Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 24. November 2016
Obwohl in der Pressemeldung vom Bundestag anders angekündigt, wurden in öffentlicher Verhandlung nur zwei von vier Zeugen vernommen. Ein leitender Beamter vom BKA ließ sich nicht von seiner Überzeugung abbringen, dass es sich beim NSU um eine Drei-Personen-Zelle handele und ein ehemaliger Beamter des Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) befand, er habe alles richtig gemacht.von NSU-Watch
Zeugen:
- Axel Kühn (Kriminaloberrat beim BKA, war von Beginn an in der „BAO Trio“ und bis 2015 Leiter der „EG Trio“)
- „Gerd Egevist“ (von 1996 bis 2003 Referatsgruppenleiter beim Referat 22F des BfV, zuständig für Rechtsextremismus/ -terrorismus, ist jetzt Pensionär)
Glaubhafte Ermittlungen gegen NSU-UnterstützerInnen?
Rund viereinhalb Stunden wurde der Zeuge Axel Kühn vom BKA befragt. Neues kam dabei nicht zutage. Es entstand der Eindruck, das BKA bliebe weiterhin bei der These, das Kern-Trio sei allein verantwortlich für die Verbrechen des NSU und hätte, bis auf die weiteren Angeklagten in München, keine sonstige personelle Unterstützung erfahren. Eine These, die nicht haltbar ist, und selbst von den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss bezweifelt wird. Insofern stellt sich die Frage, wie glaubhaft die weiteren Ermittlungen gegen Beschuldigte und gegen Unbekannt sind.
Zu Beginn der Vernehmung ging es um die Fragen wie das Kern-Trio gelebt hat, ob sie die ganze Zeit zusammen wohnten, wie das Intimleben aussah und welche weiteren Erkenntnisse der Zeuge mitteilen könne. Clemens Binninger (CDU) führte an, dass das Kern-Trio rund 4700 Tage im Untergrund gelebt hatte, nachgewiesene Aktivitäten von ihnen fehlten jedoch an 4500 Tagen. Der Zeuge sprach von intensiven Ermittlungen, nannte Zahlen wie viele Asservate erneut untersucht wurden (7000) und wie viele Zeug_innenvernehmungen wiederholt stattfanden (über 100). Aber auf konkrete Fragen nach einem Alltag im Untergrund konnte er in der Regel keine Antworten geben. Auch nicht ob bei den Ermittlungen eine „pädophile Neigung“ Uwe Böhnhardts festgestellt worden sei.
Nach Einschätzung des Zeugen seien Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt extrem auf Abschottung bedacht gewesen. Widersprüche sah er nicht, obwohl bekannt ist, dass sie beispielsweise verschiedene Urlaubsreisen gemacht hatten. Auf die Frage der Opferauswahl gab es vom Zeugen keine Antwort. Bezüglich des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter gibt es beim BKA die Hypothese, dass es hier nur um die Waffe ging und die beiden Polizist_innen zufällig ausgewählt worden seien.
Außerdem sagte der Zeuge zum Mord in Heilbronn, dass er von der Täterschaft Mundlos und Böhnhardts überzeugt sei. Zu den diversen Zeug_innen, welche aussagen teilweise blutverschmiert Personen gesehen zu haben, sagte er, vielleicht hätte da jemand Nasenbluten gehabt und es könne ja sein, dass die Zeug_innen nur blutverschmierte Menschen gesehen hätten, weil sie wussten, dass dort ein Mord geschehen sei. Unvoreingenommene Ermittlungen sollten anders aussehen.
Auf die Frage, ob der Zeuge den aktuellen Stand in Sachen „Lothar Lingen“ wisse, grinste der Zeuge. Er habe das erst im Nachhinein erfahren und könne das Vernichten der Akten nachvollziehen. Es machte den Eindruck, dass er „Lingen“ glaubte, wenn dieser behauptete, in den Akten hätte nichts wesentliches über das Kern-Trio gestanden.
Clemens Binninger fragte den Zeugen, was er über ein brennendes Haus in Glauchau am 4. November 2011 wisse. Der Zeuge wusste davon nichts, notierte sich diese Frage aber um sie an die Kolleg_innen weiterzugeben. Glauchau liegt keine 20 km von Zwickau entfernt, umso unverständlicher, dass ein Polizist vom BKA in leitender Position nichts von dem Brand wusste. Im Raum steht weiterhin die Frage, ob das NSU-Kern-Trio ausschließlich an den bekannten Wohnorten in Zwickau und Chemnitz lebte.
Irene Mihalic (Bündnis 90/ Die Grünen) hielt dem Zeugen vor, dass er nur die „Triothese“ verfolge und immer wenn ein anderer Eindruck entstehe, diffundiere das Wissen ins Ungewisse. Der Zeuge rechtfertigte sich nicht, sagte aber er fände es schade, wenn dieser Eindruck von seiner Vernehmung übrigbleiben würde.
„…der hätte seine Großmutter verkauft“ – was V-Leute sagen stimmt auch?
Der nächste Zeuge hat den Tarnnamen „Gerd Egevist“. Dieser arbeitete von 1996 bis 2003 beim BfV als Referatsgruppenleiter im Bereich Rechtsextremismus/- terrorismus.
