An diesem Verhandlungstag geht es in erster Linie erneut um die anstehende Erstattung des Gutachtens durch Prof. Dr. Saß und um sein schriftliches vorläufiges Gutachten. Die ‚Alt-Verteidiger_innen‘ von Beate Zschäpe stellen u.a. den Antrag ihn „wegen fachlicher Ungeeignetheit“ von seiner Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens zu entbinden.
Der Besucher_innenbereich ist ungewöhnlich gut gefüllt. Unter den Besucher_innen befinden sich auch mehrere Neonazis, darunter der schon im NSU-Prozess als Zeuge gehörte Thomas Gerlach. Einer der Neonazis hat zwei Kinder dabei, einen Jungen und ein Mädchen. [Minderjährige sind nach Informationen von NSU-Watch im NSU-Prozess eigentlich nicht als Zuschauer_innen zugelassen; auf Nachfrage wird mitgeteilt, dass Richter Götzl persönlich verfügt habe, dass diese Kinder teilnehmen dürfen.] Vor Beginn beschweren sich Pressevertreter_innen, dass die Neonazis auf der Presseseite sitzen, obwohl viele Presseleute sich, wie vorgesehen, vor 09:15 Uhr angestellt haben. Die Nazis werden von Justizangestellten aufgefordert, sich Plätze auf der anderen Seite des Besucher_innenbereichs zu suchen. Einige tun das, zwei bleiben sitzen. Heute ist Fototermin. Um 09:43 Uhr betreten die Angeklagten Wohlleben, Schultze und Zschäpe den Saal. Die Fotografen und Kameraleute dürfen heute auch vom Senat Bilder machen, bevor sie den Saal verlassen müssen. Der Verhandlungstag beginnt um 09:45 Uhr. Götzl: „Dann guten Morgen.Wir setzen die Hauptverhandlung fort.“ Wohlleben winkt nach oben in Richtung der Neonazis, diese winken zurück. Götzl geht zur Präsenzfeststellung über. Zschäpe-Verteidiger RA Borchert ist heute da, auch Prof. Saß ist da. Für die initiale Verteidigung Zschäpe ist eine „Gehilfin“ anwesend.
Götzl: „Dann zunächst die Feststellung zum Selbstleseverfahren, angeordnet mit Beschluss vom 13.12.2016: Die erkennenden Richter sowie die Ergänzungsrichter haben vom Wortlaut des Briefes von Frau Zschäpe an Robin Schmiemann Kenntnis genommen, die übrigen Beteiligten hatten hierzu Gelegenheit.“ Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm: „Kurze Stellungnahme dazu: Wir widersprechen der Verwertung aus den bereits mitgeteilten Gründen, auf die wir uns vollumfänglich beziehen.“
NK-Vertreter RA Hoffmann: „Es wird zu der gerade benannten Beweisaufnahme, Kopie des Briefes, Stellung genommen: In ihrer Einlassung stellt sich die Angeklagte Zschäpe als eine schwache, unselbstständige, abhängige Person dar und versucht damit zu erklären, warum sie trotz ihrer angeblichen Ablehnung der Taten diese nicht verhindert und sich nicht von Mundlos und Böhnhardt getrennt hat.“ In ihrem Brief zeichne, so Hoffmann, die Angeklagte demgegenüber ein Bild einer selbstbewussten Frau, der es wichtig ist, Macht bzw. Kontrolle auszuüben. Die Angeklagte zeige, dass sie sich auch Männern gegenüber keinesfalls unterordne. Hoffmann beginnt mit einem Zitat aus dem Brief : „‚Ich sehe dich als meinen kleinen Gockel.‘ [phon].“
Sturm: „Der Kollege Hoffmann beabsichtigt offenkundig, aus dem Brief in seiner Stellungnahme zu zitieren, was sicherlich unter normalen Umständen zulässig wäre. Hier ist es nicht zulässig, da es die Persönlichkeitsrechte unserer Mandantin betrifft. Es gibt nicht ohne Grund das Selbstleseverfahren. Ich beantrage für den Fall, dass der Kollege Hoffmann weitere Zitate haben sollte, die Öffentlichkeit auszuschließen für die Dauer der Verlesung der Erklärung.“ Hoffmann: „Also hat er, der Kollege Hoffmann.“ Götzl: „Was?“ Hoffmann: „Habe ich, mehrere Zitate.“ Sturm: „Ich beantrage ferner, für die Beratung über den Ausschluss der Öffentlichkeit ebenfalls die Öffentlichkeit auszuschließen.“ Bundesanwalt Diemer: „Über die Frage des Ausschlusses der Öffentlichkeit müsste m.E. unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden.“ Hoffmann: „Ich meine, das ist ausdiskutiert.“ Götzl: „Dann wird die Sitzung unterbrochen, wir setzen fort um 10:10 Uhr.“
Um 10:14 Uhr geht es weiter. Götzl verkündet den Beschluss, dass für die Verhandlung über den Ausschluss der Öffentlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, weil die Öffentlichkeit auszuschließen sei, wenn ein Beteiligter den Ausschluss beantragt. Götzl: „Dann werden wir um 10:25 Uhr in nichtöffentlicher Sitzung fortsetzen.“ Um 10:15 Uhr müssen alle Besucher_innen den Saal verlassen. Gegen 11:30 Uhr dürfen die Besucher_innen wieder in den Saal, die Verhandlung ist zu diesem Zeitpunkt unterbrochen.
Um 12:23 Uhr geht es in öffentlicher Sitzung weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort in öffentlicher Verhandlung. Dann wird der nichtöffentliche Teil wiederholt, soweit es um die Abgabe einer Erklärung geht: Herr Rechtsanwalt Hoffmann, eine Erklärung wird nicht abgegeben, ist das richtig?“ [Eine Antwort ist auf der Empore nicht zu vernehmen, vermutlich bejaht Hoffmann das.]
Dann ordnet Götzl für die Asservatenauswertung zum PC AMD Asus, Asservat EDV01, für einen vorläufigen Untersuchungsbericht vom 06.11.2011 und die Asservatenauswertung zu einem PC das Selbstleseverfahren an. Sturm: „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das nicht nur die Absicht, sondern die Anordnung. Da bitte ich um eine kurze Unterbrechung, um sie ansehen zu können.“ Götzl: „Ja, Sie hatten doch am 28.11. die Mitteilung erhalten und hatten doch rechtliches Gehör.“ Dann sagt Götzl, dass beabsichtigt sei ein Behördenzeugnis des VS Thüringen vom 08.12.2016 zu verlesen.
Götzl: „Wir würden dann zur Anhörung des Sachverständigen kommen, aber Sie hatten angekündigt, dass Sie einen Antrag dazu stellen. Bitte schön! Haben Sie, Herr Rechtsanwalt Heer, den Antrag schriftlich?“ Zschäpe-Verteidiger RA Heer: „Wird übergeben.“ Dann verliest RA Heer den Antrag, Prof. Dr. Saß gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 StPO „wegen der in dem vorläufigen Gutachten vom 20.10.2016 zum Ausdruck kommenden fachlichen Ungeeignetheit“ von seiner Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens zu entbinden. Hilfsweise beantragt Heer, ein methodenkritisches Gutachten einzuholen zum Beweis der Tatsache, dass das Vorgutachten von Saß nicht den anerkannten wissenschaftlichen Standards für ein forensisch-psychiatrisches und kriminalprognostisches SV-Gutachten genüge. Heer regt an, hierzu Prof. Dr. Pedro Faustmann von der Ruhr-Universität Bochum als SV zu bestellen. Außerdem beantragt er hilfsweise, das dem Antrag beigefügte, von der Verteidigung eingeholte methodenkritische Gutachten von Faustmann vom 18.12.2016 zu verlesen, zum Beweis der Tatsache, dass das Vorgutachten von Saß „schwere methodische Fehler“ aufweise. Für den Fall, dass das Gericht dennoch beabsichtigen sollte, Saß in der Hauptverhandlung zu hören, beantragt er, dessen Vernehmung zurückzustellen, einen methodenkritischen SV zu bestellen und zu laden, um diesem anhand der Teilnahme an der Vernehmung von Saß die Anknüpfungstatsachen für die Erstattung eines methodenkritischen Gutachten zum Beweis der Tatsache der Mängelbehaftung des Gutachtens zu vermitteln. Wiederum hilfsweise beantragt er, der Verteidigung binnen einer angemessenen Frist die Möglichkeit zu eröffnen, zu diesem Zweck zu der Anhörung von Saß selbst einen SV zu laden und einen entsprechenden Beweisantrag vorzubereiten und zu stellen. Insoweit gebiete die gerichtliche Aufklärungspflicht auch, ggf. eine kontroverse fachliche Diskussion des zu bestellenden bzw. selbst zu ladenden methodenkritischen SV mit Saß zu ermöglichen.
