Am heutigen Prozesstag verkündet der vorsitzende Richter Götzl zunächst, dass ein Ablehnungsgesuch des Angeklagten Wohlleben vorläufig zurückgestellt und weiter verhandelt werden soll. Daraufhin stellt die Verteidigung von Wohlleben einen weiteren Befangenheitsantrag. Die Verhandlung geht dennoch weiter. Geladen ist der Zeuge Björn W., er ist Betroffener des durch Carsten Schultze geschilderten Neonazi-Überfall an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla.
Zeuge:
- Björn W. (Erkenntnisse zu einem durch Carsten Schultze geschilderten Neonazi-Überfall an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla)
Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Dann wird die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Angeklagten Wohlleben vom 16.11.2016 im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen vorläufig zurückgestellt. Die Entscheidung würde die Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern.“ Wohlleben-Verteidiger RA Klemke bittet um eine Unterbrechung von 15 Minuten. Es folgt eine Pause bis 10:11 Uhr.
Danach wird Klemke das Wort erteilt. Klemke: „Ja, Herr Vorsitzender, die Verteidigung des Herrn Wohlleben beanstandet Ihre Anordnung nach § 29, 2, vor der Entscheidung über das gestern angebrachte Ablehnungsgesuch weiterzuverhandeln. Unser Mandant und auch wir wussten gerade nicht, ob wir weinen, lachen oder schreien sollen. Wir halten die Begründung, den Beschleunigungsgrundsatz, bei der derzeitigen Prozesslage für einen schlechten Witz [phon.]. Wenn man sich vor Augen hält, was Grundlage des Ablehnungsgesuchs ist: Da wollen die Richter Beweis erheben durch Verlesen von Dateien, die sachlich überhaupt nichts mit dem Tatvorwurf zu tun haben und sich zeitlich sechs bis zehn Jahre vom Tatvorwurf entfernen. Deswegen hat der Herr Wohlleben hier aus gutem Grund und zu Recht ein Ablehnungsgesuch angebracht und u.a. gerügt, dass die abgelehnten Richter das Beschleunigungsgebot missachten. Und jetzt soll plötzlich das Beschleunigungsgebot herhalten, um hier weiterzuverhandeln.“
Klemke sagt, die Verteidigung Wohlleben habe im letzten halben Jahr überhaupt nicht den Eindruck gehabt, dass beschleunigt verhandelt wird, es seien mehrmals Verhandlungstage ausgefallen, weil Zeugen nicht gekommen sind, es sei jeweils nur ein Zeuge geladen gewesen und die abgelehnten Richter hätten es nicht für wichtig erachtet, die Hauptverhandlung trotz des Wegfalls von Zeugen mit anderen Beweisaufnahmen fortzusetzen. Klemke weiter: „Da stößt die Begründung, der Beschleunigungsgrundsatz, bei uns schlicht auf völliges Unverständnis. Insbesondere wenn ich mir vor Augen führe, dass alleine die Anordnung des Vorsitzenden, nach dem Inhalt des Ablehnungsgesuchs weiterzuverhandeln, eine Auseinandersetzung [phon.] geradezu provozieren musste. Und dann wird diese Anordnung nicht etwa gestern kundgetan, sondern heute morgen. Ich halte das gerade vor dem Umstand, dass unser Mandant seit fünf Jahren in U-Haft sitzt und hier derart trödelig verhandelt wird, für einen schlechten Witz, was hier als Begründung ins Feld geführt wird. Auf den völlig unsubstantiierten Verschleppungsvorwurf von Herrn Dr. Diemer von gestern möchte ich gar nicht erst eingehen, dazu wird noch genug Gelegenheit sein.
Weiter ist es für Herrn Wohlleben auch unzumutbar, hier mit den abgelehnten Richtern vor Erledigung des Gesuchs weiterzuverhandeln. Nicht nur [phon.] wegen des bereits eingetretenen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot, sondern in erster Linie aufgrund des Umstandes, dass die abgelehnten Richter hier einseitig belastend Beweis erheben wollen, in dem sie selektiv Teile der Ermittlungsberichte, insbesondere von KHK Di., verlesen und entlastende Teile weglassen wollen. Einen noch deutlicheren Hinweis auf eine Voreingenommenheit kann Herr Wohlleben schlechterdings nicht haben. Daher ist es ihm nicht zumutbar, vor der Entscheidung mit den abgelehnten Richtern weiterzuverhandeln. Deshalb unsere Beanstandung der Anordnung des Herrn Vorsitzenden.“
Bundesanwalt Diemer: „Ich halte die vorgetragenen Begründung von Herrn Klemke für eine Unmutsäußerung und vermag ihr keinen sachlichen Gehalt beizumessen. Der Umstand, dass Herr Wohlleben sein Ablehnungsgesuch in völlig abwegiger Weise auf eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes gestützt hat, hindert das Gericht nicht daran, in seiner Reaktion darauf [phon.] den Beschleunigungsgrundsatz zu berücksichtigen. Und wenn der Vorsitzende das erst heute vorträgt und nicht gestern, muss man ihm zugestehen: Er hat sich das überlegt. [phon.]“ Klemke: „Abwegig ist auch eine Stellungnahme, die nur einen oder zwei Punkte herauspickt, aber den Kern unserer Beanstandungen gar nicht streift. Das ist abwegig.“ Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen bis 11:30 Uhr.“
Um 11:32 Uhr geht es weiter. Götzl verkündet den Beschluss, dass seine Verfügung, mit der die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vorläufig zurückgestellt wurde, bestätigt wird. Wenn ein erkennender Richter nach Beginn der Hauptverhandlung abgelehnt wird, könne die Hauptverhandlung gem. § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO in den dort bezeichneten zeitlichen Grenzen bis zur Entscheidung über die Ablehnung fortgesetzt werden, falls die Entscheidung über die Ablehnung eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erforderlich machen würde. Diese Entscheidung sei nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Eine Entscheidung über das am 16.11.2016 gegen 14 Uhr angebrachte Ablehnungsgesuch würde, so Götzl, eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erforderlich machen, weil die Verfahrensbeteiligten zunächst die Gelegenheit hätten, sich zum Ablehnungsgesuch und den noch am 16.11.2016 versandten dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter zu äußern und bereits für den 17.11.2016 die Fortsetzung der Hauptverhandlung terminiert sei. Eine Fortsetzung der Hauptverhandlung sei demgegenüber sachgerecht. Sie sei dem Angeklagten Wohlleben auch unter Berücksichtigung der in der Begründung des Ablehnungsgesuchs dargestellten Umstände im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen zumutbar.
