Kurz-Protokoll 363. Verhandlungstag – 17. Mai 2017

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An diesem Prozesstag werden von der Verteidigung und der Nebenklage Beweisanträge und Erklärungen verlesen. RA Grasel widmet sich dabei den Aussagen von Annerose Zschäpe, der Mutter von Beate Zschäpe. Die Verteidigung Wohlleben hinterfragt u.a. erneut den Lieferweg der Mordwaffe des NSU, der Ceska. Einige Nebenklagevertreter*innen widmen sich in einem Beweisantrag dem V-Mann Stephan Lange.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:43 Uhr. Dann verliest Grasel den Antrag:
Zum Beweis der Tatsachen, dass Frau Beate Zschäpe das erste halbe Jahr nach ihrer Geburt bei den Großeltern gelebt hat, da ihre Mutter, die Zeugin Annerose Zschäpe, zurück nach Rumänien musste, um dort ihr Studium fortzusetzen; Frau Beate Zschäpe von Mitte 1975 bis Ende 1976 bei Herrn Trepte, dem neuen Partner ihrer Mutter, lebte; Frau Beate Zschäpe nach der Heirat ihrer Mutter mit Herrn Zschäpe zunächst weiterhin unter der Woche bei ihren Großeltern lebte und nur am Wochenende bei ihrer Mutter war, beantrage ich die Verlesung des Protokolls der Zeugenvernehmung der Frau Annerose Zschäpe vom 15.11.2011. Hilfsweise beantrage ich die Vernehmung der damaligen Vernehmungsbeamten Le., P. und Se.
Frau Annerose Zschäpe hat in einem an den Senat gerichteten Schreiben vom 09.05.2017 ausdrücklich erklärt, dass sie mit der Verlesung ihrer damaligen Zeugenaussage gegenüber dem Bundeskriminalamt vom 15.11.11 im Rahmen der hiesigen Hauptverhandlung einverstanden ist und ihre Aussage dadurch auch im Rahmen der Gutachtenserstattung von den Sachverständigen Verwendung finden kann.

Götzl verliest das Schreiben:
Sehr geehrter Herr Vorsitzender Richter Götzl, am 15.11.2011 hatte ich gegenüber dem Bundeskriminalamt in Bezug auf meine Tochter Beate eine schriftliche Aussage gemacht. Ich möchte hiermit ausdrücklich bestätigen, dass ich damit einverstanden bin, dass diese Aussage in der Hauptverhandlung verlesen wird und somit bei der Erstattung der Gutachten durch Prof. Dr. Bauer und durch Prof. Dr. Saß jeweils Berücksichtigung finden kann. Ich gebe diese Erklärung auch vor dem Hintergrund ab, dass ich mich im Rahmen meiner Vernehmung vor dem Strafsenat auf mein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte. Auf dieses Recht berufe ich mich bezüglich der Verlesung meiner Aussage nicht mehr. Ich bin gegebenenfalls ebenfalls damit einverstanden, dass die mich damals vernehmenden Le., P. und Se. über die damalige Vernehmungssituation und über den Inhalt meiner Aussage als Zeugen vernommen werden. Meine damalige Aussage entspricht nach wie vor der Wahrheit. Ich bitte darum, auf eine persönliche Vernehmung zu verzichten, weil ich den Angaben vom 15.11.2011 nichts Sachdienliches hinzufügen kann.