Als Vorbemerkung führt Heer aus, dass die Verteidigung nicht bezweifle, dass Saß wissenschaftlich, wie auch praktisch als anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der forensischen Psychiatrie gilt
und über langjährige Erfahrung verfügt. Die generelle Qualifikation eines SV sei aber nicht maßgeblich, sondern die Art und Weise seiner Befassung mit der zu begutachtenden Fragestellung; diese sei vorliegend mit schweren Mängeln behaftet. Es sei ihnen – Heer, Stahl und Sturm – auch bewusst, dass es sich bei dem Gutachten vom 20.10.2016 um ein vorläufiges Gutachten handelt und für die Urteilsfindung allein das mündlich in der Hauptverhandlung zu erstattende Gutachten maßgeblich ist. Der Zweck eines in vorläufigen Gutachtens bestehe aber gerade darin, sich mit dem für nicht hinreichend sachkundige Verfahrensbeteiligte in der Regel schwerlich zugänglichen folgenden mündlichen Gutachten kritisch auseinanderzusetzen. Der Sachverständige solle im Vorgutachten gerade erkennen lassen, welche Empfehlungen zu erwarten sind, worauf diese basieren und welche Methodik er seinem Gutachten zugrundelegen wird: „Sofern sich ein Sachverständiger nicht Zweifeln an seiner Sachkunde aufgrund einer gravierenden Widersprüchlichkeit aussetzen will, wird er sein mündliches Gutachten allenfalls ausführlicher und aktueller gestalten, in den grundsätzlichen Fragestellungen, Grundannahmen und der angewandten Methodik aber nicht von dem vorläufigen Gutachten abweichen, so dass dieses durchaus bereits vor der eigentlichen Gutachtenerstattung Grundlage für die prozessuale Auseinandersetzung sein darf und muss.“
Ein vorläufiges Gutachten sei daher auch nicht als „Nullum“ zu bezeichnen, wie sich aus der Bezugnahme des BGH auf solche Gutachten in Entscheidungen ergebe. Der BGH erkenne die methodenkritische Auseinandersetzung schon mit einem schriftlichen Vorgutachten ausdrücklich an und mahne i.Ü. auch an, dass das Gericht die Tätigkeit des SV zu überwachen und zu leiten habe, wozu insbesondere auch die Prüfung gehöre, ob Grundlagen, Methodik und Inhalt des Vorgutachtens den anerkannten fachwissenschaftlichen Anforderungen genügen. Saß weise in seinem Vorgutachten zurecht darauf hin, dieses diene der Vorbereitung auf die Gutachtenerstattung in der Hauptverhandlung, wobei ggf. weitere Hinweise über die zugrunde zu legenden Materialien bei der abschließenden und endgültigen Stellungnahme zu berücksichtigen seien. Heer sagt, dass eine entsprechende Leitung durch den Vorsitzenden im Sinne des § 78 StPO nicht erfolgt sei und bislang auch nicht die ebenfalls im dem Vorgutachten erwähnten Hinweise von weiteren Verfahrensbeteiligten ergangen seien, so dass der SV seinem Gutachten in der Hauptverhandlung exakt jene Materialien zugrundelegen werde, die auch in das Vorgutachten eingeflossen sind.
Soweit Saß die Vorläufigkeit der Stellungnahme vom 20.10.2016 betone, weil die Materialien aus den mehr als 300 Verhandlungsterminen außergewöhnlich umfangreich seien und es hinsichtlich der in der vorbereitenden Stellungnahme verwendeten Informationen Ergänzungen und Korrekturen geben könne, die dann zu einer Modifizierung führen könnten, sei anzumerken, dass ein SV vor
dem Hintergrund des Zwecks eines Vorgutachtens verpflichtet sei, alle wesentlichen für die Beantwortung der Gutachtensfragen erforderlichen Anknüpfungstatsachen zu verwenden. Insoweit dürften sich erhebliche Weiterungen nicht ergeben. Entscheidend sei aber v.a., dass keiner der die Vorläufigkeit des schriftlichen Gutachtens vom 20.10.2016 betonenden Hinweise des SV geeignet sei, die „grundlegenden methodischen Fehler in seiner Herangehensweise zu heilen“, so Heer. Außerdem seien seit Vorlage des Vorgutachtens keine Beweismittel eingeführt worden, die zu einer wesentlichen Änderung der darin niedergelegten Beurteilung führen könnten; Saß habe auch nach dem 324. Verhandlungstag nicht mehr an der Hauptverhandlung teilgenommen.
Heer kommt dann zu den „fachlichen Unzulänglichkeiten des Vorgutachtens “ und geht zunächst auf die fehlende Exploration ein. Saß habe in seinem Vorgutachten zu der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, zum Zustand von Zschäpe sowie zu den Behandlungsaussichten Stellung genommen, obwohl eine Exploration von Zschäpe nicht erfolgt ist. Damit genüge dieses Vorgutachten nicht den Mindeststandards für ein forensisch-psychiatrisches Gutachten, weil Saß über keinen genügenden psychischen Befund, sondern lediglich über ein „Gemenge aus psychischen Befindlichkeiten“ verfüge, die zudem noch – worauf der SV selbst zwar hinweist, selbiges dennoch nicht unterlasse – von seiner subjektiven Wertung geprägt seien. Saß habe mittels des Vorgutachtens verdeutlicht, dass auch das mündliche Gutachten nicht den Mindestanforderungen an ein forensisch-psychiatrisches Gutachten entsprechen werde und zudem keine brauchbaren Ergebnisse zu erwarten seien, weil sich Zschäpe einer Exploration nach wie vor verweigere und sich der SV daher nur einen „ferndiagnostischen und damit unzureichenden persönlichen Eindruck von ihr“ habe verschaffen können.
Heer führt aus:
Er stützt sein schriftliches Vorgutachten „auf die Beobachtungen und Informationen aus der Teilnahme an der weit überwiegenden Zahl der Hauptverhandlungstage“ und auf „die jeweiligen Unterrichtungen in der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden des Senats einschließlich der Ergänzungen durch Verfahrensbeteiligte“ sowie auf „die initial mit dem Gutachtensauftrag übersandten und während der Hauptverhandlung kontinuierlich ergänzten Akten“. Unter Bezugnahme auf die von Frau Zschäpe abgelehnte Exploration weist er darauf hin, dass deshalb die Wahrnehmungen des Sachverständigen während der Teilnahme an der Hauptverhandlung eine besondere Bedeutung besäßen, wobei er selbst ausführt, „ein psychiatrisches Untersuchungsgespräch mit einem Wechselspiel von gezielten Explorationsfragen und unmittelbar darauf gegebenen Antworten“ stelle „selbstverständlich die beste Basis für Begutachtung dar“, wobei es „keineswegs ungewöhnlich“ sei, „dass eine Mitwirkung der betroffenen Person nicht erfolgt und deshalb die Stellungnahme des Sachverständigen aufgrund der Informationen
aus der Hauptverhandlung erfolgt.“
Bei einer solchen Begutachtung komme es „neben den Sachinformationen für den psychiatrischen Untersucher auf die äußeren Aspekte des individuellen Verhaltens und der beobachtbaren Interaktion mit anderen Personen an“, wobei der Sachverständige den subjektiven Charakter seiner Einschätzungen betont, da es keinerlei Kenntnis über den Inhalt der Interaktionen gegeben habe. In diesem Zusammenhang rekurriert er auf die Psychomotorik und dabei auf die Motorik, Körperhaltung, Mimik und Gestik. Aus dem sogenannten Ausdrucksverhalten ließen sich „Rückschlüsse auf die psychische Verfassung, auf die Gestimmtheit und auf die emotional-affektive Reagibilität ziehen“. Zudem gelangt der Sachverständige zu der Einschätzung, bei der forensisch-psychiatrischen Beurteilung der Kriminalprognose wegen der individuellen Besonderheiten auf standardisierte Untersuchungsinstrumente zur Einschätzung von Gefährlichkeit und Rückfallrisiken verzichten zu können. Das Vorgutachten unternehme den „Versuch einer erklärenden Rekonstruktion der biographischen Vorgeschichte, um die Entwicklung der Persönlichkeit mit ihren Besonderheiten nachzuvollziehen, ihre Stärken und Schwächen zu beschreiben und die Entwicklung der Orientierungen nachzuzeichnen“.
Ferner gehe es „um eine Rekonstruktion der delinquenten Vorgeschichte und ihre Einbettung in die jeweiligen biographischen Zusammenhänge, um die Entwicklung von Handlungsbereitschaften, Werthaltungen und kriminogenen Bedürfnissen zu ergründen“, wobei üblicherweise „auch eine Tatanalyse von der Genese der Tatentscheidung bis zum Nachtatverhalten angestrebt“ werde und „die seitherigen Entwicklungen und das gegenwärtige Persönlichkeitsbild zu berücksichtigen“ seien. Diesem selbst gesetzten Anspruch kann der Sachverständige mittels der erwähnten Anknüpfungstatsachen nach den methodischen Standards der forensischen Psychiatrie von vornherein nicht gerecht werden, da zahlreiche der vorgenannten Umstände und maßgeblich das gegenwärtige Persönlichkeitsbild eine Exploration von Frau Zschäpe zwingend voraussetzen.
Der Hang als ein maßgebliches Kriterium der Gefährlichkeitsprognose ist das wesentliche Tatbestandsmerkmal der materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Er muss die Ursache für die Gefährlichkeit des Täters sein. Er bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand, während die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür einschätzt, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht. Für die Beurteilung, ob bei einem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung seiner Persönlichkeit unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände notwendig, wobei diese nicht nur unveränderliche, also statische Merkmale, die üblicherweise auf die Vergangenheit bezogen sind, sondern gerade auch dynamische Faktoren umfasst.
