An diesem Verhandlungstag sagen zunächst zwei Beamte vom Staatsschutz Jena zum Angeklagten Ralf Wohlleben aus. Danach befragt RA Borchert von der Verteidigung Beate Zschäpes den Sachverständigen Prof. Dr. Saß zu dem psychiatrischen Gutachten, das dieser zu Zschäpe erstellt hat.
Zeugen und Sachverständige:
- Werner Pr. (Staatsschutz Jena, Erkenntnisse zu Ralf Wohlleben)
- Detlev K. (Staatsschutz Jena, Erkenntnisse zu Ralf Wohlleben)
- Prof. Dr. Henning Saß (Psychiatrischer SV, Begutachtung von Beate Zschäpe)
Erster Zeuge ist Werner Pr., Polizeibeamter bei der KPI Saalfeld. Götzl: „Es geht uns um Erkenntnisse im Hinblick auf Herrn Wohlleben. Äußerungen, Aktivitäten, zum einen im Hinblick auf Ausländer-/Asylpolitik, zum anderen um Erkenntnisse zu Ermittlungen, Straftaten der rechten Szene, Kameradschaft Jena, THS gegenüber Ausländern. Das wären so Stichwörter. Was können Sie denn zu diesen Themen berichten? Dass Sie zunächst vielleicht berichten, inwiefern Sie denn überhaupt mit solchen Themen befasst gewesen sind und gegebenenfalls zu den Einzelheiten.“ Pr. berichtet, er sei zur Jahrtausendwende in den Bereich Staatsschutz gekommen, seine Aufgabe sei gewesen, Straftaten, Ermittlungsverfahren zu bearbeiten. In Bezug auf Wohlleben habe er nach Recherche fünf Ermittlungsverfahren bearbeitet, wo Wohlleben Zeuge oder Beschuldigter gewesen sei. Pr.: „Aber nach dieser Einsichtnahme in den letzten Wochen sind mir keine Straftaten bekannt in Bezug auf Ausländer. Das war meistens Rechts/Links oder wegen Propagandamitteln. Diese Ermittlungsverfahren waren so in den Jahren 2002 bis 2004.“
Götzl: „Waren Sie selbst unmittelbar mit Herrn Wohlleben befasst?“ Pr.: „Nein. Nach meiner Erinnerung kam es nie zu einer Vernehmung, er ist nicht erschienen. Beziehungsweise einmal hat er angerufen und hat halt nur gesagt, dass er nicht erscheinen wird. Das konnte ich letzte Woche aus den Akten herauslesen.“ Götzl: „Haben Sie Informationen zu Fragen politischer Ansicht, politischer Arbeit, zu Äußerungen Herrn Wohllebens, sei es jetzt auch anderen Beamten gegenüber oder aus sonstigen Quellen?“ Pr. sagt, es sei bekannt, dass Wohlleben mal stellvertretender Landesvorsitzender der NPD gewesen sei, ansonsten als Organisator des Festes der Völker 2006, das in Jena stattgefunden habe. Es entziehe sich seiner Kenntnis, ob Wohlleben bei den Heß-Demonstrationen der Anmelder oder Redner gewesen sei.
Götzl: „Können Sie zu einzelnen Demonstrationen, Plakaten, Aufklebern, Unterschriftsaktionen, dazu etwas sagen, in der damaligen Zeit, Jahrtausendwende?“ Pr. schweigt etwas und sagt dann: „Das eine Ermittlungsverfahren war ein Wahlkampfverfahren.“ Götzl: „Etwas lauter bitte!“ Pr.: „In der Vorbereitung eines NPD-Wahlkampfes, da wurde halt eine CD festgestellt, die, glaube ich, die Lebensrune abgebildet hatte, da hatte man eine Anzeige gemacht. Nach meiner Erinnerung wurde dies eingestellt. Bezüglich Reden ist mir nichts bekannt. Aber wenn irgendwelche Demonstrationen waren, war man ja nicht immer vor Ort eingesetzt, unterschiedliche Aufgabenbereiche, und demzufolge hatte man selten was mit ihm zu tun. Es gab in Jena auch Plakatierungen, ja, auch meistens um Heß herum, aber ob die jetzt dem Herrn Wohlleben zuzurechnen sind?“
Um 10:11 Uhr geht es weiter mit dem Zeugen Detlev K., Kriminalbeamter aus Jena. Götzl nennt dem Zeugen das gleiche Thema wie Pr. K.: „Diesbezüglich kann ich so gut wie nichts sagen, da ich mit NSU keine Berührungspunkte hatte. Wir hatten lediglich Straftaten, die zwischen links und rechts gelagert waren, in Jena, also zwischen dem ‚Braunen Haus‘ und der Jungen Gemeinde in Jena gelagert waren. Konkretes zu den Personen kann ich nicht sagen.“ Götzl: „Wann waren Sie denn tätig in diesem Bereich?“ K.: „Ab 2007.“ Götzl: „2007?“ Götzl fragt, ob es noch Fragen an den Zeugen gebe. Niemand meldet sich. Um 10:14 Uhr wird der Zeuge entlassen.
