Protokoll 358. Verhandlungstag – 25. April 2017

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Dieser Prozesstag beginnt mit Stellungnahmen der Bundesanwaltschaft zum Beweisantrag der Verteidigung von Ralf Wohlleben, zahlreiche Zeugen zur Entlastung von Wohlleben in den Prozess zu laden. Dieser Antrag sei abzulehnen. Später verkündet Götzl den Beschluss, dass die Anträge aus der Nebenklage zum Anschlag in der Kölner Keupstraße abgelehnt werden. Zum Ende des Verhandlungstages verliest Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm den Antrag, Prof. Dr. Pedro Faustmann von der Ruhr-Universität-Bochum als selbst geladenen Sachverständigen zu hören.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:49 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Zunächst mal die Mitteilung, dass beabsichtigt ist, das Schreiben des Generalbundesanwalts, 11.04.2017, Ordner 660, Blatt 24162 und des weiteren das Email-Schreiben des BKA, 12.10.2012, SAO 660, Blatt 24163 bis 24164 gemäß 253 StPO zu verlesen. Stellungnahmen?“ Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Hinsichtlich des Schreibens BKAGBA, 11.04.2017.“ Götzl verliest das Schreiben von OStAin Greger und OStA Weingarten an das Gericht. In dem Schreiben geht es darum, dass hiermit auf Anforderung des Gerichts das Schreiben des BKA357. Verhandlungstag] abzulehnen, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung seien. Die Verteidigung Wohlleben habe die Einvernahmen von acht Zeugen beantragt, in deren Wissen 66 Beweisbehauptungen, je nach Zählweise zumindest 69 einzelne Sachverhalte gestellt würden. Die Verteidigung habe bereits am 16.02.2017 [348. Verhandlungstag] das Ziel verfolgt, dem Senat zweierlei nahezubringen, zum einen, dass es dem Angeklagten Wohlleben nicht möglich gewesen sei, zu erkennen, dass Böhnhardt und Mundlos die Mordtaten begehen würden, und zum anderen, dass sich Wohlleben stets gegen Gewalt ausgesprochen habe. Infolge der Ablehnung dieser Anträge vom 07.03.2017 [351. Verhandlungstag] wollten die Antragsteller dieses Beweisziel nunmehr durch eine technisch-inhaltliche Konkretisierung der ursprünglichen Anträge erreichen. Dies sei nicht zu kritisieren, es sei eine vom Gesetzgeber durchaus intendierte Möglichkeit; gleichwohl müsse der Verteidigung Wohlleben der Erfolg erneut versagt bleiben.

Die Verteidigung Wohlleben möge zur Kenntnis nehmen, so Weingarten weiter, dass eine Strategie, die darauf abziele, reihenweise Leumundszeugen zu benennen, keinen Erfolg haben könne, wenn sie fern des verfahrensgegenständlichen Lebenssachverhalts [phon.] seien. Zeugenwahrnehmungen könnten materiell dann keinen Einfluss haben, wenn sie sich nicht spezifisch auf den gegen Wohlleben erhobenen Vorwurf beziehen, sondern nur ganz allgemein auf dessen Person. Die entscheidenden Fragen, ob Wohlleben mit der Begehung ideologisch motivierter Morde gerechnet hat, und mit welcher Motivation [phon.] er die angeklagte Beihilfehandlung möglicherweise vorgenommen hat, könnten nur durch dessen innere Einstellung erklärt werden [phon.]. Was andere Personen gewusst, gewollt oder geschlussfolgert haben wollen, sei dabei prinzipiell bedeutungslos. Es sei nur dann relevant, wenn es Rückschlüsse auf kognitive Prozesse des Angeklagten Wohlleben selbst zulasse. Die in dem Antrag unter Beweis gestellten Wahrnehmungen und Einschätzungen von Zeugen ließen Rückschlüsse auf Erkenntnis-, Willensbildungs- und Motivbildungsprozesse des Angeklagten Wohlleben gerade nicht zu. Insofern seien bspw. die folgenden unter Beweis gestellten Hilfstatsachen von vornherein nicht geeignet, irgendwelche Schlüsse zu Wohlleben zu generieren:

Soweit etwa als erwiesen unterstellt werde, dass einige der benannten Zeugen Ende der 90er der rechten Szene angehörten, sie mit Wohlleben befreundet oder gut bekannt waren, mit ihm regelmäßig Kontakt hatten, einige auch zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Bekanntschaften unterhalten hatten, zwei bei der Verhandlung gegen Roeder zugegen waren, überrascht gewesen sei, als Wohlleben ihm 2010 den Austritt aus der überreicht hat, stünden diese Tatsachen für sich genommen kaum überhaupt noch in einem Zusammenhang zur Anklage. Es handele sich vielmehr bei diesen Beweistatsachen um eine beliebige Zusammenstellung von Lebensumständen, die im Hinblick auf das Beweisziel ohne jede Aussagekraft und daher ohne Belang seien. Dass etwa das politische Ziel des ein „souveränes Deutschland“ gewesen sei, dass das Thema Waffen in Jena ein Tabuthema gewesen sei, dass Wohlleben für ein „“ eingetreten sei, vermöge den erkennenden Senat schlichtweg nicht zu Schlüssen veranlassen, die sich auf die innere Tatseite [phon.] des Angeklagten Wohllebens beziehen, die dessen Handeln zum Zeitpunkt der Beschaffung einer Schalldämpferpistole bestimmt hat. Es handele sich erneut durchweg um vorsatz- und tatzweckneutrale Umstände.

Jedenfalls werde der Senat aus allgemeinpolitischen Äußerungen Wohllebens, etwa zum Zusammenleben der europäischen Völker, ebenso wenig Schlüsse ziehen wollen, wie daraus, dass laut das Thema Waffen in der Szene in Jena gar ein Tabuthema gewesen seien. Dasselbe gelte in Bezug auf unter Beweis gestellte Äußerungen Wohllebens zu Ausländern oder darauf, dass das „gezielte Töten“ von Ausländern nicht zur Strategie des NWJ gehört habe, Wohlleben überhaupt Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung abgelehnt habe und vom Zeugen als „friedvolle Person“ beschrieben worden sei. Weingarten geht auf weitere im Antrag genannte Beweistatsachen ein und sagt dann, es handele sich um behauptete Tatsachen, die, ihr Erwiesensein unterstellt, nicht zu zwingenden Schlüssen hinsichtlich der inneren Tatseite des Angeklagten Wohlleben führten. Der Senat werde den Schluss nicht ziehen wollen, dass der Angeklagte nicht mit Vorsatz gehandelt hat. Denn alle diese Äußerungen seien ersichtlich in einem zumindest halböffentlichen Kreis von Personen gefallen, die gerade nicht zu dem kleinen Zirkel von eingeweihten Unterstützern zählten. Es liege auf der Hand, dass Wohlleben mit diesen Zeugen gerade nicht diejenigen Gründe geteilt habe, aufgrund deren er Böhnhardt und Mundlos eine Schalldämpferpistole nebst Munition zu liefern bereit gewesen sei. Gerade weil die benannten Zeugen nach dem Stand der Beweisaufnahme keine Kenntnis davon gehabt hätten, dass Wohlleben in die Waffenbeschaffung verstrickt war oder sein würde, und sich das auch „irgendwie gar nicht vorstellen“ könnten, sei es nicht möglich von irgendwelchen Vorstellungen der benannten Zeugen auf das Motivbild bei der Beihilfehandlung zu schließen.

Sämtliche Einschätzungen stammten von objektiv bewertungsinkompetenten Zeugen, denen die vollständige Tatsachenlage eben gerade fehle, so Weingarten. Die „objektive Unbrauchbarkeit derartiger Fremdeinschätzungen“ über Wissen und Wollen Wohllebens zeige sich schon daran, dass wesentliche unter Beweis gestellte Bewertungen der Zeugen durch die Äußerungen Wohllebens selbst konterkariert würden. Weingarten: „Was soll man mit Oe. und [Rick] We. anfangen?“ We. könne sich dem Beweisantrag zufolge nicht vorstellen, dass der Angeklagte eine Beihilfehandlung aus ausländerfeindlichen Motiven vorgenommen hat. Wie unbehelflich solcherlei Einschätzungen für die richterliche Überzeugungsbildung seien, zeige sich daran, dass der Angeklagte selbst eingeräumt hat, an der Lieferung einer Waffe an Mundlos und Böhnhardt beteiligt gewesen zu sein. Diese Einlassung habe zur Folge, dass er objektiv und entgegen des Vorstellungsvermögens der Zeugen sehr wohl mit diesen Taten zu tun gehabt habe. Der Beweisantrag selbst sei der beste Beleg dafür, dass auf die Zeugen nichts gestützt werden könne, weil die Zeugen nur das bewerten könnten, was Wohlleben ihnen gegenüber zugegeben habe. So werde in das Wissen des Zeugen We. gestellt, Wohlleben habe ihm gegenüber angegeben, er wisse nicht, wo sich die Drei aufhalten. Nach der Einlassung von Wohlleben selbst habe er aber nicht nur im Jahr 2000 fernmündlich Kontakt zu Mundlos und Böhnhardt gehalten, sondern zusätzlich gewusst, dass die Waffe von Schultze transportiert wird. Zudem habe Wohlleben alle Untergetauchten persönlich getroffen. Die als erwiesen unterstellte Äußerung gegenüber We., dass er nicht wisse, wo die Drei sich aufhalten, habe sich damit bereits als Lüge erwiesen.

Auch eine Gesamtschau aller unter Beweis gestellten Einzeltatsachen ändere daran nichts, so Weingarten. Alle behaupteten tatzeitnahen Angaben Wohllebens seien doch schon allein deshalb nur Schall und Rauch, weil er sich eben doch an der Lieferung einer Waffe mit Schalldämpfer beteiligt und seine Unterstützungstätigkeit verheimlicht hat. Auf die Frage, was er sich bei der Lieferung der Waffe konkret gedacht hat, könne sich der Umstand, dass Wohlleben sich gegenüber Dritten als friedvoll und friedliebend geriert habe, daher nicht auswirken, weil er sich diesen Zeugen ggü. gerade nicht aufrichtig geäußert habe. Soweit noch unter Beweis gestellt sei, dass Robert und Volker He. bei Mundlos und Böhnhardt nicht darauf geschlossen hätten, dass diese schwerste Straftaten planten, werde der Senat auch keine Schlüsse ziehen wollen. Weingarten verweist auf eine seiner früheren Stellungnahmen. Dann sagt er, es komme darauf an, was die Angeklagten gedacht haben, nicht darauf, was Dritte gedacht haben.

Götzl: „Und zum Beweisantrag Stichwort Zeuge [Maik] We.?“ Auch zu diesem Antrag nimmt Weingarten Stellung und beantragt, ihn wegen Bedeutungslosigkeit abzulehnen. Aus der von den Verteidigern Wohllebens unter Beweis gestellten Tatsache, dass We. im Jahr 2007 ein Beamter vom K1 der KPI Saalfeld mitgeteilt habe, dass eine Zusammenhang zwischen dem Mord an Michèle Kiesewetter und den sogenannten „Türkenmorden“ bestehen könnte, werde der Senat keine Schlüsse ziehen wollen. Der Antrag enthalte keinerlei Tatsachen oder Hilfstatsachen, die einen Erkenntnisgewinn vermitteln könnten. Der Umstand, dass We. von einem Unkundigen gehört habe, dass es einen Zusammenhang geben könnte, sei lediglich zu belegen geeignet, dass We. 2007 eben von einer solchen Spekulation gehört hat, deren Hintergründe dem Zeugen aber nicht bekannt seien. Dass dies irgendeinen Einfluss auf die richterliche Überzeugungsbildung haben könnte, sei nicht ersichtlich. Die „durch Kolportage genährten Vermutungen“ im Antrag der Verteidigung Wohlleben würden auch gemäß § 244 Absatz 2 StPO keinen Anlass zu gerichtlichen Maßnahmen geben, so Weingarten. Die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos bei der Ermordung von Kiesewetter und versuchten Ermordung von [Martin] A. stehe außer Zweifel.

Weingarten verweist auf die Blutspuren Kiesewetters an einer Jogginghose von Mundlos. Dann verweist er darauf, dass die Tatwaffen im Brandschutt in der sichergestellt wurden, dass dort ein Großteil der entwendeten Ausrüstungsgegenstände gefunden wurde – Handschließen, Reizstoffsprühgerät und Multifunktionswerkzeug -, dass Mundlos und Böhnhardt bei der Fahrt zu ihrer letzten Tat die beiden Dienstwaffen der Beamten mit sich führten. Außerdem verweist Weingarten auf den Datenträger EDV11 in der Frühlingsstraße, auf dem in der im November 2007 angelegten Datei „Aktion Polizeipistole“ 11 Fotos der Dienstwaffe von A. gefunden wurden. Dann verweist er darauf, dass das von Böhnhardt und Mundlos unter dem Namen Holger Gerlach angemietete Wohnmobil 30 Minuten nach der Tat in einer 21 km vom Tatort entfernten Kontrollstelle festgestellt wurde. Vor allem aber hätten sie sich selbst bekannt, so Weingarten. Er verweist darauf, dass im Selbstbezichtigungsvideo schon zu Beginn beim Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse ein Polizistenmord thematisiert wird, indem die Hand von „Paulchen Panther“ erscheint, wie sie einem Einsatzbeamten in den Kopf schießt. Explizit nehme der Film auf die Tat in Heilbronn Bezug. Weingarten verweist diesbezüglich auf das letzte Standbild, einen Zusammenschnitt von vier aus Fernsehsendungen entnommenen Bildern, zwei Bilder von der Beerdigung Kiesewetters. Weingarten: „Zentral über allem prangt – einer Trophäe gleich – die Dienstwaffe von Martin A., deren Seriennummer deutlich erkennbar ist.“ Die Spekulation des Zeugen zu einer Verantwortlichkeit russischer oder georgischer OK-Täter könne genauso wenig Anlass zu gerichtlicher Erhellung der Hintergründe der Aussagen von We. geben wie die „kryptisch-merkwürdigen Andeutungen der Antragsteller zu Ermittlungsfehlern im Übrigen“, schließt Weingarten.