Heer zitiert dann aus einem Handbuch der forensischen Psychiatrie von 1971 (Göppinger/Witter), demzufolge die Exploration die wichtigste Methode zur Gewinnung des psychopathologischen Teils der psychiatrischen Diagnose sei. Er zitiert auch aus neueren Fachbüchern der forensischen Psychiatrie, die die Exploration als für die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens von zentraler Bedeutung (Konrad/Rasch) bzw. als wichtigstes psychiatrische Instrument bezeichnen (Schneider/Fristerl/Oizen). Andere „namhafte Vertreter“ der forensischen Psychiatrie sähen in ihr den Kern der psychiatrischen Untersuchung (Foerster/Dreßing,). Im letztgenannten Beitrag heiße es, dass eine gutachterliche Aussage nur in sehr engen Grenzen möglich sei, wenn ein Proband seine Mitarbeit grundsätzlich verweigere; die Begutachtung könne dann entweder gar nicht oder nur auf der Basis rudimentärer Informationen durchgeführt werden. Das Gutachten müsse sich, heiße es in dem Beitrag, auf eine eingehende Exploration und Untersuchung des Probanden stützen, üblicherweise zu mehreren Terminen, ggf. sei eine testpsychologische Untersuchung sinnvoll; eine
Prognosebegutachtung ohne Untersuchung des Probanden sei nicht sachgerecht. Heer zitiert dann die von der „American Psychiatric Association“ entwickelte „Goldwater Rule“, die besage, dass Ferndiagnosen ohne Exploration der beurteilten Person unverantwortlich und unethisch seien.
Dann geht Heer auf eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Richtern am BGH, Bundesanwälten, jeweils einem Kriminologen und einem Rechtsanwalt, sowie forensischen Psychiatern – darunter Prof. Leygraf, Prof. Nedopil und auch Prof. Saß – ein. Diese habe, so Heer, 2005 „Empfehlungen für die Qualitätssicherung forensischer Schuldfähigkeitsbeurteilung nach §§ 20, 21 StGB [Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen, verminderte Schuldfähigkeit]“ erarbeitet. Unter „Inhaltliche Mindestanforderungen“ für die Erstattung von psychiatrischen Gutachten zur Frage der aufgehobenen oder verminderten Schuldfähigkeit sei dort primär ausdrücklich die „Vollständigkeit der Exploration“ aufgeführt. Diese Arbeitsgruppe habe ein Jahr später – wiederum unter Mitwirkung von Saß – „Mindestanforderungen für Prognosegutachten“ erarbeitet. Als eine der formellen Mindestanforderungen bei der Informationsgewinnung werde dort das Bedürfnis einer umfassenden Erhebung hervorgehoben. Heer: „Wobei die ‚ausführliche Exploration‘ einen besonderen Stellenwert einnimmt und der Katalog der zu stellenden Fragen sowie der zu treffenden Beobachtungen beschrieben wird. Diese elementaren Grundsätze ließ der Sachverständige Prof. Dr. Saß außer Acht und stützt sich, so sind seine eigenen Ausführungen in dem Vorgutachten zu verstehen, auf eine reine Ferndiagnose. Ein berufsethisch ordnungsgemäßes Vorgehen hätte den Sachverständigen dazu veranlasst, die Begutachtung von Frau Zschäpe abzubrechen und bei dem Vorsitzenden um seine Entbindung zu ersuchen, da nach den Standards seiner Wissenschaft für die psychiatrische Begutachtung eine solche ohne unmittelbare psychische Befunderhebung nicht in Betracht kommen kann. Jedenfalls hätte er nur zu dem Ergebnis kommen können, die vom Gericht gestellten Fragen nicht beantworten zu können.“
Heer zitiert dann ausführlich aus einem Artikel des Strafverteidigers Gerhard Strate namens „Die forensische Psychiatrie und das lästige Verfassungsgericht“. Dem Artikel zufolge gelte die Auskunftsverweigerung des Beschuldigten „in der Denkungsart der forensischen Psychiatrie (und der von ihr kontaminierten Juristen) nach wie vor als unwillkommene ‚Devianz‘ gegenüber den methodischen Selbstverständlichkeiten der eigenen Disziplin“. Die Verweigerung der Exploration gelte der forensischen Psychiatrie als „Kampfansage“, weil sie den Gutachter des wichtigsten psychiatrischen Instruments beraube. In dem Artikel ist die Rede davon, dass der Gutachter ohne Exploration nur noch ein „Sammelsurium psychischer Befindlichkeiten“ liefern könne, das zusammengesucht sei aus der Lektüre von Akten. Laut Strate müsse die forensische Psychiatrie, nähme sich als Wissenschaft ernst, die Begutachtung eines Beschuldigten abbrechen, sobald er das Gespräch mit dem Psychiater verweigert: „Für die psychiatrische Begutachtung eines Beschuldigten gibt es eigentlich kein Fortkommen mehr, sobald er sich als Informationsquelle völlig verweigert.“ Diese Konsequenz zögen aber nur die wenigsten Psychiater, auch wenn es naheliege, sich entbinden zu lassen, wenn die erwünschte Expertise absehbar nicht den „anerkannten wissenschaftlichen Standards genügt“. Die Arbeitsergebnisse der forensischen Psychiatrie erfüllten, so Strate, „mehrheitlich nicht ansatzweise die Mindestanforderungen, die man an jedes andere Beweismittel stellen würde, sondern spinnen ihre Opfer in ein dichtes Gewirk aus halbgaren Mutmaßungen und übergriffigen Feststellungen ein.“
Danach zitiert Heer, wiederum ausführlich, aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 3 StGB habe sich demnach auf ein SV-Gutachten zu stützen, das der besonderen Tragweite und dem Ausnahmecharakter dieser Entscheidung gerecht wird. Das ärztliche Gutachten müsse hinreichend substantiiert sein und anerkannten wissenschaftlichen Standards genügen, der SV müsse ausreichend Zeit und Gelegenheit erhalten, den Untergebrachten zu untersuchen und das Tatsachenmaterial aufzubereiten, auf dessen Grundlage die Prognose erstellt wird. Nach der sachverständigen Beratung habe der Richter eine eigenständige Prognoseentscheidung zu treffen, bei der er dem ärztlichen Gutachten richterliche Kontrolle entgegenzusetzen habe. Diese Kontrolle habe sich auch auf die Qualität der gesamten Prognosestellung zu beziehen. Dabei müssten die Gutachter die für die Begutachtung maßgeblichen Einzelkriterien regelmäßig in einem sorgfältigen Verfahren erheben, das die Auswertung des Aktenmaterials, die eingehende Untersuchung des Probanden und die schriftliche Aufzeichnung des Gesprächsinhalts und des psychischen Befundes umfasst und dessen Ergebnisse von einem Facharzt mit psychiatrischer Ausbildung und Erfahrung gewichtet und in einen Gesamtzusammenhang eingestellt werden. Der Richter habe zu überprüfen, ob das Gutachten bestimmten Mindeststandards genügt, so müsse die Begutachtung insbesondere nachvollziehbar und transparent sein.
Der Gutachter müsse Anknüpfungs- und Befundtatsachen klar und vollständig darstellen, seine Untersuchungsmethoden erläutern und seine Hypothesen offen legen. Auf dieser Grundlage habe er eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das künftige „Legalverhalten“ des Verurteilten zu treffen, die das Gericht in die Lage versetzt, die Rechtsfrage des § 67d Abs. 3 StGB eigenverantwortlich zu beantworten. Es gelte daneben auch das Gebot hinreichend breiter Prognosebasis. Um dem Gericht eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu ermöglichen, müsse das Gutachten verschiedene Hauptbereiche aus dem „Lebenslängsschnitt und Lebensquerschnitt“ des Verurteilten betrachten. Zu fordern sei insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem „Anlassdelikt, der prädeliktischen Persönlichkeit, der postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung sowie dem sozialen Empfangsraum des Täters“.
In einem Beschluss vom 09.10.2001 habe das Bundesverfassungsgericht, so Heer, darauf hingewiesen, dass eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Beobachtung nicht erfolgen könne, wenn der Beschuldigte sich weigere, sie zuzulassen bzw. bei
ihr mitzuwirken, soweit die Untersuchung nach ihrer Art die freiwillige Mitwirkung des Beschuldigten voraussetzt. Auch das OLG Rostock habe in einer Entscheidung betreffend die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zwecks Beobachtung die besondere Bedeutung eines persönlichen Eindrucks des SV von dem Beschuldigten bei der Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens hervorgehoben. Demnach müsse von einer Unterbringung nach § 81 StPO [Unterbringung des Beschuldigten zur Vorbereitung eines Gutachtens] abgesehen werden, wenn sich der Angeklagte weigere, daran mitzuwirken, weil in diesem Fall brauchbare Ergebnisse von ihr nicht zu erwarten seien. Heer: „Wenn aber sogar im Falle einer längeren Verhaltensbeobachtung eines Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus – also in alltäglichen Situationen – im Falle einer nicht durchführbaren Exploration eine völlige diagnostische Unergiebigkeit beigemessen wird, gilt dies umso mehr bei der Beobachtung eines Angeklagten in der psychisch außerordentlich belastenden Ausnahmesituation in und am Rande einer Hauptverhandlung.“
Schließlich habe das OLG München in einer aktuellen Entscheidung darauf hingewiesen, dass eine Diagnose aufgrund der Beobachtung des Verhaltens des Angeklagten während der Beweisaufnahme, insbesondere seiner Reaktionen auf Zeugenangaben und ohne Erkenntnisse aus einer Exploration für eine spezifische Gefährlichkeitsprognose nicht hinreichend fundiert sei, so Heer. Heer zitiert dann aus einer Anmerkung zu dieser Entscheidung in „Recht & Psychiatrie“ von 2015, derzufolge sich die Praxis, wenn in einem Verfahren eine Rechtsfolge in Betracht komme, auf die von Gesetzes wegen nur nach vorheriger Einholung eines SV-Gutachtens erkannt werden darf, und der Betroffene von einer Mitwirkung bei der Vorbereitung des Gutachtens absehe, mitunter dadurch behelfe, dass sie das Gutachten aufgrund Anwesenheit des SV während der Verhandlung erstellen lässt. Hierbei handele es sich allerdings, so die Anmerkung, um eine für den SV äußerst eingeschränkte Möglichkeit, dem Gutachtensauftrag in methodisch vertretbarer Weise zu entsprechen, weshalb manche SVe einen Auftrag unter diesen Bedingungen ablehnten.