Götzl: „Herr Wohlleben, mir geht es jetzt um Kontakt zu Herrn K., Herrn Tu., den beiden hier gehörten Beamten. Können Sie dazu etwas sagen, inwieweit Sie Kontakt hatten?“ Wohlleben: „Herrn K. kenne ich länger als Herrn Tu. [phon.], weil die Herren K., Ke. und Ku. waren unter der Abkürzung ‚KKK‘ bei uns bekannt. Ansonsten hatte ich mit Herrn K. wenig zu tun. Anfänglich mal Vorladungen, anfänglich noch Folge geleistet, später nicht mehr. [phon.] Und den Herrn Tu. habe ich bei der Hausdurchsuchung am 24.11. bei mir nochmal gesehen. Und mit Herrn K. hatte ich 2010 nochmal eine kurzen Zusammenstoß, wo Polizeibeamte auf dem Grundstück vom Braunen Haus ohne Durchsuchungsbefehl mehrere Garagen aufgebrochen haben. Und da bin ich nochmal kurz mit ihm aneinandergeraten.“
Götzl: „Sind Sie denn einmal von einem dieser Herren vernommen worden?“ Wohlleben: „Ich kann mich erinnern, Gespräche gab es mal. [phon.] Ich meine mich zu erinnern, dass, wo der Überfall vor dem Rathaus war, dass ich da mit Herrn Ke. gesprochen habe und mir Bilder von Linksextremisten vorgelegt wurden, aber ob das eine Vernehmung oder ein allgemeines Gespräch war, das ist mir nicht mehr in Erinnerung.“ Götzl fragt, ob Wohlleben wisse, worum es da gegangen sei. Wohlleben: „Nee, wie gesagt, das ist …“ Wohlleben schweigt kurz und sagt dann: „An die eben erwähnte Beschlagnahme der CD kann ich mich noch erinnern, das müsste eine Frank Rennicke-CD gewesen sein. Aber ich glaube, dass es nicht wegen einer Lebensrune war, sondern wegen der Musik, die da drauf war, die öffentlich gespielt wurde bei der NPD-Wahlveranstaltung. Und da ich der Veranstalter war, hat man mir die CD quasi zugeordnet.“
Um 10:44 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir mit Ihnen fort. Herr Prof. Dr. Saß, sind Ergänzungen von Ihrer Seite vorgesehen?“ Saß: „Zunächst nicht.“ Götzl: „Sind Fragen von Seiten der Verteidigung Frau Zschäpes?“ RA Borchert: „Zunächst hätte ich eine allgemeine Frage und werde dann Bezug nehmen auf Ihr Gutachten, das Sie schriftlich erstattet haben. In Ihrem vorläufigen Gutachten beschäftigen Sie sich auf über 20 Seiten mit dem Verhalten der Mandantin in der Hauptverhandlung. Warum?“ Saß: „Angesichts der Tatsache, dass eine Exploration nicht möglich war, musste versucht werden, andere Informationen zu gewinnen, aus denen etwa Hinweise für erhebliche Störungen zu finden wären. Und deswegen habe ich das ausführlich und sorgfältig getan.“ Borchert: „Ich habe mir das angeschaut. Sie charakterisieren die Mandantin mit Adjektiven im Umfang von weit über 100 verschiedenen Adjektiven. Warum? Vor dem Hintergrund, dass Frau Zschäpe doch weitgehend emotionslos gesessen hat auf ihrem Stuhl.“ Saß: „Die Einschätzung, dass Frau Zschäpe weitgehend emotionslos auf ihrem Stuhl gesessen hat, charakterisiert nicht das Verhalten in der gesamten Hauptverhandlung in dreieinhalb Jahren.“
Borchert: „Seite 16. Da führen Sie aus: ‚Frau Zschäpe hat sich in ihrer Selbstdarstellung ähnlich geäußert, wobei allerdings aus psychiatrischer Sicht auffällt, wie nüchtern, sachlich, emotionsarm und unpersönlich ihre schriftliche Schilderung wirkte.‘ Von welcher Selbstdarstellung gehen Sie aus?“ Saß: „Im Grunde gehe ich von allen aus, die in schriftlicher Form vorgelegt wurden und auch von der einen kurzen, die auch mündlich abgegeben wurde.“ Borchert: „Sie hat sich u.a. bei den Opfern und Angehörigen entschuldigt. Wenn Sie dieses als sachlich und nüchtern bezeichnen, was hätten Sie denn erwartet von Ihr gegenüber den Opfern? In welcher Form hätte das denn geschehen sollen, damit Sie es nicht als nüchtern, sachlich und emotionsarm bewerten?“ Saß: „Ich weiß nicht, ob es hier um meine Erwartungen geht, aber man kann sich sicherlich ein breiteres Spektrum von emotionaler Begleitung einer Aussage vorstellen oder von Beschreibungen, als es bei der mündlichen, aber auch in den schriftlichen Erklärungen geschehen ist. Der Eindruck, den ich gewonnen habe, ist so, wie ich es im Gutachten ausgeführt habe.“
