Kurz-Protokoll 355. Verhandlungstag – 30. März 2017

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An diesem Prozesstag stellt zunächst Zschäpe-Verteidiger RA Grasel den Antrag, ein Sachverständigengutachten zu einer verminderten Schuldfähigkeit Beate Zschäpes einzuholen und Prof. Dr. Joachim Bauer als Sachverständigen dazu zu bestellen. Im Anschluss geht es erneut um Anträge der Verteidigung Wohlleben zum Mord an Michèle Kiesewetter. Ein Ablehnungsgesuch gegen Teile des Senats durch die Verteidigung Wohlleben führt dann zum Ende des Verhandlungstages.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:45 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung erhält Zschäpe-Verteidiger RA Grasel das Wort. Grasel verliest den Antrag, zum Beweis der Tatsache, dass bei sämtlichen angeklagten Tatzeitpunkten bei Frau Zschäpe eine schwere dependente Persönlichkeitsstörung in einem solchen Ausmaß vorgelegen habe, dass die Voraussetzungen des in § 20 StGB genannten vierten Eingangsmerkmals – schwere andere seelische Abartigkeit – jeweils erfüllt waren, mit der Folge, dass auch die Voraussetzungen des § 21 StGB [verminderte Schuldfähigkeit]zu bejahen sind, ein Sachverständigengutachten einzuholen und Prof. Dr. Joachim Bauer als SV zu bestellen. Zur Begründung führt er aus:
Frau Zschäpe hat sich in insgesamt sechs Gesprächen mit einem zeitlichen Umfang von ca. 12 Stunden von Herrn Prof. Dr. Bauer explorieren lassen. Im Rahmen der Exploration hat Frau Zschäpe zusätzliche Angaben zu ihrem persönlichen Werdegang gemacht, die in ihren bisherigen Stellungnahmen noch nicht vorgetragen wurden, so zum Beispiel Einzelheiten über das Zusammenleben mit ihrer Mutter und weitere Einzelheiten über ihr Verhältnis zu und dem Zusammenleben mit Uwe Böhnhardt. Der Sachverständige wird aufgrund der umfassenden Exploration Angaben dazu machen, dass bei Frau Zschäpe eine schwere dependente Persönlichkeitsstörung vorgelegen hat, welche bei zusätzlicher Betrachtung von fortgesetzten schweren körperlichen Misshandlungen durch Uwe Böhnhardt, welche bislang noch nicht in ihren Stellungnahmen erwähnt wurden, das positive Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB als gegeben erscheinen lassen. Herr Prof. Dr. Bauer hat ein 48-seitiges schriftliches Gutachten verfasst, welches im Anschluss an die Gutachtenserstattung zu den Akten gereicht werden kann. Frau Zschäpe wird Herrn Prof. Dr. Bauer von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbinden, so dass dieser sich sachverständig zur Frage der Schuldfähigkeit wird äußern können.

Götzl: „Sind Stellungnahmen?“ NK-Vertreterin RAin Dierbach: „Ich meine, dass der Antrag abzulehnen ist, weil das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist. Es ist nicht dargetan und nicht ersichtlich, warum ein weiteres Gutachten hier nötig sein sollte.“ Prof. Saß sei nicht ungeeignet, so Dierbach, noch verfüge Prof. Bauer über überlegene Forschungsmittel. Bauer sei ja noch nicht einmal forensischer Psychiater. Warum Bauer über Forschungsmittel verfügen soll, die Prof. Saß nicht hat, sei nicht dargetan und auch nicht naheliegend. Zschäpe hätte, so Dierbach, das hier auch berichten können. Dass Zschäpe nur mit Bauer geredet hat und nicht mit Saß, führe nicht zu überlegenen Mitteln, zum Anderen sei das auch in Relation zu setzen zu dem, was hier in der Hauptverhandlung stattgefunden hat. Faktisch verfüge Bauer eher über unterlegene Erkenntnisquellen.
Grasel: „Ich denke, es darf nicht verkannt werden, dass Prof. Bauer 12 Stunden Exploration betrieben hat. Das geht sicherlich über die Erkenntnismöglichkeiten von Prof. Saß hinaus. Außerdem ist Prof. Bauer Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für psychosomatische Medizin.“ Man könne Bauer nicht die Eignung absprechen, so Grasel. Dierbach: „Ich meine nicht, dass er nicht qualifiziert ist, aber er ist kein forensischer Psychiater. Er mag über den Inhalt seiner Exploration vernommen werden, aber das ist etwas anderes als ein neues psychiatrisches Gutachten.“ Wenn, dann müsse dies in Anwesenheit von Saß passieren, der dann sein Gutachten ergänzen müsse, so Dierbach weiter.