Heer: „Ein Abstellen auf die ‚äußeren Aspekte des individuellen Verhaltens und der beobachtbaren Interaktion mit anderen Personen‘ ist vor allem auch deshalb nicht ausreichend, weil der Sachverständige selbst den subjektiven Charakter seiner Einschätzungen betont, da es keinerlei Kenntnis über den Inhalt der Interaktionen gegeben habe.“ Dem „zu erwartenden Einwand, Frau Zschäpe habe es in der Hand, die Erstattung eines den wissenschaftlichen Standards genügenden Sachverständigengutachtens mittels der Ablehnung der Exploration zu verhindern“, will Heer mit einem weiteren Zitat aus dem Artikel von Strate begegnen. Heer zitiert: „‚Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Beschuldigte/Verurteilte es durch die Verweigerung der Exploration in der Hand hätte, durch seine Entscheidung selbst dann das Verfahren zu steuern, wenn das Gesetz – wie in den Varianten des § 246a Abs. 2 StPO sowie gem. § 454 Abs. 2 StPO – es ausdrücklich vorsieht, einen Sachverständigen über den Zustand des Angeklagten/Verurteilten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen bzw. zur Gefährlichkeitsprognose anzuhören. Darauf ist zu erwidern: die Autonomie des Beschuldigten endet zu keinem Zeitpunkt des Strafverfahrens. Ebenso wenig enden zu irgendeinem Zeitpunkt die Mindestanforderungen an die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens. Kann dieses mangels ausreichender Ermittlung eines psychischen Befundes nach bestem Wissen und Gewissen nicht erstattet werden (vgl. die Eidesformel in § 79 Abs. 1 StPO), muss der Richter – wie auch sonst – allein entscheiden.'“
Heer führt dann aus:
Die Frage, wie Frau Zschäpe ihre Verteidigung ausrichtet, steht in keinem Zusammenhang mit den Mindestanforderungen an die Erstellung eines forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten. Wie auch bei der Wahrnehmung des Rechts aus § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO, gegenüber dem erkennenden Gericht nicht zur Sache auszusagen, dürfen auch bei einer Weigerung, an einer Exploration mitzuwirken, keine Nachteile entstehen. Da der Sachverständige auch seinem in der Hauptverhandlung zu erstattenden Gutachten keine Erkenntnisse aus einem Explorationsgespräch mit Frau Zschäpe zugrundelegen kann, ist bereits die Beweiserhebung unzulässig, weil für die Urteilsberatung taugliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind. Vorsorglich ist anzumerken, dass dieser grundlegende Mangel in dem Gutachten auch nicht durch eine Verwertung der am 6.12.2016 erfolgten Beschlagnahme der Kopie eines Briefes von Frau Zschäpe an Herrn Robin Schmiemann nach der erfolgten Einführung im Selbstleseverfahren „geheilt“ werden kann. Zwar hat der Senat die Beschlagnahme damit begründet, dass diesem Brief eine potentielle Beweisbedeutung zukomme, weil sich Frau Zschäpe darin zu persönlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen verhalte und Rückschlüsse auf zeitüberdauernde Persönlichkeitsmerkmale zugelassen werden könnten.
Bei einer Exploration handelt es sich um eine diagnostische Methode zur Untersuchung von Persönlichkeitseigenschaften, Interessen, Werthaltungen, Einstellungen, Problemen und Denkweisen des Probanden, also um eine Befragung, in der psychische Vorgänge eruiert werden. Die Zielsetzung besteht gerade darin, Unklarheiten, Widersprüche und Lücken einer diagnostischen Untersuchung zu beseitigen. In der Exploration sind Bereiche der Umgebungs-, Organismus-, kognitiven, emotionalen, motivationalen und sozialen Bedingungen abzufragen. Ihr charakteristisches Merkmal ist gerade die Interaktion zwischen dem Untersucher und dem Probanden. Eine Exploration basiert auf einer standardisierten Methodik und folgt zumindest gedanklich bestimmten Stufen, nämlich zunächst einer allgemeinen Basisuntersuchung, in der die wesentlichen biografischen und krankheitsanamnestischen Daten erhoben werden, wobei nicht nur die Aufzählung einzelner Fakten, sondern auch die Erkundung der subjektiven Befindlichkeit und die eigene Bewertung, die Betroffenheit und die heutige Interpretation durch den Untersuchten wichtig ist. Die Vertiefung der für die Begutachtung wesentlichen Aspekte erfolgt nach der gedanklichen Bildung von Hypothesen aufgrund dieser „Screening-Untersuchung“, die in einem zweiten Schritt durch eine vertiefte Exploration zu verifizieren und auf ihre forensische Relevanz zu überprüfen sind. Auch in dem bereits erwähnten Beitrag „Mindestanforderungen für Prognosegutachten“ werden ausdrücklich das Erfordernis des Einhaltens bestimmter Standards bei der Exploration, der persönlichen direkten Erörterung mit dem Probanden sowie insbesondere auch der Dokumentation des Interaktionsverhaltens in der Untersuchungssituation herausgestellt.
Demgegenüber handelt es sich bei dem Brief von Frau Zschäpe gegenüber einer Exploration um ein aliud, da sie für sich ihre Gedanken niederschrieb, eine Interaktion mit dem Sachverständigen nicht möglich ist und zudem die Bedingungen, unter denen der Brief verfasst wurde für den Sachverständigen im Unklaren bleiben.
Heer geht dann zu „weiteren methodischen Fehlern“ des Vorgutachtens über; Befunde und
Schlussfolgerungen seien „fachlich nicht nachvollziehbar und begründet“. Zu den Befunden sagt Heer unter Punkt aa., Verhaltensbeobachtungen und psychischer Befund müssten grundsätzlich so verfasst sein, dass sie für den Leser nachvollziehbar sind. Die formelle Mindestanforderung an Gutachten zur Beurteilung der Schuldfähigkeit beinhalte die exakte Angabe und getrennte Wiedergabe der Erkenntnisquellen im Hinblick auf subjektive Darstellungen des Untersuchten, Beobachtung und Untersuchung. Heer zitiert aus Punkt 2.2. des Vorgutachtens, dass sich generell feststellen lasse, „‚dass gröbere Auffälligkeiten, die Hinweis auf ernstere psychische Störungen sein könnten, im Ausdrucksverhalten nicht zu beobachten waren. So gab es keine Anhaltspunkte für eine fehlende allgemeine Orientiertheit, ein situationsinadäquates Verhalten, unkontrollierte und überschießende Reaktionen im Sinne einer Unbeherrschtheit oder Erregung, auch zeigten sich keine deutlichen Anzeichen für eine massive depressive Verstimmung mit Verlust der Schwingungsfähigkeit, Verlangsamung der Motorik oder Aktivitätsverlust'“. Subjektive Wertungen müssten, so Heer von Befunden getrennt sein, als solche gesondert kenntlich gemacht werden, und „im wissenschaftlichen Sinne als zu überprüfende Hypothesen formuliert“ werden.
Heer macht dann einzelne „methodenkritische“ Anmerkungen:
(1) Auf Seite 78 wird von „augenscheinlich sachlichem Interesse“ der Angeklagten geschrieben, mit dem sie die Prozesstage verfolge. Aus der reinen Beobachtung kann nicht geschlossen werden, ob das Interesse der Angeklagten sachlich oder anderer Natur ist.
(2) Ebenfalls auf Seite 78 wird festgehalten, dass die Angeklagte etwas weniger interessiert und aufmerksam erschien oder auch gelangweilt und in andere Gedanken abschweifend wirkte. Auch die weiteren Zuschreibungen im Sinne eines häufiger entstehenden Eindrucks, dass die Hinwendung zum Laptop mit einem gewissen Rückzug aus schwierigen Passagen der Verhandlung einhergegangen sei, etwa bei Zeugenbefragung mit möglicherweise emotional belastendem Inhalt, entsprechen nicht einem psychischen Befund und einer wissenschaftlich begründeten Beobachtung, sondern einer subjektiven Wertung.