Diesem Grundsatz komme im vorliegenden Verfahren besondere Bedeutung zu, da sich Wohlleben und Zschäpe bereits seit ca. fünf Jahren in Untersuchungshaft befinden würden. Der Hinweis der Verteidigung Wohlleben, eine Fortsetzung habe deshalb zu unterbleiben, weil das Ablehnungsgesuch gerade eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes rüge, verfange nicht. Die behauptete Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes sowohl im Hinblick auf die geplante Verlesung als auch im Hinblick auf die gerügte Gestaltung des Hauptverhandlungsprogramms in den letzten sechs Monaten sei eine Bewertung des Angeklagten, die der Senat nicht teile. Zudem entspreche auf Grundlage der Bewertung des Angeklagten, der von einer Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes ausgehe, eine Beschleunigung durch Weiterverhandlung gerade seiner Interessenslage. Die Verteidigung Wohlleben führe weiter an, die Anordnung des Vorsitzenden nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO hätte bereits am 16.11.2016 und nicht erst zu Beginn der Hauptverhandlung am 17.11.2016, ergehen müssen, und da dies nicht geschehen sei, sei der Beschleunigungsgrundsatz verletzt worden. Auch dies treffe nicht zu, verliest Götzl.
Der Senat habe die verbliebene Zeit nach Unterbrechung der Hauptverhandlung am 16.11.2016 dazu genutzt, zunächst zu prüfen, ob er im Hinblick auf die Stellungnahme des GBA vom 16.11.2016 selbst über das Ablehnungsgesuch nach § 27 Abs. 1 StPO zur Entscheidung berufen ist. Dies habe der Senat nach Überprüfung der Rechtslage allerdings verneint. Zusätzlich habe der Vorsitzende geprüft, ob eine Anordnung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO zulässig und sachgerecht ist. Es sei daher nicht möglich gewesen, eine Anordnung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO noch am 16.11.2016 zu treffen. Ein Weiterverhandeln sei Wohlleben auch zumutbar. Die Verteidigung trage in diesem Zusammenhang vor, ein Weiterverhandeln sei dem Angeklagten deshalb unzumutbar, weil er im Ablehnungsgesuch ausgeführt habe, die abgelehnten Richter würden im Hinblick auf eine geplante Verlesung von Urkunden eine einseitige Beweisaufnahme beabsichtigen und über entlastende Umstände nicht Beweis erheben. Dies sei aber erneut eine Wertung des Angeklagten, die der Senat nicht teile. Bei den Textpassagen, die von der geplanten Verlesung ausgenommen werden sollen, handele es sich nach vorläufiger Bewertung entweder nicht um den Angeklagten Wohlleben entlastende Umstände oder um Bewertungen von Ermittlungsbeamten. Ein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen dem Ablehnungsgesuch und den für den Hauptverhandlungstermin vom 17.11.2016 durchzuführenden Verfahrensschritten sei nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen. Klemke: „Wir beantragen eine Abschrift und bitten um eine Unterbrechung von 30 Minuten, um die Sache mit dem Mandanten erörtern zu können.“ Götzl: „Dann wird unterbrochen und wir setzen fort um 12:15 Uhr.“
Um 12:18 Uhr geht es weiter. Klemke: „Wir beantragen eine Unterbrechung bis 13:50 Uhr, um ein Ablehnungsgesuch gegen sämtliche Richter des Senats zu formulieren.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir und setzen um 13:50 Uhr fort.“
Um 13:53 Uhr geht es weiter. Klemke verliest den Befangenheitsantrag. Er schildert knapp den prozessualen Hergang. Dann sagt er, indem die abgelehnten Richter ausführten, die behauptete Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes auch im Hinblick auf die geplante Verlesung der Ermittlungsberichte der Polizeibeamten Pf. und Di. sei eine Bewertung Wohllebens, die die abgelehnten Richter nicht teilten, bewerteten die abgelehnten Richter diesen Ablehnungsgrund in sachlicher Hinsicht. Auch soweit ausgeführt werde, der Senat teile nicht die Bewertung Wohllebens, die abgelehnten Richter würden im Hinblick auf die geplante Verlesung der Urkunden eine einseitige Beweisaufnahme beabsichtigen, nähmen sie sachlich zu diesem Ablehnungsgrund Stellung. Das sei den abgelehnten Richtern verwehrt. Dies gelte nicht nur im Rahmen von dienstlichen Äußerungen, in denen die abgelehnten Richter ausschließlich Verfahrenstatsachen in Bezug auf die geltend gemachten Ablehnungsgründe darlegen dürften. Die abgelehnten Richter dürften erst recht bei der Vornahme von Prozesshandlungen so lange nicht zu den geltend gemachten Ablehnungsgründen Stellung nehmen, als die dazu berufenen Richter über die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs entschieden haben. Anderenfalls vertieften die abgelehnten Richter – wie hier – die Besorgnis des Angeklagten hinsichtlich ihrer Befangenheit. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die abgelehnten Richter das Ablehnungsgesuch zurecht als unzulässig verworfen hätten, was hier nicht der Fall sei. Im Übrigen erweckten die abgelehnten Richter mit der Begründung des Beschlusses vom heute bei Wohlleben den Eindruck, sie wollten die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Richter beeinflussen.