Götzl spricht ein Schreiben der NK-Vertreter_innen Bliwier, Dierbach, Kienzle und Top an: „Da geht es um das Selbstladungsrecht. Eine Vorabstellungnahme des Senats ist nicht vorgesehen zu Rechtsfragen. Hinweise habe ich letztes Mal schon gegeben. Soll dazu Stellung genommen werden?“ [Es geht um die Frage, ob Eyal Weizman von Forensic Architecture als SV gehört wird oder nicht.] RAin Dierbach: „Ich weiß es natürlich, dass das nicht üblich ist. Nur angesichts der Kosten, die so eine Art von Ladung auslöst, bitten wir schon darum. Sie haben Recht, es ist nicht vorgesehen, aber es ist auch nicht unzulässig nach der StPO. Es kann ja nicht sein, dass wir jemanden aus London anreisen lassen und dann wird der nicht vernommen aufgrund eines mangelnden Selbstladerechts. Wir haben deshalb nochmal Stellung genommen, um diesen Bedenken Rechnung zu tragen.“ Bundesanwalt Diemer: „Ich sehe auch nicht veranlasst, dass der Senat ohne jeden Antrag oder Anlass eine Rechtsexpertise abgibt. Das ist im Selbstladerecht angelegt und im präsenten Beweismittel, dass es einfach auf Risiko des Ladenden, dessen geht, der das prozessual betreiben will. Und dann wird sich zeigen, ob es zulässig ist oder nicht.“

Dierbach: „Ich erwarte kein Rechtsgutachten vom Senat, aber ich meine: Wir spielen doch nicht Lotto. Das ist eine ernsthafte Veranstaltung hier. Wenn es an der Ecke schon anfängt! Denn normalerweise hat der Selbstladende, in der Regel der Verteidiger, ein solches Recht, so dass die Vernehmung eines präsenten Zeugen nicht daran scheitert, dass das Selbstladungsrecht verneint wird. Und insofern gebietet es die Situation hier. Wenn der Senat der Meinung ist, ein solches Selbstladungsrecht besteht nicht, dann kann man damit umgehen. Ich verstehe nicht, in wessen Interesse das sein soll: ‚Laden Sie mal und dann sehen wir mal!‘ Und zwar vorgeschaltet der Frage [phon.]: Ist ein solcher selbstgeladener Sachverständiger überhaupt ‚präsent‘ im Sinne des 245? Das ist nicht nur sinnvoll, sondern geboten. Und das ist ganz weit weg von einer Expertise.“

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass die Anträge aus der NK zum Anschlag in der Kölner Keupstraße vom 351. Verhandlungstag abgelehnt werden, weil sie für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung seien. Götzl macht zunächst sie üblichen Ausführungen zur Bedeutungslosigkeit einer unter Beweis gestellten Indiz- oder Hilfstatsache aus tatsächlichen Gründen. Dann geht er unter II. zur konkreten Begründung der Ablehnung über:
1. Die unter Beweis gestellten und im Rahmen dieser Prüfung als erwiesen unterstellten Tatsachen belegen grob zusammengefasst, dass, wann und wie Verschiedene deutsche Behörden, der jeweilige Verfasser der bezeichneten Schriftstücke, der damalige Landesinnenminister von Nordrhein-Westfalen und der damalige Bundesinnenminister den Hintergrund des Anschlags in der Keupstraße in Köln eingeschätzt haben.
2. Die im Tenor aufgeführten und unter Beweis gestellten Umständen sind für die Entscheidung jedoch tatsächlich ohne Bedeutung:

a. Es ist nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen, dass die unter Beweis gestellten und im Rahmen dieser Prüfung als erwiesen unterstellten Umstände einzeln oder in ihrer Gesamtheit einen von den Antragstellern als mittelbar bezeichneten Schaden bei den Personen in der Keupstraße kausal verursachten oder wenigstens kausal mitverursachten.
b. Die Antragssteller sehen die tatsächliche Bedeutung der unter Beweis gestellten Umstände einerseits darin, dass die vom Anschlag betroffenen Personen nicht nur unter den unmittelbaren Folgen der Tat vom 09.06.2004 zu leiden hätten. Aufgrund der gegen sie selbst gerichteten Ermittlungen sowie aufgrund der durch staatliche Stellen verursachten Presseberichterstattung, die die „organisierte Kriminalität“ als Urheber des Anschlags verdächtigten, hätten die betroffenen Personen mittelbar erhebliche psychische Leiden und auch finanzielle Verluste erlitten. Die beantragte Beweisaufnahme würde demnach ergeben, dass diese mittelbaren Folgen nicht auf dem Anschlag als solchem, sondern auf der Behandlung der betroffenen Personen durch Polizei, durch andere staatliche Behörden und durch die Öffentlichkeit beruhen würden. Es erschließt sich dem Senat jedoch nicht, dass die konkret unter Beweis gestellten Umstände belegen würden, die als mittelbar bezeichneten Schäden würden auf der Behandlung der betroffenen Personen durch Polizei, durch andere staatliche Behörden und durch die Öffentlichkeit beruhen. Dass die als erwiesen unterstellten Tatsachen – also beispielsweise Betreffzeilen von Lageberichten, Weisungen des Innenministeriums, Einschätzungen in OFA-Berichten und Äußerungen eines Ministers – ursächlich oder wenigstens mitursächlich für einen mittelbaren Schadenseintritt waren, ist ein Beweisziel der Antragsteller. Die bloßen Umstände – und nur diese sind unter Beweis gestellt -, dass Polizei, andere staatliche Behörden oder die Öffentlichkeit in der bezeichneten Weise agierten, belegen aber nicht, dass auf diesem Verhalten ein mittelbarer Schaden beruht.

c. Andererseits sehen die Antragsteller die tatsächliche Bedeutung der unter Beweis gestellten Umstände darin, die Behörden hätten jedenfalls von Anfang an erkennen können, dass es sich bei dem Anschlag um einen mit hoher Wahrscheinlichkeit „rassistischen Terrorakt“ gehandelt habe. Die Ermittlungsbehörden hätten dies aber nicht öffentlich kommuniziert und nicht bei ihren Ermittlungen berücksichtigt. Für die Angeklagte Zschäpe sei es jedenfalls nicht vorhersehbar gewesen, dass die Ermittlungsbehörden die Geschädigten über Jahre wie Verdächtige behandeln und ein entsprechendes Bild in der Öffentlichkeit kommunizieren würden. Die beschriebenen mittelbaren Folgen dürften daher der Angeklagten Zschäpe bei der Strafzumessung nicht „strafschärfend“ zugerechnet werden. Der Senat muss nicht eingehen auf die Frage, ob die von den Antragstellern behauptete mittelbare Schädigung durch – zusammengefasst – staatliches bzw. staatlich verursachtes Verhalten überhaupt kausal verursacht wurde und ob, was die Antragsteller meinen, derartige Schädigungen dem Staat zuzurechnen seien. Unabhängig von dieser Frage kann nämlich festgestellt werden, dass diese mittelbaren Schäden für die Angeklagte Zschäpe, sollte sie wegen dieser Tat verurteilt werden, nicht vorhersehbar waren. Das von den Antragstellern in den Raum gestellte Staatsverschulden, das durch die unter Beweis gestellten Umstände belegt werden soll, ist demnach auch vor dem Hintergrund dieser von den Antragsteller verfolgten Argumentationslinie tatsächlich ohne Bedeutung.

i. Nach § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB können verschuldete Auswirkungen der Tat bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Insoweit kommt es darauf an, ob die Tatfolgen voraussehbar waren. Nicht erforderlich ist, dass ein Angeklagter sie in allen Einzelheiten voraussehen konnte; es genügt, dass sie in ihrer Art und ihrem Gewicht im Wesentlichen erkennbar waren. ii. Mit den Antragstellern geht auch der Senat davon aus, dass ein Täter, also hier im Fall einer Verurteilung die Angeklagte Zschäpe, den Eintritt der von den Antragstellern als mittelbar bezeichneten Schäden nicht vorhersehen konnte. Diese mittelbaren Schäden stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem strafbaren Anschlagsverhalten am 09.06.2004. Sie sind daher nicht aufgrund des angewendeten Tatmittels oder der konkreten Tatausführung vorhersehbar, selbst wenn man die Kenntnis der Angeklagten von diesen Umständen unterstellt. Der Eintritt derartiger außerhalb der Tatbegehung liegender Schäden liegt im konkreten Fall außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass verschiedene staatliche, deutsche Stellen zum Teil sogar wider besseres Wissens Erkenntnisse bei ihren Ermittlungen und Äußerungen nicht berücksichtigten und vielmehr den unmittelbaren Opfern des Anschlags durch ihr Verhalten zum Teil gegen die eigene Kenntnislage noch weitere Schäden zufügten. Mit einem derartigen Verlauf musste die Angeklagte, Verurteilung und Durchführung der Strafzumessung unterstellt, nicht rechnen.

Götzl: „Dann kommt zur Verlesung folgender Beschluss.“ Götzl verkündet, dass den Anträgen zu Akten der StA Gera [354. Verhandlungstag] nicht nachgekommen wird. Es handele sich um Beweisermittlungsanträge, so Götzl. Es folgen die üblichen allgemeinen Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen. Dann sagt er, dass die Aufklärungspflicht nicht dazu dränge, die bezeichneten Akten beizuziehen. Die Antragsteller begehrten die Beiziehung von zwei UJs-Verfahren [Verfahren gegen Unbekannt]. Es lägen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die angeklagten Personen sowie Mundlos und Böhnhardt einzeln oder gemeinsam in die Begehung der Taten involviert waren, die Gegenstand dieser Verfahren waren:
1. Die Antragsteller begründen ihre Anträge im Wesentlichen damit, Gegenstand des Verfahrens 114 UJs 104037/95 sei das Aufhängen einer Puppe mit einem Davidstern am 09.11.1995 an einem Rohr der Stadtwerke Jena. Gegenstand des Verfahrens 114 UJs 104036/95 sei das Auffinden eines mit einem Selbstlaborat gefüllten Sprengkörpers am 10.11.95 in einem Wohnheim für bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge in Jena. Es lägen Gründe für die Annahme vor, dass die angeklagten Personen sowie die verstorbenen Böhnhardt und Mundlos in diese Taten involviert seien. Daher sei die Beiziehung dieser Akten geboten.

2. Die Annahme, dass die angeklagten Personen und die verstorbenen Böhnhardt und Mundlos in diese Taten involviert seien, ist nicht tatsachengestützt, sondern rein spekulativ: a. Beide Verfahren wurden gegen „Unbekannt“ geführt. Hieraus folgt, dass ein oder mehrere Täter in den genannten Verfahren nicht ermittelt werden konnten. Dass sich im Verfahren 114 UJs 104037/95, nach den Ausführungen der Antragsteller, der Verdacht gegen die Mitglieder der Kameradschaft Jena richtete, ist nicht ausreichend, um die angeklagten Personen sowie die verstorbenen Böhnhardt und Mundlos als in die Tat „involviert“ zu betrachten. b. Der verstorbene Uwe Böhnhardt hat in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 20.06.1996 angegeben, er wisse aus der Zeitung, dass schon mal so eine Puppe in Jena aufgehangen worden sei. Er habe damit aber nichts zu tun. c. Auch die Angaben des Zeugen Schade belegen nicht, dass die Angeklagten sowie die verstorbenen Böhnhardt und Mundlos in welcher Form auch immer an den UJs-Taten beteiligt waren. Der Zeuge Scha. führte in seiner Vernehmung vom 18.12.1996. aus, der Zeuge Andre Kapke wiederum habe ihm im September 1994 berichtet, der verstorbene Uwe Böhnhardt solle im Jahr 1994 in ein Hochhaus in Jena-Lobeda eine gelegt haben. Diese Aussage stellt jedoch schon vom zeitlichen Ablauf keinen Hinweis dafür dar, dass Uwe Böhnhardt im Jahr 1995 an den Taten der beiden UJs-Verfahren beteiligt war. Selbst wenn man den Bericht des Zeugen Schade als zutreffend unterstellen würde, mag dieser zwar dann als ein Indiz für eine Täterschaft von Uwe Böhnhardt im Verfahren 114 UJs 104036/95 gewertet werden können. Der Nachweis einer Täterschaft oder Beteiligung an der oder den UJs Taten, was zur Beiziehung der genannten Akten drängen könnte, ist damit aber nicht geführt.

d. Die Angaben des Zeugen T., Uwe Mundlos habe sich ihm gegenüber 1994 – schlagwortartig zusammengefasst – ausländerfeindlich geäußert, belegen ebenfalls nicht, dass Uwe Mundlos in einem der beiden UJs-Verfahren als „involviert“ anzusehen ist. Hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren angeklagten Personen haben diese Angaben überhaupt keinen Aussagegehalt. e. Gleiches gilt für die Angaben des Zeugen Re. Dieser führte als Hinweisgeber in einem Telefonat mit einem Polizeibeamten am 01.12.11. aus, er habe zusammen mit Mundlos ein Asylbewerberheim in Jena ausgespäht, um einen Anschlag auf dieses Heim zu begehen. Durch Mundlos seien damals Fotos gefertigt und die Zeitpläne des Wachdienstes ausgekundschaftet worden. Der Tod bzw. die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Wachpersonals sei durch Mundlos als „Kollateralschaden“ billigend in Kauf genommen worden. Zu dem Anschlag sei es letzten Endes aber nicht gekommen. Diese Anschlagsplanung sei von Mundlos selbst ausgegangen, sei aber eher doch eine „Spinnerei“ gewesen. In seiner förmlichen Zeugenvernehmung am 13.12.2011 führte der Zeuge Re. zusammengefasst nun aus, Mundlos und er hätten vor 1996 das Asylbewerberwohnheim „Auf dem Forst“ ausgespäht. Es sei auch darüber gesprochen worden, die Wachabläufe auszuspionieren. Dazu sei es aber nicht gekommen. Es sei auch nicht gesagt worden, dass es zu einem Anschlag kommen solle. Die Angaben dieses Zeugen sind widersprüchlich im Hinblick auf die Absicht einen Anschlag zu begehen.

Nach beiden Versionen seiner Angaben kam es aber lediglich zu einer im Vorfeld einer Tat liegenden Auskundschaftung eines Objekts. Von einem Anschlag war entweder gar nicht die Rede oder es kam jedenfalls nicht dazu. Ein Nachweis der Täterschaft hinsichtlich der UJs-Verfahren, bei denen die Taten jeweils begangen wurden, kann mit diesen Angaben jedenfalls nicht geführt werden. Selbst wenn man den Bericht des Zeugen Re. als zutreffend unterstellen würde, mag dieser zwar dann als ein Indiz für eine Täterschaft von Uwe Mundlos im Verfahren 114 UJs 104036/95 gewertet werden können. Der Nachweis einer Täterschaft oder Beteiligung an der oder den UJs-Taten, der zur Beiziehung der genannten Akten drängen könnte, ist damit aber nicht geführt. f. Auch eine Zusammenschau aller aufgeführten Umstände führt nicht dazu, dass die angeklagten Personen sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als in die Begehung der Taten, die Gegenstand der bei den UJs-Verfahren sind, „involviert“ betrachtet werden können. g. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände drängt die Aufklärungspflicht nicht zur Beiziehung der genannten Akten. Die Zuordnung der Sachverhalte dieser Verfahren zu den angeklagten Personen und Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ist, wie dargelegt, nicht möglich. Götzl: „Dann wird unterbrochen, wir setzen fort um 11:05 Uhr.“

Um 11:07 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann ergeht nach geheimer Beratung folgender Beschluss.“ Götzl verkündet, dass den Anträgen der Verteidigung Wohlleben auf Vernehmung der Zeug_innen RAin La., Br., Corell und Wirtz [355. Verhandlungstag], den Anträgen auf Beiziehung der und Einsicht in die Protokolle der Vernehmungen der Zeugen, die durch den NSUUA Baden-Württemberg betreffend die mögliche Anwesenheit von FBI-Agenten am Tatort des Mordes an Michèle Kiesewetter in Heilbronn vernommen wurden, sowie den Anträgen auf Vernehmung der namentlich nicht bekannten FBI-Agenten, „die sich zur Tatzeit des Mordes an Michèle Kiesewetter aus dienstlichen Gründen am Tatort auf der Theresienwiese in Heilbronn aufhielten und Wahrnehmungen gemacht haben können“ [beides 353. Verhandlungstag] nicht nachgekommen wird. Im Hinblick auf La. sagt Götzl:
I. Die Anträge im Hinblick auf die begehrte Vernehmung von Rechtsanwältin La. sind widersprüchlich formuliert. Einerseits wird hinsichtlich der Zeugin zusammenfassend vorgetragen, die Beweiserhebung durch ihre Vernehmung sei durch die Amtsaufklärungspflicht geboten. Demnach wäre davon auszugehen, dass die Antragsteller die Vernehmung von Rechtsanwältin La. generell als Beweisermittlungsanträge ansehen würden. Allerdings werden dann aber auch bestimmte Tatsachen in das Wissen der Zeugin gestellt. Der Senat legt daher die gestellten Anträge derart aus, dass die im Tenor unter A genannten Tatsachen durch die Zeugin bewiesen werden sollen. Es handelt sich daher insoweit um Beweisanträge.