(3) Auf Seite 79 und auch noch einmal auf Seite 97 wird beschrieben, wie Frau Zschäpe bei gesenktem Kopf die Haare in das Gesicht fallen. Hier wird den Haaren die „Funktion eines abschirmenden Vorhanges“ zugeschrieben. Auch diese Attribution entspricht einer subjektiven Wertung und Interpretation. Alternative lebenspraktische Möglichkeiten kämen ebenso in Betracht, wie z.B. ein nicht vorhandenes Haargummi.
Im Saal kommt kurz Gelächter auf. Heer: „Ich frage mich, was es da zu lachen gibt.“ Heer setzt fort:
(4) Auch die Beschreibung, dass Frau Zschäpe sich gegenüber der Presse selbstsicher und routiniert verhalte, „wie es bei Personen geläufig ist, die an öffentlichen Auftritte und das damit verbundene Interesse gewöhnt sind“ entspricht einer subjektiven Verhaltenswertung durch den Beobachter.
(5) Auch die auf Seite 80 erfolgte Beschreibung, dass sich die Angeklagte mit dem Betrachten ihres Laptops während der Verhandlung „abzulenken“ scheine, entspricht einer subjektiven Verhaltensinterpretation und nicht einer Verhaltensbeobachtung.
(6) Auf Seite 83 wird ein Schmunzeln der Angeklagten beobachtet und dieses wird subjektiv gedeutet, dass durch die Aussage eines Zeugen „angenehme Erinnerungen“ bei Frau Zschäpe hervorgerufen wurden. Wie es zu dieser Schlussfolgerung kommt, erschließt sich dem Leser nicht. Es handelt sich um eine subjektive Zuschreibung durch den Beobachter.
(7) Auch die auf Seite 84 erfolgte Beschreibung, dass sich bei Frau Zschäpe ein „ablehnender Zug um den Mund einstellte“, entspricht einer subjektiven Wertung.
(8) Die auf Seite 93 notierte Feststellung, dass sich „in ihrem Ausdrucksverhalten eine gewisse Genugtuung über den erreichten Ausgang erkennen ließ“ wird durch eine konkrete Beobachtung nicht gestützt, sondern entspricht einer Verhaltensinterpretation.
(9) Auch auf Seite 99 wird die Antwort der Angeklagten auf eine entsprechende Nachfrage des Vorsitzenden wegen einer Erkältung „es gehe“ in dem Sinne interpretiert, als erscheine sie dabei „um Kooperation bemüht“.
Als Punkt bb. geht Heer darauf ein, dass unter 3. des Gutachtens in der Zusammenfassung und vorläufigen Beurteilung auf die Wahrnehmung des SV während der Teilnahme an der Hauptverhandlung verwiesen, wie auf die äußeren Aspekte des individuellen Verhaltens und der beobachtbaren Interaktion mit anderen Personen. Hierzu sei methodenkritisch festzuhalten, so Heer, dass hier im Hinblick auf eine nachvollziehbare Methodik keine operationalen Kriterien vorgestellt würden. Vielmehr werde ausgeführt, dass sich „‚für den geschulten psychiatrischen Untersucher aus der Beobachtung von Motorik, Körperhaltung, Mimik und Gestik, also insgesamt dem sogenannten Ausdrucksverhalten, Rückschlüsse auf die psychische Verfassung, auf die Gestimmtheit und auf die emotional affektive Reagibilität ziehen lassen'“. Als Punkt cc. geht Heer auf Abschnitt 2.2 des Gutachtens ein. Dort werde, so Heer, ausgeführt, dass hier die Eindrücke des Unterzeichners und damit verbundene Rückschlüsse auf die psychische Verfassung der Angeklagten wiedergegeben werden und darauf verwiesen, dass die Einschätzung unter dem Vorbehalt stehe, dass es keinerlei Kenntnis über den Inhalt der Interaktionen gab und von daher der subjektive Charakter der Einschätzung durch den Gutachter zu betonen sei. Diese, zitiert Heer aus dem Vorgutachten, beruhten „‚allerdings auf dem empirischen Erfahrungshintergrund jahrzehntelanger Untersuchungen und Beobachtungen im forensischen Bereich'“. Hier sei, so Heer, methodenkritisch festzuhalten, dass Rückschlüsse aufgrund eines Eindrucks allenfalls der Generierung zu überprüfende Hypothesen dienen könnten.
Heer geht dann zu den Schlussfolgerungen über:
aa. Es wird unter 3.2.1 des Gutachtens zur gesundheitlichen Vorgeschichte im Hinblick auf die medizinische Anamnese festgehalten, dass es psychiatrischerseits keine Hinweise darauf gibt, dass Frau Zschäpe je an einer relevanten psychischen Störung gelitten hätte, etwa im Sinne einer schizophrenen bzw. bipolaren Psychose, einer Neigung zu depressiven Verstimmungen oder zu Angst- und Zwangssymptomen. Es wird weiter ausgeführt, dass es gelegentlich unter lebenssituativen Belastungen zu passageren suizidalen Gedanken gekommen sei und dies zwanglos einfühlbar erscheine und nicht für eine erhöhte Disposition zu psychischen Erkrankungen spreche. Es wird darauf verwiesen, dass es ebenso keinerlei Drogenkonsum und keinen Missbrauch von Medikamenten gegeben haben soll. Zudem wird festgehalten, dass sich weder aus früheren Informationen, noch aus den Zeugenschilderungen oder den Wahrnehmungen in der Hauptverhandlung belastbare Anhaltspunkte ergeben haben, die für eine klinisch bedeutsame Störung der Impulskontrolle sprechen würden. Im Hinblick auf die Möglichkeit eines problematischen Alkoholkonsums wird in der vorläufigen Beurteilung zum Alkohol ausgeführt, dass es sich diagnostisch bei der Angeklagten am ehesten um einen schädlichen Gebrauch von Alkohol gehandelt habe, obwohl das Kriterium einer tatsächlichen Schädigung der psychischen oder physischen Gesundheit nicht gesichert ist. Unter 3.3.3 des Gutachtens wird u.a. festgehalten, dass die Persönlichkeit der Angeklagten in ihrer Entwicklung und dem jetzigen Bild keine so abnormen Züge aufweist, dass von einer Persönlichkeitsstörung im Sinne der psychiatrischen Klassifikationssysteme zu sprechen wäre.
Methodenkritisch ist festzuhalten, dass unter Hinweis auf die Befunde und die psychiatrischen Klassifikationssysteme nachvollziehbar ausschließlich eine nach ICD10 kodierte vorübergehende Diagnose gestellt wird: schädlicher Gebrauch von Alkohol (F10.1).
bb. Zu 3.2.2 des Gutachtens wird im Hinblick auf die Biographie und frühe Entwicklung ausgeführt, dass einige Gesichtspunkte hervorgehoben werden sollen, „die aus psychopathologischer und entwicklungspsychologischer Sicht von Interesse sind“. Methodenkritisch ist anzumerken, dass einerseits bei fehlendem psychopathologischen Befund und fehlender psychiatrischer Diagnose, insbesondere fehlender Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, Gesichtspunkte hervorgehoben werden sollen, die aus psychopathologischer Sicht von Interesse sind. Diese Vorgehensweise entspricht einer Psychopathologisierung und Psychiatrisierung des Normalen. Zum anderen wird ausgeführt, dass Gesichtspunkte hervorgehoben werden sollen, die aus entwicklungspsychologischer Sicht von Interesse sind.
Hierzu ist methodenkritisch anzumerken, dass eine entwicklungspsychologische Sicht ausschließlich im Falle einer Psychopathologie das Gebiet der Psychiatrie betrifft, ansonsten das Gebiet der Psychologie. Im Hinblick auf die hervorzuhebenden Gesichtspunkte ist nicht ersichtlich,
nach welchen Kriterien welche Gesichtspunkte hervorgehoben werden sollen.
Als Punkt cc. geht Heer auf eine Formulierung ein, dass es angesichts einer „kleinen Bemerkung“ von Zschäpe, dass sie wegen der Geldknappheit damals begonnen habe, sich innerhalb des Freundeskreises an kleineren Diebstählen zu beteiligen, es hier „‚für den psychiatrischen Beobachter'“ aussehe, „‚als zeige sich zum ersten Mal eine gewisse Tendenz von Frau Zschäpe die Verantwortlichkeit für auftretende Probleme und eigenes Verhalten, wie auch Fehlverhalten anderen Personen oder äußeren Umständen zuzuordnen'“:
Methodenkritisch ist anzumerken, dass diese wertende Zuschreibung nicht durch weitere Anknüpfungen validiert wird und als Hypothese zu formulieren ist.
dd. Der auf Seite 147 am Ende des letzten Abschnittes zur politisch-ideologischen Entwicklung formulierte Satz „ein solcher Grundtenor in der Argumentation mit Neigung zur Verlegung der Verantwortlichkeit nach außen wurde oben schon beschrieben und fand sich auch in der Darstellung der Delikte, um die es in diesem Verfahren geht“, entspricht methodenkritisch betrachtet nicht einer wissenschaftlich abgeleiteten Schlussfolgerung, sondern einer zu prüfenden Hypothese.