Das BfV habe 1998 von der Durchsuchung der Garage in Jena erfahren, als diese schon vorbei war. Die Vorarbeit einschließlich Observation hatte das LfV Thüringen übernommen und dann die Polizei informiert. Diese ließ, wie bekannt, Uwe Böhnhardt entkommen. Aufgrund des Fundes von Sprengstoff und einer Rohrbombe wurde das BfV informiert. Beim BfV übernahm dann das für Terrorismus zuständige Referat 22F die weiteren Ermittlungen. Der Zeuge erinnere sich, dass es immer wieder viele Diskussionen zwischen BfV und Polizei gegeben habe, ob es überhaupt Rechtsterrorismus gäbe und die Polizei sich mit dieser Erkenntnis schwer tat.
Auf die Frage nach Ralf Marschner alias V-Mann „Primus“ antwortete der Zeuge, dass „Primus“ als weitgehend zuverlässig eingestuft wurde und schon seit 1992 für den VS arbeitete. Er sei 2002 abgeschaltet worden, weil er zu bürgerlich geworden sei und seine Interessen sich verändert hätten.
Es ging länger um den Punkt, wie viele Observationen im März 1999 in Jena bezüglich Ralf Wohlleben und Carsten Schultze stattgefunden haben. Es gibt Aussagen, es hätte insgesamt 8 Einsätze gegeben, konkret wusste der Zeuge aber nur von zwei, die auch dokumentiert wurden und von drei weiteren, bei denen aber die Unterlagen fehlen würden. Die Frage ging auch an das Bundesinnenministerium, welches zusagte, sich um die Dokumente zu kümmern und diese dann den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses vorlegen wird.
Konkret nach den Quellen, also V-Leuten in der rechten Szene, befragt, machte der Zeuge die Aussage, wenn V-Mann „Primus“ sage, er wisse nicht wo sich das Trio aufhalte, dann glaube er ihm- „der hätte seine Großmutter verkauft“. Bezüglich der V-Männer „Corelli“ und „Tarif“ gab es ähnliche Aussagen vom Zeugen. Kritische Distanz zum Aussagegehalt teils verurteilter Gewalttäter lies der Zeuge vermissen. Der Zeuge hatte in seiner Funktion als Gruppenleiter im Referat 22 F sämtliche Informationen aller Quellen auf dem Schreibtisch. Er selbst wählte aus, an welche Referate und Mitarbeiter_innen im BfV welche Informationen gingen.
Es entstand eine längere Diskussion über den Umgang mit V-Leuten und was hätte alles stattfinden können/müssen, um das Kern-Trio zu finden. André Kapke hatte eine Zeitlang Kontakt zu ihnen, allerdings gelang es ihm nicht Pässe für die drei zu besorgen, woraufhin der Kontakt von ihnen abgebrochen wurde. Wohl auch weil dann Misstrauen vorhanden gewesen sei. Kapke selbst wollte dann wohl auch keinen Kontakt mehr. Irene Mihalic (Bündnis 90/ Die Grünen) hakte hier nochmal nach, es gab doch auch andere Personen, die sich im Umfeld des Kern-Trios bewegten und warum nicht mehr getan wurde, um diese zu finden? Sie stellte die Frage, ob V-Leute Teil der Lösung oder Teil des Problems sind und wofür Quellen da seien, wenn Informationen doch nicht zum Handeln führen würden.
Sie fragte den Zeugen weiter, warum Thomas Richter alias „Corelli“ nicht auf die drei angesetzt worden sei. „Corelli“ hatte Mundlos 1995 in der Bundeswehr kennengelernt, da hätte doch wieder eine Kontaktaufnahme passieren können. Stattdessen sei aber die aufwändige „Operation Rennsteig“ begonnen worden, womit neue Quellen, also V-Leute, gesucht worden seien. Warum nicht bekannte Quellen in die Szene bringen? Der Zeuge gab zwar zu, dass „Corelli“ sehr breite Kontakte hatte, sagte aber auch, dass er es spekulativ fände, ob es gelungen wäre, ihn näher an das Kern-Trio zu bringen. An der Stelle wo es in der Befragung um weitere Informationen zur Arbeit des BfV ging, wurde die Öffentlichkeit erneut ausgeschlossen.
Untersuchungsausschuss ohne Öffentlichkeit?
Wieder einmal wurde bei wichtigen Vernehmungen vor dem Ausschuss die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Der Vorgesetzte von „Lothar Lingen“ beim BfV wurde ausschließlich in nicht-öffentlicher Verhandlung vernommen. Dabei ist das Interesse an weiteren Informationen zur Schredderaktion des BfV sehr groß, zumal nun doch die Staatsanwaltschaft in Köln ermittelt.
Die Ermittlung geschieht aber nur aufgrund einer einzelnen Akte, die Lingen einige Tage nach dem 11.11.2011 von einer Mitarbeiterin schreddern ließ und nicht, wie von einigen Angehörigen der Opfer gefordert aufgrund der ersten großen Schredderaktion (Siehe: Pressemitteilung der Angehörigen des vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık vom 5.10.2016), welcher diverse V-Mann-Akten zum Opfer fielen. Nur durch großen öffentlichen Druck ist dies überhaupt geschehen, deshalb bleibt es umso unverständlicher, dass die komplette Vernehmung des Vorgesetzten nicht-öffentlich stattfand. Der Untersuchungsausschuss muss sich dieser Kritik stellen. In den letzten Sitzungen war es schon fast eine Selbstverständlichkeit, wenn Zeug_innen nicht-öffentlich aussagen wollten, dass ihnen dies auch zugestanden wurde. Diese Tatsache muss von den Abgeordneten dringend hinterfragt werden, wenn man dem eigenen Aufarbeitungsauftrag gerecht werden will.