An diesem Prozesstag wird zunächst ein ehemaliger Mitarbeiter des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz zu seinen Erkenntnissen zur „Hetendorfer Tagungswoche“ befragt. An dieser hatte 1997 auch Beate Zschäpe teilgenommen. Der Zeuge kann allerdings zu dem Themenkomplex nichts beitragen. Danach geht es um neue Anträge der Verteidigung Wohlleben und um die Ablehnung des Ablehnungsgesuches gegen den psychiatrischen Sachverständigen Leygraf, das die Verteidigung Wohlleben gestellt hatte.
Zeuge:
- Rigo Schüller (ehem. Mitarbeiter des TLfV, Erkenntnisse zur „Hetendorfer Tagungswoche“)
Der Beginn des Verhandlungstages ist heute für 11:30 Uhr angesetzt. Um 11:47 Uhr geht es tatsächlich los. Als Zeuge wird Rigo Schüller, heute Richter am Sozialgericht Gotha, gehört. Götzl: „Es geht uns um Erkenntnisse im Hinblick auf die Hetendorfer Tagungswoche.“ Schüller: „Ich muss sagen: Hetendorfer Tagungswoche hatte ich gar keine Erinnerung mehr. Ohne diese Ladung hätte ich wahrscheinlich gar keinen Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Szene hergestellt. Deswegen habe ich mich in Vorbereitung des Termins im Internet und mit Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes, die in meiner Privatbibliothek vorhanden waren, beschäftigt. Mir kamen ein paar dunkle Erinnerungen, dass ich mich damit beschäftigt habe beim Verfassungsschutz, aber konkrete Angaben zum Jahr 1997 kann ich nicht mehr machen.“
Götzl sagt, es liege ein Vermerk vor, der am Ende die Unterschrift „Schüller“ trage, und auf der Seite 10844 unter der Rubrik „Anmerkung“ stehe: „Die ‚Hetendorfer Tagungswochen‘ fanden von 1991 bis 1997 jährlich auf dem Gelände des 1984 gegründeten und 1998 verbotenen Vereins ‚Heide-Heim‘ e.V. in Hetendorf Nr. 13 statt.“
Götzl: „Können Sie sich erinnern?“ Schüller: „Der Vermerk ist mir übersandt worden, vom BKA an das Sozialgericht. Ich habe das gelesen. Da der räumliche Zuständigkeitsbereich des TLfV nicht betroffen war, werden Erkenntnisse darauf beruhen, das Erkenntnisse von anderen Landesämtern bzw. der Polizei an das LfV gelangt sind. Vom Schreibstil würde ich sagen, den Text könnte ich verfasst haben. Ob das ein Vermerk war, der schon vorlag oder ob ich den aus öffentlich zugänglichen Quellen verfasst habe, kann ich nicht mehr sagen. Ich habe zu Hause noch eine Broschüre des Verfassungsschutz Hamburg ‚Rechtsextremismus in Stichworten‘, da finden sich Ausführungen zu Hetendorf, Heide-Heim, dem Trägerverein. Also es könnte sein, dass ich das seinerzeit dort entnommen habe. Eine konkrete Erinnerung habe ich nicht mehr.“
NK-Vertreter RA Narin: „In dem Vermerk taucht der Name Jürgen Rieger auf. Haben Sie Erkenntnisse zu seiner Person?“ Schüller: „Ein Hamburger Rechtsextremist, ich weiß nicht ob der noch lebt, bundesweit bekannt, und die Vereine waren im Heide-Heim sehr aktiv. Ob weitere Erkenntnisse vorlagen, weiß ich nicht, weil ja kein originärer Zuständigkeitsbereich des Thüringer Landesamts gegeben war. Der hat ja im norddeutschen Raum eher Aktivitäten entfaltet.“
NK-Vertreter RA Hoffmann: „Eine Nachfrage zu Ihrer letzten Antwort: Wenn einer dieser Vereine oder Personen Aktivitäten originär in Thüringen entfaltet hätte, hätten Sie dann Kenntnis davon gehabt?“ Schüller: „Nicht zwingend. Wenn das eine öffentliche Veranstaltung war, sicherlich. Wenn Erkenntnisse nachrichtendienstlich gewonnen wurden, auch. Aber es fanden ja keine Einreisekontrollen statt. Hätte sein können, müsste aber nicht. [phon.]“ Hoffmann: „In welchem Zeitraum waren Sie tätig?“ Schüller: „Im August 2003 im Referat Rechtsextremismus. Im Jahr 2004 zu Grundsatzfragen des Verfassungsschutzrechtes und ab Januar 2006 Tätigkeit im Thüringer Innenministerium, beamtenrechtliche Grundsatzfragen.“ Hoffmann: „Können Sie sagen, ob es in diesem Zeitraum, wo Sie tätig waren, Veranstaltungen oder Saalveranstaltungen von einem dieser Vereine in Thüringen gab?“ Schüller: „Kann ich nicht sagen, habe ich keine Erinnerung.“ Hoffmann: „Und Veranstaltungen, bei denen Rieger aufgetreten ist?“ Schüller: „Möglich, wäre rein spekulativ.“ Um 12:03 Uhr wird der Zeuge entlassen.