Götzl: „Dann wird den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt.“ Diemer: „Vergleichbarer Sachverhalt wie gestern: Ich bin auch hier der Meinung, dass über das Gesuch nicht entschieden werden kann, ohne die Hauptverhandlung zu unterbrechen. [phon.] Ich spreche mich nachdrücklich dafür aus, nach § 29 StPO fortzusetzen und jetzt den Zeugen W. zu vernehmen.“ Klemke: „Die Verteidigung Wohlleben tritt einer Sachbehandlung nach § 29 StPO ausdrücklich entgegen.“ Götzl fragt Klemke, ob die dienstlichen Erklärungen an RAin Schneiders geschickt werden können. Klemke bejaht das. Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung bis 14:20 Uhr unterbrochen.“ Um 14:23 Uhr geht es weiter. Götzl: „Haben Sie die Kopien jeweils erhalten? Sind dann noch Stellungnahmen im Rahmen des rechtlichen Gehörs? Keine? Dann werden wir uns nochmal zur Beratung zurückziehen. Die Hauptverhandlung wird bis 15 Uhr unterbrochen.“
Um 15:02 Uhr geht es weiter. Götzl verfügt, dass die Hauptverhandlung trotz des erneuten Ablehnungsgesuchs fortgesetzt wird. Klemke beanstandet. Götzl: „Soll Stellung genommen werden?“ Diemer: „Die Gründe, die für eine Fortsetzung der Hauptverhandlung sprechen, sind genannt und daran ändert sich auch durch die Beanstandung des Herrn Klemke nichts.“ Klemke: „Die Gründe, die gegen einen Fortsetzung der Hauptverhandlung sprechen, sind von uns auch genannt worden. Daran ändert auch die Stellungnahme von Herrn Dr. Diemer nichts.“ Götzl: „Dann werden wir unterbrechen bis 15:35 Uhr.“
Um 15:38 Uhr wird durchgesagt, dass die Hauptverhandlung erst um 15:50 Uhr fortgesetzt wird. Um 15:58 Uhr geht es dann tatsächlich weiter. Götzl verkündet den Beschluss, dass seine Verfügung bestätigt wird. Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath: „Die Verteidigung Wohlleben beantragt eine Abschrift und eine halbe Stunde Unterbrechung zur Beratung.“ Diemer: „Ich möchte mal unaufgefordert das Wort ergreifen ausnahmsweise. Ich meine, dass eine weitere Unterbrechung nicht geboten ist und es zulässig und erforderlich ist, jetzt die Hauptverhandlung fortzusetzen.“ Ein etwaiges Ablehnungsgesuch, was wohl vorbereitet werden solle, müsse nur unverzüglich angebracht werden, nicht sofort. [phon.] Das Gericht sei jetzt nicht gehindert, den Zeugen zu vernehmen: „Und dann kann der Verteidiger Klemke bis Dienstag in aller Ruhe sein Ablehnungsgesuch verfassen.“ Klemke: „Ich fühle mich geehrt, dass Sie mich so herausheben. Das ist unverschämt gegenüber meinen Mitverteidigern, dass Sie sie so übergangen haben! Das steht Ihnen nicht zu, meine Kollegen zu diskriminieren! Wir müssen auch erst beraten. Der Herr Dr. Diemer weiß wohl mehr als ich; woher weiß er das? [phon.]“ Götzl: „Dann werden wir bis 16:35 Uhr unterbrechen.“
Um 16:37 Uhr geht es weiter. Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders gibt eine Erklärung zum eben verkündeten Senatsbeschluss ab. Grundsätzlich habe Wohlleben hinreichenden Anlass, die Befangenheit der Senatsmitglieder zu besorgen. Mit dem eben verkündeten Beschluss hätten diese die heute geltend gemachten Ablehnungsgründe vertieft. Gleichwohl verzichte Wohlleben in diesem Fall auf eine erneute Ablehnung der Senatsmitglieder. Ihm gehe es nicht um eine missbräuchliche Verzögerung des Verfahrens, sondern darum, seine Rechte zu wahren und unbefangenen Richtern gegenüberzustehen. Götzl: „Sind sonstige Stellungnahmen gewünscht?“ Niemand meldet sich.
Götzl: „Dann rufen Sie doch bitte den Zeugen auf.“ Es folgt die Vernehmung des Zeugen Björn W. aus Jena. Götzl: „Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten.“ Nach der Belehrung sagt Götzl: „Es geht uns um einen Vorfall, soll sich im Juli 1998 zugetragen haben, im Bereich der Wendeschleife der Straßenbahnhaltestelle in Jena-Winzerla. Was können Sie uns dazu sagen?“ W.: „Also ich und ein Freund und jemand, der ein Auto hatte, wir sind aus der Stadt wieder nach Hause. Ich habe damals zwei Minuten von der Endhaltestelle gewohnt. Ich und mein Kumpel, Herr K. sind ausgestiegen, haben noch eine geraucht und wollten danach heim. Uhrzeit irgendwie zwischen 12 und 2. Kann ich nicht mehr bestimmen, wir haben geraucht und dann kamen aus der Richtung des Hugo-Jugendclubs, der damals dort war, vier, fünf Leute um die Ecke und auf uns zu. War komisch, denn sie waren komplett still, hat niemand was gesagt. Auf unserer Höhe haben Sie gesagt, ob wir was gesagt hätten? Wir haben das verneint und dann ging die Schlägerei los. Sie haben meinen Kumpel erwischt. Ich bin nach Hause gelaufen und habe die Polizei gerufen. Ich bin dann wieder runter und habe meinen Freund gesucht. Der kam mir blutend entgegen.“ Götzl: „Haben Sie den Kumpel wiedergetroffen?“ W.: „Ja, er kam mir auf den Gleisen entgegen, war sichtlich desorientiert, hat stark geblutet. Ich habe ihn mitgenommen nach Hause. Dort haben wir einen Krankenwagen gerufen oder kam der durch die Polizei? [phon.] Es hat lange gedauert, bis die Polizei kam, Krankenwagen war schneller.
