestimmten Stelle und zwar an der Wendeschleife Straßenbahnendhaltestelle in der Rudolstädter Straße in Jena-Winzerla. Und zwar im Zeitraum 1998 bis 2000. Und zusätzlich um die Frage, welche Baulichkeiten sich dort befanden und die Frage insbesondere, ob ein Holzhäuschen sich dort befunden hat. Ich würde Sie bitten, uns das zu berichten, was Sie uns dazu sagen können.“ Sch.: „Ja, als ich die Vorladung bekam, stand da was von einer Baracke. Da musste ich lange überlegen, was meinen die mit Baracke. Das einzige, was da hinten holzmäßig [phon.] steht, ist eine Gartenbude aus dem Baumarkt, eine Imbissbude, Grand Canyon. War mal eine Bikerkneipe. Das wäre das einzige, was aus Holz da stehen könnte.“ Götzl: „Inwiefern waren Sie damit befasst und inwieweit kennen Sie sich dort aus?“ Sch.: „Ich wohne in Winzerla und dadurch, dass man ab und zu mit der Straßenbahn fährt, kennt man diese Hütte, sage ich mal. Aber mehr weiß ich jetzt auch nicht. Es ist wie gesagt sehr lange her. Man geht daran vorbei. Ich kann mich erinnern, dass wir mal kurz drinne waren und ein Eis am Stiel geholt haben, das war das einzige Mal dass ich drinne war. Mehr kann ich auch nicht sagen.“

Götzl: „Sie sind hereingeführt worden und haben einen Blindenhund dabei. Da muss ich nachfragen, seit wann Sie blind sind. Oder: Sind Sie blind oder sehend?“ Sch.: „Ich bin nicht schwarzblind, die Lichter oben sehe ich schon noch. Nicht böse sein, wenn ich Sie nicht anschaue. Zur damaligen Zeit konnte ich wesentlich besser sehen. Das fing 2002, 2003 an, dass es schlechter wurde und richtig akut vor sieben, acht Jahren.“ Götzl: „Jetzt geht es mir natürlich noch um genauere Informationen hinsichtlich Lokalisierung. Wir müssen das verbal bewältigen, ich kann Ihnen ja jetzt keine Skizze zeigen oder es von Ihnen aufzeichnen lassen. Ich würde Sie bitten, dass Sie uns das kurz wie Sie es in Erinnerung haben, soweit Sie es mit Straßennamen, Ortsnamen bezeichnen können, uns das schildern. Und wo sich die Gebäude befinden.“ Sch.: „Das Grand Canyon speziell?“ Götzl: „Zum Beispiel.“ Sch.: „Das ist an der Rudolstädter Straße. Wenn man aus der Stadtmitte kommt Richtung stadtauswärts, kommt erst eine Tankstelle, dann ein Autohaus, da oberhalb ein Stück hoch dann die Endhaltestelle der Straßenbahn [phon.] und da steht das Grand Canyon. Gegenüber sind die Stadtwerke oder das Galaxsea, also ein Freizeitbad. Mehr ist da nicht.“ Götzl: „Wie groß ist diese Imbissbude?“ Sch.: „Quadratmeter weiß ich jetzt nicht. Aber das ist nicht größer als ein Gartenhaus, was man aus dem Baumarkt kriegt, so Blockhaustyp. Weiß nicht, so 30, 40 Quadratmeter. Ich will mich aber nicht festlegen. Da war noch ein Außenbereich, wo man sich hinsetzen konnte, relativ klein.“

Götzl: „Sonstige bauliche Einrichtungen [phon.], Gebäude aus Holz in dem Bereich, die Ihnen einfallen würden?“ Sch. sagt, er habe sehr viel überlegt seit der Vorladung, aber seines Erachtens habe da nichts gestanden, er habe das „Grand Canyon“ nicht als Holzhäuschen eingeordnet. Sch.: „An der Endhaltestelle kommt ein Häuschen, wo sich die Toiletten der Straßenbahnfahrer befinden. Aber aus Holz? Ist mir nicht bekannt.“ Götzl: „Wenn Sie sich den Bereich der Wendeschleife bitte vergegenwärtigen. Sie hatten gesagt, das Gebäude der Verkehrsbetriebe. Sonstige Gebäude in diesem Bereich?“ Sch.: „Da sind nur noch die Garagen, die auf der anderen Seite von der Straßenbahn sind. Das Grand Canyon, die Straßenbahnschienen und hier die Garagen. Ein Stückchen weiter oben ist dann halt der Jugendclub und, ja, eine Ecke weg sind Wohnhäuser. In unmittelbarer Nähe nur das Autohaus und die Tankstelle.“ Götzl: „Und der Jugendclub, wie weit ist der entfernt von der Wendeschleife?“ Sch.: „Das sind 100, 150 Meter.“ Götzl: „Diese Garagen, woraus bestehen die?“ Sch.: „Typische DDR-Garagen aus Betonplatten.“ Götzl: „Gibt es denn in dem Bereich noch einen Kindergarten oder eine Tagesstätte?“ Sch.: „Im unmittelbaren Bereich nicht, das ist dann schon über die Straße [phon.] drüber, dass da die Schule ist. Und der Kindergarten ist noch weiter oben. Die Schule so 250 Meter entfernt und der Kindergarten noch weiter weg, das sind 3, 400 Meter. Das ist noch weiter weg.“

OStAin Greger: „Gab es in diesem Bereich einen Kinderspielplatz?“ Sch.: „Oberhalb vom Jugendclub. Unmittelbar in der Nähe [phon.] nicht, aber Hugo-Schrade-Straße, da ist ein Spielplatz gewesen oder ist auch noch.“ Greger: „Gab es ein Wartehäuschen?“ Sch.: „Ja, an der Straßenbahnhaltestelle.“ Greger: „Können Sie es beschreiben?“ Sch.: „Das ist aus Beton gemacht worden, drei Seiten, da waren Bänke drin.“ Greger: „Dieses Wartehäuschen, war das schon immer aus Beton Ihrer Erinnerung nach?“ Sch.: „Ja, jaja.“ Greger: „Dieser Spielplatz, wie weit schätzen Sie die Entfernung zur Endhaltestelle?“ Sch.: „200, 250 Meter ungefähr.“ Greger: „Haben Sie eine Erinnerung, was sich auf dem Spielplatz befindet?“ Sch.: „Da sind Tischtennisplatten, ein Stück weiter weg eine Kletterspinne und oberhalb ist ein Bolzplatz.“ Greger: „Danke schön!“

Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Einen Augenblick bitte noch!“ Nach einer Weile sagt Klemke: „Ähm, Herr Sch., dieser Grand Canyon, den Sie beschrieben haben. Sie haben es als Blockhaus bezeichnet, nicht als Holzhütte. Warum würden Sie es nicht als Holzhütte beschreiben?“ Sch.: „Weil ich unter Holzhütte was anderes verstehe. Einfach die Bauweise. Das Ding ist aus Holz. Im Baumarkt kriegt man die als Blockhaustyp. Aber wenn Sie möchten, können Sie das gern als Holzhaus [phon.] bezeichnen.“ Klemke: „Kann man diese Hütte einfach mal so umstoßen?“ Sch.: „Nein, auf keinen Fall.“ Klemke: „Warum nicht?“ Sch.: „Zu stabil, da ist richtig ein Fundament drunter. Das glaube ich nicht. Ich habe es aber nicht probiert.“ Klemke: „Das glaube ich Ihnen gerne. Kennen Sie Ralf Wohlleben?“ Sch.: „Ja.“ Klemke: „Woher?“ Sch.: „Herr Wohlleben war von 2000 bis 2002, genau weiß ich das nicht mehr, bei mir im Ortschaftsrat.“ Klemke: „Ortschaftsrat?“ Sch.: „Er war Mitglied Ortschaftsrat Jena-Winzerla.“

Klemke: „Hatten Sie viel mit Herrn Wohlleben zu tun?“ Sch.: „Ja, im Rahmen der Tätigkeit als Bürgermeister und seiner Mitgliedschaft im Ortschaftsrat hatten wir schon hin und wieder miteinander zu tun.“ Klemke: „Wie oft?“ Sch.: „Unterschiedlich. Je nach Arbeitsaufwand. Ist aber nicht so, dass man sich täglich gesehen hat. Mein Büro stand ja offen und wenn er was hatte, kam er zu mir, oder ich habe ihn angerufen.“ Klemke: „Wie war die Zusammenarbeit mit Herrn Wohlleben?“ Sch.: „Ich habe in den ganzen Jahren ein strenges Kriterium gehabt: Wir halten uns an die Thüringer Kommunalordnung, der Ortschaftsrat hat parteilos zu funktionieren. Und Herr Wohlleben hat sich daran gehalten.“ Klemke: „Also auf Deutsch gesagt: Er hat keine Parteiarbeit gemacht?“ Sch.: „Nein, da hätte ich ihm auch auf die Finger gehauen.“ [phon.] Klemke: „Sie haben mit ihm zu tun gehabt. Wie schätzen Sie die Persönlichkeit von Herrn Wohlleben ein, aufgrund der Zusammenarbeit?“ Sch.: „Wie gesagt, im Rahmen meiner Zusammenarbeit mit ihm kann ich nichts Negatives über ihn sagen. Er hat im Ortschaftsrat ordnungsgemäß mitgearbeitet, da kamen keine dummen Sprüche oder sonst was.“ Klemke: „Abgesehen von der reibungslosen Zusammenarbeit, haben Sie sonst irgendwelche Eindrücke von seiner Persönlichkeit gewonnen?“ Sch.: „Eher nicht.“ Klemke: „War er zum Beispiel aufbrausend?“ Sch.: „Nein, nein, also so was nicht, kann ich nicht sagen. Mir fällt gerade ein, er war auch gelegentlich Patient bei mir in der Praxis.“

Carsten Schultzes Verteidiger RA Hösl: „Sagt Ihnen die Firma Ri. etwas, Gartenbau usw., Gartengestaltung?“ Sch. „Nee, wüsste ich jetzt nicht.“ Hösl: „Die soll, soweit unsere Information, in der Mitte dieser Wendeschleife entweder ihren Sitz haben oder Gegenstände lagern oder so ähnlich.“ Sch.: „Wie gesagt, das einzige, was ich weiß, dass die Bahn da ein Häuschen hat, die haben auch Material da. Aber Gartenbaufirma? Da weiß ich nichts.“ [phon.] Hösl: „Unser Mandant hat auf dieser Endhaltestelle der Straßenbahn einen Vorfall beschrieben, wo es darum ging, dass Personen misshandelt worden sind und geschlagen worden sind und da hat er unter anderem in einer Vernehmung gesagt, das will ich Ihnen vorlesen, SAO 615 Blatt 6905: „’In der Mitte des Platzes ist so ein Holzhaus und auf dem Weg dahin bin ich einem in den Rücken gesprungen und da sagte der Schmaler, dass man das nicht macht. Der den Schmaler dahin gezogen hat, wurde in das Holzhäuschen gesteckt. Und alle haben in Richtung des Eingangs geschlagen und getreten, ich auch ein- oder zweimal.Das Häuschen wurde dann noch rumgerollt.'“ [phon.] Sch.: „Wie gesagt, ich überlege die ganzen letzten Tage, ob da ein Holzhäuschen gestanden haben könnte. Ich habe da auch unseren Streetworker gefragt und der sagte auch: Nee, tut mir leid.“

Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Wer war denn der Streetworker?“ Sch.: „Unser jahrelanger Streetworker Kaktus, also der Herr Grund.“ Schneiders: „Hatte der noch eine Erinnerung an die Örtlichkeit?“ Sch.: „Ich hatte ihm ja gesagt, dass es um eine Baracke geht und er sagte, genau wie ich, das einzige was uns eingefallen ist, ist dieses Grand Canyon.“ Schneiders: „Haben Sie sich mit Herrn Wohlleben mal über politische Dinge unterhalten, über seine Ansichten?“ Sch.: „Nee, ich wusste um seine Ansichten, aber da haben wir nie gesprochen [phon.].“ Schneiders: „Und über seine Haltung gegenüber Ausländern, haben Sie da mal gesprochen?“ Sch.: „Nein.“

