Protokoll 379. Verhandlungstag – 1. August 2017

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An diesem Verhandlungstag setzt Oberstaatsanwalt Weingarten der BAW fort. Er spricht über die Rolle der Angeklagten Wohlleben und Schultze im NSU-Komplex und um die Beschaffung der Tatwaffe Ceska. Er stellt dar, dass der Kauf einer Waffe mit Schalldämpfer gewünscht und beabsichtigt war und nicht, wie teilweise von den Angeklagten behauptet, Zufall. Auch verneint er die Möglichkeit, man habe nicht ahnen können, wofür die Waffe eingesetzt werden würde.

Vor Beginn der Verhandlung nehmen sieben Neonazis, unter ihnen Thomas Gerlach, auf der Besucher*innentribüne Platz. Neben Ralf Wohlleben nimmt heute seine Frau Jacqueline Wohlleben als sein Beistand Platz. Die Verhandlung beginnt um 9:53 Uhr. Götzl: „Dann setzen wir fort mit den Plädoyer der Bundesanwaltschaft.“ OStA Weingarten: „Sehr geehrter Herr Vorsitzender, Hoher Senat, sehr geehrte Damen und Herren Verfahrensbeteiligte, ich hatte gestern ausgeführt zur Frage der Bestellung – der initialen Bestellung – eines Schalldämpfers und war zuletzt an dem Punkt gewesen, dass in der Vernehmung des Zeugen [siehe 55. und 79. Verhandlungstag] der mildere Alternativsachverhalt angeboten worden war, dass es ja auch hätte sein können, dass der Schalldämpfer einfach so mitgeliefert worden sei, woraufhin der Zeuge Schultz unmissverständlich erklärt hat, dass es immer um eine Pistole mit Schalldämpfer gegangen sei und er dem Angeklagten Schultze gesagt habe, dass er das mit dem Schalldämpfer nicht versprechen könne, letztlich habe es aber geklappt.“

Hierbei handelt es sich im Hinblick auf die Glaubwürdigkeitsprüfung um ein wesentliches Randdetail, weil insoweit vom Zeugen Schultz nicht nur eine Globalerinnerung bekundet worden ist, sondern er konnte diese sogar mit einer konkreten Erinnerungsinsel – nämlich der Äußerung aus dem Gespräch mit dem Angeklagten Schultze – verknüpfen, dass er einen Schalldämpfer nicht versprechen könne. Das Vorhandensein solcher Randdetails spricht maßgeblich für die Tatsachenfundierung einer Erinnerung. Danach belegen die Aussagegenese und deren Analyse und der Inhalt der Bestellung eines Schalldämpfers insgesamt die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Schultz. Diese wird schließlich auch nicht beeinträchtigt, und auch die Belastbarkeit der Kernaussage wird nicht beeinträchtigt dadurch, dass er in Erinnerung zu haben glaubt, dass der Angeklagte Wohlleben gemeinsam mit dem Angeklagten Schultze zu einem ersten Sondierungsgespräch wegen einer Waffenbeschaffung bei ihm vorstellig geworden sei.

Den Aussagen der Angeklagten Wohlleben und Schultze und der Zeugen Schultz und [siehe 53. und 79. Verhandlungstag]ist zu diesem Punkt noch übereinstimmend zu entnehmen, dass der Angeklagte Wohlleben den Kontakt des Angeklagten Schultze zum Zeugen Schultz vorbereitet hat. Der Angeklagte Schultze hat insoweit angegeben, er habe beim Erstkontakt mit Schultz, den er allein wahrgenommen habe, sagen sollen, dass der Wohlleben ihn schicke. Dem widerspricht jedenfalls der Angeklagte Wohlleben auch nicht, der angegeben hat, möglicherweise habe er dem Angeklagten Schultze gesagt, er solle gegenüber Schultz angeben, dass er von Ralf Wohlleben komme, falls der Zeuge Schultz irgendwelche Fragen stellt. Allerdings folgt die Bundesanwaltschaft dem Zeugen Schultz insoweit nicht, als dass nach dessen ausdrücklich unsicherer Erinnerung der Angeklagte Wohlleben und Schultze gemeinsam zu einem ersten Sondierungsgespräch über die Möglichkeit einer Waffenbeschaffung beim ihm vorstellig geworden seien. Dies würde sowohl den Angaben des Angeklagten Wohlleben als auch denen des Angeklagten Schultze widersprechen. Beide haben insoweit übereinstimmend angegeben, dass allein der Angeklagte Schultze zum Zeugen Schultz wegen der Waffenbeschaffung Kontakt aufgenommen hatte. Das berührt indes die Glaubwürdigkeit des Zeugen Schultz sonst nicht. Es ist vielmehr ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Zeuge Schultz den Angeklagten Wohlleben mit dem mit dem Angeklagten Schultze abgewickelten Waffengeschäft gedanklich in Verbindung bringt. Zum einen war der Angeklagte Wohlleben dem Zeugen bereits zuvor als Kunde und aus der Szene, etwa von Konzerten, bekannt. Zum anderen hat sich der Angeklagte Schultze seiner Einlassung zufolge und nach Weisung des Angeklagten Wohlleben gegenüber dem Zeugen Schulz zu seiner Legitimierung als integre Person auf den Angeklagten Wohlleben berufen. Dieser schicke ihn, hat der Angeklagte Schultze auftragsgemäß dem Zeugen Schultz berichtet.

Ferner geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass der Kontakt zwischen dem Zeugen Schultz und dem Angeklagten Schultze tatsächlich über den Angeklagten Wohlleben über Liebau vorbereitet worden ist. Dies korrespondiert insofern mit der Einlassung des Angeklagten Wohlleben, als dass dieser den Angeklagten Schultze zur Beschaffung einer Waffe in den von Liebau und Schultz betriebenen Laden [schickte]. Dass es im Vorfeld bereits eine vorsichtige Fühlungnahme zur Sondierung eines Waffengeschäfts gab – sowohl nach der Aussage des Zeugen Schultz, der von Liebau über das bevorstehende Vorsprechen wegen einer Waffe unterrichtet worden war, als auch aus der von den Zeugen Roberto Tu. [siehe 86. und 239. Verhandlungstag]und Jochen Lo. [siehe 86. Verhandlungstag]wiedergegeben Aussage des Zeugen Liebau selbst, der im Ermittlungsverfahren ohne Vorhalt aus der Vernehmung Schultz meinte, dass es sein könne, dass der Angeklagte Wohlleben ihm mal zwischen Tür und Angel darauf angesprochen habe, ob er, Liebau, eine Waffe liefern können, woraufhin er den Angeklagten Wohlleben wahrscheinlich an seinen Kompagnon verwiesen hatte – ist plausibel, dies schon deshalb, weil nach Aussage Liebaus häufiger Leute aus der Szene nach Waffen gefragt hätten, wenngleich er in Hauptverhandlung meinte, dass sich das immer auf Schreckschusswaffen bezogen hätte.

Es folgt auch aus den Angaben des Angeklagten Gerlachs – auch wenn der zu einer ganz anderen Waffe Angaben machte –, dass der Kontakt zwischen dem Zeugen Schultz und dem Angeklagten Schultze über den Angeklagten Ralf Wohlleben und den Zeugen Liebau hergestellt worden ist. Denn der Angeklagte Gerlach äußerte – wie durch den Zeugen Hort Thomas Sch. [siehe 23., 24. und 25. Verhandlungstag]belegt – zu der von ihm transportierten Waffe in seiner Vernehmung vom 17.1.2012 wörtlich: „Den Frank Liebau kannte man schon aus Jenaer Szene. Dem hätte ich nicht zugetraut, dass er was mit Waffen zu tun hätte. Ralf Wohlleben hat mir gesagt, dass er den Frank Liebau angesprochen habe, ob er eine Waffe besorgen könne, Frank Liebau habe ihn an seinen Partner verwiesen“. Dabei handele es sich um die Person, die er auf der Lichtbild-Vorlage erkannt habe, Andreas Schultz.

Dass der Angeklagte Wohlleben zunächst den Zeugen Liebau angesprochen hat, ist schon deswegen ohne weiteres nachvollziehbar, weil nach der Einlassung des Angeklagten Gerlach im Ermittlungsverfahren der Angeklagte Wohlleben mit Liebau jedenfalls so gut bekannt war, dass er ihn zu seiner Geburtstagsparty in den Winzerclub eingeladen hatte. Danach ist es auch schlüssig, dass der Angeklagte Wohlleben jedenfalls bei der ersten Waffenbeschaffung – und die Beschaffung der liegt mindestens ein Jahr vor der Übergabe der zweiten Waffe durch den Angeklagten Gerlach in Zwickau – durch Vermittlung des Zeugen Liebau an den Zeugen Schultz gelangt ist und Liebau dem Schultz bei lebensnaher Betrachtung unter Nennung des Namens von Wohlleben dessen Vorsprechen wegen einer Waffe angekündigt hat. Genau deshalb hat auch der Angeklagten Wohlleben dem Angeklagten Schultze aufgegeben, sich bei seinem Gespräch mit Schultz auf ihn, Wohlleben, zu beziehen, damit Schultz das Ansinnen nach einer Waffe mit der Ankündigung seines Geschäftspartners Liebau in Verbindung bringen könnte.

Dies alles steht auch mit der Einlassung des Angeklagten Schultze in der Hauptverhandlung und im Ermittlungsverfahren, über die der Zeuge Timo Ko. [siehe 217. und 293. Verhandlungstag]berichtet hat, im Einklang. Danach war der Angeklagte Schultze einigermaßen überrascht, dass der Zeuge Schultz auf den außergewöhnlichen Wunsch nach einer Waffe völlig gelassen reagierte und in keiner Weise herumdruckste, sondern nur sagte, er wolle sich mal umhören. Auch diese Schilderung der Reaktion des Zeugen Schultz – die mit seiner eigenen Bekundung im Übrigen ja auch übereinstimmt – lässt darauf schließen, dass der Zeuge Schultz bereits vor dem ersten Treffen mit dem Angeklagten Schultze vom Zeugen Liebau entsprechend instruiert worden war. Damit ist die gedankliche Verknüpfung des Zeugen Schultz zwischen dem Auftreten des Angeklagten Schultze zum Erwerb einer Waffe und dem Angeklagten Wohlleben ohne weiteres erklärlich. Diese unerhebliche und zudem unsichere Fehlerinnerung eines unwesentlichen Randdetails – also das gemeinsame Auftreten von Wohlleben und Schultze beim ersten Gespräch – wird damit nachvollziehbar und berührt die Glaubwürdigkeit des Zeugen Schultz und die Belastbarkeit seiner Angaben insoweit nicht. Soweit der Zeuge Schultz schließlich die Lieferung der zweiten vom Angeklagten Gerlach an den NSU überbrachten Waffe an den Angeklagten Wohlleben abstreitet, ist dies insofern unerheblich, weil dies erstens keine Zweifel im Hinblick auf die Angaben zu dem Waffengeschäft mit dem Angeklagten Schultze begründet und zweitens schon nicht klar ist, ob der Angeklagte Wohlleben den Angeklagten Gerlach hinsichtlich der zweiten Waffe überhaupt zutreffend über deren Herkunft unterrichtete. Es ist demnach gut möglich, dass die zweite Waffe unmittelbar etwa über den Zeugen Liebau geliefert worden ist.

Es ist nach alledem festzustellen, dass das Aussageverhalten des Zeugen Schultz – soweit er zunächst die Unwahrheit bekundete – lediglich von dem Motiv geprägt war, persönliche Unannehmlichkeiten zu vermeiden, nicht aber davon, ideologisch begründet oder sonst interessengeleitet andere Personen zu schützen oder zu belasten. Es ist weiter festzustellen, dass sich die letztlich maßgeblichen inhaltlichen Festlegungen des Zeugen Schultz hinsichtlich der Einbindung des Angeklagten Wohlleben in die Kontaktaufnahme mit dem Angeklagten Schultze, hinsichtlich der äußeren Abläufe des Waffengeschäfts einschließlich der Munitions-Lieferung und der zeitlichen Einordnung sowie der Angaben zum Ankaufs- und Verkaufspreis der Ceska 83, der Identität seines eigentlichen Waffenlieferanten Jürgen Länger [siehe 53. und 134. Verhandlungstag]sowie letztlich hinsichtlich der Herkunft der Pistole, die aus einem osteuropäischen Land stammte, möglicherweise aus Tschechien, allesamt durch andere Beweismittel, nämlich die Angeklagten Schultze und Wohlleben und die Zeugen Franz Schl. [siehe 47. Verhandlungstag], Liebau, Müller, Enrico Theile [siehe 94. und 122. Verhandlungstag] und die kriminaltechnischen Untersuchungen zur Tatwaffe Bestätigung gefunden haben. Und die Bestellung eines Schalldämpfers durch den Angeklagten Schultze entspricht zudem – ich hatte das ausgeführt – der Waffenbestellung von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und fügt sich darüber hinaus stimmig in die Abläufe, Lieferung, Bezahlung und Verwendung des Schalldämpfers ein.

