„Die Zschäpe findet man in der Ausstellung gar nicht. Das ist kein Zufall.“

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Die Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ wurde in den Jahren 2012 und 2013 von Birgit Mair im Auftrag des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) e.V. erstellt. Seitdem war sie schon in vielen Städten Deutschlands zu sehen. Am 8. März 2017 wird es zunächst einen Vortrag zu aktuellen Entwicklungen im NSU-Komplex mit Birgit Mair in Berlin im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma geben. Danach ist die Ausstellung dort vom 9. März bis 5. Mai 2017 zu sehen. Caro Keller sprach für NSU-Watch mit Birgit Mair.

NSU-Watch: Was war der Anlass für Sie, diese Ausstellung zu den Opfern des NSU zu gestalten?

Mair: Ich lebe hier in Nürnberg, wo drei Menschen vom NSU ermordet wurden. Damit war ich hier schnell im Thema drin, auch deswegen, weil ich bundesweit Presseanfragen bekommen habe, Ende 2011, Anfang 2012. Die Fragestellungen waren damals: Wer waren die Helfer vor Ort? Die Journalisten wollten natürlich auch wissen, wo ist das passiert in Nürnberg und das hatte ich dann relativ schnell recherchiert, weil ich mir einfach selber gleich die Tatorte angeguckt habe. Das war dann so eine Interaktion, dass ich über die bundesweiten Presseanfragen immer weiter in das Thema reingekommen bin.
Den richtigen Anstoß, diese Ausstellung zu machen, hat mir die Teilnahme an der Tagung ‚Das Schweigen im Lande‘ gegeben. Die Tagung war im Juni oder Juli 2012 in Berlin zum Thema: Warum gibt es eigentlich so wenig Berichterstattung zu dem Thema, warum ist der Mantel des Schweigens hier ausgebreitet? Das hat mich in meiner Wahrnehmung bestätigt, weil ich auch die Presseberichterstattung gesammelt hatte in den Monaten seit November 2011 und festgestellt hatte, es gibt ja so gut wie überhaupt nichts über die Opfer. Dann habe ich mir gedacht, da muss man jetzt eigentlich mal die Opferperspektive in den Mittelpunkt rücken. Durch die Ausstellung ist zumindest diese Opferperspektive relativ regelmäßig in den Medien, weil überall dort, wo die Ausstellung präsentiert wird, es auch in der Regel eine Berichterstattung dazu gibt.

NSU-Watch: Wie ist die Ausstellung inhaltlich aufgebaut und ausgerichtet?

Mair: Es ist ganz klar eine Opfer-Ausstellung, das heißt, wir haben den Ermordeten jeweils eine Tafel gewidmet. Es sind insgesamt 22 Tafeln, also ist die Hälfte der Ausstellung mit den Opfern gefüllt. Wichtig war mir auch, dass ich nicht irgendetwas schreibe über die Ermordeten, was teilweise in den Medien grassiert oder was auf den Verdächtigungen in den Polizeiakten basierte. Sondern ich habe es tatsächlich geschafft, über die Anwälte Kontakt zu den Angehörigen aufzunehmen und diese Texte, die Kurzbiografien der Ermordeten, mit den Familien abzusprechen. Das war mir natürlich extrem wichtig. Es war mir auch wichtig, Fotomaterial zu bekommen aus den privaten Fotoalben der Familien und auch das ist gelungen. Wir haben tatsächlich von jedem der Ermordeten ein privates Foto und nicht diese schrecklichen Passfotos, die in den 2000ern in der Presse kursierten.
Die Ausstellung soll einfach eine klassische Aufklärungsarbeit machen. Betroffenheit erzeugen über die Darstellung der Ermordeten und eben viele Leute erreichen. Das kann man mit einer Ausstellung besser machen als wenn man einen Vortrag hält, wo dann sowieso immer die Interessierten kommen. Aber wenn die Ausstellung zum Beispiel im Rathaus steht, der Stadtbücherei oder in der Volkshochschule, dann gucken sie sich auch Leute an, die gar nicht geplant hatten, sich die Ausstellung anzugucken. Ich glaube, das ist auch durchaus schon erreicht worden, hier eine große Betroffenheit zu erzeugen und ein Verstehen dessen, wozu Nazis fähig sind.

NSU-Watch: Wie ist die Resonanz auf die Ausstellung, was sind die Reaktionen?

Mair: Die Resonanz, rein von den Buchungen her, die finde ich ehrlich gesagt überwältigend, damit habe ich gar nicht gerechnet. Die Ausstellung wurde seit November 2013 bis jetzt 120 Mal gezeigt. Auch dieses Jahr gibt es schon zehn Buchungen bisher, die schon fest sind. Das heißt, wir kommen dann mit diesem Jahr auf insgesamt mehr als 130 Präsentationen.
Was ich auch sehr gut finde, ist dieser Multiplikatorenfaktor über die Schülercoachausbildungen, die wir anbieten und die auch immer noch gebucht werden. Die Schüler lernen da, wie sie Gruppen durch die Ausstellung führen. Da kann man nochmal intensiver in das Thema eintauchen. Dann werden die ganzen kritischen Fragen noch einmal besprochen, die ja der ganze Themenkomplex nach sich zieht, die in der Ausstellung auch angesprochen sind, aber natürlich nicht im Detail. Also Verfassungsschutz, rassistische Ermittlungen der Polizei, Behörden und so weiter. Da müssen die alle gut Butter bei die Fische haben, damit sie dann eine Führung entsprechend machen können.

NSU-Watch: Welcher Teil der Ausstellung sorgt für besonders viele Reaktionen, was ist für die Besucher_innen überraschend?