ee. Auf Seite 163 des Gutachtens werden die in den vorangegangenen Abschnitten enthaltenen Informationen zur Persönlichkeit von Frau Zschäpe aus psychiatrischer Sicht so zusammengefasst, dass im Vordergrund die deutlichen dissozialen bzw. antisozialen Tendenzen stehen, eine Neigung zum Externalisieren, Verdrängen und Abspalten, aber auch zu manipulativem Verhalten, ferner egozentrisch und auf Wirkung bedachte Züge, schließlich Mängel in der Gemüthaftigkeit und Empathie. Es wird dazu weiter ausgeführt, dass dem nicht entgegenstehe, dass Frau Zschäpe durchaus auch als freundlich, sozial gewandt, fürsorglich und angenehm im Kontakt geschildert wurde, wie sich auch im Prozessverlauf manche Züge mit charmantem Umgang und einer gut angepassten Fassade beobachten ließen. Es wird festgehalten, dass die Persönlichkeit der Angeklagten keine so abnormen Züge aufweise, dass von einer Persönlichkeitsstörung im Sinne der psychiatrischen Klassifikationssysteme zu sprechen wäre. Es wird ausgeführt, dass die zu beobachtenden Persönlichkeitsmerkmale sich deskriptiv als Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit mit deutlichen dissozialen bzw. antisozialen sowie auch mit histrionischen Zügen fassen lassen und es wird ausgeführt, dass dabei aus psychiatrischer Sicht keinesfalls das Ausmaß einer sogenannten „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ erreicht werde und für die Schuldfähigkeitsfrage die genannten Persönlichkeitszüge keine wesentliche Rolle spielen.
Methodenkritisch ist anzumerken, dass wiederholt und auch in der Beurteilung der Persönlichkeit bei fehlender Feststellung einer Psychopathologie und einer psychiatrischen Diagnose das Verhalten von Frau Zschäpe in der Vergangenheit und Gegenwart aus psychopathologischer Perspektive und psychopathologischer Sicht interpretiert wird. Bei fehlender Diagnose einer Persönlichkeitsstörung im Sinne der psychiatrischen Klassifikationssysteme wird in Anwendung der Terminologie dieser Klassifikationssysteme einerseits von deutlichen dissozialen bzw. antisozialen sowie auch histrionischen Zügen gesprochen, andererseits von einem im Ergebnis festzustellenden Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit. Es ist einerseits nicht nachvollziehbar, wie der genannte Schweregrad „deutlich“ im Hinblick auf die Persönlichkeitszüge operationalisiert ist. Zum anderen steht die Schweregradzuschreibung „deutlich“ im Widerspruch zum „Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit“, d.h. einer möglichen Persönlichkeitseigenart oder -besonderheit. Zudem entspricht es nicht dem Standard gutachterlicher Äußerung im Ergebnis von einem Verdacht auf eine Feststellung zu sprechen. Der Verdacht auf eine Feststellung kann zu Beginn einer gutachterlichen Auseinandersetzung geäußert werden, um dann hypothesengeleitet als Feststellung bestätigt oder verworfen zu werden.
ff. Unter 3.3.4 des Gutachtens wird zu Gefährlichkeit und Hang ausgeführt, dass sich aus psychiatrischer Sicht der Hang als eine progrediente Entwicklung zu aktiver Delinquenz äußere, die auf dissozialem Verhalten und der Identifikation mit einem kriminellen Lebensstil beruhe. Die Aufgabe des psychiatrischen Gutachters sei darauf beschränkt, die Persönlichkeitsmerkmale einer Person darzustellen, die für eine Beurteilung ihres Hanges und der ihr zu stellenden Gefährlichkeitsprognose bedeutsam sind. Es wird dazu festgehalten, dass hierzu die Orientierung an Kriterien erfolgen könne, die Eingang in Lehr- bzw. Handbücher des Faches gefunden haben.
Methodenkritisch ist anzumerken, dass Habermeyer und Saß in ihrer Übersichtsarbeit aus 2004 darauf hinweisen, dass für die Anordnung der Sicherungsverwahrung eine Kombination von Vorstrafen und kriminalprognostischen Überlegungen relevant sei, und dass im Unterschied zu der Unterbringung im psychiatrischen Maßregelvollzug oder der Entziehungsanstalt keine psychische Störung vorliegen muss, die Sicherungsverwahrung auch erhebliche Bedeutung für die forensische Psychiatrie habe.
Es wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber in mehreren Stellen des Verfahrensablaufes die Einholung eines Sachverständigengutachtens fordert im Hinblick auf die Frage der Persönlichkeit und der Gefährlichkeitsprognose, wobei zu Persönlichkeitsmerkmalen des Angeklagten Stellung genommen werden soll. Es ist methodenkritisch zu fragen, ob und inwiefern überhaupt ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und forensischen Psychiatrie zur Beantwortung der Frage der Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Frage kommt, wenn keine psychiatrisch zu klassifizierende Störung vorliegt. Von Nedopil wird darauf hingewiesen, dass Habermeyer und Saß versucht haben, die Kriterien zusammenzustellen, die es dem Gutachter und dem Gericht ermöglichen sollen, die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung einigermaßen zuverlässig einzuschätzen. Es wird festgehalten, dass die Autoren den Hangtäter als Person mit ungünstiger Kriminalprognose und einer stabilen und persönlichkeitsgebundenen Bereitschaft zur Begehung von Straftaten beschrieben haben, welcher durch bestimmte aufgeführte Merkmale charakterisiert sein soll. Kröber verweist darauf, dass der Begriff des Hanges im § 66 StGB keiner psychopathologischen Begriffsbildung entspricht und in der psychiatrischen Nomenklatur auch keine Entsprechung findet, sondern durch kriminologische Variablen ungleich aussagekräftiger beurteilt werden könne als durch psychologische Parameter.
In seinem Handbuchartikel verweist Kröber darauf, dass zur kriminalprognostischen Begutachtung die Begutachtung zur Frage der psychiatrischen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gehört. Es wird darauf hingewiesen, dass die Sicherungsverwahrung eine ausschließlich kriminalprognostisch begründete Maßregel ist und die betreffende Person in der Regel keine tatüberdauernde psychische Störung hat und klassisch kriminologische Variablen in aller Regel zur Beurteilung künftigen Sozialverhaltens ungleich aussagekräftiger sind, als rein psychologische Variablen.
Heer zitiert aus einem Text von Leygraf, der im Hinblick auf die Begutachtung der Gefährlichkeitsprognose und speziell zur Frage der Sicherungsverwahrung mitteile, dass sich der SV bei Begutachtungen zur Sicherungsverwahrung „‚recht weit aus dem psychiatrischen Bereich'“ entferne, was insbesondere für die Frage der Hangtätereigenschaft gelte, weswegen sich der SV hier neben der Kriminalprognose darauf beschränken solle, „‚anderweitige Hintergründe der Delinquenz, die eine Unterbringung nach den § 63 StGB, § 64 StGB [Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt] begründen könnten, auszuschließen'“.
Heer weiter:
Unter 3.4. des Gutachtens wird in der vorläufigen Beantwortung der Gutachtenfragen zu 1 im Hinblick auf die Schuldfähigkeit festgehalten, dass sich keine Hinweise für das Vorliegen der psychopathologischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB ergeben haben. Zu 2. wird ausgeführt, dass sich damit derzeit die Stellungnahme zu den Voraussetzungen des § 64 StGB erübrige. Zu 3. wird ausgeführt, dass die Gesichtspunkte zu den psychopathologischen und kriminalprognostischen Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschrieben und in alternativer Form diskutiert wurden.
Heer kommt dann zur Zusammenfassung der Methodenkritik:
Zu Verhalten und psychischem Befund werden neben nachvollziehbaren Feststellungen fehlende Hinweise auf ernstere psychische Störungen, subjektive Verhaltensbeobachtungen mitgeteilt, die insbesondere im Hinblick auf Erlebenszuschreibungen der Angeklagten nicht nachvollziehbar sind, da sie keinen überprüfbaren operationalen Kriterien folgen, nicht hypothesengeleitet oder alternativ formuliert sind. Als medizinische Diagnose im psychiatrischen Fachgebiet wird ein schädlicher Gebrauch von Alkohol nachvollziehbar festgestellt. Auf der Basis des Befundes und der weiteren Anknüpfungen wird nachvollziehbar festgehalten, dass die Persönlichkeit der Angeklagten in ihrer Entwicklung und dem jetzigen Bild keine so abnormen Züge aufweist, dass von einer Persönlichkeitsstörung im Sinne der psychiatrischen Klassifikationssysteme zu sprechen wäre. Es ist nachvollziehbar, dass sich hinsichtlich der Schuldfähigkeit keine Hinweise für das Vorliegen der psychopathologischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB ergeben haben.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich damit derzeit die Stellungnahme zu den Voraussetzungen des § 64 StGB erübrigt. Hierzu ist methodenkritisch anzumerken, dass für eine Stellungnahme zu den Voraussetzungen des § 64 StGB ausschließlich die Frage zu beantworten ist, ob ein Hang vorliegt, Alkohol oder andere berauschende Mittel in Übermaß zu sich zu nehmen und die vorgeworfenen Straftaten sich auf diesen Hang zurückführen lassen und zu erwarten ist, dass weitere erhebliche Straftaten aufgrund des Hanges zu erwarten sind, unabhängig von der Frage der Schuldfähigkeit. Es werden die beobachteten Persönlichkeitsmerkmale deskriptiv als „Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit mit deutlichen dissozialen bzw. antisozialen sowie auch mit histrionischen Zügen“ beschrieben und es werden Gesichtspunkte zu den psychopathologischen und kriminalprognostischen Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung alternativ diskutiert.
