Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 8. September 2016
Es war die erste Sitzung nach der Sommerpause und sie versprach spannend zu werden. In der Woche zuvor hatte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger noch einmal medienwirksam im Interview mit der Frankfurter Rundschau betont, dass er die Theorie vom NSU als Trio für nicht plausibel hält und somit der Hypothese der Bundesanwaltschaft widersprochen. Weiterhin tauchten Presseartikel auf, die vermuten lassen, dass Uwe Mundlos weitere Texte für Nazi-Fanzines schrieb. Zu guter Letzt stand sogar eine mögliche Auslieferung des ehemaligen V-Manns Ralf Marschners aus der Schweiz im Raum. Dessen V-Mann-Führer war für die Sitzung als Zeuge geladen.
von NSU-Watch
ZeugInnen:
- Dr. Carsten Proff (Sachverständiger für DNA-Analyse, BKA)
- Aline Schnalke (ehemalige Bekannte Ralf Marschners)
- Richard Kaldrack (ehemaliger V-Mann-Führer Ralf Marschners, BfV)
Den Behörden auf die Finger schauen
Die erste Enttäuschung gab es gleich zu Beginn. Man habe sich darauf verständigt, Richard Kaldrack, den ehemaligen V-Mann-Führer Marschners nur in nicht-öffentlicher Sitzung zu vernehmen, verkündete der Ausschussvorsitzende. Überraschend war das nicht, dafür aber nicht weniger ärgerlich. In einem Komplex, in dem das wiederholte Versagen des Verfassungsschutzes eine Hauptrolle spielt, dürfen dessen Mitarbeiter_innen auch weiterhin hinter verschlossenen Türen aussagen. Der Bundestagsuntersuchungsausschuss stellt hier leider keine Ausnahme dar. Transparenz ist so nicht gewährleistet. Marschner hatte während seiner Zeit als V-Mann wiederholt Straftaten begangen und kann als Paradebeispiel für die Unkontrollierbarkeit des gesamten V-Leute-Systems gelten. Geklärt werden sollte laut Aussage des Ausschussvorsitzenden Binninger (CDU), ob der Verfassungsschützer auch nach dem Auffliegen des NSU noch Kontakt zu Marschner hatte und falls ja, worüber sie sich austauschten.
Einführungsvorlesung in DNA-Analyse
Als erster Zeuge sagte Dr. Carsten Proff aus. Dieser ist Sachverständiger für DNA-Analyse beim Bundeskriminalamt. Seine etwa anderthalb-stündige Einlassung verwandelte Proff in eine Einführungsvorlesung zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen der DNA-Analyse“. Dabei ging er erneut auf die nicht-optimalen Bedingungen an verschiedenen Tatorten ein. In Eisenach-Stregda (Wohnmobil) und in der NSU-Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße seien aufgrund von Löschwasser und einer Vielzahl von Personen vor Ort die Qualität der zu entnehmenden Spuren beeinträchtigt worden. Insgesamt seien im NSU-Komplex „viele, viele Tausend Spuren“ genommen und ausgewertet worden, so Proff, dennoch handele es sich zwangsläufig um eine Auswahl. Ermittler_innen müssten vor Ort entscheiden, wo Spurenmaterial entnommen wird und wo nicht. Auch in den folgenden Sitzungen wird das Thema DNA-Spuren eine Rolle spielen. Hintergrund ist die Tatsache, dass an allen 27 Tatorten (Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle) des NSU keine DNA von Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe gefunden wurde. Diesen Umstand fand der Beamte „schon etwas verwunderlich“, wenn auch nicht unvorstellbar. Er gab an, dass bei Banküberfällen, für den Fall dass es zu keiner Berührung zwischen den Personen komme, auch nicht zwangsläufig DNA-Spuren entstünden. Außerdem könnte das Anfallen von Spuren durch das Tragen von Gesichtsmasken und Handschuhen minimiert werden.