Götzl macht dann unter II. die üblichen allgemeinen Ausführungen zur Bedeutungslosigkeit einer unter Beweis gestellten Indiz- oder Hilfstatsache aus tatsächlichen Gründen. Er fährt fort:
III. Die unter Beweis gestellten Umständen sind für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung:
1. Die unter Beweis gestellten Tatsachen, als erwiesen unterstellt, belegen, dass eine Kontaktperson der Zeugin Rechtsanwältin La. berichtet hat, dass ein türkischer Staatsbürger, der für zwei Geheimdienste tätig war, am 25.04.07, dem Tag, an dem die Tat zulasten der Polizeibeamten Kiesewetter und [A.] begangen wurde, zur Tatzeit „vor Ort“ gewesen sei.
2. Der Umstand, dass der türkische Staatsbürger für zwei Geheimdienste arbeitete, ist für eine mögliche Schuld- und/oder Straffrage in diesem Verfahren ohne erkennbare Bedeutung.
3. Die Anwesenheit des türkischen Staatsbürgers am 25.04.07 zur Tatzeit „vor Ort“ ermöglicht ebenfalls keinen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels.

a. Für die unter Beweis gestellte Tatsache, die im Rahmen dieser Prüfung als erwiesen unterstellt wird, ist dies offenkundig. Der Umstand, dass diese Person am Tattag zur Tatzeit vor Ort war, hat keinerlei Auswirkungen auf eine mögliche Schuld- und/oder Straffrage hinsichtlich der in diesem Verfahren angeklagten Personen.
b. Die unter Beweis gestellte Tatsache kann auch nicht dergestalt ausgelegt werden, dass damit behauptet würde, die Person habe tatbezogene Wahrnehmungen gemacht. i. Die Antragsteller teilten zusammengefasst den Inhalt der Angaben der Zeugin Rechtsanwältin La. vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg mit. Aus den mitgeteilten Ausführungen der Zeugin ergibt sich nicht, dass der türkische Staatsbürger überhaupt tatbezogene Wahrnehmungen gemacht hätte. ii. Aus den mit dem Antrag überreichten – teilweise geheim eingestuften – Anlagen ergibt sich ebenfalls nicht, dass der türkische Staatsbürger derartige Wahrnehmungen gemacht hätte. iii. Aus dem Umstand, dass der türkische Staatsbürger am Tattag zur Tatzeit „vor Ort“ gewesen ist, lässt sich ebenfalls kein Hinweis entnehmen, dass er auch tatbezogene Wahrnehmungen gemacht hat. Der Ausdruck „vor Ort“ bedeutet zwar, dass sich der türkische Staatsbürger am Tatort aufgehalten hat. Allerdings hat die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, dass es sich bei dem Tatort, der Theresienwiese in Heilbronn, um eine größere Freifläche handelt, die als Parkplatz und zeitweise auch als Festplatz genutzt wird. Der Polizeibeamte [Gi.] berichtete in der Hauptverhandlung am 22.01.14 [77. Verhandlungstag] glaubhaft, die Ermittlungsbehörden hätten zahlreiche zur Tatzeit auf der Theresienwiese, also vor Ort, anwesende Personen vernommen. Darunter seien auch Schausteller gewesen, die im Freien Buden für das Frühlingsfest aufgebaut hätten. Keiner der vernommenen Personen habe Wahrnehmungen zur Tatbegehung gemacht. Somit lässt sich aus der Anwesenheit „vor Ort“ nicht der Hinweis entnehmen, der türkische Staatsbürger habe dann auch relevante Wahrnehmungen zur Tat vom 25.04.2007 gemacht. iv. Die Antragsteller tragen nicht vor, dass der türkische Staatsbürger Wahrnehmungen zur Tat gemacht hätte.

Götzl geht dann zu weiteren unter Beweis gestellten Tatsachen in Bezug auf die Zeugin RAin La. über:
I. Bei den im Tenor unter B aufgeführten Anträgen handelt es sich um Beweisermittlungsanträge: In den dort dargestellten Beweisbegehren werden keine bestimmten Tatsachen behauptet. Es wird vielmehr verlangt, durch Befragung der Zeugin zu ermitteln, aus welchen Gründen sie einen bestimmten Schluss zog, worauf bestimmte Angaben der Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss in Stuttgart beruhten und welche Kenntnisse sie zur Identität der Kontaktperson hat. Die Anträge sind demnach als Beweisermittlungsanträge zu qualifizieren.
II. Die Aufklärungspflicht drängt nicht dazu, die angebotene Zeugin Rechtsanwältin Lang zu den dargestellten Fragenkreisen in der Hauptverhandlung zu vernehmen.

Im Unterpunkt 1 macht Götzl dann allgemeine Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen und stellt dann unter 2. fest, dass unter Berücksichtigung der unter A bereits dargestellten Umstände und des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht ersichtlich sei, welcher Aufklärungserfolg im Hinblick auf die angeklagten Personen und Taten die Beantwortung der beantragten Fragenkomplexe ergeben soll. Die Ermittlung der Gründe für den Schluss der Zeugin auf eine bestimmte Person, also Mevlüt Ka., oder die Ermittlung der Grundlagen dafür, dass die Zeugin im UA davon sprach, dieser Mevlüt Ka. sei in Waffengeschäften verwickelt und in die Beschaffung von Zündern für die „Sauerlandgruppe“ involviert, könne im Zusammenhang mit der „Sauerlandgruppe“ von Bedeutung sein. Anhaltspunkte dafür, dass die Aufklärung dieser Umstände im vorliegenden Verfahren Relevanz gewinnen könnte, seien jedoch nicht vorhanden. Ein Zusammenhang mit den hier angeklagten Personen und Taten, insbesondere der Tat vom 25.04.07 in Heilbronn sei nicht erkennbar. Gleiches gelte für die Kenntnisse der angebotenen Zeugin zur Identität ihrer Kontaktperson.

Götzl geht dann zu den Anträgen in Bezug auf den Zeugen Rolf Br. über. Bei diesen Anträgen handele es sich I. ebenfalls um Beweisermittlungsanträge. In den dort dargestellten Beweisbegehren würden keine bestimmten Tatsachen behauptet. Es werde vielmehr verlangt, durch Befragung des Zeugen zu ermitteln, welche Ermittlungen und Erkenntnisse dieser im Zusammenhang mit der Berichterstattung im Stern zur Tat in Heilbronn getätigt und gewonnen und welche Ermittlungen und Erkenntnisse der Zeuge im Zusammenhang mit den Wahrnehmungen und Erkenntnissen amerikanischer Geheimdienstmitarbeiter am 25.04.07 am Tatort in Heilbronn zum Tötungsverbrechen zum Nachteil der Polizeibeamtin Kiesewetter getätigt und gewonnen habe. Außerdem solle der Zeuge noch zu den an den amerikanischen Rechtsattaché Wirtz gestellten Fragen befragt werden, die dieser dann mit „nein“ beantwortet habe. Die Aufklärungspflicht dränge nicht dazu, Br. zu den dargestellten Fragenkreisen in der Hauptverhandlung zu vernehmen, so Götzl unter II. Unter 1. verweist Götzl auf seine schon gemachten allgemeinen Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen, dann geht er zur konkreten Begründung über:

2. Es ist nicht ersichtlich, welchen Aufklärungserfolg die Vernehmung des Zeugen zu den benannten Fragenkomplexen erbringen sollte:
a. Die Vernehmung des Zeugen Br. zu seinen getätigten Ermittlungen und Erkenntnissen im Zusammenhang mit der Berichterstattung im „Stern“ und den Wahrnehmungen und Erkenntnissen amerikanischer Geheimdienst-Mitarbeiter am 25.04.07 am Tatort in Heilbronn zum Tötungsverbrechen zum Nachteil der Polizeibeamtin Kiesewetter würde keinen zusätzlichen Aufklärungserfolg erbringen:
i. Bereits am 22.01.14 stellte der Zeuge KK [Gi.] in der Hauptverhandlung die vom BKA in diesem Zusammenhang durchgeführten Gesamtermittlungen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse glaubhaft dar. (1) Der Zeuge führte aus, am 15.11.11 sei ein Artikel im „Stern“ erschienen. In dem Artikel sei u.a. dargestellt worden, ein Kontaktmann der sogenannten Sauerlandgruppe sei von Mitgliedern eines US-Geheimdienstes am 25.04.07 auf der Theresienwiese in Heilbronn observiert worden. Die Observation sei, so der „Stern“, wegen eines Vorfalls mit Waffen abgebrochen worden. Es sei dem Bundeskriminalamt vom „Stern“ eine Kopie des der Zeitung vorliegenden Observationsprotokolls übermittelt worden. Hieraus habe sich zusätzlich ergeben, dass die beiden observierten Personen 2,3 Millionen Euros in der Santander Bank in Heilbronn eingezahlt hätten.

(2) Weiter führte der Zeuge aus, der Inhalt des Stern-Artikels vom 15.11.11 habe aufgrund der durchgeführten Ermittlungen dazu nicht verifiziert werden können. Eine Anfrage bei der Santander Bank habe ergeben, dass in den Monaten April bis Juni 2007 bundesweit keine Bareinzahlungen mit einer Einzahlungssumme von über 1 Million Euro stattgefunden hätten. Eine Einzahlung in Heilbronn am 25.04.07 habe demnach auch nicht stattgefunden. Die von den Ermittlungsbehörden kontaktierte US-Botschaft in Berlin habe am 26.03.12 mitgeteilt, der vom Stern als Kopie zur Verfügung gestellte Observationsbericht sei nicht als authentisch einzustufen. Es habe im April 2007 keine Observationen durch US-Einheiten in Heilbronn gegeben. Die im Stern-Bericht erwähnte Spezialeinheit „SIT-Stuttgart“ habe niemals existiert. Es habe lediglich eine „SIT-Augsburg“ gegeben, die jedoch bereits 1997 aufgelöst worden sei. Auf Anfrage des Bundeskriminalamts habe das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg mitgeteilt, dass die Behauptungen des Stern unzutreffend seien, Mitarbeiter des Landesamtes Baden-Württemberg seien Teilnehmer einer angeblich vom US-Militärgeheimdienst am 25.04.07 in Heilbronn durchgeführten Observation und auch Zeugen des Mordes an der Polizeibeamtin Kiesewetter auf der Theresienwiese gewesen.

Ebenfalls auf BKA-Anfrage habe das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, zum fraglichen Zeitpunkt sei kein Mitarbeiter des Landesamts in der Nähe des Tatorts gewesen. Nach dem Erscheinen des Artikels im Stern habe sich ein Hinweisgeber namens [Rudolf] K. bei der Polizei gemeldet. Dieser habe mitgeteilt, er habe beim 66. Military Intelligence (MI), einem Teil der CIA, in Hanau gearbeitet. Am 26.04.07 habe er dort ein Gespräch zwischen zwei amerikanischen Soldaten mitgekommen. Einer der Soldaten habe geäußert, er habe von einer beinahe missglückten Observation der MI am Tag der Tat von Heilbronn etwas mitbekommen. Zielperson der Observation solle Mevlüt Ka. gewesen sein. Die Zeugen, die der Hinweisgeber [K.] benannt habe, seien mit negativem Ergebnis vernommen worden. Sie hielten das vorgelegte Observationsprotokoll ebenfalls für eine Fälschung. Gegen den ehemaligen Mitarbeiter des MI und Hinweisgeber [K.] habe es ein internes Ermittlungsverfahren gegeben, weswegen er möglicherweise einzelnen Personen etwas anlasten wolle.

ii. Aus dem Akteninhalt und insbesondere aus den mit den zu verbescheidenden Anträgen vorgelegten Anlagen ergeben sich keine Hinweise darauf, dass in diesem Zusammenhang zusätzliche relevante Erkenntnisse, insbesondere zu einer Anwesenheit amerikanischer Geheimdienst-Mitarbeiter am 25.04.07 am Tatort in Heilbronn, gewonnen werden konnten. Im Hinblick auf die vorgelegten Anlagen mit Bezug auf die benannte Zeugin Corell wird verwiesen auf die Ausführungen im nachfolgenden Teil D.
iii. Vor diesem Hintergrund würde eine Befragung des Zeugen Br., der in die getätigten Ermittlungen eingebunden war, zu den von ihm selbst vorgenommenen Ermittlungshandlungen und zu den Ermittlungserkenntnissen daher zu keinem weiteren Aufklärungserfolg führen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Zeuge Br. zusätzliche Erkenntnisse hat gewinnen können. Die Darstellung der vom Zeugen Br. persönlich durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen führt, nach dem diese von KK [Gi.] schon in der Gesamtheit dargestellt wurden, ebenfalls zu keinen zusätzlichen Aufklärungserfolg.
b. Die Vernehmung des Zeugen Br. zu den von ihm an den Rechtsattaché Wirtz gestellten Fragen, welche dieser mit „nein“ beantwortete, würde keinen zusätzlichen Aufklärungserfolg erbringen.
i. Der Generalbundesanwalt hat die E-Mail Anfrage des Bundeskriminalamts an die US-Botschaft in Berlin vom 12.10.12 vorgelegt. Die Anfrage wurde in der Hauptverhandlung verlesen [siehe oben]. Aus diesem Schreiben ergeben sich konkret die Fragen, auf die der FBI Rechtsattaché Wirtz in seinem Schreiben vom 15.12.12 Bezug genommen hat.
ii. Bei dieser Sachlage würde die Befragung des angebotenen Zeugen Br. hierzu keinen Aufklärungsgewinn erbringen.

