von Caro Keller (NSU-Watch)
Seit am 04.11.2011 Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in ihrem Wohnmobil tot aufgefunden wurden und sich der NSU selbst enttarnte, ranken sich Mythen um diesen Tag. Offene Fragen wurden immer wieder gestellt, die offizielle Version in Zweifel gezogen, alternative Abläufe des Tages kursieren bis heute. Das Thema entfaltete schnell eine Eigendynamik, die kaum einzufangen ist, es scheint immer mehr zu einer Art Glaubensfrage zu werden, was sich an diesem Tag wohl in dem in Eisenach-Stregda abgestellten Wohnmobil abgespielt haben könnte. Den vielen Spekulationen gegenüber gibt es allerdings keinen gemeinsamen Wissensstand zu Erkenntnissen beispielsweise von Untersuchungsausschüssen.
Der zweite Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss hat sich in den letzten Monaten in aller Ausführlichkeit den Ereignissen vom 04.11.2011 in Eisenach-Stregda gewidmet (die Zwickauer Geschehnisse bearbeitet der sächsische NSU-Untersuchungsausschuss). Dabei beschäftigte sich der Ausschuss auch mit möglichen Antworten auf die spektakulärsten offenen Fragen zum Tag. Diese sollen hier den Theorien entgegengestellt werden. Zunächst soll die ‚offizielle Version‘ der Behörden zusammengefasst werden. An dieser arbeiten sich die Theorien ab.
Die ‚offizielle‘ Version u.a. vom BKA zum 04.11.2011
Die polizeilichen Erkenntnisse zum Verlauf des 04.11.2011 können wie folgt zusammengefasst werden. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt überfielen am 04.11.2011 gegen 09:15 Uhr eine Bank in Eisenach. Bereits im selben Jahr hatten die beiden eine Bank in Arnstadt überfallen. Gemeinsam mit weiter zurückliegenden Banküberfällen (die inzwischen ebenfalls dem NSU zugeordnet werden konnten) erkannte die Polizei darin eine Banküberfall-Serie nach gleichem Muster. Daher vermutete die Polizei nach dem Überfall in Eisenach eine Flucht der Täter auf Fahrrädern. Man mutmaßte, die Täter würden diese auf der Flucht in ein spezielles Fluchtfahrzeug verladen. Aus diesem Grund wurde nach dem Überfall in Eisenach eine entsprechende Ringfahndung ausgelöst. Bei der Befragung von Zeug_innen gab ein älterer Herr zu Protokoll, er habe gesehen, wie zwei Männer Fahrräder in ein Wohnmobil mit einem Kennzeichen beginnend mit „V“ (Vogtland) verluden. Nach Polizeierkenntnissen sollen Mundlos und Böhnhardt das Wohnmobil in einer Wohngegend im Stadtteil Stregda abgestellt haben. Vermutlich hörten sie den Polizeifunk ab, und damit aller Wahrscheinlichkeit nach auch, wie die Ringfahndung verlief. Diese wurde gegen 10:45 Uhr aufgehoben, Böhnhardt und Mundlos blieben in dieser Zeit vor Ort.
In der ‚offiziellen Version‘ wird das weitere Geschehen so dargestellt: Eine Polizeistreife sei auf das Wohnmobil aufmerksam geworden, die beiden Polizisten hätten sich dem Wohnmobil genähert, hätten einen Schuss gehört und seien in Deckung gegangen. Sie hätten zwei weitere Schüsse gehört und gesehen, dass das Wohnmobil zu brennen beginnt.
Aus Sicht der beiden Täter geht das BKA von folgendem Szenario aus: Es sei versucht worden, einen Schuss nach außen abzugeben, was jedoch misslungen sei. Das Projektil wird später in der A-Säule des Wohnmobils gefunden. Daraufhin habe Mundlos erst Böhnhardt erschossen, im Anschluss daran Feuer gelegt und sich dann selbst erschossen.
Die eintreffende Feuerwehr löschte das Wohnmobil. Unterdessen trafen auch immer mehr Polizeikräfte am Einsatzort ein. Schließlich wurden die Leichen sowie eine Dienstwaffe der Polizei gefunden. Diese Waffe konnte schnell in den Zusammenhang mit dem Mord an Michèle Kiesewetter gerückt werden.