Götzl: „Wer ist Ihr Kumpel?“ W.: „Martin K.“ Götzl: „Welche Verletzungen hatte er?“ W.: „Seine Nase war krumm [phon.], Gesichtsverletzungen, hat stark aus der Nase geblutet. Auge war leicht geschwollen, am nächsten Tag stark. Da habe ich ihn im Krankenhaus besucht. Ein Nasenbeinbruch war mit dabei, ja.“ Götzl: „Sie sagten, es seien Ihnen vier bis fünf Leute entgegengekommen und hätten Sie angesprochen, ob Sie was gesagt hätten.“ W.: „Genau.“ Götzl: „Wer war das, der das gefragt hat?“ W.: „Weiß ich nicht. Der, der das gefragt hat, war ein etwas bulliger Typ, mittelgroß. Die anderen, kann ich nichts sagen, weiß ich nicht.“ Götzl: „Wenn Sie die beschreiben sollten, ist das möglich?“ W.: „Die normale Standarduniform, die damals getragen wurde als Nazi oder als rechtsgerichteter Hooligan. Bomberjacke. Zur Statur kann ich nichts sagen. Kurze Haare hatten sie alle.“ Götzl: „Was haben Sie konkret in Erinnerung?“ W.: „Bomberjacke. Und so eine Collegejacke hatte einer, glaube ich, an. Mehr weiß ich nicht mehr.“ Dann sagten Sie: ‚Die Schlägerei ging los.‘ Was bedeutet das?“ W.: „Ging relativ schnell. Einer hat mich geschubst, ich habe einen Schlag abgekriegt. Daraufhin bin ich los. Dann weiß ich nicht, was bei Herrn K. war. Er ist leider in die falsche Richtung gelaufen. Hinter mir ist einer oder zwei hinterher. Als ich gehört habe, dass die Schritte langsamer wurden, habe ich mich umgedreht und gesehen, dass es nur einer noch war. Der ist dann zu seinen Kumpels und hat mich laufen lassen. [phon.]“
Götzl sagt, W. habe davon berichtet, er sei geschubst und geschlagen worden, und fragt, was W. konkret in Erinnerung habe. W.: „Kann ich jetzt nichts mehr dazu sagen, das ist alles sehr lange her.“ Auf Frage, wo er damals gewohnt habe, nennt W. die Adresse und sagt, das sei zwei Minuten zum normalen Laufen, vielleicht auch nur eine Minute. Götzl: „Und der Kumpel hätte die falsche Richtung eingeschlagen. Haben Sie gesehen, welche Richtung?“ W.: „In entgegengesetzte Richtung. Ich habe da gewohnt und er ist in die entgegengesetzte Richtung weg.“ W.: „Haben Sie das noch gesehen?“ W.: „Ja, das habe ich noch gesehen, weil ich mich umgedreht habe, ob er noch dabei war.“ Götzl: „Haben Sie mit ihm drüber gesprochen im Anschluss an diesen Tag, was sich zugetragen hat?“ W.: „An dem gleichen Tag glaube ich nicht. Ich habe ihn aber am nächsten oder übernächsten Tag im Krankenhaus besucht. Er hat gesagt, da war so ein Edeka oder so eine Kette, da ist er eine Böschung hochgerannt, da war ein niedriger Zaun, den hat er nicht gesehen, da ist er hängengeblieben und gestürzt und dann kamen die Täter und haben ihn wohl mit Schlägen und Tritten, ja, belegt.“
Götzl: „Sonst noch irgendwelche Umstände, die er berichtet hätte?“ W.: „Sie haben ihn wohl an Körper und Gesicht getreten, geschlagen, mehr weiß ich da nicht.“ Götzl: „War damals von einem Holzhäuschen oder Häuschen die Rede?“ W.: „Auf dem Gelände der Wendeschleife in der Mitte war so ein Unterstand für die Bahnfahrer, denke ich. Ich weiß, dass es dort eines gibt, aber der Zusammenhang ist mit jetzt nicht klar.“ Götzl: „Meine Frage war, ob Ihr Kumpel Ihnen damals am selben Tag irgendwas von einem Holzhäuschen berichtet hätte?“ W.: „Nee, nicht dass es mir bewusst wäre.“ Götzl: „Sie hatten vorhin erwähnt, dass Ihr Kumpel letzte Woche hier gewesen wäre. Woher wissen Sie das, haben Sie Kontakt?“ W.: „Seit ein, zwei Jahren nicht mehr.“ Auf Frage, woher er das dann wisse, sagt W.: „Ich habe es vermutet, denn es stand in der OTZ, dass sich einer der Angeklagten da entschuldigt hätte.“ Götzl: „Diese Personen, die Ihnen entgegengekommen sind, ist Ihnen da was aufgefallen?“ W.: „Nee.“ Götzl: „Gab es da Anzeichen für Alkoholisierung?“ W.: „Nee, glaube ich nicht, ist keiner getorkelt. Ansonsten kann ich über den Alkoholzustand [phon.] nicht viel sagen. Kamen mir nicht extrem betrunken vor.“ Götzl: „Ist Ihnen am Sprechen, Gehen was aufgefallen?“ W.: „Viel gesprochen wurde da nicht.“ Götzl: „Haben Sie und Herr K. etwas getrunken gehabt?“ W.: „Ich denke ja. Der Herr K. ist nicht so mit Alkohol, der hatte vielleicht ein, zwei Bier, ich so drei, vier. Aber wir waren beide nicht betrunken.“
Götzl: „Sind Sie in diesem Jahr von der Polizei, vom BKA vernommen worden?“ W.: „Ja, in Zusammenhang mit dieser Geschichte hier. Vor drei, vier Wochen.“ Götzl: „Sind Ihnen damals auch Lichtbilder gezeigt worden?“ W.: „Ja.“ Götzl: „Haben Sie jemanden erkannt?“ W.: „Ich habe einen erkannt. Mir wurde gesagt, das sei der Herr Wohlleben. Ich habe aber gesagt, dass das nicht von der Schlägerei ist, sondern könnte auch aus der Presse sein. [phon.]“ Götzl: „Kannten Sie ihn aus der damaligen Zeit?“ W.: „Nicht persönlich, nur so ‚mit den Jungs spielt man nicht‘. Nein, nicht persönlich.“ [phon.] Götzl: „Was meinen Sie damit?“ W.: „Es sind so Gerüchte, dass man sagt: Vorsichtig sein, weil er zu der Szene gehört hat halt.“ Götzl: „Was ist mit ‚Gerüchte‘ gemeint? Können Sie das ausführen?“ W.: „Weil es halt öfters mal Stress gab.“ Götzl: „Bezog sich das auch auf Herrn Wohlleben?“ W.: „Das bezog sich allgemein auf eine Gruppe, die in Jena-Winzerla unterwegs war. Das ist nicht so groß. Wohlleben – man kannte den Namen, aber ich hatte keine Details oder so was.“ Götzl: „Auf welche weiteren Personen beziehen Sie sich?“ W.: „Ich kann Ihnen keinen Namen nennen. Aber es sind halt so Leute, wenn man die in Winzerla gesehen hat, ist man halt weitergelaufen unauffällig.“