Götzl geht dann zu den Anträgen bzgl. der Zeugin Corell über. Bei den im Tenor unter D aufgeführten Anträgen handele es sich ebenfalls um Beweisermittlungsanträge, es würden keine bestimmten Tatsachen behauptet, sondern vielmehr verlangt, durch Befragung der Zeugin zu ermitteln, welche Ermittlungen und Erkenntnisse diese im Zusammenhang mit der Berichterstattung im Stern zur Tat in Heilbronn getätigt und gewonnen hat und welche Ermittlungen und Erkenntnisse
die Zeugin im Zusammenhang mit den Wahrnehmungen und Erkenntnissen amerikanischer Geheimdienstmitarbeiter am 25.04.2007 am Tatort in Heilbronn zum Tötungsverbrechen zum Nachteil von Kiesewetter getätigt und gewonnen hat. Die Aufklärungspflicht dränge nicht dazu, die Zeugin dazu zu befragen, so Götzl unter 2. Insoweit nehme er zunächst Bezug genommen auf die diesbezüglichen Ausführungen im Zusammenhang mit dem Zeugen Br., aus denen folge, dass die Ermittlungen, der Akteninhalt und die vorgelegten Anlagen keine Hinweise einer Anwesenheit amerikanischer Geheimdienstmitarbeiter am 25.04.07 am Tatort in Heilbronn erbracht haben. Götzl dann zum Punkt 2. b. über:

b. In den von den Antragstellern vorgelegten Anlagen zu den gestellten Anträgen finden sich auf Unterlagen, die der Zeugin zugeordnet werden können, sinngemäß die Angabe, dass der Verbindungsbeamte der Koordinierung der US-Geheimdienste in Süddeutschland am 02.12.11 mitgeteilt habe, dass nach den derzeitigen Untersuchungsergebnissen die US-Geheimdienste nicht beteiligt gewesen seien. Offenbar habe man deutliche Hinweise darauf, dass möglicherweise das FBI im Rahmen einer Operation auf deutschem Boden zwei Mitarbeiter nach Deutschland habe reisen lassen und diese nach dem Scheitern der Operation wieder abgereist seien.
c. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Zeugin Corell in diesem Zusammenhang überhaupt Ermittlungen tätigte oder weitere Erkenntnisse zur Anwesenheit von Geheimdienstmitarbeitern am Tattag in Heilbronn gewonnen hat. Vielmehr fragte die Zeugin lediglich an vorgesetzter Stelle an, ob auf das mit seiner Mitteilung verbundene Gesprächsangebot des Verbindungsbeamten der US-Geheimdienste eingegangen werden solle. Es wurde aber entschieden, dass ein Eingehen auf das Gesprächsangebot des Mitarbeiters des US-Dienstes nicht vorgesehen sei. Die Auskunft des FBI-Rechtsattachés der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika Wirtz vom 15.10.12, die durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, ergab dann, dass das FBI im Frühjahr 2007 in Deutschland weder Einsätze durchgeführt, noch am 25.04.2007 in Heilbronn eine Überwachung durchgeführt hat. Anhaltspunkte dafür, dass diese Auskunft des Rechtsattachés nicht der Wahrheit entsprechen würde, sind bei Würdigung des Gesamtsachverhalts nicht vorhanden. Hinweise auf eine Observation mit Beteiligung deutscher Dienste ergaben sich aufgrund der negativen Auskünfte der deutschen Verfassungsschutzbehörden, die von KK [Gi.] in der Hauptverhandlung dargestellt wurden, nicht.

Götzl geht dann zu den Anträgen in Bezug auf die Vernehmung von Stuart P. Wirtz über. Dabei handele es sich ebenfalls um Beweisermittlungsanträge, es würden keine bestimmten Tatsachen behauptet. Vielmehr werde verlangt, Wirtz zu dessen Erkenntnissen zur Prüfung durch das FBI zur Anwesenheit von Agenten von US-Behörden am 25.04.07 in Heilbronn am Tatort des Mordes an Kiesewetter zu befragen. Wieder sagt Götzl, dass die Aufklärungspflicht nicht dazu dränge, den Zeugen zu dem dargestellten Fragenkreis zu vernehmen und verweist auf die bereits gemachten allgemeinen Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen. Zur konkreten Begründung führt Götzl aus:
Einen Aufklärungserfolg würde die Vernehmung des Zeugen Wirtz zu dem benannten Fragenkomplex nicht erbringen. a. Der Umstand, dass das FBI am 25.04.07 in Heilbronn keine Überwachung durchgeführt hat, ergibt sich aus der verlesenen Auskunft der US-Botschaft vom 15.10.12. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge Wirtz im Hinblick auf das FBI weitere Erkenntnisse gewonnen hätte, die im vorliegenden Verfahren relevant wären, sind nicht vorhanden. b. Es sind daneben keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass überhaupt Mitarbeiter anderer US-Dienste am 25.04.07 zur Tatzeit auf der Theresienwiese in Heilbronn gewesen wären. Hinweise dafür, dass der Zeuge Wirtz zu einer Anwesenheit anderer Dienste auf der Theresienwiese in Heilbronn weitere relevante Erkenntnisse gewonnen hätte, sind nicht vorhanden.

Dann geht es um die Anträge auf Beiziehung der Protokolle der Vernehmungen der Zeugen vor dem UA Baden-Württemberg, Auch hier handele es sich laut Götzl um Beweisermittlungsanträge, auch hier dränge die Aufklärungspflicht nicht dazu, die bezeichneten Unterlagen beizuziehen, und auch hier verweist Götzl auf seine früheren allgemeinen Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen. Zur konkreten Begründung der Ablehnung führt Götzl dann aus:
2. Es ist nicht ersichtlich, welchen Aufklärungserfolg die Beiziehung der beantragten Unterlagen erbringen sollte:
a. Die Antragsteller tragen im Wesentlichen vor, die Südwestpresse habe am 20.09.2016 berichtet, ein US-Agent habe nach dem Heilbronner Polizistenmord Kontakt mit einem BND-Beamten aufgenommen. Im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg sei es um US-Agenten gegangen, die zufällig Zeugen dieser Tat geworden sein könnten. Gemäß geheim eingestuften Dokumenten hätte ein amerikanischer Beamter erklärt, eine FBI-Operation auf deutschen Boden mit einer Zielperson im islamistischen Bereich sei wegen der Tat abgebrochen worden. Die Amtsaufklärung gebiete daher die Beiziehung der Protokolle sowie die Namhaftmachung und Vernehmung der potentiellen Tatortzeugen.

b. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu einer FBI-Operation am Tatort oder in Tatortnähe in Heilbronn am 25.04.07 kam, so dass FBI-Agenten überhaupt als Tatzeugen in Betracht kämen. i. Insoweit wird zunächst Bezug genommen auf die diesbezüglichen Ausführungen im Zusammenhang mit dem Zeugen Br. unter oben C.ll.a. Hieraus folgt, wie dargestellt, dass die Ermittlungen, der Akteninhalt und die vorgelegten Anlagen keine Hinweise einer Anwesenheit amerikanischer Geheimdienst-Mitarbeiter am 25.04.07 am Tatort in Heilbronn erbracht haben. ii. Selbst in dem von den Antragstellern zur Begründung ihrer Beweisermittlungsanträge herangezogenen Pressebericht wird nicht behauptet, dass es derartige Zeugen geben würde. Vielmehr wird dort lediglich festgestellt, dass es im Untersuchungsausschuss des Landes Baden-Württemberg um US-Agenten gehe, „die zufällig Zeugen der Tat geworden sein könnten.“ iii. In dem von den Antragstellern zitierten Presseartikel wird lediglich mitgeteilt, aus „geheimen Dokumenten“ gehe hervor, ein „amerikanischer Beamter“ habe erklärt, eine FBI-Operation auf deutschem Boden mit einer Zielperson im islamistischen Bereich sei wegen der Tat abgebrochen worden. Weder Art und Aussteller dieser geheimen Dokumente werden benannt noch
wird der die Erklärung abgebende amerikanische Beamte namhaft gemacht und von seiner Funktion her bezeichnet, so dass deshalb lediglich eine vage unsubstantiierte Behauptung vorliegt, deren Substanz nicht zu beurteilen ist.

iv. Die Befragung des zuständigen BND-Beamten in nicht-öffentlicher Sitzung durch den Untersuchungsausschuss des Landes Baden-Württemberg ergab keine Anhaltspunkte für die Relevanz der von den Antragsstellern begehrten Unterlagen. Vielmehr führen die Antragsteller in ihrer Begründung selbst aus, dass es laut dem Vorsitzenden des Ausschusses „noch keinen Beleg“ dafür gebe, „dass US-Agenten Zeugen der Tat wurden.“ v. Aus der Verlesung des Schreibens des FBI-Rechtsattachés der US-Botschaft in Berlin Wirtz vom 15.10.12 ergibt sich vielmehr, dass das FBI im Frühjahr 2007 in Deutschland weder Einsätze durchgeführt, noch am 25.04.2007 in Heilbronn eine Überwachung durchgeführt hat. Anhaltspunkte dafür, dass diese Auskunft des Rechtsattachés nicht der Wahrheit entsprechen würde, sind bei Würdigung des Gesamtsachverhalts nicht vorhanden. Hinweise auf eine Observation mit Beteiligung deutscher Dienste ergaben sich aufgrund der Auskünfte der deutschen Verfassungsschutzbehörden nicht. vi. Die von den Antragstellern in ihrer Antragserweiterung überreichten Anlagen geben in Zusammenschau mit der Auskunft des FBI-Rechtsattachés Wirtz keinen Hinweis auf die Anwesenheit von FBI-Agenten am Tattag in Heilbronn. Dies gilt auch für das von den Antragstellern zitierte Schreiben des Bundesnachrichtendienstes vom 05.12.11 an den Generalbundesanwalt, in dem es u.a. hieß:
„Der US-Mitarbeiter lies dabei erkennen, dass eine eigene Untersuchung der Ereignisse die Beteiligung von zwei Mitarbeitern des FBI ergeben habe. Da die festgestellte Beteiligung von zwei Mitarbeitern des FBI aber nicht der durch die weiteren überreichten Anlagen belegten Kenntnislage des BND entsprach, wurde das Schreiben mit abgeänderten Inhalt unter dem 09.12.11 an den GBA versandt.“ [phon.]

vii. Aber selbst wenn man die Durchführung einer derartigen FBI-Operation ohne jeglichen tatsächlichen Hinweis theoretisch einmal unterstellt, ist damit nichts darüber ausgesagt, ob FBI-Agenten tatsächlich derart nah am Tatort im engeren Sinne waren, dass sie dort für hiesiges Verfahren relevante Wahrnehmungen gemacht haben. Der in der Südwestpresse berichtete Abbruch der unterstellten FBI-Operation „wegen der Tat“ führt zu keiner anderen Beurteilung. Ein derartiger Abbruch muss nicht mit der Anwesenheit von Agenten am Tatort im engeren Sinne zusammenhängen, sondern kann auch dem erhöhten Polizeiaufkommen im weiteren Umfeld des Tatorts oder der errichteten Ringfahndung in der Region Heilbronn geschuldet gewesen sein. viii. Unter Würdigung dieser Gesamtumstände lässt die Beiziehung der beantragten Unterlagen keinen Aufklärungserfolg im Sinne der Ermittlung von Tat- oder Tatortzeugen aus dem Bereich des FBI erwarten. Die Aufklärungspflicht drängt daher nicht zu Maßnahmen, die eine Identitätsermittlung ermöglichen sollen. Eine Ladung und Vernehmung der nicht-identifizierten Personen ist nicht ausführbar.

Auch bei den Anträgen auf Ermittlung, Ladung und Vernehmung der bislang nicht bekannten „FBI-Agenten“ handele es sich nicht um Beweisanträge, da keine bestimmten Beweistatsachen bezeichnet würden, so Götzl. Es handele sich vielmehr um Beweisermittlungsanträge, zu denen die Aufklärungspflicht nicht dränge. Götzl verweist wieder auf die Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen, dann führt er aus:
2. Einen Aufklärungserfolg ist nicht zu erwarten. Ermittlungen zur Identität der „FBI-Agenten“ wären keine sinnvollen Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts. a. Wie bereits dargestellt, gibt es keine Hinweise, dass FBI-Agenten zur Tatzeit im Bereich der Theresienwiese in Heilbronn anwesend waren und dort tatrelevante Wahrnehmungen gemacht haben. Der Rechtsattaché des FBI teilte mit, dass das FBI am 25.04.07 in Heilbronn keine Überwachung durchgeführt hat. Die Ermittlung der Identität von FBI-Agenten, die hier als Zeugen in Betracht kämen und auf deren Existenz es aber keine Hinweise gibt, ist nicht möglich und daher sinnlos. b. Diese FBI-Agenten können daher nicht geladen und vernommen werden.

Schließlich sagt Götzl, dass auch die Gesamtbetrachtung aller vorgetragenen Umstände, des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme und des gesamten Akteninhalts nicht dazu drängten,
eine oder mehrere der beantragten Maßnahmen zu treffen:
Die Anwesenheit von Mitarbeitern von US-Geheimdiensten zur Tatzeit auf der Theresienwiese in Heilbronn und deren tatbezogene Wahrnehmungen ist eine reine Spekulation ohne tragfähigen Tatsachenunterbau. Die Ablage der hierzu durchgeführten Ermittlungen in den Spurenakten ist daher sachgerecht. Dem Informationsbedürfnis der Antragsteller wird dadurch Rechnung getragen, dass die Einsicht in diesen Vorgang in den Räumen des Generalbundesanwalts auf Antrag grundsätzlich möglich ist.
Schneiders: „Die Verteidigung des Herrn Wohlleben beantragt eine Abschrift und nach Erhalt eine eine einstündige Unterbrechung zur Beratung über weitere prozessuale Maßnahmen.“ Götzl: „Dann wird unterbrochen und wir setzen fort um 12:45 Uhr.“

Um 12:49 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort. Sind irgendwelche Erklärungen? Keine?“ Schneiders: „Nein.“
Dann verkündet Götzl den nächsten Beschluss:
Die Verfügung des Vorsitzenden vom 01.12.2016, mit der er die Verfahrensbeteiligten aufforderte, für den Fall, dass noch die Stellung weiterer Beweisanträge beabsichtigt sei, diese gesammelt und zügig zu stellen, wird bestätigt.
Gründe: Im Hauptverhandlungstermin vom 01.12.16 forderte der Vorsitzende die Verfahrensbeteiligten auf, für den Fall, dass noch die Stellung weiterer Beweisanträge beabsichtigt sei, diese „gesammelt und zügig“ zu stellen. In seiner Verfügung vom 07.03.17 nahm der Vorsitzende im Zusammenhang mit dem Setzen einer Frist für das Stellen weiterer Beweisanträge auf die genannte Aufforderung Bezug und führte aus, im Hauptverhandlungstermin vom 01.12.16 seien die Prozessbeteiligten vom Vorsitzenden aufgefordert worden, für den Fall, dass noch die Stellung weiterer Beweisanträge beabsichtigt sei, diese gesammelt und zeitnah zu stellen. Seitdem wurden in den Hauptverhandlungsterminen vom 08.12.2016, vom 20.12.2016, vom 24.01.2017, vom 25.01.2017, vom 26.01.2017, vom 16.02.2017, vom 21.02.2017 und vom 22.02.2017 jeweils weitere Anträge zur Beweiserhebung gestellt.

Vor diesem Hintergrund sei eine Fristsetzung für die Stellung von Beweisanträgen zur Erreichung einer beschleunigten und stringenten weiteren Beweisaufnahme sachgerecht. Die Rechtsanwälte Heer, Stahl und Sturm beanstandeten mit Schreiben vom 19.03.17 vorsorglich die Verfügung des Vorsitzenden vom 01.12.16 und wiederholten diese Beanstandung mündlich im Termin zur Hauptverhandlung am 29.03.17. Zur Begründung trugen sie zusammengefasst vor, die „Bitte“ des Vorsitzenden wäre als Verfügung nicht nur ungeeignet, sondern tatsächlich unzulässig. Der Inhalt sei unbestimmt, so dass sie deshalb nicht geeignet sei, einen regelnden Charakter zu entfalten. Es werde daher gerügt, dass ein Regelungscharakter nicht zu erkennen sei. Es sei zudem fraglich, wie das Attribut „zügig“ einzuordnen sei. Es erschließe sich nicht, was der Vorsitzende sich unter „Sammeln von Beweisanträgen“ vorstelle. Der Inhalt der Verfügung sei widersprüchlich, denn ein „zügiges“ Stellen von Beweisanträgen sei nicht mit dem „Sammeln von Beweisanträgen“ in Einklang zu bringen. Es fehle demnach an der Transparenz. Ergänzend nahmen sie Bezug auf die am 353. Hauptverhandlungstag vorgebrachte Begründung der Beanstandungen der Verfügungen des Vorsitzenden vom 07.03.17.

