An diesem Prozesstag werden von der Verteidigung und der Nebenklage Beweisanträge und Erklärungen verlesen. RA Grasel widmet sich dabei den Aussagen von Annerose Zschäpe, der Mutter von Beate Zschäpe. Die Verteidigung Wohlleben hinterfragt u.a. erneut den Lieferweg der Mordwaffe des NSU, der Ceska. Einige Nebenklagevertreter*innen widmen sich in einem Beweisantrag dem V-Mann Stephan Lange.
Der Verhandlungstag beginnt um 09:43 Uhr. Götzl begrüßt die Anwesenden: „Guten Morgen, guten morgen, guten Morgen. Nehmen Sie bitte Platz! Wir setzen fort.“ Nach der Präsenzfeststellung wendet er sich an Zschäpe-Verteidiger RA Grasel: „Herr Rechtsanwalt Grasel, Sie hatten angekündigt, einen Beweisantrag stellen zu wollen. Also bitte!“ Grasel beginnt: „Zum Beweis …“ Zschäpe-Verteidiger RA Heer unterbricht ohne Mikrofonverstärkung: „Das geht so nicht.“ Zschäpe-Verteidiger RA Stahl mit Mikro: „Sie merken ja, dass wir etwas gereizt sind. Wann hat denn Herr Grasel wem angekündigt, dass er heute einen Beweisantrag stellen will?“ Götzl sagt, das sei per Fax angekündigt worden: „Ich weiß es auch erst seit heute morgen.“ Grasel sagt, er habe den Antrag gestern Nachmittag per Fax angekündigt.
Dann verliest Grasel den Antrag:
Zum Beweis der Tatsachen, dass Frau Beate Zschäpe das erste halbe Jahr nach ihrer Geburt bei den Großeltern gelebt hat, da ihre Mutter, die Zeugin Annerose Zschäpe, zurück nach Rumänien musste, um dort ihr Studium fortzusetzen; Frau Beate Zschäpe von Mitte 1975 bis Ende 1976 bei Herrn Trepte, dem neuen Partner ihrer Mutter, lebte; Frau Beate Zschäpe nach der Heirat ihrer Mutter mit Herrn Zschäpe zunächst weiterhin unter der Woche bei ihren Großeltern lebte und nur am Wochenende bei ihrer Mutter war, beantrage ich die Verlesung des Protokolls der Zeugenvernehmung der Frau Annerose Zschäpe vom 15.11.2011. Hilfsweise beantrage ich die Vernehmung der damaligen Vernehmungsbeamten Le., P. und Se.
Frau Annerose Zschäpe hat in einem an den Senat gerichteten Schreiben vom 09.05.2017 ausdrücklich erklärt, dass sie mit der Verlesung ihrer damaligen Zeugenaussage gegenüber dem Bundeskriminalamt vom 15.11.11 im Rahmen der hiesigen Hauptverhandlung einverstanden ist und ihre Aussage dadurch auch im Rahmen der Gutachtenserstattung von den Sachverständigen Verwendung finden kann. Das entsprechende Schreiben der Frau Annerose Zschäpe ist in Kopie beigefügt und hat u.a. folgenden Wortlaut: „Am 15.11.11 hatte ich gegenüber dem Bundeskriminalamt in Bezug auf meine Tochter Beate eine schriftliche Aussage gemacht. Ich möchte hiermit ausdrücklich bestätigen, dass ich damit einverstanden bin, dass diese Aussage in der Hauptverhandlung verlesen wird und somit bei der Erstattung der Gutachten durch Prof. Dr. Bauer und durch Prof. Dr. Saß jeweils Berücksichtigung finden kann.“; „Ich bin gegebenenfalls ebenfalls damit einverstanden, dass die mich damals vernehmenden Le., P. und Se. über die damalige Vernehmungssituation und über den Inhalt meiner Aussage als Zeugen vernommen werden.“ Die seinerzeit von der Zeugin Zschäpe gegenüber dem Bundeskriminalamt gemachten Angaben sind für die Beurteilung der frühkindlichen Entwicklung ihrer Tochter Beate vom Bedeutung, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. Bauer in seinem am 03.05.17 erstatteten Gutachten bereits ausgeführt hat. Die Regelung des § 252 StPO schließt einen Verzicht des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen auf das gesetzlich normierte Verwertungsverbot nicht aus, da die Norm des § 252 StPO ausschließlich den persönlichen Belangen des Zeugen dient.
Götzl: „Dann kommt zur Verlesung das angesprochene Schreiben von Frau Annerose Zschäpe.“
Götzl verliest das Schreiben:
Sehr geehrter Herr Vorsitzender Richter Götzl, am 15.11.2011 hatte ich gegenüber dem Bundeskriminalamt in Bezug auf meine Tochter Beate eine schriftliche Aussage gemacht. Ich möchte hiermit ausdrücklich bestätigen, dass ich damit einverstanden bin, dass diese Aussage in der Hauptverhandlung verlesen wird und somit bei der Erstattung der Gutachten durch Prof. Dr. Bauer und durch Prof. Dr. Saß jeweils Berücksichtigung finden kann. Ich gebe diese Erklärung auch vor dem Hintergrund ab, dass ich mich im Rahmen meiner Vernehmung vor dem Strafsenat auf mein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte. Auf dieses Recht berufe ich mich bezüglich der Verlesung meiner Aussage nicht mehr. Ich bin gegebenenfalls ebenfalls damit einverstanden, dass die mich damals vernehmenden Le., P. und Se. über die damalige Vernehmungssituation und über den Inhalt meiner Aussage als Zeugen vernommen werden. Meine damalige Aussage entspricht nach wie vor der Wahrheit. Ich bitte darum, auf eine persönliche Vernehmung zu verzichten, weil ich den Angaben vom 15.11.2011 nichts Sachdienliches hinzufügen kann.
Götzl: „Wir werden es kopieren und Ihnen zur Verfügung stellen. Einen Punkt möchte ich ansprechen zum letzten Absatz. Hier wird die Bitte geäußert, Frau Zschäpe nicht zu vernehmen, weil sie nichts Sachdienliches hinzufügen könne. Ist die Frage, ob man dann nicht doch Frau Zschäpe vernehmen kann. Machen wir mal eine Viertelstunde Pause und setzen dann um 10:10 Uhr fort.“ Es folgt eine Pause bis 10:12 Uhr.