Die ersten Fotos aus dem Inneren des Wohnmobils wurden von Einsatzkräften der Feuerwehr gemacht und von der Polizei mitgenommen. Die Speicherkarte sei der Feuerwehr formatiert, also ohne Fotos, wieder zurückgegeben worden. Die Fotos seien zunächst bei der Ermittlungsgruppe verblieben.
Am 04.11.2011 kamen die Ermittler_innen zu ihrem Ergebnis, es hätte sich um erweiterten Selbstmord gehandelt. Bereits um 15:00 Uhr des selben Tages wird dieses der Staatsanwaltschaft mitgeteilt.
Der Einsatzleiter habe beschlossen, dass das Wohnmobil nicht vor Ort untersucht, sondern abgeschleppt werden müsse. Ein Abschleppwagen wurde geordert und der hievte das Wohnmobil über eine Rampe auf seine Ladefläche. Noch vor dem Abschleppen hätte die Thüringer Tatort-Gruppe erste Ermittlungsarbeiten am Fahrzeug machen können, die sie dann in der Halle des Abschleppunternehmens, wo das Wohnmobil gelagert wurde, fortsetzte.
An dieser Version wurden von unterschiedlicher Seite starke Zweifel geäußert oder ihr eigene Szenarien entgegen gestellt. Einige dieser Theorien sollen jetzt mit den Ergebnissen der Arbeit des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss abgeglichen werden.
1. Die ‚Dritte-Mann-Theorie‘
Was wird diskutiert?
Die These vom erweiterten Selbstmord, also dass Mundlos erst Böhnhardt und dann sich selbst erschoss, wird in Zweifel gezogen. Demgegenüber wird davon ausgegangen, dass beide von einer bisher unbekannte Person, also einem/einer „Dritten Mann/Frau“ erschossen worden seien.
Erkenntnisstand des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss
Die Polizisten, die zuerst vor Ort waren, hätten nicht einsehen können, ob sich eine Person vom Wohnmobil entfernt hat. Wenn es diese Person gegeben hätte, so wäre sie auffällig mit Blut und Gewebe beschmiert gewesen. Keine_r der befragten Zeug_innen habe eine entsprechende Beobachtung gemacht. Diese Zeug_innen wurden unmittelbar am 04.11.2011 befragt, das heißt zu einem Zeitpunkt, an dem sie noch keinerlei weitere Informationen zu den Ereignissen haben konnten. Deshalb werden deren Aussagen als glaubwürdig eingestuft.
Wegen des Aufbaus des Wohnmobils, in dem es sehr eng ist, könne davon ausgegangen werden, dass eine dritte Person nicht ohne das Einverständnis von Böhnhardt und Mundlos sich im Wohnmobil hätte aufhalten, geschweige denn auf beide hätte schießen können. Einem der beiden hätte die Person den Rücken zuwenden müssen, beide hätten jeweils Zugang zu Waffen gehabt, da sich davon mehrere im Wohnmobil befanden. Daher könne eine dritte Person ausgeschlossen werden.
Gleichzeitig könne niemand mit Sicherheit sagen, was sich im Wohnmobil abgespielt hat. Aus Zeug_innenaussagen, Aussagen der Polizei vor Ort und aus den Profilen von Mundlos und Böhnhardt könnten aber Rückschlüsse gezogen werden. Aus alten Aussagen werde deutlich, dass Uwe Böhnhardt nicht noch einmal ins Gefängnis gehen wollte und sich der Polizei nicht stellen würde. Außerdem existieren rechtsterroristische Vorbilder, die ein ähnliches Ausstiegsszenario wählten. Zudem spricht auch das der (neo-)nazistischen Ideologie eigene heroische Männlichkeitsbild, also auch dass ein „rechter Mann“ sich nicht von der Polizei festnehmen lasse, für die Selbstmordthese.
Während des Untersuchungsausschuss wurden weitere Varianten des Geschehenes diskutiert:
Mundlos hätte Böhnhardt aus Versehen erschossen haben können. Dieser Version nach hätten sich Mundlos und Böhnhardt bewaffnet, um auf die Polizisten zu schießen. Später wurden bei beiden Pumpguns gefunden. Dabei könnte es zu dem versehentlichen Schuss auf Böhnhardt gekommen. Danach hätte Mundlos Feuer gelegt und auch sich selbst erschossen.
