Protokoll 340. Verhandlungstag – 25. Januar 2017

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Am heutigen Verhandlungstag ist zunächst der Kriminalbeamte Ke. geladen, der zu Ralf Wohllebens politischer Einstellung aussagen soll. Er kann dazu aber keine weitreichenden Erkenntnisse beisteuern. Im Anschluss daran wird Prof. Dr. Saß u.a. von Teilen der Verteidigung von Beate Zschäpe befragt. Dabei geht es u.a. um Notizen zum ersten Prozesstag. Danach macht Prof. Dr. Norbert Leygraf Ergänzungen zu seinem Gutachten nach Anmerkungen von der Verteidigung Wohlleben.

Zeugen und Sachverständige:

  • Klaus Ke. (Kriminalbeamter, KPI Jena, Angaben zu Wohlleben)
  • Prof. Dr. Henning Saß (Psychiatrischer SV, Begutachtung von Zschäpe)
  • Prof. Dr. Norbert Leygraf (Psychiatrischer SV, Gutachten zu Carsten Schultz

Der Verhandlungstag beginnt um 09:44 Uhr. Zschäpes Wahlverteidiger RA Borchert ist heute nicht anwesend. Zwei Nebenklägerinnen sind heute persönlich anwesend. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Zunächst haben wir für heute den Zeugen Ke. geladen. Ist er erschienen?“ Es folgt die Einvernahme des Zeugen Klaus Ke. Götzl: „Es geht uns um Informationen, Erkenntnisse von Ihrer Seite im Hinblick auf die Person Herrn Wohllebens hinsichtlich Ansichten, Äußerungen und Aktivitäten in Bezug auf Fragen der Ausländer- und Asylpolitik, 90er Jahre bis in die 2000er hinein. Und dann würde es gehen zu Ermittlungen, sonstige Erkenntnisse zu Straftaten von Angehörigen der rechten Szene, , , Bezugspunkt Ausländer.“ Götzl sagt, Ke. solle zunächst darauf eingehen, inwiefern er mit Ermittlungen betraut gewesen sei und solle dann auf den Gegenstand eingehen. Ke.: „Ich fange mal weiter vorne an. Ich war von 1992 bis 2001 beim Staatsschutz der KPI in Jena tätig und seitdem bin ich komplett raus aus den Ermittlungen bis heute.“ Götzl: „Ja, was jetzt Erkenntnisse zu den von mir angesprochenen Themen anbelangt, was können Sie denn dazu sagen?“ Ke.: „Hauptsächlich hatte ich mit Propagandadelikten zu tun, Schmierereien, Plakate, die geklebt wurden, Bettlaken mit Parolen, die aufgehängt wurden. Jetzt direkt so Gewalttaten, Körperverletzungsdelikte, das war nicht mein Part. Herr Wohlleben selber ist mir vom Ansehen bekannt, wir haben uns auch das ein oder andere Mal unterhalten im Rahmen von Veranstaltungsabsicherungen. Sagen wir mal so: Man hat sich gegrüßt anstandshalber. Ich kann jetzt nicht sagen, dass er mir gegenüber ausländerfeindliche Aussagen gemacht hat oder dahingehend bekannt ist, so etwas zu tun.“

Götzl: „Gab es mal eine Situation, dass Sie ihn mal vernommen hätten, als Beschuldigter, als Zeuge?“ Ke.: „Als Beschuldigter nein, als Zeuge wäre es möglich, aber da kann ich mich jetzt wirklich im Einzelnen nicht erinnern.“ Götzl fragt, ob Ke. denn eine konkrete Erinnerung im Hinblick auf irgendwelche Verfahren habe in Bezug auf eine Einvernahme als Zeuge. Ke.: „Das kann ich jetzt nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.“ Götzl: „Können Sie sich an irgendwelche Gespräche mit ihm erinnern?“ Ke.: „Ja, eins ist mir in Erinnerung geblieben, aber das war eine kurze Begegnung zu einer Veranstaltungsabsicherung. Das war eine Konzertveranstaltung, das lief von der aus, da kam der Herr Wohlleben mit dem – ich weiß nicht, ob es der Herr Voigt war. Er hat mich vorgestellt: ‚Das ist der Herr Ke. vom Staatsschutz, der ist dazu da, dass uns nichts passiert.‘ Weil es gab ja immer diese Auseinandersetzungen [phon.] zwischen Rechts und Links.“ Auf Nachfrage sagt Ke.: „Ich weiß noch, dass es in Porstendorf [phon.] war, in der Dose, das ist so eine Blechbaracke. Es war in den 90er Jahren, würde sagen, Mitte der 90er Jahre. Es hat gewittert in der Nacht, aber das bringt uns nicht weiter.“

Götzl: „Worum ging es bei der Veranstaltung?“ Ke.: „Ja, die rechte Szene hat immer mal Musikveranstaltungen gemacht. Im Einzelnen weiß ich es nicht, wer da aufgetreten ist oder was da vom Band kam.“ Götzl: „Haben Sie ansonsten noch im Hinblick auf Äußerungen, Stellungnahmen Ralf Wohllebens noch Wahrnehmungen gemacht oder Informationen aus der dienstlichen Tätigkeit damals? Ergänzendes?“ Ke.: „Muss ich mit Nein beantworten.“ Götzl: „Zu diesen Plakaten, die Sie benannt haben und Schmierereien. Was können Sie denn da noch Konkretes sagen und können Sie eine Zuordnung dieser Plakate, dieser Schmierereien treffen zu bestimmten Personen oder Gruppierungen?“ Ke.: „Los ging das so richtig 1994, das war mein erster Sachverhalt im Sommer. Das waren Plakate mit Rudolf Heß, da haben wir damals den Täter ermittelt. Aber das trifft nicht auf Herrn Wohlleben zu, er war nicht der Täter. Und ansonsten gab es die üblichen Hakenkreuzschmierereien an unterschiedlichen Orten oder Plakate, Spruchbänder, die mal über eine Brücke gespannt wurden, ‚Rudolf Heß lebt‘ und so weiter. Das war dann meistens Heß-Bezug.“

Götzl: „Können Sie zu Demonstrationen etwas sagen und worum es gegebenenfalls ging?“ Ke.: „Demonstrationsgeschehen begleitet uns ja eigentlich fast bis heute, nur die Veranstalter haben gewechselt und nennen sich anders. An Einzelheiten, an eine bestimmte Demo [phon.] kann ich mich nicht erinnern, außer dass mal eine Demo in Jena war mit Heß-Bezug, muss um den 17. August rum gewesen sein. Das Wochenende davor oder danach waren die Veranstaltungen. Aber ich kann jetzt nicht mit Bestimmtheit sagen, dass er da mit wehender Fahne vorneweg ist, das wäre nicht richtig.“ Götzl: „Haben Sie in Erinnerung, ob mal eine Unterschriftenaktion stattgefunden hat?“ Ke.: „Da kann ich mich nicht dran erinnern.“

Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath: „Der Herr Voigt, den der Herr Wohlleben Ihnen vorgestellt hat, war das , der Vorsitzende der NPD?“ Ke.: „Ja.“ Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Ist Ihnen noch eine Unterschriftenaktion zur doppelten Staatsbürgerschaft in Erinnerung?“ Ke.: „Nein.“

NK-Vertreter RA Hoffmann: „Bezüglich des Konzertes, das Sie angesprochen haben: Waren Sie auch verantwortlich für die Überwachung der Texte der Musik, die gespielt wurde, auf strafbare Inhalte?“ Ke.: „Nein, das war damals noch nicht so ausgeprägt. Um nicht zu sagen, noch nicht so üblich.“ Hoffmann: „Das ist gar nicht geschehen?“ Ke.: „Nein.“ Hoffmann: „Haben Sie eine Erinnerung, ob da ausländerfeindliche Texte gespielt wurden von den Gruppen?“ Ke.: „Nein.“ Götzl: „Ich nehme an, der Zeuge kann entlassen werden.“ Um 10 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Götzl möchte mit der Anhörung von Prof. Saß fortsetzen, doch zunächst beantragt RA Hoffmann, den Brief Zschäpes an Robin Schmiemann in Augenschein zu nehmen. Hoffmann: „Frau Zschäpe hat gestern selbst Bezug genommen auf Inhalte und grafische Elemente in diesem Brief, die in irgendeiner Form aus dem Internet stammen würden und die sie nachgezeichnet hätte.“ Diese grafischen Elemente seien hier nicht wahrgenommen worden, so Hoffmann, er sei der Meinung, dass dieser Brief hier in Augenschein genommen werden muss. Hoffmann: „Und ich würde gegebenenfalls die Verteidiger bitten, deutlich zu machen, um welche grafischen Elemente es denn ging, die Frau Zschäpe aus einer Internetvorlage hatte.“ Götzl: „Es ging um die Ente, Herr Rechtsanwalt Hoffmann.“ Hoffmann: „Ja, aber die ist ja nicht eingeführt. Durch Verlesung und Selbstleseverfahren wird die Ente nicht eingeführt, sondern durch Inaugenscheinnahme.“ Bundesanwalt Diemer: „Wir treten dem nicht entgegen, wenn wir die Ente in Augenschein nehmen.“

Zschäpes Verteidigerin RAin Sturm: „Wir treten dem entgegen, da es nach wie vor die Persönlichkeitsrechte von Frau Zschäpe betrifft.“ Sturm beantragt für den Fall, dass der Brief dennoch in Augenschein genommen werden solle, die Öffentlichkeit auszuschließen, und für die Verhandlung über den Ausschluss der Öffentlichkeit ebenfalls die Öffentlichkeit auszuschließen. NK-Vertreter RA Scharmer: „Weil Frau Sturm ja auf die Persönlichkeitsrechte von Frau Zschäpe Bezug genommen hat: Angeklagte können über ihre Persönlichkeitsrechte selbst disponieren. Frau Zschäpe hat sich persönlich dazu geäußert, zu ihrem Brief.“ Götzl: „Es geht, Herr Hoffmann, um die Elemente, die Frau Zschäpe und seitens ihrer Verteidigung angesprochen wurden?“ Hoffmann bejaht das. NK-Vertreter RA Behnke: „Kollege Grasel und Frau Zschäpe könnten ja selbst dazu Stellung nehmen, ob sie was dagegen haben, ob die Ente gezeigt wird oder nicht.“ Götzl: „Können sie, aber bisher haben sie die Gelegenheit nicht ergriffen.“ Sturm: „In Bezug auf Herrn Scharmer: Presserechtliche Aspekte sind nicht einschlägig, denn die Aspekte sind anders für einen Menschen in einer Hauptverhandlung als draußen in den Medien.“ [phon.]