Götzl: „Kennen Sie denn einen der Angeklagten?“ W.: „Nein.“ Götzl: „Kannten Sie Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos?“ W.: „Nicht persönlich.“ Götzl: „Frau Zschäpe?“ W.: „Auch nicht.“ Götzl: „Haben Sie sie mal in Jena gesehen?“ W.: „Ähm, bestimmt, wahrscheinlich ist man sich in Jena übern Weg gelaufen. Jena ist ja nicht so groß.“ Götzl: „Was bedeutet das?“ W.: „Ich habe in Winzerla gewohnt und da sind die Leute ja auch aufgewachsen, von daher bin ich ihnen bestimmt schon mal begegnet.“ Vorhalt aus W.s BKA-Vernehmung vom 19.10.2016: Frage: Kannten Sie Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt? – Antwort: Nein, nicht persönlich. Ich habe die drei schon das ein oder andere Mal in Winzerla herumlaufen gesehen. W.: „Das meine ich damit, aber wir haben keinen Kontakt gehabt.“ Götzl: „Ja, haben Sie eine konkrete Erinnerung?“ W.: „Ich habe die in jedem Fall da mal rumlaufen sehen, aber den Zeitpunkt, wann und wie, weiß ich nicht.“
Vorhalt: Sie waren meistens in der Gruppe mit weiteren Personen mit Bomberjacken unterwegs. W.: „Ja, ja. Wenn man sie mal gesehen hat, dann so. Es gab so ein paar Treffpunkte, wo sie rumhingen und rumgelaufen sind. [phon.] Die waren nicht immer alleine, sage ich mal so. Aber ich kann nicht sagen, welche Personen da beteiligt waren. Ich habe da nicht gehört zu dem Kreis und deswegen kann ich nicht sagen, wer da beteiligt war und mit wem die durch die Gegend gelaufen sind.“ Götzl: „Mich interessiert, ob Sie sie tatsächlich gesehen haben.“ W.: „In Winzerla, ja, aber nicht zu dem Tatzeitpunkt, sondern schon vorher.“ Götzl: „Haben Sie sich über Herrn Wohlleben mal mit anderen unterhalten?“ W.: „Nur im Rahmen dieses Prozesses. Aber nicht in zum Bezug auf mich, sondern als das jetzt hier so losging.“ Götzl: „Und in früheren Zeiten, in der damaligen Zeit?“ W.: „Da hat man auch mal drüber gesprochen, mit dem sollte man jetzt nicht so verkehren, sagen wir mal so. Aber mehr auch nicht.“ Götzl: „Ist darüber gesprochen worden, warum nicht?“ W.: „Weil es Ärger gibt mit den entsprechenden Leuten. Weil da Ärger vorprogrammiert ist. Man möchte nichts mit den Leuten zu tun haben, weil es Ärger geben könnte.“
Götzl: „War in dem Zusammenhang von Auseinandersetzungen die Rede?“ W.: „Sicher ging es auch um Auseinandersetzungen, wo ich aber nicht beteiligt war. Es gab aber vom Hörensagen, mal Stress in dem Laden oder Club. [phon.] Götzl: „Mit wem haben Sie darüber gesprochen?“ W.: „Mit Freunden. Ansonsten mit Leuten, die man so kannte.“ Vorhalt: Den Wohlleben kannte man schon in Jena … wenn man über ihn sprach, ging es darum, dass er und seine Männer wieder unterwegs waren und Schlägereien angezettelt haben. [phon.] W.: „Ganz so vielleicht nicht. Aber dass es halt Stress geben kann. Damit sind so ’ne Sachen gemeint.“ Götzl: „Wissen Sie, ob den Vorfall weitere Personen beobachtet haben?“ W.: „Ja, mir war im Hinterkopf, das habe ich in der Vernehmung ausgesagt, kann aber falsch verknüpft worden sein, dass unser damaliger Vermieter, der hat bei einer Sicherheitsfirma gearbeitet, der stand immer an der Wendeschleife, mir war so, dass der dort stand in seinem Dienstwagen. Und es kann sein, dass er das gesehen hat. Es gab aber Ärger mit dem Vermieter und meinen Eltern, deswegen kann es sein, dass ich das vielleicht falsch in Erinnerung habe nach der doch längeren Zeit. [phon.]“ Auf Nachfrage nennt W. den Namen des Vermieters und sagt dann: „Es gab aber Ärger, weil das Treppenhaus vollgeblutet war. Und vielleicht habe ich das deswegen durcheinandergebracht.“
Götzl: „Haben Sie sich mit Herrn K. darüber unterhalten, wo der Vorfall genau stattgefunden hat, der Zaun?“ W.: „Nein, ich weiß das, weil er das gesagt hat mit dem Zaun.“ [phon.] Götzl: „Hat er das gezeigt?“ [phon.] W.: „Nein, ich weiß, wo das ist. An der Bushaltestelle 50 Meter an dem Holzhäuschen vorbei und die Böschung hoch. Das sind 50 Meter, weiter nicht. Das ist das, was ich davon weiß.“ Götzl: „Als Sie an der Haltestelle angekommen waren, wo haben Sie sich genau aufgehalten?“ W.: „Ziemlich direkt an dem Haltestellenhäuschen, vielleicht 5 Meter entfernt. Da ging es eine kleine Treppe hoch. An dieser Treppe halt. Es sind 5 Meter von dem Wartehäuschen entfernt, vielleicht 3.“ Götzl: „Haben Sie gestanden oder gesessen?“ W.: „Wir standen.“ Götzl: „Gab es vor dem Vorfall irgendeinen Wortwechsel oder eine andere Auseinandersetzung?“ W.: „Nein, gar nicht. Ich habe noch eine geraucht, wir standen und vorher gab es auch kein Zusammentreffen mit anderen, die Straße war leer.“ Götzl: „Wir müssen kurz fünf Minuten unterbrechen und Unterlagen holen, die wir leider vergessen haben. Wir setzen fort um Viertel nach. Bitte bleiben Sie in der
Nähe.“
Um 17:16 Uhr geht es weiter. Götzl: „Herr W., sind Sie bitte so nett und kommen nochmal nach Vorne, 22408, das Luftbild.“ W. geht an den Richtertisch. Das schon mehrfach gezeigte Luftbild wird vorgehalten. Götzl: „Dass Sie sich das anschauen.“ W.: „Das ist wahrscheinlich die Haltestelle hier und das hier, kann ich mich nicht entsinnen, dass die Dinger da standen. Also ich habe da gewohnt, und hier waren die Wartehäuschen und da standen wir, hier geht so eine kleine Treppe hoch. Genau hier ist dieser Lidl oder Netto, was immer das war, und hier geht diese Böschung hoch, das heißt von der ich dachte, dass es diese Böschung war.“
