„Die NSU-Monologe liefern eine neue Geschichtsschreibung zum NSU-Komplex.“

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nsu_monologe_berlin_buehnenDas Theaterstück „NSU-Monologe“ feiert in dieser Woche Premiere. Es bringt die Stimmen der Angehörigen der Opfer des NSU Elif Kubaşık, Adile Şimşek und İsmail Yozgat unverfälscht auf die Bühne. Damit wendet sich die „Bühne für Menschenrechte“, die schon für die „Asyl-Monologe“ und die „Asyl-Dialoge“ verantwortlich waren, dem NSU-Komplex zu. Caro Keller sprach für NSU-Watch mit Léonie Jeismann, Projektkoordinatorin der „Bühne für Menschenrechte“.

NSU-Watch: Wie kam es zu den Theaterstück NSU-Monologe?

Jeismann: Wir, die Bühne für Menschenrechte, konzipieren seit 2011 dokumentarische Theaterstücke zu Menschenrechtsfragen. Und die NSU-Monologe sind unsere bisher dritte Produktion. Davor haben wir die Asyl-Monologe und die Asyl-Dialoge auf die Bühne gebracht. Unsere Idee von Dokumentarischem Theater ist, dass wir ausführliche Interviews führen mit Menschen, deren Stimmen in der Öffentlichkeit oft überhört werden. So haben wir für die Asyl-Monologe und die Asyl-Dialoge Interviews geführt mit Menschen, die in Deutschland Asyl beantragt haben und haben diese dann wortgetreu auf die Bühne gebracht. Zum NSU-Komplex war es uns sehr wichtig, dass die Stimmen der Hinterbliebenen in den öffentlichen Raum getragen werden. Denn die öffentliche Auseinandersetzung zum NSU ist weitestgehend Täterfixiert, das heißt, wir erfahren kaum etwas über die einzelnen Familien. Wenn überhaupt, dann erst ab dem Tag der Ermordung ihrer Angehörigen. Uns ist es wichtig, dass die Familien wieder Protagonist*innen ihrer eigenen Geschichte werden. Deshalb liefern die NSU-Monologe eine neue Geschichtsschreibung zum NSU-Komplex. Das heißt, wir erfahren aus der Perspektive der Angehörigen, in ihren eigenen Worten, ihre ganze Lebensgeschichte, auch all die Ängste, die Wut, aber auch die Zuversicht und die Hoffnung.

NSU-Watch: Vorgetragen von Schauspieler*innen?

Jeismann: Genau. Die Bühne für Menschenrechte arbeitet mit einem bundesweiten Netzwerk an Profi-Schauspielerinnen und Schauspielern, die die Monologe der Protagonisten wortgetreu wiedergeben. Da ist es wichtig zu sagen, dass wir nichts hinzuerfinden. Das heißt, auch die Ausdrucksweise der Protagonist*innen wird beibehalten. Da wir mit einem Schauspieler*innen-Netzwerk arbeiten, haben wir die Möglichkeit, die Theaterstücke an jedem Ort und zu jeder Zeit aufzuführen. Das heißt, wir sind nicht gebunden an ein Theaterhaus, wir sind nicht gebunden an ein festes Schauspiel-Ensemble, sondern können die Stimmen der Hinterbliebenen durch ganz Deutschland tragen.

NSU-Watch: Wie seid ihr mit den Hinterbliebenen in Kontakt gekommen, wie war die Zusammenarbeit?

Jeismann: Es war lange Zeit überhaupt nicht klar, ob die NSU-Monologe überhaupt auf der Bühne zu sehen sein werden. Viele journalistische und künstlerische Akteure haben versucht, die Geschichte der Hinterbliebenen zu erzählen. Es gab viele Interviewgesuche, die von den Familien negativ beschieden worden sind. Die Angehörigen hatten sich weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Gerade auch, weil sie nach dem 04.11.2011, nach dem Bekanntwerden des NSU, teilweise massiv bedrängt worden sind von Journalist*innen. Wir haben über drei Jahre hinweg versucht, mit den Angehörigen zu sprechen, haben versucht unsere Arbeitsweise vorzustellen, haben persönliche Briefe geschrieben. Wir haben dann zuletzt den Nebenklage-Anwalt von Elif Kubaşık zu einer Vorstellung der Asyl-Monologe eingeladen und da hatten wir die Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, mit welcher Form von Theater wir arbeiten.