Götzl: „Wir stellen die Entscheidung zurück und fahren fort. Herr Prof. Dr. Saß, bitte sind Sie so nett. Wer möchte denn mit Fragen fortsetzen?“ Saß nimmt am Zeugentisch Platz. Sturm: „Herr Prof. Saß, wir haben noch einige Fragen und zwar zunächst zum Beginn Ihrer Gutachtertätigkeit in hiesigem Verfahren. Können Sie nochmal kurz schildern, wie sich sozusagen der Anfang gestaltet hat? Welche Kontakte gab es, mit wem gab es Erörterungen, Telefonate? Wie hat sich das Ganze entwickelt?“ Saß: „Ist lange her. Wenn ich recht erinnere, gab es ein Telefonat des Vorsitzenden, ob ich grundsätzlich bereit sei und in der Lage sei, in diesem Verfahren tätig zu sein, und danach dann eine schriftliche Beauftragung.“ Sturm: „Worauf bezog sich die Frage, ob Sie bereit und in der Lage seien?“ Saß: „Zum Beispiel zeitlich.“ Sturm: „Und worauf sonst noch?“ Saß: „Naja, es war ja absehbar, dass es ein großes Verfahren ist, und es war ja zu überlegen, ob ich mich dem stelle.“ Sturm: „Können Sie sodann schildern, wie Sie nach der förmlichen Beauftragung vorgegangen sind?“ Saß: „Wenn ich recht erinnere, habe ich dann in verschiedenen Sendungen zunächst in Papierform und dann in elektronischer Form die Akten bekommen. Und dann habe ich versucht, mich da einzuarbeiten.“

Sturm: „Können Sie kurz skizzieren, wie Sie dabei vorgegangen sind?“ Sturm: „Ja, ich habe sie gelesen.“ Sturm: „Haben Sie sämtliche Akten gelesen?“ Saß: „Also wenn es daraus hinausläuft, ob ich Blatt für Blatt gelesen habe, dann habe ich das nicht.“ Saß sagt, er habe auch andere Verfahren, auch große Verfahren. [phon.] Sturm: „Entschuldigen Sie, da muss ich direkt unterbrechen.“ Saß: „Vielleicht darf ich meinen Satz beenden?“ Sturm: „Nein, nein.“ Götzl reagiert ungehalten: „Doch, natürlich darf der Sachverständige seinen Satz beenden!“ Sturm: „Sie stören mich in meiner Befragung und selbstverständlich kann ich sagen: Das ist im Moment nicht das, was mich interessiert.“ Götzl: „Der Sachverständige darf ausreden wie jeder, der hier gefragt wird!“ Die Auseinandersetzung zwischen Götzl und Sturm setzt sich eine Weile fort bis Sturm um eine Unterbrechung von 10 Minuten bittet, damit sie sich neu konzentrieren könne.

Um 10:28 Uhr geht es weiter. Sturm: „Ich würde Sie noch bitten, kurz den Sachverständigen dazu anzuhalten, sofern ich eine Frage stelle, nicht zu antworten, was er meint, worauf meine Frage abzielt, sondern einfach konkret meine Frage zu beantworten.“ Götzl: „Ich sehe keinen Anlass. Er wollte gerade schildern, wie er im Verfahren vorgehen wollte. Ich wüsste jetzt nicht, was Sie meinen.“ Sturm: „Er hatte vorher gesagt: ‚Wenn Sie meinen, dass ich Blatt für Blatt gelesen habe‘. [phon.] Aber dann lassen wir das mal dahingestellt. Herr Prof. Dr. Saß, Sie hatten geschildert, Ihnen seien die Akten in mehreren Sendungen zugesandt worden und Sie hätten angefangen, die Akten zu lesen. Hierzu noch einmal die Frage: Wie sind Sie da herangegangen?“ Saß: „Ich habe sie Stück für Stück gelesen und habe versucht, das Wichtige, wovon ich meine, dass es für meine Fragestellung von Bedeutung ist, intensiv zu lesen und Dinge, wo ich meinte, dass sie für mich nicht so wichtig sind, im Groben zu erfassen und dann beiseite zu legen.“ Sturm: „Welche Dinge zählten dazu, die aus Ihrer Sicht wichtig [phon.] wären?“ Saß: „Etwa Details der kriminalpolizeilichen Ermittlungen, technische Details, Spuren und was es so gibt.“ Sturm: „Dass wir uns nicht missverstehen: Das wären Dinge, die für Sie nicht so wichtig waren?“ Saß: „Ja. Wichtig war für mich, was für die Beantwortung der Gutachtensfragen von Bedeutung ist.“

Sturm: „Wissen sie noch, welche Themenbereiche dies zunächst waren, als Sie begannen mit Ihrem Auftrag?“ Saß: „Ich kann Ihnen die Chronologie meines Aktenstudiums nicht rekonstruieren. Es war ein großes Konvolut. Ich habe mich da allmählich hineingelesen.“ Sturm: „Haben Sie sich Notizen gemacht?“ Saß: „Ja.“ Sturm: „Haben Sie Hypothesen gebildet?“ Saß sagt, bei der Frage der Schuldfähigkeit beispielsweise – was nicht die ursprüngliche Fragestellung dieses Gutachtens gewesen sei -, könne man entweder von der Hypothese ausgehen, Schuldunfähigkeit liegt vor, oder umgekehrt, sie liegt nicht vor. [phon.] Saß: „Dieses hypothesengeleitete Vorgehen wird aber eher in der experimentellen Wissenschaft gemacht, die forensisch-psychiatrische Herangehensweise ist eine andere.“

Sturm: „Dann würde ich gleich bei dieser bleiben und Sie fragen, ob Sie diese darstellen können, wenn Sie sagen, die forensisch-psychiatrische Herangehensweise sei eine andere. Wie stellt sich diese dar?“ Saß: „Man versucht über den Probanden oder die Probandin so viel wie möglich Informationen zu bekommen betreffend die Biographie, Werdegang, berufliche und schulische Entwicklung, ein mögliches Vorfeld [phon.], was in die Delinquenz führt. Dann die Delinquenz, die Entwicklung seither. Man versucht das auch aus Zeugenschilderungen zu gewinnen, man versucht sich ein Bild über Beziehungen zu machen, Kontakte, Kontaktfähigkeit. Und wenn es um die Schuldfähigkeit geht, versucht man alle Fakten und Informationen sorgfältig zu sammeln, die auf eine psychische Störung hindeuten könnten. Natürlich guckt man auch auf körperliche Erkrankungen, aber das bei jungen Menschen eher in zweiter Linie.“ Man gucke dann höchstens auf solche körperliche Erkrankungen, die sich auf die Psyche auswirken, z. B. Herzleiden mit Minderdurchblutung des Gehirns, so Saß.

Sturm: „Sie sagten selbst, die Schuldfähigkeit sei zuerst nicht Thema gewesen, sondern das Prognosegutachten. Und das interessiert uns hier, die Gefährlichkeitsprognose. Wie sind Sie da vorgegangen?“ Saß: „Die Materialsammlung ist eigentlich die gleiche. Insbesondere ist natürlich die Frage der Entwicklung von schwierigen Verhaltenstendenzen, dissozialen Verhaltenstendenzen, der Zusammenhang mit dem sozialen Gefüge, Bezüge zur Persönlichkeit, [phon.] das sind Aspekte, auf die man achtet. Ich habe das in den methodischen Vorbemerkungen zum Gutachten ausführlich geschildert.“ Sturm: „Tendenz, der Begriff. Für mein Verständnis ist das eine Annahme, ein Verdacht auf etwas. Oder ist das schon etwas Feststehendes, also eine Tatsache, die Sie feststellen?“ Saß: „Wenn sich eine Tendenz feststellen lässt, dann stellt sie sich als Tatsache dar. Aber wenn ich von Tendenzen spreche, dann meine ich Neigungen, Dispositionen, Tendenzen, dass sich bevorzugt diese oder jene Reaktion zeigt. Es kann sich zum Beispiel bei Personen eine Tendenz zu gereizten Reaktionen zeigen. Oder eine Tendenz zum Rückzug. Und auf solches achte ich, wenn ich beispielsweise Zeugenschilderungen über den Probanden oder die Probandin lese.“

Sturm: „Können sie, oberflächlich gefragt, abschätzen, wie lange Sie dran gearbeitet haben, um das erste vorläufige schriftliche Gutachten 2013 zu erstellen?“ Saß: „Also es tut mir leid, die Stundenzahl habe ich nicht in Erinnerung, aber es sind sehr, sehr viele Tage und Wochen gewesen, die ich dran gesessen habe.“ Sturm: „Gab es noch weitere Telefonate mit dem Vorsitzenden seit Beginn der Gutachtenbeauftragung?“ Saß: „Es hat bis zum heutigen Tage sehr wenige Telefonate gegeben, die sich in der Regel auf Terminsverlegungen [phon.] oder von mir geplante Urlaubsabwesenheiten bezogen.“ Sturm: „Wie darf ich das verstehen? Haben Sie den Vorsitzenden jeweils angerufen?“ Saß: „Ich habe zum Teil, wenn bei mir eine Verhinderung absehbar war, das hier am Ende eines Hauptverhandlungstages durch persönliches Vorsprechen am Richtertisch mitgeteilt. Ich habe zum Teil Telefonate mit Frau Richterin am Oberlandesgericht Odersky geführt und einige Male auch mit dem Vorsitzenden.“ Sturm: „Ging es in den Gesprächen nur um Ihre Abwesenheit oder auch um das Beweisprogramm?“ Saß: „Es ging um meine Abwesenheit. Gelegentlich habe ich Frau Odersky auch gefragt, ob es vertretbar ist, dass ich an einem Tag, wo ich beispielsweise einen anderen Termin hatte, fehle.“

Sturm: „Haben Sie noch andere Verfahren gehabt?“ Saß: „Ja.“ Sturm: „Wie viele?“ Saß: „Kann ich aus dem Handgelenk nicht sagen, aber sind sicherlich in den dreidreiviertel Jahren vielleicht acht oder zehn gewesen, mit denen ich befasst war. Na ja, die Größenordnung dürfte stimmen.“ Sturm: „Sie sagten, Sie hätten mit Frau Richterin am Oberlandesgericht Odersky dann darüber gesprochen, ob dies vertretbar sei. Anhand welcher Kriterien wurde dies vorgenommen, ob etwas vertretbar war oder nicht?“ Saß: „Im Wesentlichen ging es darum, ob voraussichtlich Sachen erörtert werden, die für den psychiatrischen Sachverständigen von Belang sind, was die von mir vorhin genannten Themenkreisen angeht. Es war zum Beispiel auch so, dass es hier ein Parallelverfahren am OLG in einem anderen Senat gab, wo ich dann teilweise vormittags hier und nachmittags dort war oder umgekehrt. Und solche Dinge wurden abgeklärt.“

Sturm: „Haben Sie explizit im Vorfeld darum gebeten, über welche Beweiserhebungen Sie dann im Anschluss zu informieren seien?“ Saß: „Nein, ich habe mich auf die Informationen durch das Gericht verlassen.“ Sturm: „Zu den Gesprächen jetzt mit Frau Richterin am Oberlandesgericht Odersky: Mir ist noch nicht ganz klar gewesen, von welcher Seite aus die Vertretbarkeit erwogen wurde. Wurde dies von Ihnen überlegt oder von Frau Richterin am Oberlandesgericht Odersky?“ Saß: „Es ist so gewesen, dass ich gelegentlich nach vorn gegangen bin und gesagt habe, dann und dann bestünde ein Problem. Und da wurde in der Regel gesagt, dass das geht, dass ich an dem und dem Tag fehle. Es war mir nicht möglich, lückenlos alle 340 Termine wahrzunehmen, die bis heute stattgefunden haben.“ Sturm: „Hatten Sie sich, bevor die Hauptverhandlung begann, darüber Gedanken gemacht, an welchen Tagen oder wie vielen Sie vom Grundsatz her an der Hauptverhandlung teilnehmen wollten?“ Saß: „Na ja, das Ganze ist ja ein Prozess, das hat sich entwickelt. Auch die Länge hat sich entwickelt. Sie hat sich mehr ausgedehnt, als ich das ursprünglich gedacht habe. Meine Vorstellung ursprünglich war, dass ich mindestens an deutlich mehr als der Hälfte der Termine teilnehmen wollte.“