Borchert: „Haben Sie dabei berücksichtigt, dass die Formulierungen von den Anwälten vorgeschlagen und zu Papier gebracht wurden, wie Frau Zschäpe es selber auch ausgeführt hat, um Missverständnisse zu vermeiden, so dass eine sachliche, emotionsarme Sicht geschildert wurde. Man kann ja auch emotionsvoll etwas schildern und sich auch den Vorwurf der Heuchelei einhandeln. [phon.]“ Saß: „Dieses ‚emotionsvoll‘ brauche ich nicht zu berücksichtigen [phon.], weil es ja nicht stattgefunden hat. Ich habe gesagt: ‚wirkt‘ sachlich und emotionsarm‘. Nicht ‚ist‘ es, ‚wirkt‘ es. Ob das darauf zurückzuführen ist, dass die Verteidiger diese Worte gewählt [phon.] haben, ist mir nicht bekannt.“ Borchert: „Sie hat es doch selber vorgetragen.“ Saß: „Sie hat es zu ihren eigenen Worten gemacht auf Nachfrage. Insofern sind es ihre Erklärungen. Und ich habe gesagt, wie sie wirken.“ Borchert: „Welche Schlussfolgerungen können Sie denn ziehen, wenn Sie unterstellen, dass diese Formulierungen ausschließlich auf Rat der Anwälte erfolgt sind? Welche Rückschlüsse ziehen sie dann?“ Saß: „Einen Rückschluss kann ich mangels Erkenntnis über das innere Erleben von Frau Zschäpe nicht ziehen. Ich kann nur sagen, dass das, was mir hier bekannt wurde, so wirkte, wie es hier dort steht. Ob es innerlich ganz anders aussähe, ist mir, so weit ich es sehen kann, nicht bekannt geworden aus dem so genannten Inbegriff der Hauptverhandlung, einschließlich der Erklärungen. Denkmöglich ist natürlich auch da vieles.“ Borchert: „Damit ist diese Frage für mich schon beantwortet.“
Borchert hält aus dem Gutachten vor, dass in der Erklärung von Zschäpe die Beziehung zu Mundlos „recht kühl und unpersönlich“ abgehandelt werde, auch das Verhältnis zu Böhnhardt, das sie an einigen Stellen als Liebe bezeichnet habe, werde von ihr ansonsten nicht in „tieferer, differenzierter oder gefühlsbezogener Weise“ geschildert; der Ausdruck „blinde Liebe“ in der Erklärung vom 10.01.2017 wirke „recht floskelhaft und pauschal“. Borchert: „Welche Formulierung hätten Sie als Gutachter und Sachverständiger denn erwartet in Bezug auf ihr Verhältnis zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, wenn nicht so wie geschildert. Sie ist ja keine Literaturkritikerin. Was hätten Sie denn erwartet?“
Saß: „Ich möchte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es von Frau Zschäpe nicht nur die Formulierungen gibt, die ich als recht kühl und unpersönlich bezeichnet habe, sondern etwa auch im Brief an Robin S. ganz andere Formulierungen mit sprachlicher Kompetenz, einfallsreichen Schilderungen gibt. So dass man nicht sagen kann, es ist ein Problem des Sprechvermögens oder des Formulierungsvermögens, sondern möglicherweise der Kontrolliertheit möglicherweise durch sich selbst oder die Verteidiger. Ich habe nur festgestellt, wie die Formulierungen auf mich wirken.“
Borchert: „Dann möchte ich zum Brief an Robin S. springen. Ist Ihnen bekannt, dass diese Formulierung im Brief an Robin S. und die Bilder, die nachgezeichnet wurden, dass die aus einer Karte entnommen sind, die man aus dem Internet laden kann. Sprich die Formulierung stammt von einem Vordruck, ist das bekannt?“
