Ohne rechte Schmierereien am Tatort kein rechtes Motiv – Bericht aus dem BT-UA

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Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 01. Dezember 2016

Demonstration in Berlin anlässlich des 5. Jahrestages der Selbstenttarnung des NSU Foto: Kilian Behrens / apabiz

In dieser Sitzung des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum NSU wurden die Ermittlungen nach dem Mord an Mehmet Kubaşık thematisiert. Auch die Vernetzung der Neonazi-Szene über NRW hinaus nach Hessen sowie ins Ausland kamen kurz im Ausschuss zur Sprache. In den Vernehmungen ergaben sich immer wieder Bezüge zu dem Mord an Halit Yozgat in Kassel und den Sprengstoffanschlägen in der Kölner Probsteigasse und der Keupstraße.

von NSU-Watch

Zeug_innen:

  • Dr. Heiko Artkämper (Staatsanwalt )
  • Georg Oswald (Kriminalhauptkommissar, BKA, BAO Trio)
  • Dinchen Franziska Büddefeld (LfV NRW)
  • Cornelia de la Chevallerie (Innenministerium NRW)

Kein Bekennen – Keine Nazitat

Als erster Zeuge wurde Heiko Artkämper gehört. Er leitete als Staatsanwalt in Dortmund das Ermittlungsverfahren zum Mord an Mehmet Kubaşık. Bei seiner Vernehmung gab es allerdings kaum neue Erkenntnisse im Vergleich zur Aussage vor dem PUA in NRW am 15.01.2016. Er berichtete, dass zu Beginn der Ermittlungen verschiedene Hypothesen bezüglich des Mordmotivs aufgestellt wurden, die dann geprüft und weiterverfolgt bzw. ausgeschlossen wurden.

Raub als erste Hypothese wurde dabei schnell wieder ausgeschlossen. Eine weitere Hypothese, die Artkämper aufstellte, war die eines „durchgeknallten Irren, der Migranten hasst“. Da aber am Tatort keine Schmierereien mit entsprechenden Aussagen gefunden wurden, wurde diese Hypothese nicht weiterverfolgt. Dass zur Zeit des Mordes der als „SS-Siggi“ bundesweit bekannte Neonazi Siegfried Borchardt in Tatortnähe wohnte, reichte nach Ansicht Artkämpers nicht für weitere Ermittlungen in der rechten Szene aus. Ebenso wenig wie ein Brandanschlag auf ein türkisches Kulturzentrum in Dortmund wenige Tage nach dem Mord an Mehmet Kubaşık, welches auf in der letzten Wohnung des NSU-Kerntrio gefundenen Karten markiert war.

Insgesamt wurde erneut deutlich, dass Erkenntnisse über die Neonazi-Szene in Dortmund keine Beachtung bei den Ermittlungen fanden bzw. diese Richtung konsequent ausgeschlossen wurde. So fragte zwar die Abgeordnete Rüthrich (SPD), warum die Hinweise auf den Wohnort des rechten Aktivisten „SS-Siggi“ keinen Anlass für Ermittlungen gaben, aber ein sogenannter Drogenumschlagplatz in der Nähe – die Antwort Artkämpers, „nicht jedes Delikt aus Dorstfeld kann ich in die rechte Szene einordnen“, war bei den vorliegenden Hinweisen alles andere als einleuchtend. Der im Westen Dortmunds gelegene Stadtteil Dorstfeld gilt als Hochburg der Nazi-Szene.

„…da sie ja aus dem Osten kommen und es da Blutfehden gibt…“ – Rassismus beim Staatsanwalt

Petra Pau hatte noch Klärungsbedarf den Umgang mit der Familie Kubaşık betreffend. Elif Kubaşık hatte berichtet, Fragen der Ermittler an sie hätten sich stark darauf fokussiert, was die Familie machen würde, wenn der/die Mörder_innen gefasst werden. Daraufhin sei unterstellt worden, dass es bei aus der Türkei kommenden Familien ja „Blutfehden“ gäbe. Petra Pau wollte wissen, ob weiße Deutsche dies auch gefragt werden. Artkämper reagierte hier rassistisch und meinte, dass die Frage reine Polizeiprävention sei, um Selbstjustiz zu verhindern, und es „im deutschen Moralsystem“ keine Blutrache gäbe. Diese Schilderungen sind ein weiteres Beispiel für institutionellen Rassismus in den verschiedenen Behörden, der sich durch den gesamten NSU-Komplex zieht.