Sturm: „Wenn Sie sagen, dass Sie mindestens die Hälfte anwesend sein wollten, was war das Kriterium dafür?“ Saß: „Ich wollte ein möglichst umfassendes Bild von dem, was hier in der Hauptverhandlung verhandelt wird, gewinnen.“ Sturm: „Es bleibt trotzdem meine Frage, wie Sie damals zu der Einschätzung kamen, Sie wollten mindestens an der Hälfte der Hauptverhandlungstage anwesend sein.“ Saß: „Mir war klar, dass ich nicht an jedem Tag teilnehmen kann bei einer so langen G’schicht. Aber ich wollte eben doch ein umfassendes Bild, einen möglichst dichten Eindruck gewinnen.“ Sturm: „Umfassendes Bild, dichter Eindruck: Von was konkret?“ Saß: „Von der Hauptverhandlung.“ Sturm: „Die Hauptverhandlung ist ja ein rechtlicher Begriff.“ Saß: „Von dem was in der Hauptverhandlung zu Tage tritt, verlesen wird, an Zeugenaussagen zu Tage tritt, in Augenschein genommen wird, an Sachverständigenangaben da ist.“ Sturm: „Haben Sie im Vorfeld im Hinblick auf die jeweilige Beweiserhebung überprüft, ob es an bestimmten Tagen wichtig sei, zugegen zu sein, und an anderen nicht?“ Saß: „Das habe ich angestrebt, ja.“ Sturm: „Gab es da aus Ihrer Sicht Termine, wo ihr Erscheinen entbehrlich war?“ Saß: „Ja.“ Sturm: „Haben Sie noch Erinnerungen daran, welche das waren?“ Saß: „Nein, das kann ich nicht sagen. Kann nur sagen, dass es sich nach dem richtete, was ich vorher gesagt habe. Kriminalistische Spurengeschichten, die sind für einen psychiatrischen Sachverständigen von geringerem Interesse, technische Dinge.“

Sturm: „Ich erinnere mich nur, das Sie beim Brandsachverständigen ja auch mehrere Tage ganztägig in der Hauptverhandlung zugegen waren. Können Sie erläutern, warum?“ Saß: „Die Beschaffenheit der Wohnung, die Wohnverhältnisse, die Aufteilung, die Sicherungsmaßnahmen, die dort waren, auch das, was über die Brandlegung zu erfahren war, erschien mir für den psychiatrischen Sachverständigen von Bedeutung.“ Sturm: „Gab es Telefonate mit Richterin am Oberlandesgericht Odersky, bei denen das Ergebnis war, dass Ihr Fehlen nicht vertretbar sei?“ Saß: „Ich glaube, das hat es in einigen Fällen gegeben, ja. In der Regel vorne am Tisch, sicher viel seltener Telefonate. [phon.] Ich habe gesagt, an den und den Tagen habe ich ein Problem. Dann hieß es: müsste gehen, oder auch: es ist ungünstig. Und dann habe ich versucht, den anderen Termin zu drehen oder zu regeln.“ Sturm: „Erinnern Sie sich noch, um welche Beweiserhebungen es ging, bei denen Ihr Fehlen als nicht vertretbar erschien?“ Saß: „Im Einzelnen nicht mehr, nein.“ Sturm: „Fällt Ihnen jetzt dazu irgendetwas ein?“ Saß: „Jetzt nein.“ Sturm: „Können Sie das nachvollziehen?“ Saß: „Also ich glaube nicht, dass solche Dinge aus meinen Aufzeichnungen hervorgehen.“

Sturm: „Stand für Sie auch das Verhalten von Frau Zschäpe von Anfang an im Fokus, in der Hauptverhandlung?“ Saß: „Ja.“ Sturm: „Können Sie vielleicht einfach mal kurz – oder vielmehr ausführlich – schildern, wie Sie dabei vorgegangen sind? Gab es ein Konzept?“ Saß: „Das habe ich in den methodischen Vorbemerkungen geschildert, dass es auf die Beobachtung der so genannten Psychomotorik und das Verhalten in der Hauptverhandlung ankam.“ Sturm: „Mich interessiert mehr der tatsächliche Ablauf. Sprich einerseits eine Beweiserhebung, die entweder an dem Tisch, wo Sie jetzt sitzen, stattfindet oder vorne, und andererseits Frau Zschäpe, die jetzt an der Seite sitzt. Woran haben Sie sich orientiert? Wann haben Sie Frau Zschäpe beobachtet, wann haben Sie Ihren Fokus auf die Beweiserhebung gerichtet?“ Saß: „Ich habe versucht, so viel wie möglich von dem, was in meinem Blickfeld ist, was vor mir war, so viel wie möglich davon mitzubekommen, was hier passiert.“ [phon.]

Sturm: „Haben Sie sich dabei Notizen gemacht?“ Saß:“ Ja.“ Sturm: „Wie sahen die aus?“ Saß: „Handschriftlich, schlecht geschrieben, aber für mich lesbar.“ Sturm: „Mich interessieren jetzt weniger Angaben von Zeugen in dem Zusammenhang. Wenn es jetzt um Beobachtungen von Frau Zschäpe ging, wie haben Sie diese notiert?“ Saß: „Mit der Hand in Stichworten.“ Sturm: „Was haben Sie notiert?“ Saß: „Was mir aus psychiatrisch-psychopathologischer Perspektive von Interesse erschien. Verhalten, Bewegung, Hinwendung, Desinteresse, also vermeintlich wie Desinteresse aussehendes Verhalten, Rückzug aus der Hauptverhandlung auf das Laptop, solche Aspekte. [phon.]“ Sturm: „Wären Sie bereit, diese Notizen zur Verfügung zu stellen?“ Saß: „Nein, das sind meine persönlichen Aufzeichnungen. Das was ich meine, was von Bedeutung ist, habe ich versucht in meinem Gutachten wiederzugeben.“

Sturm: „Kollege Borchert hat Sie schon gefragt gestern nach einzelnen Beobachtungen und Sie hatten ausgeführt, das könnten Sie aus dem Stegreif nicht wiedergeben. Ich würde Sie jetzt doch bitten, gegebenenfalls auch nach entsprechendem Studium der Notizen darzustellen, wie viele einzelne Beobachtungen in diesen Tagen Sie wahrgenommen haben, was konkret Sie wahrgenommen haben. Im Sinne einer objektivierbaren Beschreibung, einer objektiven Beschreibung und einer dann in der Folge Zuschreibung, wie ich Sie verstanden habe, aus psychiatrisch-sachverständiger Sicht.“ Saß: „Also der Kollege Borchert hat gestern an einer Stelle von mir die Antwort bekommen, dass ich mich nicht erinnern kann. Inzwischen ist mir die Erinnerung gekommen.“ Es betreffe eine Passage, dass es auch nach dem Wechsel der Verteidiger und der Verteidigungsstrategie, nicht zu lebhafteren emotionalen Reaktionen von Zschäpe gekommen sei [phon.].

Saß: „Dafür konnte ich kein Beispiel angeben. Inzwischen ist mir dazu aber eingefallen, dass im Jahr 2016 die Mitarbeiter einer Sparkasse gehört wurden, die überfallen worden war. Und da war eine junge Frau, die Kinder hatte und die sehr eindrücklich die Angst geschildert hatte, ob sie zu den Kindern nochmal kommt. Und da war die Beobachtung [phon.], dass eine emotionale Reaktion, ein Echo, eine Gefühlsregung nicht da war. Das ist im Übrigen nur ein Beispiel, es gab mehrere Geschichten aus den Banküberfällen.“ Sturm: „Sie haben gesagt, dass Sie gesucht haben nach einem Mitschwingen, einer emotionalen Beteiligung …“ Saß: „Ich habe nicht gesagt, dass ich gesucht habe. Ich habe es nicht beobachtet. [phon.] Entschuldigen Sie, Frau Sturm, ich habe Sie unterbrochen.“ Sturm: „Das ist kein Problem. Es geht mir um die einzelnen Beobachtungen, um die Gesamtheit festzustellen. Und deswegen würde ich Sie bitten, mit Blick auf Ihre Notizen beginnend vom Tag 1 der Hauptverhandlung: Was Sie gesehen haben und dann was Sie bewertet haben. Denn es ist ja sonst nicht nachvollziehbar, das verstehen Sie.“

Saß: „Ich habe referiert das Ergebnis meiner Beobachtungen und es auch im Gutachten vorgetragen. Und die für die Fragen, die mir hier gestellt sind, wichtigen Aspekte waren so wie ich sie vorgetragen habe. Es gab aus allen Beobachtungen keinen Hinweis, dass eine psychische Störung vorliegt mit Ausnahme der Anspannung zu bestimmten Zeiten [phon.]. Das war das eine. Das andere war das, was eben geschildert wurde, dieses Bemühen um Beherrschung und Kontrolle auch bei emotional berührenden Inhalten der Hauptverhandlung. Und das dritte war, dass ansonsten ein reiches Repertoire da war. Mal angespannt, mal beherrscht-kontrolliert, mal lebhaft-heiter, soweit sich das beobachten ließ. So dass ich das in die Formulierung gefasst habe, dass ein breites Spektrum an Verhaltensweisen zur Verfügung stand. Ich kann jetzt nicht aus dem Stand von Tag 1 an auf den Tag 340 alle meine Beobachtungen extemporieren.“ Sturm: „Warum nicht?“ Saß: „Weil ich es nicht im Kopf habe.“ [phon.] Sturm: „Sie haben sich aber Notizen gefertigt.“ Saß: „Ich habe gesagt ‚extemporieren‘, weil ich es nicht im Kopf habe.“ Sturm: „Dann würde ich bitten, dass der Sachverständige eine Pause bekommt“ Götzl: „Wir werden jetzt auf jeden Fall mal eine Pause einlegen von 20 Minuten und unterbrechen bis 20 nach Elf.“

