Kurz-Protokoll 340. Verhandlungstag – 25. Januar 2017

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Am heutigen Verhandlungstag ist zunächst der Kriminalbeamte Ke. geladen, der zu Ralf Wohllebens politischer Einstellung aussagen soll. Er kann dazu aber keine weitreichenden Erkenntnisse beisteuern. Im Anschluss daran wird Prof. Dr. Saß u.a. von Teilen der Verteidigung von Beate Zschäpe befragt. Dabei geht es u.a. um Notizen zum ersten Prozesstag. Danach macht Prof. Dr. Norbert Leygraf Ergänzungen zu seinem Gutachten nach Anmerkungen von der Verteidigung Wohlleben.

Zeugen und Sachverständige:

  • Klaus Ke. (Kriminalbeamter, KPI Jena, Angaben zu Wohlleben)
  • Prof. Dr. Henning Saß (Psychiatrischer SV, Begutachtung von Zschäpe)
  • Prof. Dr. Norbert Leygraf (Psychiatrischer SV, Gutachten zu Carsten Schultze)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:44 Uhr. Zwei Nebenklägerinnen sind heute persönlich anwesend. Es folgt die Einvernahme des Zeugen Klaus Ke. Götzl: „Es geht uns um Informationen, Erkenntnisse von Ihrer Seite im Hinblick auf die Person Herrn Wohllebens hinsichtlich Ansichten, Äußerungen und Aktivitäten in Bezug auf Fragen der Ausländer- und Asylpolitik, 90er Jahre bis in die 2000er hinein. Und dann würde es gehen zu Ermittlungen, sonstige Erkenntnisse zu Straftaten von Angehörigen der rechten Szene, Kameradschaft Jena, THS, Bezugspunkt Ausländer.“ Ke.: „Hauptsächlich hatte ich mit Propagandadelikten zu tun, Schmierereien, Plakate, die geklebt wurden, Bettlaken mit Parolen, die aufgehängt wurden. Jetzt direkt so Gewalttaten, Körperverletzungsdelikte, das war nicht mein Part. Herr Wohlleben selber ist mir vom Ansehen bekannt, wir haben uns auch das ein oder andere Mal unterhalten im Rahmen von Veranstaltungsabsicherungen. Ich kann jetzt nicht sagen, dass er mir gegenüber ausländerfeindliche Aussagen gemacht hat oder dahingehend bekannt ist, so etwas zu tun.“
Götzl: „Gab es mal eine Situation, dass Sie ihn mal vernommen hätten, als Beschuldigter, als Zeuge?“ Ke.: „Als Beschuldigter nein, als Zeuge wäre es möglich, aber da kann ich mich jetzt wirklich im Einzelnen nicht erinnern.“ Götzl: „Können Sie sich an irgendwelche Gespräche mit ihm erinnern?“ Ke.: „Ja, eins ist mir in Erinnerung geblieben, aber das war eine kurze Begegnung zu einer Veranstaltungsabsicherung. Das war eine Konzertveranstaltung, das lief von der NPD aus, da kam der Herr Wohlleben mit dem – ich weiß nicht, ob es der Herr Voigt war. Er hat mich vorgestellt: ‚Das ist der Herr Ke. vom Staatsschutz, der ist dazu da, dass uns nichts passiert.‘ Weil es gab ja immer diese Auseinandersetzungen [phon.] zwischen Rechts und Links.“ Götzl: „Worum ging es bei der Veranstaltung?“ Ke.: „Ja, die rechte Szene hat immer mal Musikveranstaltungen gemacht. Im Einzelnen weiß ich es nicht, wer da aufgetreten ist oder was da vom Band kam.“
Götzl: „Zu diesen Plakaten, die Sie benannt haben und Schmierereien. Was können Sie denn da noch Konkretes sagen und können Sie eine Zuordnung dieser Plakate, dieser Schmierereien treffen zu bestimmten Personen oder Gruppierungen?“ Ke.: „Los ging das so richtig 1994, das war mein erster Sachverhalt im Sommer. Das waren Plakate mit Rudolf Heß, da haben wir damals den Täter ermittelt. Aber das trifft nicht auf Herrn Wohlleben zu, er war nicht der Täter. Und ansonsten gab es die üblichen Hakenkreuzschmierereien an unterschiedlichen Orten oder Plakate, Spruchbänder, die mal über eine Brücke gespannt wurden, ‚Rudolf Heß lebt‘ und so weiter.“
