Der V-Mann als Staatsbürger – Bericht aus dem BT-UA

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Bericht dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 10. November 2016

In einem Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse in der Kölner Altstadt explodierte ein Sprengsatz in einer Keksdose beim Öffnen der Dose, dabei wurde eine 19-jährige schwer verletzt. (Foto: apabiz)

In einem Lebensmittelgeschäft in der in der Kölner Altstadt explodierte ein Sprengsatz in einer Keksdose beim Öffnen der Dose, dabei wurde eine 19-jährige schwer verletzt. (Foto: apabiz)

Thema an diesem Tag waren die Bombenanschläge des NSU in der Kölner Probsteigasse 2001 und in der Keupstraße 2004. Geladen waren dazu mehrere, teils hochrangige Mitarbeiter_innen des Verfassungsschutzes und ein potentieller Augenzeuge des Anschlages in der Keupstraße.

von NSU-Watch

Zeug_innen:

  • Burghard Schnieder (ehem. Gruppenleiter Bereich Rechtsextremismus beim LfV NRW und Stellvertreter von Mathilde Koller)
  • Mathilde Koller (Leiterin des LfV NRW von 2009-2012)
  • Michael Muhs (befand sich in unmittelbarer Nähe des Anschlages in der Keupstraße, möglicher Augenzeuge)

Neonazis führen kein bürgerliches Leben – Einblicke in das extremismustheoretische Denken des LfV NRW

Im öffentlichen Teil sagten zum Anschlag in der Probsteigasse am 19.01.2001 Burghard Schnieder, ehem. Gruppenleiter beim LfV NRW und Mathilde Koller aus. Konkret ging es um das Phantombild, welches basierend auf Aussagen der geschädigten Familie M. erstellt wurde und einer Person aus der Kölner Neonazi-Szene ähnlich sehen soll. Der Jurist Burghard Schnieder war von Februar 2012 bis Mitte 2015 Gruppenleiter des Bereiches Rechtsextremismus im LfV NRW. Schnieder berichtete, dass er etwa eine Woche im Amt gewesen sei, als vom BfV ein Phantombild übermittelt wurde, dass einem V-Mann aus der Kölner Neonazi-Szene sehr ähnlich sah. Dieser, als J.H. bekannte Mann, hatte dabei, so Schnieder, sehr zuverlässig und ehrlich über die rechte Szene Kölns berichtet und wurde als wichtige Quelle angesehen.Daher hatte es überrascht, dass J.H. möglicherweise in den Anschlag involviert sein könnte. Im LfV hatte nach Aussage Schnieders, keine_r den Eindruck, dass J.H. eine Tatbeteiligung zuzutrauen wäre. Außer der Ähnlichkeit mit dem Phantombild gäbe es auch keine Hinweise auf eine solche. Dennoch wurde aufgrund der allgemeinen Situation nach der Selbstenttarnung des NSU beschlossen, schnellstmöglich die GBA und den damaligen Innenminister von dem Sachverhalt in Kenntnis zu setzen. Danach übernahm das BKA die weiteren Ermittlungen. Schnieder betonte, dass seine Behörde keinen Einfluss auf polizeiliche Ermittlungen nehmen wollte, sondern schnellstmöglich die GBA informierte. Es gab auch den ausdrücklichen Hinweis im LfV NRW, keinen Kontakt zu J.H. aufzunehmen. J.H. wurde dann kurz darauf als V-Mann abgeschaltet. Dies sei das übliche Verfahren, wenn eine Person im Fokus strafrechtlicher Ermittlungen steht, so Schnieder. Nachdem man eine Nichtbeteilung am Anschlag in der Probsteigasse in Rücksprache mit der Generalbundesanwaltschaft für erwiesen hielt, wurde H. scheinbar von 2013 bis mindestens 2015  als V-Mann wieder angeschaltet, da man in bestimmten Bereichen sonst „blind“ gewesen wäre.