Um 11:23 Uhr geht es weiter. Götzl: „Wir waren bei Fragen von Ihnen, Frau Rechtsanwältin Sturm, es geht um das Thema Beobachtungen und Sie wollten Fragen stellen zu den einzelnen Beobachtungen und hatten Herrn Prof. Saß gebeten, seine Unterlagen heranzuziehen.“ Sturm: „Nein, ich hatte generell gefragt, welche Beobachtungen er an Tag 1 getätigt hatte und ob ihm die Aufzeichnungen vorliegen.“ Saß: „Meine Aufzeichnungen sind umfangreich und liegen mir nicht vor. Was mir vorliegt, ist eine Darstellung von mir wichtig erscheinenden Beobachtungen in der vorläufigen Stellungnahme, die ich seinerzeit eingereicht habe.“ Sturm: „Sie haben aber grundsätzlich Notizen, die sind noch vorhanden?“ Saß: „Meine Notizen sind noch vorhanden.“ Sturm: „Insofern, da es jetzt einfach um die Frage der Dokumentation geht, würde ich an dieser Stelle jetzt darum bitten, dem Sachverständigen Gelegenheit geben, gegebenenfalls durch eine Unterbrechung jetzt, diese Unterlagen zur Hilfe zu ziehen, damit ihm diese im Rahmen der Anhörung zur Verfügung stehen.“ Götzl: „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Prof. Saß, haben Sie diese nicht hier dabei.“ Saß: „So ist es. Dabei habe ich aber die Teile, die mir für die Gutachtensfragen von Bedeutung waren, zumindest in der vorläufigen Stellungnahme [phon.].“

Sturm: „Das haben wir ja zur Kenntnis nehmen können, es handelt sich überschlägig um fünf einzelne Beobachtungen.“ Saß: „Nee, das sind ein bisschen mehr. Herr Borchert hat ja gestern insistiert und ich glaube, er hat gesagt: 26 Seiten.“ Sturm sagt, da sie sich insbesondere ab Tag 1 dafür interessiere, was wie dokumentiert worden ist, sei der Sachverständige darum zu bitten, diese Unterlagen mitzubringen und beizuziehen, damit mit der Befragung fortgesetzt werden könne. Götzl: „Mit der Befragung kann in jedem Fall fortgesetzt werden. Die Frage ist ja, ob der Sachverständige sich dran erinnert oder anhand der Unterlagen seine Erinnerung auffrischen muss. Aber ich sehe jetzt nicht, wieso der Sachverständige nicht weitere Fragen beantworten soll.“ Sturm: „Weil er ausgeführt hat, dass er sich an seine Beobachtungen nicht erinnert.“ Götzl: „Ich bitte Fragen weiter zu stellen. Sofern Sie keine weiteren haben, würde ich das Fragerecht weitergeben und wir stellen das zurück.“ Sturm: „Selbstverständlich haben wir weitere Fragen, aber Sie können davon ausgehen, dass ich ein Fragekonzept habe.“ Götzl: „Ja, wären von Ihrer Seite unabhängig davon weitere Fragen?“ Sturm „Selbstverständlich.“ Götzl: „Dann bitte ich zu fragen!“ Sturm berät sich ausführlich mit ihrem Kollegen RA Heer.

Dann sagt sie: „Es ist insoweit im Prinzip alles Erforderliche gesagt. Es ist jetzt für die Befragung erforderlich, die einzelnen Dokumentationen, Aufzeichnungen und Bewertungen durchzugehen und selbstverständlich haben wir noch zahlreiche weitere Fragen, die sich daran anschließen.“ Götzl: „Ja an die Beobachtung anschließen. Und unabhängig davon bitte ich jetzt zu fragen. Ansonsten würde ich das Fragerecht weitergeben.“ Sturm: „Wie ich meine Fragen stelle, bleibt mir überlassen.“ Götzl: „Der Sachverständige steht uns jetzt noch zur Verfügung und ich möchte gerne die Zeit dafür nutzen. Und dass andere Fragen nicht gestellt werden können, unabhängig von der Frage der Beobachtungen, ist für mich nicht ersichtlich.“ Sturm: „Gerne, wenn es weitere Personen gibt mit weiteren Fragen, bitte!“ Götzl: „Also Sie haben keine weiteren Fragen?“ Sturm: Doch.“ Götzl: „Dann fragen Sie bitte!“ Sturm: „Sie wissen genau, wovon ich spreche, und ich weiß, worüber Sie sprechen. Sie wollen die Zeit nutzen, bitte nutzen Sie sie. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir ein Fragekonzept haben, und, mit Verlaub, üblicherweise, wenn ich dran erinnern darf, wie Sie mit Polizeizeugen umgegangen sind, Stichwort Vorbereitung, dann stelle ich mir schon die Frage, wieso, wenn der Sachverständige insoweit hier unvorbereitet ist, damit muss man umgehen. [phon.] Jedenfalls werde ich mein Fragekonzept nicht über den Haufen werfen.“

Götzl: „Es ist nicht so, dass der Sachverständige zu Fragen der Beobachtungen nichts angeben kann.“ Saß: „Ich betrachte mich auch nicht als unvorbereitet.“ Sturm: „Erinnern Sie noch, was Sie zum ersten Hauptverhandlungstag beobachtet und dokumentiert haben?“ Saß: „Im Detail nicht.“ Sturm: „Was erinnern Sie denn noch?“ Saß: „Dass es eine recht aufgeregte, angespannte Atmosphäre war, die auch der Angeklagten anzumerken war.“ Das habe er aber als situationsadäquat angesehen, so Saß. Sturm: „An was konkret machen Sie das fest?“ Saß: „Da beziehe ich mich auf meine Angaben von gestern. Ich habe gesagt, dass Einschätzungen durch Beobachtungen der Gestik, Mimik, des Gesichtsausdrucks entstehen. [phon.]“ Sturm: „Das habe ich verstanden. Dann schildern Sie doch einfach mal, was Sie da wahrgenommen haben!“ Saß: „Die Details der einzelnen Beobachtungsbestandteile kann ich Ihnen jetzt nicht mehr referieren, wir haben 340 Hauptverhandlungstage gehabt und der liegt dreidreiviertel Jahre zurück.“ Sturm: „Was haben sie sich darüber hinaus notiert, zum ersten Hauptverhandlungstag?“ Saß: „Also ich sehe mich jetzt nicht in der Lage, den Inhalt meiner Notizen, die umfangreich sind, nach 340 Verhandlungstagen jetzt hier zu reproduzieren.“ Sturm: „Dafür haben Sie mein größtes Verständnis und da haben wir ein Problem, das jetzt zu Tage tritt.“ Sturm sagt, sie wolle die Notizen zu Tag 1 durchgehen und das sei im Augenblick nicht möglich.

Götzl sagt, es müsse doch möglich sein, die Überlegung zu treffen, welche Fragen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Komplex und welche kann ich unabhängig davon stellen; dazu habe sich Sturm nicht verhalten. Sturm erwidert, sie habe erläutert, dass ihr Konzept insbesondere auf diese Punkte aufbaue und das vornehmlich zu klären sei, bevor sich andere Fragen anschließen könnten. Götzl: „Gut, dann nehme ich das so hin.“ Götzl sagt, er gebe dann das Fragerecht weiter an die weiteren Verteidiger: „Herr Rechtsanwalt Heer, Herr Rechtsanwalt Stahl, haben Sie Fragen?“ Heer: „Zur Vermeidung von Missverständnissen: Es gibt eine Vielzahl von Fragen.“ Heer sagt, weitere Fragen könnten zwar jetzt nicht gestellt werden, seien aber vorhanden. Götzl: „Sind Fragen von Seiten der übrigen Verteidiger?“ Niemand meldet sich.

NK-Vertreter RA Schön: „Ich sollte ja nochmal nachdenken über eine Korrektur meiner Frage. Frage an den Sachverständigen Saß: Spricht es im Rahmen des ersten Szenarios, Seite 45 des Gutachtens, gegen die Plausibilität der Stimmigkeit der Darstellung der Angeklagten Zschäpe, die sich an das Versprechen gebunden gefühlt hat, die Wohnung anzuzünden und das Bekennervideo zu versenden, dass sie immer wieder von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos das Versprechen eingefordert habe, keine weiteren Morde mehr zu begehen, diese aber sich überhaupt nicht dran gehalten haben?“ Sturm: „Ich muss die Frage beanstanden, so darin vorgehalten wird, dass Frau Zschäpe gesagt habe, sie habe ein Versprechen abgegeben, das Paulchen-Panther-Video zu versenden. Das hat Frau Zschäpe ausdrücklich nicht gesagt.“ Sturm sagt, Zschäpe habe erklärt, dass sie die Umschläge verschickt habe, aber dass sie nicht gewusst habe, dass darin der Paulchen-Panther-Inhalt ist; insoweit sei der Vorhalt unzutreffend. Schön: „Dann kann ich das auf die Umschläge abstellen, ja.“ Saß: „Also die Verhaltensweisen am 04.11. und am Morgen des 05.11. habe ich in meine Beurteilung nicht hereingenommen, weil ich keine klare Tendenz hinsichtlich der Fragen, die mir gestellt wurden, erkennen [phon.] konnte. Das erschien mir für das Psychiatrische nicht eindeutig.“

NK-Vertreter RA Behnke: „Sind Sie überhaupt bereit und in der Lage, ohne Gerichtsbeschluss Ihre Unterlagen offenzulegen?“ Saß: „Also ich verweise zum einen darauf, dass ich ja hier die Stellungnahme habe, die die von Herrn Borchert erwähnten 23 Seiten Beobachtungen der Hauptverhandlung enthält. Daneben gibt es meine persönlichen Aufzeichnungen. Wenn mir das vom Gericht gesagt wird, dass die mitzubringen sind, bringe ich die mit. Aber es sind meine persönlichen Unterlagen.“ Götzl: „Es geht um die von Frau Sturm geforderten Beobachtungen. Und Sie hatten gesagt, aus der Erinnerung heraus können Sie nicht.“ Saß: „Nicht Tag für Tag referieren. Ich verweise aber nochmal drauf, dass eine Darstellung der mir wesentlich erscheinenden Beobachtungen ja vorhanden ist.“ Behnke: „Ich muss nochmal nachfragen. Wie muss ich das verstehen: Wenn mir das Gericht einen Auftrag gibt, dann bringe ich das hierher?“ Saß: „Ich packe Sie in die Tasche und bringe Sie mit.“ Behnke: „Brauchen Sie dazu einen Gerichtsbeschluss?“ Götzl: „Es geht doch jetzt nicht um einen Beschluss. Zulässige Fragen können gestellt werden, so ist die Situation. Und welche gestellt werden, weiß ich nicht. Das wird sich dann weisen. Bisher habe ich nur die Erklärung, so verstehe ich Frau Rechtsanwältin Sturm, dass sie Fragen stellen will, für die der Sachverständige in seine Unterlagen sehen muss. Und sie hat erklärt, nachdem er diese nicht dabei hat, dass sie auch unabhängig davon keine Fragen stellen kann, weil das Konzept ist, dass sich die Notwendigkeit ergibt, erst diese Fragen zu stellen. Das muss ich einfach abwarten.“

RA Narin: „Ich hätte eine Frage, die sich allerdings auf eine Beweisanregung bezieht.“ Götzl sagt, dann solle Narin das vortragen und die Verfahrensbeteiligten könnten dazu Stellung nehmen und dann werde darüber entschieden, auch über die Frage der Zulässigkeit. Götzl unterbricht dafür die Anhörung von Saß. Narin regt an, Christian Sch. als Zeugen zu vernehmen. Sch. werde bekunden, dass er über einen Zeitraum von ungefähr einem Jahr bis zum 30.10.2011 regelmäßig über das Internet mit Uwe Mundlos kommuniziert habe. Er habe sich mit Mundlos per E-Mail oder mittels der Software „Teamspeak“ zeitweise nahezu täglich ausgetauscht und insbesondere zum Spielen verschiedener Computerspiele verabredet. Mundlos habe sich dem Zeugen gegenüber als „Max Burkard“ vorgestellt und angegeben, dass er gemeinsam mit seinem Bruder und seiner Freundin „Lieschen“ in Zwickau wohnhaft sei. Auf Nachfrage des Zeugen habe Mundlos diesem berichtet, dass er über keinen Festnetzanschluss verfüge. Stattdessen habe Mundlos dem Zeugen den Skype-Namen „maizonline“ zur Kontaktaufnahme mitgeteilt. Dort habe der Zeuge zwei, drei Mal angerufen. Dies habe allerdings Mundlos‘ Freundin gestört, so dass eine weitere Kommunikation über die Software Skype unterblieben sei.