NK-Vertreter RA Hoffmann: „Bezüglich des Konzertes, das Sie angesprochen haben: Waren Sie auch verantwortlich für die Überwachung der Texte der Musik, die gespielt wurde, auf strafbare Inhalte?“ Ke.: „Nein, das war damals noch nicht so ausgeprägt. Um nicht zu sagen, noch nicht so üblich.“ Hoffmann: „Das ist gar nicht geschehen?“ Ke.: „Nein.“ Hoffmann: „Haben Sie eine Erinnerung, ob da ausländerfeindliche Texte gespielt wurden von den Gruppen?“ Ke.: „Nein.“ Um 10 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Götzl: „Herr Prof. Dr. Saß, bitte sind Sie so nett. Wer möchte denn mit Fragen fortsetzen?“ Sturm: „Herr Prof. Saß, wir haben noch einige Fragen und zwar zunächst zum Beginn Ihrer Gutachtertätigkeit in hiesigem Verfahren. Können Sie nochmal kurz schildern, wie sich sozusagen der Anfang gestaltet hat? Welche Kontakte gab es, mit wem gab es Erörterungen, Telefonate? Wie hat sich das Ganze entwickelt?“ Saß: „Ist lange her. Wenn ich recht erinnere, gab es ein Telefonat des Vorsitzenden, ob ich grundsätzlich bereit sei und in der Lage sei, in diesem Verfahren tätig zu sein, und danach dann eine schriftliche Beauftragung.“ Sturm: „Können Sie sodann schildern, wie Sie nach der förmlichen Beauftragung vorgegangen sind?“ Saß: „Wenn ich recht erinnere, habe ich dann in verschiedenen Sendungen zunächst in Papierform und dann in elektronischer Form die Akten bekommen. Und dann habe ich versucht, mich da einzuarbeiten.“ Sturm: „Wie sind Sie da herangegangen?“ Saß: „Ich habe sie Stück für Stück gelesen und habe versucht, das Wichtige, wovon ich meine, dass es für meine Fragestellung von Bedeutung ist, intensiv zu lesen und Dinge, wo ich meinte, dass sie für mich nicht so wichtig sind, im Groben zu erfassen und dann beiseite zu legen.“
Sturm sagt, es sei um eine forensisch-psychiatrische Herangehensweise gegangen: „Wie stellt sich diese dar?“ Saß: „Man versucht über den Probanden oder die Probandin so viel wie möglich Informationen zu bekommen betreffend die Biographie, Werdegang, berufliche und schulische Entwicklung, ein mögliches Vorfeld [phon.], was in die Delinquenz führt. Dann die Delinquenz, die Entwicklung seither. Man versucht das auch aus Zeugenschilderungen zu gewinnen, man versucht sich ein Bild über Beziehungen zu machen, Kontakte, Kontaktfähigkeit. Und wenn es um die Schuldfähigkeit geht, versucht man alle Fakten und Informationen sorgfältig zu sammeln, die auf eine psychische Störung hindeuten könnten. Natürlich guckt man auch auf körperliche Erkrankungen, aber das bei jungen Menschen eher in zweiter Linie.“ Man gucke dann höchstens auf solche körperliche Erkrankungen, die sich auf die Psyche auswirken, z. B. Herzleiden mit Minderdurchblutung des Gehirns, so Saß.
Sturm: „Stand für Sie auch das Verhalten von Frau Zschäpe von Anfang an im Fokus, in der Hauptverhandlung?“ Saß: „Ja.“ Sturm: „Können Sie vielleicht einfach mal kurz – oder vielmehr ausführlich – schildern, wie Sie dabei vorgegangen sind? Gab es ein Konzept?“ Saß: „Das habe ich in den methodischen Vorbemerkungen geschildert, dass es auf die Beobachtung der so genannten Psychomotorik und das Verhalten in der Hauptverhandlung ankam.“ Sturm: „Mich interessiert mehr der tatsächliche Ablauf. Sprich einerseits eine Beweiserhebung, die entweder an dem Tisch, wo Sie jetzt sitzen, stattfindet oder vorne, und andererseits Frau Zschäpe, die jetzt an der Seite sitzt. Woran haben Sie sich orientiert? Wann haben Sie Frau Zschäpe beobachtet, wann haben Sie Ihren Fokus auf die Beweiserhebung gerichtet?“ Saß: „Ich habe versucht, so viel wie möglich von dem, was in meinem Blickfeld ist, was vor mir war, so viel wie möglich davon mitzubekommen, was hier passiert.“ [phon.] Sturm: „Haben Sie sich dabei Notizen gemacht?“ Saß:“ Ja.“ Sturm: „Was haben Sie notiert?“ Saß: „Was mir aus psychiatrisch-psychopathologischer Perspektive von Interesse erschien. Verhalten, Bewegung, Hinwendung, Desinteresse, also vermeintlich wie Desinteresse aussehendes Verhalten, Rückzug aus der Hauptverhandlung auf das Laptop, solche Aspekte. [phon.]“