RAin Schneiders: „Mich würde interessieren, ob Sie Herrn Wohlleben damals kannten. Ich würde es konkreter fragen: Kannten Sie Herrn Wohlleben damals vom Sehen?“ W.: „Nur vom Sehen, ja.“ Schneiders: „Das Gesicht war Ihnen damals bekannt?“ W.: „Ja, Winzerla ist nicht groß, man ist sich schon übern Weg gelaufen, aber nicht, dass wir uns unterhalten hätten. Aber wir haben uns gesehen, Winzerla ist nicht groß.“ Schneiders: „Wie waren Sie damals gekleidet, welchen Look hatten sie?“ W.: „Ich war zu erkennen als linksorientiert, ohne extrem links zu sein, also keinen Iro oder so.“ Schneiders: „Können Sie sich erinnern wo aus der Stadt Sie genauer kamen?“ W.: „Ich konnte mich auch bei der Vernehmung nicht daran erinnern, vielleicht aus dem Kassablanca oder so einem Club.“
RA Klemke: „Herr W., ich habe Sie vorhin so verstanden, dass die vier, fünf Personen, die aus der Richtung Hugo kamen, leise waren.“ W.: „Die waren sehr leise. Ich habe das der Polizei gesagt, es gab vorher laute Schreie, Gegröle, kann aber nicht sagen, ob das die Personen waren. Als sie um die Ecke kamen, waren sie ruhig. Da kamen sie leise auf uns zu, haben nichts groß gesagt. Haben überhaupt nichts gesagt. Klemke: „Sie sagten, die Leute hätten kurze Haare gehabt?“ W.: „Glatze, drei Millimeter.“ Klemke: „Was denn jetzt, Glatze oder drei Millimeter?“ W.: „Das war unterschiedlich. Aber keiner über 3 cm.“ Klemke: „Keiner über drei cm.“ W.: „Kurze Haare, so wie Sie.“ Klemke: „Also meine sind ja sehr kurz.“ W.: „Stimmt.“ Klemke: „Wie lang denn höchstens?“ W.: „Kann ich nicht sagen, aber es waren auf jeden Fall Kurzhaarfrisuren.“ Klemke: „Woran machen Sie jetzt die 3 cm fest?“ W.: „Ich hätte auch 5 cm sagen können. Die einschlägige Frisur, mit kurzen akkuraten Haaren, auf Deutsch.“
Klemke: „Sie sagten, Herr K. sei gestürzt.“ W.: „Über so einen Drahtzaun.“ Klemke: „Gestürzt oder gestolpert?“ W.: „Das kann ich nicht sagen.“ Klemke: „Wie sahen die Personen aus, die hinter Ihnen herliefen?“ W.: „Von der Größe her eher normal, nicht extrem mollig. Relativ, also kann ich jetzt schlecht sagen, aber von der Statur her Durchschnitt.“ Klemke: „Sind Sie selbst irgendwann zu Boden gegangen?“ W.: „Ich nicht.“ Klemke: „Sie waren die ganze Zeit auf den Beinen?“ W.: „Ja, wie gesagt, ich bin Richtung meines Hauses, die Schritte hinter mir wurden langsamer, einer hat noch geschrien, mach dich weg, oder so was. Er ist dann wieder Richtung Straßenbahnhaltestelle gegangen, wo der Rest seiner Freunde und der Herr K. war.“ Klemke: „Das vermuten Sie aber?“ W.: „Ja.“ Klemke: „Gesehen haben Sie es nicht?“ W.: „Nein.“ Klemke: „Sie sagten vorhin, dass Sie den Herrn K. mit nach Hause genommen hätten.“ W.: „Ja, er ist mir entgegengekommen. Ich habe ihn mit zu uns nach Hause hoch geholt, erstmal ins Bad. Wir haben den Krankenwagen gerufen und vorher die Polizei.“ Klemke: „War Herr K. ansprechbar, bei Bewusstsein?“ W.: „Ja, aber offensichtlich …“ W. macht eine kurze Pause und sagt dann: „Als ich ihn ansprach, ob ihm was wehtut, sagte er nein. Und die Nase sah nicht so aus.“
Klemke: „Er hat auf Ihre Frage reagiert?“ W.: „Er hat gesagt, einen Krankenwagen brauche er nicht. Ich habe trotzdem einen gerufen, weil das nicht so aussah, als ob es ohne Krankenwagen geht.“ Klemke: „Hat Herr K. mal das Bewusstsein verloren?“ W.: „Nein.“ Klemke: „Er hat hier ausgesagt, dass er mit Ihnen an der Bushaltestelle gewartet habe. Dass er mit Ihnen nach Hause gegangen sei, das hat er nicht berichtet.“ W.: „Dann war er wohl nicht in der Lage.“ Klemke: „Sie sind sich sicher?“ W.: „Ja, wir waren oben und dann sind wir wieder runter, um auf den Krankenwagen zu warten. Wir standen an der Einfahrt, wo es zu unserem Haus ging.“ Klemke: „Wie weit war die Einfahrt von der Bushaltestelle entfernt?“ W.: „Zehn Meter, zwanzig Meter.“
Klemke: „Sie sagten auf Frage meiner Kollegin, in Winzerla sei man sich über den Weg gelaufen.“ W.: „Ist halt eine Plattenbausiedlung.“ Klemke: „Wussten Sie, dass das der Herr Wohlleben ist?“ W.: „Eher so im Vorbeigehen: Guck mal, da stehen sie.“ [phon.] Klemke: „Das ist nicht die Frage. Wenn Sie da eine Person gesehen haben, wussten Sie, dass es der Herr Wohlleben ist?“ W.: „Ja, aus Erzählungen wusste ich, dass das der Herr Wohlleben war, aber nicht persönlich.“ [phon.] Klemke: „Aber Sie konnten den Namen einer Person zuordnen?“ W.: „Ja.“ Klemke: „Also er war Ihnen nicht unbekannt?“ W.: „Nee, in dem Zusammenhang nicht.“ Klemke: „Nun hat Ihnen der Herr Vorsitzende vorhin einen Vorhalt gemacht aus Blatt 6 dieses Protokolls: ‚Den Wohlleben kannte man schon in Jena … wenn man über ihn sprach, ging es darum, dass er und seine Männer wieder unterwegs waren und Schlägereien angezettelt haben. [phon.]‘ Und da sagten Sie: ‚Ganz so habe ich es nicht gesagt.'“ W.: „Wahrscheinlich habe ich das gesagt, was da drinsteht, weil es ist ja eins zu eins mitgeschrieben worden.“ Klemke: „Erinnern Sie sich noch?“ W.: „Wahrscheinlich das. [phon.] Ich kann aber nicht sagen, ob ich ganz genau den Wortlaut gesagt habe. Ich gehe davon aus.“ Klemke: „Eine konkrete Erinnerung haben Sie nicht, was Sie gesagt haben?“ W.: „Nee, ich kann Ihnen den Wortlaut nicht sagen.“