Damit spricht in einer Gesamtschau alles dafür, dass der Zeuge Schultz auch hinsichtlich einer initialen Bestellung einer Schalldämpferwaffe die Wahrheit gesagt hat – und es spricht nichts dagegen, auch nicht die entgegenstehende Einlassung des Angeklagten Schultze. Dazu, wie wir die schwer selbstbelastende Aussage und das Reueempfinden des Angeklagten Schultze einschätzen und bewerten, hatte ich bereits im Allgemeinen und ausführlich ausgeführt. Und auch den Punkt, an dem wir ihm letztendlich nicht folgen können, hatte ich bereits erwähnt. Er sagt hinsichtlich derjenigen Sachverhaltssplitter nach unserer Würdigung der Beweisaufnahme nicht die Wahrheit, deren Umstände sicher die Voraussetzungen dafür belegen, dass der Angeklagte Schultze das mindestens sehr konkrete Risiko erkannt hat, dass Böhnhardt und Mundlos gerade mit der von ihm übergebenen Waffe Mordtaten begehen können – und zu diesen Sachverhaltssplittern gehört eben die Frage der Bestellung eines Schalldämpfers. Es gehört dazu seine Bewertung der Taschenlampengeschichte und die zeitliche Einordnung der telefonischen Bemerkung von Mundlos und Böhnhardt, man habe einen Menschen angeschossen. Hinsichtlich all dieser Komplexe folgt der Angeklagte Schultze prinzipiell demselben Muster.

Erinnern wir uns an den 11.06.2013, den 8. Hauptverhandlungstag. Zur Überraschung der Bundesanwaltschaft eröffnete der Angeklagte Schultze, nachdem er sich bereits an drei Hauptverhandlungstagen zur Sache eingelassen hatte und darüber hinaus ausführlich und mehrfach im Ermittlungsverfahren, gegen 11:40 Uhr auf die Frage des Vorsitzenden, ob er von sich aus noch etwas zu ergänzen hätte, sichtlich erschüttert mit der Bemerkung, er sei an einem Punkt angekommen, wo er reinen Tische machen wolle. Er habe bisher einige Sachen zurückhalten wollen, diesen Punkt habe er aber jetzt überwunden. Nach den massiv selbstbelastenden Angaben des Angeklagten Schultze schon im Ermittlungsverfahren und in den vorangegangen Tagen in der Hauptverhandlung musste man sich als Verfahrensbeteiligter fragen, was denn wohl jetzt komme. Und es kamen einige bisher nicht bekannte Sachverhalte zur Sprache, die allerdings nicht die Bedeutung haben konnte, die ihnen der Angeklagte Schultze beimaß.

Es kamen weniger relevante Vorgänge aus Szenevergangenheit zur Sprache – darunter die bereits hinreichend deutlich angesprochene Schlägerei in Winzerla. Er berichtete dann erneut von dem vor Übergabe der Waffen stattgehabten Gespräch mit Böhnhardt und Mundlos und erwähnte, dass diese gesagt hätten, im Besitz einer Waffe zu sein. Und dann berichtete der Angeklagte Schultze davon, dass Böhnhardt oder Mundlos ihm spektakulär davon erzählten, dass sie in Nürnberg in einem Geschäft eine Taschenlampe hingestellt hätten, die Sache habe aber nicht geklappt. Die Schilderung sei dann durch das Hinzutreten der Angeklagten Zschäpe mit „Psst“ jäh unterbrochen und nach Weggang der Angeklagten Zschäpe nicht wieder aufgenommen worden. Er sei schließlich wegen des Anschaltknopfes an der Taschenlampe auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei der Taschenlampe um eine Sprengfalle gehandelt haben könnte – eine zutreffende Überlegung, wie sich durch die Folgeermittlungen ergeben hat.

Entscheidend bei der Würdigung dieser Einlassung ist das Folgende: Einerseits handelte es sich bei diesem Taschenlampen-Sachverhalt für den Angeklagten Schultze ersichtlich – für uns alle spürbar – um einen gerade für ihn persönlich sehr wichtigen Teilkomplex. Anders ist die offensichtliche emotionale Belastung, die mit dessen Schilderung einhergegangen war, nicht zu erklären. Denn rein objektiv setzt die Begehung eines gescheiterten Sprengstoffanschlags – angesichts des hier verhandelten Tatunrechts – für sich genommen eher keinen ohne weiteres nachvollziehbaren Anlass für die besondere Erschütterung des Angeklagten Schultze am 11.06.2013. Die für den Angeklagten Schultze herausragende Bedeutung dieser Angelegenheit wird auch dadurch deutlich, dass er sie erst sehr spät – nämlich knapp anderthalb Jahre nach seiner ersten Einlassung im Ermittlungsverfahren – gemacht hat und dies verbunden mit der Erklärung, nunmehr reinen Tisch machen zu wollen.

Angesichts der schwerwiegenden Selbstbelastung, die mit dem Geständnis einer Lieferung einer Pistole mit Schalldämpfer verbunden war, konnte auch der Angeklagte Schultze von sich aus nicht plausibel erklären, aus welchem Grund er gerade die Taschenlampen-Sache so lange zurückgehalten hat. Allein in der geschilderten Genese dieser Aussage erkennt die Bundesanwaltschaft allerdings einen Beleg dafür, dass auch der Angeklagte Schultze die Brisanz für ihn persönlich erkannt, zunächst zurückgehalten und dann mit hohem emotionalen [Aufwand] geschildert hat, ohne den entscheidenden Schritt zu tun, nämlich zuzugeben, dass ihm der Gedanke, dass das Taschenlampengeschehen in Wirklichkeit ein gescheitertes Tötungsdelikt war, sogleich während des Gesprächs im Café gekommen war und er in Ansehung der hohen Gefährlichkeit der skrupellos handelten Böhnhardt und Mundlos dennoch die Schalldämpferpistole übergeben hat.

Stattdessen erklärte der Angeklagte Schultze hier in der Hauptverhandlung die Assoziationskette, dass es sich angesichts des Sprengstofffundes im Jahr 1998 und der vormals deponierten Bombenattrappen bei der angesprochenen Taschenlampe wegen des daran befindlichen Knopfes um eine Bombe gehandelt haben könnte, diese Assoziationskette sei ihm ausgerechnet erst nach Übergabe der Waffe gekommen – nämlich in der darauffolgenden Nacht oder in einer der nächsten Nächte. Diese letzte Behauptung zu der Frage, wann sich die subjektive Erkenntnis der wirklichen Bedeutung des Taschenlampenfundes eingestellt hat, ist nicht glaubhaft. Sie verträgt sich schon nicht mit der Bedeutung, die der Angeklagte Schultze ihr heute beimisst. Sie verträgt sich weiter nicht mit dem jähen Abbruch der Schilderung durch Böhnhardt und Mundlos bei Eintreffen der Angeklagten Zschäpe, und sie verträgt sich auch nicht mit der Überschaubarkeit des Sachverhalts, dessen Verknüpfung mit einem gescheiterten Bombenattentat sich angesichts der Vorgeschichte von vornherein aufdrängte.

Selbst der Angeklagte Schultze offenbarte auf Nachfrage des Vorsitzenden am 12.06.2013, da habe er nur eins und eins zusammenzählen müssen, um von der Taschenlampe auf die Bombe schließen zu können. Um von eins und eins auf zwei zu kommen, will aber der Angeklagte Schultze mindestens eine Nacht gebraucht haben. Die wirkliche Bedeutung, dass ihm der Taschenlampenanschlag schon vor Übergabe der Waffe geschildert worden war, ist auch dem Angeklagten Schultze klar, gerade weil er nur eins und eins zusammenzählen musste. Und nur deshalb erklärte er auf Nachfrage des Vorsitzenden, warum er das jetzt erst berichte, dass er Sorge um seine Familie habe, dass diese das nicht überstehe, und dass er Angst gehabt habe, damit konfrontiert zu werden. Er habe sich dem nicht stellen wollen.

Es ist aber nicht nachvollziehbar, dass derjenige, der die Waffe, die Ceska liefert und Angeklagter dieses Verfahrens ist, nun bei der Schilderung der Taschenlampengeschichte so emotional berührt ist und sich gerade wegen dieser Geschichte Sorgen um seine Familie macht und gerade scheinbar mit diesem Nebensachverhalt sich nicht auseinandersetzten konnte. Es sei denn – und dann wird es schlüssig – diese Taschenlampengeschichte wäre auch aus Sicht des Angeklagten Schultze gar kein Nebensachverhalt, sondern ein Hinweis, dass der Angeklagte Schultze spätestens nach der Taschenlampengeschichte nicht mehr berechtigterweise darauf vertrauen durfte, die Untergetauchten würden schon keine schlimmen Sachen damit machen, sondern dass er spätestens nach der Schilderung des Taschenlampen-Sachverhalts wusste, welchen hochgefährlichen Typen er die Waffe nach dem Café-Besuch übergeben wird.

Und nur in diesem Fall ist nachvollziehbar, warum dieser 11.06.2013 für den Angeklagten Schultze ein so erkennbar wichtiger Hauptverhandlungstag war: Weil er von den rein äußeren Sachverhalten her zwar im Hinblick auf seine Rolle nur Marginales mitteilte, aber die wirkliche – von ihm auch erkannte – Bedeutung dieser äußeren Sachverhalte in ihm selber lag, nämlich in dem Wissen, dass die Kenntnisnahme von der Taschenlampenablage sein Gefährlichkeitsbewusstsein noch vor der Übergabe der Waffe erheblich geschärft hatte. Und gerade weil er dies einerseits nicht ausdrücklich zugeben konnte oder wollte, andererseits aber auch nichts schuldrelevantes zurückhalten will, um seinen Teil der Wiedergutmachung zu leisten, räumte er das Objektive ein und leugnet die daraus für ihn folgende subjektive Erkenntnis und verlegt diese Erkenntnis – es ging um einen versuchten Mord mit einer Bombe – auf einen Zeitpunkt, als das Kind bereits in den Brunnen gefallen und die Waffe übergeben war, nämlich auf eine der nachfolgenden Nächte. Auf Lateinisch heißt das Dolus subsequens – das ist ein unbeachtlicher Nachtatvorsatz.

Und exakt dieses Einlassungsmuster entspricht der Einlassung zur Frage des Schalldämpfers. Das Objektive – die Übergabe eines Schalldämpfers an Mundlos und Böhnhardt – wird eingeräumt; das für die innere Tatseite wesentliche hält er zurück – dass es nämlich Böhnhardt und Mundlos von vornherein auf einen Schalldämpfer angekommen war und dieser daher auch von vornherein bestellt war und er, Schultze, auch deswegen von vornherein die Sorge hatte, dass Böhnhardt und Mundlos mit dieser Waffe töten würden. Und Hoher Senat, wir sehen dieses Muster noch ein drittes Mal. Ebenfalls am 11.06.2013 eröffnete der Angeklagte Schultze dem Senat und den Verfahrensbeteiligten, nach einem in seiner Anwesenheit geführten Telefonat zwischen dem Angeklagten Wohlleben sowie Böhnhardt und Mundlos habe der Angeklagte Wohlleben aufgelegt, gelacht und gesagt, „die haben jemanden angeschossen“. Er, der Angeklagte Schultze, gibt vor, er habe damals gehofft, dass die Schussabgabe nicht mit der von ihm übergebenen Waffe erfolgt sei; deswegen gehe er davon aus, dass dieses Telefonat nach der Waffenübergabe stattgefunden haben müsste. Er bringe diesen Schuss auf einen Menschen aus dem Gefühl heraus mit einem Banküberfall in Verbindung – dies wegen des Vorhandenseins von Geldbanderolen bei Geldübergabe nach Waffenübergabe. Und er bringe den angeschossenen Menschen mit einem Wachmann in Verbindung. Das Lachen des Angeklagten Wohlleben ordne er in diesem Zusammenhang so nach dem Motto ein: „diese Idioten“.

Erneut ist bemerkenswert, dass die Erkenntnis eines im Hinblick auf die Ausbildung eines Risikobewusstseins relevanten Umstands – nämlich die Erkenntnis, dass Böhnhardt und Mundlos tatsächlich auf Menschen schießen – auf einen Zeitpunkt nach der Waffenübergabe gelegt wird, und erneut überzeugt dies nicht. Nach der Beweisaufnahme, insb. der Aussage des Zeugen KOK Christoph Schn. [siehe u.a. 307. und 311. Verhandlungstag], der sich mit Ermittlung zur Identifizierung dem NSU potentiell zuzurechnender Schusswaffen [beschäftigte], haben sich keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein zu der Bemerkung von Wohlleben passendes, bisher nicht aufgeklärtes und daher potentiell dem NSU zuzurechnendes Delikt finden lassen – auch nicht, soweit er Ermittlungen zu einer Schussabgabe in der Wolgograder Allee im Juli 200 geführt hat. Es wäre insoweit auch gänzlich unplausibel, anzunehmen, Böhnhardt und Mundlos hätten sich in ihrem Wohnumfeld durch einen Schuss auf einen Menschen exponiert und sich dadurch einem extrem hohen Entdeckungsrisiko ausgesetzt. Das würde nicht nur dem konspirativen Zweck des Wohnsitzes widersprechen, sondern auch dem Verhalten von Uwe Böhnhardt im Straßenverkehr. Da hatte er mit höchster Sorgfalt das Risiko zu minimieren gewusst, wegen Verstößen gegen die StVO oder durch Unfälle aufzufallen, wie sich etwa aus der diesbezüglichen, über den Zeugen Horst Thomas Sch. eingeführten Angabe des Angeklagten Gerlach im Ermittlungsverfahren ergeben hat.