RA Narin: „Ich hätte eine Frage, die sich allerdings auf eine Beweisanregung bezieht.“ Narin regt an, Christian Sch. als Zeugen zu vernehmen. Sch. werde bekunden, dass er über einen Zeitraum von ungefähr einem Jahr bis zum 30.10.2011 regelmäßig über das Internet mit Uwe Mundlos kommuniziert habe. Er habe sich mit Mundlos per E-Mail oder mittels der Software „Teamspeak“ zeitweise nahezu täglich ausgetauscht und insbesondere zum Spielen verschiedener Computerspiele verabredet. Mundlos habe sich dem Zeugen gegenüber als „Max Burkard“ vorgestellt und angegeben, dass er gemeinsam mit seinem Bruder und seiner Freundin „Lieschen“ in Zwickau wohnhaft sei. Auf Nachfrage des Zeugen habe Mundlos diesem berichtet, dass er über keinen Festnetzanschluss verfüge. Stattdessen habe Mundlos dem Zeugen den Skype-Namen „maizonline“ zur Kontaktaufnahme mitgeteilt. Dort habe der Zeuge zwei, drei Mal angerufen. Dies habe allerdings Mundlos‘ Freundin gestört, so dass eine weitere Kommunikation über die Software Skype unterblieben sei.
Zur Begründung führt Narin aus, dass Sch. den Sachverhalt anlässlich seiner Vernehmung vom 02.12.2011 gegenüber dem LKA Rheinland-Pfalz bekundet habe. Die Beweiserhebung stütze die Auffassung der Anklage, dass Zschäpe eine maßgebliche Rolle bei der Abtarnung und Legendierung der Untergetauchten spielte, indem sie auch unmittelbar über deren Kommunikationsverhalten mit außenstehenden Dritten bestimmte.

Im Folgenden beantragt RA Klemke für die Verteidigung Wohlleben, einen „Sachverständigen für Demographie“ zu vernehmen „zum Beweis“, dass „das deutsche Volk aufgrund Geburtenrückgangs seit 1970 stetig weniger deutsche Nachkommen hervorbringt, 2. das deutsche Volk wegen Geburtenrückgangs im Durchschnitt immer älter wird und seit 1970 die Zahl der deutschen Frauen im gebärfähigen und die Zahl der deutschen Männer im zeugungsfähigen Alter stetig zurückgeht, aufgrund der Tatsachen unter Ziffer 1 bis Ziffer 3 und dem massenhaften Einwandern Nichtdeutscher in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland das deutsche Volk in seiner bisherigen Identität im Jahre 2050 eine Minderheit gegenüber den Nichtdeutschen sein wird und durch eine dieser Identität nicht mehr entsprechenden Bevölkerung mehrheitlich abgelöst wird, wenn diese Entwicklungen ihren Verlauf nehmen und nicht gestoppt werden, jedermann aufgrund dieser Entwicklungen vom ‚drohenden Volkstod‘ des deutschen Volkes sprechen und den Endpunkt dieser Entwicklungen als ‚Volkstod“ bezeichnen kann.“

Klemke bezieht sich darauf, dass der Senat es aufgrund der Verfügung zur Ladung der Zeugen Pr., K., Ke. und Ku. für erforderlich gehalten habe, Erkenntnisse der Zeugen zu den Ansichten, Äußerungen und Aktivitäten Wohllebens „hinsichtlich der Ausländer- bzw. Asylpolitik“ und zu Straftaten von Angehörigen der rechten Szene, insbesondere der KS Jena oder des THS, gegenüber Ausländern zu erheben. Es sei bei diesen Vernehmungen auch um Ansichten und Äußerungen Wohllebens zu den vorgenannten Beweisthemen gegangen, daher sei erforderlich geworden aufzuklären, was sich hinter dem Begriff „Volkstod“ verbirgt, den es zu „stoppen“ gelte, wie dies als Begriffspaar auf dem bei Wohlleben sichergestellten und hier in Augenschein genommenen weißen Feuerzeug aufgedruckt war.

Während des Vortrags verlassen mehrere NK-Vertreter_innen unter Protest für mehrere Minuten den Saal. NK-Vertreter RA Daimagüler gibt eine Stellungnahme zu dem Antrag ab. Daimagüler: „Ich glaube, dass wenn der Angeklagte Wohlleben sich dies, was Klemke vorgetragen hat, zu eigen macht, dass das, sollten irgendwelche Zweifel bestanden haben an der ideologischen Ausrichtung des Angeklagten, dass die ausgerottet sind. Denn hier wird nichts anderes gesagt, als dass Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, die hier geboren sind, die Kinder haben, dass die eigentlich keine richtigen Deutschen sind. Hier wird dieses Rassistische sehr deutlich. Eine Denke wie vor dem zweiten Weltkrieg, wo die Nazis davon schwadroniert haben.“ Daimagüler sagt, es handele sich um Nazijargon, der propagiert werde, der dazu führe, dass etwa ein İsmail Yaşar, ein Abdurrahim Özüdoğru, nicht dazugehören und laut dieser menschenverachtenden neofaschistischen Ideologie auch nie können und auch getötet werden können. Daimagüler: „Das ist diese Ideologie. Und wenn es da je irgendeinen Zweifel gegeben hat, ich glaube, dass dieser Antrag die letzten Zweifel beseitigt haben sollte.“ Der Verhandlungstag endet um 16:28 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

Presseerklärung von Vertreter_innen der Nebenklage zum Antrag der Verteidigung Wohlleben zum sog. „Volkstot“, hier.

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