Götzl: „Soll zu den Antrag Stellung genommen werden?“ Bundesanwalt Diemer: „Wir treten dem nicht entgegen. Wir meinen auch, dass die Erklärung der Mutter zur Verwertung der Aussage eindeutig genug ist. Was nicht deutlich wird, ist, ob sie weiterhin in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert. Wenn nicht, muss sie geladen werden, es sei denn man führt eine eindeutige Klärung herbei.“ Grasel: „Ich kann zumindest bekanntgeben, dass nach telefonischer Rücksprache sie hier wieder von ihrem Recht nach 52 Gebrauch machen wird. Sie hat es laienhaft formuliert, aber das ist der Stand.“ NK-Vertreter RA Reinecke: „Mit einer telefonischen Klärung über Herrn Grasel kann man sich nicht zufrieden geben. Sie meint, sie kann nichts Sachdienliches beitragen. Alleine die Überlassung beim Mann sagt nichts über frühkindliche Vernachlässigung aus, wie es der Sachverständige nahelegt. Wenn man das für relevant hält, kann sie sehr viel beitragen. Daher bedarf es einer eindeutigen Erklärung.“ Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Diese eindeutige Erklärung, die Herr Reinecke vermisst, liegt vor. Man muss das Schreiben der Annerose Zschäpe im Zusammenhang würdigen.“ Im dritten Absatz nehme sie zunächst mal Bezug darauf, dass sie sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat, dann schreibe sie, dass sie sich auf diesen Recht bzgl. der Verlesung [Klemke betont das Wort überdeutlich] und nur darauf nicht mehr berufe, so Klemke weiter. Klemke: „Von daher ist das reine Spiegelfechterei, die hier betrieben wird.“
NK-Vertreter RA Scharmer: „Vielleicht nur ganz kurz: Das Problem ist natürlich, dass bei einer etwaigen Verlesung es dann um die Vernehmung von Annerose Zschäpe geht, die m. E. durch das BKA mangelhaft durchgeführt wurde, weil wichtige Dinge nicht nachgefragt wurden.“ Scharmer sagt, drei Verteidiger hätten Widerspruch eingelegt gegen die Verwertung. Er weist außerdem vorsorglich darauf hin, dass er der Verlesung nicht zustimmen würde und macht kurze Ausführungen, warum er meint, dass das Zustimmungserfordernis auch die Nebenklage betrifft. Götzl: „Frau Zschäpe, würden Sie zustimmen?“ Zschäpe nickt. Götzl: „Ja. Die Verteidiger. Herr Grasel?“ Grasel: „Selbstverständlich, sonst hätte ich es nicht beantragt.“ Götzl: „Frau Rechtsanwältin Sturm?“ Stahl bittet darum, das zurückzustellen. Auf Nachfrage von Götzl sagen die Verteidigungen Wohlleben und Eminger, dass sie derzeit keine Erklärungen abgeben; die Verteidigung Schultze stimmt zu. Götzl: „Sind denn weitere Anträge, Beweisanträge für heute zu stellen? Mir geht es zunächst mal nur ums Organisatorische.“ NK-Vertreterin RAin Von der Behrens sagt, sie wolle einen Antrag stellen. Zunächst erteilt Götzl aber Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath das Wort für einen Antrag.
Nahrath beantragt, die Zeugen Luthard und Dressler vom TLKA zu vernehmen; diese würden Folgendes bekunden: Am 28.01.1998 wies der Zeuge Luthard (damaliger Leiter LKA Thüringen) den Zeugen Dressler (damaliger Leiter des Dezernats Staatsschutzes beim LKA Thüringen) an, die
Beamten der Zielfahndung beim LKA Thüringen Il. und Wunderlich auf Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt anzusetzen. Den Zeugen war bekannt, dass die Zielfahnder des LKA Thüringen zu dieser Zeit eine Auffindequote von 100 Prozent hatten.
Außerdem beantragt Nahrath, die Zeugen Br. und B.-S. vom BKA zu vernehmen; diese würden Folgendes bekunden:
Die Zeugen werteten aufgrund eines Unterstützungsersuchens des LKA Thüringen im Februar 1998 die sogenannte „Garagenliste“ und einen Ordner mit Schriftverkehr zwischen Mundlos und Starke sowie Torsten Schau aus. Der Zeuge Br. stellte fest, dass es sich bei der sogenannten Garagenliste offensichtlich um eine Adress- und Telefonliste handelte, die Uwe Mundlos erstellt hatte. Diesen Schluss zog der Zeuge daraus, dass als „eigene Telefonnummer“ die Telefonnummer der Eltern des Mundlos, sowie die Mobiltelefonnummer des Uwe Mundlos verzeichnet war. Weiter stellte der Zeuge fest, dass als Chemnitzer Kontakte des Uwe Mundlos nicht nur Thomas Starke, sondern sieben weitere Chemnitzer Personen sowie zwei Gaststätten in Chemnitz aufgeführt waren.
Nahrath nennt die angesprochenen Namen und teilweise Adressen aus der Garagenliste. Dann fährt er fort:
Der Zeuge Br. brachte am 19.2.1998 folgenden handschriftlichen Vermerk zu den Akten:
„Fluchtadresse Thomas Starke oder Torsten Schau. Beide in Chemnitz.“ Der Zeuge Br. übergab die sogenannte Garagenliste dem Zeugen Dressler und wies diesen auf die möglichen Fluchtadressen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz hin.
Nahrath beantragt dann die Vernehmung von Sven Wunderlich:
Der Zeuge wird bekunden, dass er die sogenannte Garagenliste und den Vermerk des Zeugen Br. erstmals Ende 2011 gesehen hat. Als er nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe fahndete, erlangte er auch anderweitig keine Kenntnis von dem Vermerk und der sogenannten Garagenliste. Hätte er Kenntnis hiervon erlangt, hätte er Starke und Schau sowie deren Wohnungen observiert. Weiter wird der Zeuge Wunderlich bekunden, dass er Ende Februar 1998 ein Gespräch mit dem Leiter des Chemnitzer Staatsschutzes Jürgen Kl. in dessen Büro hatte, um über das untergetauchte Trio zu sprechen. In diesem Gespräch fragte der Zeuge Wunderlich gezielt nach einer sogenannten „Party-Wohnung“ in der Hans-Sachs-Straße in Chemnitz, erhielt aber vom Zeugen Kliem keine Auskunft.