Dann beantragt RA Nahrath für die Verteidigung Wohlleben, eine vom Angeklagten Wohlleben verfasste, am 21.03.2001 im Stadtrat Jena verteilte und am 22.03.2001 auf der Internetseite der NPD Jena veröffentlichte Pressemitteilung zu verlesen. Darin geht Wohlleben auf einen Artikel der „Ostthüringer Zeitung“ vom 21.03.01 ein, laut dem die SPD-Fraktion im Jenaer Stadtrat vorhabe, „unsere Demonstration am 14.04.01 zu verhindern und weitere Veranstaltungen nationaler Couleur als ‚unerwünscht‘ zu erklären. Gründe sieht die SPD-Fraktion in unserer angeblichen Propagieren von ‚fremdenfeindlichen, rechtsradikalen und antidemokratischen‘ Parolen während unserer Demonstration. Dazu möchten wir folgendes klarstellen: Unsere Demonstration am 14.04. steht unter dem Motto „‚Für eine Welt freier Völker – Solidarität mit Irak und Palästina‘. Sie wird veranstaltet, weil es höchste Zeit ist, daß auch Deutsche endlich ein Zeichen gegen den US-amerikanischen und israelischen Terror setzten.“ [Fehler im Original der Pressemitteilung] Wer hieraus „Fremden- und Demokratiefeindlichkeit“ ableite, so die Pressemitteilung weiter, sei nur daran interessiert, „unsere Demo zu verhindern“ und stelle sich gegen eine „somit stattfindenden Solidarisierung mit den betroffenen Völker“.
Zur Begründung des Antrags sagt Nahrath, dass der Senat Wohlleben in seinem Beschluss vom 30.01.2017 eine ausgeprägt ausländerfeindliche Haltung unterstelle, die Beweggrund für die ihm vorgeworfene Unterstützungshandlung gewesen sei. Hieraus wolle der Senat nicht nur den Schluss auf einen Tötungsvorsatz, sondern auch auf das Vorliegen niedriger Beweggründe ziehen. Die Presseerklärung sei in zeitlicher Nähe zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt entstanden. Sie bestätige die Angaben Wohllebens zu seiner Haltung gegenüber Ausländern und einem „Europa der Vaterländer“. Darüber hinaus zeige sie, dass Wohlleben „auch über Europa hinausblickt, für eine Welt freier Völker und gegen Imperialismus eintritt und sich solidarisch mit den Völkern des Irak und Palästinas erklärt“.
Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders beantragt zum Beweis der Tatsache, dass es für Kontaktpersonen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Ende der 90er Jahre bis einschließlich des Jahres 2000 nicht erkennbar gewesen sei, dass Mundlos und Böhnhardt schwerste Straftaten gegen das Leben von Menschen aus ausländerfeindlichen Motiven begehen könnten, folgende Zeugen erstmalig bzw. erneut zu vernehmen: Barbara Ei., Thomas Esch., Lars Fr., Robert He., Peter-Jörg Nocken, Enrico Ri., Thomas Rothe, Hans-Joachim Schmidt, Norbert Wießner. Zur Begründung sagt sie, dass die genannten Zeugen Mundlos und Böhnhardt im angegebenen Zeitraum gekannt oder beruflich mit ihnen zu tun gehabt hätten. Die Zeugen hätten sich in ihren polizeilichen Vernehmungen zu den drei Untergetauchten geäußert und dabei bekundet, dass sie solche Straftaten keinem der drei Untergetauchten zugetraut hätten.
Dann beantragt Schneiders, zum Beweis der Tatsache, dass 1. Wohlleben die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele stets abgelehnt habe, und 2. Wohlleben sich im Rahmen der „Ausländer-Thematik“ für ein „Europa der Vaterländer“ ausgesprochen habe und Ausländern nicht feindselig oder gar mit Hass begegnet sei, sondern „mit Achtung gegenüber den Völkern und mit Respekt gegenüber den Menschen“ folgende Zeugen zu vernehmen: Robert He, Volker He., Maximilian Le., Ralph Oe., die Vernehmungsbeamten von Frank Schwerdt KHK Kr. und KK Tr., Rick We., Andreas Rachhausen sowie den Journalisten Günter Platzdasch, Jena-Winzerla. Zur Begründung sagt sie, dass die genannten Zeugen sich aufgrund des Kennverhältnisses zu Wohlleben in ihren polizeilichen Vernehmungen zu Wohlleben geäußert hätten und die Beweistatsachen bestätigen könnten.
Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass das Ablehnungsgesuch Wohllebens gegen den SV Leygraf als unbegründet zurückgewiesen wird. Eine Befangenheit des abgelehnten SV sei nicht zu besorgen, so Götzl, es lägen keine berechtigten Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten SV gegenüber dem Angeklagten Wohlleben vor.
Der Verhandlungstag endet um 13:52 Uhr.
Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.
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