Die beanstandete Anordnung des Vorsitzenden war zu bestätigen, da sie nicht unzulässig im Sinne von § 238 Absatz 2 StPO ist:
1. Nur die Beanstandung einer Maßnahme als unzulässig lässt § 238 Absatz 2 StPO zu. Dass eine Maßnahme des Vorsitzenden unzweckmäßig oder unangebracht gewesen sei, kann mit der Beanstandung nicht geltend gemacht werden. Unzulässig im Sinne dieser Vorschrift ist eine Maßnahme des Vorsitzenden dann, wenn sie gegen gesetzliche Vorschriften oder ungeschriebene Verfahrensgrundsätze verstößt oder wenn ein Ermessensmissbrauch vorliegt. Im Rahmen des § 238 Absatz 2 StPO ist der Begriff „Anordnung des Vorsitzenden“ im weitesten Sinn zu verstehen. Hierunter fallen nicht nur die ausdrücklichen Anordnungen, die ein bestimmtes Verhalten gebieten oder verbieten, sondern alle Maßnahmen, mit denen der Vorsitzende auf den Ablauf des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten einwirkt, also auch Worterteilungen, Hinweise, Vorhalte, Ermahnungen, Belehrungen und dergleichen. Einer bestimmten Form bedarf die Anordnung nicht. Es genügt, wenn das Verhalten des Vorsitzenden dahin verstanden werden kann, dass er regelnd eingreifen will.
2. Es ist weder ersichtlich noch wurde vorgetragen, dass die Aufforderung des Vorsitzenden für den Fall, dass noch die Stellung weiterer Beweisanträge beabsichtigt sei, diese gesammelt und zügig zu stellen, gegen gesetzliche Vorschriften oder ungeschriebene Verfahrensgrundsätze verstoßen würde.

3. Ein Ermessenmissbrauch liegt in der Aufforderung ebenfalls nicht:
a. Die Leitung der Verhandlung und damit auch die Entscheidung, ob die Verfahrensbeteiligten aufgefordert werden, weitere beabsichtigte Beweisanträge gesammelt und zügig zu stellen, obliegt nach § 238 Absatz 1 StPO dem Vorsitzenden. Er muss hierbei den Erfordernissen einer zweckmäßigen und zügigen Verfahrensabwicklung Rechnung tragen; dabei hat er sich von dem Ziel der bestmöglichen Sachaufklärung und einer fairen Verhandlungsführung leiten zu lassen, die den Verfahrensbeteiligten Raum für die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Verfahrensbefugnisse lässt.
b. Ein Ermessensmissbrauch ist nicht erkennbar: (1) Die Aufforderung des Vorsitzenden vom 01.12.16 zielt darauf ab, die Verfahrensbeteiligten zu einer „zügigen“, nach dem Wortsinn also zu
einer schnellen, Beweisantragstellung zu veranlassen. Sie dient demnach der Beschleunigung und greift somit auch erkennbar regelnd in den Verfahrensablauf ein. (2) Gleiches gilt für die Aufforderung, die Beweisanträge „gesammelt“ zu stellen. Durch die Aufforderung sollen die Verfahrensbeteiligten dazu veranlasst werden, ihre geplanten Beweisanträge nicht hintereinander auf verschiedene Hauptverhandlungstage verteilt zu stellen. Vielmehr sollen sie dadurch dazu angehalten werden, ihre geplanten Beweisanträge „gesammelt“, also konzentriert und nicht sukzessiv, zu stellen. Das von der Beanstandung nunmehr vorgebrachte Argument, die Verfügung sei widersprüchlich, denn die Aufforderung zu einer zügigen Beweisantragstellung lasse sich nicht mit einem „Sammeln von Beweisanträgen“ in Einklang bringen, geht von falschen tatsächlichen Voraussetzungen aus.


Von dem in der Beanstandung vom 19.03.17 vorgetragenen „Sammeln von Beweisanträgen“ war in der Verfügung vom 01.12.16 niemals die Rede. So gingen auch die Rechtsanwälte Heer, Stahl und Sturm in ihrem Befangenheitsgesuch vom 09.03.17, dort Seite 15, noch davon aus, der Vorsitzende habe die Bitte geäußert „etwaig beabsichtigte weitere Beweisanträge gesammelt und zügig zu stellen“. Die Verfügung zielte demnach auf eine schnelle und konzentrierte Beweisantragstellung durch die Verfahrensbeteiligten ab, was keinen Widerspruch darstellt. Vielmehr dienen beide Elemente der Aufforderungen des Vorsitzenden erkennbar der beschleunigten Durchführung der Beweisaufnahme. (3) Dass die Aufforderung des Vorsitzenden nicht als Gebot, sondern als Aufforderung formuliert war und keine Sanktion enthielt, ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Mit der Aufforderung sollte der oben genannte erstrebte Zweck erreicht werden, ohne dass den Verfahrensbeteiligten sogleich Folgen einer Nichtbeachtung der Aufforderung angekündigt wurden, Der Vorsitzende hat im Rahmen seiner Aufforderung aus Höflichkeitsgründen das Wort „Bitte“ verwendet. Aus einer allgemein üblichen Höflichkeitsform vor dem gegebenen Hintergrund eines Strafprozesses zu schließen, die Aufforderung sei völlig unverbindlich und bedeutungslos, ist nicht nachvollziehbar. (4) Im Hinblick auf die Verfahrensdauer und das Beschleunigungsgebot ist es sachgerecht, zu einer schnellen und konzentrierten Beweisantragsstellung aufzufordern.

Götzl verkündet die Verfügung, dass in Abänderung der Verfügung vom 07.03.2017 den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen bis zum 17.05.2017 gesetzt wird. Die Frist sei zu verlängern, da sie unter der Voraussetzung gesetzt worden sei, dass die Tage am 08.03. und 09.03. abgesetzt würden, wozu es nicht gekommen sei. Soweit mit der Verfügung die Feststellung hinsichtlich der bis zu diesem Verhandlungstag erledigten Anträge erfolgte, bestehe ebenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17.05. Zschäpe-Verteidiger RA Stahl: „Ja, wir haben das jetzt akustisch nicht ganz verstanden, wir bekommen das schriftlich, ja?“ Götzl: „Wir kopieren’s natürlich.“ Zschäpe-Verteidiger RA Heer sagt, er habe einfach die letzten beiden Sätze nicht gehört. Götzl wiederholt die letzten beiden Sätze.

Götzl: „Sind für heute weitere Anträge vorgesehen?“ Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm verliest den Antrag, Prof. Dr. Pedro Faustmann von der Ruhr-Universität-Bochum als selbst geladenen SV zum Beweis folgender Tatsachen anzuhören: Das von SV Prof. Dr. Saß in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten einschließlich seiner Ausführungen auf die Vernehmung durch den Vorsitzenden und seiner Antworten auf die Befragung der Prozessbeteiligten genüge nicht den anerkannten wissenschaftlichen Standards für ein forensisch-psychiatrisches und kriminalprognostisches SV-Gutachten. Dies ergebe sich folgenden Tatsachen, die sich wiederum aus dem SV-Gutachten von Faustmann ergäben:
I. 1. a. Unter 1.1. Vorbemerkungen zur Methodik wird festgehalten, dass die Gutachtensthematik in diesem Verfahren gemäß den Hinweisen des Senats vom 29.11.12 und 22.09.16 die psychopathologischen Voraussetzungen für die Fragen der Schuldfähigkeit, eine evtl. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und in einer evtl. Unterbringung in der Sicherungsverwahrung seien. Es wird Bezug genommen darauf, dass die im Senatsbeschluss vom
12.01.17 genannten Mindestanforderungen der Arbeitsgruppen beim BGH aus den Jahren 2005 und 2006, an deren Entwicklung und Publikation der Sachverständige Prof. Dr. Saß mitgewirkt habe, berücksichtigt seien. Es wird weiter ausgeführt, dass Prof. Dr. Saß darauf verweise, auch an einer gegenwärtigen Arbeitsgruppe zur Revision beteiligt zu sein. Es wird darauf verwiesen, dass die Mindestanforderung Empfehlungen darstellten und nicht Leitlinien oder gar Vorschriften. Es wird ausgeführt, dass diese Mindestanforderung einen allgemeinen Rahmen für die Gutachtenerstellung beschrieben, der je nach den Bedingungen des Einzelfalles auszugestalten sei. Es wird des weiteren darauf verwiesen, dass die Ausführungen der Verteidiger von Frau Zschäpe vom 20. und 21.12.16 zu der vorläufigen Stellungnahme vom 19.10.2016 Gelegenheit gäben, einige Verdeutlichungen vorzunehmen, um möglichen Missverständnissen bei der Aufnahme und Bewertung des Gutachtens entgegenzuwirken. Es wird diesbezüglich auf die Hauptaspekte Explorationsfrage, das Problem der Subjektivität und die geäußerte Sorge einer Psychopathologisierung verwiesen.

Es wird von Prof. Dr. Saß des weiteren ausgeführt, dass er sich an Materialien auf die Beobachtung und Information aus der Teilnahme an der weit überwiegenden Zahl der Hauptverhandlungstage stütze und sich in seinem Gutachten auf Anknüpfungstatsachen aus der Hauptverhandlung beschränke. Hinsichtlich der Ansicht, beim Fehlen einer psychiatrischen Diagnose gehe die Zuständigkeit auf Sachverständige aus Psychologie oder Kriminologie über, teilt Herr Prof. Dr. Saß mit, dass dies ihm ähnlich abwegig erscheine (wie die Meinung, dass ohne Exploration keine Begutachtung möglich sei). Hierzu führt Herr Prof. Dr. Saß weiter aus, dass in der forensischen Psychiatrie Kenntnisse in Psychologie, Kriminologie, Rechtsmedizin und anderen Disziplinen zur Ausbildung wie zum Praxisfeld gehörten. Herr Prof. Dr. Saß verweist auf die vor zehn Jahren gegründete Zeitschrift für forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie im Springer-Verlag, deren Mitherausgeber er sei: „Auch wenn es, wie hier, um die Einschätzungen von Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmalen geht, die weitgehend im gesunden Bereich liegen, so verfügt der Psychiater über einen breiten empirischen Hintergrund hierzu. Deutlich wird das auch in der psychiatrischen Psychotherapie, wo es ja nicht nur um pathologische Störungen geht, sondern um das Erleben und Verhalten von gesunden Menschen in schwierigen, belastenden Lebensumständen oder Konflikten.“

b. Zum Fach der forensischen Psychiatrie gehören Kenntnisse in Psychologie, Kriminologie, Rechtsmedizin und anderen Disziplinen zur Ausbildung wie zum Praxisfeld. Gleichermaßen lernt der Kriminologe, Rechtsmediziner, Jurist in Strafverfahren, der Psychologe während Ausbildung und Praxistätigkeit die Grundlagen der forensischen Psychiatrie, der Psychiatrie im Allgemeinen, wie auch anderer medizinischer Disziplinen kennen. Auch der Psychiater lernt in seiner Weiterbildung das Fach Neurologie kennen, während des Medizinstudiums lernt jeder Mediziner sämtliche Fächer des medizinischen Fachgebietes im operativen und nicht-operativen Bereich, in den naturwissenschaftlichen Grundlagen der Medizin und auch in der Medizinischen Psychologie kennen. Aus diesen in Studium und Praxis erworbenen Kenntnissen außerhalb des eigenen Fachgebietes lassen sich weder Expertise auf fachärztlichem Niveau noch im Hinblick auf eine Qualifikation als Sachverständiger ableiten. Auch die Aktivität als Mitherausgeber der Zeitschrift für forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie schreibt weder dem forensischen Psychiater entsprechende Sachverständigenkenntnisse in Psychologie und Kriminologie noch dem Psychologen und/oder Kriminologen entsprechende Sachverständigenkenntnisse im Fachgebiet der forensischen Psychiatrie zu, jedenfalls nicht objektiv nachvollziehbar. Es handelt sich eben um eine Tätigkeit als Mitherausgeber, und es sind – z.B. für den Bereich der Psychologie und Kriminologie – andere Mitherausgeber gesondert persönlich benannt.

Zur ärztlichen Facharztweiterbildung des Psychiaters gehört eine mindestens einjährige Weiterbildung im Fach Neurologie, ohne dass hier der entsprechende Facharztstandard eines Facharztes für Neurologie erreicht wird; dies gilt gleichermaßen für den Facharzt für Neurologie, der im Rahmen seiner Weiterbildung mindestens 1 Jahr Weiterbildung im Fach Psychiatrie zu absolvieren hat, ohne diesbezüglich die Qualifikation eines Facharztes für Psychiatrie erworben zu haben. Aus methodenkritischer Sicht ist als Grundlage für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens im hier beauftragten Bereich die fachärztliche Qualifikation und Zusatzqualifikation und/oder durch Hochschulabschluss erworbene wissenschaftliche Fachkompetenz erforderlich. Es ist nicht richtig, dass es in der psychiatrischen Psychotherapie um das Erleben und Verhalten von gesunden Menschen in schwierigen, belastenden Lebensumständen oder Konflikten geht, wenn diese nicht einen im psychopathologischen Sinne Schweregrad an Beeinträchtigungserleben und/oder psychosozialen Auswirkungen erreichen, um im Sinne des
ICD 10, z.B. unter F 43.- Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörung, klassifiziert werden können. Dies gilt gleichermaßen im Hinblick auf die Frage des Schweregrads und der Erheblichkeit im psychopathologischen wie im psychosozialen Bereich der Auswirkungen für den Bereich der unter F 48.- klassifizierten anderen neurotischen Störung, d.h., es gilt zu prüfen, ob entsprechende Konflikte das Erleben und Verhalten eines gesunden Menschen derart im psychopathologischen Sinne und/oder im Hinblick auf psychosoziale Auswirkungen beeinträchtigen, dass es Krankheitswertigkeit im Sinne des ICD 10, wie für die beispielhaft genannten Bereiche der Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörung, erlangt hat. Vor einer psychiatrischen Psychotherapie ist eine psychiatrische Diagnose zu stellen.

2. a. Es wird von Herrn Prof. Dr. Saß Bezug genommen auf die Mindestanforderung für Schuldfähigkeitsgutachten, bei denen es, so von Herrn Prof. Dr. Saß auszugsweise zitiert, in Abschnitt D. heiße: „Es gehört zu einer sorgfältigen forensischen Begutachtung im psychiatrisch-psychotherapeutischen und psychologischen Bereich, dass diagnostisch auch auf die Persönlichkeit und eine evtl. Persönlichkeitsstörung eingegangen wird“. Ferner sei dort auch von akzentuierten Persönlichkeitsmerkmalen die Rede, auf die Herr Prof. Dr. Saß noch später zurückkommen werde.
b. Da Herr Prof. Dr. Saß Bezug nimmt auf Abschnitt D der genannten Mindestanforderungen, muss darauf hingewiesen werden, dass dieser Abschnitt D sich auf „Mindestanforderung bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung von Beschuldigten mit Persönlichkeitsstörung oder sexueller Devianz“
bezieht, und dass im Anschluss an den von Herrn Prof. Dr. Saß zitierten Abschnitt im Hinblick auf die von Prof. Dr. Saß angesprochenen akzentuierten Persönlichkeitsmerkmalen im Abschnitt D. zu entnehmen ist: „Die hier vorgelegten Anhaltspunkte sind immer dann heranzuziehen, wenn die Untersuchung Hinweise auf akzentuierte Persönlichkeitsmerkmale und Auffälligkeiten ergibt, die unter dem Begriff der schweren anderen seelischen Abartigkeit zu fassen sind“. Das heißt, es wird in den genannten Mindestanforderungen auf die darin enthaltene inhaltliche Ausrichtung auf Beschuldigte mit Persönlichkeitsstörung verwiesen und auf solche Personen, bei denen sich in der Untersuchung Hinweise für akzentuierte Persönlichkeitsmerkmale und Auffälligkeiten ergeben, die (dem Schweregrad entsprechend) unter dem Begriff der schweren anderen seelischen Abartigkeit zu subsumieren wären. Eine weitere Operationalisierung, was mit akzentuierten Persönlichkeitsmerkmalen gemeint ist, findet sich hier nicht.