Ebenso wäre es nach der gegebenen Erkenntnislage zum deliktischen Verhalten von Böhnhardt und Mundlos ein exzeptioneller Ausnahmefall, wenn diese sich gleichsam aus Lust und Laune und spontan zu einer weder ideologisch noch logistisch aus Sicht des NSU erforderlichen oder gebotenen oder auch nur nachvollziehbaren Tat hätten hinreißen lassen. Also: Anhaltspunkte für eine solche geschilderte Schussabgabe auf Menschen nach Übergabe der Ceska und vor dem 09.09.2000 haben sich nicht feststellen lassen, auch nicht, ich sagte es, für den 14.06.2000. Darüber hinaus kommt die Schussabgabe auf Enver Şimşek als das am Telefon angesprochene Delikt in Betracht. Auf diesen hatten Böhnhardt und Mundlos am 09.09.2000 geschossen, er verstarb trotz seiner schweren Verletzungen aber erst am 11.09.2000. Sollte letzteres Delikt von Böhnhardt und Mundlos gemeint gewesen sein, würde dies allerdings voraussetzen, dass der Angeklagte Wohlleben sehr zeitnah nach den Schüssen informiert worden wäre, wofür allerdings nichts spricht. Dass Böhnhardt und Mundlos sich gegenüber dem Angeklagten Wohlleben zu dem Delikt so zeitnah offenbart hätten, und damit riskiert hätten, dass ihnen die Tat an Enver Şimşek zumindest von Szeneangehörigen würde zugerechnet werden könnte, ist wenig vorstellbar; zumal angesichts der Abgabe von neun Schüssen, davon allein sechs Kopfschüssen, Böhnhardt und Mundlos in sehr euphemistischer Art und Weise davon gesprochen hätten, nur jemanden angeschossen zu haben.

Zudem hatte der Angeklagte Schultze nach seiner insoweit glaubhaften Angabe nach Vollstreckung des Unterbindungsgewahrsams im August 2000 keinen Kontakt mehr mit Böhnhardt und Mundlos.
Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass Böhnhardt und Mundlos den Schuss auf F. K.
[siehe 212. Verhandlungstag]beim Überfall auf den Edeka-Markt im Dezember 1998 meinten, als sie bei einem der darauffolgenden Telefonate am Telefon zu dem Angeklagten Wohlleben sagten, jemand angeschossen zu haben. Dies gilt, obschon der Zeuge gar nicht getroffen worden ist. Angesichts des hektischen Geschehens ist es durchaus möglich, dass Böhnhardt und Mundlos von Treffern, die der Zeuge nach Medienberichten ja überlebt hatte, ausgegangen sind. Denkbar ist auch, dass Böhnhardt und Mundlos am Telefon nicht davon gesprochen, jemanden angeschossen, sondern „auf jemanden geschossen“ zu haben, und dies entweder von Wohlleben oder Schultze nicht ganz richtig verstanden oder erinnert worden ist.

Naheliegend ist der Schluss, dass Böhnhardt und Mundlos sich auf die Schussabgabe auf F. K. bezogen, aus zwei weiteren Gründen: Zum einen sahen sie ersichtlich keinen Anlass, die Durchführung eines Raubüberfalls in gleicher Weise gegenüber Vertrauten zu verheimlichen wie die Ermordung von Enver Şimşek. Dies folgt aus dem Umstand, dass in der Szene bekannt war, dass die Untergetauchten Raubüberfälle zur Finanzierung des Lebensunterhalts begingen, worauf an anderer Stelle noch einzugehen sein wird. Zum anderen ist es der Angeklagte Schultze selbst, der es mit einer Abgabe von Schüssen auf einen Wachmann assoziiert, so dass es nahe liegt, dass er nach dem Telefonat bereits unmittelbar vom Angeklagten Wohlleben erfahren hat, dass es sich um eine Schussabgabe bei einem Raub handelt. Dass der Angeklagte Wohlleben prinzipiell über derart brisante Infos verfügte, ergibt sich aus seinen Angaben gegenüber dem Angeklagten Gerlach, dieser wolle lieber gar nicht wissen, wofür die Untergetauchten eine Waffe benötigten. Auch dazu noch an anderer Stelle.

Nach alledem, vor allem nach der nachvollziehbaren und klaren Aussage des Zeugen Schultz und nachdem die Angaben des Angeklagten Schultze in der Würdigung aus den genannten Gründen zurücktreten müssen, ist es nach Sicht der Bundesanwaltschaft erwiesen, dass Böhnhardt und Mundlos und damit auch die Angeklagte Zschäpe von vornherein nach einer Pistole mit Schalldämpfer verlangt haben und diese genauso auch beim Zeugen Schultz bestellt wurde. Der Angeklagte Schultze hat, das bleibt als Zwischenergebnis festzuhalten, den äußeren wesentlichen Gehilfenbeitrag bei der Lieferung der späteren Tatwaffe, der Ceska 83 mit der Nr. 034678 erbracht, indem er diese bei Schultz bestellte, bezahlte, in Empfang nahm und kurz darauf – und das ist entscheidend – an Böhnhardt und Mundlos übergab.

Die eigentlich maßgebliche Rolle eben bei dieser Waffenlieferung hatte jedoch der Angeklagte Wohlleben inne. Er allein entschied darüber, ob überhaupt Bemühungen zum Kauf einer Schalldämpferpistole entfaltet werden; er allein entschied, bei wem der Angeklagte Schultze in dieser Angelegenheit vorzusprechen habe. Und er allein sorgte für die Finanzierung des Kaufpreises dieser Waffe. Für den Angeklagten Wohlleben ist die Definition seiner Rolle bei der Waffenbeschaffung eine durchaus zentrale Frage des Verfahrens, weil dadurch der Schuldumfang des Angeklagten Wohlleben ganz wesentlich bestimmt wird. Er selbst hält seinen Gehilfenbeitrag für hinreichend beschrieben, indem er zusammenfassend angibt, er habe dem Angeklagten Schultze einzig und allein den unverbindlichen Tipp gegeben, sich wegen der Beschaffung einer Waffe an den Zeugen Schultz zu wenden. Die Bundesanwaltschaft indes hält eine Rollendefinition des Angeklagten Wohlleben für erwiesen, die ihm die verantwortliche Entscheidung über das gesamte Ob und Wie der Waffenbeschaffung zuweist. Dieser Würdigung der Beweisergebnisse stützt sich auf eine ganze Reihe von Gesichtspunkten:

An erster Stelle auf die Angaben des Angeklagten Schultze. Dieser hat nicht nur im Falle der Beschaffung der späteren Tatwaffe, sondern auch hinsichtlich der Unterstützungsleistungen für die Untergetauchten insgesamt stets auf die in allen Unterstützungsbelangen maßgeblich entscheidende Bedeutung des Angeklagten Wohlleben hingewiesen. So hat er durchgängig in all seinen einzelnen Vernehmungen und Befragungen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung angegeben, dass er sich stets vor den Telefonkontakten mit Böhnhardt und Mundlos mit dem Wohlleben besprochen habe. Schon über das bloße Führen der Telefonate habe er nicht alleine entschieden. Während der Telefonate sei auch von Seiten Böhnhardts und Mundlos immer klar gewesen, dass er, der Angeklagte Schultze, lediglich der Kontaktmittler zum Angeklagten Wohlleben sein sollte. Es ging immer darum, dass er die jeweilige Lage und die erteilten Aufträge mit Wohlleben besprechen sollte. Zum Teil sei ausdrücklich gesagt worden, der Wohlleben solle sich kümmern.

Gerade auch wenn Böhnhardt und Mundlos unzufrieden gewesen seien, gar geschimpft hätte, hätten Böhnhardt und Mundlos immer klargestellt, dass dies nicht ihm, Schultze, sondern dem Wohlleben gelte. Er, der Angeklagte Schultze, habe stets und lediglich als Überbringer von Informationen fungiert; insofern habe jeder Auftrag der Untergetauchten die Einbindung und Entscheidung des Angeklagten Wohlleben vorausgesetzt. Der Angeklagte Wohlleben habe dann entschieden, wie mit Anliegen der Untergetauchten zu verfahren sei, und habe alles Weitere veranlasst. Dieser Beschreibung der Rolle des Angeklagten Wohlleben widerspricht es auch nicht, dass der Angeklagte Schultze nach seiner eigenen Einlassung sich nicht mehr bei Wohlleben rückversicherte, sondern unmittelbar eine Kaufzusage machte, als der Zeuge Andreas Schultz beim zweiten Aufeinandertreffen die von ihm beschaffte und zum Verkauf stehende Waffe näher beschrieben hat. Denn zum Einen handelte es sich zwar nicht, wie gewünscht, um eine Pistole eines deutschen Herstellers, die Waffe entsprach aber gleichwohl im wesentlichen – insbesondere hinsichtlich des Schalldämpfers – den Vorgaben, und zweitens war dem Angeklagten Schultze, wie er selber sagte, eine Entscheidungskompetenz zugebilligt worden; zudem und vor allem war klar, dass dem Angeklagten Wohlleben als dem Geldgeber in jedem Fall die Möglichkeit zugekommen wäre, den Ankauf der Waffe bis zuletzt zu verhindern.

Bemerkenswerterweise hat im Übrigen auch der Angeklagte Wohlleben nicht bestritten, tatsächlich im Außenverhältnis zu den Untergetauchten als Organisator und Entscheider auf Seiten der Jenaer Unterstützerszene agiert und dadurch im Innenverhältnis zu den anderen Unterstützern die zentrale und bestimmende Rolle eingenommen und ausgeübt zu haben. Vielmehr bestätigte der Angeklagte Wohlleben diese Rolle sogar, indem er angab, er habe niemanden aufgefordert, ihm das Anliegen der Untergetauchten anzutragen; dies sei vielmehr der Wunsch von Böhnhardt und Mundlos gewesen. Es war also selbst nach Einlassung des Angeklagten Wohlleben der Wunsch der NSU-Mitglieder, dass gerade er – der Angeklagte Wohlleben – die zentrale Steuerung der Auftragserledigung übernehmen sollte. Die Einlassung der Angeklagten Wohlleben und Schultze sind also in diesem Punkt grundsätzlich deckungsgleich. Der Angeklagte Wohlleben war in der Rolle des Entscheiders, ob und wie und durch wen im Einzelfall Aufträge der Untergetauchten abzuarbeiten waren, eingebunden. Weingarten: „Dass er diese maßgebliche Funktion auch bei der Waffenbeschaffung wahrgenommen hat, wird sich nach Vorstellung, Herr Vorsitzender, der Bundesanwaltschaft nach einer jetzt angebrachten Unterbrechung aus dem dann Darzulegenden ergeben.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir für 15 Minuten und setzen um 10:55 Uhr fort.“

Weiter geht es um 10:59 Uhr. OStA Weingarten: „Herr Vorsitzender, hoher Senat, ich hatte angekündigt, mich jetzt mit der Frage auseinanderzusetzen, wie wir darauf kommen, dass er [gemeint ist der Angeklagte Wohlleben]seine grundsätzlich maßgebliche Funktion auch bei der Waffenbeschaffung eingenommen hat. In diesem Zusammenhang ist zunächst von Bedeutung, dass er das Waffengeschäft im Hintergrund vorbereitet hat über den Zeugen Liebau, das hatte ich ausgeführt.“ Im Hinblick auf die Bedeutung des Angeklagten Wohlleben bei der Waffenbeschaffung sehr instruktiv und hervorhebenswert ist die Feststellung, dass der Zeuge Schultz gerade den Angeklagten Wohlleben und damit gerade nicht den Angeklagten Schultze und damit eben nicht seinen unmittelbaren Kontaktmann als Spiritus rector dieses Waffengeschäfts wahrgenommen hat. Dies findet seinen Ausdruck in dem Ausruf des Zeugen Schultz in seiner Vernehmung vom 25.01.2012 – hier über Vernehmungsbeamte eingeführt –, wo er wörtlich sagte „ich habe dem die Scheißknarre besorgt“, womit er – weil zuvor nach dem Angeklagten Wohlleben gefragt worden war – den Angeklagten Wohlleben meinte. Dieser Erinnerungskonnex belegt, dass die Bewertung des Zeugen Schultz zu dem Rollenverhältnis des Angeklagten Wohlleben und des Angeklagten Schultze mit den Angaben des Angeklagten Schultze zu diesem Punkt übereinstimmt.