Clemens Binninger (CDU) bemängelte im Anschluss an die Vernehmung, dass von 100 Personen aus dem Umfeld des NSU nur zu 19 die DNA in der Datenbank des BKA eingespeichert seien und dass sogar nur die DNA von 7 der 14 Beschuldigten im NSU-Komplex in der Datenbank gespeichert sei. Zur Erklärung: Neben den fünf in München angeklagten Personen, laufen gegen 9 Personen weitere Ermittlungsverfahren. Binninger sagte wörtlich: „Offen ist für uns auch noch, wie man sicherstellt zur Zeit, dass all die Spuren aus den NSU-Taten auch wirklich mit der DNA-Datenbank abgeklärt werden. Das scheint im Moment eher nur stückweit zu erfolgen.“ Daten welche nicht in der Datenbank gespeichert sind, können bei einer standardisierten Überprüfung im Zusammenhang mit anderen Taten schlicht nicht überprüft werden. Der CDU-Politiker gab zu bedenken, dass aber gerade hier eventuell neue Ermittlungsansätze entstehen könnten.
Besonders eine Spur erregte an diesem Tag die Aufmerksamkeit der Ausschussmitglieder. So fand sich im Wohnmobil in Eisenach eine Socke an der neben der DNA von Beate Zschäpe noch eine weitere DNA-Spur gefunden wurde. Diese wiederum führte zu Treffern beim Abgleich mit Straftaten in Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Der Untersuchungsausschuss wird nun die Ermittlungsakten dieser Verfahren beziehen und untersuchen, ob sich hier Zusammenhänge zum NSU-Komplex ergeben – klassische (polizeiliche) Ermittlungsarbeit dürfte man meinen.
„Wir waren eigentlich immer lustig drauf“* – eine weitere „unpolitische“ Zeugin aus der Naziszene
Als zweite Zeugin sagte Aline Schnalke aus. Diese lebte bis 1998 in Zwickau und war gut mit Ralf Marschner befreundet. In den vergangenen Sitzungen hatten bereits mehrere Personen aus dessen Umfeld ausgesagt. Beschrieben andere ZeugInnen den Neonazi fast durchgängig als Unsympath, so schlug Schnalke eine andere Richtung ein. Marschner wurde von ihr wahlweise als „Riesenbaby“ oder „kleiner König“ bezeichnet, welcher es verstand, andere für sich arbeiten zu lassen. Aggressiv habe sie ihn unterdessen nie erlebt.
Ihren eigenen politischen Werdegang beschrieb Schnalke unterdessen so: Zuerst sei sie Teil der Metal-Szene gewesen, dann habe sie einen „anderen Freundeskreis kennengelernt“ und heute sei sie „so normal“. Erst auf Nachfrage, was für ein „anderer Freundeskreis“ das gewesen sei, sprach Schnalke selbst das Thema Rechtsextremismus an. Kennengelernt habe sie Marschner entweder beim Fußball oder im Jugendklub, genau wisse sie das nicht mehr. Man habe dann gemeinsam Fußball gespielt, Partys gefeiert oder sei auf Konzerte gefahren. Die von Marschner herausgegebenen Fanzines „Der Vollstrecker“ und „Voice of Zwickau“ kannte sie und war sich in der Vernehmung selbst zunächst nicht sicher, ob sie auch Texte für diese beisteuerte. Nachdem ihr Petra Pau (Die Linke) einen Artikel aus dem Zine „United Skins“ des als V-Mann agierenden Carsten Szczepanski vorhielt, gab sie zu, diesen und eventuell noch zwei, drei weitere für das Zine geschrieben zu haben. Das „United Skins“-Zine druckte nicht nur allgemeine Aufrufe zur Gewalt, sondern propagierte offen das Konzept des bewaffneten Kampfes von Combat 18.