Schließlich beantragt Nahrath die Vernehmung von Jürgen Kl., KPI Chemnitz:
Der Zeuge war damals Leiter des Dezernats Staatsschutz in Chemnitz und hatte umfassende Kenntnis über die Personen der sogenannten rechten Szene in Chemnitz. Der Zeuge wird bestätigen, dass er Ende Februar 1998 ein Gespräch mit dem Zielfahnder des LKA Thüringen, Herrn Wunderlich, in seinem Büro führte. Thema dieses Gesprächs war die Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Weiter wird der Zeuge bekunden, dass der Zielfahnder Wunderlich gezielt nach einer Wohnung in der Chemnitzer Hans-Sachs-Straße fragte. Obwohl der Zeuge wusste, dass in der Hans-Sachs-Straße in Chemnitz Mandy Struck wohnte und diese der Chemnitzer rechten Szene angehörte, gab er dem Zeugen Wunderlich diese Information nicht.
Zur Begründung des Antrags verliest Nahrath:
Zum Zeitpunkt des Besuches des Zielfahnders Wunderlich beim Zeugen Kl., hielten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in der Wohnung des Max-Florian Bu., dem Freund der Mandy Struck, auf. Hinzu kommt, dass die sogenannte Garagenliste und der Vermerk des Zeugen Br. den Zeugen Wunderlich auf den ebenfalls mit Mandy Struck bekannten Thomas Starke hingewiesen hätte. Bei Observierung des Thomas Starke und/oder der Mandy Struck hätte die Zielfahndung des LKA Thüringen die drei Untergetauchten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit binnen kürzester Frist gefasst. Sämtliche dem sogenannten NSU angelasteten Straftaten wären somit verhindert worden.
Danach verliest Wohlleben-Verteidiger RAin Schneiders einen Antrag:
In der Strafsache gegen Herrn Ralf Wohlleben 6 St 3/12 beantragt die Verteidigung zum Beweis der Tatsache, 1. dass Jan Werner am 11.04.1998 in Begleitung von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Orbe in der Schweiz war und dass Werner bei dieser Reise Mundlos und Böhnhardt bei der Beschaffung einer Waffe half, 2. dass Jan Werner enge Kontakte zu Personen von Combat 18 in England, insbesondere zu William Browning, Gründer Combat 18 in Großbritannien, unterhielt, Frau Stefanie Fö. aus Nauen als Zeugin zu vernehmen.
Begründung: Uwe Mundlos rief am 11.04.1998 aus der Schweiz den Telefonanschluss des Jürgen Helbig an. In der durch das BKA am 28. Februar 2012 durchgeführten Vernehmung gab Jürgen Helbig an, dass der Anruf vom 11.04.998 aus Orbe Ortsteil Concise/Schweiz durch Uwe Mundlos selbst erfolgt sei. Die Rufnummer gab Aufschluss über den Ort, der in der Nähe des Genfer Sees, im Kanton Waadt, kurz vor der Grenze zu Frankreich liegt. Helbig gab an, dass Mundlos ihn angerufen hat, da er ihn an der Stimme erkannt hatte. Dies bestätigte der Zeuge auch in der Hauptverhandlung.
Am 11.04.1998 fand in Orbe, Ortsteil Concise/Schweiz ein Skinhead-Konzert statt, an dem etwa 150 bis 300 Teilnehmer aus Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Australien und der Schweiz teilnahmen. Organisiert wurde das Konzert von „Mjölnir Diffusion„. Die Anmietung des Gemeindesaals fand unter dem Vorwand einer Geburtstagsfeier statt. Die Zeugin ist die Ex-Freundin des Jan Werner. Sie war mit ihm im relevanten Zeitraum von 1998 bis 1999 liiert. Die Zeugin hat in ihrer polizeilichen Vernehmung Angaben zu den Auslandskontakten des Jan Werner gemacht, auch zu Auslandsaufenthalten des Jan Werner. Sie berichtete von Konzertbesuchen und dem CD-Handel des Jan Werner zu dieser Zeit. Jan Werner verkaufte regelmäßig CDs auch auf derartigen Konzerten. Werner unterhielt Kontakte nach England. Aus den Angaben weiterer Zeugen, insbesondere des vernommenen Andreas Graupner zu den englischen Bands, ist ersichtlich, dass es sich bei den Kontaktpersonen des Jan Werner in England um Personen handelte, die dem sogenannten Combat 18 zuzurechnen waren.
Dies ergibt sich auch aus einem Telefonat des Jan Werner, welches im sogenannten Landser-Verfahren in der TKÜ
Wie nahe Jan Werner dem Combat 18-Gedanken stand, ist auch daran erkennbar, dass er der ehemaligen Lebensgefährtin des Stephan Lange, Katja Pröseler, in einem Telefonat berichtete, dass er aus Amerika die Turner-Tagebücher mitgebracht habe. Die Zeugin hatte zwar bei der polizeilichen Vernehmung bestritten, dass Jan Werner etwas mit Waffen zu tun gehabt habe. Die Zeugin hatte jedoch auch zu dieser Zeit noch Kontakt mit Jan Werner. Ihre Wohnung wurde im Zuge der Ermittlungen gegen Jan Werner durchsucht. Deshalb stand die Zeugin unter Druck. Sie wurde weiter durch die Ermittler nicht explizit zu Kontakten des Jan Werner in die Schweiz befragt. Des weiteren verweigerte die Zeugin auch Angaben zu Namen von Kontaktpersonen des Jan Werner. Es ist daher zu erwarten, dass die Zeugin doch Angaben zu den unter Beweis gestellten Tatsachen machen kann und dies vor Gericht auch wahrheitsgemäß machen wird. Die Spur der Tatwaffe Ceska 83 verliert sich 1996 in der Schweiz. Wie sie in den Besitz von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekommen ist, wurde bislang immer noch nicht zweifelsfrei aufgeklärt. Die Theorie der Bundesanwaltschaft und des Senats wird jedenfalls durch die Zeugen Mü., Theile und Länger in Abrede gestellt. Auch die Pumpgun Mossberg stammte aus der Schweiz. Dies spricht dafür, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Fahrten des Jan Werner 1998 und 1999 in die Schweiz zu Konzerten und/oder CD-Handel nutzten, um sich dort mit Waffen zu versorgen.