Wohlleben-Verteidiger Nahrath beantragt, die Zeugen Luthard und Dressler vom TLKA zu vernehmen; diese würden Folgendes bekunden: Am 28.01.1998 wies der Zeuge Luthard (damaliger Leiter LKA Thüringen) den Zeugen Dressler (damaliger Leiter des Dezernats Staatsschutzes beim LKA Thüringen) an, die Beamten der Zielfahndung beim LKA Thüringen Il. und Wunderlich auf Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt anzusetzen. Den Zeugen war bekannt, dass die Zielfahnder des LKA Thüringen zu dieser Zeit eine Auffindequote von 100 Prozent hatten.
Außerdem beantragt Nahrath, die Zeugen Br. und B.-S. vom BKA zu vernehmen; diese würden Folgendes bekunden:
Die Zeugen werteten aufgrund eines Unterstützungsersuchens des LKA Thüringen im Februar 1998 die sogenannte „Garagenliste“ und einen Ordner mit Schriftverkehr zwischen Mundlos und Starke sowie Torsten Schau aus. Der Zeuge Br. stellte fest, dass es sich bei der sogenannten Garagenliste offensichtlich um eine Adress- und Telefonliste handelte, die Uwe Mundlos erstellt hatte. Diesen Schluss zog der Zeuge daraus, dass als „eigene Telefonnummer“ die Telefonnummer der Eltern des Mundlos, sowie die Mobiltelefonnummer des Uwe Mundlos verzeichnet war. Weiter stellte der Zeuge fest, dass als Chemnitzer Kontakte des Uwe Mundlos nicht nur Thomas Starke, sondern sieben weitere Chemnitzer Personen sowie zwei Gaststätten in Chemnitz aufgeführt waren.
Nahrath nennt die angesprochenen Namen und teilweise Adressen aus der Garagenliste. Dann fährt er fort:
Der Zeuge Br. brachte am 19.2.1998 folgenden handschriftlichen Vermerk zu den Akten:
„Fluchtadresse Thomas Starke oder Torsten Schau. Beide in Chemnitz.“ Der Zeuge Br. übergab die sogenannte Garagenliste dem Zeugen Dressler und wies diesen auf die möglichen Fluchtadressen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz hin.

Nahrath beantragt dann die Vernehmung von Sven Wunderlich:
Der Zeuge wird bekunden, dass er die sogenannte Garagenliste und den Vermerk des Zeugen Br. erstmals Ende 2011 gesehen hat. Als er nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe fahndete, erlangte er auch anderweitig keine Kenntnis von dem Vermerk und der sogenannten Garagenliste. Hätte er Kenntnis hiervon erlangt, hätte er Starke und Schau sowie deren Wohnungen observiert. Weiter wird der Zeuge Wunderlich bekunden, dass er Ende Februar 1998 ein Gespräch mit dem Leiter des Chemnitzer Staatsschutzes Jürgen Kl. in dessen Büro hatte, um über das untergetauchte Trio zu sprechen. In diesem Gespräch fragte der Zeuge Wunderlich gezielt nach einer sogenannten „Party-Wohnung“ in der Hans-Sachs-Straße in Chemnitz, erhielt aber vom Zeugen Kliem keine Auskunft.
Schließlich beantragt Nahrath die Vernehmung von Jürgen Kl., KPI Chemnitz:
Der Zeuge war damals Leiter des Dezernats Staatsschutz in Chemnitz und hatte umfassende Kenntnis über die Personen der sogenannten rechten Szene in Chemnitz. Der Zeuge wird bestätigen, dass er Ende Februar 1998 ein Gespräch mit dem Zielfahnder des LKA Thüringen, Herrn Wunderlich, in seinem Büro führte. Thema dieses Gesprächs war die Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Weiter wird der Zeuge bekunden, dass der Zielfahnder Wunderlich gezielt nach einer Wohnung in der Chemnitzer Hans-Sachs-Straße fragte. Obwohl der Zeuge wusste, dass in der Hans-Sachs-Straße in Chemnitz Mandy Struck wohnte und diese der Chemnitzer rechten Szene angehörte, gab er dem Zeugen Wunderlich diese Information nicht.
Zur Begründung des Antrags verliest Nahrath:
Zum Zeitpunkt des Besuches des Zielfahnders Wunderlich beim Zeugen Kl., hielten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in der Wohnung des Max-Florian Bu., dem Freund der Mandy Struck, auf. Hinzu kommt, dass die sogenannte Garagenliste und der Vermerk des Zeugen Br. den Zeugen Wunderlich auf den ebenfalls mit Mandy Struck bekannten Thomas Starke hingewiesen hätte. Bei Observierung des Thomas Starke und/oder der Mandy Struck hätte die Zielfahndung des LKA Thüringen die drei Untergetauchten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit binnen kürzester Frist gefasst. Sämtliche dem sogenannten NSU angelasteten Straftaten wären somit verhindert worden.