Klemke: „An dem Abend, sagten Sie, sind Sie niemals zu Boden gegangen?“ W.: „Vielleicht mal gestolpert, aber ich lag nicht auf dem Boden.“ Klemke: „Ihnen ist niemand im Gesicht rumgesprungen?“ W.: „Mir nicht.“ Klemke: „Waren Sie verletzt?“ W.: „Leichte Schürfwunden, aber ich habe keinerlei Verletzungen gehabt, die jetzt behandelt werden mussten oder so was.“ Klemke: „Mit wem waren Sie damals befreundet?“ W.: „Wie meinen Sie das?“ Klemke: „Mit wem Sie befreundet waren.“ W.: „Mit dem Herrn K.“ W.: „Und sonst?“ W.: „Anderen Freunden.“
NK-Vertreter RA Hoffmann: „Ich beanstande diese Frage. So pauschal, ohne dass irgendwie erkennbar ist, was das mit dem Vorfall zu tun hat, ist die Frage nicht zulässig.“ Klemke: „Ich werde mich dazu nicht in Gegenwart des Zeugen äußern.“ Götzl: „Dann würde ich Sie bitten, dass Sie kurz draußen warten.“ Der Zeuge verlässt den Saal. Klemke: „Abgesehen davon, dass hier schon Dutzenden Zeugen Fragen gestellt worden nach dem Freundeskreis, könnte die Frage nach den Freunden die Identität der Person erhellen, die ja nach Aussage des Zeugen den Herrn K. und den Herrn W. zur Endhaltestelle gefahren hat. Das wäre ja interessant, die könnte ja die Berichte von W. bestätigen.“ Hoffmann: „Ich nehme eine der gelegentlichen Antworten von Ihnen auf: Dann fragen Sie doch direkt danach! Und stellen nicht eine völlig allgemeine Frage, die ja auch den Zeugen irritiert hat und irritieren sollte, nach seinen Freunden.“ Klemke: „Offensichtlich können Sie in meinen Kopf gucken: Dass diese Frage irritieren soll. Sie können also in meinen Kopf gucken. Diese Fähigkeit hätte ich auch gern. Bisher erschienen Sie mir nicht so, dass Sie besonders sensibel wären [phon.].“ Götzl: „Ich schlage vor, Herr Rechtsanwalt Hoffmann, dass wir den weiteren Ablauf abwarten. Es ist ja jetzt klar, in welche Richtung gefragt werden soll.“ Hoffmann: „Ich bleibe bei meiner Beanstandung.“ OStA Weingarten sagt, der Hinweis, dass der Zeuge nicht wisse, wer noch im Auto saß, mache die pauschale Nachfrage in diesem Fall zulässig. Götzl: „Dann werden wir unterbrechen bis 17:45 Uhr.“
Um 17:47 Uhr geht es weiter. Götzl verkündet den Beschluss, dass die Frage des Verteidigers, welche Freunde er im Juli 1998 hatte, zulässig ist. Sie könne dazu dienen, weitere Informationen zur Identität einer Person zu liefern, die W. und K. zur Haltestelle Jena-Winzerla gefahren hat. Der Zeuge kommt wieder rein.
Götzl: „Haben Sie die letzte Frage noch im Ohr?“ W.: „Mit wem ich befreundet war. Sollte ich Namen nennen?“ Klemke: „Wieso wollte ich es sonst wissen?“ W. nennt zwei Namen und sagt, der Freundeskreis sei ähnlich wie bei K. damals. Er sei damals ab und zu in die Junge Gemeinde gegangen, zu Herrn König. Klemke: „Der war Ihr Freund?“ W.: „Sicher nicht, aber damals der Leiter der Einrichtung. Ich kann kaum mehr Namen nennen, ist ewig her, meistens Spitznamen.“ Klemke: „Mit bürgerlichen Namen kannten Sie die Damen und Herren aus der Jungen Gemeinde nicht?“ W.: „Nein, es hat da bei mir so begonnen, als ich in Richtung Punk gegangen bin mit 17, 18, 19. Und dann war es wieder vorbei.“ Klemke: „Die Damen und Herren der Jungen Gemeinde waren nicht so Punk?“ W.: „Doch, die, aber ich war nicht so! Ich hatte Springerstiefel an und Hosen mit Seitentaschen, also als links zu erkennen von weitem. So wie die anderen zu erkennen sind als rechts.“
Klemke fragt, ob es noch mehr Beispiele für Freunde neben den genannten gebe. W.: „Mehrere.“ Klemke: „Fallen Ihnen Beispiele ein?“ W. nennt einen Vornamen, da wisse er aber den Nachnamen nicht mehr. W.: „Der war auch in meiner Klasse. Puh, tut mir leid. Weiß auch nicht, welche Namen ich alles nennen soll.“ Klemke: „Ja, die, die Ihnen einfallen.“ W.: „Das waren schon so die engeren Freunde.“ Klemke: „Und von der Jungen Gemeinde fallen Ihnen nur Spitznamen ein?“ W. nennt weitere zwei Namen. Klemke: „Sind Sie denn mit jemand von der Jungen Gemeinde auch über die Dörfer gefahren, in Kneipen?“ W.: „Nein.“ Klemke: „Nur dort?“ [phon.] W.: „Meistens auf der Johannisstraße.“ Klemke: „Hatte denn jemand Ihrer Freunde ein Auto?“ W.: „Ja, wir sind ja von dem gefahren worden. Der Spitzname war ‚der Dicke‘, das habe ich auch bei der Vernehmung zu Protokoll gegeben. Der richtige Name fiel mir damals schon nicht ein. Er hatte einen Wartburg 353 in Beige.“ Klemke: „Und der hieß ‚der Dicke‘?“ W.: „Ja, das war ein eingängiger Spitzname, deswegen habe ich mir wahrscheinlich nur den gemerkt.“ Klemke: „Herrn K. kannten Sie aus der Schule?“ W.: „Nein, aus Winzerla, weiß nicht genau.“ Klemke: „In die Junge Gemeinde ging der aber nicht?“ W.: „Nein.“ Klemke: „Der Dicke, wo wohnte denn der?“ W.: „Winzerla, Straße weiß ich nicht genau. Ich kann sie vielleicht auf dem Bild zeigen, wenn sie mit drauf ist.“ W. beschreibt, wo die Straße liegt. Klemke: „Okay, danke schön.“
Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath: „Herr W., hat Herr K. berichtet, wie er seinen Peinigern entkommen ist?“ W.: „Soweit er berichtet hat, haben die irgendwann von ihm abgelassen. Also das weiß ich nicht genau, kann ich nicht sagen.“ RAin Schneiders: „Ich möchte Ihnen noch kurz einen Vorhalt machen aus der polizeilichen Vernehmung, Blatt 5, da werden Sie gefragt, ob Sie die Personen beschreiben können. Da sollen Sie gesagt haben: ‚Ich kann mich nur noch an die eben erwähnte Person erinnern, die uns gefragt hat, kräftig, 180 cm groß, Haare kurz geschoren mit auffälligem Bart [phon.]‘. Kommt Ihnen da eine Erinnerung?“ W.: „Nicht fett, aber kräftige, massige Statur, normale Größe.“ [phon.] Schneiders: „Wie sah der Bart aus?“ W.: „So Kinnbart ohne Kinn, glaube ich. Also die entsprechenden Koteletten, sagt man wohl. [phon.]“