Mit der dem Angeklagten Wohlleben vom Angeklagten Schultze zugeschriebenen maßgeblichen Rolle bei dem Waffengeschäft korrespondiert darüber hinaus und ganz wesentlich der Umstand, dass es der Angeklagte Wohlleben war, der die Finanzierung der Schalldämpferpistole übernommen und verantwortet hat. Schon allein deshalb kommt ihm der zentrale, weil unbedingt notwendige Gehilfenanteil zu. Hinsichtlich des Nachweises der Waffenfinanzierung durch den Angeklagten Wohlleben gilt: es kann zunächst ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte Schultze selbst die Ceska 83 bezahlt hat. Der dafür erforderliche Geldbetrag von 2500 DM stand ihm nicht zur Verfügung. Weder verfügte er über entsprechende Eigenmittel, noch hatte er einen solchen Betrag von den NSU-Mitgliedern zuvor erhalten. Dass der Angeklagte Schultze anders als die Angeklagten Wohlleben und Gerlach bis zu diesem Zeitpunkt keine finanziellen Zuwendungen erhalten hatte, ergibt sich schon daraus, dass der Angeklagte Schultze erst unmittelbar nach der Übergabe der Ceska 83 von Böhnhardt oder Mundlos Geld erhalten hat, und zwar nicht wie Gerlach und Wohlleben 10.000, sondern nur einige hundert DM. Dieses Geld war nach dem Willen Böhnhardts und Mundlos bestimmt – so die Einlassung des Angeklagten Schultze im Ermittlungsverfahren wörtlich – „für die Telefonkarte oder wenn mal was ist“, und diente damit zum Teil der nachträglichen Erstattung von Auslagen, insbesondere für Telefonkosten, und zum Teil der Vorsorge für weitere Alltagsausgaben im Rahmen seiner Unterstützungsleistung.

Zwar brachte der Angeklagte Schultze im Rahmen seiner Einlassung in der Hauptverhandlung zeitweise diese Barzuwendung auch in einen Erinnerungszusammenhang mit der Erstattung des Kaufpreises für die Ceska. Diese sehr unsichere Erinnerung, dass es irgendeinen inneren Zusammenhang für die Geldhingabe und Waffenlieferung gab, ist aber – wie der Angeklagte Schultze selbst erläuterte – nur ein spekulativer Rückschluss. Dieser retrospektive Eindruck des Angeklagten Schultze einer waffenbezogenen Zweckbestimmung der Geldzuwendung kann nicht stimmen, denn der nach der Einlassung des Angeklagten Schultze an ihn übergebene Betrag in Höhe von 500 bis maximal 1.000 DM hätte nach den Angaben des Zeugen Schl. nicht einmal zum Legalerwerb der Ceska genügt und würde den tatsächlichen Kaufpreis, den man letztlich gegenüber dem Zeugen Schultz bezahlt hatte, bereits um 1.500 bis 2.000 DM unterschritten haben und wäre daher von vornherein als Erstattung des Kaufpreises ungeeignet gewesen. Hinzu kommt noch, dass der Angeklagte Schultze seiner Einlassung zufolge aus dieser Geldmenge mindestens 500 DM selbst behalten und als Gelddepot für Zwecke der Untergetauchten in seiner Wohnung verwahrt hat. Diesen Betrag hatte er nach seinem Ausstieg aus der Szene dem Angeklagten Wohlleben im Übrigen nach übereinstimmender Erinnerung beider Angeklagter konsequenterweise auch zurückgegeben, was wiederum mit einer Bezahlung des Ceska 83 aus Eigenmitteln des Angeklagten Schultze nun überhaupt nicht zu vereinbaren wäre.

Demnach ist es ausgeschlossen, dass der Angeklagte Schultze das ihm nach der Übergabe überlassene Geld für die Waffe bekommen hat. Sonst hätte er es als Finanzier entweder vollständig für sich selbst behalten oder von vornherein in Gänze an Ralf Wohlleben erstattet, was beides nicht der Fall war. Vielmehr fungierte Schultze insoweit als so genannter kleiner Depothalter des NSU und sollte – wie es schon seiner ersten Einlassung im Ermittlungsverfahren entsprach – aus diesen Mitteln Ausgaben für Unterstützungszwecke, also etwa Telefonkarten u.ä. bestreiten zu können. Nur damit ist in Übereinklang zu bringen, dass der Angeklagte Wohlleben den Angeklagten Schultze nach dessen Ausstieg mit dem Vorwurf von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe konfrontierte, er habe Geld unterschlagen. Dieser Vorwurf, der zur Rückzahlung der noch verwahrten 500 DM an Wohlleben führte, ist ebenfalls mit einer von ihm vorgenommenen Vorfinanzierung der Waffe nicht in Einklang zu bringen, sondern nur mit einer im Sinne des NSU zweckgebundenen Depothaltung. Die Einlassung des Angeklagten Schultze hingegen, dass das Bargeld zur Bezahlung der Waffe nach sicherer Erinnerung definitiv vom Angeklagten Wohlleben stamme, ist in sich glaubhaft, nachvollziehbar, belastbar und überzeugend. Zunächst räumte der Angeklagte Schultze ein, dass ihm die tatsächliche Geldübergabe des Kaufgeldes durch den Angeklagten Wohlleben nicht konkret vor Augen stehe. Er sei sich aber gleichwohl restlos sicher, dass er das Geld für die Ceska 83 vom Angeklagten Wohlleben erhalten habe, nachdem der Zeuge Schultz ihm gesagt habe, dass die bestellte Waffe da sei und 2.500 DM koste. Denn er selbst, so Schultze, habe über keine Geldmittel in der erforderlichen Höhe verfügt, vor allem konnte der Angeklagte Schultze auch die Möglichkeit ausschließen, dass jemand anderes als der Angeklagte Wohlleben das Geld für die Ceska gegeben hätte. Denn er habe sich über die mit der Beschaffung der Ceska 83 in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten ausschließlich mit dem Angeklagten Wohlleben unterhalten und außer mit dem Verkäufer sowie Mundlos und Böhnhardt sonst mit niemandem darüber gesprochen.

Diese Aussage deckt sich mit der Negativerkenntnis, dass einschließlich des Zeugen Brandt [siehe u.a. 127. und 128. Verhandlungstag]kein anderer Zeuge aus dem Unterstützerumfeld von diesem Waffengeschäft auch nur Kenntnis hatte. Dass das Geld zur Bezahlung der Pistole vom Angeklagten Wohlleben herrührt, fügt sich auch schlüssig in dessen eigene Einlassung ein. Zwar bestreitet der Angeklagte Wohlleben nachdrücklich, dass Geld zur Verfügung gestellt zu haben – dafür hätten ihm schlicht die Mittel gefehlt. Interessanterweise verhält es sich aber so, dass der Angeklagte Wohlleben [hinsichtlich]der ihm selbst bei seinem zweiten Besuch im Anfang 1999 bei Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe von Böhnhardt heran getragenen Bitte nach Beschaffung einer Pistole in seiner Einlassung in der Hauptverhandlung mit keinem Wort erwähnt hat, dass er die Pistole schlicht aus Geldmangel nicht gekauft hat. Auch hat der Angeklagte Wohlleben in seiner Einlassung nicht einmal geltend gemacht, dass er sich gegenüber Böhnhardt und Mundlos unter Hinweis auf seine prekären finanziellen Verhältnisse aus der Affäre zu ziehen [versuchte]. Das hätte aber nahe gelegen und hätte sich geradezu aufgedrängt, denn der Hinweis auf eine finanzielle Unmöglichkeit der Waffenbeschaffungen hätte ihn doch entpflichtet, den Waffenbeschaffungswunsch zu erfüllen, den er ja angeblich wegen der Suizidabsichten von Böhnhardt unter keinen Umständen erfüllen wollte. Es ist völlig unerklärlich, warum der Angeklagte Wohlleben seiner Einlassung zur Folge gegenüber Böhnhardt ein Jahr herumlavierte und auf die Waffe angesprochen ausweichend reagierte, was ja wiederum zu drängenden, dem Angeklagten Wohlleben lästigen Rückfragen von Mundlos und Böhnhardt geführt haben soll. Nichts hätte an Stelle Wohllebens doch näher gelegen, als sich gegenüber Böhnhardt darauf zu berufen, dass die Beschaffung einer Pistole schlicht und einfach wegen Geldmangels nicht möglich ist.

Unglaubhaft in diesem Zusammenhang ist die Behauptung des Angeklagten Wohlleben, er habe sich wegen der Finanzierung der Waffe bei Böhnhardt erkundigt und dieser habe an Brandt verwiesen. Tatsächlich steht fest, dass Böhnhardt weder den Angeklagten Wohlleben noch den Angeklagten Schultze zwecks Finanzierung der begehrten Waffe je an den Zeugen verwiesen hat. Ansonsten wäre im Hinblick auf die Beschaffung der Ceska zu erwarten gewesen, dass spätestens nach dem Auftrag an den Angeklagten Schultze im Frühjahr 2000 entweder der Angeklagte Wohlleben oder der Angeklagte Schultze den Zeugen Tino Brandt in diesem Sinne angegangen wäre, was sie aber – der übereinstimmenden Aussage aller Beteiligten [nach]– nicht getan haben; weder der Zeuge Tino Brandt noch der Angeklagte Schultze noch der Angeklagte Wohlleben haben eine solche Behauptung aufgestellt. Abwegig ist auch die Einlassung des Angeklagten Wohlleben, er habe keine Ahnung gehabt, wie die Bezahlung der Ceska von statten gegangen ist. Zumindest hätte der sonst so aktiv eingebundene Angeklagte Wohlleben sich wohl wenigstens interessehalber unterrichten lassen, wer die ganze Sache eigentlich bezahlt. Diese ganze „Geld bei Brandt beschaffen-Geschichte“ des Angeklagten Wohlleben dient ersichtlich allein dem Zweck, sich selbst zu entlasten und nebenbei dem Verfassungsschutz auch noch die Beschaffung der Ceska in die Schuhe zu schieben, nichts anderem.

Ferner stehen die Finanzermittlungen der Annahme, dass der Angeklagte Wohlleben das Kaufgeld für die Ceska an den Angeklagten Schultze übergeben hat, nicht entgegen. Nach den Bekundungen des auf Antrag der Verteidigung Wohlleben einvernommenen Zeugen Bernd Ko. [siehe 286. Verhandlungstag]sind den Kontodaten des Angeklagten Wohlleben keine Barabhebungen oder Überweisungen zu entnehmen, die mit der Beschaffung der späteren Tatwaffe korrespondieren würden. Dies führt jedoch nicht zu der Annahme, die Einlassung des Angeklagten Schultze sei in diesem Punkt unglaubhaft. Denn nach Auskunft des Zeugen lagen wegen der geltenden Speicherungsfristen für die Kontodaten überhaupt nur noch rudimentäre Kontodaten des Angeklagten Wohlleben vor, so dass sich bereits kein vollständiges Abbild aus dem kritischen Zeitraum ergeben hat. Vor allem aber ist das Fehlen indiziell relevanter Kontoverfügungen auf dem legal geführten Konto im Hinblick auf das hier in Rede stehen Waffengeschäft aber per se nicht geeignet, die Beweiswürdigung zu beeinflussen.

Der Angeklagte Wohlleben rechnete im Tatzeitraum nach eigener Einlassung mit umfassender Überwachung, sogar mit der rechtlich immer schon unzulässig gewesenen, jedenfalls in diesem Zusammenhang [unzulässigen] optischen Überwachung seiner Wohnung. Daher lag es von vornherein fern, dass er Unterstützungszwecken dienende Finanztransaktionen über seine Konten abgewickelt oder entsprechende Ein- und Auszahlungen veranlasst haben könnte. Ein solches Verhalten wäre im Sinne konspirativen, also einer staatlichen Überwachung entzogenen Verhaltens weder zweckmäßig gewesen, noch war es praktisch überhaupt erforderlich, auf eigenes Bargeld oder Spenden aus Szene zurückzugreifen. Denn der Angeklagte Wohlleben verfügte nicht auf einem seiner Konten, sondern vielmehr in bar – entgegen seiner Einlassung – in Wirklichkeit selbst über die erforderlichen und sogar genau zu diesem Zweck bestimmten Geldmittel. Denn die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die NSU-Mitglieder dem Angeklagten Wohlleben spätestens im Jahr 1999 10.000 DM in bar gegeben hatten; gerade damit er die bei der Erledigung ihrer Aufträge entstehenden Kosten zu tragen in der Lage war.

Dies ergibt sich aus der durch den Zeugen KHK Horst Thomas Sch. eingeführten Einlassung des Angeklagten Gerlach, der selbst einen solchen Betrag von der Angeklagten Zschäpe erhalten und zudem in seiner Vernehmung vom 12.1.2012 berichtet hatte, die Angeklagte Zschäpe habe ihm erzählt, auch Wohlleben habe von ihr einen Beitrag in Höhe von 10.000 DM bekommen. Natürlich ist bei der Würdigung der Angaben von KHK Sch. zu beachten, dass es sich um doppeltes Hörensagen handelt. Belastbar und glaubhaft wird diese Aussage im Hinblick auf den Angeklagten Wohlleben schon dadurch, dass der Angeklagte Gerlach auch in der Hauptverhandlung in der von ihm verlesenen Erklärung auf seine Vernehmungen im Ermittlungsverfahren Bezug genommen und sich seine damaligen Angaben dadurch erneut zu eigen gemacht hat, soweit er sie nicht durch den Inhalt der verlesenen Erklärung ausdrücklich modifiziert hat. In dieser von ihm selbst verlesenen Erklärung hat er erneut zugegeben, selbst einen Betrag in Höhe von 10.000 DM als eigenverantwortlicher Depothalter von der Angeklagten Zschäpe erhalten zu haben. Die Information, auch der Angeklagte Wohlleben habe 10.000 DM erhalten, hat er bei dieser Gelegenheit weder widerrufen noch relativiert noch sonst in Frage gestellt. Diese Information, dass auch der Angeklagte Wohlleben 10.000 DM erhalten hat, fügt sich zu einem bruchlosen Gesamtbild. Denn zum einen gehörte Wohlleben wie auch Gerlach zu den absoluten Vertrauenspersonen der NSU-Mitglieder. Zum anderen benötigte der Angeklagte Wohlleben ganz praktisch einfach Geld zur Erledigung der ihm erteilten Aufträge, die – wie etwa die Reise zu Rechtsanwalt Eisenecker – auch mit finanziellen Aufwendungen verbunden waren, so dass es sowieso nahe liegt, dass die spätestens im Dezember 1998 solventen NSU-Mitglieder die Auslagenerstattung übernahmen.