NK-Vertreter RA Langer: „Wenn Sie diese Straßenbahnhaltestelle genutzt haben, von wo haben Sie sich da gewöhnlicherweise genähert?“ Sch: „Wie meinen Sie das?“ Langer: „Sie sagten, Sie haben die Haltestelle genutzt.“ Sch.: „Ja, logisch.“ Langer „Von wo sind Sie denn dann dorthin gegangen?“ Sch.: „Das kam drauf an, von wo ich kam.“ [phon.] Langer: „Kann man denn vom Jugendclub direkt zur Straßenbahnhaltestelle gehen?“ Sch.: „Ja, selbstverständlich, da ist ein Weg, der zur Haltestelle runter geht.“ Langer: „Könnten Sie die Baulichkeiten des Straßenbahnunternehmens näher beschreiben?“ Sch.: „Näher beschreiben? Aus damaliger Sicht nicht mehr. Ich weiß, dass der Nahverkehr das saniert hat und da waren die Toiletten drin.“ Langer: „Ein Häuschen oder mehrere?“ Sch.: „Nee, das ist ein Gebäude.“ Langer: „Da sind Sie sich ganz sicher?“ Sch.: „Ich weiß von einem Gebäude, was da steht, wo Toiletten sind.“ Langer: „Konnte man sehen, was sich auf der Rückseite dieses Häuschen befindet, also die Ansicht, die zur Mitte der Wendeschleife ging [phon.]?“ Sch.: „Könnte ich jetzt nicht sagen, weiß ich nicht mehr, tut mir leid.“ Langer: „Haben Sie im Bereich der Wendeschleife mal Mülltonnen gesehen?“ Sch.: „Normale Mülleimer. Aber Mülltonnen, wüsste ich jetzt nicht.“ Langer: „Ich würde Ihnen mal vorhalten, dass es sich um ein Haus dort handelt.“ [phon.] Götzl: „Was halten Sie vor?“ Langer: „Meine Beobachtungen vor Ort.“ Klemke: „Ich beanstande den Vorhalt, der Kollege war mit Sicherheit nicht 1998 bis 2000 da. Es sei denn, er hat eine Zeitmaschine und Zeitreisen gehen nur in die Zukunft, habe ich mal gehört.“ Langer sagt, er sei 2016 da gewesen, könne aber auch zwei Luftpläne reinreichen, aus dem Jahr 1997 und 2000 [phon.]: „Die Baulichkeiten haben sich nicht geändert.“ Götzl unterbricht die Verhandlung.

Um 10:32 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort. Sie haben zwei Pläne übergeben, Herr Rechtsanwalt Langer. Der Zeuge kann es ja nicht sehen. Liegt das als PDF vor?“ Ein Luftbild wird an die Leinwand projiziert. Langer: „Ich würde jetzt den Vorhalt machen. Ist das jetzt der Plan 1997?“ Das wird bestätigt. Langer: „Also im Plan 1997 – und im Plan 2000 wird es genauso sein und es ist auch heute so: Man sieht ein Haus, ich nenne es Haus 1, parallel an den Gleisen und dann Haus 2 hinten in L-Form. Und dazwischen befindet sich ein Platz, der fast die Mitte der Wendeschleife ausmacht. Können Sie die Örtlichkeit bestätigen und ggf. haben Sie dort, in der Mitte des Platzes, etwas einsehen können, wenn Sie dort an der Straßenbahnhaltestelle standen?“ Sch.: „Ich kann nur das sagen, an was ich mich erinnere. Dass da das Gebäude in L-Form steht? Keine Ahnung. Der Nahverkehr hatte vor vielen, vielen Jahren mal eine Veranstaltung und da war das Gebäude drinne. Wie gesagt, ich kann mich nur an das eine Gebäude erinnern, das andere nicht, das entzieht sich mir. Und ob das in L-Form steht, das weiß ich nicht.“

Schultzes Verteidiger RA Pausch: „Ich habe es vielleicht überhört, aber ich wollte Sie noch fragen, seit wann Sie Ortsbürgermeister waren.“ Sch.: „Von 2000 bis 2014.“ Pausch: „Waren Sie in der Zeit auch mit der Planung von Kinderspielplätzen befasst?“ Sch.: „Selbstverständlich.“ Pausch: „Können Sie Angaben machen zu Spielplätzen im Nahbereich der Wendeschleife?“ Sch.: „Der Spielplatz, der erwähnt wurde, die Tischtennisplatte, den gab es schon und die Kletterspinne gab es auch schon. Da wurde mal was saniert, aber da wurde nichts verändert.“ Pausch: „Haben Sie eine Erinnerung, welche Firmen mit der Ausgestaltung beauftragt waren?“ Sch.: „Das sind so viele, das weiß ich nicht mehr.“ Pausch: „Wer war dafür zuständig, Einkäufe, Spielplätze?“ Sch.: „Bei der Stadtverwaltung, Stadtplanungsamt [phon.], gibt es eine Gruppe, die sich darum kümmert.“ Pausch: „Mit der hatten Sie keinen Kontakt?“ Sch.: „Doch, in meiner Tätigkeit schon. Ob Spielplätze mal repariert werden müssen oder so, das lag in meiner Obliegenheit.“ [phon.] Götzl: „Seit wann wohnen Sie in Winzerla?“ Sch.: „1995, 1996 ungefähr. Ich dächte eher 1995.“ Der Zeuge wird um 10:38 Uhr entlassen. RAin Schneiders behält sich eine Erklärung vor.