Zur Begründung führt Narin aus, dass Sch. den Sachverhalt anlässlich seiner Vernehmung vom 02.12.2011 gegenüber dem LKA Rheinland-Pfalz bekundet habe. Die Beweiserhebung stütze die Auffassung der Anklage, dass Zschäpe eine maßgebliche Rolle bei der Abtarnung und Legendierung der Untergetauchten spielte, indem sie auch unmittelbar über deren Kommunikationsverhalten mit außenstehenden Dritten bestimmte. Außerdem ergebe sich aus den Angaben des Zeugen, dass Kommunikationsmittel von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gemeinsam genutzt worden sind. Ferner habe Zschäpe in ihren bisherigen schriftlichen Erklärungen von sich das Bild einer unterwürfigen, abhängigen Persönlichkeit, die zwar „das Tun“ des Mundlos und Böhnhardt innerlich ablehnte, sich aber nicht gegen Mundlos und Böhnhardt habe durchsetzen können und daher „resigniert“ habe. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, was sie in diesem Zusammenhang mit „resigniert“ meine, habe Zschäpe in ihrer Stellungnahme vom 21.01.2016 erklären lassen: „Ich meine damit, dass ich mit meiner Meinung nicht durchgekommen bin. Ich sah keine Möglichkeit, sie von ihrem weiteren Tun abzuhalten. Sie ließen sich von mir nicht beeinflussen und sie ließen sich auch nichts von mir sagen. Ich war machtlos und fühlte mich wie betäubt.“ Dass Zschäpe allerdings sogar auf die private Kommunikation des Mundlos mit unbeteiligten Dritten habe einwirken können und sich hierbei sehr wohl durchgesetzt habe, lasse ihre diesbezüglichen Erklärungen unglaubhaft erscheinen. Auch stütze die Beweiserhebung die Feststellung, dass Zschäpe Mundlos und Böhnhardt „im Griff“ gehabt habe und sich diesen keineswegs untergeordnet habe.

Götzl bittet Narin, das auszudrucken, und gibt den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme. Bundesanwalt Diemer sagt, man wolle sich das zunächst durchlesen. Götzl sagt, es sei sinnvoll, das dann in der Pause auszudrucken. Dann sagt er zu Saß, dass die Frage der Beobachtungen einer Vorbereitung bedürfe und fragt, ob man damit morgen fortsetzen könne. Saß: „Ich verweise nochmal darauf, dass ich über Materialien verfüge, die in der vorläufigen Stellungnahme von Seite 77 bis 100 ungefähr dargelegt sind, auf die ich mich jetzt stützen könnte. Meine handschriftlichen Notizen befinden sich jedoch in Aachen.“ Götzl: „So wie ich es verstanden habe, geht es um Ihre Vorbereitung auf Fragen Rechtsanwältin Sturms, wo Sie sagen, Sie müssen auf Unterlagen zurückgreifen.“ Saß: „Wenn ich Tag für Tag wiedergeben soll, was ich notiert habe, das sind bis heute 773 Seiten handschriftlicher Unterlagen, dann kann ich das nicht aus dem Gedächtnis.“ Götzl: „Also bis morgen ist das jedenfalls nicht machbar, so dass wir einen weiteren Termin benötigen.“ Saß: „Ich könnte vom 07. bis 09. zur Verfügung stehen, auch am 15.“ Götzl: „Gut, dann 07. Februar, 09:30 Uhr, würde ich Sie bitten, wieder zu erscheinen.“

OStA Weingarten bittet darum, für die BAW Stellung zum Ansinnen der Verteidigung Zschäpe Stellung nehmen zu dürfen. Götzl: „Ja, bitte.“ Weingarten: „Aus unserer Sicht sind zwei rechtliche Aspekte hier von Belang. Zum einen geht es um den Umfang des Fragerechts der Verteidigung. Die Verteidigung hat, wie ihr das selbstverständlich zusteht, Fragen gestellt zur Erinnerungsleistung des Sachverständigen ganz allgemein und konkret zu Tag 1. Und er hat gesagt, dass er sich an Einzelbeobachtungen im Moment nicht erinnern kann und im Übrigen Bezug genommen auf die ihm wichtig erscheinenden Beobachtungen. Es ist vom Fragerecht der Verteidigung ausdrücklich nicht umfasst, einen Zeugen oder Sachverständigen gleichsam mit Hausaufgaben nach Hause zu schicken, um Fragen zu beantworten, die die Person jetzt nicht beantworten kann. Das ist nicht Gegenstand des Fragerechts. Die Frage wäre also unter Aufklärungsgesichtspunkten, ob der Vorsitzende nach den Bedürfnissen und Interessen des Senats, dem Sachverständigen seinerseits den Auftrag gibt, nochmal Anknüpfungs-, Befund- und Zusatztatsachen nachzuliefern. Das ist hier konkret aber nach Ansicht des Generalbundesanwaltes indes nicht geboten.

Der Sachverständige hat eine Globalbeschreibung der Beobachtungen wiedergegeben, diese sachverständig eingeordnet und dies im Übrigen an zahlreichen Beispielen näher ausgeführt. Im Unterschied zu Tatsachen, die ein Sachverständiger in seinem Labor generiert, haben wir hier es mit Zufalls- und Anknüpfungstatsachen [phon.] zu tun, die der Senat selber wahrgenommen hat wie auch die anderen Verfahrensbeteiligten. Der Senat ist in der Lage, die Nachvollziehbarkeit und Belastbarkeit der Ausführungen des Sachverständigen aufgrund eigener Beobachtungen zu beurteilen. Es ist also nicht erforderlich, die 339 vergangenen Hauptverhandlungstage kleinteilig gemeinsam mit dem Sachverständigen durchzugehen.“

Sturm: „Herr Vorsitzender, diese Auffassung ist m. E. unzutreffend. Zum einen wird dies daran deutlich, dass der Herr Oberstaatsanwalt beim BGH selbst davon sprach, dass der Sachverständige eine Globalbeschreibung abgegeben habe. Und der Senat muss sich für die Urteilsfindung mit dem Gutachten auseinandersetzen. [phon.] Dazu muss der Senat es nachvollziehen können. Das ist bei einer Globalbeschreibung nicht möglich. Sofern er darauf abstellt, dass selbstverständlich diese Zufalls- und Anknüpfungstatsachen [phon.] auch vom Senat wahrgenommen wurden, gebe ich zu bedenken, dass nur der Sachverständige mit seinem Sachverstand aus der Vielzahl an möglichen wahrnehmbaren Beobachtungen oder gerade nicht wahrnehmbaren Beobachtungen die entsprechenden Bewertungen vorgenommen hat, von denen wiederum der Senat nicht weiß, aufgrund welcher konkreten Beobachtungen er das vorgenommen hat. Aber wenn es darum geht, das Gutachten des Herrn Sachverständigen nachzuvollziehen, dann sind genau diese Informationen dazu erforderlich.“

NK-Vertreterin RAin Lunnebach: „Inhaltlich möchte ich auf Folgendes hinweisen: Der Sachverständige hat gesagt, dass die wesentlichen Beobachtungen für ihn in seinen 26 Seiten enthalten sind. Jetzt fragt die Verteidigung nach Beobachtungen, die er nicht für wesentlich gehalten hat. Da muss ich ehrlicherweise sagen, da gebe ich der Bundesanwaltschaft Recht, es ist nicht das Recht der Verteidigung, darüber zu befinden, denn in der Hauptverhandlung waren alle anwesend.“ RA Hoffmann: „Ich meine auch an dieser Stelle, dass die Verteidigung an etwas anknüpft, was gestern schon versucht worden ist. Ich sage es mal bildlich: Warum haben Sie an dem Tag keine Gefühlsregung wahrgenommen, warum an dem Tag nicht, warum an dem Tag? [phon.] Richtig wäre es, wenn die Verteidigung Zschäpe am ersten Hauptverhandlungstag eine Wahrnehmung gemacht hat und meint, das Gutachten hätte sich mit diesem Geschehen auseinandersetzen müssen, dann soll sie das fragen. Man kann das aber nicht umdrehen: Schildern Sie uns alle ihre einzelnen Beobachtungen, damit wir uns dran abarbeiten können. Das Gutachten macht deutlich, auf welche Beobachtungen es sich stützt. Ich meine, so rum geht es nicht. Sie müssen dann selber Ihre Aufzeichnungen anschauen und danach fragen, was denn der Sachverständige nicht oder anders wahrgenommen hat, als Sie das erwartet haben.“ RA Kolloge: „Ich denke, der Sachverständige sollte vielleicht gefragt werden, ob es Aufzeichnungen des Verhaltens von Frau Zschäpe aus einem der Hauptverhandlungstage gibt, die nicht in seine Beurteilung eingeflossen sind, oder ob er nur aufgeschrieben hat: Der Tag hat dann und dann begonnen, der Zeuge hat über Waffen Auskunft gegeben, und Beobachtungen gibt es nicht. Es ist so, wie wenn jemand sagt: Es hat vier Wochen nicht geregnet. Dass für jeden Tag zu wiederholen, ist nicht geeignet, weil es keinen weiteren Informationsgewinn gibt.“

Götzl wendet sich an Saß: „Vielleicht ist es doch ganz gut, wenn Sie morgen erscheinen. Ich werde gegebenenfalls weitere Fragen stellen zur Beobachtung.“ Saß: „Ich verweise nochmal darauf, dass ich aufgrund dessen, was ich in der vorläufigen Stellungnahme dargelegt habe, Angaben zu den Verhaltensbeobachtungen machen kann, aber nicht lückenlos zu den 340 Tagen.“ Götzl fragt die Verteidigung Zschäpe, ob der Widerspruch gegen die Verwertung der Beobachtungen aufrecht erhalten bleibt. Sturm: „Herr Vorsitzender, selbstverständlich bleibt der Widerspruch aufrechterhalten.“ Götzl: „Wir werden jetzt die Mittagspause einlegen. Ich würde Sie bitten, dass Sie zunächst mal zugegen bleiben, Her Prof. Saß. Wir setzen dann um 13 Uhr fort.“

Um 13:06 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort. Zunächst geht es mir um Stellungnahmen zur Beweisanregung Rechtsanwalt Narins.“ OStAin Greger sagt, die Aufklärungspflicht dränge den Senat nicht zu dieser Beweiserhebung, denn weder der Senat noch der Sachverständige würden daraus einen Aufklärungsmehrwert ableiten können. Zum Thema der gemeinsamen Nutzung von Kommunikationsmitteln bestünden bereits hinreichend Erkenntnisse. Zum Thema Zschäpe als Freundin von Mundlos im Sinne einer sexuellen Beziehung sei zu sagen, dass das Zusammenleben bereits hinreichend in der Hauptverhandlung thematisiert worden sei. Zum Aspekt, dass die Angeklagte Zschäpe als bestimmende Person aufgetreten sei, die sogar die Telefonate von Mundlos reguliert habe, sei die Aussage des Zeugen Sch. nicht hinreichend belastbar. Zurückzuführen sei die Aussage Sch.s letztlich auf die Äußerung von Mundlos und diese müsse situationsbezogen beurteilt werden, so dass es sich möglicherweise um eine Ausrede von Mundlos gehandelt haben könne.