Danach verliest Wohlleben-Verteidiger RAin Schneiders einen Antrag:
In der Strafsache gegen Herrn Ralf Wohlleben 6 St 3/12 beantragt die Verteidigung zum Beweis der Tatsache, 1. dass Jan Werner am 11.04.1998 in Begleitung von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Orbe in der Schweiz war und dass Werner bei dieser Reise Mundlos und Böhnhardt bei der Beschaffung einer Waffe half, 2. dass Jan Werner enge Kontakte zu Personen von Combat 18 in England, insbesondere zu William Browning, Gründer Combat 18 in Großbritannien, unterhielt, Frau Stefanie Fö. aus Nauen als Zeugin zu vernehmen.
Begründung: Uwe Mundlos rief am 11.04.1998 aus der Schweiz den Telefonanschluss des Jürgen Helbig an. In der durch das BKA am 28. Februar 2012 durchgeführten Vernehmung gab Jürgen Helbig an, dass der Anruf vom 11.04.998 aus Orbe Ortsteil Concise/Schweiz durch Uwe Mundlos selbst erfolgt sei. Die Rufnummer gab Aufschluss über den Ort, der in der Nähe des Genfer Sees, im Kanton Waadt, kurz vor der Grenze zu Frankreich liegt. Helbig gab an, dass Mundlos ihn angerufen hat, da er ihn an der Stimme erkannt hatte. Dies bestätigte der Zeuge auch in der Hauptverhandlung.
Die Spur der Tatwaffe Ceska 83 verliert sich 1996 in der Schweiz. Wie sie in den Besitz von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekommen ist, wurde bislang immer noch nicht zweifelsfrei aufgeklärt. Die Theorie der Bundesanwaltschaft und des Senats wird jedenfalls durch die Zeugen Mü., Theile und Länger in Abrede gestellt. Auch die Pumpgun Mossberg stammte aus der Schweiz. Dies spricht dafür, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Fahrten des Jan Werner 1998 und 1999 in die Schweiz zu Konzerten und/oder CD-Handel nutzten, um sich dort mit Waffen zu versorgen.
Der bislang gezogene Schluss des Senats in den Haftentscheidungen unseres Mandanten wird durch die Beweiserhebung erschüttert werden, da vernünftige Zweifel bestehen, dass die Tatwaffe Ceska 83 wie bislang spekuliert über Ge., [Hans-Ulrich] Mü., Theile und Länger nach Jena kam. Vielmehr legt die beantragte Beweiserhebung nahe, dass die Tatwaffe direkt in der Schweiz durch Vermittlung des Jan Werner in den Besitz von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kam.

Es wird weiter beantragt, die V-Mann Akten betreffend Stephan Lange alias Pinocchio, damals wohnhaft in Berlin, beim Bundesamt für Verfassungsschutz und beim LKA Berlin beizuziehen und der Verteidigung Akteneinsicht zu gewähren. Wie am 16.05.2017 durch die Presse bekannt wurde, war Stephan Lange langjähriger V-Mann. Es ist zu erwarten, dass aus den Deckblattmeldungen des V-Mannes sich Informationen betreffend Konzertbesuche ab 1998 in der Schweiz und England ergeben, an denen auch Jan Werner teilgenommen hat. Aus den Deckblattmeldungen werden sich weitere Aufschlüsse zur Finanzierung von Waffenkäufen durch Blood & Honour-Mitglieder ergeben. Im Übrigen sind die Deckblattmeldungen zur Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben und Glaubwürdigkeit des Zeugen Lange erforderlich. Der Zeuge wurde in der Hauptverhandlung vernommen, verschwieg jedoch seine Tätigkeit für das BfV und das LKA Berlin. Die Installierung eines V-Mannes als Blood & Honour-Führer der Division Deutschland reiht sich in die immer länger werdende Liste der V-Personen in Spitzenfunktionen verschiedener rechter Organisationen ein.
Die Beharrlichkeit sowohl des GBA als auch des Senats, alles daran zu setzen, die Aufklärung dieser extremen Nähe einer Vielzahl staatlich gesteuerter V-Leute zu den mutmaßlichen NSU-Mitgliedern zu verweigern, macht schlagend deutlich, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um kein faires rechtsstaatliches Verfahren handelt. Die naheliegende Mitverantwortlichkeit des Staates für die Aktivitäten des sogenannten „NSU“ wird von Senat schlicht ausgeblendet.

Dann stellt Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm den Antragt auf ein weiteres Sachverständigengutachten über den Zustand von Frau Zschäpe und die Behandlungsaussichten sowie auf Vernehmung des SV hierzu in der Hauptverhandlung:
Gemäß § 246a Absatz 1 Satz 1 StPO ist für den Fall, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Mit Schreiben vom 29.11.2012 bat der Vorsitzende den Sachverständigen Prof. Dr. Saß, im Hinblick auf die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Absatz 2 StPO ein vorbereitendes schriftliches Gutachten nach Aktenlage über den Zustand von Frau Zschäpe und die Behandlungsaussichten zu erstellen. Das Gutachten lässt jedoch Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen aufkommen, denn es weist erhebliche methodische Mängel und Widersprüche auf. Im Einzelnen ergibt sich dies aus dem von Prof. Dr. Faustmann am 360. Hauptverhandlungstag erstatteten Gutachten, welches dem im Rahmen unseres Beweisantrags vom 358. Hauptverhandlungstag auf Einholung eines methodenkritischen Gutachtens beigefügte Manuskript von Prof. Dr. Faustmann vom 22.04.2017 – bis auf wenige mündliche Ergänzungen – entspricht und auf welches hiermit Bezug genommen wird.