Schultzes Verteidiger RA Pausch: „Zurück zu der Beschreibung. Sie sagten heute: Bomberjacke und Collegejacke.“ W.: „Ja, dieser Style.“ Pausch: „Können Sie diese Collegejacke beschreiben?“ W.: „Nein.“ Pausch: „Farbe?“ W.: „Beige, sandfarben, das war diese Person mit dem Bart.“ Pausch: „Soll das die Person mit dem Bart gewesen sein, die die Collegejacke getragen hat?“ W.: „Ja, wobei ich nicht weiß, ob ein Collegenamen drauf gestanden hat.“ Pausch: „Können Sie Aktivitäten dieser Person erinnern?“ W.: „Nein.“ Pausch: „Können Sie die Jacke genauer beschreiben?“ W.: „Nein, ich weiß nicht, ob auf dem Rücken was stand, vorne stand, glaube ich, nichts drauf.“ [phon.] Pausch: „Haben Sie festgestellt, dass der stehenblieb?“ [phon.] W.: „Ich habe festgestellt, dass die Schritte hinter mir langsamer wurden. Der Großteil hat nicht mich verfolgt, sondern den Herrn K. Die Person hinter mir hat abrupt abgebremst und geschrien: ‚Mach Dich weg!‘ Ich bin nach Hause gelaufen und habe die Polizei gerufen.“ Pausch: „Wie weit waren Sie da schon gekommen?“ W.: „100 Meter, 150 Meter vielleicht.“ Pausch: „Wie weit ist Ihre Wohnung entfernt in Metern?“ W.: „Luftlinie sind das vielleicht 300 Meter oder so, also das ist nicht weit. Wenn ich zum Fenster rausgeschaut habe, habe ich direkt auf die Haltestelle geschaut.“ Pausch: „Wie lange sind Sie gelaufen?“ W.: „Vielleicht eine Minute, das kann ich nicht direkt sagen, wie lang ich da gelaufen bin, keine Ahnung.“
Pausch: „Zu der Person Wohlleben. Sie sagten ja: Ist Ihnen begegnet.“ W.: „Man ist sich halt über den Weg gelaufen.“ Pausch: „Zu welcher Zeit ist er Ihnen das erste Mal begegnet?“ W.: „So die Zeit zwischen 17 und 19, 20 Jahren.“ Pausch: „Nochmal zur Collegejacke in sandfarben, beige. Hatten die Ärmel eine andere Farbe?“ W.: „Keine Ahnung, das kann ich nicht sagen.“ Schultzes Verteidiger RA Hösl: „Ihre Wahrnehmung bezüglich des Herrn Wohlleben damals, wo hat der damals gewohnt?“ W.: „Das weiß ich nicht, in welcher Straße er gewohnt hat.“ Hösl: „Stadtteil?“ W.: „Winzerla. Ich habe ihn zumindest dort gesehen, kannte aber seinen Aufenthaltsort nicht.“
Dann spricht der Angeklagte Schultze: „Guten Tag. Ich war damals auch dabei, mit bei den Tätern, bei den Angreifern und wollte mich dafür bei Ihnen entschuldigen. Es tut mir leid.“ W.: „Okay.“ Um 18 Uhr wird der Zeuge entlassen.
Danach sagt der Angeklagte Wohlleben, dass er gern eine Erklärung abgeben würde. Er habe bereits in seiner Einlassung zur Aussage Schultze, dass er jemandem auf dem Kopf herumgesprungen sei, gesagt, dass er nicht bei der Schlägerei dabei gewesen sei. Er sei wenige Monate nach dem Abtauchen vielmehr darauf bedacht gewesen, dass er nicht polizeilich auffalle.
RA Hoffmann behält sich eine Erklärung vor. Auch Klemke behält sich eine Erklärung vor. Der Verhandlungstag endet um 18:02 Uhr.
Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Weiteres Theater der Verteidigung Wohlleben – Heute legte mal wieder die Verteidigung Wohlleben das Verfahren lahm, und zwar mal wieder mit einem unbegründeten Befangenheitsantrag […] Die Verteidigung geht augenscheinlich in dieser Form vor, weil sie eingesehen hat, dass sie inhaltlich im Verfahren keinen Blumentopf mehr gewinnen kann – zu belastend die Beweislage gegen Wohlleben, zu eindeutig die Bewertungen dieser Beweislage durch das Oberlandesgericht München wie durch den Bundesgerichtshof in den Beschlüssen zur Haftfortdauer. Nicht ganz klar ist, was genau die Verteidigung mit ihrem Theater bezweckt: geht es einfach nur darum, das Verfahren zu verzögern? Oder ist das Ziel, das Gericht so sehr zu ärgern, dass es irgendwann einen Verfahrensfehler macht, den die Verteidigung in der Revision angreifen könnte? Letzteres erscheint eine wenig erfolgsversprechende Strategie – zu routiniert (wenn auch zu gemächlich) die Reaktionen des Senats auf die Versuche der Verteidigung. Die Verzögerung des Verfahrens hingegen gelingt der Verteidigung – die amüsanterweise selbst immer wieder auf den Beschleunigungsgrundsatz pocht – immer wieder gut. Bis zum späten Nachmittag konnte sie die Vernehmung des einzigen für heute eingeplanten Zeugen verzögern. Erst nachdem die Bundesanwaltschaft relativ deutlich gemacht hatte, dass sie die Rücksichtnahme des Vorsitzenden auf die Verteidigung übertrieben findet, und nahelegte, keine weiteren großzügigen Unterbrechungen mehr zu gewähren, soweit kein Bedarf zu erkennen ist, erklärte Rechtsanwältin Schneiders, es käme ihnen nicht auf Verzögerung an, deshalb werde kein weiterer Befangenheitsantrag gestellt. So konnte endlich der Zeuge vernommen werden. Er war Begleiter des Zeugen aus der letzten Woche […] und damit ebenfalls Opfer des Überfalls ‚an der Straßenbahnendhaltestelle‘, den der Angeklagte Schultze beschrieben hatte. Er bestätigte die Angaben dieses Zeugen im Wesentlichen. Der Angeklagte Wohlleben meldete sich im Anschluss nochmals selbst zu Wort und führte aus, er sei an diesem Angriff nicht beteiligt gewesen, er habe sich, nur wenige Monate nach dem Abtauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, damals sehr im Hintergrund gehalten. Angesichts der nunmehr vorliegenden Zeugenaussagen dürfte allerdings die Tat an sich sowie die Tatbeteiligung Wohllebens bewiesen sein.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/11/17/17-11-2016/