NK-Vertreter RA Scharmer beanstandet, dass Borchert sagen müsse, woher er das hat. Götzl sagt, das treffe zu, das sei nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen. Borchert: „Ich gebe jetzt die Erklärung dazu ab, dass die Mandantin mit Blick auf diesen Brief die von Ihnen zitierten Worte einem Vordruck aus dem Internet entnommen hat, wo die Ausdrücke zitiert sind: ‚Sonnenschein‘, ‚Muße‘, dann ‚Schreibgerät‘, ’schmerzlicher Schluss‘, ‚Schokoschnäuzchen‘, dass diese aus einer Karte stammen, die dem Internet zu entnehmen ist, und dass diese Zeichnung, die im Brief enthalten ist, ebenfalls von dieser Karte abgezeichnet wurde. [phon.]“ Zschäpe-Verteidiger RA Grasel: „Bei dieser Zeichnung handelt es sich um die Ente.“
Götzl: „Frau Zschäpe, ist das zutreffend, ist das Ihre Erklärung?“ Zschäpe antwortet persönlich: „Die Worte, die der Sachverständige aufzählt, sind nicht meine eigenen Worte. ‚Muße‘ und drei weitere Beispiele, die sind nicht von mir.“ RA Scharmer: „Ich hatte das beanstandet. Aber dann jetzt die Rückfrage, woher Frau Zschäpe in der Untersuchungshaft mit den Auflagen dieses Verfahrens Internetzugang hat.“
Borchert: „Um Missverständnissen vorzubeugen: Frau Zschäpe hat natürlich keinen Internetzugang. Ich habe auch nicht behauptet, dass sie die Zeichnung heruntergeladen hat. Ich habe nur gesagt, dass es herunterladbar ist. Das ist ihr zugeschickt worden, ganz normal über die Postkontrolle.“ Götzl: „Ist das zutreffend, Frau Zschäpe?“ [Vermutlich nickt Zschäpe.]
Borchert: „Sie tragen wiederholt vor, die Formulierungen wirken ‚für den psychiatrischen Leser recht formal und unpersönlich. Ganz im Vordergrund stehen ihre eigene Situation, die Kritik am Verhalten der Partner, die Verantwortungszuschiebung nach außen und die sorgfältige Beschreibung von Umständen, die, wenn sie zugrunde gelegt werden, eine entlastende Funktion hätten. Weniger entsteht dagegen der Eindruck einer authentischen Auseinandersetzung mit den abgelaufenen Geschehnissen, mit den Empfindungen der von den Taten betroffenen Personen und ihrer Angehörigen sowie den Konsequenzen für deren Leben.‘ Aus welchen Fakten schlussfolgern Sie das, dass nicht der ‚Eindruck einer authentischen Auseinandersetzung‘ vorliegt?“ Saß: „Das ist das Resümee, was in den vorangegangen Seiten entwickelt wurde. Dass im Vordergrund dieses unpersönlich und formal Wirkende stand, während Beobachtungen, die für eine authentische Auseinandersetzung, eine Erschütterung, ein inneres Aufgewühltsein, starke Betroffenheit sprechen, solche Beobachtungen nicht zu machen waren. Ich räume Ihnen ein, dass das ein Eindruck ist. Das habe ich auch so formuliert.“
Borchert: „Wenn Sie die Begriffe ‚formal‘ und ‚unpersönlich‘ – vor dem Hintergrund, dass das Ausdruck anwaltlicher Beratung war – wenn Sie das unberücksichtigt lassen würden, würde sich an Ihrer Einschätzung etwas ändern?“ Saß: „Sie meinen, wenn ich das Formale und Unpersönliche den Anwälten zurechne?“ Borchert: „Ja.“ Saß: „Dann würde ich immer noch feststellen, dass das was fehlt, weiterhin fehlt: Nämlich Hinweise darauf, dass es Ansätze zu einer authentischen Auseinandersetzung, einer emotionalen Erschütterung, Bewegtheit, Betroffenheit gegeben hat.“ Borchert: „Berücksichtigen Sie wiederum die Tatsache, dass der Angeklagten anwaltlich geraten wurde, keine Erschütterung zu zeigen?“ Saß: „Mit dem Gesichtspunkt habe ich mich im Gutachten ja dezidiert auseinandergesetzt, dass es offenbar hinsichtlich der Wirksamkeit von Angaben [phon.] der Verteidiger im Laufe der Verhandlung eine Änderung gegeben hat, dass man sich entschlossen hat, Angaben zu machen, mit dem Hinzukommen von Herrn Grasel und Ihnen. Von daher reicht die Erklärung ‚ich habe mich auf Anraten der Verteidiger so verhalten‘ in meinen Augen nicht aus. Nach dem Wechsel in der Verteidigung sehe ich nicht, wie dazu noch dieses strenge Verbot bestanden hat, wie es vorher vielleicht bestanden haben mag.“