Narin: „Ich würde darauf nur erwidern wollen, dass es mir nicht um eine mögliche sexuelle Beziehung zu Mundlos ging, sondern um die Identifizierung von Liese [phon.] als Freundin, von der ständig die Rede war zwischen Sch. und Mundlos. Darüber hinaus ginge es mir darum, dass Herr Sch. nahezu täglich kommuniziert habe mit Herrn Mundlos und sich deswegen möglicherweise sehr wohl ein Bild hat machen können. Und wenn Lieschen ihm verboten hat, per Skype zu kommunizieren, könnte man daraus Schlüsse ziehen. Ich will da nicht drauf pochen, deswegen habe ich es ja auch nur als Anregung formuliert. Aber es könnte möglicherweise nur unter dem Aspekt von Interesse sein. Wie gesagt, gezielt als Anregung formuliert.“

Götzl: „Was Ihre Anhörung anbelangt, Herr Prof. Dr. Saß, würden wir gerne morgen fortsetzen. Wir haben für heute ja noch Herrn Prof. Leygraf geladen, das verzögert sich etwas, weil er noch beim 8. Senat festgehalten wird.“ Götzl fragt die Wohlleben-Verteidigung nach der zeitlichen Größenordnung. Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders sagt etwas, was auf der Besucherempore nicht zu verstehen ist. Carsten Schultzes Verteidiger RA Hösl: „So wie ich das wahrgenommen habe, liegen die Ergänzungen schriftlich vor, wenn die vielleicht vorab schon schriftlich zur Verfügung gestellt würden.“ Schneiders: „Für die, die das Kopfschütteln nicht wahrgenommen haben: Das sind meine Notizen und die gebe ich nicht raus.“

OStA Weingarten: „Ich habe keinen Antrag zu stellen, könnte aber eine Stellungnahme zu einem Antrag vom gestrigen Tage abgeben.“ Götzl: „Dann machen wir das.“ Weingarten: „Wir haben aufgrund Ihrer Ermittlungsverfügung bisher nicht Stellung genommen auf die Beweisanträge, auf die gestern Bezug genommen worden ist, vom 26.10.2016. Hierzu gilt, das sich eine Stellungnahme aus unserer Sicht erübrigt hat, nachdem sich der Beweisantrag vom 26.10. erledigt hat durch Verfügung vom 11.11.2016 und 14.11.2016 [phon.]. Der Antrag von Rechtsanwalt Narin vom selben Tag hat sich erledigt durch Einvernahme der Zeugin Heike Be. am 14.12.2016. Stellung nehmen inhaltlich tue ich zum gestern gestellten Beweisermittlungsantrag von Rechtsanwältin Von der Behrens. Ein Beweisermittlungsantrag ist es, wie alle im Saal wissen, deshalb nur, weil die Zeugin nicht namentlich und auch nicht mit Anschrift benannt wird. Mithin richtet sich die Entscheidung nach 244 Absatz 2 StPO, der indes die Stellung eines gerichtlichen Auskunftsersuchens an 15 Landesämter, das BfV ‚und/oder‘, was auch immer das heißen soll, zwei Landeskriminalämter nicht umfasst [phon.]. Dass die Personen identisch sind [phon.], basiert nunmehr nur auf einer reinen Vermutung.

Nach den bisherigen Feststellungen, den Observationsfotos und der Einvernahme der Zeugin Be. geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass es sich bei derjenigen Kontaktperson des Jan Werner mit zwei Kindern um die Freundin Werners, Annett We., handelt. Sie erfüllt die im Bericht des LfV Sachsen genannten Merkmale des Telefonkontakts von Jan Werner am 07.05.2000: Sie war damals in Berlin, ist weiblich und hat zwei Kinder. [phon.] Ein Kontakt liegt auch nahe, nachdem We. laut der Zeugin Be. damals eine intime Beziehung zu Werner unterhalten hat. Dessen ungeachtet, spielt die Frage, mit wem Werner am 07.05.2000 telefoniert hat, keine maßgebliche Rolle. Die Frage, wer die blonde Frau mit zwei Kindern zwei [phon.] Monate später im Außenbereich der Gaststätte Wasserturm war, wird durch die Klärung des Telefonkontakts des Werner vom 07.05.2000 nicht beantwortet. Es ist schon unklar, ob Werner bei dem Treffen am 06. Juni tatsächlich zugegen war. [phon.] Auch dessen ungeachtet ist ein Auskunftsersuchen an 15 Landesämter, das BfV und/oder die Landeskriminalämter Sachsen und Thüringen nicht geboten, weil das LfV Sachsen als zuständige Behörde unter Darlegung der Gründe, fehlender Aktenrückhalte, mitgeteilt hat, nichts Weiteres beitragen zu können. Das Ansinnen der Antragsteller, der Senat möge bei wahllos genannten weiteren Behörden nachfragen, basiert auf der blanken Spekulation, diese Behörden könnten über Akten [phon.] verfügen, die laut zuständiger Behörde der Löschung unterlegen sind.“

Dass weitere Behörden etwas aus eigenen Maßnahmen beitragen könnten, sei eine durch nichts Konkretes unterlegte Pauschalvermutung, auf der letztlich der Senat zu jeder Prozessfrage alle Behörden befragen müsste, so Weingarten. Derart „anlasslose Pauschalabfragen“ seien von 244 Abs. 2 nicht umfasst. Ebenso bestehe kein Anlass, beim LfV Sachsen Dokumente zu der Vernichtung anzufordern: „Anders als die Antragsteller meinen, war die Übersendung der Vernichtungsdokumente nicht geboten. Die Maßnahme des GBA mag vorbildlich sein, löst aber keine Rechtspflichten aus. Im Hinblick auf den Aufklärungsbedarf liegen keine Unterlagen mehr vor. Anhaltspunkte dafür, dass das LfV Unwahres mitgeteilt habe, sind nicht ersichtlich.“

Hoffmann: „Ich wollte nur anregen: Wir haben jetzt Zeit und ich hatte heute morgen den Antrag gestellt auf Inaugenscheinnahme, dass man das jetzt macht. Ich will das nur anregen. Denn es ist ja tatsächlich so, dass das angesprochen, aber nicht eingeführt ist.“ Götzl: „Soll dazu nochmal Stellung genommen werden?“ Niemand meldet sich. Götzl: „Sind ansonsten für heute noch Anträge?“ Wieder meldet sich niemand. Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen, wir setzen um 14:15 Uhr fort.“

Um 14:23 Uhr geht es weiter. Götzl: „Herr Prof. Dr. Leygraf, die Situation ist die, dass die Verteidigung Wohlleben noch Ergänzungen zu Ihrer Information hat. Brauchen Sie eine Pause?“ Leygraf verneint das. Dann beginnt RAin Schneiders mit ihrer Meinung nach notwendigen Ergänzungen zur Unterrichtung des Sachverständigen über Zeugenangaben [hauptsächlich zu Carsten Schultze] in der Hauptverhandlung [siehe 338. Verhandlungstag]. Sie beginnt mit der Einvernahme der Zeugin Ha. [188. Verhandlungstag]. Weiter geht es mit Ergänzungen zu Angaben von [zuletzt 301. Verhandlungstag]und André Kapke [zuletzt 96. Verhandlungstag]. Dann sagt Schneiders, dass der SV auch über Angaben der Vernehmungsbeamten von Carsten Schultze unterrichtet werden müsse, die berichtet hätten über längere Überlegungspausen und zahlreiche Antworten, die am Thema der Frage vorbeigingen, beispielhaft etwa KHKin Ga. [285. Verhandlungstag]. Schneiders sagt, sie meine auch, dass der SV über die Vernehmungen des Vernehmungsbeamten des , Ba. [95. Verhandlungstag], informiert werden müsse, weil es in den Angaben zwischen Andreas Schultz und Carsten Schultze erhebliche Diskrepanzen gegeben habe, etwa zum Schalldämpfer, zum Kaufpreis, zur Anwesenheit des Wohlleben und zur Waffenbeschreibung. Dann macht Schneiders Ergänzungen zu Angaben von Jana J. [zuletzt 107. Verhandlungstag]und von . Götzl: „Sind denn ansonsten noch Ergänzungen gewünscht?“ Hösl: „Wir hatten ein paar Sachen notiert, das würden wir kurz noch besprechen, ob wir das machen wollen.“ Götzl: „Dann machen wir eine halbe Stunde Pause.“

Um 15:18 Uhr geht es weiter. Götzl: „Haben sich noch Ergänzungen ergeben?“ Hösl: „Ganz kurz. Zu den Vernehmungsbeamten bezüglich des Vernehmungsverhaltens von Herrn Schultze zwei Hinweise: Die Vernehmungspausen hat ausschließlich die Beamtin Ga. berichtet. Ich habe sie damit konfrontiert, dass es gar keine Unterbrechungen und Pausen gab, worauf sie meiner Meinung nach etwas ratlos war. Ko. ist auch befragt worden und hat gesagt, es habe keine Pausen gegeben außer die protokollierten. Also sofern es überhaupt darauf ankommt.“ Außerdem ergänzt Hösl, dass Wohlleben in seiner Einlassung gesagt habe, dass Brandt auf ihn zugekommen sei und ihn gefragt habe, ob er Pressesprecher werden wolle, er, Wohlleben, habe sich nicht für geeignet gehalten, es hätten nicht immer die die Posten gemacht, die am besten geeignet waren.

Götzl fragt Prof. Leygraf: „Können Sie heute schon gutachterlich Stellung nehmen?“ Leygraf: „Ja.“ Götzl: „Dann machen wir eine Pause.“ Heer: „Wir hätten aber einen Antrag zu stellen bezüglich Ihres Vorgehens morgen.“ Schneiders: „Wir hätten auch noch einen Antrag heute.“ Götzl: „Aber ich denke, das hat jetzt nichts mit der Anhörung des Sachverständigen zu tun. Herr Leygraf, Sie können ja die gutachterlichen Ausführungen vorbereiten und wir nutzen die Zeit für die Anträge. Wenn Sie sich um 16 Uhr wieder einfinden, ja?“ Leygraf verlässt den Saal.