In Ausgabe Nr.10 schrieb Schnalke als „Aline aus Zwickau“ einen Bericht über ein Rechtsrockkonzert bei Koblenz am 2.11.1996, bei dem die Bands „Westsachsengesocks“ (Band von Ralf Marschner), „Triebtäter“, „08/15„ „Centaurus“ und „Vollstrecker“ auftraten. Darin wird deutlich, dass sie offenbar über Marschner gute Kontakte in die Szene pflegte, denn auch über die gezahlten Gagen wusste sie zu berichten. Der Eintritt sei für gute Freunde Marschners aber frei gewesen, gab sie in der Vernehmung an. Im Widerspruch zu ihrer Beschreibung als unpolitische Party-Gängerin in der rechten Szene heißt es im der Nazi-Postille:
«Als nächstes betraten dann 08/15 die Bühne. […] Sie spielten dann Lieder von „Weltmeister“ bis „Ian Stuart“ (Wobei manch einer bei der Ansage von Rainer, daß sie jetzt ein Lied spielen wollen zur Erinnerung an einen der größten Märtyrer aller Zeiten, Rudolf Hess schrien [sic!], obwohl jedem halbwegs gebildeten Skinhead klar gewesen ist, daß es sich hierbei nur um Ian Stuart handeln konnte – naja es waren ja eh genug Dorftrotteln da, manch einer kannte 08/15 nicht einmal!»
Ian Stuart Donaldson war Teil der bekannten Rechtsrock-Band „Skrewdriver“ und gilt als Begründer des internationalen Neonazi-Netzwerks Blood&Honour – innerhalb der Szene eine überaus bekannte Person, mit dessen Vita die Autorin des Konzertberichts durchaus vertraut zu sein scheint – ganz im Gegensatz zu den anwesenden „Dorftrotteln“. Angesprochen auf den Widerspruch zwischen ihrem beinahe kindlichen Auftreten vor dem Ausschuss und der Wortwahl in „United Skins“ gab Schnalke an, den Text gemeinsam mit ihrer Freundin Kathi geschrieben zu haben. Carsten Szczepanski, den Macher des „United Skins“-Zines, habe Schnalke selbst nie getroffen. Sie sagte aus, ihm die Texte per Post geschickt zu haben.
Konzertfoto zeigt Uwe Mundlos
Grund für die Ladung der Zeugin war, neben ihrer Bekanntschaft zu Marschner, ein Foto, das sie gemeinsam mit ihrer Freundin und Blood&Honour-Mitglied Antje Böhm (heute Probst) bei einem Konzert zeigt. Ebenfalls auf dem Foto erkennbar: Uwe Mundlos. Auch Beate Zschäpe war an jenem Abend im Saal. Beide kenne sie aber lediglich aus der Medienberichterstattung, gab Schnalke an. Sie könne zwar nicht ausschließen irgendwann mal mit einem der beiden geredet zu haben, dies sei aber auf Konzerten auch nicht unüblich. Auch die NSU-Unterstützer Thomas Starke und Jan Werner kannte Schnalke. Starke beschrieb sie als „netten Menschen“, Werner kenne sie lediglich von Konzerten. Zu Ralf Marschner habe sie aktuell keinen Kontakt mehr. Lediglich über Facebook habe man vor Jahren ein paar Worte gewechselt.
Bei der Befragung fiel immer wieder die fast infantile Art der Zeugin auf, die offenbar die Ernsthaftigkeit der Situation nicht verstand. Wiederholt kicherte sie bei ihren Antworten und erweckte den Anschein, als seien das alles lediglich Jugendsünden gewesen. Sätze wie „Wir haben bloß getrunken“ oder „Wir waren eigentlich immer lustig drauf“ offenbarten mehrfach ihr fehlendes Problembewusstsein. Nicht nachvollziehbar ist, dass Schnalkes Aussage vor dem Ausschuss ihre erste überhaupt in diesem Zusammenhang war. Durch das BKA wurde sie bis heute nicht vernommen. Mit ihrer Entlassung endete der öffentliche Teil der Sitzung.
Schweiz liefert Marschner nicht aus
Das Auslieferungsgesuch bezüglich Ralf Marschner wurde durch die Schweizer Behörden unterdessen abgelehnt. Ob eine Möglichkeit besteht ihn in der Schweiz zu vernehmen, werde der Ausschuss prüfen, sagte Ausschussmitglied Petra Pau (Die Linke) gegenüber der anwesenden Presse.
*Aline Schnalke am 08.09.2016 vor dem Untersuchungsausschuss