Dann hat Elif Kubaşık mit ihrem Anwalt gesprochen und hat sich dann einen Ausschnitt der Asyl-Monologe angeschaut. Sie hat sich danach entschieden, dass sie mit uns zusammenarbeiten und eine der Protagonist*innen der NSU-Monologe sein möchte. Dann haben wir uns mit ihr getroffen, zum Interview und das war eine sehr intimes Setting –  sie hat sehr offen ihre Geschichte erzählt. Wir haben also sehr ausführliche Interviews mit Adile Şimşek und Elif Kubaşık geführt. Von İsmail Yozgat haben wir bereits veröffentlichtes Material bekommen und durften das dann zu einem Monolog zusammenstellen. Sie alle konnten das Manuskript am Ende absegnen. Die Angehörigen kommen zu der Premiere, die am 03.11. und am 05.11 sein wird in Berlin. Wir sind sehr gespannt, was sie dazu sagen werden.

NSU-Watch: Gab es Punkte, die während der Arbeit besonders eindrücklich waren?

Jeismann: Was für mich sehr eindrücklich war, noch einmal erzählt zu bekommen, wie sich Elif Kubaşık mit 17 Jahren in Mehmet Kubaşık verliebt hat. Wie die beiden sich, bevor sie geheiratet haben, heimlich auf den Feldern getroffen haben. Wie sie dann zusammengekommen sind, geheiratet haben und dann nach Deutschland gekommen sind, um hier eine Familie zu gründen. Das hat sie sehr ausführlich erzählt, und das war für mich sehr beeindruckend. Ebenfalls sehr in Erinnerung geblieben ist mir, wie sie davon erzählt hat, wie sie einen Schweigemarsch organisiert haben im Juni 2006 in Dortmund. Elif Kubaşık, Adile Şimşek und İsmail Yozgat haben sich da kennengelernt, haben Freundschaften geknüpft und haben zum ersten Mal auch öffentlich Aufklärung verlangt. Sie haben zum erstem Mal öffentlich Ausländerfeindlichkeit angesprochen. Das war 2006, als auch die WM in Deutschland stattgefunden hat und da hat die Demonstration damals kaum jemanden interessiert. Das war für mich ein sehr wichtiger Punkt, zu erkennen, wie wichtig es ist, den Geschichten und den Stimmen der Angehörigen der NSU-Opfer zuzuhören. Die Details machen sehr viel aus.

NSU-Watch: Welche Pläne gibt es für die Zukunft?

Jeismann: Wie auch bei unseren bisherigen Produktionen werden wir eingeladen von verschiedenen Akteuren. Das können andere Theater sein, das können aber auch Menschenrechtsorganisationen oder Aktivist*innen oder Schulen und Unis sein. Das heißt, dass wir auch mit dem NSU-Monologen über hoffentlich viele Jahre von Stadt zu Stadt ziehen und das als Gastspiel anbieten. Jetzt ist erstmal am 03.11. die Premiere auf deutsch mit türkischen und englischen Untertiteln und am 05.11. auf türkisch mit deutschen und englischen Untertiteln. Es war uns und auch den Familien sehr wichtig, dass das Stück auch auf Türkisch aufgeführt werden kann. Aufgrund unseres Schauspieler*innen-Netzwerks können wir das problemlos anbieten. Wir hätten also auch die Möglichkeit, in der Türkei die NSU-Monologe aufzuführen.

Bisher geplante Aufführungen: 3.11., 15.–19.11., 6.–7.12.2016 und 11.–14.1.2017 auf deutsch (mit türkischen und englischen Übertiteln) und am 5.11., 8.12.2016 und 15.1.2017 auf türkisch (mit deutschen und englischen Übertiteln) im Heimathafen Neukölln.

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