Dann erwidert Schneiders auf die Stellungnahme des GBA vom 354. Verhandlungstag zum Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben vom 353. Verhandlungstag. Die Stellungnahme des GBA unterlasse bewusst die Erwähnung der Zeugenvernehmung von RAin Ricarda La. am 20.03.2017 vor dem UA Baden-Württemberg, so Schneiders. La. habe dort angegeben, eine Kontaktperson habe ihr berichtet, es sei am 25.04.2007 auf der Theresienwiese um ein Waffengeschäft gegangen. La. habe vor Gericht ein Mitglied der islamistischen „Sauerlandgruppe“ verteidigt, die Terroranschläge in Deutschland verüben wollte. Sie habe sich selbst als Zeugin beim UA gemeldet. Nach Angaben von La.s Kontaktperson sei, so Schneiders weiter, am Tag der Ermordung Kiesewetters ein Türke in Heilbronn gewesen, der sowohl für den türkischen Geheimdienst MIT als auch für den amerikanischen Geheimdienst CIA gearbeitet habe, letzterer sei auch selbst vor Ort gewesen. RAin La. habe erklärte, sie habe aus diesen Angaben geschlossen, dass es sich bei dem Türken um Mevlüt Ka. gehandelt habe, der der „Sauerlandgruppe“ Zünder geliefert haben solle.
Schneiders: „Zuletzt war der Ausschuss nach diversen Zeugenbefragungen davon ausgegangen, dass Mevlüt Ka. am 25.04.2007 nicht in Heilbronn gewesen sein konnte. Rechtsanwältin La. weigerte sich, dem Ausschuss den Namen ihrer Kontaktperson zu nennen, aus Sicherheitsgründen, wie sie sagte.“ Die vom GBA vorgelegte Stellungnahme des Rechtsattachés Stuart P. Wirtz vom 15.12.2012 verhalte sich, so Schneiders, lediglich dazu, dass das FBI zu keiner Zeit in Deutschland ohne Übereinstimmung mit seinen deutschen Partnern operativ tätig gewesen sei. Dazu, ob die Operation in Übereinstimmung mit den deutschen Partnern oder von der CIA oder einem anderen US-Dienst erfolgt sei, verhalte sich die Stellungnahme nicht. Im Stern-Artikel sei etwa auch angeführt worden, dass Mitarbeiter des LfV Baden-Württemberg in die amerikanische Observation involviert gewesen seien.
OStAin Greger: „Nur ganz kurz: Wir werden ausführlich dazu Stellung nehmen, aber auch diese ganzen Unterlagen und Erkenntnisse sind natürlich mit Ausnahme von Ricarda La. nicht neu, wurden als Hinweise abgearbeitet. Ist alles abgeklärt.“

Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath und später RA Klemke verlesen einen Befangenheitsantrag gegen Richter Kuchenbauer, Richterin Odersky und Richter Prechsl.
Über die Ablehnungsgesuche vom 08.03.2017 und 20.03.2017 hätten die abgelehnten Richter nicht einheitlich entscheiden dürfen, weil sie damit dem Angeklagten Wohlleben in Bezug auf seine Ablehnung des Vorsitzenden vom 08.03.17 den gesetzlichen Richter, nämlich Richter am OLG Dr. Lang, entzogen haben. Die abgelehnten Richter hätten zunächst über die Ablehnungsgesuche vom 20.03.17 und 21.03.17 gegen den Vorsitzenden und Dr. Lang entscheiden müssen. Danach hätte der Senat unter Mitwirkung der nunmehr abgelehnten Richter Dr. Kuchenbauer und Odersky sowie Dr. Lang über das Gesuch gegen den Vorsitzenden vom 08.03.17 befinden müssen. Dr. Lang war zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden vom 08.03.17 berufen. Die Zuständigkeit von Dr. Lang entfiel nicht etwa deshalb, weil nunmehr auch gegen ihn nachträglich ein Ablehnungsgesuch angebracht wurde. Es spielt auch keine Rolle, dass die gegen Herrn Dr. Lang angebrachten Ablehnungsgründe sich auf dieselbe Verfügung des Vorsitzenden beziehen, wegen der der Vorsitzende am 08.03.17 abgelehnt wurde.

Götzl: „Dann wird rechtliches Gehör zum Ablehnungsgesuch gegeben.“ Diemer: „Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Verteidigung Wohlleben das Ablehnungsrecht mit dem Beschwerderecht verwechselt.“ Diemer sagt, es komme von Seiten des GBA auch noch detaillierter etwas zu dem Ablehnungsgesuch. Der Verhandlungstag endet um 12:03 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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