Götzl: „Dann hätte ich an Sie, Frau Zschäpe, noch eine Frage. Und zwar wäre meine Frage, ob Sie sich am 07.05.2000 in Berlin aufgehalten haben und ggf. ob Sie in Begleitung weiterer Personen gewesen sind. Und wo Sie sich aufgehalten hätten ggf. Und ggf. auch wie dann die näheren Umstände des Aufenthalts gewesen wären. Sollen dazu Angaben erfolgen?“ Zschäpe-Verteidiger RA Grasel: „Die Antworten werden zu gegebener Zeit erfolgen. Wir werden das in Ruhe besprechen und nach der bewährten Methode hier verlesen.“

Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm: „Ja, Herr Vorsitzender, wir hatten, oder meine Kollegen vielmehr, hatten am vergangenen Hauptverhandlungstag eine Stellungnahme, oder eine Replik vielmehr, zur Stellungnahme des Generalbundesanwalts zur angedachten Verlesung und ihrer Ankündigung weitere Schreiben zu verlesen, vorbehalten. Die würde ich gerne verlesen.“
Sturm verliest die Stellungnahme:
Die Verteidigung leitet die Unverwertbarkeit nicht aus einer Verletzung von § 136 Abs.1 S. 2 und § 243 Abs. 5 StPO, sondern zunächst aus Art. 6 Abs. 3 lit c EMRK ab. Die Selbstbelastungsfreiheit nach Maßgabe des EGMR führt zu einer vollumfänglichen Unverwertbarkeit hinsichtlich sämtlicher Schreiben von Frau Zschäpe, die auf die Rücknahme unserer Bestellung abzielten.
I. Kein Problem des Schweigerechts: Die Verteidigung stützt die Unverwertbarkeit nicht auf eine gleichwie geartete Beeinträchtigung des Schweigerechts nach §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 StPO. Frau Zschäpe hat durch ihr Verhalten in der Hauptverhandlung hinreichend deutlich gemacht, dass ihr das Recht eines Angeklagten zu schweigen bekannt ist.

II. Recht auf Verteidigung: 1. Die Ausführungen des Generalbundesanwalts verkennen, dass zwar keine gesetzliche, wohl aber eine richterrechtlich begründete Verpflichtung besteht, dem Vorsitzenden Einzelheiten aus der Verteidigungsbeziehung mitzuteilen, um das Ziel einer Rücknahme der Bestellung zu erreichen. Bei der Bestellung genügt bereits der bloße Einwand des Beschuldigten, zu einem bestimmten Verteidiger kein Vertrauen zu haben, dass von einer Bestellung dieses Verteidigers abzusehen ist. Allein für die Fortführung der Verteidigung in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium kehrt sich die Darlegungslast um, so dass nunmehr der Angeklagte die Pflicht hat, die fehlende Vertrauensgrundlage darzutun. Kraft Gesetzes kann die Bestellung eines Verteidigers nur unter den Voraussetzungen des § 143 StPO zurückgenommen werden. Die Möglichkeit, einen bestellten Verteidiger bei unsachgemäßer Verteidigung oder bei Vertrauensverlust zu entbinden, hat die Rechtsprechung im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung entwickelt. Die Verteidigung verkennt dabei nicht, dass – worauf auch der Generalbundesanwalt verweist – die Freiheit, an einem Strafverfahren nicht mitzuwirken, nicht schrankenlos gewährleistet wird; nur bei der Kollision zweier strafbewehrter Handlungspflichten resultiert daraus ein Beweisverwertungsverbot.

Dies bedeutet aber nicht, dass bei Kollisionsfällen Beweismittel stets uneingeschränkt verwertbar sind. Vielmehr sind ansonsten die betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen. Die Selbstbelastungsfreiheit gilt damit nicht grenzenlos, insbesondere ist sie nicht auf alle Rechtsgebiete uneingeschränkt übertragbar. Etwas anderes gilt aber – für den auch hier in Rede stehenden Fall – dann, wenn die Wahrung elementarer eigener Rechte in dem Strafverfahren selbst nur durch ein unmittelbar die Selbstbelastungsfreiheit tangierendes Handeln, d.h. eine Kommunikation, erreicht werden kann. Art. 6 EMRK bestimmt den Mindeststandard der Rechte eines Beschuldigten in einem Strafverfahren. Die ordnungsgemäße Verteidigung ist gerade Voraussetzung eines fairen Verfahrens. Dementsprechend hat die Rechtsprechung in Ausgestaltung des Rechts auf ein faires Verfahren angesichts der engen Formulierung des § 143 StPO über den Gesetzeswortlaut hinaus die Möglichkeit entwickelt, die Bestellung eines Verteidigers bei Vertrauensverlust zurückzunehmen, wobei dieser Vertrauensverlust durch substantiierten Vortrag zu belegen ist.

Wenn also die Rechtsprechung ein Recht eines Angeklagten anerkennt, dem Vorsitzenden Verteidigungsinterna anzuvertrauen, um den Vertrauensverlust zu belegen und eine materielle Durchsetzung des Anspruchs auf Verteidigung aktiv zu betreiben, so dürfen diese Informationen nicht als Beweismittel gegen einen Angeklagten selbst verwandt werden; dies hätte zur Folge, dass der Anspruch auf Verteidigung auf die schlichte Existenz eines Verteidigers reduziert würde, was mit Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK nicht in Einklang zu bringen ist. Jedenfalls aber wäre ein Angeklagter qualifiziert, also gesondert, darüber zu belehren, dass er – sollte er eine Änderung des bestellten Verteidigers zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte für erforderlich halten – damit zugleich weitere Beweismittel generiert. Nur dann ist ein Angeklagter objektiv in die Lage versetzt, sein Bedürfnis nach Gestaltung seiner Verteidigung abzuwägen gegen das Risiko, Beweismittel gegen sich selbst zu generieren.