Heer widerspricht der Vernehmung von Saß durch den Vorsitzenden, solange die Befragung durch die Verteidigung Zschäpe nicht abgeschlossen ist. Heer gibt zunächst aus seiner Sicht den prozessualen Hergang wieder. Dann sagt Heer, es handele sich zwar nicht um einen grundlosen Entzug des Fragerechts, der Vorsitzende dürfe die Verteidigung aber nicht gegen ihren Willen grundlos unterbrechen [phon.] und schon gar nicht sei es statthaft, Zwischenfragen anderer Verfahrensbeteiligter zu gestatten. Der Vorsitzende beabsichtige offensichtlich in die Befragung der Verteidigung Zschäpe einzusteigen. Damit werde er zwangsläufig das Konzept der Verteidigung Zschäpe durchkreuzen und eine effektive Befragung erheblich erschweren. Die bereits gestellten Fragen von NK-Vertretern beeinträchtigten die Befragung nicht. Sie seien nicht vergleichbar mit der Ankündigung des Vorsitzenden, morgen den SV zu Beobachtungen zu befragen. Der Vorsitzende sei bereits vor dieser Beweiserhebung gehalten gewesen, zu schauen, ob er Zugriff auf die Unterlagen erlangen kann, damit diese zum Gerichtsort gebracht werden können. Andererseits [phon.] sei der SV anzuhalten, heute nach Aachen zu reisen und morgen erneut anzureisen, damit die Verteidigung die Befragung unter Beachtung ihres Konzepts fortführen kann.

OStA Weingarten: „Die Beanstandungsführer übersehen, dass ein Eingreifen des Vorsitzenden in eine andauernde Befragung nicht vorliegt, denn Herr Heer und Frau Sturm hatten erklärt, derzeit keine Fragen zu haben. So ist auch die Rechtslage. Wir hatten heute schon ausgeführt, dass die Aufforderung, sich Notizen zu besorgen, nicht vom Fragerecht umfasst war. Auch insofern liegt keine Unterbrechung der Befragung vor.“ Wenn der Vorsitzende morgen Fragen stelle, die Heer und Sturm selber gern gestellt hätten, trete kein Verlust ein, so Weingarten, da es nicht auf die Fragen ankomme, sondern auf die Antwort. Heer: „Wir hatten extra ausgeführt, dass wir nicht keine Fragen haben, sondern dass wir keine stellen können.“

Im Folgenden beantragt RA Klemke für die Verteidigung Wohlleben, einen „Sachverständigen für Demographie“ zu vernehmen „zum Beweis“, dass „1. das deutsche Volk aufgrund Geburtenrückgangs seit 1970 stetig weniger deutsche Nachkommen hervorbringt, 2. das deutsche Volk wegen Geburtenrückgangs im Durchschnitt immer älter wird und seit 1970 die Zahl der deutschen Frauen im gebärfähigen und die Zahl der deutschen Männer im zeugungsfähigen Alter stetig zurückgeht, 3. das deutsche Volk jährlich mindestens 150.000 Deutsche durch Auswanderung verliert, 4. aufgrund der Tatsachen unter Ziffer 1 bis Ziffer 3 und dem massenhaften Einwandern Nichtdeutscher in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland das deutsche Volk in seiner bisherigen Identität im Jahre 2050 eine Minderheit gegenüber den Nichtdeutschen sein wird und durch eine dieser Identität nicht mehr entsprechenden Bevölkerung mehrheitlich abgelöst wird, wenn diese Entwicklungen ihren Verlauf nehmen und nicht gestoppt werden, 5. jedermann aufgrund dieser Entwicklungen vom ‚drohenden Volkstod‘ des deutschen Volkes sprechen und den Endpunkt dieser Entwicklungen als ‚Volkstod“ bezeichnen kann.“

Klemke bezieht sich darauf, dass der Senat es aufgrund der Verfügung zur Ladung der Zeugen Pr., K., Ke. und Ku. für erforderlich gehalten habe, Erkenntnisse der Zeugen zu den Ansichten, Äußerungen und Aktivitäten Wohllebens „hinsichtlich der Ausländer- bzw. Asylpolitik“ und zu Straftaten von Angehörigen der rechten Szene, insbesondere der KS Jena oder des THS, gegenüber Ausländern zu erheben. Es sei bei diesen Vernehmungen auch um Ansichten und Äußerungen Wohllebens zu den vorgenannten Beweisthemen gegangen, daher sei erforderlich geworden aufzuklären, was sich hinter dem Begriff „Volkstod“ verbirgt, den es zu „stoppen“ gelte, wie dies als Begriffspaar auf dem bei Wohlleben sichergestellten und hier in Augenschein genommenen weißen Feuerzeug aufgedruckt war. Dann bezieht sich Klemke auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.10.1987 zu Artikel 116 des Grundgesetzes, in dem sich das Bundesverfassungsgerichts „zum Volksbegriff und zur Frage der Identitätswahrung“ geäußert habe. In der Entscheidung werde „zwischen Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit unterschieden“, so Klemke. [Zur juristischen Einordnung dieser Entscheidung siehe z. B. Presseerklärung von NK-Vertreter_innen]

Klemke zitiert dann aus dem „Bundesvertriebenengesetz“, dass „deutscher Volkszugehörigkeit“ im Sinne dieses Gesetzes sei, wer sich „in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird“. Außerdem zitiert er aus der Entscheidung des Verfassungsgerichts von 1987, dass „die im Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes enthaltene Wahrungspflicht“ es gebiete, „die Einheit des deutschen Volkes als des Trägers des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit zukunftsgerichtet auf Dauer zu bewahren“. Weiter zitiert er: „Aus dem Wahrungsgebot folgt insbesondere die verfassungsrechtliche Pflicht, die Identität des deutschen Staatsvolkes zu erhalten.“ Klemke: „Sich für den Erhalt seines Volkes nach dieser Definition einzusetzen ist nicht nur verfassungsrechtlich garantiert, sondern erlaubt es auch, sich gegen das allmähliche Verschwinden seines Volkes und sich dabei auch gegen einen massenhaften Zuzug von Nichtdeutschen zu wenden. Dies ist weder ‚rassistisch‘, auch nicht ‚institutionell rassistisch‘, was immer diese politischen Totschlagbegriffe auch beinhalten mögen, sondern folgt zwanglos jener verfassungsgemäßen Pflicht zur Identitätswahrung. Die Wahrungspflicht gilt nicht nur als allgemeine staatspolitische Aufgabe sondern verpflichtet auch alle drei Gewalten. Diese Identitätswahrung kann freilich nicht abhängig von irgendwelchen gesellschaftspolitischen oder sich meist ja schnell wandelnden Modeerscheinungen und Ideen gemacht werden. Sie ist also nicht beliebig oder umdeutbar. Alle Bestrebungen, die bisherige Identität des deutschen Volkes ändern oder beseitigen zu wollen, stellen sich damit als verfassungswidrig dar. Diesen Bestrebungen im Sinne der Identitätswahrung entgegen zu treten, ist also vom Grundgesetz gedeckt. Dem Grunde nach ist die Pflicht zur Identitätswahrung sogar einer der zentralen Normbefehle des Grundgesetzes überhaupt. Anderenfalls wäre sein Rang als Verfassung für den Souverän ‚Deutsches Volk‘ ernstlich in Zweifel zu ziehen.“

Während des Vortrags verlassen mehrere NK-Vertreter_innen unter Protest für mehrere Minuten den Saal. [Klemke setzt mit seinem völkisch-rassistischen Propagandaantrag fort, behauptet u.a., aus der Forderung „Volkstod stoppen“ könne keine Bereitschaft zum Töten anderer Menschen abgeleitet werden. Außerdem hätten, so Klemke, die zuletzt gehörten Polizeibeamten in Bezug auf Wohlleben nicht von ausländerfeindlichen Äußerungen berichtet.]

NK-Vertreter RA Daimagüler gibt eine Stellungnahme zu dem Antrag ab und sagt, dass es schon von einigem Unverständnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeuge, wenn man diese Rechtsprechung in der Art und Weise interpretiert. Das Bundesverfassungsgericht habe, gerade in seiner Entscheidung von 1987, lediglich drauf abgestellt, dass im Blick auf Aus- und Übersiedler Volkszugehörigkeit eine Rolle spiele, habe aber im Umkehrschluss keine Aussagen darüber gemacht, was den deutschen Staatsbürger auszeichnen soll oder auszeichnet. Daimagüler: „Ich glaube, dass wenn der Angeklagte Wohlleben sich dies, was Klemke vorgetragen hat, zu eigen macht, dass das, sollten irgendwelche Zweifel bestanden haben an der ideologischen Ausrichtung des Angeklagten, dass die ausgerottet sind. Denn hier wird nichts anderes gesagt, als dass Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, die hier geboren sind, die Kinder haben, dass die eigentlich keine richtigen Deutschen sind. Hier wird dieses Rassistische sehr deutlich. Eine Denke wie vor dem zweiten Weltkrieg, wo die Nazis davon schwadroniert haben.“ Daimagüler sagt, es handele sich um Nazijargon, der propagiert werde, der dazu führe, dass etwa ein İsmail Yaşar, ein Abdurrahim Özüdoğru, nicht dazugehören und laut dieser menschenverachtenden neofaschistischen Ideologie auch nie können und auch getötet werden können. Daimagüler: „Das ist diese Ideologie. Und wenn es da je irgendeinen Zweifel gegeben hat, ich glaube, dass dieser Antrag die letzten Zweifel beseitigt haben sollte.“ Götzl: „Dann werden wir jetzt unterbrechen. Wir setzen dann um 16 Uhr mit Prof. Leygraf fort.“

Um 16:04 Uhr geht es weiter. Götzl: „Wir setzen mit ihrer Anhörung fort, Herr Prof. Dr. Leygraf.“ Götzl sagt, es gehe darum, welche Änderungen sich im Gutachten im Hinblick auf Schultze ergeben hätten. Leygraf: „Vielleicht kann ich nochmal drauf verweisen, was Grundlage meines Gutachtens im März 2015 war: Das Erwachsenwerden verläuft nicht gleichförmig und synchron. [phon.] Es gibt Sprünge in der Entwicklung und Unterschiede in der Entwicklung einzelner Persönlichkeitsbereiche. Und in einigen Bereichen schien Herr Schultze altersgerecht entwickelt zu sein: beruflich, auch im Bezug auf seine Stellung in seiner Peergroup. Defizite scheinen aber im Bereich Partnerschaft und Familie bestanden zu haben und sehr deutliche Defizite im Bereich der Bindungsfähigkeit und sexueller Identität, was Herrn Schultze sicher deutlich beeinträchtigt hat. Und schließlich habe ich ausgeführt, dass man auch aufgrund des weiteren Verlaufs sagen kann, dass sich Herr Schultze noch in einer Phase befand, in der Entwicklungspotenzial vorhanden war, das dann auch wirksam geworden ist. Nun zu den Unterlagen: Das Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 12.12.2011 [phon.] und das Schreiben des thüringischen LfV vom 21.11.2011, das hatte mir schon bei der vorläufigen schriftlichen Begutachtung vorgelegen. Und auch den anderen der mir jetzt zur Kenntnis gebrachten Schreiben habe ich nichts entnehmen können, was zu einer Änderung der Beurteilung der Persönlichkeitsreifung Anlass geben würde. Dann zu den mir zur Kenntnis gebrachten Angaben von Zeugen, Herrn Schultzes, Herrn Wohllebens und der Frau Zschäpe: Dazu ist zu sagen, dass sie unterschiedliche Sachverhalte betreffen.“ Leygraf nennt als Beispiel die unterschiedlichen Angaben von Andreas Schultz und Carsten Schultze. Leygraf: „Aus diesen Divergenzen lassen sich keine Rückschlüsse auf die damalige Persönlichkeitsreife des Herrn Schultze ziehen. Das mag zu tun haben mit der Frage, was er getan oder nicht getan hat, aber nichts mit der Persönlichkeitsreife.“