Zusätzlich zu dieser Plausibilitätserwägung wird die Einlassung des Angeklagten Gerlach wie auch die Aussage des Zeugen Sch. in der Sache durch weitere Beweisanzeichen erhärtet. So der Sache nach etwa durch die Angeklagte Zschäpe selbst, die in ihrer Erklärung bestätigt hat, dass Gerlach, und zwar interessanterweise schon 1998 oder 1999, 10.000 DM erhalten habe, wenn auch das Geld von Böhnhardt und nicht von ihr persönlich übergeben worden sein soll. Das spielt aber hier keine Rolle. Insofern entsprach es auch den Interessen der NSU-Mitglieder, den seinerzeit sehr viel aktiver als der Angeklagte Gerlach in Unterstützungsaufträge eingebundenen Angeklagten Wohlleben, so wie es nach Aussage des Holger Gerlach ihm auch von der Angeklagten Zschäpe erzählt worden ist, ebenfalls mit einem derartigen Geldbetrag auszustatten, zumal der Angeklagten Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos derartige Zuwendungen an Dritte auch ohne weiteres möglich waren, nachdem sie alleine bis zum 27.10.1999 über 98.000 DM durch Raubüberfälle erbeutet hatten. Und da mit diesen Zuwendungen keinerlei altruistische Zwecke verbunden waren, sondern diese Barmittel im Sinne einer Risikostreuung und zur Vorfinanzierung zukünftiger Unterstützungsleistungen, so bei Wohlleben, dem puren Eigeninteresse des NSU dienten, bestehen in der Gesamtschau keinerlei Zweifel daran, dass der Angeklagte Wohlleben über den zur Anschaffung der Ceska nebst Munition erforderlichen Betrag von 2.500 DM verfügte, denn er konnte sie aus den vom NSU überlassenen Mitteln in Höhe von 10.000 DM bezahlen. Auch insofern also ist die sichere Erinnerung des Angeklagten Schultze, das Geld für die Ceska von Wohlleben erhalten zu haben, stimmig.

Eingedenk dessen wird auch ohne Weiteres klar, aus welchem Grundes es den Aussagen der Angeklagten Schultze und Wohlleben zufolge gegenüber den NSU-Mitgliedern wie auch im Verhältnis der Angeklagten Wohlleben und Schultze untereinander keinerlei Nachfragen, keinerlei Diskussion oder Erklärungen zu der Frage mehr bedurfte, wie denn die Schalldämpfer-Pistole wohl zu finanzieren sei. Und dies wiederum erklärt auch schlüssig, aus welchem Grunde sich der Angeklagte Schultze nur noch erinnern kann, dass er das Geld vom Wohlleben bekommen hat, nicht aber, wie es im Detail dazu gekommen ist. Ganz einfach, weil es zwischen den beiden Angeklagten kein relevantes Thema war, sondern es war selbstverständlich, dass der Angeklagte Wohlleben die Ceska 83 zu bezahlen hatte. Nachdem die Beteiligung des Angeklagten Wohlleben bei der Vorbereitung des zwischen dem Angeklagten Schultze und dem Zeugen Schultz abgewickelten Waffengeschäfts und damit die Entscheidungskompetenz zur Durchführungen des Schalldämpferpistolen-Beschaffungsauftrags bereits eingangs dargelegt worden war, folgt aus der nunmehr dargelegten Finanzierungshoheit des Angeklagten Wohlleben im Innenverhältnis zu dem Angeklagten Schultze auch die Entscheidungskompetenz des Angeklagten Wohlleben, ob überhaupt dem Verlangen der Untergetauchten nach einer Schalldämpferpistole mit Munition entsprochen werden sollte. Denn letztlich kann nur der, der bezahlen kann, auch mit Erfolg bestellen.

Daher ist auch die Einlassung des Angeklagten Schultze absolut nachvollziehbar, dass die Grundentscheidung über die Beschaffung der Pistole für die NSU-Mitglieder allein beim Angeklagten Wohlleben lag. Wenn der Angeklagte Wohlleben die 10.000 DM vom NSU lieber für irgendetwas anderes ausgegeben hätte als für eine Schalldämpferpistole, dann hätte der Angeklagte Schultze keine Pistole bestellt, keine Pistole bekommen und auch keine Pistole ausgeliefert und dann wäre zumindest mit dieser Pistole auch nicht geschossen worden. Die dem Angeklagten Wohlleben vom Angeklagten Schultze zugeschriebene maßgebliche Rolle bei der Waffenbeschaffung fügt sich im Übrigen in all die weiteren Erkenntnisse zur Funktion und zum Verhalten des Angeklagten Wohlleben nach dem Untertauchen seiner Kameraden Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos ein.

Wohlleben hatte in der Jenaer Unterstützerszene auch ansonsten stets eine tragende, ja im wahrsten Sinne des Wortes entscheidende Rolle. Dabei soll an dieser Stelle nicht im Detail auf die auch schon maßgebliche Rolle des Angeklagten Wohlleben in den ersten Stunden und Tagen nach dem Untertauchen am 26.01.1998 eingegangen werden. Aus unserer Sicht lässt der Zeitraum um und nach dem durchsuchungsbedingten Spontanentschluss, in den Untergrund zu gehen, insoweit noch keine tragfähigen Rückschlüsse auf das tatsächliche Gewicht hinsichtlich des mehr als zwei Jahre später liegenden Tatzeitpunkts der angeklagten Gehilfenhandlung zu. Wenige Wochen später allerdings war die tatsächliche Rolle des Angeklagten Wohlleben bereits klar definiert und hat sich ab dann über die Beschaffung der Ceska 83 hinweg bis zu den letzten nachweisbaren Kontakten zu den Untergetauchten – etwa im Frühjahr/Sommer 2001 – nicht mehr geändert.

Eindrucksvoll dokumentieren dies für die Anfangszeit die durch den Zeugen Jürgen Helbig [siehe 112. Verhandlungstag] angefallenen Erkenntnisse. Helbig war seit früher Jugend mit dem Angeklagten Wohlleben befreundet und hatte sich als Angehöriger der rechen Szene kurz nach dem 26.1.1998 auf Nachfrage des Angeklagten Wohlleben anerboten, konspirativen Telefonkontakt zu Böhnhardt und Mundlos zu unterhalten und einzelne Unterstützungsaufträge zu vollziehen. Den Angaben des Helbig zufolge hat stets der Angeklagte Wohlleben mitgeteilt, wann er sich zu einem Telefonat mit Böhnhardt und Mundlos bei einer bestimmten anrufbaren Telefonzelle einzufinden hatte. Anfangs, im April und März 1998, hatte Helbig auch noch Nachrichten von Böhnhardt und Mundlos auf seinem eigenen Anrufbeantworter entgegengenommen. Diese Nachrichten richteten sich nicht an ihn selbst, sondern immer an den Angeklagten Wohlleben persönlich. Sie enthielten Treffzeiten und Orte oder bestimmte Aufträge, von denen der Zeuge Helbig den Angeklagten Wohlleben zu informieren hatte. Über den als Nachrichtenmittler tätigen Zeugen Helbig unterrichteten Böhnhardt und Mundlos den Angeklagten Wohlleben anfangs insbesondere über ihren Bedarf an Geld und Alltagsgegenständen. Manche Aufträge gingen auch direkt an den Angeklagten Wohlleben, der über den gesamten Zeitraum bis ins Jahr 2001 parallel immer auch auf bilateraler Ebene persönliche und fernmündliche Kontakte zu den Untergetauchten unterhielt.

Die auf die eine oder andere Weise an den Angeklagten Wohlleben herangebrachten Wünsche ließ er u.a. auch vom Zeugen Helbig erledigen, wobei der Angeklagte Wohlleben stets überlegenes Sonderwissen hatte und den Zeugen Helbig über Einzelheiten im Unklaren ließ. So erhielt der Zeuge Helbig einmal bei einem Telefonat, zu dem er sich auf Weisung des Angeklagten Wohlleben in eine Telefonzelle begeben hatte, vermutlich von Böhnhardt die Aufforderung, er solle einen Beutel, den er von Wohlleben erhalten werde, zu einem näher beschriebenen Parkplatz in der Nähe von Zwickau bringen, wo dieser Beutel vom jemandem im Empfang genommen werde. Die Einzelheiten werde er, so Böhnhardt, von Wohlleben erfahren. Etwa eine Woche später übergab der Angeklagte Wohlleben dem Zeugen Helbig tatsächlich einen Beutel, den dieser umgehend nach Zwickau fahren musste. Der Angeklagte Wohlleben nannte ihm die genaue Treffzeit, zu der die Kontaktperson den Beutel am verabredeten Ort abholen würde. Erst im Nachhinein erklärte der Angeklagte Wohlleben dem Zeugen Helbig, der es merkwürdig fand, wegen ein paar von ihm in dem Beutel entdeckter CD-Hüllen nach Zwickau fahren zu sollen, dass sich in einer der CD-Hüllen Szenespenden von 250 DM befunden hätten. Ebenso entsandte der Angeklagte den Zeugen Helbig, dem auch dieser Kurierdienst von Böhnhardt angekündigt worden war, noch im Jahr 1998 in die in Jena gelegenen Felsenkellerstraße. Dort hatte Helbig im Schutze der Dunkelheit einer unbekannt gebliebenen Person ein weiteres Päckchen für Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe zu übergeben. Den Inhalt dieses Päckchens hielt der eingeweihte Angeklagte Wohlleben – der das Päckchen zuvor dem Zeugen Helbig in dessen Wohnung gebracht hatte – trotz eindringlicher Nachfrage des Helbig geheim. Der Zeuge hatte bei diesem Transport von vornherein kein gutes Gefühl.

Die Übergabe des Päckchens erfolgte in den Abendstunden an eine mit Kapuze getarnte Person im letzten Haus der Felsenkellerstaße. Nach der Übergabe entwickelte Helbig, nicht zuletzt aufgrund des Gewichts des Päckchens, [die Überlegung], er könne eine Schusswaffe transportiert haben, deswegen erkundigte er sich am nächsten Tag bei dem Angeklagten Wohlleben nach dem Inhalt. Er hielt aber von Wohlleben keine Antwort, insbesondere auch nicht die Mitteilung, es sei etwas gänzlich Unverfängliches in dem Paket gewesen. Besondere Brisanz gewinnt das beredte Schweigen des Angeklagten Wohlleben dadurch, dass der Zeuge Helbig aufgrund seiner massiven Bedenken wegen des schusswaffenverdächtigen Inhalts des Pakets diesen Transport zum Anlass nahm, weitere Kurierfahrten fortan zu verweigern. Und obschon er das dem Angeklagten Wohlleben auch gleich mitteilte, verriet dieser den Inhalt gleichwohl immer noch nicht.

Auch wenn man das Schweigen des Angeklagten Wohlleben mit dem Zeugen Helbig als aussagekräftig bewertet – Helbig sagte dazu: „da habe ich mir denken können, was im Päckchen drin gewesen sein könnte“ – ist es dem Angeklagten Wohlleben nicht nachzuweisen, dass das Päckchen eine dann erste von insgesamt drei Schusswaffen enthielt, die unter der Regie des Angeklagten Wohlleben geliefert worden wären. An dieser Stelle allein von Bedeutung ist aber die Rolle des Angeklagten Wohlleben. Er allein, nicht aber der eingesetzte Kurier Helbig, wusste, was in dem Paket war. Damit hatte Wohlleben mit NSU-Mitgliedern nicht nur über das wie, sondern auch über das ob entschieden und entscheiden wollen. Auf Seiten der Unterstützerszene war er derjenige, der die maßgeblichen Inhalte mit Böhnhardt und Mundlos klärte und als Mastermind mit überlegenem Sonderwissen Boten wie den Zeugen Helbig als reine Werkzeuge und Handlanger einsetzte.