Jan Werner hatte auch beste Kontakte zu Karolina und Olivier Ku., die ebenfalls in der Schweiz ansässig waren. Diese führten ebenfalls ein Label, welches auch Rechtsrock-Bands unter Vertrag hatte. Die in Augenschein genommenen Lichtbilder des Thomas Starke zeigen die langjährigen engen Kontakte der Karolina Ku. zu den Chemnitzern. Die Eheleute Ku. waren maßgeblich in CD-Produktionen eingebunden. Die enge Verbindung zeigt sich aus dem Vermerk des Verfassungsschutzes aber auch wie folgt: „Robert Matthews-Memorial-Gig in der Nähe von Gera, September 1998 mit Solution, Leipzig; Intimidation One, Blue Eyed Devils, Aggravated Assault. Ca. 1.000 Teilnehmer, Veranstalter Karolina und Olivier Ku. Das Konzert hätte ursprünglich in der Schweiz stattfinden sollen. Aufgrund von Ärger mit den Behörden wurde es nach Deutschland verlegt.“ Nach diesem Vermerk des Verfassungsschutzes hatte Jan Werner auch enge Kontakte nach Amerika: „An Antony verkaufte Jan Werner im Mai/Juni 2002 die Rechte von Landser „Ran an den Feind“. Vorgesprächen zufolge soll es sich dabei um einen Kaufpreis von 20.000 Dollar gehandelt haben. Diesen Betrag wollen sich Antony und Erich Gliebe, der Geschäftsführer von Resistance Records – Inhaber sind Dr. Pierce und ‚National Alliance‘- aufteilen. Jan Werner hatte aus dem CD-Handel erhebliche Geldmittel zur Verfügung. Auch dazu ist die Zeugin zu befragen.
Auch aus den weiteren Akteninhalt ergibt sich, dass über den CD-Verkauf Waffenkäufe finanziert wurde. Hierfür spricht ein aufgezeichnetes Gespräch des Thorsten Heise. Dort heißt es wie folgt:
„A. Was denkste denn, was wir mit dem Geld machen? Was denkste denn? (unverständlich, evtl.: ‚Wir ham so oft nächtelang durchgezockt.‘) Wir ham so oft (unverständlich) über Politik diskutiert und du hast nie gerafft, was wir machen? Nie abgerafft, was wir machen? (unverständlich) Hast nie abgerafft, ne? Sich nie mit Friedhelm unterhalten? Du musst mit den Leuten nicht nur saufen, sondern dich mit den Leuten auch mal unterhalten.
B: Hab ich ja (murmelt unverständlich).
A: Wir haben reichlich, reichlich Gruppen im ganzen Bundesgebiet, wir haben reichlich Leute hier, versorgen sich reichlich mit Waffen. Und von der (unverständlich, evtl.: ‚Matte‘) hier … (lacht). Weißt du, was die Leute mit dir machen? Oder mit den beiden Brüdern? Wenn wir da (unverständlich, evtl. ‚hin kutschen‘). Weißt was die gemacht haben? Das geschieht nie wieder, Mann. (unverständlich) Ich kann’s gar nicht glauben, ey, das glaub ich nicht.“
Der bislang gezogene Schluss des Senats in den Haftentscheidungen unseres Mandanten wird durch die Beweiserhebung erschüttert werden, da vernünftige Zweifel bestehen, dass die Tatwaffe Ceska 83 wie bislang spekuliert über Ge., [Hans-Ulrich] Mü., Theile und Länger nach Jena kam. Vielmehr legt die beantragte Beweiserhebung nahe, dass die Tatwaffe direkt in der Schweiz durch Vermittlung des Jan Werner in den Besitz von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kam.
Es wird weiter beantragt, die V-Mann Akten betreffend Stephan Lange alias Pinocchio, damals wohnhaft in Berlin, beim Bundesamt für Verfassungsschutz und beim LKABfV und das LKAGBA als auch des Senats, alles daran zu setzen, die Aufklärung dieser extremen Nähe einer Vielzahl staatlich gesteuerter V-Leute zu den mutmaßlichen NSU-Mitgliedern zu verweigern, macht schlagend deutlich, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um kein faires rechtsstaatliches Verfahren handelt. Die naheliegende Mitverantwortlichkeit des Staates für die Aktivitäten des sogenannten „NSU“ wird von Senat schlicht ausgeblendet.
Dann stellt Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm den Antragt auf ein weiteres Sachverständigengutachten über den Zustand von Frau Zschäpe und die Behandlungsaussichten sowie auf Vernehmung des SV hierzu in der Hauptverhandlung:
Gemäß § 246a Absatz 1 Satz 1 StPO ist für den Fall, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Mit Schreiben vom 29.11.2012 bat der Vorsitzende den Sachverständigen Prof. Dr. Saß, im Hinblick auf die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Absatz 2 StPO ein vorbereitendes schriftliches Gutachten nach Aktenlage über den Zustand von Frau Zschäpe und die Behandlungsaussichten zu erstellen. Der Gutachtenauftrag wurde später auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Paragraphen 20, 21, 64 StGB erweitert. Der Sachverständige hat sein Gutachten am 336., 337., 339., 340., 341., 343., 345., 346., 347. und 350. Hauptverhandlungstag erstattet und Fragen beantwortet. Das Gutachten lässt jedoch Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen aufkommen, denn es weist erhebliche methodische Mängel und Widersprüche auf. Im Einzelnen ergibt sich dies aus dem von Prof. Dr.
Faustmann am 360. Hauptverhandlungstag erstatteten Gutachten, welches dem im Rahmen unseres Beweisantrags vom 358. Hauptverhandlungstag auf Einholung eines methodenkritischen Gutachtens beigefügte Manuskript von Prof. Dr. Faustmann vom 22.04.2017 – bis auf wenige mündliche Ergänzungen – entspricht und auf welches hiermit Bezug genommen wird.
Am 362. Hauptverhandlungstag beantwortete der Sachverständige Prof. Dr. Faustmann Fragen des Vorsitzenden sowie weiterer Verfahrensbeteiligter. Zu einer Änderung seiner Bewertung gelangte er nicht. Unter anderem wies er auf folgendes hin: Anknüpfend an den letzten Absatz der Seite 11 der Verschriftung des Gutachtens von Prof. Dr. Faustmann, wie dieser unterscheiden würde zwischen „krank“ und „gesund“, und der präzisierenden Frage des Vorsitzenden zu dem „Grenzbereich“ äußerte der Sachverständige: „Es gibt da keinen Grenzbereich, das ist der Punkt. Wenn ich andere Kriterien habe, muss ich diesen Grenzbereich definieren. Wenn ich mich außerhalb ICD-10/DSM V bewege, muss ich sagen, was ich meine. Außerhalb befinde ich mich im weitem Spektrum der differentiellen Psychologie.“ Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er dem Psychiater die Qualifikation für den Grenzbereich abspreche, erwiderte Prof. Dr. Faustmann, dafür nicht zuständig zu sein. Befragt, ob nicht jede Tätigkeit den Grenzbereich ausloten müsse, erklärte er: „Wenn keine Erheblichkeit psychischer Beeinträchtigung vorliegt, kann ich mich als Psychiater nicht wissenschaftlich begründet zu den weiteren Aspekten des Normalen äußern.“ Wiederholt wies Prof. Dr. Faustmann anlässlich seiner Befragung diesbezüglich darauf hin, dass es sich bei beiden Systemen ICD-10 und DSM V um kategoriale Systeme handele mit der Folge, dass es keinen Grenzbereich im Sinne eines Übergangs gebe. Entweder könne er einen Menschen im Sinne des Klassifikationssystems zuordnen, dann läge eine Krankheit oder Störung vor; könne er dies nicht, dann befinde man sich im breiten Spektrum des Normalen, wobei die Prüfung zweistufig sei: Auf der ersten Ebene gehe es um die Zuordnungsmöglichkeit zu den kategorialen Systemen. Im Falle einer fehlenden Zuordnungsmöglichkeit erfolge die Prüfung sodann über die Frage, ob die Schwelle des vierten Eingangsmerkmals erreicht sei. Die Beurteilung des Normalen sei Aufgabe der differentiellen Psychologie.