Böhnhardt, statt Mundlos, könnte das Feuer im Wohnmobil gelegt haben und daraufhin erschoss Mundlos Böhnhardt und dann sich selbst.
Mundlos könnte Böhnhardt mit Absicht aber ohne dessen Wissen erschossen haben, dann Feuer gelegt und sich selbst erschossen haben.
Für alle Versionen ohne dritten Mann kommt der Untersuchungsausschuss zu der Erkenntnis, dass es jeweils Punkte gibt, die dafür und welche die dagegen sprechen. Es bestehen weiterhin Ungereimtheiten und Ermittlungslücken. Aber die vom BKA dargestellte Variante sei von den Indizien her plausibel. Bestimmte Sachverhalte seien weiterhin schwer erklärlich, aber es gebe laut der Erkenntnisse des Thüringer Ausschusses keinen alternativen Handlungsablauf, der einen gleichen Grad an Plausibilität erreiche. Eine Version, die Lücken habe, könne trotzdem überzeugend sein, gerade weil sie Lücken hat.
Problematisch bleibt
Es wurde von den Ermittler_innen weder ein Brandursachen- noch ein Brandverlaufsgutachten und auch keine Blutspuranalyse durchgeführt. Das liegt vor allem daran, dass die Ermittler_innen sich sehr schnell auf ein Szenario einigten und derartige Gutachten für unnötig hielten. Diese Gutachten hätten allerdings weitere Antworten liefern können. Ein Todesermittlungsverfahren hätte es sofort geben müssen, es wurde allerdings zu spät eingeleitet.
Dennoch, eine dritte Person sei für den Thüringer Ausschuss auszuschließen. Wohlgemerkt nicht für den Banküberfall in Eisenach. Einer möglichen Unterstützung an diesem Tatort wird der Untersuchungsausschuss weiter nachgehen, sobald man sich dort dem Unterstützungsnetzwerk des NSU zuwendet.
1.1 Die zusätzliche Patronenhülse
Was wird diskutiert?
Es wurden zwei Patronenhülsen der Pumpguns am Tatort gefunden, wo der These des BKA nach nur eine hätte sein dürfen. Wenn Mundlos erst Böhnhardt erschossen hat, hätte er nachgeladen, dabei wäre eine Patronenhülse aus dem Gewehr gefallen. Wenn er allerdings dann sich selbst erschoss, habe er nicht nachladen können. Heißt, es dürfte keine zweite Patronenhülse geben. Die offizielle Version des BKA spricht von einem „Todeskrampf“ während dessen Mundlos „nachgeladen“ habe. Auch im Rahmen sogenannter „dritten Mann/Frau-These“ wird vermutet, dass diese zweite Hülse beim Nachladen durch eine dritte Person aus dem Gewehr gefallen sei.
Erkenntnisstand des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss
Es bestehe ein Unterschied darin, ob Mundlos sich stehend oder sitzend erschoss. Bei einem Selbstmord im Stehen sei es möglich, dass ein Gewehr auf den Boden falle und dabei „nachlade“.
Problematisch bleibt
Im Grunde konnte sich der Ausschuss weniger einer Antwort nähern, als er dies bei anderen Theorien tat, unter anderem weil ein diesen Sachverhalt aufklärendes Gutachten zur Analyse des Blutspuren-Bildes fehle. Damit hätte festgestellt werden können, ob Mundlos zum Zeitpunkt seines Selbstmordes gestanden oder gesessen habe
1.2 Die „Schorlau-Theorie“: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren schon länger tot und / oder sind woanders getötet worden.
Was wird diskutiert?