Danach verliest RAin von der Behrens folgenden Antrag:
In der Strafsache ./. Zschäpe u.a. 6 St 3/12 haben die Unterzeichner immer darauf hingewiesen, dass die Gewaltbereitschaft, Gewalttätigkeit und Menschenverachtung der extrem rechten Szene nicht auf das Wirken von V-Leuten oder staatlichen Behörden zurückzuführen ist, sondern auf die in der extrem rechten Szene vorherrschende Ideologie. Die Unterzeichner meinen dennoch, dass die staatliche Kollusion in diesem Verfahren aufzuklären ist. Denn die Aktivitäten des Verfassungsschutzes und insbesondere sein V-Mann-Wesen haben bei der Entstehung des NSU und seinen Taten ihren Anteil.
Vor diesem Hintergrund ist die V-Mann-Tätigkeit des Zeugen Stephan Lange –“Pinocchio“ – hier erheblich, der am 28. April 2015 in der Hauptverhandlung gehört wurde. Er gab damals an, von der Gründung bis zum März 2000 „Divisionschef“ von Blood & Honour Deutschland gewesen zu sein. Zum Charakter von B&H gab er an, es sei eine eine Musikbewegung gewesen, Gewalt gegen den politischen Gegner oder Konzepte wie der führerlose Widerstand hätten keine Rolle gespielt. Auf Frage der Nebenklage sagte er, zu keinem Zeitpunkt von einer Verfassungsschutzbehörde angesprochen worden zu sein oder einer solchen Informationen weitergeleitet zu haben. Demgegenüber berichtete am gestrigen 16.05.2017 die ARD, dass Lange V-Mann gewesen sei. Dazu sei es gekommen, nachdem das LKA Berlin von Thomas Starke einen Hinweis erhalten habe, dass Lange möglicherweise zur Zusammenarbeit bereit sei.
Das LKA Berlin 514 habe ihn dann an das Bundesamts für Verfassungsschutz vermittelt. In einem nachfolgenden Bericht des Tagesspiegels wird ergänzt, dass das BfV eingeräumt hat, Lange als V-Mann geführt zu haben. Das BfV hat dem Artikel zufolge konkret zugegeben, dass ein erster Kontakt zu Lange im Jahr 2000 erfolgt sei und er Anfang 2002 verpflichtet worden sei. Insoweit hat der Zeuge also falsch ausgesagt. Unrichtig waren auch seine Angaben zur fehlenden Militanz von B&H. Sie sind bereits durch die Verlesung von Artikeln aus dem von ihm herausgegebenen Blood & Honour Magazin Nr. 2 aus dem Jahr 1996 widerlegt, in denen u.a. das Terrorkonzept leaderless resistance vorgestellt und Gewalt verherrlicht wird. Die erneute Ladung des Zeugen Lange wäre wegen dessen bisherigen Aussageverhaltens nicht zielführend.
Es wird daher beantragt, 1. die bei dem LKA Berlin und dem BfV vorhandenen Aktenbestandteile beizuziehen, die Informationen von dem V-Mann Stephan Lange enthalten zur Unterstützung von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und der Angeklagten Zschäpe mit Geld, Ausweispapieren, Wohnungen und Waffen, dem Aufenthaltsort der Drei, zu der Existenz des NSU und zu dem Innenverhältnis der Drei, sowie die Beiziehung der Aktenbestandteile, die Informationen zu der Nähe und der Zusammenarbeit von Blood & Honour-Strukturen mit der Kameradschaftsszene und der Verbreitung der Ideologie und der Terrorkonzepte von Combat 18 in der gesamten Neonaziszene, enthalten unter der Nebenklage Akteneinsicht in diese zu gewähren; 2. die V-Mann-Führer des BfV, die Stephan Lange in der Zeit von 2000 bis 2011 geführt haben, zu ermitteln und zu laden und zu dem oben beschriebenen Inhalt der Meldungen des Stephan Lange zu hören.
Begründung:
I. Der Antrag kann derzeit nur als Beweisermittlungsantrag gestellt werden, da über die in den Medien veröffentlichten Informationen zu der V-Mann-Eigenschaft des Stephan Lange hinaus nichts bekannt ist.