Der Ausschussvorsitzende Binninger (CDU) hatte mehrere Fragen zur zeitlichen Einordnung des Vorgangs: 2012 fand die eben beschriebene Identifizierung statt. Hingegen gab es 2001, kurz nach dem Anschlag, als dieses Phantombild u.a. in der Presse veröffentlicht wurde, keine Hinweise auf J.H. Schnieder gab an, dass J.H. aussagte, 2001 keine langen Haare gehabt zu haben und dies durch die Vorlage von Privatfotos bestätigen wollte. Ob es über die Aussage H.s noch weitere Ermittlungen zum Aufnahmezeitpunkt der Fotos gab, konnte Schnieder nicht sagen. Binninger kritisierte außerdem, dass der Untersuchungsausschuss lediglich Fotos von nach 2004 habe; wichtig wären die von Dezember 2000, die J.H. selber vorlegte. Es wäre schön, wenn der Ausschuss diese bekommen könnte.

Petra Pau (Die Linke) lenkte den Fokus auf die politische Einstellung von J.H. Sie fragte, ob dem LfV NRW bekannt war, dass er einen Waffenschein besaß und einen eher militanten Ruf in der Szene gehabt haben soll. Auch hatte die Recherche von Antifaschist_innen ergeben, dass J.H. sowohl Mitglied einer Wehrsportgruppe als auch Mitbegründer der Kameradschaft gewesen sei. Petra Pau fragte daher, ob J.H. nach Einschätzung von Schnieder ein überzeugter Neonazi gewesen sein könnte. Dem entgegnete Schnieder, dass J.H. keine extremistische Grundeinstellung hatte, sondern angeblich aus Abenteuerlust in der Szene und für das LfV tätig war. Er sei eine eher bürgerliche Person mit bürgerlicher Existenz gewesen und hatte ja außerdem mit dem Staat zusammengearbeitet. Schnieder hatte ihn selbst 2015 getroffen und der geschilderte Eindruck habe sich da bestätigt. Darauf merkte die Abgeordnete Rüthrich (SPD) kritisch an, dass auch andere Nazis sich eine bürgerliche Persönlichkeit gaben, bspw. das NSU-Kerntrio. Nur weil staatsfeindliche Äußerungen fehlen, könne eine neonazistische Einstellung nicht ausgeschlossen werden.
Immer wieder gab Schnieder an, nicht alle Fragen in öffentlicher Sitzung beantworten zu können. Weitere Fragen an den Zeugen wurden daher in nicht-öffentlicher Sitzung behandelt. Dafür mussten die Besucher_innen den Saal verlassen.

Wer Spitzel ist, kann kein hundertprozentiger Neonazi sein – LfV NRW die Zweite

Als nächste Zeugin wurde Mathilde Koller vernommen. Sie war u.a. Leiterin der sächsischen Staatskanzlei und Chefin des LfV NRW gewesen. In ihrem Eingangsstatement bestätigte sie die Schilderungen von Schnieder den Vorgang mit dem Phantombild betreffend. Sie sagte zudem, dass der Anschlag in der Probsteigasse damals nicht als rechtsextrem motiviert eingeordnet wurde.

Koller berichtete, dass ihr die Person J.H. nicht unbekannt gewesen war. Sie hatte, als sie das Amt übernahm, sich einen Eindruck auch besonders über die V-Leute des LfV verschafft – diese seien schließlich das Sensibelste des Nachrichtendienstes. Der Abgeordnete Schuster (CDU/CSU) wunderte sich über so viel Kenntnis. Koller entgegnete, dass ihr Wissen auch mit dem Fall der und deren Verbot zusammenhängt. J.H. hatte hier berichtet und besaß enge Kontakte zu dem Kameradschaftsgründer Axel Reitz. Dieser wiederum suchte sich überregional zu profilieren und hatte selbst wiederum Kontakte zu bundesweit bekannten Neonazis wie Christian Worch aus Hamburg.