Es wird diskutiert, ob Mundlos und Böhnhardt an einem anderen Ort, zu einem anderen Zeitpunkt, von einer unbekannen Person ermordet wurden. Insbesondere in dem Buch „Die schützende Hand“ von Wolfgang Schorlau wird nahegelegt, dass Mundlos und Böhnhardt bereits tot waren, als das Wohnmobil abgestellt wurde. Zwar ist Schorlaus Buch ein ausgedachter Kriminalroman mit dem Fall NSU als Inspiration, dennoch behauptet der Autor, durch Akteneinsicht einer der Wahrheit nahe kommende Version erarbeitet zu haben (siehe dazu Kritik von NSU-Watch an „Die schützende Hand“ https://www.nsu-watch.info/2016/02/kollateralschaeden-der-weltpolitik-rezension/). Schorlau wird seither als „NSU-Experte“ gehandelt und wurde sogar als Sachverständiger vor den NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg geladen.
Erkenntnisstand des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss
Die Gerichtsmedizinerin, die vor dem Thüringer Untersuchungsausschuss aussagte, konnte beschreiben, wie sie den Todeszeitpunkt von Mundlos und Böhnhardt feststellte. Eine Todeszeitfeststellung per Temperaturmessung – die genauer ist – sei nicht möglich gewesen, da die Körpertemperatur durch den Brand (Hitze) und das Löschen (Kälte) verändert worden sei. Allerdings seien Leichenflecken festgestellt worden und an solchen lasse sich ebenfalls der Zeitpunkt des Todes ablesen. Ergebnis war, Mundlos und Böhnhardt seien am Morgen des 04.11. gestorben. Sie waren also nicht bereits länger tot an den Auffundort gebracht worden.
1.2.1 Die Theorie von fehlender Gehirnmasse
Was wird diskutiert?
Laut Schorlau und anderen sei zu wenig Gehirnmasse in den Köpfen von Mundlos, Böhnhardt und im Wohnmobil gefunden worden. Das spreche dafür, dass sie woanders getötet worden seien und dann ins Wohnmobil gelegt wurden
Erkenntnisstand des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss
Tatsächlich sei bei der Obduktion wenig Gehirnmasse in den Köpfen festgestellt worden. Allerdings habe es große Austrittswunden an beiden Köpfen gegeben. Beide hatten von einer Pumpgun verursachte Schusswunden am Kopf. Durch diesen Schuss sei der Kopf explodiert und das Hirn ausgetreten. Große Brocken der Gehirnmasse wurden dabei aus dem Kopf heraus geschleudert. Diese hätten sich im Wohnmobil befunden. Sie seien von der Spurensicherung dort gefunden worden und sei zudem auf Fotos aus dem Wohnmobil zu sehen. Auf diesen mehreren hundert Bildern aus dem Wohnmobil ist überall Blut, Gehirnmasse und Gewebe zu sehen. Die Behauptung, es gäbe „zu wenig“ Gehirn im Wohnmobil entbehre nach Ansicht des Ausschusses schlicht der Faktenlage. Bilder und Aussagen von Ermittlern am Tatort zeugen für das Gegenteil.
Problematisch bleibt
Die Spurensicherung hat diese Gehirnteile nicht der Gerichtsmedizin übergeben, sondern entsorgt. Die Ermittler_innen haben sich sehr früh auf die These des erweiterten Selbstmord festgelegt, und in Folge kein Ermittlungsverfahren wegen unnatürlichem Todes bzw. ein allgemeines Todesermittlungsverfahren eingeleitet. In diesem Fall hätte die aufgefundene Hirnmasse gesichert und an die Gerichtsmedizin übergeben werden müssen. Ein Mitglied der Tatort-Gruppe räumte dazu vor dem Untersuchungsausschuss ein, dass sie das Gehirn hätten sichern müssen.
1.2.2 Der fehlende Ruß in der Lunge
Was wird diskutiert?
Zu dieser Diskussion gehört auch die Feststellung, dass in der Lunge von Uwe Mundlos kein Ruß und andere bei Verbrennung entstehende chemische Stoffe zu finden waren. Da er aber das Feuer gelegt habe, müsse Ruß in der Lunge sein. Deshalb wird angenommen, Mundlos wäre schon tot gewesen als das Feuer ausbrach.