Methodenkritisch ist nicht nachvollziehbar, wie bei Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit, d.h. bei einer nicht psychopathologisch auffälligen Person, und bei aus psychiatrischer Sicht fehlenden Voraussetzungen für eine diagnostische Zuordnung im Sinne der psychiatrischen Klassifikationssysteme, Gesichtspunkte zu den psychopathologischen Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschrieben werden können. Wenn man zugrunde legt, dass es nach psychiatrischen Klassifikationssystemen Persönlichkeitsstörungen gibt und deskriptiv aus psychiatrischer Sicht akzentuierte Persönlichkeitsmerkmale, bei deren Beschreibung man sich im Grenzgebiet zur differenziellen, sprich Persönlichkeitspsychologie befindet, so ist nicht ersichtlich, wie sich bei der Zusammenfassung von Persönlichkeitsmerkmalen als Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit eine Prüfung psychopathologischer Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ableiten lässt.
Bei Zugrundelegung der Befunde und fehlenden psychiatrischen Diagnose ist in Ergänzung zu den zunächst erfolgten methodenkritischen Einschätzungen zu den fachlichen Voraussetzungen des Sachverständigen zur Beantwortung der vom Senat gestellten Frage zu den Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im vorliegenden Falle festzuhalten, dass eine wissenschaftlich begründbare gutachterliche Stellungnahme zur Kriminalprognose das Fachgebiet der Psychologie und Kriminologie und nicht der Psychiatrie und forensischen Psychiatrie betrifft.
Dann sagt Heer, dass den hilfsweise beantragten Beweiserhebungen nicht entgegengehalten werden könne, dass der Senat selbst die erforderliche Sachkunde zur methodischen Bewertung des vorläufigen Gutachtens besäße, diese Sachkunde mittels des vorläufigen Gutachtens dem Senat vermittelt worden wäre oder der SV gerade zur Vermittlung der Sachkunde an den Senat in der Hauptverhandlung zu vernehmen sei. Ob der Senat über eine entsprechende eigene Sachkunde verfügt, sei aus Rechtsgründen unerheblich: „Denn wenn das Gericht seine eigene Sachkunde nicht für ausreichend hielte und deshalb einen Sachverständigen beauftragt hat, kann es, wenn dessen Prämissen oder Folgerungen unklar, fragwürdig oder unzutreffend erscheinen, auf dieser Grundlage nun kaum selbst die Sachkunde erlangt haben, die Voraussetzung für eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Gutachter und für akzeptable eigene Folgerungen ist. Gleiches muss im Falle einer hier gesetzlich, gemäß § 246a Abs. 1 StPO vermuteten unzureichenden Sachkunde des Gerichts gelten.“ Der Senat verfüge sicherlich über Kenntnisse über den Umgang mit forensisch-psychiatrischen Gutachten, so Heer, aber ein Richter dürfe sich nicht anmaßen, aufgrund seiner Praxis und etwaigen theoretischen Fortbildung über solche Fachkunde zu verfügen, die der eines „schwerpunktmäßig methodenkritisch tätigen Hochschullehrers“ ebenbürtig ist.
Die nicht ausreichende Sachkunde des Senats folge schließlich daraus, dass der Vorsitzende die „schwerwiegenden methodischen Fehler des vorläufigen Gutachtens“ offensichtlich nicht erkannt habe, da er die „insoweit zwingend gebotene Leitung“ des SV über einen Zeitraum von mehr als einem Monat unterlassen habe. Das Gutachten von Saß sei aufgrund der „grundlegenden Art und Weise der methodischen Herangehensweise von vornherein nicht geeignet“, dem Senat die für die Beurteilung der aufgeworfenen Beweisfragen erforderliche Sachkunde zu vermitteln. Saß sei aufgrund der Fehlerbehaftung seines Vorgutachtens „insoweit nicht kompetent“. Zusätzlich sei eine „unbefangene und selbstkritikbehaftete“ Gutachtenerstattung nicht zu erwarten. Daher sei bereits die Erhebung des Beweises unzulässig. Ein SV, dessen Sachkunde aufgrund konkreter und wissenschaftlich fundierter Anhaltspunkte gerade in Zweifel zu ziehen sei, könne nicht als Quelle eigener Sachkunde des Gerichts ausreichen. Es sei ein weiterer SV anzuhören, wenn ein SV Methoden anwende, die wissenschaftlich nicht anerkannt oder unausgereift sind oder wenn der SV von wissenschaftlichen Kriterien abweicht, die in seinem Fach anerkannt sind und die Billigung der Rechtsprechung gefunden haben. Heer: „Der Anwendungsbereich der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO ist vorliegend schon nicht eröffnet, da sich der neu zu bestellende Sachverständige zu einer anderen Beweisfrage als der Sachverständige Prof. Dr. Saß äußern soll.“
Abschließend sagt Heer, dass sich eine Anhörung von Saß vor einer Entscheidung über die Anträge verbiete, weil sich der Senat zunächst eingehend mit den erhobenen Beanstandungen unter Heranziehung fachspezifischer Sachkunde, welche ihm augenscheinlich durch Saß nicht vermittelt werden könne, auseinanderzusetzen habe. Heer: „Bereits jetzt widersprechen wir unter Bezugnahme auf die vorherigen Ausführungen der Verwertung sowohl des Vorgutachtens als auch des endgültigen Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. Saß.“ Götzl: „Das sind 33 Seiten Schriftsatz und eine Anlage von 19 Seiten, wie lange wird das Kopieren dauern? Dann werden wir jetzt den Schriftsatz samt Anlage kopieren und Ihnen zur Verfügung stellen und unterbrechen bis 14:45 Uhr.“
Um 14:55 Uhr geht es weiter. Götzl: „Soll denn sogleich zu den Anträgen Stellung genommen werden?“ Bundesanwalt Diemer: „Wir werden zu den einzelnen Punkten zum geeigneten Zeitpunkt und an geeigneter Stelle Stellung nehmen, aber vorab: Eine ausgiebige und ausführliche Öffnung der Angeklagten hätte natürlich die Grundlage erweitert. Gleichwohl ist es nicht unmöglich, sich ein Bild von ihrer psychischen Situation [phon.] zu verschaffen. Das sind Gesichtspunkte [phon.], mit denen ein Gutachter umgehen muss und kann.“ Saß sei ein geeigneter Gutachter, so Diemer. [phon.] Die Geeignetheit von Saß im konkreten Fall könne aber erst beurteilt werden, wenn er sein ausführliches Gutachten erstattet hat und auch Gelegenheit hatte auf die Methodenkritik einzugehen. Diemer: „Es ist kein Grund ersichtlich, den Angeklagten [im Saal kommt kurz Gelächter auf]von der Erstattung seines Gutachtens zu entbinden. Sachverständigen, Verzeihung.“ Es sei auch nicht nötig, Saß einen anderen SV als „Aufpasser“ zur Seite zu stellen, so Diemer. Diemer: „Im Übrigen kann ja auch an geeigneter Stelle in methodenkritischer Hinsicht nachgefragt werden. Eine weitere Frist halte ich nicht für erforderlich, denn es steht seit Monaten fest, dass heute der Sachverständige gehört werden soll. Und es wäre der Verteidigung unbenommen gewesen, einen eigenen Sachverständigen zu laden. Deswegen möchte ich mich dafür aussprechen, dass das Gutachten jetzt oder zumindest noch diese Woche erstattet wird.“
NK-Vertreter RA Scharmer: „Ja, ich würde auch kurz Stellung nehmen wollen. Es ist ja durchaus aus meiner Sicht nachvollziehbar, wenn man als Verteidigung auch mal eine absolute Minderansicht vertritt und die darlegt, das ist an sich kein Kritikpunkt: Ohne Exploration keine Begutachtung, ohne Begutachtung keine Sicherungsverwahrung. Das würde faktisch dazu führen, dass man die Sicherungsverwahrung abschafft. Denn wer würde sich dann noch explorieren lassen? Das würde ich durchaus unterstützen, aber das hat mit der faktischen Rechtsprechung bis hin zu BGH und EGMR [phon.] nichts zu tun und führt zu einem Verlust der Rechtsrealität. Man kann das so vertreten, aber dann müsste man sich schon mit den Entscheidungen [phon.] auseinandersetzen und sagen, warum man ihnen nicht folgt. Wenn man sagt, das vorläufige Gutachten habe schwere Mängel, weil die Verhaltensbeobachtung subjektive Wertungen enthält: In welchem Gutachten ist das nicht so? Jedes Gutachten enthält subjektive Wertungen. Und zweitens, dass man die Anknüpfungstatsachen bewertet. [phon.] Letztlich ist das alles eine Frage der Beweiswürdigung und natürlich ist es so, dass eine Begutachtung ohne Exploration der Angeklagten wesentlich kritischer zu werten ist als eine mit Exploration. Wir sollten jetzt Prof. Dr. Saß sein Gutachten erstatten lassen und man kann dabei ja auf die Kritik eingehen. Das andere ist doch ohnehin die rechtliche Frage. Es ist kein Geheimnis, Sie werden es wissen, dass der 3. Strafsenat des BGH 2014 gesagt hat: Sicherungsverwahrung scheidet aus Rechtsgründen aus. Ich denke, es wäre jetzt zu entscheiden, dass wir mal vorankommen.“