Der Begriff „Persönlichkeitsakzentuierung“ ist nicht in dem von Prof. Dr. Saß im Literaturverzeichnis genannten Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie Medizinische Psychologie operationalisiert. Die genannten Mindestanforderungen beschäftigen sich unter I. im Abschnitt D mit der Begutachtung von Persönlichkeitsstörungen mit dem unter 1.1 erfolgten Hinweis, dass das Gutachten die Kriterien von ICD 10 oder DSM IV TR zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung berücksichtigen sollte. Es wird diesbezüglich in den Mindestanforderungen ausgeführt, dass von besonderer Bedeutung die Beachtung der allgemeinen definierten Merkmale von Persönlichkeitsstörungen in den beiden Klassifikationssystemen ist.
Es wird dort unter 1.2 weiter ausgeführt, „da zum Konzept der Persönlichkeitsstörung eine zeitliche Konstanz des Symptombildes mit einem überdauernden Muster von Auffälligkeiten in den Bereichen Affektivität, Kognition und zwischenmenschlichen Beziehungen gehört, kann eine zeitlich umschriebene Anpassungsstörung die Diagnose nicht begründen.“ Es wird auf die Bedeutung individueller Interaktionsstile, die Reaktionsweisen unter konflikthaften Belastungen sowie Veränderungen infolge von Reifungs- und Alterungsschritten oder eingeleiteten therapeutischen
Maßnahmen verwiesen. Unter 1.3 wird ausgeführt, dass rezidivierende, sozial deviante Verhaltensweisen sorgfältig von psychopathologischen Merkmalen einer Persönlichkeitsstörung getrennt werden müssen. Es wird darauf verwiesen, dass sich Auswirkungen von Persönlichkeitsstörungen nicht nur im strafrechtlichen Kontext zeigen.

3. a. Es wird von Herrn Prof. Dr. Saß auf die besondere Bedeutung äußerer Aspekte des individuellen Verhaltens und der beobachtbaren Interaktion mit anderen Personen bei Wahrnehmung aus der Hauptverhandlung verwiesen und ausgeführt, dass von besonderem Interesse dabei die Psychomotorik sei, „wobei dieser Begriff das gesamte, der durch psychische Vorgänge geprägten Bewegungen umfasst“. So wie Prof. Dr. Saß mitteilt, werde davon ausgegangen, dass die Psychomotorik das Resultat einer Integration von psychischen und motorischen Funktionen darstelle, weshalb sich psychische Sachverhalte mehr oder weniger auch im Bewegungsspiel widerspiegelten.
b. Es wird Bezug genommen auf die 6. Auflage des von Peters 2007 veröffentlichten Lexikons Psychiatrie, Psychotherapie, medizinische Psychologie. Dieses Lexikon liegt mittlerweile seit Ende 2016 in der 7. Auflage vor. Es handelt sich nicht um eine zitierfähige wissenschaftliche Originalliteratur. In dem von Peters vorgelegten Lexikon wird unter dem Stichwort Psychomotorik Bezug genommen auf die durch psychische Krankheiten und Störungen bedingten Auswirkungen und beobachtbaren Veränderungen in Mimik, Gestik und Motorik, insbesondere bei Psychosen. Auf die Beurteilung der Psychomotorik des nicht psychisch erkrankten oder gestörten Menschen wird nicht eingegangen. Es liegen keine operationalen Kriterien vor, auf die sich Beobachtungen und deren Bedeutungszuschreibungen wissenschaftlich begründen und nachvollziehen lassen. Dies gilt insbesondere, wenn aus den beobachteten Aspekten von Mimik, Gestik und Motorik auf emotional affektive Prozesse geschlossen wird. Eine zum Beispiel im Bereich der klinischen Psychologie international anerkannte Methodik zur Beurteilung affektiver Prozesse anhand der Mimik ist das Facial Action Coding System, welches insbesondere von Frau Prof. Dr. Bänninger-Huber vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck vertreten wird.

Der Hinweis von Herrn Prof. Dr. Saß, dass „von daher der subjektive Charakter der Einschätzung durch den Gutachter zu betonen ist, die allerdings auf dem empirischen Erfahrungshintergrund jahrzehntelanger Untersuchungen und Beobachtungen im forensischen Bereich beruhen“, bei fehlender, wissenschaftlicher Begründung und Nachvollziehbarkeit nicht als Basis für ein Sachverständigengutachten zu werten ist. Legt man allgemeine Kriterien wissenschaftlicher Arbeit zugrunde, so ist die subjektive Einschätzung von Verhaltensbeobachtungen allenfalls als Basis für eine Hypothesengenerierung zu werten, sie wird nicht durch den Hinweis auf die Entscheidung des Empfängers des Gutachtens, ob das Vorgetragene einleuchtend und überzeugend ist, im wissenschaftlichen Sinne objektiviert. Es muss dazu differenziert angemerkt werden, dass Mimik, Gestik und Motorik bei psychischen Erkrankungen und Störungen qualitativ bereits durch erhebliche Abweichungen auffallen und einer nach psychopathologischen Kriterien psychischen Befundung zugänglich sind. Anders verhält es sich bei Mimik, Gestik und Motorik im Spektrum des psychisch gesunden Menschen. Die Beurteilung hier ist im wissenschaftlichen Sinne den Fachgebieten der differenziellen Psychologie, medizinischen Psychologie und klinischen Psychologie zuzuschreiben. Hier muss im Falle der differenziellen Psychologie insbesondere zwischen Traits, (d.h. Persönlichkeitszügen und Eigenarten) und States (situativ bedingten Erleben und Verhalten) differenziert werden. Im Bereich der medizinischen Psychologie und klinischen Psychologie sei auf die, auch im Medizinstudium gelehrten und diskutierten besonderen Effekte im Rahmen von Interaktionen und Untersuchungssituationen verwiesen. Zu beachtende Probleme sind bei subjektiven Einschätzungen u.a. die der „selbsterfüllenden Prophezeiung“, bei der die Vorhersage ihre Erfüllung selbst bewirkt, und des „Versuchsleiter- oder Untersuchereffektes“, bei dem das Verhalten des Versuchsleiters bzw. Untersuchers durch Nähe/Distanz, Mimik, Gestik und Äußerungen usw. das Verhalten der beobachteten Person beeinflusst.

4. a. Weiter teilt Herr Prof. Dr. Saß mit, dass die Erhebung eines psychischen Befundes, seine Interpretation und die diagnostische Bewertung den Regeln eines wissenschaftlichen Vorgehens unterläge und es bei der forensisch-psychiatrischen Begutachtung in methodischer Hinsicht um
die erfahrungswissenschaftliche Untersuchung eines Einzelfalles gehe. „Diese beruhte darauf, dass der Sachverständige über den jeweiligen, empirisch gewonnenen Erkenntnisstand des Fachgebietes verfügt und aufgrund dessen in der Lage ist, begründete Aussagen über den Einzelfall zu treffen, indem er die individuell gewonnenen Daten und Informationen in Bezug zum generellen Wissensstand des Faches setzt“.
b. Wenn unter diagnostischer Bewertung die Zuordnung zu den diagnostischen Systemen des ICD 10 und DSM zu verstehen ist, dann geht es um die Beurteilung psychischer Erkrankungen und/oder Störungen und betrifft das Fachgebiet der Psychiatrie. Wenn mit „Erkenntnisstand des Fachgebietes“ das Fachgebiet der Psychiatrie einschließlich der forensischen Psychiatrie gemeint ist, dann bezieht sich dies eben auf die weiter oben genannte „diagnostische Bewertung“, die die entsprechenden Klassifikationssysteme (ICD 10, DSM) zugrunde legt. Der Erkenntnisstand des Fachgebietes (Psychiatrie und forensische Psychiatrie) beinhaltet nicht die außerhalb der diagnostischen Bewertungen differenziellen Beurteilungen des psychisch gesunden Menschen (den so genannten „Normalbefund“). Diese Aufgabe fällt bei wissenschaftlicher Begründung in das Fachgebiet der Psychologie, hier insbesondere der differenziellen Psychologie.

5. a. Von Herrn Prof. Dr. Saß wird auf in geeigneten Fällen standardisierte Untersuchungsinstrumente zur Einschätzung von Gefährlichkeit und Rückfallrisiken als mögliche Erkenntnisquellen bei der forensisch-psychiatrischen Beurteilung der Kriminalprognose verwiesen.
b. Sofern diese standardisierten Untersuchungsinstrumente vom Psychiater bzw. forensischen Psychiater eingesetzt werden, so ist zunächst eine das Fachgebiet (Psychiatrie bzw. forensische Psychiatrie) betreffende diagnostische Zuordnung zu leisten.
6. a. Herr Prof. Dr. Saß führt des weiteren aus, dass im Hinblick auf die Gegebenheit des Einzelfalles hier ein klinisch-idiographisches Beurteilungskonzept als Ausgangspunkt angewandt werde.
b. Grundsätzlich ist auch hier bei der Bearbeitung wichtiger Bereiche aus der Biographie und der Persönlichkeit sowie der delinquenten Vorgeschichte und ihrer Einbettung in jeweilige biographische Zusammenhänge zunächst zu prüfen, ob und inwiefern überhaupt ein psychisches Krankheits- und/oder Störungsbild vorliegt, um dann im nächsten Schritt das klinisch-idiographische Beurteilungskonzept anwenden zu können. Es heißt ja klinisch-idiographisches Beurteilungskonzept. Das heißt, wenn keine psychische Krankheit und/oder Störung im klinischen Sinne vorliegt, dann ist es nicht Aufgabe des Psychiaters und/oder forensischen Psychiaters, sich mit den kriminologischen und/oder psychologischen Variablen zu beschäftigen.

7. a. Herr Prof. Dr. Saß verweist auf die „Mindestanforderung für Prognosegutachten“ hinsichtlich der Informationsgewinnung mit Verweis auf den dortigen Abschnitt II. 1.
b. In der genannten Publikation „Mindestanforderung für Prognosegutachten“ ist unter „II.2 Diagnose und Differentialdiagnose“ ausgeführt, dass die Erhebung der Information abgeschlossen wird mit der Benennung einer möglichst genauen Diagnose (orientiert gegenwärtig an ICD 10 oder DSM IV TR), „sofern ein forensisch-psychiatrisch zu beschreibender Sachverhalt vorliegt. An dieser Stelle sind auch differentialdiagnostische Optionen zu benennen. Die eingehende Diskussion der Diagnose und der ihr in diesem Fall zugrundeliegenden Sachverhalte sowie der Differentialdiagnose erfolgt dann hier oder im Rahmen der Beurteilung.“ Dahle führt in seiner Übersicht zu den methodischen Grundlagen der Kriminalprognose u.a. aus: „Obwohl gesetzlich nicht explizit gefordert, dürfte Konsens darüber bestehen, dass es beim Rückgriff auf nicht juristische Sachverständige im Rahmen strafrechtlicher Entscheidungen um die Nutzung verhaltenswissenschaftlicher Expertise zum Zwecke der Verbesserung der Prognosezuverlässigkeit geht – dieser Tenor liegt auch den Mindeststandards für Prognosegutachten zugrunde.“ Es wird auf die Grundvarianten von Prognosemethoden verwiesen, zum einen das statistische, aktuarische oder nomothetische Prognoseverfahren und auf der anderen Seite das idiographische Wissenschaftsmodell mit der retrospektiven Erklärung der individuellen Ursachen der bisherigen Delinquenz ohne Auflistung vorgegebener Einzelmerkmale und Regeln: „Es geht vielmehr darum, den komplexen Prozess der Urteilsbildung durch methodische Vorgaben zu systematisieren, um ihn auf eine wissenschaftlich kontrollierbare Grundlage zu heben und nachvollziehbar zu machen“.

8. a. Unter 1.2.2 wird zur Biographie und früherer Entwicklung ausgeführt, dass einige Gesichtspunkte hervorgehoben werden sollten, die aus psychopathologischer und entwicklungspsychologischer Sicht von Interesse seien. Es wird ausgeführt, dass es sich bei der Formulierung „aus psychopathologischer und entwicklungspsychologischer Sicht“ nicht um eine Psychopathologisierung und Psychiatrisierung des Normalen handele. Es wird des Weiteren darauf verwiesen, dass es sich bei der Ansicht, dass bei fehlender Feststellung „einer Psychopathologisierung“ das Gebiet der Psychiatrie ende, es sich offenbar um ein grundlegendes Fehlverständnis eines Zentralbegriffs der Psychiatrie handele. Es wird ausgeführt, dass Psychopathologie nicht die Bezeichnung für eine Erkrankung oder psychische Störung sei, so dass „eine Psychopathologie“ auch nicht fehlen könne. Psychopathologie stelle vielmehr die Lehre von der Erkennung, Beschreibung und Ordnung abnormer seelischer Phänomene dar. Dies geschehe vor dem Hintergrund der Kenntnis des gesamten Seelenlebens in seinen gesunden, wie in seinen gestörten Formen. Es sei Aufgabe des psychiatrischen Sachverständigen, bei der Untersuchung auf Abnormes auch die Überlappungsbereiche in das nicht krankhaft veränderte Seelenleben zu prüfen. Dies geschehe auch unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte des Normalen, wie auch der gestörten Entwicklung der Persönlichkeit.
b. Es wird an dieser Stelle nicht mitgeteilt, was mit entwicklungspsychologischen Aspekten gemeint ist und ob und wenn ja, welches Modell der Entwicklungspsychologie zugrunde gelegt wird: Banduras Theorie des Sozialen Lernens (Lernen am Modell), Freuds Phasen der psychosexuellen Entwicklung, Piagets Stufenmodell (kognitive Entwicklung – sensomotorisch – operational Intelligenz) oder Kohlbergs Modell der Entwicklung der Moral. Legt man das von Herrn Prof. Dr. Saß zitierte Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, Medizinische Psychologie von Peters zugrunde, so bezeichnet Psychopathologie die „Lehre von den Leiden der Seele“. Die Psychopathologie kann sich verstehen als die Wissenschaft von der Anwendung psychologische Denkkategorien auf psychische Krankheiten bzw. psychisch Kranke.“

9. a. Unter dem einleitenden Satz „zurück zur Biographie von Frau Zschäpe“ folgen zunächst chronologische Abhandlungen und Fakten zur Lebensgeschichte. Es wird mit Hinweis auf eine in diese Darstellung von Frau Zschäpe eingeflochtene kleine Bemerkung, „dass sie wegen der Geldknappheit damals begonnen habe, sich innerhalb des Freundeskreises an kleineren Diebstählen zu beteiligen“ ausgeführt, dass es hier für den psychiatrischen Beobachter so aussähe, als zeige sich zum ersten Mal eine gewisse Tendenz von Frau Zschäpe, die Verantwortlichkeit auf auftretende Probleme und eigenes Verhalten, wie auch Fehlverhalten anderen Personen oder Umständen zuzuordnen: „Im Übrigen gibt es hinsichtlich der ‚kleineren Diebstähle‘ offenbar auch eine deutliche Tendenz zum Bagatellisieren, also zum Herabspielen der damaligen Handlungen durch Frau Zschäpe, sofern davon auszugehen ist, dass die Schilderungen des Zeugen [Andreas Re.] im Großen und Ganzen zutreffend waren“. Es wird ausgeführt, dass diese Formulierung vom Referenten mit Bedacht gewählt worden sei und der Tatsache Rechnung tragen solle, dass es sich beim Externalisieren und Bagatellisieren nicht um objektiv messbare Befunde handele, sondern um eine Einschätzung durch den Untersucher: „Ob sie plausibel ist, wird damit ausdrücklich der Beurteilung des Lesers oder Adressaten des Gutachtens überlassen“.
b. Wenn man zugrunde legt, dass es bei Anwendung eines idiographischen Wissenschaftsmodells weniger um die Auflistung vorgegebener Einzelmerkmale und Regeln geht, sondern darum, den komplexen Prozess der Urteilsbildung durch methodische Vorgaben zu systematisieren, um ihn auf eine wissenschaftlich kontrollierbare Grundlage zu heben und nachvollziehbar zu machen, so entzieht sich Herr Prof. Dr. Saß diesem wissenschaftlichen Auftrag, wenn er darauf hinweist, dass die Plausibilität seiner Einschätzung als Untersucher ausdrücklich der Beurteilung des Lesers oder Adressaten des Gutachtens überlassen wird.