Erkenntnisstand des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss
Ein Ermittler aus Baden-Württemberg hat u.a. zum Thema Ruß in der Lunge von Mundlos ausgesagt. Dabei habe er dargelegt, dass es nicht zwingend sei, dass dort Ruß festzustellen sei. Über der Sitzecke des Wohnmobils, in der das Feuer gelegt wurde, habe etwas sehr schnell Brennendes gehangen. Dadurch sei ein Sog entstanden, der den Ruß nach oben zog. Es sei also nicht auszuschließen, dass Feuer gelegt werde und in der Lunge der Person trotzdem kein Ruß zu finden sei.
Problematisch bleibt
Es wurde kein Brandverlaufsgutachten erstellt, mit dem der Verlauf des Brands und Fragen dazu abschließend hätten geklärt werden können.
2. Die Polizei-Arbeit in Eisenach-Stregda
Was wird diskutiert
Die Polizei-Arbeit am 04.11.2011 in Eisenach-Stregda weise einige Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten auf. Fragen drehen sich beispielsweise darum, warum der Einsatzleiter relativ früh den Eingangsbereich des Wohnmobils betrat und von dort aus mit einer Gartenharke im Inneren Dinge zur Seite schob. Auch der Ablauf des Einsatzes, der mit dem Abschleppen des Wohnmobils endete (siehe unten) zählt zu diesen Merkwürdigkeiten. Dabei dreht sich die Diskussion darum, wie absichtsvoll diese ‚Fehler‘ begangen wurden; ob es sich also schlicht um schlechte Ermittlungsarbeit handele oder um Vertuschung (von was, hängt von der jeweiligen Spekulation ab).
Erkenntnisstand des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss
Alle Beteiligten an den Ermittlungen wurden vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss gehört, teilweise mehrfach. Einige, wie Angehörige der Tatort-Gruppe, hätten ihr Vorgehen beschrieben und hätten auch Fehler eingeräumt. Andere, wie der Ermittlungsleiter an diesem Tag, seien weitestgehend auf dem Standpunkt geblieben, alles sei vorschriftsmäßig abgelaufen. Insgesamt bleibe für den Ausschuss aber der Eindruck bestehen, dass es sich in Teilen um schlechte Polizeiarbeit gehandelt habe. Also nicht um eine Vertuschungsaktion. Nach Ansicht des Ausschusses waren dafür in die Ermittlungen zum 04.11. auch schlichtweg zu viele Menschen eingebunden.
Problematisch bleibt
Einige Fragen ließen sich trotz minutengenauer Befragung nicht ohne vollständige offen und ehrliche Aussagen der beteiligten Ermittler_innen klären. Allerdings haben, wie in anderen Untersuchungsausschüssen zum NSU-Komplex auch, nicht alle Befragten so umfangreich wie nötig Rede und Antwort gestanden.
Die kriminaltechnische Arbeit am Tatort muss zumindest in Teilen weiterhin als schlecht bezeichnet werden. Zu den bereits erwähnten Fehlern kommt das Ausbleiben einer Umfeld-Suche, es wurden nur Fotos nach dem gelöschten Brand gemacht und nach dem Abschleppen des Wohnmobils wurden die Reste vor Ort einfach zusammengekehrt.
2.1 Die Beschlagnahme und das Verschwinden der Fotos der Feuerwehr
Was wird diskutiert?
Die Feuerwehr hat, da sie als eine der ersten am Einsatzort war, Fotos von dem Inneren des Wohnmobils gemacht. Der Einsatzleiter der Polizei hat daraufhin die Speicherkarte mit den Fotos beschlagnahmt. Der Feuerwehr wurde später eine leere Speicherkarte zurückgegeben. Die Fotos galten für den Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss länger als verschwunden. Möglicherweise seien die Bilder aber bereits 2011 an das Bundeskriminalamt übergeben worden. Diskutiert wird, ob etwas auf den Fotos zu sehen sei, das die offizielle Version in Frage stelle. Erst 2015 seien Kopien der Feuerwehrbilder auf einem Rechner gefunden und dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss übergeben worden.
Erkenntnisstand des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss
Bei der Sichtung der Fotos sei deutlich geworden, dass sie die offizielle Version stützen. Sie belegten beispielsweise, dass es im Inneren des Wohnmobil genauso aussehe, wie es später in der Halle vorgefunden wurde (siehe unten). Die Feuerwehr habe dem Ausschuss gegenüber außerdem bestätigt, dass die übergebenen Bilder lückenlos die von ihr gemachten seien. Die Zahl der Fotos deckt sich auch mit jener aus dem Übergabe-Protokoll vom 04.11.2011.