Auch Koller vertrat die Ansicht, dass wer als V-Mann für den Staat arbeitet und gegen Bezahlung Informationen weitergibt, nicht mehr komplett gegen den Staat und daher nicht restlos von seiner Ideologie überzeugt sein könne. Die Unmengen an V-Leuten im Umfeld des NSU, einschließlich Personen wie Tino Brandt, Ralf Marschner oder Carsten Szczepanski – um nur einige zu nennen – , beweisen das Gegenteil. Koller kann dies offenbar bis heute ignorieren. Eine Einschätzung zu J.H. wollte sie aber nur in nicht-öffentlicher Sitzung geben.

Ausführlicher ging Koller auch auf die Verbindung V-Leute-Führung und V-Person ein und erklärte, dass sie eine langjährige Verbindung als problematisch erachtet, es aber V-Leute gibt, die nur einer bestimmten Person des Amtes berichten wollen. Dieses Problem sei aber lösbar, indem Vertreter_innen bestimmt werden. Sie sei überzeugt, dass diese nicht einfache Position der V-Leute-Führung eine gute Ausbildung und auch eine geeignete Person verlangt.

Unterstützung vor Ort sehr wahrscheinlich

Zur Auswahl des Kiosk in der Probsteigasse bestätigte Mathilde Koller ihre Aussage aus dem Untersuchungsausschuss in NRW. Es sei schwer vorstellbar, dass dieser und die anderen Orte allein vom Kern-Trio ausgewählt worden waren. Auf dem Firmenschild des Kiosks befand sich ein deutscher Name. Diesen Ort müsste man kennen um ihn auszuwählen und benötigte außerdem eine Infrastruktur vor Ort. Angesichts dessen, dass die rechte Szene bundesweit gut vernetzt ist, sei dies auch naheliegend.

Keine neuen Erkenntnisse zum Anschlag in der Keupstraße

Als dritter Zeuge wurde am späten Nachmittag dann Michael Muhs zum Anschlag in der Kölner Keupstraße vernommen. Er lebt seit langer Zeit in Köln und war auch auf den Überwachungskameras des Senders Viva zu sehen, zu dem Zeitpunkt, als Böhnhardt oder Mundlos das Fahrrad mit der Nagelbombe vorbei schob. Er war im Juni 2004 einmal von der Polizei vernommen worden, dann erst wieder im Jahr 2013 vom BKA.Dazu wurden auch die Videos der Überwachungskamera abgespielt, auf denen ein Mann (Böhnhardt oder Mundlos) zunächst mit zwei Fahrrädern in Richtung Keupstraße geht, zurückkommt und später eine Person  (Böhnhardt oder Mundlos) das weiße Fahrrad mit der Nagelbombe zum Anschlagsort schiebt und der andere vorausgeht. Leider konnte Muhs keine neuen Erkenntnisse beitragen. Er meinte, dass sich „normale Kölner“ nicht in die Keupstraße „verirren“. Da die Keupstraße bekannt war für ihre vielen Geschäfte, die von Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte betrieben wurden, war ihm klar, dass die Täter diesen Ort bewusst ausgesucht haben mussten. Er selbst hatte den Anschlag  als rechtsextremistischen Anschlag begriffen.

Damit endete der öffentliche Teil der Ausschusssitzung. Im nicht-öffentlichen Teil waren drei weitere Zeug_innen von LfV NRW und BfV geladen. Die vielfachen Unterbrechungen an diesem Tag erschwerten möglichen Interessierten das Verfolgen der ganzen Sitzung. Erneut konnten erschreckende Einblicke in die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes im Umgang mit V-Personen und über die vermeintliche Expertise, mit der hier agiert wird, gewonnen werden.

Keine juristischen Konsequenzen für Aktenschredderer?

Unterdessen sorgte die Causa Lothar Lingen weiter für Unverständnis in der Öffentlichkeit. Nachdem in der Sitzung vom 29.09.2016  herausgearbeitet wurde, dass dieser wichtige V-Mann-Akten offenbar vorsätzlich hat schreddern lassen, gab die zuständige Staatsanwaltschaft in Köln an, nicht ermitteln zu wollen. In der Folge erstattete die Vorsitzende des Thürigischen NSU-Untersuchungsausschuss Dorothea Marx (SPD) Anzeige gegen die Staatsanwaltschaft Köln.