Zu der unter Bezugnahme auf Seite 11 des Gutachtens von Prof. Dr. Faustmann und die Eignung der subjektiven Verhaltensbeobachtung allenfalls als Basis für Hypothesengenerierung erfolgten Nachfrage des Vorsitzenden führte Faustmann aus: „Der Hinweis auf die Entscheidung des Empfängers des Gutachtens, das hat Prof. Dr. Saß ja selber geschrieben, das ist nicht von mir. Er lässt die Bewertung im Blickwinkel des Betrachters, dadurch wird die subjektive Einschätzung nicht
objektiv. Die Summe der subjektiven Einschätzungen führt nicht zu Objektivierung.“
Auf den Vorhalt des Vorsitzenden aus Seite 6 des Gutachtens von Prof. Dr. Saß, wonach ein Verstehenshintergrund vorgestellt werde, es dann Angelegenheit der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts sei, ob dem gefolgt werde oder nicht, führte Faustmann aus: „In dem Sinne ja, aber im wissenschaftlichen Sinne ist das nicht überprüfbar. Das ist dann ein Ermessensspielraum, aber
das kann nicht Aufgabe eines Sachverständigen sein.‘ ‚Aus methodischer Sicht kann ich dem insoweit nicht folgen, als mir nicht klar ist, wie ich den Bewertungsvorgang nachvollziehen kann. Es kann nicht Aufgabe des Sachverständigen sein, dass das ausschließlich auf subjektiver Ebene erfolgt.“
Auf die insoweit wiederholte Nachfrage des Vorsitzenden stellte Faustmann später noch einmal klar: „Die Zuschreibung, dass die Ergebnisse dem Adressaten zugebilligt werden, ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht zulässig, weil ich die Wertung vorher auf der wissenschaftlichen
Grundlage leisten muss, wenn es um die psychische Erkrankung oder Störung geht.“
Bezogen auf den Begriff der Persönlichkeitsakzentuierung führte er aus: „Er taucht überall auf, ist aber immer gefüllt mit sehr unterschiedlichen Inhalten, was dann nicht mehr zulässig ist, wenn nicht klargemacht wird, auf welcher Grundlage er verwendet wird.“ Der Vorsitzende erkundigte sich nach dem Krankheitsbegriff, worauf im psychiatrischen Bereich die Einordnung beruhe: „Er beruht auf der Erhebung des Befundes, des psychischen Befundes.“ Und befragt nach der Erklärung von „Störung“: „Ist Erklären im ursächlichen Sinne gemeint, wie sie bedingt ist oder wie sich die Störung im Querschnitt auf der Befundung darstellt. Natürlich fließt in den Befund auch das Befinden ein, aber es muss schon differenziert werden.“; „Wenn ich als Psychiater gefragt werde im Hinblick auf Gefährlichkeit, Rückfallrisiko, dann ist zuerst zu prüfen, liegt eine Störung oder Erkrankung vor. Dann kann ich darüber das Rückfallrisiko einschätzen.“
Auf die Frage des Vorsitzenden zu Seite 15 seines Gutachtens, wenn keine psychische Krankheit vorliege, was das hinsichtlich der praktischen Handhabung des Gutachtenauftrages bedeute, stellte
Faustmann klar: „Wenn das Ergebnis keine Krankheit oder Störung mit Krankheitswert ist, kann ich auch zur Prognose keine Aussage machen.“
Angesprochen auf den von ihm zitierten Prof. Dr. Dahle und das klinisch-idiographische Beurteilungskonzept, auf welches Saß Bezug nahm, führte Faustmann aus: „Dahle führt aus, dass man sich nicht im Rahmen einer subjektiven Beurteilung bewegt, sondern durch Vorgaben systematisiert werden muss. Wenn ich das Modell anwende, gehört nach Dahle dazu, dass es wissenschaftlich kontrollierbar ist, d.h. ich muss die Bedingungen, wie ich in dem idiographischen Modell arbeite, nachvollziehbar machen.“
Zu der Frage, warum er auf Seite 19 das Fehlen von Ausführungen kritisiere, was mit entwicklungspsychologischen Aspekten gemeint sei und welches Modell zugrunde gelegt werde, erklärte Faustmann: „Wenn ich als Sachverständiger sage, dass bestimmte Gesichtspunkte aus entwicklungspsychologischer Sicht von Interesse sind, muss ich auch sagen, welche Inhalte aus entwicklungspsychologischer Sicht gemeint sind und in welchem Modell der Entwicklungspsychologie ich mich bewege.“; „Die Entwicklungspsychologie ist eine eigenständige Fachwissenschaft; die wissenschaftliche Beschäftigung erfolgt auf der Basis vieler verschiedener Modelle, unter denen man eine Entwicklung beurteilen kann.“; „Wenn ich den Begriff der Entwicklungspsychologie verwende, erwarte ich, dass auch ein entsprechendes Konstrukt verwendet wird.“
Der Vorsitzende fragte den Sachverständigen nach seinem Verständnis von dem Begriff der Verdrängung. Hierzu wies Faustmann erneut darauf hin: „Auch hier geht es nicht um mein persönliches Verständnis.“; „Von Professor Dr. Saß wird der Begriff so dargestellt, dass er im Alltagsverständnis verstanden werden soll, wobei mir nicht klar ist, welches Alltagsverständnis er zugrunde legt, welches wir haben, ob Alltagsverständnis ist, was wir alle haben.“; „Welche Form von Alltagsverständnis zugrunde gelegt wird.“; „Ich weiß nicht, was Alltagsverständnis heißen
soll. Der Alltag ist für jeden von uns etwas anderes. Verdrängung ist für jeden etwas anderes.“
Der Vorsitzende erkundigte sich unter Bezugnahme auf Seite 35 des Gutachtens danach, was Faustmann bei diesem Punkt am Gutachten von Saß kritisiere. Dieser erläuterte: „Es wird der Begriff der akzentuierten Persönlichkeit mit bestimmten Zügen beschrieben, im nächsten Punkt aber darauf hingewiesen, die Schwere der seelischen Abartigkeit nicht erreicht (sei), aber in den Mindestanforderungen ist anderes beschrieben; die Zuschreibung weicht hier von den Mindestanforderungen ab, wird aber nicht beschrieben.“; „Es geht nicht um meine persönliche Meinung, sondern: Kann ich aus dem Gutachten erschließen, was Saß mit akzentuierter Persönlichkeit meint; ich kann es unter Bezugnahme auf die Mindestanforderungen nicht erschließen, denn dort wird die akzentuierte Persönlichkeit ausschließlich auf das vierte Eingangsmerkmal bezogen und das trifft nach Saß nicht zu. Ich kann den Begriff nicht fassen. Es ist nicht meine Aufgabe, Deutungen vorzunehmen. Ich muss es aus dem Gutachten methodisch erschließen. Nur das. Ich muss es nicht deuten.“