Borchert: „Berücksichtigen Sie, dass danach die Mordvorwürfe nicht mehr verhandelt wurden und dazu keine Zeugen mehr vernommen wurden? Es ging nicht mehr um diese Vorwürfe, die hätten Emotionen hervorrufen können.“ Saß: „Ja, das habe ich berücksichtigt. Und es ist ja auch weiterhin noch um erhebliche Straftaten gegangen – das ‚erheblich‘ nehme ich weg – um Straftaten gegangen, bei denen es sehr gefährlich zugegangen ist, etwa um die Banküberfälle, mit Schießen usw.“ Borchert: „Frau Zschäpe hat sich ja diesbezüglich mit einer schriftlichen Erklärung an die Betroffenen gewandt. Welchen Wert, welches Ausmaß an persönlicher Betroffenheit messen Sie dieser Erklärung zu, wenn diese nur schriftlich abgefasst wurde, nicht mündlich?“ Saß: „Ich habe doch jetzt schon häufig den Eindruck geschildert, den die schriftlichen Erklärungen machen: Dass sie formal und unpersönlich wirken, nicht mit einer lebhaften inneren Beteiligung und Emotionalität von Frau Zschäpe verbunden waren. [phon.] Für mich ist wichtig, dass Hinweise für eine intensive, authentisch wirkende Auseinandersetzung, vielleicht Umkehr, nicht zu erkennen waren.“
Borchert: „Haben Sie während der Befragung einzelner Zeugen, Angehörigen, Opfer, Bedrücktheit an der ein oder anderen Stelle feststellen können?“ Saß: „Ich habe durchaus wechselnde Gemütsbewegungen [phon.], soweit es sich von außen beobachten lässt, registriert. Anspannung habe ich vor allem in der Zeit der so genannten Verteidigerkrise beobachtet. Einen sehr angespannten Zustand glaubte ich auch wahrzunehmen an dem Tag, als die Mutter hier kurz war.“ Borchert: „Sie machen Ausführungen in Zusammenhang mit dem Verteidigerwechsel und erwähnen dort wie folgt: ‚Bemerkenswert an diesen streitigen Abläufen erschien, erneut abgesehen von inhaltlichen Aspekten, mit welcher Vehemenz, Entschlossenheit und Konsequenz sie auf Seiten der Angeklagten geführt wurden‘. Sind Ihnen die Voraussetzungen bekannt, unter denen ein Wechsel der Pflichtverteidigung möglich ist?“
Saß sagt, das sei ja Gegenstand der Verhandlung hier gewesen, da habe er zugehört. Borchert: „Und haben Sie auch gehört, dass für den Wechsel der Verteidiger eine hohe Vehemenz erforderlich ist?“ NK-Vertreter RA Behnke: „Die Frage ist nicht korrekt gestellt. Es gab keinen Pflichtverteidigerwechsel.“ Borchert: „Ich meinte einen angestrebten Wechsel.“ Saß: „Das ist eher eine rechtliche Frage als eine an mich. Aber dass die Hürde hoch ist, glaube ich aus dem, was ich hier vernommen habe, auch wahrgenommen zu haben, ja.“
Borchert: „Könnte dies Voraussetzung für eine Vehemenz und Entschlossenheit sein, weil die Hürde so hoch ist? Wie würden Sie das aus psychiatrischer Sicht beurteilen?“ Saß: „Ich verstehe die Frage nicht ganz. Soll damit gemeint sein, das absichtlich ein das Zerwürfnis betonendes Verhalten gezeigt wurde?“ Borchert: „Ich meine nicht, dass sie sich diesbezüglich verstellt hätte, das meine ich nicht.“ Saß: „Also dass die Bedingungen, unter denen Änderungen in der Verteidigerkonstellation zu erreichen sind, zu den Schwierigkeiten und Anspannungen beigetragen haben, erscheint mir gut vorstellbar.“