2. Frau Zschäpe hat sämtliche Schreiben an den Vorsitzenden gerichtet. Tatsächlich muss ein Angeklagter, um seine Verteidigungsrechte wahrnehmen und damit auch die auf Rücknahme der Bestellung des Verteidigers, dem er nicht mehr vertraut, erreichen zu können, sich an eine Instanz wenden können, welche gesetzlich festgelegt ist. Dies ergibt sich mittelbar aus dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Dies ist von Gesetzes wegen der Vorsitzende, der nicht nur die Sachleitung des Erkenntnisverfahrens nach § 238 Abs. 1 StPO inne hat, sondern auch die sitzungspolizeiliche Leitung nach § 176 GVG sowie die Zuständigkeit der Bestellung eines Verteidigers nach § 141 Abs. 4 StPO. Damit übt der Vorsitzende unterschiedliche Funktionen nebeneinander aus mit der Folge, dass Erkenntnisse aus der Tätigkeit in der einen Funktion nicht grundsätzlich auch bei seiner Tätigkeit in der anderen Funktion Berücksichtigung finden dürfen. Der vom Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang erhobene formale Einwand, §§ 97 Abs. 1, 160a StPO regelten abschließend den Schutz des Verteidigungsverhältnisses und daraus resultierende Beweisverbote, verfängt schon deshalb nicht, weil der Vorsitzende zwingender Adressat der Schreiben für die Rücknahme der Bestellung eines Verteidigers ist, diese mithin notwendigerweise den unmittelbar geschützten Rechtskreis eines Angeklagten verlassen müssen. Auf den Umstand, dass es sich nicht um „geschützte Kommunikation“ im Sinne der §§ 52, 53 StPO handelt, kommt es nicht an, wenn ein Angeklagter zur Wahrung der Ausübung der Verteidigungsrechte gerade eine Kontrolle dieses Kommunikationsverhältnisses durch den Vorsitzenden anstrebt.

III. Soweit die Selbstbelastungsfreiheit vorliegend an den Maßstäben des EGMR zu messen ist, verbietet sie nicht nur die Verwertung inhaltlicher Gesichtspunkte wie Ausführungen zum Schweigen oder einer Einlassung zur Sache, sondern darüber hinaus auch die Verwertung sämtlicher Umstände, die sich aus diesem Beweismittel ergeben, also auch die Art und Weise der Durchsetzung der Interessen. Auch die Selbstbelastungsfreiheit ist Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren. Sie betrifft nicht nur eine Mitwirkung als Beweismittel, so dass der Beschuldigte nicht gegen sich selbst auszusagen hat, sondern ist nach dem EGMR als jede Form der Mitwirkung zu verstehen, welche Beweismittel generiert. Der EGMR hat wiederholt entschieden, dass jede Form des Zwangs, die ein Beweismittel generiert, gegen Art. 6 EMRK verstößt. Keinen Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit sieht der EGMR nur dann, wenn die Beweismittel „unabhängig“ vom Willen des Beschuldigten vorhanden und beschlagnahmefähig sind. Nach dieser Maßgabe hätte der Senat ohne den Zwang des § 143 StPO keinen Zugriff auf die Schreiben, mit denen die Angeklagte die aus ihrer Sicht angemessene Verteidigung durchsetzen wollte, so dass jegliche Verwertung ausgeschlossen ist. Dies gilt folglich nicht nur für den Inhalt, sondern auch für die Art und Weise, wie ein Angeklagter sich gegenüber dem Vorsitzenden äußert. Die Verpflichtung eines Angeklagten, zu seinem Vertrauensverhältnis zu seinem Verteidiger Stellung zu nehmen, verstieße somit dann gegen das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit, wenn diese Angaben anschließend als Beweismittel genutzt werden würden.

IV. Der Senat hat im Hauptverhandlungstermin vom 06.10.2016 angekündigt, die von der Mandantin unterzeichnete Strafanzeige vom 24.07.2015 sowie eine Stellungnahme vom 21.03.2016 ebenfalls durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen.
1. Strafanzeige von Frau Zschäpe vom 24.07.2015:
a) Vorwurf der Strafanzeige: Der der Strafanzeige zugrunde liegende Sachverhalt betraf eine vom Vorsitzenden durchgeführte Freibeweisaufnahme über die Umstände der Bestellung eines weiteren Verteidigers für Frau Zschäpe. Sie zielte mithin unmittelbar auf die Voraussetzungen eines fairen Verfahrens im Sinne von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, nämlich die Herstellung einer ihr adäquat erscheinenden Verteidigung.
b) Die Strafanzeige ist offenkundig, wie die in Bezug genommenen berufsrechtlichen Vorschriften nahelegen, mit juristischem Beistand verfasst worden. Ob der konkrete Wortlaut letzten Endes von der Mandantin selbst stammt, kann dahinstehen: Die Strafanzeige rekurriert auf die Rechtsprechung, wonach Strafanzeigen des Verteidigers regelmäßig ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt belegen können. Dass dieses Interesse für die Mandantin allein relevant war, ergibt sich bereits daraus, dass sie das Ziel einer Bestrafung nach der Ablehnung der Aufnahme von Ermittlungen nicht mit der Beschwerde oder einem Klageerzwingungsverfahren weiter verfolgt hat. Auch die Strafanzeige diente somit allein dem Zweck, unsere Bestellung als Verteidiger zurückzunehmen. Sie ist daher ebenfalls nicht verwertbar.

2. Für das Schreiben von Frau Zschäpe vom 21.03.2016 gilt nichts anderes. Auch dieser Vorgang ist allein an den Vorsitzenden gerichtet und soll wiederum die divergierenden Verteidigungsstrategien zwischen Frau Zschäpe und den Verteidigern Heer und Stahl belegen, um deren Entpflichtung zu erreichen.
3. Insofern kommt es auch nicht auf ein Einverständnis des Angeklagten an. Die Fairness des Verfahrens ist nicht verzichtbar, weil sie nicht zur Disposition eines Angeklagten steht. Die Fairness des Strafverfahrens ist unabdingbare Voraussetzung für die allgemeine Akzeptanz des Ergebnisses eines Strafverfahrens.