Zu den Items, welche Saß isoliert verwendet habe, führte er auf Nachfrage dezidiert aus: „Wenn man aus einer publizierten Liste einzelne Items entnimmt, ist das methodisch nicht zulässig. Sie können nicht etwas aus einem Fragebogen extrahieren und dann sagen, trifft zu und dann komme ich zu einer Schlussfolgerung.“; „Das Problem ist, dass die Psychopathie-Checkliste nicht für
Frauen validiert ist).“ Dem Einwand des Vorsitzenden, Saß so verstanden zu haben, dass dieser die Checkliste auch nicht anwende, entgegnete Faustmann: „Aber dann kann ich auch nicht einzelne Elemente extrahieren.“
Zu der Sinnhaftigkeit der Hang-Kriterien nach Saß führte er aus: „Es sind systematisierte Hilfskonstrukte, die dazu dienen sollen, so schreibt Nedopil, um den Begriff des Hanges erfassen
zu können. Es sind Anhaltspunkte, die aber in jedem Einzelfall sehr kritisch überprüft werden – gerade im Hinblick auf die Frage, ob es sich um überdauerndes Verhalten handelt oder aber bestimmte Merkmale einer Lebensphase. Es handelt sich nicht um ein Testverfahren, es liegen keine Daten zur Objektivität und zur Reliabilität vor, die Gewichtung ist nicht ersichtlich. Es werden keinerlei protektive Aspekte der Resilienz genannt.“
Auf die Frage von Rechtsanwalt Stahl nach der Einordnung der Erfahrungen eines Sachverständigen in seine Begutachtung erklärte Faustmann: „Ich habe ausgeführt, dass es problematisch ist, sich auf die eigenen Erfahrungen zu beziehen, wenn auf den Einzelfall bezogen der Erfahrungsrahmen nicht vorliegt und ein ganz anderer Erfahrungsrahmen die Grundlage für die Erstellung der Kriterien vorgibt. Die Hangkriterien wurden auf der Basis der Erfahrung erstellt. Sie beziehen sich auf Menschen, die im Hinblick auf einen Hang sachverständig begutachtet wurden. Dieses Klientel bestand 1991 bis 2001 nahezu ausschließlich aus Männern einer bestimmten Konstellation, einem überwiegenden Anteil mit Persönlichkeitsstörungen und Sexualstraftäter. Es gibt einen Erfahrungspool, das ist keine Frage. Aber der besteht aus überwiegend männlichen Probanden. Es ist dann methodisch überaus bedenklich und schwierig, diese Kriterien bei einer Person zugrunde zu legen, die nicht darunterfällt. Ich denke, das muss man offen ansprechen, dass erhebliche Einschränkungen in der Beurteilbarkeit bestehen. Es gibt hinsichtlich der methodischen Anwendbarkeit große Bedenken.“
Auf die Frage von Rechtsanwalt Scharmer, ob es verschiedene Positionen in der Wissenschaft zu der Frage nach dem Untersuchungsgegenstand des psychiatrischen Sachverständigen gäbe, stellte er klar: „Die gibt es immer. Die müssen transparent und nachvollziehbar sein, ich habe in meiner ersten Stellungnahme durchaus verwiesen auf Leygraf, wonach Saß sich sehr weit bei § 66 StGB aus seinem Kerngebiet entfernt hat. Nedopil hat ausgeführt, dass es sich überwiegend um kriminologische Kriterien handelt.“
Rechtsanwältin Wierig erklärte er auf ihre Frage zu einzelnen, von Saß verwendeten Items einer der Psychopathie-Checklisten nach Robert Hare, ob es nicht sinnvoll sei, Einzelteile einer Falluntersuchung zu nehmen, wenn das ganze Modell nicht anwendbar sei, warum die einzelne Anwendung nicht zulässig sei: „Es ist ein methodischer Grundsatz, dass man bei Testverfahren dieses immer nur auf seine Anwendbarkeit hinnehmen kann. Wenn ein Testverfahren zur Entwicklung von Apfelsorten entwickelt wurde, kann ich nicht drei Merkmale daraus entnehmen und eine Birne beurteilen. Testverfahren sind an bestimmten Personen validiert. Wenn das Verfahren anhand von 50-jährigen Männern entwickelt wurde, kann ich damit nicht 30-jährige Frauen begutachten.“
Angesprochen auf die insoweit unbefriedigende Situation bekräftigte er: „Wenn bestimmte Voraussetzungen nicht vorliegen, kann ich als psychiatrischer Sachverständiger nichts dazu sagen. Punkt. Der Wissenschaftler kann nicht sagen: Ich orientiere mich an den Bedürfnissen der Rezipienten. Ich muss vielmehr sagen: Ich weiß es nicht. Wenn man anfängt, über den eigenen Tellerrand da und da zu schauen, muss man das mit großer Vorsicht kommunizieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, man steht auf sicheren Füßen. Das ist dann eine nicht mehr wissenschaftlich begründbare Stellungnahme.“
Stahl: „Ja., Herr Vorsitzender, in dem Zusammenhang kein unmittelbarer Antrag, sondern eine Anregung: Der Sachverständige Prof. Dr. Saß hat gestern das ihm eingeräumte Fragerecht gegenüber Prof. Dr. Faustmann nicht wahrgenommen. Stattdessen hat er angekündigt, er wolle eine Stellungnahme – offenbar in der Hauptverhandlung – abgeben. Wir sind der Auffassung, dass das prozessual nicht zulässig ist. Sollte das in anderer Form seitens des Senats doch stattfinden, dann sind wir der Auffassung, dass von Amts wegen dafür gesorgt werden muss, dass Herr Prof. Saß nicht an Herrn Prof. Faustmann vorbei versuchen kann, sein Gutachten zu retten; sondern Faustmann muss anwesend sein. Hilfsweise müssten Sie uns Gelegenheit geben, dass wir Herrn Faustmann dann zu der unseres Erachtens nicht zulässigen Stellungnahme laden können.“
RAin Von der Behrens: „Ich bitte um 15 Minuten Unterbrechung und Aushändigung der Kopien der anderen Anträge, damit wir beraten können, ob wir den Antrag noch stellen.“ Götzl: “ Dann empfiehlt es sich, direkt die Mittagspause zu machen. Dann unterbrechen wir gleich für eine Stunde und setzen um 12 Uhr fort.“ Es folgt die Mittagspause bis 12:12 Uhr.