Götzl: „Entschuldigung, ich muss unterbrechen: Herr Gerlach, Sie sind schon bei der Sache?“
[Gerlach wirkt tatsächlich, als ob er kurz vorm Einschlafen wäre.]

Sturm setzt fort:
Es ist nicht richtig, dass es sich „beim Externalisieren und Bagatellisieren nicht um objektiv messbare Befunde handelt“. In der Psychologie ist durch Operationalisierung und Prüfung der Testgütekriterien auch die objektive Messung von Externalisieren und/oder Bagatellisieren möglich. Methodenkritisch ist zudem anzumerken, dass dann, wenn aus der in einem zeitlichen und situativen Rahmen beschriebenen Erlebens- und Verhaltensweise einer Person (State-Merkmal) auf eine Eigenschaft, hier nämlich die Verantwortlichkeit für auftretende Probleme und eigenes Verhalten, wie auch Fehlverhalten anderen Personen oder äußeren Umständen zuzuordnen, wie auch die Zuschreibung einer deutlichen Tendenz zum Bagatellisieren, abgeleitet wird, so muss dies im wissenschaftlichen Sinne als zu prüfende Hypothese formuliert werden. Das heißt, es muss geprüft werden, ob die hier von Herrn Prof. Dr. Saß auf der Basis der genannten Anknüpfungen geleistete Schlussfolgerung im Verlauf durch weitere Erlebens- und Verhaltensbeobachtungen oder Feststellungen gestützt oder verworfen werden muss im Sinne eines überdauernden Merkmals der Persönlichkeit.

10. a. Im Weiteren folgt im letzten Absatz auf Seite 14 die Einschätzung: „Dagegen scheint die Beziehung zur Mutter weitgehend durch Enttäuschung, Ablehnung und Desinteresse gekennzeichnet zu sein, wobei es wohl zumindest in der Vergangenheit auch Züge einer gewissen Rigorosität und Unversöhnlichkeit gegeben hat. Für die Entwicklung von Selbstbewusstsein und Ich-Identität dürften die genannten Bedingungen bei dem jungen Mädchen und der Heranwachsenden eine gewisse Belastung bedeutet haben“. Weiter heißt es auf Seite 15, mittlerer Abschnitt, „zu den wunden Punkten in der eigenen Herkunftsfamilie gehörte wohl auch“.
b. Diese Formulierungen entziehen sich der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit, da sie nicht hypothesengeleitet formuliert sind, sondern so offen formuliert sind, dass der Leser hier grundsätzlich nur zustimmen kann, aber nicht weiß, welchem Inhalt er hier eigentlich zustimmt, da nicht klar ist, in welcher Weise die genannten Aspekte der Beziehung zur Mutter für die Entwicklung von Selbstbewusstsein und Ich-Identität bei dem jungen Mädchen und der Heranwachsenden eine gewisse Belastung bedeutet haben. Es ist nicht klar, was mit „wunden Punkten“ gemeint ist.

11. a. Es folgend auf Seite 17-18 unter dem Aspekt der Sozialkontakte von Frau Zschäpe Wiedergaben von Zeugenaussagen, und es folgt am Ende des ersten Absatzes auf Seite 18 die Feststellung: „Die Art, wie Herrn Re. etwa die gemeinsam von Beate Zschäpe und ihrem Freund angeblich begangenen Einbrüche oder Zigarettendiebstähle bei Vietnamesen schildert, deutet auf beginnende dissoziale Tendenzen bei der Heranwachsenden zur damaligen Zeit“.
b. Diese Formulierung ist an dieser Stelle wissenschaftlich nicht überprüfbar, sie beinhaltet eine vorweggenommene Wertung („beginnende dissoziale Tendenzen“) und ist somit suggestiv. Des weiteren ist der Begriff dissoziale Tendenz nicht operationalisiert, d.h., nicht abgegrenzt vom Begriff der Dissozialität im Sinne des ICD 10 F 60.2. oder von den Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend, hier speziell den Störungen des Sozialverhaltens.
12. a. Anknüpfend folgt im nächsten Absatz der Hinweis, dass in ähnliche Richtungen die Beschreibung anderer Zeugen gingen, die sich in der Hauptverhandlung zu Eigenschaften und Verhalten von Frau Zschäpe geäußert hätten: „So beschreibt der Zeuge sie als relativ heiter, in seinen Augen nicht besonders intelligent, aber mit einer gewissen Bauernschläue“. b. Es ist nicht klar, was mit „in ähnliche Richtungen“ gemeint ist, der konkrete Bezug ist nicht nachvollziehbar, und es ist auch nicht klar, um welche konkreten Beschreibungen anderer Zeugen es sich hier bezüglich der Eigenschaften und Verhaltensweisen von Frau Zschäpe handelt.
Es ist auch nicht klar, ob und inwiefern die Beschreibung des Zeugen Christian Kapke im Hinblick auf eine gewisse Bauernschläue der Frau Zschäpe als Beleg für die zuvor benannten, beginnenden dissozialen Tendenzen verstanden werden soll.

13. a. Es folgen ab Seite 19, Absatz Mitte, Ausführungen zu Zeugenaussagen im Hinblick auf die Partnerschaften der Frau Zschäpe sowie auch das Referat eigener Äußerungen der Frau Zschäpe zu Partnerschaften.
b. Es ist nicht klar, in welcher Hinsicht die Erklärungen bzw. Ausführungen von Frau Zschäpe als „interessanterweise“ bzw. als „bemerkenswert“ benannt werden. Hier ist nicht klar und nachvollziehbar, in welchem gutachterlichen Kontext diese zuschreibende Wertung einer Erklärung und Äußerung als interessanterweise bzw. bemerkenswert erfolgt.
14. a. Auf Seite 22 im letzten Absatz, unten, letzte Zeile, findet sich der Satz: „wenn Frau Zschäpe formulierte, man könne sagen, ohne wären diese ganzen Untersuchungen nicht möglich gewesen, so findet sich hier erneut die Tendenz, auf eine Außenverursachung hinzuweisen“. b. Diese Formulierung ist im wissenschaftlichen Sinne nicht hypothesengeleitet, sondern für sich tendenziell, d.h. das Ergebnis vorwegnehmend. Sie knüpft inhaltlich an der Formulierung auf Seite 13, untere Hälfte, an: „Hier sieht es für den psychiatrischen Beobachter so aus, als zeige sich zum ersten Mal eine gewisse Tendenz von Frau Zschäpe, die Verantwortlichkeit für auftretende Probleme und eigenes Verhalten, wie auch Fehlverhalten anderen Personen oder äußeren Umständen zuzuordnen“. Es wird vom Sachverständigen Prof. Dr. Saß außer Acht gelassen,
dass es faktisch so hätte sein können, dass ohne Tino Brandt diese ganzen Unternehmungen nicht möglich gewesen wären. Es ist zudem aus methodischer Sicht kritisch anzumerken, dass die Formulierungen auf Seite 13, „als zeige sich zum ersten Mal eine gewisse Tendenz“ als vorwegnehmende Wertung suggestiv ist, und die Formulierung auf Seite 22, letzte Zeile, „so findet sich hier erneut die Tendenz“ bei fehlendem Hinweis auf eine Alternativmöglichkeit im Faktischen ebenfalls suggestiv ist. Der Begriff Tendenz ist nicht operationalisiert. Im statistischen Sinne kann bei einem nicht signifikanten Unterschied (Irrtumswahrscheinlichkeit nicht

15. a. Ab Seite 24 folgen „Informationen, die zur Einschätzung von Persönlichkeit, Befinden und Verhalten von Frau Zschäpe beitragen können.“ „Konkret benannt wurden Streitigkeiten wegen des Herumliegens einer Pistole, wegen des von ihr gewünschten Internetzuganges sowie wegen der Überlassung von 10.000 DM an Holger Gerlach, was sie wegen dessen damaliger Spielsucht missbilligt habe.“
b. Im Hinblick auf die auf Seite 18 festgestellten „beginnenden dissozialen Tendenzen“ fehlt hier die Überprüfung der Hypothese „dissoziale Tendenz“ anhand dieser Verhaltensweisen.
16. a. Im genannten zweiten Bereich Urlaubsbekanntschaften wird u.a. auf ein kontaktfreudiges, hilfsbereites, geselliges, unterhaltsames Verhalten ohne irgendwelche Auffälligkeiten verwiesen. „Auch hinsichtlich des Konsums von psychotropen Drogen oder Alkohol wurden keine Besonderheiten geschildert“.
b. In genannten dritten Bereich wird unter Bezugnahme auf die Hausbewohner auf ein insgesamt unauffälliges Verhalten verwiesen: „Dabei erschien Frau Zschäpe ihren Nachbarn nicht nur als kontaktfreudig, unkompliziert und unbefangen, sondern sie sei auch gegenüber sozial oder finanziell schwächeren Personen hilfsbereit und unterstützend gewesen. Auffällige Alkoholisierungen wurden nicht geschildert. Das Verhalten von Frau Zschäpe wurde als nett, freundlich und unauffällig geschildert. Auch wurden Züge menschlicher Anteilnahme genannt. Stattdessen habe sie auf die Katzen verwiesen, von denen es auch einmal geheißen hatte, sie seien wie ihre Kinder gewesen.“ Resümierend wird von Herrn Prof. Dr. Saß festgehalten, dass aus forensisch-psychiatrischer und psychopathologischer Sicht keine gravierenden Auffälligkeiten bekannt geworden seien.

c. Der resümierenden Feststellung fehlender gravierender Auffälligkeiten ist grundsätzlich zu folgen, allerdings fehlen auf der Basis dieser geschilderten Erlebens- und Verhaltensweisen, in Abgrenzung von „dissozialen Tendenzen“, Hinweise auf vorhandene Eigenschaften, die unter den Begriff Resilienz fallen : z.B. unkomplizierte, positive Lebenseinstellung, die positive Reaktionen des Umfelds hervorruft, Fähigkeit zu Empathie und das damit verbundene Aufrechterhalten von sozialen Beziehungen.
17. a. Auf Seite 30 wird von Herrn Prof. Dr. Saß u.a. festgehalten: „Wenn Sie weiterhin formulierte: ‚Ich wollte es nicht hören‘, so könnte dies, ein Zutreffen unterstellt, auf – im Alltagsverständnis
– Verdrängungsversuche und den Wunsch hindeuten, sich den von ihr angegebenen Belastungen durch Nichtwissen zu entziehen.“
b. Der Begriff Verdrängung ist als „besondere Form eines Abwehrmechanismus“ operationalisiert und von Sigmund Freud geprägt: „Die Verdrängung vollzieht sich nach Freud nicht an den Erlebnissen selbst, sondern an den Erinnerungen daran. Zweck der Verdrängung ist die Vermeidung von Unlust“; „Gelingt es einer Verdrängung nicht, die Entstehung von Unlust und Angst zu unterdrücken, gilt sie als missglückt. Mit solchen missglückten Verdrängungen hat man es bei der Neurosenbehandlung zu tun.“ Eine solche diagnostische Zuordnung findet sich bei Frau Zschäpe nicht. Es ist nicht klar, welches Alltagsverständnis von Verdrängungsversuchen von Prof. Dr. Saß zugrunde gelegt wird.

18. a. Auf Seite 31 formuliert Professor Dr. Saß in seinem Resümee: „Ganz im Vordergrund stehen ihre eigene Situation, die Kritik am Verhalten der Partner, die Verantwortungszuschreibung
nach außen. Weniger entsteht der Eindruck einer authentischen Auseinandersetzung. Aus psychopathologischer Perspektive ergeben sich damit Hinweise auf egozentrische, wenig empathische und externalisierende Züge.“
b. Der Begriff Authentizität, hier als Eigenschaft einer Person mitgeteilt, ist nicht operationalisiert, zumal es hier nicht um das sich selbst als authentisch Erleben einer Person geht, sondern um die Wirkung auf eine andere Person. Das methodische Problem ist, dass Authentizität stets von Dritten zugebilligt wird, womit sich gerade der Begriff des Authentischen als widersprüchlich entlarvt: Was echt ist, liegt somit im Auge des Betrachters. Methodisch ist zudem grundsätzlich anzumerken, dass die fehlende Feststellung von etwas, hier Authentizität, Annahme der Null-Hypothese, nur unter Nennung der Betrachtungsbedingungen, und nur unter dieser Einschränkung zu werten ist.

19. a. Unter „1.2.5 Zur Entwicklung der Angeklagten seit der Verhaftung“ teilt Herr Prof. Dr. Saß mit, dass sich „keine besonderen Auffälligkeiten oder gar Hinweise für Störungen ergeben“ hätten. Es wird auf ein breites Repertoire von situativ angepassten, kontrollierten und variierenden Verhaltensweisen verwiesen. Es wird u.a. ausgeführt, dass „aus psychopathologischer Perspektive von Interesse sind die skizzierten Beobachtungen aus der Prozesszeit, weil sie Rückschlüsse erlauben auf die Fähigkeit und Bereitschaft von Frau Zschäpe zum Vertreten und Durchsetzen der eigenen Position, zur kämpferischen Selbstbehauptung, zu einer nahezu feindselig durchgehaltenen Beharrlichkeit und zum erfolgreichen Durchstehen massiver zwischenmenschlicher Konfliktlagen. Setzt man dieses Verhalten in Beziehung zu den Angaben der Frau Zschäpe über die Differenzen mit den beiden Uwes, etwa in Hinblick auf das Sich-Stellen und vor allem auf die Tötungshandlungen, so bleibt die Frage, wie plausibel die Schilderungen von Frau Zschäpe sind, wenn sie sich für die damalige Zeit als abhängig und quasi ohnmächtig resignierend beschreibt.“ Es wird zudem darauf verwiesen, dass aus den Beobachtungen der langjährigen Wohnungsnachbarn und den Urlaubsbekanntschaften keinesfalls ein Bild entstanden sei, „wie es Frau Zschäpe von sich selbst gezeichnet hat, nämlich dass sie sich ab Ende des Jahres 2000 durchgängig in einer emotionalen Bedrücktheit, in einer Konfliktsituation und in einer Lage, die sie subjektiv geradezu als ausweglos darstellt, befunden hätte.“

b. Methodenkritisch wird von Herrn Prof. Dr. Saß selbst auf Seite 35 auf den zu berücksichtigen möglichen Einwand, dass inzwischen eine ganze Reihe von Jahren vergangen ist und Weiterentwicklungen in der Persönlichkeit der Angeklagten stattgefunden haben können, hingewiesen. Auf der anderen Seite werden die heutigen Beobachtungen von Selbstbehauptungswillen, sozialer Kompetenz und Durchsetzungsstärke als von vielen Zeugen schon für die Zeit vor dem Untertauchen sowie während der Jahre im Untergrund geschildert berichtet. Methodenkritisch ist anzumerken, dass aus Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdbild nicht ausschließlich auf eine fehlende Plausibilität des Selbstbildes zu schließen ist, sondern auch auf eine fehlende Plausibilität des Fremdbildes geschlossen werden kann. Dann wären die Verhaltensweisen der Frau Zschäpe im Kontakt zu anderen (Nachbarn, Urlaubsbekannten) als Ausdruck manifester Abwehr- und Kompensationsmechanismen der Selbststabilisierung zu werten, mit dem Ziel, nach außen hin eigene merkliche Defizite nicht zu zeigen.