Selbst wenn es zutreffend ist, dass Lange erst seit 2000 oder 2002 für das BfV gearbeitet hat, ist davon auszugehen, dass die Informationen zu der Zeit von 1998 dem BfV vorliegen. Es ist üblich, bei der Anwerbung von V-Leuten deren relevantes Wissen auch über vergangene Ereignisse abzuschöpfen. Dem BfV, das im Rahmen der Operation Drilling die Meldungen von Szczepanski von Brandenburg selbst nach Thüringen steuerte, waren die Unterstützungsleistungen durch Angehörige der B&H-Sektion Sachsen auch bekannt. Bei Gewinnung eines hochrangigen V-Manns in dieser Szene an diese brisanten Informationen anzuknüpfen, lag damit für das BfV auf der Hand. Dies gilt erst recht, weil der V-Mann dem Tagesspiegel-Bericht zufolge explizit auf eine weitere Radikalisierung des B&H-Milieus bis hin zu terroristischen Aktivitäten angesetzt war. Ebenso lag es nahe, an die Meldung des LfV Mecklenburg-Vorpommern anzuknüpfen, der von David Petereit herausgegebene Weisse Wolf habe im Jahr 2002 einen Brief mit einer hohen Geldspende erhalten, auf die in dem Weissen Wolf Nr. 18 aus demselben Jahr Grüße an den „NSU“ folgten. Dass das BfV auf diese Erkenntnisse mit der Steuerung von V-Männern reagierte, zeigt sich auch daran, dass der V-Mann Thomas Richter – „Corelli“ – nach der Veröffentlichung der Grüße das Hosting für die Webseite des Weissen Wolfes übernahm.
II. Die Beweiserhebung wird ergeben, dass die Trennung der Blood & Honour-Sektion von der Division Deutschland nur aus taktischen Erwägungen erfolgte und nicht – anders als die Verteidigung Wohlleben in ihren damaligen Beweisantrag zur Vernehmung des Zeugen Lange behauptet – wegen derer größerer Radikalität. Sie wird ferner ergeben, dass es zwischen den ehemaligen B&H-Strukturen, auch in Thüringen und Sachsen, und der Freien Kameradschaftsszene durchgängig eine Zusammenarbeit gab. Die Beweiserhebung wird damit ergeben, dass dem BfV schon vor dem Jahr 2007 alle Erkenntnisse vorlagen, die die Gefährlichkeit des Trios belegten. Sie wird weiter ergeben, dass das BfV Informationen über den Aufenthaltsort des Trios und seine Unterstützer hatte, die bei Weitergabe an die Strafverfolgungsbehörden zur Festnahme des Trios und Verhinderung von dessen Verbrechen geführt hätten. Gleichwohl hat das BfV die Taten nicht verhindert und greift seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 steuernd in die Ermittlungen und die Aufklärung des NSU-Komplexes ein. Im Fall des Stephan Lange dadurch, dass der V-Mann nicht nur unwidersprochen durch den Dienst seine Tätigkeit als V-Mann leugnet, sondern in der Hauptverhandlung auch darüber hinaus unrichtige oder verharmlosende Angaben zu B&H und zu Unterstützern, wie Jan Werner, machte.
Vor allem aber dadurch, dass das BfV die V-Mann-Eigenschaft des Stephan Lange dem GBA gegenüber nicht freigegeben hat und die Quellmeldungen Stephan Langes zu dem Trio und seinen Unterstützern nicht an den GBA weitergeben hat. Zudem wird sich aus der vorzunehmenden Beweisaufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben, dass Lange dem BfV gegenüber über den Kontakt mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu ihm bzw. zu Werner Details berichtete, die auch die Struktur und das Verhältnis der drei untergetauchten Personen untereinander betrafen und damit die Angaben der Angeklagten Zschäpe widerlegen.

Der Antrag ist unterschrieben von den NK-Vertreter_innen Başay, von der Behrens, Daimagüler, Elberling, Hoffmann, Luczak, Ilius, Lunnebach, Scharmer und Stolle.

Der Verhandlungstag endet um 12:26 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage.

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