Danach verliest RAin von der Behrens folgenden Antrag:
In der Strafsache ./. Zschäpe u.a. 6 St 3/12 haben die Unterzeichner immer darauf hingewiesen, dass die Gewaltbereitschaft, Gewalttätigkeit und Menschenverachtung der extrem rechten Szene nicht auf das Wirken von V-Leuten oder staatlichen Behörden zurückzuführen ist, sondern auf die in der extrem rechten Szene vorherrschende Ideologie. Die Unterzeichner meinen dennoch, dass die staatliche Kollusion in diesem Verfahren aufzuklären ist. Denn die Aktivitäten des Verfassungsschutzes und insbesondere sein V-Mann-Wesen haben bei der Entstehung des NSU gab er an, es sei eine eine Musikbewegung gewesen, Gewalt gegen den politischen Gegner oder Konzepte wie der führerlose Widerstand hätten keine Rolle gespielt. Auf Frage der Nebenklage sagte er, zu keinem Zeitpunkt von einer Verfassungsschutzbehörde angesprochen worden zu sein oder einer solchen Informationen weitergeleitet zu haben. Demgegenüber berichtete am gestrigen 16.05.2017 die ARD, dass Lange V-Mann gewesen sei. Dazu sei es gekommen, nachdem das LKA Berlin von Thomas Starke einen Hinweis erhalten habe, dass Lange möglicherweise zur Zusammenarbeit bereit sei.
Das LKA Berlin 514 habe ihn dann an das Bundesamts für Verfassungsschutz vermittelt. In einem nachfolgenden Bericht des Tagesspiegels wird ergänzt, dass das BfV eingeräumt hat, Lange als V-Mann geführt zu haben. Das BfV hat dem Artikel zufolge konkret zugegeben, dass ein erster Kontakt zu Lange im Jahr 2000 erfolgt sei und er Anfang 2002 verpflichtet worden sei. Insoweit hat der Zeuge also falsch ausgesagt. Unrichtig waren auch seine Angaben zur fehlenden Militanz von LKA Berlin und dem BfV vorhandenen Aktenbestandteile beizuziehen, die Informationen von dem V-Mann Stephan Lange enthalten zur Unterstützung von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und der Angeklagten Zschäpe mit Geld, Ausweispapieren, Wohnungen und Waffen, dem Aufenthaltsort der Drei, zu der Existenz des NSUBfV, die Stephan Lange in der Zeit von 2000 bis 2011 geführt haben, zu ermitteln und zu laden und zu dem oben beschriebenen Inhalt der Meldungen des Stephan Lange zu hören.
Begründung:
I. Der Antrag kann derzeit nur als Beweisermittlungsantrag gestellt werden, da über die in den Medien veröffentlichten Informationen zu der V-Mann-Eigenschaft des Stephan Lange hinaus nichts bekannt ist. Dem Beweisermittlungsantrag ist aus folgenden Gründen nachzugehen:
1. Der Zeuge Lange hat in der Hauptverhandlung angegeben, Carsten Szczepanski sowie die Mitglieder bzw. das unmittelbare Umfeld der sächsischen -Sektion, wie Jan Werner, Antje B. geschiedene Probst, Thomas Mü., geborener Starke, „Gunnar“, also Gunther Fiedler, Andreas Graupner und Ralf Marschner sowie von der thüringischen
Die Beweisaufnahme hat weiter ergeben, dass mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe am 7. Mai 2000 Jan Werner und dessen damalige Freundin Annett We. oder ihre Schwester, Heike Be. in Berlin getroffen haben. Thomas Starke wurde im Rahmen des Landser-Verfahrens und mit Wissen des GBA durch das LKA Berlin, konkret durch den Zeugen Th. als Informant angeworben. Am 13.02.2002 berichtete Starke dem LKA, dass Jan Werner drei Personen kenne, die wegen Waffen- und Sprengstoffbesitzes mit Haftbefehl gesucht würden. Wie viel Jan Werner über das Trio gewusst haben muss, zeigt sich auch daran, dass er nach der Selbstenttarnung des NSU dem Zeugen Thomas Starke erzählt hat, Mundlos und Böhnhardt seien „ganz schön krass drauf“ gewesen, die hätten ihm einmal eine Waffe an den Kopf gehalten und gesagt, er solle aufpassen, wem er was erzähle. Da Stephan Lange als Freund und Divisionschef für Jan Werner mindestens so wichtig war wie Carsten Szczepanski und Thomas Starke, wird Werner auch Lange die zahlreichen Informationen zu seiner eigenen Unterstützungsleistung an das Trio und zu den Unterstützungsleistungen der -Sektion mitgeteilt haben.