Götzl: „Sind denn für heute Anträge vorgesehen? Keine. Dann ergeht nach geheimer Beratung folgender Beschluss.“ Götzl verliest dann einen Beschluss zum Beweisantrag zu einem in der 26 gefundenen Benzinkanister von RA Reinecke [308. Verhandlungstag]. Er verkündet, dass die darin enthaltenen Anträge abgelehnt werden bzw. ihnen nicht nachgekommen wird. Götzl verliest, dass der Antrag unter II. von den Antragstellern dergestalt formuliert worden sei, dass „Augenscheinseinnahme und Zusammensetzung der Asservate 2.1.20. (10-Liter-Benzinkanister) sowie des Asservates 2.5.134 (Einfüllstutzen)“ beantragt wurde. Hieraus solle sich
ergeben, dass „es sich bei dem Einfüllstutzen um den zum Kanister gehörenden Stutzen handelt“.

Den Antrag habe der Senat, so Götzl, nach der Interessenlage und der vorgebrachten Begründung so ausgelegt, dass die Augenscheinseinnahme von Kanister und Stutzen im verbundenen Zustand beantragt werde. Die Beweistatsache habe der Senat so ausgelegt, dass die Wendung „zum Kanister gehörender Stutzen“, was durch einen Augenschein nicht bewiesen werden könne, so zu vorstehen sei, dass der Stutzen am Kanister angebracht werden kann, also es sich um einen „passenden Stützen“ handelt. Götzl verliest weiter, bei den Anträgen auf Einholung einer Auskunft bei der Suzuki Deutschland GmbH“ handele es sich um Beweisermittlungsanträge, da die Antragsteller das Beweismittel nicht bestimmt bezeichneten: Ob derartigen Beweisermittlungsanträgen ganz, teilweise oder überhaupt nicht nachgegangen wird, ist im Rahmen der gerichtlichen Aufklärungspflicht zu entscheiden. Diese Pflicht reicht so weit, wie die aus dem gesamten Prozessstoff bekannt gewordenen Tatsachen zum Gebrauch von Beweismitteln drängen oder ihn nahe legen. Dabei muss nur den erkennbaren und sinnvollen Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts nachgegangen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 59. Aufl. § 244 Randnummer 12).

1. Die Antragsteller erstreben mit dieser Beweiserhebung den Nachweis, dass die Einlassung der Angeklagten Zschäpe im Hinblick auf den Benzinkanister, den sie nach ihren Angaben zur Brandstiftung benutzt hat, unzutreffend sei. Unzutreffend sei nämlich die Behauptung der Angeklagten, das Benzin in dem sichergestellten Kanister habe ursprünglich zum Befüllen des Außenbordmotors des von Uwe Böhnhardt genutzten Bootes gedient. Der Tank des Außenbordmotors fasse nämlich, was die Beweiserhebung ergeben wird, 1,5 Liter. Deshalb habe der 10-Liter-Kanister Benzin, der asserviert worden sei, nicht zur Befüllung des Außenbordmotors
gedient, da damit fast 7 Füllungen bevorratet würden. „Außergewöhnlich“ sei auch, dass ein zum Außenbordmotor gehörender Benzinkanister in der Wohnung und nicht im Keller beim Außenbordmotor gelagert worden sei.

2. Amtsaufklärungspflicht drängt nicht dazu, das Fassungsvermögen des Bootsmotors durch Beweiserhebung festzustellen. Im Freibeweisverfahren wurde in die Hauptverhandlung eingeführt, dass derartige Motoren ca. 1,5 Liter Benzin pro Betriebsstunde verbrauchen. Unter Zugrundelegung dieses Verbrauchs kann mit dem im Kanister befindlichen Benzin von etwa 10 Litern eine Fahrdauer von knapp über 6,5 Stunden erreicht werden. Diese Betriebsdauer in Form von Treibstoff in einem Kanister zu bevorraten, ist nicht lebensfremd. Das Argument der Antragsteller, am Ende eines Urlaubs würde der Kanister nicht mehr voll befüllt werden, verfängt ebenfalls nicht. Es ist nicht bekannt, ob der Kanister tatsächlich erst gegen Ende des Urlaubs befüllt worden ist. Es ist ebenso wenig bekannt, welcher Aufwand zu tätigen war, um vom Campingplatz, wo das Boot mit dem Außenborder genutzt wurde, zu einer Tankstelle zu gelangen. Aufgrund erhöhten Aufwands könnte es für den Benzinkäufer nahe gelegen haben, den vorhandenen Kanister auf jeden Fall ganz zu befüllen, um ein erneutes Benzinholen längst möglich zu vermeiden.

Das komplette Befüllen könnte auch darin begründet gewesen sein, dass die Person, die mit dem Kanister an einer Tankstelle war, sich schlicht keine Gedanken darüber machte, welche Betriebszeit mit einer Menge von 10 Litern erreicht werden kann und ohne weitere Überlegung den mitgeführten Kanister füllte. Es besteht zudem auch die naheliegende Möglichkeit, dass der Nutzer des Außenbordmotors während des Urlaubs jedenfalls noch eine mehrstündige Bootstour geplant hatte, für die er das Benzin benötigt hätte und dass diese Tour, ohne dass deren Planung überhaupt vorher bekannt gegeben worden wäre, aus welchen Gründen auch immer, dann doch nicht durchgeführt wurde. Der Hinweis der Antragsteller, es sei „außergewöhnlich“ einen zum Außenbordmotor gehörenden Benzinkanister in der Wohnung und nicht im Keller beim Außenbordmotor zu lagern, verfängt nicht. Im Keller konnte beim Außenbordmotor kein Kanister sichergestellt werden. Unter Berücksichtigung dieses Umstands sieht der Senat in dem von den Antragstellern als „außergewöhnlich“ bezeichnetem Vorgehen kein Indiz dafür, dass der Kanister nicht zum Befüllen des Außenbordmotors bestimmt war. Da somit der Feststellung des behaupteten Fassungsvermögens des Tanks kein Aufklärungserfolg zukommt, da der Senat hieraus keine für eine mögliche Schuld- und/oder Rechtsfolgenfrage relevanten Schlüsse ziehen würde, drängt die Aufklärungspflicht nicht zur beantragten Beweiserhebung.
Die Anträge, den 10-Liter-Benzinkanister zusammengesetzt mit dem Einfüllstutzen zum Beweis der Tatsache in Augenschein zu nehmen, dass es sich bei dem Einfüllstutzen um einen Stutzen handelt, der am Kanister angebracht werden kann, konnten abgelehnt werden, weil der unter Beweis gestellte Umstand für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung ist.

1. Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung u.a. dann bedeutungslos, wenn sie selbst im Falle ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, da sie keinen zwingenden, sondern einen nur möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre (LR-Becker, 26. A. § 244 Randnummer 220). Der Senat hat die unter Beweis gestellten Tatsachen so, als seien sie erwiesen, in das bisherige Beweisergebnis eingestellt und prognostisch geprüft, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der von der Beweisbehauptung potentiell berührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert eines anderen Beweismittels in einer für den Schuldspruch oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (vergleiche zur Vorgehensweise: LR-Becker, 26. A. § 244 Randnummer 220).

2. Die im Rahmen des Beweisantrags unter Beweis gestellten Umstände sind für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung:
a. Die Antragsteller erstreben mit der Beweiserhebung den Nachweis, dass die Einlassung der Angeklagten Zschäpe hinsichtlich des Benzinkanisters, den sie nach ihren Angaben zur Brandstiftung benutzt hat, unzutreffend ist. Die Angeklagte Zschäpe habe dazu ausgeführt, dass sich im Abstellraum der Wohnung der Kanister, gefüllt mit Benzin, befunden habe, welchen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seit längerer Zeit dort deponiert hätten. Unzutreffend, so die Antragsteller, sei die Behauptung der Angeklagten, der Kanister habe im Abstellraum der Wohnung gestanden, wo ihn Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt abgestellt hätten. Der Einfüllstutzen könne, was die Beweiserhebung ergeben werde, an dem sichergestellten Kanister angebracht werden. Der Einfüllstutzen sei aber nach den Angaben des Zeugen Le. unter dem Hochbett der Angeklagten Zschäpe in der Wohnung sichergestellt worden. Dafür gebe es keine plausible Erklärung, außer der, dass der Kanister zum Zeitpunkt des Beginns der Brandstiftung ebenfalls dort gelegen habe.

Nach den Ausführungen des Brandsachverständigen sei davon auszugehen, dass die Brandlegung in dem von der Angeklagten als „Wohnzimmer“ bezeichneten Raum begonnen habe. Hole man den Kanister aus dem Abstellraum, dann führe von dort der direkte Weg ins Wohnzimmer. Um vom Abstellraum in das Zimmer der Angeklagten zu gelangen, müsse man zunächst durch die Küche und dann wieder zurück durch die Küche, am Zimmer von Mundlos und dem Abstellraum vorbei in das Wohnzimmer. Es sei „ausgeschlossen“, dass die Angeklagte diesen Weg zurückgelegt habe, nur um den Einfüllstutzen unter ihrem Hochbett zu deponieren. Es gebe zudem keine plausible Erklärung dafür, dass der Einfüllstutzen, der regelmäßig oben am Kanister angebracht sei, von diesem zu einem früheren Zeitpunkt entfernt und unter dem Bett der Angeklagten gelagert worden sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der am Verschluss und am zusätzlichen Loch angebrachte Einfüllstutzen von der Angeklagten unmittelbar vor der Brandlegung entfernt und dort zurückgelassen worden sei, wo der Kanister zuvor gelagert worden sei, nämlich unter ihrem Hochbett.

b. Die im Rahmen der Beweisanträge unter Beweis gestellten Umstände beeinflussen, ihr Erwiesensein unterstellt, die Entscheidung nicht. Sie lassen nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zu. Es wurden die hier vorgetragenen Umstände so, als seien sie erwiesen, in den gesamten Beweisstoff eingefügt. Die Beweiswürdigung wurde durch die Einfügung nicht in einer für die Sachverhaltsannahmen und die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Angeklagten Zschäpe relevanten Weise beeinflusst. Bei der Würdigung aller Umstände kommt diesen nunmehr vorgetragenen Umständen keine Bedeutung zu. Die von den Antragstellern gezogenen möglichen Schlüsse zieht der Senat aus folgenden Gründen nicht: Aus den von den Antragstellern aufgeführten Umständen schließt der Senat nicht, dass der Benzinkanister nicht im Abstellraum der Wohnung, sondern unter dem Hochbett der Angeklagten gelagert war.

i. Der von den Antragstellern als „außergewöhnlich“ bezeichnete Umstand, dass ein Benzinkanister überhaupt in der Wohnung und nicht im Keller aufbewahrt wurde, sagt nichts darüber aus, wo in der Wohnung, also im Abstellraum oder unter dem Hochbett, der Kanister gelagert wurde. ii. Aus dem Umstand, dass der an den Kanister anbringbare Einfüllstutzen im Zimmer der Angeklagten unter dem Hochbett sichergestellt wurde, schließt der Senat nicht, dass sich der Kanister zusammen mit dem Stutzen vor der angeklagten Brandstiftung ebenfalls dort befand. Der Stutzen kann vom Kanister abgenommen werden. Daher können Kanister und Stutzen ohne Probleme auch an verschiedenen Orten gelagert werden, so dass der Kanister in der Abstellkammer und der Stutzen eben unter dem Bett verwahrt wurden. Ebenso möglich ist es, dass im Rahmen der angeklagten Inbrandsetzung der Wohnung aus unbekannten Gründen der zunächst am oder beim Kanister gelagerte Stutzen abgenommen und unter das Bett verbracht wurde. Eine Erklärung für das Lagern des Stutzens unter dem Bett und des Kanisters in der Abstellkammer kann auch schlicht darin zu finden sein, dass die Bewohner der Frühlingsstraße 26 die Ordnungsvorstellungen der Antragsteller, nämlich dass es keine plausible Erklärung dafür gäbe, den Einfüllstutzen vom Kanister zu entfernen und unter dem Bett zu lagern, nicht teilten und sie deshalb Kanister und Stutzen doch an verschiedenen Orten lagerten.