20. a. Unter „1.3.2 Zur Persönlichkeit“ resümiert Prof. Dr. Saß, dass bei der Persönlichkeit von Frau Zschäpe dissoziale bzw. antisoziale Tendenzen, eine Neigung zum Externalisieren, Verdrängen und Abspalten, aber auch zu dominanten und manipulativem Verhalten, ferner egozentrische und auf Wirkung bedachte Züge, schließlich Mängel in der Gemüthaftigkeit und Empathie vorhanden seien.
b. Es ist nicht nachvollziehbar, mit welcher inhaltlichen Begründung die Begriffe „dissozial“ und „antisozial“ aus den psychiatrischen Klassifikationssystemen zur Beschreibung der Persönlichkeit benutzt werden. Im Hinblick auf den Hinweis auf entsprechende Tendenzen ist nicht ersichtlich, auf welche konkreten Kriterien dieser diagnostischen kategorialen Modelle Bezug genommen wird, d.h. welche Kriterien im Sinne einer Tendenz bei Frau Zschäpe durch welche Begründung als vorliegend angesehen werden. Es ist nicht klar, wie die Begriffe Externalisieren, Verdrängen und Abspalten operationalisiert sind – im Alltagsverständnis, wenn ja in welchem Alltagsverständnis, oder nach welchen Kriterien, in Betracht kommt z.B. psychodynamisch als Abwehrmechanismen.

21. a. Unter „1.3.3 Zur Schuldfähigkeit“ teilt Herr Prof. Dr. Saß mit, dass die Persönlichkeit Frau Zschäpes keine so abnormen Züge aufweise, dass von einer Persönlichkeitsstörung im Sinne der psychiatrischen Klassifikationssysteme zu sprechen wäre: „Die bei Frau Zschäpe zu beschreibenden Persönlichkeitsmerkmale lassen sich deskriptiv als eine akzentuierte Persönlichkeit mit dissozialen bzw. antisozialen sowie histrionischen Zügen beschreiben. Dabei wird jedoch das Ausmaß einer sogenannten ’schweren anderen seelischen Abartigkeit‘ nicht erreicht.“
b. Der Begriff ‚akzentuierte Persönlichkeit‘ ist nicht operationalisiert. Unklar bleibt, welche dissozialen bzw. antisozialen Züge, oder – falls gemeint – Tendenzen, erfasst werden. Unklar bleibt ferner, ob die histrionischen Züge ebenfalls im Sinne der psychiatrischen Klassifikation zu sehen und welche histrionischen Züge gemeint sind. Es ist nicht nachvollziehbar, auf welcher inhaltlichen Grundlage nun eine „akzentuierte Persönlichkeit“ beschrieben wird, während im vorläufigen Gutachten vom 09.11.16 die Persönlichkeitsmerkmale als „Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit“ beschrieben wurden.

22. a. Unter „1.3.4 Zu Gefährlichkeit und Hang“ teilt Herr Prof. Dr. Saß mit, dass sich aus psychiatrischer Sicht der Hang als eine progrediente Entwicklung zu aktiver Delinquenz, die auf dissozialem Verhalten und der Identifikation mit einem kriminellen Lebensstil beruht, äußere. Es wird auf eine Orientierung an den Kriterien hingewiesen. Im Verlauf der Ausführungen teilt Herr Prof. Dr. Saß u.a. mit: „Psychologisch plausibel wäre es“; „Psychologisch nicht ohne weiteres stimmig (…)“. Auf Seite 49 findet sich im 2. Absatz die Formulierung: „Dabei fanden sich nach psychiatrischem Eindruck keine Hinweise, die deutlich für eine Authentizität ihrer Erklärungen sprechen können.“ Auf Seite 51 teilt Herr Professor Dr. Saß unter Bezugnahme auf Erklärungen und die „knappe Äußerung von Frau Zschäpe“ mit: „Aus ihnen lässt sich angesichts des skizzierten Persönlichkeitsbildes m.E. nicht überzeugend ableiten, dass eine grundlegende Änderung von inneren Einstellungen und Verhaltensdispositionen eingetreten ist.“
b. Es ist nicht nachvollziehbar, wie „psychologische Plausibilität“ oder „psychologische Stimmigkeit“ aus „psychiatrischer Sicht“ operationalisiert sind. Methodisch betrachtet geht die oben genannte Formulierung auf Seite 51 von der zu prüfenden Hypothese aus, dass eine grundlegende Änderung von inneren Einstellungen und Verhaltensdispositionen eingetreten ist. Unter Bezugnahme auf Erklärungen und die „knappe Äußerung von Frau Zschäpe“ lasse sich angesichts des skizzierten Persönlichkeitsbildes diese grundlegende Änderung nicht ableiten. Methodisch gesehen kann die Nullhypothese nicht bestätigt werden, sie wird auf der Basis eingeschränkter Anknüpfungen angenommen. Ob eine grundlegende Änderung nicht vorliegt, kann nicht bestätigt werden. Es wird eine persönliche Einschätzung mitgeteilt, wie die Verwendung „m.E.“ nahelegt.

23. a. Herr Prof. Dr. Saß nimmt Bezug auf die „Hangkriterien“. Als Kennzeichen eines Hanges im dort gemeinten Sinne würden als in Frage kommend (1) bis (9) benannt und resümierend festgehalten, dass sich bei Zugrundelegung dieser Kriterien ein hohes Überwiegen solcher Aspekte ergäbe, die für das Vorliegen eines Hanges sprächen.
b. Formal: Es werden 9 von 11 der in der Übersichtsarbeit 2004 publizierten „Hangkriterien“ im Gutachten benannt. Zu den Kriterien „Phasen der Delinquenz überwiegen gegenüber unauffälligen Lebensphasen“ und „Progrediente Rückfallneigung, Missbrauch von Auflagen“ findet sich im Gutachten keine Stellungnahme. Das in der Publikation genannte Kriterium „Psychopathy“ nach Hare beschränkt sich im Gutachten auf die Nennung einzelner „psychopathischer Persönlichkeitsmerkmale, etwa Fehlen von Reue, Schuldgefühlen und Scham“. Methodisch ist einerseits anzumerken, dass nicht klar ist, auf welche Version der Psychopathie-Checkliste (PCL) Bezug genommen wird: z.B. PCL-R (20 Merkmale) oder PCL-SV (12 Merkmale), d.h. revidierte PCL oder Screening-Version, und mit welcher Begründung die genannten „psychopathischen Persönlichkeitsmerkmale“ ausgewählt wurden. Merkmale des Faktor 2 in der ursprünglichen Version von Hare beschreiben einen chronisch-instabilen, antisozialen und sozial abweichenden Lebensstil. Nachfolgende Studien legen ein Drei-Faktoren-Model zugrunde: Arrogantes und auf Täuschung angelegtes menschliches Verhalten, gestörte Affektivität, impulsives und verantwortungslose Verhaltensmuster. Die Publikation von Habermeyer und Saß aus 2004 bezieht sich auf zwei Publikationen von Hare aus 1991 und 2000.

In der Lehrbuchliteratur werden 9 Publikation von Robert Hare gelistet, die letzten beiden aus 2008 und 2009. Es ist nicht klar, auf welchen Stand der PCL das jetzige Gutachten Bezug nimmt. Zum anderen ist anzumerken, dass der Gebrauch der PCL-R auf die Gruppen beschränkt ist, für die eine vollständige Validierung vorliegt. Das Verfahren ist nicht auf Jugendliche und Frauen anwendbar. Die vorliegende Kriterienliste ist nicht validiert. Es liegen keine Daten zur Objektivität und Reliabilität vor. Die Gewichtung der einzelnen Kriterien ist nicht klar, ein cut-off Wert liegt nicht vor. Protektive Faktoren der Resilienz werden nicht genannt. Als Hintergrundinformation sei auf zwei Publikation verwiesen: Habermeyer, Passow, Puhlmann, Vohs (2008) Fortschr. Neurol. Psychiat 672-677. Es handelt sich um die Ergebnisse eines DFG geförderten Projektes: Die Maßregel der Sicherungsverwahrung: Empirische Befunde zu den Insassen und der psychiatrischen Gutachtenpraxis. 224 Probanden, 223 männlich; Anlasstaten, die zur Sicherungsverwahrung führten: 50,4 % Sexualdelikt, 33,9 % Körperverletzungsdelikt, 29,5 % Raub- bzw. Erpressungsdelikt, 17,4 % Tötungsdelikt. Insgesamt wurden nachfolgende Persönlichkeitsstörungen in absoluten Zahlen entweder diagnostiziert oder ergaben sich aus der Beschreibung: 48 diss- bzw. antisoziale Persönlichkeitsstörung, 40 deskriptiv; 10 narzisstische Persönlichkeitsstörung, 20 deskriptiv; 4 emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, 5 deskriptiv; 3 histrionische Persönlichkeitsstörung, 7 deskriptiv. Auf die Kriterien von Habermeyer und Saß wird im einzelnen nicht Bezug genommen. Es wird ausgeführt, dass sich die von Habermeyer und Saß als „psychiatrische Umschreibung von Hangtäterschaft“ geforderte „zeitlich stabile persönlichkeitsgebundene Bereitschaft“ zur Begehung erheblicher Straftaten an einer im Jugendalter bzw. bis zum 21. Lebensjahr beginnenden Delinquenz und einer hohen Anzahl von Vorstrafen zeigte. Habermeyer verweist in einer Debatte unter dem Titel „Die Sicherungsverwahrung ist ein Thema für die Psychiatrie – Kontra“ darauf, dass „beim weitaus überwiegenden Teil der Sicherungsverwahrten eine psychiatrische Diagnose gestellt werden kann. Dabei handelt es sich aber nahezu regelhaft um eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung und bislang existieren keine hinsichtlich ihrer Wirksamkeit empirisch belegte therapeutische Konzepte zur Behandlung dieser Störung.“

24. a. Unter „1.3.5 Zu den Behandlungsaussichten“ wird u.a. ausgeführt, dass versucht werden müsste, „das biographische Material in gesprächstherapeutischen Aktivitäten mit der Probandin aufzuarbeiten, um nach und nach einen Verstehenshintergrund zu erarbeiten, der dann Ausgangspunkt für Veränderungen in Einstellungen und Verhalten werden kann.“
b. Bei fehlender psychiatrischer Diagnose wird keine Indikation für eine psychiatrische Psychotherapie gesehen.
II. Der Sachverständige Prof. Dr. Faustmann ist auf die Erstattung seines Gutachtens vorbereitet, wird am morgigen Hauptverhandlungstag, dem 26.04.17, präsent sein und kann auf dieser Grundlage unmittelbar zur Sache gehört werden.

Sturm nennt die Unterlagen, die Faustmann zur Vorbereitung seines Gutachtens zur Verfügung gestanden hätten, dann sagt sie, dass Faustmann mit Schreiben der Unterzeichner vom 27.03.2017 über den zuständigen Obergerichtsvollzieher am 28.03.2017 durch Übergabe der Ladung an eine bei dem Adressaten beschäftigte und hierfür bevollmächtigte Person geladen worden sei. Götzl: „Der Teil ist nicht paginiert, deswegen kann ich es zum Kopieren schlecht schätzen, aber 28 Seiten und dann nochmal 41 Seiten. Dann werden wir, denke ich, eine Stunde unterbrechen, um das zu kopieren und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.“ Gegen 14 Uhr wird die Verhandlung unterbrochen. Um 15 Uhr kommt eine Durchsage: „Die Hauptverhandlung geht weiter um 15:20 Uhr.“

Um 15:22 Uhr geht es weiter. Götzl: „Sollen denn Stellungnahmen erfolgen?“ Bundesanwalt Diemer: „Wir würden gern Stellung nehmen, allerdings hätten wir da gern Zeit bis morgen.“ NK-Vertreter RA Behnke: „Auch von mir, aber ich bräuchte mindestens eine halbe Stunde.“ Götzl: „Ja, gut, dann würde ich vorschlagen, dass wir das auch zu morgen früh machen. Sind denn sogleich noch Anträge? Erklärungen? Keine. Dann wird unterbrochen und wir setzen morgen um 09:30 Uhr fort.“ Der Verhandlungstag endet um 15:23 Uhr.

Das Blog: „NSU-Nebenklage„: „Das Gericht lehnte […] weitere Beweisanträge der Nebenklage ab, insbesondere den Antrag zur staatlichen Verantwortung für den ‚Anschlag nach dem Anschlag‘, also die Ermittlungen und Verdächtigungen gegen die Geschädigten nach dem NSU-Bombenanschlag in der Keupstraße in Köln […]. Interessanterweise scheint sich das Gericht dabei inhaltlich der These der Antragsteller_innen anzuschließen, dieser ‚Anschlag nach dem Anschlag‘ sei nicht dem NSU, sondern dem Staat zuzurechnen: aus Sicht der Täter bei Tatbegehung sei nämlich nicht davon auszugehen gewesen, ‚dass verschiedene staatliche, deutsche Stellen zum Teil sogar wider besseres Wissen Erkenntnisse bei ihren Ermittlungen und Äußerungen nicht berücksichtigten und vielmehr den unmittelbaren Opfern des Anschlags durch ihr Verhalten zum Teil gegen die eigene Kenntnislage noch weitere Schäden zufügten. Mit einem derartigen Verlauf musste die Angeklagte [im Verurteilungsfall]nicht rechnen‘. Ebenfalls abgelehnt wurden verschwörungstheoretische Anträge der Verteidigung Wohlleben zur angeblichen Anwesenheit von ‚FBI-Agenten‘ oder anderer Personen in der Nähe des Tatorts des Mordes an Michèle Kiesewetter in Heilbronn […] Die Zschäpe-‚AltverteidigerInnen‘ Heer, Stahl und Sturm beantragten, morgen den von Ihnen selbst geladenen Prof. Faustmann als Sachverständigen zu vermeintlichen Mängeln des Gutachtens von Prof. Saß zu hören. Der Antrag enthielt eine ausführliche Begründung, die sich aber eher an formalen Aspekten des Saßschen Gutachtens aufhielt – die Anhörung Faustmanns morgen wird Saß also nicht besonders aus der Ruhe bringen.“
https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/04/25/25-04-2017/

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