Mair: Was immer wieder geäußert worden ist, wenn man das dann so darlegt, wie das von Jahr zu Jahr gelaufen ist, wieder ist jemand ermordet wurden und wieder haben die Ermittler organisierte Kriminalität angenommen… Letztens Endes ist es dann immer wieder dieses Erstaunen, dass die Schüler wirklich sagen, aber das ist doch klar, wenn hier jemand ermordet wird, der türkischen Hintergrund hat und dann wieder einer, das ist doch logisch, dass das Nazis gewesen sein müssen, wie kommen die da drauf, da gar nicht dran zu denken. Also das ist das, was ziemlich klar geäußert wird. Dann, wenn man berichtet über die Schredderaktionen im November 2011, da schütteln die auch den Kopf und sagen, das kann doch gar nicht sein. Letzten Endes leuchtet dann wirklich jedem ein, dass das V-Leute-System bei Nazis totaler Schrott ist. Da gibt es auch niemanden mehr, der da diskutiert, der sagt, wir bräuchten das. Wenn man das ein bisschen darlegt, leuchtet das wirklich jedem ein, auch den Leuten in den Veranstaltungen, dass es eine Katastrophe ist, dass es so weiter geht.
Was mich teilweise ein bisschen nervt bei den öffentlichen Veranstaltungen, wo eben auch Erwachsene kommen, die sich mit dem Thema etwas mehr beschäftigt haben, es sind immer wieder diese Verschwörergeschichten, die dann kommen. Also zum Beispiel, die Uwes hätten sich nicht selber umgebracht. Es sind auch viele Leute, die Schorlau gelesen haben. Da wird viel Verschwörergedöns weitergetragen. Da winke ich dann ab, weil ich weiß, dass die im Schorlau-Buch dargelegten Fakten teilweise einfach nicht stimmen.

NSU-Watch: Gibt es Reaktionen aus der Neonazi-Szene?

Mair: Also die Ausstellung wurde erst einmal ignoriert. Das erste Mal wahrgenommen wurde sie dann, als die Technische Universität Chemnitz ihre Räume nicht zu Verfügung stellen wollte. Das haben die Neonazis vom Dritten Weg dann gepostet. Es gab auch schon zuvor, in Berlin-Buch, erinnere ich mich, da haben sich ein Dutzend Neonazis vor der Ausstellung aufgebaut, während ich den Vortrag gehalten habe. Die haben da versucht, ein Drohszenario zu entfalten. In Rostock flog mal ein Stein durchs Rathausfenster, als ich gerade den Vortrag hielt. Interessanterweise fand man in der Polizeipressemitteilung, in der Zeugen gesucht wurden, keinen Zusammenhang zur Ausstellungseröffnung oder zur Ausstellung. Das hat mich sehr irritiert, weil da ja sicher nicht jeden Tag ein Stein durchs Fenster fliegt.
Das Krasseste, was eigentlich passiert ist, war in Aschersleben (Sachsen-Anhalt), in der Polizeihochschule, da war ich eingeladen zum Vortrag zur Ausstellungseröffnung. Da habe ich mir wie immer die Ausstellung erst einmal angeguckt, ob alles in Ordnung ist, ob sie richtig hängt und so weiter. Dann sehe ich auf einer der Tafeln ein Hakenkreuz, ein ziemlich großes. Auf der Tafel mit der Chronologie stand geschrieben. ‚Es lebe die NSU‚. Derjenige, der mich da eingeladen hatte, der Leiter der Akademie, war natürlich auch aus dem Häuschen.
Letzten Endes sind sie von sich aus an die Öffentlichkeit gegangen, weil man das ja nicht einfach ignorieren kann. Der springende Punkt ist: Außer den Angestellten und den Polizeiakademie-Studenten hat da niemand Zugang. Ich musste mich ja selbst über den Pförtner anmelden. Da gab es ein Tor mit Pforte, das war kein offenes Haus. Ich sollte dann meine Fingerabdrücke abgeben, um auszuschließen, dass der Stift, den man angeblich gefunden hat, von mir ist. Letzten Endes haben sie herausgefunden, es war nicht mein Stift. Das wusste ich auch selber. Danach sind die Ermittlungen eingestellt worden.
Der Hammer war ja auch, keiner wusste, wie lange das da schon prangte, die Ausstellung war ja in dem Foyer-Bereich, wo sich ja auch Leute aufgehalten haben, und ich als Ausstellungsmacherin komme hin und mir fällt das auf. Das heißt vorher hat sich niemand die Ausstellung angeguckt oder es ist erst kurz vorher da darauf gesprüht worden.

NSU-Watch: Was steht in der nächsten Zeit für die Ausstellung an?

Mair: Es ist eine Erweiterung geplant. Sollte der NSU-Prozess zu Ende gehen, dann werden wir auf jeden Fall noch eine Tafel zu dem Prozess machen. Und eine Zwischenbilanz mit den offenen Fragen. Aber die Zschäpe findet man in der Ausstellung gar nicht und das ist auch kein Zufall. Das hat nicht daran gelegen, dass wir kein Foto von ihr gehabt hätten. Das war eine bewusste Wahl. Auch das Bekennervideo und weitere Nazipropaganda ist in der Ausstellung nicht zu finden. Weil es ja auch eine Einengung gewesen wäre und auch immer noch ist. Wir wissen und ahnen ja, dass das Netzwerk der Helfenden, der Zuträger wesentlich größer war aber eben die staatliche Verfolgung nicht entsprechend anderer Terrorfälle ist.