Leygraf weiter: „Die Beschreibung über die Vernehmungssituation entsprach in etwa auch meinem Eindruck bei der Exploration. Abgesehen von den zwischenzeitlichen Pausen mit Rechtsanwälten und so etwas, die hat es natürlich bei mir nicht gegeben. Aber auch bei mir war es so, dass Herr Schultze recht nachdenklich wirkte, dass es zeitliche Latenzen gab zwischen Fragen und Antworten, und dass man einiges Konkretes auch nachfragen musste. Das Geschehen, wo Herr Schultze einen Bus angemietet hat, er im Wald gewesen ist und mit den Teilnehmern eine Spontandemo durchgeführt hat, dazu habe ich schon am 08.06.2016 Stellung genommen. Herr Schultze war in seiner Fähigkeit zur realistischen Alltagsbewältigung sicher schon recht gut entwickelt. Die Tatsache, dass man ihn innerhalb der als Führungsperson ausgewählt hat, dass er von den dreien als Kontaktperson ausgesucht wurde und mit Waffenkauf beauftragt wurde, das allein weist darauf hin, dass er damals keinen jugendlich unbedarften, impulsiven Eindruck gemacht hat. [phon.]“

Zu den Angaben von Christian Kapke sagt Leygraf, dass er die Beschreibung, dass Schultze über die Maßen anbiedernd und sogleich charismatisch gewesen sein soll, überraschend gefunden habe, denn das passe nicht zusammen. Kapke habe Schultze auch als offen beschrieben, dabei sei Schultze gerade nicht offen ihm gegenüber gewesen. [phon.] Leygraf: „Dass Herr Schultze in den Aktivitäten in der rechten Szene erstmal eine deutliche Steigerung des Selbstwertgefühls erlangt hat und nach außen selbstbewusster wurde, das beschreibt ja Herr Schultze selbst. Gut reden und argumentieren können ist eine Frage der Intelligenz und da mag Herr Schultze vielen seiner damaligen Leute überlegen gewesen sein. Und dass – wie Kapke beschrieben hat – Schultze vom Mitläufer zum Akteur [phon.] wurde, das hat ja Schultze schon beschrieben. hat angegeben, Herr Schultze habe bestimmend sein können, das entspricht auch den Angaben des Herrn Brandt, dass er Führungskraft gewesen sei, selbsttätig habe handeln können. Auch das sind Hinweise darauf, dass er im Bereich der Alltagsbewältigung und in der Stellung in seiner Peergroup keine Reifungsverzögerungen aufgewiesen hat. Ansonsten habe ich den Informationen keine Aspekte entnehmen können, die zu einer anderen Beurteilung Anlass geben würden. Herr Schultze scheint in einigen Persönlichkeitsbereichen schon recht gut entwickelt gewesen zu sein, in anderen aber eben nicht. Und es hat eine Entwicklung gegeben just in diesem Zeitraum, die auf ein Entwicklungspotenzial schließen lässt. Ob da nun § 105 JGG [Anwendung des Jugendstrafrechts] anzuwenden wäre, ist ohnehin eine Frage, die der Senat zu treffen hat.“ Götzl: „Sind denn Fragen?“ Schneiders: „Wir bräuchten mal kurz fünf Minuten zur internen Beratung.“ Götzl: „Setzen wir um 16:20 Uhr fort.“

Um 16:22 Uhr geht es weiter. Klemke: „Herr Dr. Leygraf, haben Sie forensische Erfahrungen in der Entwicklungspsychologie?“ Leygraf: „Entwicklungspsychologie ist ein Teil, der zur Psychiatrie dazu gehört, weil man in der Psychiatrie auch Persönlichkeitsentwicklungen beurteilt.“ Klemke: sagt, Leygraf habe ja Persönlichkeitsbereiche genannt wie Lebensplanung, sexuelle Identität, Alltagsbewältigung, Peergroup. Klemke: „In welchen Bereich fällt denn, für den Fall dass Herr Schultze die vorgeworfene Tat begangen hat, die Tatbegehung?“ Leygraf: „Die Tat hat mit seiner Person zu tun und nicht mit einem der Bereiche, die man nutzt um Persönlichkeitsreifung zu messen.“ Klemke: „Wie definieren Sie die Peergroup, mit der Herr Schultze zum Tatzeitpunkt unterwegs war?“ Leygraf: „Die Leute in der JN oder ähnlichen rechten Gruppierungen, mit denen er sich seinen Beschreibungen nach damals beschäftigt hat.“

Klemke: „Also derselbe Bereich, aus dem auch der Auftrag kam für die Beschaffung der Waffe?“ Leygraf: „Ja, richtig. Wobei, wenn seine Angaben richtig sind, waren die Personen, die ihm diesen Auftrag gegeben haben, schon ein Stück außerhalb seiner Peergroup.“ Klemke: „Ich habe immer noch nicht verstanden, Herr Dr. Leygraf, inwieweit jetzt aus dem Handeln, das dem Carsten Schultze vorgeworfen wird, ein Ausdruck von Impulsivität und Unbedarftheit hervorgeht.“ [phon.] Leygraf: „Geht es nicht. Das ist natürlich keine typische Jugendverfehlung. Es geht um die Persönlichkeitsreifung.“ Klemke: „Sie sagten, die Tatbegehung sei Zeichen für jugendliche Impulsivität und jugendliche Unbedarftheit.“ Leygraf: „Nein.“ Klemke: „Doch.“ Leygraf: „Ich habe im Zusammenhang mit Herrn Schultze und der Tat zu keinem Zeitpunkt von jugendlicher Impulsivität und jugendlicher Unbedarftheit gesprochen.“ Klemke: „Also war es nicht Ausdruck jugendlicher Impulsivität und Unbedarftheit?“ Leygraf: „Nein, war es nicht.“ Prof. Leygraf wird entlassen. Schneiders: „Wir würden uns gerne eine Erklärung vorbehalten.“ Der Verhandlungstag endet um 16:28 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Wiederum konnte der Beamte nichts von Belang mitteilen. Durch kurze Nachfragen konnte aber auch festgestellt werden, warum die Polizisten vor Ort nur von ‚Körperverletzungen Links-Rechts und Propagandadelikten‘ Kenntnis hatten. Gefragt, ob er bei von Wohlleben für die NPD durchgeführten Konzerten Liedtexte mit rassistischen Inhalten festgestellt hatten, verneinte der damals für den polizeilichen Staatsschutz zuständige Polizist. Auf die Frage, ob sie damals überhaupt die Liedtexte auf strafbare Inhalte überprüft hätten, erwiderte er, das habe man damals nie gemacht. Kein Wunder, dass Wohlleben den Beamten dem damaligen NPD-Parteivorsitzenden mit den Worten ‚der passt auf, dass uns nichts passiert‘ vorstellte. Auf eine Art wiederholt sich dies im Prozess. Es wird deutlich, dass die Beamten aus Jena einerseits versuchen, keine eigene Verantwortung dafür einzugestehen, was sich aus der Kameradschaft Jena heraus entwickeln konnte. Andererseits gab (und gibt) es aber auch keinerlei Interesse daran, die politische Arbeit der Nazis zu bekämpfen. […] Die Zschäpe-Altverteidiger versuchten nunmehr zunächst, Saß dazu zu bringen, seine gesamten Notizen aus den von ihm besuchten Verhandlungstagen vorzulegen. Da Saß diese Notizen (mehr als 700 Blatt) nicht in München hat, solle die Befragung zunächst unterbrochen werden. Der Streit endete zunächst damit, dass der Vorsitzende ankündigte, morgen zunächst selbst seine Befragung des Sachverständigen fortzusetzen, und die Zschäpe-Verteidigung dagegen widersprach. Diese Auseinandersetzung wird morgen fortgeführt werden. Im Anschluss wurde der Sachverständige Prof. Leygraf weiter befragt und erklärte auch den Wohlleben-Verteidigern, warum er weiterhin davon ausgeht, dass für den Angeklagten Schultze Jugendstrafrecht anzuwenden sei. Zu allerletzt stellte RA Klemke für die Wohllebenverteidigung einen Antrag auf Einholung eines demographischen Gutachtens, das unter anderem beweisen soll, dass ‚das deutsche Volk in seiner bisherigen Identität im Jahre 2050 eine Minderheit gegenüber den Nichtdeutschen sein wird‘. Eine größere Gruppe NebenklägervertreterInnen verließ bei diesen Ausführungen, durch die die Verteidigung den ideologischen Schulterschluss zu ihrem Mandanten und der bundesdeutschen Naziszene betreibt, den Raum.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/01/25/25-01-2017/

Aus der Presseerklärung von NK-Vertreter_innen: „Olaf Klemke […] stellte heute einen Antrag, mit dem die Neonazi-These vom drohenden ‚Volkstod‘ ‚bewiesen‘ werden soll. […] Der Verteidiger verbrämte seine rassistischen Ausführungen mit pseudo-verfassungs-rechtlichen Argumentationen, wie sie auch von der NPD zu hören sind – und wie sie gerade im aktuellen Verfassungsgerichtsurteil zur NPD widerlegt wurden (Urteil vom 17.1.2017, Randnummer 690 ff). Wie das Verfassungsgericht ausgeführt hat, hat die Ideologie der NPD – die ihr ehemaliger Funktionär Wohlleben und seine Verteidiger hier vertreten – u.a. ‚die rassistische Ausgrenzung aller ethnisch Nichtdeutschen zur Folge‘ (Rn. 653). Viele Nebenklägervertreter_innen verließen aus Protest gegen die rassistischen Ausführungen Klemkes den Saal. Nebenklägervertreter Mehmet Daimagüler nahm sogleich Stellung zum Antrag: ‚Wenn noch ein Zweifel bestanden haben sollte an der neofaschistischen Einstellung Wohllebens, wäre er jetzt ausgeräumt.‘ Nebenklägervertreterin Seda Başay-Yildiz: ‚Logische Konsequenz dessen, was in diesem Antrag vertreten wird, ist die millionenfache Vertreibung von Menschen aus Deutschland – oder ihre Ermordung, wie es der NSU getan hat.‘ Nebenklägervertreter Dr. Björn Elberling zum Antrag Klemkes: ‚Nach seinen Anträgen zu Hitler-Stellvertreter betreibt Rechtsanwalt Klemke damit erneut Nazi-Propaganda im Gerichtssaal. Die Verteidiger haben offensichtlich die Verteidigung Wohllebens gegen das Urteil gänzlich aufgegeben und kümmert sich stattdessen um seine Reputation in der Nazi-Szene.'“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/01/25/25-01-2017-presseerklaerung-der-nebenklage/

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