Borchert: „Sie nehmen eine Einschätzung vor auf Blatt 47 Ihres Gutachtens, da führen Sie wie folgt aus: ‚Unklar erscheint, warum nach dem Entschluss, sich nunmehr zu erklären und auf Fragen zu antworten, weiterhin durchgängig eine überaus kontrollierte Haltung beibehalten wurde. Psychologisch plausibel wäre es durchaus auch gewesen, wenn in diesem Prozessstadium die von ihr angegebenen Regungen von Abscheu, moralischer Verurteilung und Schuldgefühl einen persönlicheren Ausdruck im Verhalten gefunden hätten.‘ Könnten Sie dafür ein Beispiel geben, aufgrund welcher Mimik, Regungen sich dieses hätte ausdrücken können / müssen?“ Saß: „Also es hätte sowohl in den schriftlichen Erklärungen wie auch in der mündlichen Erklärung andere Ausdrucksformen, intensivere, differenziertere, emotional stärker gefüllte Ausdrucksformen gegeben, wie sie zum Beispiel im Brief von 2013 erkennbar sind. So etwas kann Frau Zschäpe offenbar, aber hier ist es bei diesem Kontrollierten geblieben.“
Borchert: „Haben Sie bei dieser Beurteilung in Erwägung gezogen, dass diese emotional gesteigerte Ausdrucksweise sich bei den Vertretern der Nebenklage und in der Presse ausgewirkt hätte?“ Saß: „Ja, das wird ja in den schriftlichen Erklärungen, bis in die letzte aus dem Januar, thematisiert. Man muss dann auch noch die Relation bedenken, die zwischen den vorgeworfenen Handlungen auf der einen Seite und dem Medienecho auf der anderen Seite besteht. Also ich bleibe dabei, dass es in meinen Augen psychologisch plausibel gewesen wäre, wenn wirklich Schuldgefühle und Abscheu dabei seien [phon.], dass das auch einen durchaus persönlicheren Ausdruck im Sprechen und im Schreiben hätte finden können. Wobei ich das lediglich deswegen auch thematisiert habe, weil ich auf die Frage einzugehen habe, ob ich Anhaltspunkte für eine Änderung sehe. Es geht nicht drum, was besser gewesen wäre, sondern ob ich Anhaltspunkte für Änderungen gesehen habe. Ich habe diese nicht gesehen.“ Borchert: „Haben Sie berücksichtigt, dass Frau Zschäpe bestreitet, an den Morden beteiligt gewesen zu sein und nicht Schuld dafür übernehmen kann? Haben Sie das dabei berücksichtigt?“ Saß:“ Ja.“
Götzl sagt, dass die Befragung von Saß dann für heute unterbrochen werde.
Götzl: „Frau Rechtsanwältin von der Behrens, Sie wollten den Antrag umstellen oder erweitern, könnten wir zu dem Punkt kommen?“ NK-Vertreterin RAin von der Behrens: „Es ist tatsächlich eine Erweiterung des Antrags.“
Von der Behrens verliest den Antrag: In der Strafsache gegen Zschäpe u.a. 6 St 3/12 wird der Antrag vom 26.10.2016 dahingehend erweitert, dass nunmehr beantragt wird, die Zeugin, die mit Jan Werner am 7.5.2000 telefonischen Kontakt hatte und die in dem Schreiben des Sächsischen LfV vom 17.5.2000 abstrakt bezeichnet wird, über sämtliche VS-Behörden und/oder das LKA Sachsen und/oder das LKA Thüringen – und nicht wie bisher beantragt nur über das LfV Sachsen – namhaft zu machen und zu laden. Weiter wird beantragt, die Vernichtungsverhandlung des LfV Sachsen zu der Vernichtung der G10-Protokolle aus der Maßnahme „Terzett“ und die Vernichtungsverhandlungen bzgl. der Dokumente oder Datenträger, aus denen sich die in der G-10-Maßnahme Terzett erfassten Standortdaten ergeben, beizuziehen. Der Verhandlungstag endet um 15:33 Uhr.
Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.
Hier geht es zur vollständigen Version des Protokolls.