Ebenfalls angesprochen wurde der Fall des hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme. Der Abgeordnete Hoffmann (CSU) fragte, ob es Erkenntnisse gäbe, dass Temme sich auch in Dortmund aufgehalten haben könnte. Artkämper verneinte dies, betonte aber, dass dies damals untersucht werden sollte. Er war der Ansicht, dass wenn Temme in Dortmund in irgendeiner Weise involviert gewesen sei, wäre dies auf jeden Fall ein Grund für den Erlass eines Haftbefehls gewesen. Außerdem habe Temme sich ja nicht als Zeuge nach dem Mord in Kassel gemeldet und war quasi untergetaucht. Dass der Kasseler Staatsanwalt Wiedt keine U-Haft gegen Temme angeordnet habe, lag laut Artkämper daran, dass Wiedt wahrscheinlich die Sachlage anders bewertete.

Videoaufnahmen nahe der Keupstraße zeigen höchstwahrscheinlich Mundlos und Böhnhardt

Es folgte die Vernehmung von Georg Oswald. Der Kriminalkommissar war von 2012 bis 2015 in der BAO Trio tätig, zuerst im Bereich Öffentlichkeitsfahndung und ab 2013 in der Sachbearbeitung der Morde und des Anschlags in der Probsteigasse.

Auf die Fragen des CDU-Abgeordneten Ulrich nach seinen Tätigkeitsschwerpunkten in der BAO Trio berichtete Oswald, dass er im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung mit daran beteiligt war, in Glauchau – welches nur ca. 15 Kilometer von Zwickau entfernt liegt – zu recherchieren, ob das Kerntrio dort eine weitere Wohnung haben könnte. Dazu wurden Anwohner_innen befragt und Plakate aufgehängt. Allerdings gab es keine Erkenntnisse, die diese Annahme bewiesen hätten.

Ab Mitte 2013 war Oswald dann unter anderem in den erneuten Ermittlungen zum Anschlag in der Kölner Probsteigasse tätig. Er schilderte, dass die Klärung der Tatverdächtigen hier einer der schwierigsten Komplexe sei, da die Phantombilder keine Ähnlichkeit mit Böhnhardt und Mundlos aufgewiesen hätten, die Verbindung zum NSU-Komplex nur über das Bekenner-Video sicher sei.

Der Ausschussvorsitzende Binninger (CDU) lenkte das Thema der Vernehmung auf die Videoaufzeichnungen, die nahe der Kölner Keupstraße am Tag des dortigen Anschlags sehr wahrscheinlich Böhnhardt und Mundlos mit der Nagelbombe zeigen. Auf die Frage, was zur Identifizierung der gezeigten Personen unternommen wurde, antwortete Oswald, dass aufgrund der schlechten Qualität der Aufnahmen die Gesichter kaum zu erkennen seien. Es wurde daher versucht über Kleidungsstücke und Statur bzw. Gangbildanalyse eine Identifizierung zu erreichen und bei letzterem wurde nach einem Gutachten für möglich gehalten, dass es sich um Böhnhardt und Mundlos handele. Oswald bekräftigte dies außerdem durch seine eigene Einschätzung, dass die Statur der beiden zu den abgebildeten Personen passe.

Weitere rassistische Äußerung in der Sitzung

Auf die Frage nach den Turner-Tagebücher antwortete der Zeuge, er habe diese gelesen. Seiner Meinung nach könnten diese aber nicht als Blaupause für den NSU gelten. Da es in dem Buch um Morde an Schwarzen Menschen und Angriffe auf den Staat ginge, der NSU hätte jedoch „arabischstämmige“ Menschen ermordet. Auch hier wieder Rassismus:  Indem die Opfer des NSU mit türkischer, kurdischer oder griechischer Migrationsgeschichte pauschal als „arabischstämmig“ bezeichnet werden.

Motivation Lingens beim Aktenschreddern

Bis zu Sitzungsbeginn war nicht klar, ob die geladene Leiterin der Abteilung Rechtsextremismus im BfV erscheinen würde und ob sie in öffentlicher Sitzung aussagen würde. (Hintergrund: Der PUA NRW scheiterte beim ersten Versuch, da das BfV darauf bestand, dass Büddefeld nur „verdeckt“ zum Ausschuss gebracht und ausschließlich nicht öffentlich vernommen werde.  Erst nach Androhung juristischer Folgen erfolgte eine öffentliche Aussage vor dem PUA NRW am 28.10.2016.