Helbig war vom Angeklagten Wohlleben zudem als Lagerhalter und Verkäufer der von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe hergestellten -Spiele eingesetzt worden. Insofern gab Helbig an, etwa zwanzig dieser Spiele vom Angeklagten Wohlleben erhalten zu haben. Er habe diese Spiele verwahrt einige auch verkauft und insgesamt 3-400 DM eingenommen, die er dem Angeklagten Wohlleben ausgehändigt habe. Zwar meinte der Zeuge Helbig, dass auch der gesondert verfolgte André Kapke [siehe 59., 84. und 96. Verhandlungstag]und die Angeklagten Gerlach und Schultze in die Pogromly-Sache involviert gewesen seien; er hatte dazu aber keine sicheren oder konkreten Erinnerungen mehr. Die Angeklagten Schultze und Gerlach bestreiten, irgendwas mit dem Spiel zu tun gehabt zu haben. Sicher hingegen ist, dass auch der gesondert Verfolgte André Kapke in den Verkauf eingebunden worden war. Das ergibt sich aus den Angaben des Angeklagten Gerlach und insbesondere des Zeugen Brandt, der selber von André Kapke Spiele, darunter auch im Auftrag des Verfassungsschutzes, zum Stückpreis von 100 DM gekauft hatte. Die aktive Einbindung von Kapke wird auch durch einige andere Erkenntnisse belegt. So räumte er selber ausdrücklich ein, auch in die Beschaffung von Personalpapieren eingebunden gewesen zu sein. Anfangs hatte er mehrfach mit Böhnhardt und Mundlos telefoniert, den Angeklagten Schultze als Kontaktmittler rekrutiert. Die skizzierte Rolle des Zeugen Kapke berührt allerdings die hervorgehobene Rolle des Angeklagten Wohlleben schon deshalb nicht, weil der Zeuge Kapke, so auch der Angeklagte Wohlleben, bereits nach kurzer Zeit aus der Unterstützertätigkeit wieder raus war.

Schließlich war der Angeklagte Wohlleben in Bezug auf den Zeugen Helbig auch involviert, soweit dieser an dem vom Angeklagten Schultze vollzogenen Einbruch in die seit dem 26.01.1998 unbewohnte Wohnung der Angeklagten Zschäpe in der Schomerusstraße am 26.08.1998 beteiligt war. Nach Angaben des Angeklagten Schultze und des Zeugen Helbig steht fest, dass der Zeuge Helbig ausgewählt und entweder von ihm oder vom Angeklagten Schultze rekrutiert worden war. Dieser Sachverhalt ist im Hinblick auf Rolle des Angeklagten Wohlleben deswegen von Belang, weil dieser, obschon von vornherein eingeweiht, sich der Durchführung des Einbruchs ganz entzogen hatte und die Umsetzung des entsprechenden Auftrags von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe mit entsprechend geringem Risiko allein aus dem Hintergrund steuerte. Im Übrigen geben die Angaben des Angeklagten Schultze zu diesem Komplex Anlass, nochmal auf die herausragende Belastbarkeit objektiver Ereignisse außerhalb seiner eigenen Gefühls- und Vorstellungswelt hinzuweisen. Der Angeklagte Schultze hatte bereits beim Ermittlungsrichter angegeben, die verschiedenen aus der Wohnung der Angeklagten Zschäpe geholten Dokumente gemeinsam mit dem Angeklagten Wohlleben nahe der so genannten Fliegerscheune im Wald begraben sowie Aktenordner teilweise verbrannt und in der Roda versenkt zu haben. Und in der Tat konnte anhand der lokalen Beschreibung des Angeklagten Schultze zur genauen Örtlichkeit dreizehn Jahre später bei einer Suchschachtung auf dem Gelände der ehemaligen Fliegerscheune Jena-Cospoth ein Depot aufgefunden werden, in dem nach den Angaben der Zeugin Christine La. [siehe 66. und 132. Verhandlungstag]Urkunden, auch Schulzeugnisse von der Angeklagten Zschäpe gefunden wurden.

Die hervorgehobene und gegenüber den NSU-Mitgliedern durchaus auch eigenständige Rolle des Angeklagten Wohlleben war auch deutlich im Zusammenhang mit der Beschaffung eines Motorrads für Böhnhardt und Mundlos. Die beiden hatten verlangt, ein Motorrad eines bestimmten Typs zu stehlen und es ihnen zu überlassen. Die Angeklagten Wohlleben und Schultze hatten ihrer beiden Einlassung zufolge erst nach mehrfachen Mahnungen schließlich gemeinsam ein entsprechendes Motorrad gestohlen, welches dann aber aus dem Versteck an der Roda nunmehr ihnen von Unbekannten entwendet wurde. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang – diese Bemerkung richtet sich vor allem an den Angeklagten Wohlleben, denn er und nicht der Angeklagte Schultze war letztverantwortlich für die Erledigung von Aufträgen des NSU – bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass der Angeklagte Wohlleben nicht nur zögerlich und erst nach mehreren Ermahnungen an den gewünschten Diebstahl eines Motorrads heranging, sondern vor allem nach der erneuten Wegnahme des Motorrads aus dem Versteck keine weiteren Bemühungen zur Beschaffung eines weiteren Motorrads entfaltete. Böhnhardt und Mundlos teilte man nach Einlassung des Angeklagten Schultze, die sich der Angeklagte Wohlleben insoweit zu eigen machte, mit, dass man kein geeignetes Motorrad gefunden habe. Dabei verblieb es auch, woran sich ersehen lässt, dass es dem Angeklagten Wohlleben und dem Angeklagten Schultze ohne weiteres möglich war, Forderungen von Böhnhardt und Mundlos dann zu widerstehen, wenn der Angeklagte Wohlleben einen Job aus welchen Gründen auch immer nicht erledigen wollte.

Und dass dies so war, ergibt sich nicht nur aus dem Umstand, dass man letztlich kein Motorrad beschaffte, sondern auch aus der Einlassung des Angeklagten Schultze, der diesen Vorgang als Beispiel dafür benannte, dass ihm und dem Angeklagten Wohlleben die ständigen Aufträge von Böhnhardt und Mundlos oft lästig waren und die Stimmung in Bezug auf diese beiden oft genervt. Dieses gelegentlich auftretende und lebenspraktisch bei der Zuteilung von Aufgaben nachvollziehbare Gefühl der Lästigkeit und Genervtheit des Angeklagten Wohlleben darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Angeklagten Wohlleben nicht nur auf Grundlage einer einseitigen Aufgabenzuweisung von Böhnhardt und Mundlos als Letztverantwortlicher für Unterstützungsaufgaben der Jenaer Szene handelte, sondern er diese Rolle auch mit hoher intrinsischer Motivation wahrnahm. Dies folgt etwa aus der Proaktivität und Eigenständigkeit seines Tuns, das er an den Tag legte und das zudem sein Selbstverständnis über die von ihm eingenommene Rolle darlegt.

So hatte der Angeklagte Wohlleben bereits kurz nach dem Untertauchen der Drei, wie der Zeuge Kay St. [siehe 202., 219. und 225. Verhandlungstag]berichtet, diesen zur finanziellen Unterstützung aufgefordert, ohne dass ihm insoweit Anhaltspunkte für einen entsprechenden Auftrag der Drei vorlagen. Ersichtlich ging es dem Angeklagten Wohlleben darum, aus eigenen Antrieb bei aus seiner Sicht in Betracht kommenden Personen um Hilfe für die Drei nachzusuchen. Nachdem St. erst noch dieser Bitte entsprechen wollte, entschied er sich um. Nachdem er nämlich erfahren hatte, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe über große Mengen Sprengstoff verfügt [hatten], und ihm dadurch der Grad der Radikalisierung der drei vollends klar geworden war, entschied er sich, keine Unterstützung zu leisten. Der Angeklagte Wohlleben hingegen hakte beharrlich nach und setzte den Zeugen St. sogar wegen der Falschaussage, die der Zeuge St. im Zusammenhang mit Puppentorsotat begangen hatte, unter Druck, um auf diese Weise Geld für die drei eintreiben. Hierin offenbart sich das selbstständige und von starker eigenen Motivation getragene Handeln des Angeklagten Wohlleben als Chefunterstützer seiner in den Untergrund gegangenen Freunde Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe.

Das herausragende Engagement des Angeklagten Wohlleben zeigt sich des Weiteren darin, dass er sich in der eigenen Szene als Schulmeister der konspirativen Abschottung aller unterstützungsbezogenen Informationen aufführte, indem er Eingeweihte stets ermahnte, die Heimlichkeit zu wahren. Andererseits ermächtigte er einzelne Personen, mit anderen Unterstützern über die Belange der Untergetauchten zu sprechen. Dies belegt eindrucksvoll, dass es gerade der Angeklagte Wohlleben war, der sämtliche Fäden in der Hand hielt. Die einzelnen Helfer und Helfershelfer wussten in der Regel nichts voneinander. Nur er als Zentralfigur der Jenaer Unterstützerszene wusste, wer in seinen Einflussbereich in welcher Weise verstrickt war und wer welche Kenntnisse hatte, und er konnte daher entscheiden, wer mit wem über was sprechen durfte.

Weingarten: „Weitere Ausführungen dazu würde ich im nächsten Block vornehmen.“ Es folgt die Mittagspause.

Um 12:49 Uhr geht es weiter. OStA Weingarten: „Ja, der Angeklagte Wohlleben konnte daher entscheiden, so war der letzte Satz vor der Unterbrechung, wer mit wem über was sprechen durfte.“ Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sehr der Angeklagte Wohlleben nach Kräften jede Erörterung über die Untergetauchten außerhalb des Kernbereichs durch ihn ausgesuchter und gesteuerter Helfer und Mitwisser zu verhindern suchte, gibt ein durch Verlesung in die Beweisaufnahme eingeführter Erkenntnisbericht des Thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz vom 30.11.2011, demzufolge der Zeuge [siehe 189. und 301. Verhandlungstag]NSU-Mitglieder, indem er darauf hinwies, dass dies hier keinen etwas anginge. Bereits zuvor hatte er sich [nach Angaben des Verfassungsschutzes der Quelle gegenüber]kritisch darüber geäußert, dass der Angeklagte Schultze sich nicht in der gebotenen Art und Weise an das Vertraulichkeitsgebot halte, weil er mit und Jana A. [siehe 93. und 107. Verhandlungstag]über die drei gesprochen habe, was nach Auffassung des Angeklagten Wohlleben die gesamte Aktion, insbesondere ihn selbst, den Angeklagten Gerlach und gefährde.

Dieser Erkenntnisbericht des Thüringer Verfassungsschutzes – basierend auf Quellenmeldungen des Zeugen Tino Brandt, der als vertrauenswürdiger Kamerad gelte, der unter anderem in den Kreisen der Unterstützer des NSU verkehrte – ist daher, obschon nur mittelbares Beweismittel, uneingeschränkt glaubhaft. Denn Tino Brandt war, soweit er gegenüber dem Verfassungsschutz Bericht erstattete, eine glaubhafte und belastbare Quelle. Diese folgt zum einen aus seiner eigenen Zeugenaussage in der Hauptverhandlung. Der Zeuge Brandt bekundete, er habe seine Aufgabe als V-Mann und die damit einhergehende Verpflichtungserklärung sehr ernst genommen und stets wahrheitsgemäß berichtet. Zwar habe er nicht immer vollständig berichtet, in Absprache mit dem Verfassungsschutz etwa dann nicht, wenn es um zurückliegende Straftaten von Szeneangehörigen gegangen sei. Definitiv sei es aber so gewesen, dass all das, was er berichtet habe, auch der Wahrheit entsprochen habe. Der Zeuge bestätigte in der Hauptverhandlung auch seine diesbezüglichen Angaben im Ermittlungsverfahren. Dort hatte er angegeben, dass es sicher mal Dinge gegeben habe, über die er dem Verfassungsschutz nicht berichtet habe, aber was er berichtet habe, sei stets wahrheitsgemäß gewesen. Für ihn habe der Grundsatz der Quellenehrlichkeit gegolten und diesen Grundsatz habe er ernst genommen. Im Übrigen sei ihm klar gewesen, dass der Verfassungsschutz versuchen würde, seine Angaben mit Verfassungsschutz-Erkenntnissen und mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu überprüfen. Seine Angaben, die Berichte zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe seien stets vollständig gewesen. Da habe er nichts zurückgehalten, zumal der Verfassungsschutz eine Sonderfangprämie ausgelobt habe. Allerdings habe er sich zu dem Thema in Jena sehr [vorsichtig]verhalten müssen. Er habe in Absprache mit dem Verfassungsschutz nicht versucht, proaktiv Infos einzuholen, um sich nicht verdächtig zu machen.

Die Angaben Brandts in der Hauptverhandlung wurden in der Hauptverhandlung von seinen Quellenführern bestätigt. Der Zeuge Norbert Wießner [siehe u.a. 99. und 145. Verhandlungstag]als primär zuständiger Quellenführer gab an, bei Brandt habe es sich um eine so genannte B2-Quelle gehandelt, was u.a. eine wahrhaftige Berichterstattung verklausuliere. Die Mitteilungen von Brandt seien überprüft worden und [die überprüften] etwa 80 % hätten sich allesamt bestätigt. Nur etwa 20 % der Abgaben hätten nicht gegengecheckt werden können. Brandt, bei dem es sich insgesamt um eine Top-Quelle gehandelt habe, habe sich als kooperativ, unheimlich kooperativ, engagiert, steuerbar und intelligent erwiesen. Im Hinblick auf die Zielfahndung nach den Untergetauchten sei es schwierig gewesen, weil in Jena das Motto „keiner weiß was, keiner sagt was“ gegolten hatte. Der Zeuge bestätigte, Brandt habe daher vorsichtig agieren und Nachfragen vermeiden müssen. Die Rolle Wohllebens als Abschottungsverantwortlicher bestätigte auch der Zeuge Wießner, als er auf Vorhalt detaillierter Quellenberichte – denen zufolge der Angeklagte Wohlleben sich gegenüber Brandt eingehend zur Lage von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe geäußert und dann die Bitte formuliert hatte, der Zeuge Brandt möge dem Zeugen Kapke von den Erörterungen nichts mitteilen – ergänzte, – also Wießner auf diesen Vorhalt –, dies seien typische Beispiel für die Abschottung selbst innerhalb der Kameradschaft Jena gewesen.