Lange wird diese Erkenntnisse mit seinem V-Mann-Führer beim BfV geteilt haben, was sich in Deckblattmeldungen, Treffberichten und dessen Erinnerung niedergeschlagen haben wird. Selbst wenn es zutreffend ist, dass Lange erst seit 2000 oder 2002 für das BfV gearbeitet hat, ist davon auszugehen, dass die Informationen zu der Zeit von 1998 dem BfV vorliegen. Es ist üblich, bei der Anwerbung von V-Leuten deren relevantes Wissen auch über vergangene Ereignisse abzuschöpfen. Dem BfV, das im Rahmen der Operation Drilling die Meldungen von Szczepanski von Brandenburg selbst nach Thüringen steuerte, waren die Unterstützungsleistungen durch Angehörige der -Sektion Sachsen auch bekannt. Bei Gewinnung eines hochrangigen V-Manns in dieser Szene an diese brisanten Informationen anzuknüpfen, lag damit für das BfV auf der Hand. Dies gilt erst recht, weil der V-Mann dem Tagesspiegel-Bericht zufolge explizit auf eine weitere Radikalisierung des -Milieus bis hin zu terroristischen Aktivitäten angesetzt war. Ebenso lag es nahe, an die Meldung des LfV Mecklenburg-Vorpommern anzuknüpfen, der von David Petereit herausgegebene Weisse Wolf habe im Jahr 2002 einen Brief mit einer hohen Geldspende erhalten, auf die in dem Weissen Wolf Nr. 18 aus demselben Jahr Grüße an den „NSU“ folgten. Dass das BfV auf diese Erkenntnisse mit der Steuerung von V-Männern reagierte, zeigt sich auch daran, dass der V-Mann Thomas Richter – „Corelli“ – nach der Veröffentlichung der Grüße das Hosting für die Webseite des Weissen Wolfes übernahm.
2. Stephan Lange zog zwischen 2000/2001 nach Kirchheim in Baden-Württemberg, das in
unmittelbarer Nähe von Ludwigsburg und Heilbronn liegt; in diese Gegend waren u.a. auch Jan Werner und Andreas Graupner gezogen. Was Lange in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung behauptet hat, nämlich, dass er in der Zeit nach dem -Verbot keine Kontakte in die Szene mehr gehabt habe, ist durch die Angaben des BfVNSU-Briefe und Geldspenden wusste und dieses Wissen auch dem BfV mitteilte.
-Strukturen, auch in Thüringen und Sachsen, und der Freien Kameradschaftsszene durchgängig eine Zusammenarbeit gab. Die Beweiserhebung wird damit ergeben, dass dem BfV schon vor dem Jahr 2007 alle Erkenntnisse vorlagen, die die Gefährlichkeit des Trios belegten. Sie wird weiter ergeben, dass das BfV Informationen über den Aufenthaltsort des Trios und seine Unterstützer hatte, die bei Weitergabe an die Strafverfolgungsbehörden zur Festnahme des Trios und Verhinderung von dessen Verbrechen geführt hätten. Gleichwohl hat das BfV die Taten nicht verhindert und greift seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 steuernd in die Ermittlungen und die Aufklärung des NSU-Komplexes ein. Im Fall des Stephan Lange dadurch, dass der V-Mann nicht nur unwidersprochen durch den Dienst seine Tätigkeit als V-Mann leugnet, sondern in der Hauptverhandlung auch darüber hinaus unrichtige oder verharmlosende Angaben zu und zu Unterstützern, wie Jan Werner, machte. Vor allem aber dadurch, dass das BfV die V-Mann-Eigenschaft des Stephan Lange dem GBA gegenüber nicht freigegeben hat und die Quellmeldungen Stephan Langes zu dem Trio und seinen Unterstützern nicht an den GBA weitergeben hat. Zudem wird sich aus der vorzunehmenden Beweisaufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben, dass Lange dem BfV gegenüber über den Kontakt mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu ihm bzw. zu Werner Details berichtete, die auch die Struktur und das Verhältnis der drei untergetauchten Personen untereinander betrafen und damit die Angaben der Angeklagten Zschäpe widerlegen.
Der Antrag ist unterschrieben von den NK-Vertreter_innen Başay, von der Behrens, Daimagüler, Elberling, Hoffmann, Luczak, Ilius, Lunnebach, Scharmer und Stolle. Götzl: „Sind weitere Anträge zu stellen?“ Niemand meldet sich. Götzl: „Soll denn zu den gestellten Anträgen sogleich von Seiten der Verfahrensbeteiligten Stellung genommen werden?“ NK-Vertreterin RAin Wierig sagt, sie habe keine Stellungnahme, sondern eine Anregung zum Antrag von RA Grasel. Sie wolle zu bedenken geben, dass, wenn es um die Zeit Zschäpes bei Herrn Trepte gehe, dass dieser ihrer Meinung nach nicht verstorben sei: „Dann wäre er zu befragen, nicht Frau Annerose Zschäpe, denn die war ja nicht dabei.“ Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen. Wir setzen dann fort morgen um 09:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 12:26 Uhr.
Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Heute lief die vom Gericht gesetzte Frist für die Stellung von Beweisanträgen ab – und in der Tat wurden noch einige Antrage gestellt. (…) Aus der Nebenklage kam der Antrag, die V-Mann-Akten des ehemaligen Deutschland-Chefs von Blood and Honour, Stefan Lange alias Pinocchio, beizuziehen. Der hatte bei seinem Auftritt vor Gericht geleugnet, V-Mann gewesen zu sein – gestern berichteten nun mehrere Medien, dass er mehrere Jahre lang V-Mann des Bundesverfassungsschutzes war und ‚ergiebig‘ aus den (ehemaligen) Blood and Honour-Strukturen berichtet hat. Angesichts seiner herausgehobenen Stellung in Blood and Honour und seiner engen Freundschaft zu unmittelbaren UnterstützerInnen wie u.a. Jan Werner ist naheliegend, dass auch er Mitteilungen zum NSU-Kerntrio machte und dass diese dann wiederum vom Verfassungsschutz nicht an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet wurden. Die Verteidigung Wohlleben beantragte die Vernehmung von Lange und weiteren Personen, allerdings in Verfolgung ihrer These, Blood and Honour Sachsen sei nicht nur alleine für die Radikalisierung des NSU-Kerntrios verantwortlich gewesen, sondern habe auch die Mordwaffe Ceska besorgt – beides Thesen, mit denen die Verteidigung bisher zu recht beim Gericht kein Gehör fand. Interessant ist ein Detail am Rande: Verteidigerin Nicole Schneiders zählte in einem der Anträge eine Reihe von V-Leuten aus dem unmittelbaren Umfeld des NSU in Thüringen und Sachsen auf – und nannte dabei auch den Thüringer Ronny Artmann. Der war bisher öffentlich nicht als V-Mann gehandelt worden. Artmann war zwischen 1998 und 2001 u.a. im THS und den ‚Jungen Nationaldemokraten‘ in Jena aktiv, kam hier auch mit der damals in Jena studierenden Schneiders in Kontakt. Zudem war er einer der engsten Vertrauten des Angeklagten Schultze, wurde aber erst im Februar 2013 vom BKA vernommen und ist in der Liste der Kontaktpersonen in der Anklage nicht einmal erwähnt.“
https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/05/18/17-05-2017/