Büddefeld war von 2009 bis 2011 zunächst im Bereich Islamismus beim BfV in Berlin tätig und leitete dann von Januar 2012 bis April 2015 die Abteilung Rechts im BfV. Sie wurde zunächst dazu befragt, wie sie sich Anfang 2012 in ihre neue Tätigkeit einarbeitete. Sie hatte keinerlei Vorerfahrung in dem Themengebiet, erklärte dem Untersuchungsausschuss jedoch, dass dies kein Problem gewesen sei, weil sie ja die Kolleg_innen fragen konnte und sie auch Vertrauen in die Einschätzungen der Kolleg_innen gehabt habe.

Der Abgeordnete Schuster (CDU) lenkte dann den Fokus auf die Aktenvernichtungen im November 2011 durch den BfV-Mitarbeiter , dessen Vorgesetzte Büddefeld ab Januar 2012 war. Büddefeld berichtete, dass sie mit Lingen gesprochen habe, sich aber kein Motiv für die Vorwürfe finden ließ. Andere Mitarbeiter_innen hatten vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, dass Lingen ihnen aufgetragen hätte, nach Akten mit NSU-Bezug zu suchen, diese hätten sie aber nicht gefunden. Büddefeld mutmaßte, dass darin die Motivation Lingens liegen konnte; komplett sicher sei sie sich aber nicht. Sie hatte auch keine Kenntnis von der Aussage Lingens beim BKA.

Sehr knapp und oberflächlich blieben Büddefelds Schilderungen zum Reformprozess des BfV nach der Selbstenttarnung des NSU. Tiefer gehende Fragen dazu und zu Schutzmaßnahmen für den ehemaligen V-Mann Thomas Richter alias „Corelli“ wollte Büddefeld nur in nicht-öffentlicher Sitzung beantworten.

Dortmunder Combat 18 Strukturen

Als letzte Zeugin im öffentlichen Teil wurde Cornelia de la Chevallerie vernommen. Sie war damals beim LfV Nordrhein-Westfalen tätig und arbeitet heute im Innenministerium in Nordrhein-Westfalen. Geladen wurde sie, um über die Dortmunder Neonaziszene zu berichten.

Sie schilderte, dass die Dortmunder Neonaziszene eine der aktivsten in Nordrhein-Westfalen war und vermutlich auch Combat-18-Strukturen vorhanden waren. Die Zeugin bestätigte ebenfalls, dass die Turner-Tagebücher in der Szene Kult seien. Zur Person des 2007 enttarnten V-Mannes  Sebastian Seemann konnte de la Chevallerie lediglich sagen, dass dieser eine „lange Vergangenheit in der Szene“ gehabt hatte und es Hinweise auf Verstrickungen in Waffengeschäfte bei ihm gab. Weiteres wollte sie in öffentlicher Sitzung allerdings nicht sagen.

So blieben die berichteten Erkenntnisse leider eher oberflächlich und vage. Die Aussage der Zeugin erweckten den Eindruck, als hätten dem LfV zwar viele Hinweise zur rechten Szene in NRW und deren Kontakte vorgelegen, aber es wäre nur selten gelungen diese Hinweise zu bestätigen. Hier sei die Frage gestellt, was genau dafür getan wurde und aktuell auch wird?

Die Verbindung der Dortmunder Neonazi-Szene nach Belgien kam leider nur sehr kurz zur Sprache. Die belgische Gruppe „Blood & Honour Flandern“ bzw. „Bloed, Bodem, Eer en Trouw“ organisierte Konzerte in Belgien, zu denen die Dortmunder anreisten und diese teilweise auch mit organisierten, hier sei der V-Mann Sebastian Seemann genannt, der eine große Rolle dabei spielte. Bei einem Konzert im Oktober 2006 kamen über 1500 Nazis zusammen. Kurz zuvor war die Belgische Gruppe verboten worden. (Hintergrund: „Der Skandal um den V-Mann Sebastian Seemann“)

Auf die Frage, ob jemals Akten zur belgischen Gruppe „Bloed, Bodem, Eer en Trouw“, die im Jahr 2006 verboten worden war, aus NRW angefordert worden seien kam nur ein knappes „Nein“ über die Lippen von  Cornelia de la Chevallerie. Da der restliche Teil in nicht-öffentlicher Vernehmung stattfand, kann nur vermutet werden, ob es in dieser weiter um internationale Neonazi-Kontakte ging.