Der Glaubhaftigkeit des Quellenberichts des Zeugen Brandt über die vehemente Aufforderung des Angeklagten Wohlleben bei der Veranstaltung in der Froschmühle, die Konspiration einzuhalten und das Thema der drei Untergetauchten nicht anzurühren, wird auch nicht dadurch berührt, das Personen, die ausweislich des Quellenberichts bei dem Gespräch anwesend gewesen sein sollen, nicht alles wiedergeben konnten und den genauen Ablauf des Gesprächs in der Froschmühle nicht in der Einzelheiten bestätigt konnten. Der Angeklagte Wohlleben gab an, keine Erinnerung zu haben, ebenso der Zeuge Sandro Tauber [siehe 221. Verhandlungstag], der aber erklärte, das Verhalten Wohllebens wäre passend. Der Zeuge Andreas Graupner [siehe 183. Verhandlungstag] [der Person]unterhalten habe.

Bei dieser Sachlage bestehen überhaupt keine Zweifel daran, dass der Erkenntnisbericht des Thüringer Verfassungsschutz vollständig zutrifft, denn es liegt nach den Angaben des Angeklagten Schultze und Christian Kapke offen zutage, dass jedenfalls ein Gespräch zwischen Christian Kapke und einem Szeneangehörigen über die drei Untergetauchten stattgefunden hat. Die Reaktion des Angeklagten Wohlleben entspricht dem von mehreren Zeugen eingestuften Thema des Untertauchens als absolutes Tabu und seiner auch sonst zu Tage getretenen Rolle als Konspirations-Zuchtmeister. Dass sich manche Auskunftspersonen gar nicht und Christian Kapke anders erinnert, steht der Annahme, dass sich der Sachverhalt gleichwohl wie im Erkenntnisbericht zugetragen hat, mitnichten entgegen. Im Gegenteil hat der auf einer Quellen-Meldung Brandts basierende Erkenntnisbericht hohe Authentizität. Denn Brandt berichtete kurz nach dem Ereignis, als seine Erinnerung noch aktuell und frisch war, zu einem seinerzeit bereits hochbrisanten Thema.

Angesichts der Glaubwürdigkeit Brandts allgemein bestehen in der Gesamtschau keine Zweifel, dass der Angeklagte Wohlleben die Erörterung vehement unterbunden und die Einhaltung von Konspiration vehement eingefordert hat, was seine Rolle und Bedeutung und intrinsische Motivation bei der Unterstützung der untergetauchten Gesinnungsgenossen indiziell bestätigt. Die bestimmende Rolle des Angeklagten Wohlleben bei der Frage der Kontaktaufnahme der Unterstützer untereinander wird weiter belegt durch die Aussage des Angeklagten Schultze, der zufolge der Angeklagte Wohlleben ihm ausdrücklich erlaubt hat, mit dem Angeklagten Gerlach über Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe zu sprechen. Wohlleben hatte nach alldem auch auf der Kommunikations-Ebene die Fäden in der Hand, er gewährte das Recht, mit anderen über die drei zu sprechen, und er kritisierte scharf, wenn sich ein Eingeweihter zu Redseligkeiten hinreißen ließ. Die maßgebliche und bestimmende Rolle des Angeklagten Wohlleben wird auch bei Betrachtung seines Verhältnisses zum Angeklagten Gerlach deutlich. So hatte der Angeklagte Gerlach sich auf Nachfrage des Angeklagten Wohlleben bereitgefunden, im Jahr 1998 oder 1999 einen Geldbetrag in Höhe von 3.000 DM an die Drei zu spenden, wie er in seiner Vernehmung vom 25.11.2011 gegenüber dem Zeugen KHK Sch. angegeben und in seiner am 7. Hauptverhandlungstag abgegebenen Erklärung bestätigt hat.

Ebenso geht die erste Beschaffung eines Reisepasses für Uwe Böhnhardt im Jahr 2001 auf den Angeklagten Wohlleben zurück. Dieser hatte nach den Angaben des Angeklagten Gerlach gegenüber Vernehmungsbeamten ebenfalls am 25.11.2011 den Angeklagten Gerlach im Jahr 2001 gefragt, ob er, Gerlach, bereit sei, den Dreien weiterzuhelfen. Nachdem Gerlach bejaht hatte, war es der Angeklagte Wohlleben, der den telefonischen Kontakt zu den Untergetauchten hergestellte. Bei dieser Gelegenheit erkundigten sich die drei dann nach der Bereitschaft Gerlachs, Reisepässe zu Verfügung zu stellen.

Schließlich und letztlich wird die maßgebliche, wenn auch bewusst hintergründige Rolle des Angeklagten Wohlleben, die dieser bei der Beschaffung der Tatwaffe Ceska 83 innehatte, bewiesen durch die Rolle, die er bei der Beschaffung einer weiteren, nicht anklagegegenständlichen Waffe für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Zeitraum von Mai 2001 bis maximal Ende 2002 eingenommen hat. Der Angeklagte Gerlach hatte bereits frühzeitig im Ermittlungsverfahren und erneut in der Hauptverhandlung, wie auch hier bereits mehrfach erwähnt, eingeräumt, zwischen dem Mai 2001 und einem nicht taggenau bestimmbaren Zeitpunkt in 2002 eine scharfe Waffe zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in die Wohnung in der Polenzstraße transportiert zu haben. Dazu kam es, weil der Angeklagte Wohlleben den Angeklagten Gerlach, für den das Ansinnen völlig überraschend kam, gegen Ende eines längeren Besuches gefragt hatte, ob er, Gerlach, bereit sei, einen Stoffbeutel an Mundlos, Böhnhardt und die Angeklagte Zschäpe zu übergeben, da er selbst, der Angeklagte Wohlleben, eventuell unter Beobachtung stünde und Gerlach doch sowieso selbst über Zwickau zurückreise. Wir kennen das Muster bereits vom Zeugen Helbig.

Nachdem der Angeklagte Gerlach zunächst ohne Kenntnis des Inhalts des Beutels zugesagt hatte, verstaute der Angeklagte Wohlleben ohne weitere Erläuterungen den Beutel im Reisegepäck Gerlachs und brachte ihn zum Bahnhof. Erst auf der Zugfahrt nach Zwickau ertastete der Angeklagte Gerlach, dass es sich beim Inhalt um eine Schusswaffe samt Munition handelte. Gleichwohl transportierte er den Beutel vereinbarungsgemäß in seiner Tasche verstaut nach Zwickau und übergab die Waffe in der konspirativ genutzten Wohnung in der Polenzstraße 2 an Mundlos und Böhnhardt, nachdem er nach einer entsprechenden Koordinierung des Angeklagten Wohlleben auf dessen Instruktion von der Angeklagten Zschäpe vom Bahnhof abgeholt wurde.

Nachdem entweder Böhnhardt oder Mundlos die Waffe in seiner und der Angeklagten Zschäpe Anwesenheit aus dem Beutel genommen und durchgeladen hatte, war der Angeklagte Gerlach auch sicher, dass es sich bei der von ihm überbrachten Pistole um eine scharfe Waffe handelte. Der Angeklagte Gerlach, der verärgert darüber war, dass Wohlleben ihn eine scharfe Waffe nach Zwickau hatte transportieren lassen, stellte den Angeklagten Wohlleben beim nächsten Aufeinandertreffen zur Rede. Dabei erklärte der Angeklagte Wohlleben gegenüber Gerlach, die drei benötigten halt eine Waffe und es sei besser – wir kennen die Wendung –, wenn er, Gerlach, nicht wisse, wofür die Waffe von den Dreien gebraucht werde, und er solle nicht weiter nachfragen. In der Hauptverhandlung ergänzte der Angeklagte Gerlach, die drei hätten ihrerseits ihm gegenüber nach Übergabe der Waffe geäußert, es täte ihnen leid, dass man ihn zum Waffentransport benutzt hätte, aber der Angeklagte Wohlleben hätte nicht gewusst, wie er die Waffe hätte transportieren sollen.

Diese Einlassung des Angeklagten Gerlach ist zunächst rundweg glaubhaft, denn es gab im Herbst/Winter 2011/2012 für den Angeklagten Gerlach keinerlei einlassungstaktischen Anlass, sich selbst zu Unrecht derart schwer mit einem Waffentransport zu belasten. Insofern ist an dieser Stelle noch einmal hervorzuheben, dass der Angeklagte Gerlach immerhin genau wegen dieser Einlassung nach einer Anpassung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des BGH bis zu der Aufhebung des Haftbefehls gerade auch wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord in Untersuchungshaft saß. Der Angeklagte Gerlach hatte vor allem keinen Anlass – wie der Angeklagte Wohlleben in seiner Einlassung glauben machen will –, den Angeklagten Wohlleben deshalb zu Unrecht zu belasten, weil er, Wohlleben, ja schon in der Ceska-Sache drin gehangen habe, deshalb habe Gerlach sich selber zu seinen, des Angeklagten Wohlleben, Lasten, entlasten wollen, indem er ihn, den Angeklagten Wohlleben, als Urheber dieser zweiten Waffenlieferung benannt habe. Das ist natürlich alles Unsinn.

Der Angeklagte Wohlleben übersieht insoweit, dass seine eigene Verstrickung in die Lieferung der Ceska eine vom Angeklagten Gerlach weder bedachte noch vorgesehene Spätfolge der Einlassung des Angeklagten Gerlach war. Insofern ist der Gedanke, der Angeklagte Gerlach habe den Angeklagten Wohlleben gerade wegen der Ceska-Sache auch als Lieferanten der ab Mai 2001 übergebenen Pistole hingehängt, geradezu abseitig. Darüber hinaus vermag es, der Angeklagte Wohlleben übersieht das auch, einen Lieferanten nicht zu entlasten, wenn er seinen eigenen Lieferanten benennt. Im Übrigen spricht für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Angeklagten Gerlach, dass sich die von ihm offenbarte Herkunft der Waffe durch die weiteren Ermittlungen insofern bestätigt hat, als dass zumindest die Beschaffung der Ceska 83 über die von ihm, Gerlach, in der Vernehmung benannte Bezugsquelle der Zeugen Liebau und Schultz nachgewiesen werden konnte.

Weingarten: „An dieser Stelle ist die Stellung des Angeklagten Wohlleben im Hinblick auf die Durchführung der Ceska-Lieferung von Relevanz. Es ist also hier nur die Frage von Relevanz, ob dem Angeklagten Schultze geglaubt werden kann, wenn der sagt, alle seine Beschaffungshandlungen seien letztlich vom Willen Wohllebens abhängig gewesen und daher auch von ihm gesteuert worden. Und all die für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Angeklagten Schultze in diesem Punkt sprechenden und in der guten letzten Stunde dargestellten Umstände von dem hintergründigen Aufeinandertreffen von Schultze und Schultz, über die Finanzierung der Waffe bis hin zur Kompatibilität der Schilderung des Angeklagten Schultze mit dem Gesamtverhalten des Angeklagten Wohlleben in Unterstützungsfragen, finden nun ihren Kulminationspunkt in dem vom Angeklagten Gerlach gestandenen Übergeben einer Pistole, die er vorher vom Angeklagten Wohlleben zugesteckt bekommen hatte. Dieser Vorfall beschreibt die Rolle des Angeklagten Wohlleben in all ihren Facetten als diejenige des Strippenziehers, der alle Fäden in der Hand hält und seine Helfershelfer nach einem Drehbuch auf die Bühne schickt, das außer Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe eben nur er selber kennt.“

Wie auch schon bei der vom Zeugen Helbig vollzogenen Übergabe hatte auch im Fall der Waffenübergabe Gerlach der Angeklagte Wohlleben im Hintergrund den Übernahmegegenstand beschafft, in diesem Fall definitiv eine scharfe Schusswaffe mit Munition. Er hatte diese Schusswaffe aus Mitteln des NSU selber bezahlt und beschafft oder durch Dritten beschaffen lassen, denn es spricht nichts dafür, dass einem nichtwissenden, hilfs- und ahnungslosen Angeklagten Wohlleben die dann aber absichtsvoll an Gerlach weitergereichten Waffe nur irgendwie zugekommen sein soll. Jedenfalls aber hatte der Angeklagte Wohlleben – und das ist an diesem Punkt entscheidend – gegenüber dem Angeklagten Gerlach überlegenes Wissen über den Inhalt des ihm zum Zweck der Übergaben an den NSU überlassenen Beutels. Der Angeklagte Gerlach sollte nicht wissen und wusste auch nicht, was er da transportiert hat. Die Rolle der steuernden Zentralfigur des Angeklagten Wohlleben offenbart sich darin, dass er und nicht etwa der von ihm eingesetzte Bote Gerlach mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hinter dem Rücken Gerlachs die Absprache getroffen hatte, Gerlach einzusetzen oder – wie sich Mundlos ihm gegenüber auszudrücken pflegte – zu benutzen. Es war auch Aufgabe des Angeklagten Wohlleben, zu organisieren, dass der Angeklagte Gerlach vom Bahnhof Zwickau abgeholt werden würde. Nicht einmal das überließ er Holger Gerlach.