NK-Vertreter RA Behnke: „Ich kann mich weitgehend anschließen in der Kürze, möchte aber darauf hinweisen, dass psychiatrische Gutachten immer subjektive Meinungen widerspiegeln und auch müssen. Wir können nicht wie in der Chemie sagen: Soundsoviel Prozent, soundsoviel Promille. Das ist der Psychiatrie fremd. Wir werden es erstmal hören müssen.“ NK-Vertreter RA Bliwier schließt sich an und verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2013. Zwar würde eine Exploration die Belastbarkeit erhöhen, das bedeute aber nicht, dass einem Gutachten ohne Exploration keine Bedeutung zugewiesen werden kann. Bliwier: „Der Sachverständige hat ausgeführt, welches seine Anknüpfungstatsachen sind. Ich sehe überhaupt keinen Grund, den Sachverständigen nicht sein Gutachten erstatten zu lassen.“
Sturm: „Wir würden gern kurz drauf replizieren: Es verwundert doch ein wenig, wenn hier gesagt wird, dass es auch an ‚geeigneter Stelle‘ thematisiert werden könne. Wo ist denn die geeignete Stelle? Wenn nicht jetzt vor der mündlichen Gutachtenerstattung, wann dann soll denn über die Methodenkritik diskutiert werden? Nicht weil es jetzt unbedingt schnell geschehen muss noch heute. Das sind Argumente, die für diesen Prozess schlicht unwürdig sind. Darüber hinaus verwundert es, dass eine fehlende Exploration angesprochen worden ist. Das ist aber zum einen nicht das einzige Thema, es gab noch erhebliche andere Mängel. Dass nicht deutlich gemacht worden ist, wo subjektive Einschätzungen mit eingeflossen sind. Es macht einen Unterschied, wenn ich schreibe, jemand lächle, und dann aber eine Verknüpfung zu einem Sachverhalt mache, der noch nicht mal dargestellt wird in dem Gutachten. Das andere, Herr Kollege Scharmer, dass man das mal weiterdenken müsste, dann hätten wir keine forensische Psychiatrie, da muss man sagen: Wenn die forensische Psychiatrie nicht in der Lage ist, ohne Exploration eine entsprechende Prognose zu stellen, dann ist sie nicht geeignet. [phon.] Wir haben vorgetragen, dass ein Kriminologe oder Psychologe geeigneter wäre. Es ist, ich muss es sagen, populistisch zu sagen: Dann hätten wir ja bald keine Sicherungsverwahrung mehr. [phon.] Alleine schon deshalb würde ich anregen, dass man sich doch mal im Einzelnen mit den vorgetragenen Argumenten befasst.“
NK-Vertreter RA Behnke: „Es wird ja nicht verkannt, dass es eine Fleißarbeit war. Aber es gilt das mündliche Gutachten. Und dann können wir ja methodenkritische Anmerkungen machen. Aber es gilt das mündliche Gutachten und ich bin sehr gespannt, was der Sachverständige jetzt ausführen wird.“ Scharmer: „Wenn mir jetzt schon Populismus vorgeworfen wird, dann muss ich mich dazu auch äußern: Wenn Sie Herrn Faustmann in Regress nehmen, ohne Exploration kein Gutachten [phon.], dann muss man sagen, Herr Faustmann erstellt auch Aktengutachten in anderen Verfahren und verteidigt die auch [phon.]. Das wissen Sie auch. Und beim Sachverständigen, dafür ist er ja da, kann man fragen, wie er zu diesen Wertungen kommt, an welche Anknüpfungstatsachen er anschließt. Insofern steht doch der Befragung von Prof. Dr. Saß nichts entgegen. Wenn man sagt, ohne Exploration keine Prognose, dann gilt das auch für Psychologen und Kriminologen. Dann heißt es, ohne Exploration keine Sicherungsverwahrung. Ich würde das ja unterschreiben. Aber das ist eben nicht ständige Rechtsprechung, mit der Sie sich ja nicht auseinandergesetzt haben.“
NK-Vertreter RA Reinecke sagt, er habe in der Anlage, der Stellungnahme von Faustmann, gelesen, und wenn er es richtig sehe, habe Faustmann nichts dazu geschrieben, dass man ohne Exploration keine Prognose stellen könne, sondern dass man Psychologen und Kriminologen hinzuziehe. Faustmann habe auch nicht geschrieben, dass Saß ungeeignet sei. Reinecke: „Sie haben die methodenkritischen Anmerkungen von Herrn Faustmann wiederholt, aber der grundlegende Angriff schlägt sich in der Stellungnahme nicht nieder [phon.].“ Man müsse also nicht warten, bis Faustmann in der Hauptverhandlung anwesend ist, so Reinecke.
Sturm sagt, sie wolle doch noch einmal ganz kurz reagieren, um deutlich zu machen, dass es schon um die Erhebung und Bewertung der Befundtatsachen gehe und inwiefern hier differenziert worden sei; dies sei ein schwerwiegender Mangel. Es seien die anderen Fachbereiche angesprochen worden und auf die beziehe sich auch Prof. Dr. Faustmann selbstverständlich. [phon.] Und auch sonst sei es selbstverständlich, dass die Verteidigung sämtliche Angriffe, die sie für aussichtsreich hält [phon.], führt, insofern bedürfe es dafür nicht eines Prof. Faustmann. Zschäpe-Verteidiger RA Stahl: „Das hört sich alles sehr wohlwollend an, Herr Kollege Scharmer, was Sie uns da attestieren und wir verkennen auch nicht, dass es da natürlich Rechtsprechung gibt. Aber es gibt auch Rechtsprechung, da sagt der BGH ganz klar: Wenn es methodenkritische Aspekte gibt, die ein Gericht nicht alleine lösen kann, ist es naheliegend, wenn nicht sogar zwingend, dass man ein anderes Gutachten einholt. Und wenn es der Senat nicht so sieht, dann kann der Senat den Beweisantrag mir nichts, dir nichts ablehnen und dann wird man ja sehen. Aber wir haben das nicht nur auf Verteidiger-, sondern auch auf Sachkundigen-Expertise gestellt. [phon.] Wo man sagen muss, über die Brücke muss man nicht unbedingt gehen. [phon.] Und deshalb sind wir der Auffassung, damit muss der Senat sich vorher befassen.“
Bliwier: „Das schriftliche Gutachten ist vorläufig. Maßgeblich ist, was der Sachverständige hier in der Hauptverhandlung bekundet. Sie sind doch überhaupt nicht gehindert, den Sachverständigen zu fragen und zu hinterfragen. Wie soll denn der Senat ein Gutachten einholen über ein Gutachten, das überhaupt noch nicht eingeführt ist? Anschließend kann man doch drüber reden, ob man einen weiteren Sachverständigen braucht, aber doch nicht bevor das Gutachten erstattet ist. Dazu muss es erstmal eingeführt werden.“ Götzl: „Wir werden nochmal für 10 Minuten unterbrechen bis 25.“
Um 15:26 Uhr geht es weiter. Götzl: „Wir werden morgen fortsetzen, wir werden den Antrag beraten. Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen und fortgesetzt morgen um 9:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 15:26 Uhr.
Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Die Nebenklage hatte ja bereits am 14.09.2016 beantragt, einen Brief, den Zschäpe im Jahr 2013 an einen in Nordrhein-Westphalen inhaftierten Neonazi geschickt hatte, zu verlesen – u.a. weil die Selbstdarstellung Zschäpes in dem Brief, die in krassem Gegensatz zu ihrer Selbstdarstellung in ihrer Einlassung vor Gericht steht, für den Sachverständigen Prof. Saß hilfreich ist […] Das Gericht hat den Brief inzwischen im Selbstleseverfahren eingeführt, dieses Verfahren wurde heute zunächst offiziell abgeschlossen. Daraufhin wollte die Nebenklage eine Erklärung zur Beweisaufnahme abgeben und dabei auch Auszüge aus dem Brief erläuternd wiedergeben. Dies wurde erneut von den ZschäpeverteidigerInnen blockiert. Nachdem klar wurde, dass Heer, Stahl und Sturm dieses Scharmützel nur nutzen wollten, um die Gutachtenerstattung weiter zu verzögern, stellte die Nebenklage ihre Erklärung zurück. Sodann beantragte die Verteidigung Zschäpe in einem 33-seitigen Antrag die Entbindung des Prof. Saß wegen vermeintlicher in seinem vorläufigen Gutachten zu Tage getretener fachlicher Ungeeignetheit. Beigefügt war dem Antrag ein methodenkritisches Gutachten des von der Verteidigung gefundenen eigenen Sachverständigen, eines Neurologen und Professors an der Ruhr-Universität Bochum – das allerdings alles nicht besonders überzeugend daherkommt. Die Ablehnung dieses Antrages noch am heutigen Nachmittag während der laufenden Hauptverhandlung erschien dem Vorsitzenden offensichtlich zu umständlich, so dass er um 15.26 Uhr die Hauptverhandlung unterbrach […].“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/12/20/20-12-2016/