Problematisch bleibt
Die Bilder von der Karte zu löschen, war nicht gestattet. Die Ermittlungsbehörden sind angehalten dies nur bei eigenen Datenträgern zu tun. Es handelt sich in dem Fall um eine übliche Vorgehensweise. Es ist daher nicht klar, ob das Löschen absichtlich erfolgte oder nicht.
2.2 Das Abschleppen des Wohnmobils
Was wird diskutiert?
Anstatt das Wohnmobil (unter einem Zelt) vor Ort in Eisenach-Stregda zu untersuchen, ließ man einen Abschleppwagen kommen, der das Wohnmobil noch mit beiden Leichen darin über eine Rampe nach oben hievte und in eine Halle des Abschleppunternehmens brachte. Angenommen wurde, dass es sich um eine Rampe mit 40°-Steigung handelte. Es wurde daher diskutiert, ob durch das Anheben des Wohnmobils alles in diesem verrutschte und letztlich auf diese Weise etwas vertuscht wurde.
Erkenntnisstand des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss
Tatsächlich habe es sich nicht um eine 40°-Rampe gehandelt, sondern um eine mit nur 10-20° . Trotzdem sei das Wohnmobil nicht spurenschonend verladen worden. Vielmehr sehe es auf den Fotos so aus, als sei Böhnhardt leicht verrutscht. Im Nachhinein wurden viele Vergleiche von Fotos vor und nach dem Abschleppen gemacht. Dabei habe sich gezeigt, dass weniger in dem Wohnmobil verrutscht sei, als angenommen. Dies sei beispielsweise an einer Patronenhülse, die auf dem Tisch lag, festgestellt worden. Sie sei auch nach dem Abschleppen an der selben Stelle geblieben, die Gegenstände um sie herum ebenso. Das liege u.a. daran, dass durch den Brand und das darauf folgende Löschen viel im Wohnmobil zusammen- und festgeschmolzen und damit unbeweglich(er) gewesen sei. Für eine (vertuschende) Absicht im Hintergrund, aus der das Wohnmobil abgeschleppt werden sollte, gebe es laut Untersuchungsausschuss keine Anhaltspunkte.
Noch dazu gab es eine Fotodokumentation aus Eisenach-Stregda vor dem Abschleppen, wodurch sich immer feststellen ließ, ob und wie etwas möglicherweise verrutscht sei.
Problematisch bleibt
Es kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass dennoch etwas verrutscht sei. Erneut sei hier auf das Problem verwiesen, dass die Behörden bereits um 15:00 Uhr von erweitertem Selbstmord ausgingen und dies auch so an die Staatsanwaltschaft weiter meldeten. Das bedeutete für die weiteren Ermittlungsarbeiten, dass man keine allzu großen Ermittlungsanstrengungen erwartete und deshalb auch einen wenig spurenschonenden Vorgang wie Abschleppen wählte.
Gewöhnlich sind Tatorte Aufgabengebiet der sogenannten Tatort-Gruppe, sie gehören ihr gewissermaßen. Die Tatort-Gruppe gab vor dem Untersuchungsausschuss allerdings zu Protokoll, dass sie in Eisenach unter Zeitdruck arbeiten musste. Eingeräumt wurde von ihr auch, dass es richtig gewesen wäre, das Wohnmobil an Ort und Stelle zu untersuchen. Es habe sich zudem um ein Fahrzeug gehandelt, das kurz zuvor noch gebrannt hatte und in dem bereits Munition entdeckt worden war. Das heißt auch, dass zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, ob durch das Abschleppen noch Gefahr von diesem ausgehen könnte. Der Fahrer des Abschleppwagens sagte vor dem Untersuchungsausschuss aus, dass er das Wohnmobil nicht wegbewegt hätte, wenn er gewusst hätte, dass sich darin Waffen befinden.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss viele Detailfragen beantwortet wurden. Diese Antworten stehen teils auch konträr zu kursierenden (Verschwörungs-)Theorien über die Geschehnisse des 04.11.2011.