a. Nachdem der Senat den Schluss der Antragsteller, Kanister und Stutzen seien gemeinsam gelagert worden, nicht zieht, werden damit auch den Überlegungen der Antragsteller zu nicht plausiblen Wegen bei der angeklagten Brandlegung der Boden entzogen. Das bedeutet mit anderen Worten: Lag der Stutzen bereits vor der angeklagten Brandlegung unter dem Hochbett, so musste auch der Weg in das Zimmer, das von der Angeklagten als ihres bezeichnet wurde, nicht zurückgelegt werden, um den Stutzen dort abzulegen. b. Zudem ist nicht bekannt, ob nicht im Rahmen der angeklagten Brandlegung aus welchen Gründen auch immer ein Grund bestand, dieses Zimmer, gegebenenfalls erneut, aufzusuchen und dann bei dieser Gelegenheit den Stutzen, sofern er sich zu diesem Zeitpunkt noch am Kanister befunden hat, dort zu deponieren. Entgegen der Auffassung der Antragsteller kann daher dieser Weg nicht „ausgeschlossen“ werden.

Zschäpe-Verteidiger RA Stahl: „Herr Vorsitzender, zu dem Verfahrenskomplex Beschlagnahme eines Briefes der Mandantin an bzw. einer Briefkopie: Da fällt mir bei Durchsicht der Nachlieferung des Senats, die wir heute erhalten haben, auf, dass obgleich dem Senat bekannt war, dass wir anlässlich des Beweisantrags, den Herr Hoffmann zu stellen beabsichtigt hatte, erneut der Verlesung des Briefes widersprochen hatten und uns damit befasst haben dass der Brief nicht zur Akte gehört, sehe ich jetzt zu meinem Befremden, dass am 22.09.2016 [phon.], Herr Vorsitzender, Sie ein Schreiben von Herrn Schmiemann erhalten haben, auf eine Anfrage [phon.], die Sie an Schmiemann gestellt haben. Und dieses Schreiben haben Sie an Rechtsanwalt Grasel, der sich noch gar nicht dazu geäußert hat, weitergeleitet, an uns aber nicht. Das befremdet uns. Das hätte die Sachlage verändern können, wir sind im Blindflug unterwegs. [phon.] Da bitte ich mitzuteilen, warum das nicht geschehen ist.“

Götzl: „Wenn Sie die weiteren Schriftstücke sich ansehen, dann sehen Sie, dass Rechtsanwalt Grasel uns angeschrieben und unmittelbar um Übersendung gebeten hat.“ Stahl: „Naja, ist aber nicht der einzige Verteidiger von Frau Zschäpe. Auf den ersten Blick sehe ich mich in der Verteidigertätigkeit im Hinblick auf den Brief behindert.“ Zschäpe-Verteidiger RA Heer sagt, das erinnere ihn daran, als Götzl Sturm, Stahl, Heer auch nicht in Kenntnis gesetzt habe, dass Zschäpe eine Aussage plane. Offenbar, so Heer, betrachte Götzl Sturm, Stahl, Heer hier nur als Statisten. Heer: „Eine ordnungsgemäße Verteidigung ist nicht möglich. Natürlich müssen Sie uns in den gleichen Stand versetzen wie Herrn Grasel.“ Götzl: „Sind sonst noch Stellungnahmen, Anträge?“ Heer: „Wir hätten schon gerne einen Äußerung von Ihnen.“ Götzl: „Sie haben doch gehört, wie der Ablauf war.“ Heer: „Dann beantragen wir förmlich eine dienstliche Erklärung dazu.“ Stahl sagt, auch wenn Grasel ausdrücklich darum gebeten habe, handele es sich um eine Thematik, wo Sturm, Stahl, Heer Stellungnahmen angekündigt hätten: „Es ist befremdlich, dass wir über derartige Vorgänge nicht in Kenntnis gesetzt werden, das versteht man nicht als Verteidiger.“ Götzl: „Sonst noch Stellungnahmen für heute? Dann wird unterbrochen und wir setzen fort morgen um 09:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 11:09 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Einziger Zeuge war der ehemalige Ortsbürgermeister von Jena-Winzerla, der zu den baulichen Begebenheiten an der Endhaltestelle der Straßenbahn aussagen sollte, wo der Angriff mehrerer Neonazis auf zwei Personen stattgefunden hatte, von dem Carsten Schultze berichtet hatte […]. Jedenfalls ein Detail, das Schultze berichtet hatte – nämlich ein kleines hölzernes Wartehäuschen, in das eines der Opfer gesteckt worden sei – konnte der Zeuge nicht bestätigen. Ansonsten erbrachte seine Aussage weniges. Eine Nachlieferung aus der Gerichtsakte zeigte wiederum […] einmal, wie unglaublich dilettantisch das BKA bei der Ermittlung des zu Grunde liegenden Sachverhalts vorging: so wurde aus dem Angriff von mindestens sechs Neonazis auf zwei Personen, die einen der Nazis als ‚Scheiß-Nazi‘ bezeichnet haben sollte, eine Schlägerei mit ‚Linksextremisten‘. Zudem war es dem BKA in drei Jahren seit dem Bericht Schultzes nicht gelungen, auch nur einen Ansatz zu einer Ermittlung des damaligen Sachverhaltes zu gewinnen – bis vor einigen Wochen ein Nebenklägervertreter nach Archivrecherchen einen Zeitungsartikel zu diesem Vorfall einreichte […]. Erst danach kamen die Ermittlungen langsam in Gang. So gelang es den Ermittlern nun etwa, die Rettungswagenbesatzung zu finden, die das damalige Opfer ins Krankenhaus gebracht hatten – beim ersten Durchgang hatte man nur die Notfalleinsätze der Stadt Jena abgefragt und anscheinend total vergessen, dass auch Organisationen wie der Arbeiter-Samariter-Bund solche Einsätze fahren. Ob die weiteren Ermittlungen mit etwas mehr Engagement und/oder Sinn geführt werden und ob sie zu einem konkreten Ergebnis führen werden, bleibt abzuwarten.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/10/12/12-10-2016/

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