Und über all dies hinaus kannte der Angeklagte Wohlleben auch noch den finalen Zweck dieser Waffenbeschaffung und wollte ihn nicht mit dem Angeklagten Gerlach teilen, selbst dann nicht, als dieser empört nachfragte. „Das willst Du nicht wissen“ war die Antwort des Angeklagten Wohlleben an den insistierenden Angeklagten Gerlach. Ein erneuter Beleg, dass der Angeklagte Wohlleben selbst im engsten Kreise der Unterstützer Böhnhardts und Mundlos und der Angeklagten Zschäpe das Prinzip des „need to know“ und die interne Abschottung wahrte, was wiederum offenbart, dass es dem Angeklagten Wohlleben ersichtlich nicht nur um einen gar lästigen Freundschaftsdienst ging, sondern eben gerade auch darum, dass die untergetauchten Drei ihre Absichten auf Dauer im Untergrund verwirklichen konnten.

Weingarten: „Der Angeklagte Wohlleben alleine entschied bei der Waffenlieferung des Angeklagten Gerlach und danach über das Ob und Wie der Waffenlieferung, und dies nach seiner Vorstellung unter Ausnutzung des in diesem Zusammenhang – sonst nicht, Herr Gerlach! – unwissenden Werkzeugs Gerlach, indem er Gerlach ohne Erklärungen einfach einen Stoffbeutel ins Reisegepäck legte. Angesichts dessen müssen letzte Zweifel, sollte in diesem Saal noch jemand noch solche hegen, letzte Zweifel an der Angabe des Angeklagten Schultze ruhen.“

Da allein der Angeklagte Wohlleben auch beim Transport der Ceska im Innenverhältnis zwischen dem Angeklagten Schultze und dem Angeklagten Wohlleben über das Ob und Wie entschied, ohne dass dies die Schuld des seinen Teil eigenverantwortlich ableistenden Angeklagten Schultze mindern würde, war es der Angeklagte Wohlleben, der auch bei der angeklagten Mordbeihilfe stets alle Fäden in der Hand hatte, der andere skrupellos ausnutzte und einsetzte und – obschon kaum nach außen auftretend quasi als Schreibtischgehilfe – alles in der Hand hielt, ob die Ceska 83 mit Schalldämpfer und Munition wirklich an die brandgefährlichen drei Untergetauchten, über deren Absichten niemand mehr wusste als er als Vertrauensperson, geliefert werden sollte oder nicht. Und dass er stets auch die Macht hatte, nein zu sagen, das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass – nach allem was wir wissen – sich auch der Angeklagte Wohlleben irgendwann, vermutlich im Laufe des Jahres 2001, entschlossen hat, die Zusammenarbeit mit dem NSU zu beenden.

Nach alledem steht fest, dass Böhnhardt und Mundlos in Telefonat mit dem Angeklagten Schultze das Verlangen nach einer Schalldämpferpistole nebst Munition äußerten, der Angeklagte Schultze dieses Ansinnen wie üblich an den Angeklagten Wohlleben weitergab, dieser entschied, dass die Schalldämpferwaffe beschafft werden sollte und über den Zeugen Liebau avisierte, dass der Angeklagte Schultze mit dem Zeugen Schultz deshalb Kontakt aufnehmen werde. Der Angeklagte Schultze begab sich der Maßgabe des Angeklagten Wohlleben entsprechend zum Zeugen Schultz, berief sich auf den Angeklagten Wohlleben und bestellte die gewünschte Schalldämpferwaffe mit Munition, die der Zeuge Schultz in Gestalt der späteren Tatwaffe Ceska 83 auch lieferte, nachdem der Angeklagte Schultze den ihn vom Angeklagten Wohlleben zu diesem Zweck überlassenen Kaufpreis in Höhe von 2500 DM entrichtet hatte. Im Einvernehmen mit dem Angeklagten Wohlleben übergab der Angeklagte Schultze die Waffe an Böhnhardt und Mundlos.

Weingarten: „Soweit hoher Senat, sehr geehrte Verfahrensbeteiligte, das objektive Geschehen, das für sich genommen lediglich die Strafbarkeit eines Waffendelikts, verjährt, sowie die ebenfalls verjährte Unterstützung einer terroristischen Vereinigung begründet. Die Beantwortung der hier entscheidenden Frage, ob tatsächlich die Voraussetzungen der Beihilfe zum neunfachen Mord gegeben sind, hängt entscheidend davon ab, welche Vorstellung die Angeklagten Wohlleben und Schultze über den sozialen Sinngehalt der Waffenbeschaffung hatten, also welche Vorstellungen des intendierten Zwecks im Hinblick auf deren spätere Verwendung durch Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe sich die beiden Angeklagten Wohlleben und Schultze seinerzeit gemacht hatten. Die entscheidende Frage lautet, haben die Angeklagten Wohlleben und Schultze die heimtückische, ausländerfeindlich motivierte Verwendung der überlassenen Ceska 83 in dem Sinne vorhergesehen, dass sie das konkrete Risiko einer solchen Tatbegehung vorhergesehen haben, und wenn ja, haben die Angeklagten die Tötung von neun Menschen in Kauf genommen und wenn ja, aus welchen Gründen. Oder haben die Angeklagten Wohlleben und Schultze gehofft, es würde schon nichts passieren, und wenn ja, wie kamen sie darauf und worauf gründete sich ein solches Vertrauen?“

Derartige, das tiefe Innere eines Menschen betreffende Aussagen, lassen sich in der Regel nur über eigene Einlassungen eines Angeklagten und den Begleitumständen der äußeren Welt herleiten. Wir werden uns ansehen müssen, mit welchem Vorwissen die Angeklagten die Lieferung vorgenommen haben und von welchen Einstellungen diese Beihilfehandlungen jeweils begleitet waren. Und wir werden uns die Einlassungen der Angeklagten, mit denen sie ihre damaligen Einstellungen schildern, anschauen. Und wir werden für alle Angeklagten individuell prüfen müssen, ob diese Einlassung durch die nachgewiesenen äußeren Umstände verifiziert oder falsifiziert wird oder ob letztlich ein im Sinne des Zweifelgrundsatzes unklares Bild bleibt. Zunächst zu Wohlleben:

Im Einzelnen führte der Angeklagte Wohlleben aus, die Beschaffung oder Verwendung von Waffen und Sprengstoffen für die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sei in der Gruppe nie ein Thema gewesen. Eine mögliche Bewaffnung Einzelner sei untereinander unter dem Aspekt der Selbstverteidigung diskutiert und als Privatangelegenheit behandelt worden. Es habe zu keiner Zeit Diskussionen darum gegeben, ob sich die Kameradschaft Jena bewaffnen sollte. Wohl sei es darum gegangen, ob man politisch provozierende Maßnahmen ergreife, nie aber sei es um gewalttätige Aktionen gegangen. Der von ihm in Erfahrung gebrachte Einsatz einer kleinen Menge Sprengstoff auf dem Theatervorplatz sei als bloße Provokation gedacht gewesen, eben solches gelte, soweit sich Böhnhardt und Mundlos in braunen Uniformen in der Öffentlichkeit bewegten.

In der von Böhnhardt und Mundlos genutzten Garage habe er sich einmal zwecks Reparatur eines Autos aufgehalten, dabei sei ihm nichts von dem aufgefallen, was später dort sichergestellt worden sein soll, es habe sich um eine ganz normal ausgestattete Garage gehandelt. Soweit er von Böhnhardt bei einem persönlichem Treffen in Chemnitz Anfang 1999 gebeten worden sei, ihm eine scharfe Pistole zu beschaffen, sei er entsprechend der Äußerungen Böhnhardts davon ausgegangen, diese solle lediglich dessen Selbstmord für den Fall einer Festnahme ermöglichen. Er habe allerdings keine Aktivitäten im Hinblick auf die Beschaffung einer Pistole entfaltet – auch weil er nicht am Suizid eines Freundes habe schuldig werden wollen. Soweit er dem Angeklagten Schultze geraten habe, sich wegen des Ankaufs einer Pistole an den Schultz zu wenden, habe er nicht die Vorstellung gehabt, dass über das Szenegeschäft Madley tatsächlich eine Pistole zu beschaffen gewesen wäre. Ebenso habe Böhnhardt, der ihm den Hinweis gegeben habe, ersichtlich nicht geglaubt, dass es dort wirklich scharfe Schusswaffen zu kaufen gibt.

Die ihm später vom Angeklagten Schultze vorgezeigte Pistole habe er in seiner Wohnung betrachtet und möglicherweise auch den Schalldämpfer, den er als bedeutungsloses „Gimmick“ betrachtet habe, auf den Lauf geschraubt. Keinesfalls habe er dabei Handschuhe getragen, denn dazu habe aus seiner Sicht gar kein Anlass bestanden. Zu einer Verwendung der Pistole abseits der von Böhnhardt angestellten Suizidabsichten habe er keine Überlegungen angestellt. Daher habe er auch überhaupt nicht damit gerechnet, dass mit dieser Waffe Mordtaten begangen werden könnten. Zwar habe er bemerkt, dass irgendwann keine Geldforderungen mehr von den Dreien gestellt wurden, er habe sich allerdings zu der Frage, wie diese an Geld gelangt sein sollen, nie Gedanken gemacht. Gewalt als Mittel der Politik habe er jedenfalls strikt abgelehnt, er habe auch nichts gegen den einzelnen Ausländer persönlich, lediglich sei er gegen den massenhaften Zuzug von Ausländern. Er könne die Gründe für die Immigration von Ausländern aus deren Sicht nachvollziehen, lehne die Einwanderung von kulturfremdem Ausländern ab. Jede Kultur sei schützenswert, das gelte auch für die deutsche. Seine Gegner seien nicht die in Deutschland wohnhaften Ausländer, sondern die für den Zuzug verantwortlichen Politiker.

Bei der Bewertung der Einlassung des Angeklagten Wohlleben ist gleichsam vor die Klammer gezogen zu beachten, dass er diese Einlassung erst ab dem 251. Hauptverhandlungstag abgegeben hat. Zu diesem Zeitpunkt war die Beweisaufnahme zu der betreffenden Beihilfehandlung bereits weit, weit fortgeschritten, er hat sich also ganz anders als die Angeklagten Gerlach und Schultze nicht ungeschützt und ungeachtet der Beweislage eingelassen, sondern konnte sich an der vollständigen Aktenlage, den Beweisergebnissen in der Hauptverhandlung und v.a. der ihm zu diesem Zeitpunkt durch mehrere Haftprüfungs- und Haftbeschwerdeverfahren bekannten vorläufigen Würdigung durch den erkennenden Senat entlanghangeln. Er konnte sich in Unvermeidliches fügen, also das dann auch einräumen, und sich im Übrigen zielgenau bemühen, vermeintliche Fragilitäten der vorherigen Beweisführung durch eine punktgenaue Einlassung möglichst unwiderleglich und in seinem Sinne auszubauen und vermeintliche Feststellungslücken durch Schutzbehauptungen aufzufüllen.

Dies allein zwingt zu einer besonders wachsamen Auseinandersetzung mit seinen Behauptungen zum Sachverhalt, und diese besonders wachsame Auseinandersetzung führt zu dem Ergebnis, dass er genau das versucht hat – Schutzbehauptungen möglichst unangreifbar aufzustellen. Dieses Bemühen ist indes gescheitert. Die Einlassung des Angeklagten Wohlleben ist durchschaubar interessengeleitet und in wesentlichen Punkten schon in sich unglaubhaft, ohne dass es eines Rückgriffes auf die weiteren Beweisergebnisse bedürfte. Im Übrigen ist die Einlassung auch dessen ungeachtet durch die Beweisaufnahme widerlegt. Dieser Einlassung kann in ihrem Kerngehalt insgesamt – also auch dort, wo der Angeklagte Wohlleben sich zu seinen Vorstellungen und Einstellungen im Zusammenhang mit der Waffenbeschaffung äußert – nicht gefolgt werden. Im Einzelnen: Wie bereits dargelegt, hat der Angeklagte Wohlleben schon zum objektiven Geschehen unglaubhaft und durch andere Beweismittel widerlegt geltend gemacht, dass er erstens den Ankauf der Waffe mitnichten im Hintergrund vorbereitet hat, dass er zweitens die Waffe mitnichten finanziert habe, dies habe Brandt übernehmen sollen, den er darauf aber nie angesprochen habe, und dass drittens die übergebene Schalldämpfer-Waffe gar nicht funktionstüchtig gewesen sei, wie ihm Böhnhardt mitgeteilt habe, woran sich aber der Angeklagte Schultze aus unerklärlichen Gründen nicht erinnern konnte. Nichts davon kann dem Urteil zugrunde gelegt werden, all das ist widerlegt. Es gibt daher von Anfang an berechtigte Zweifel, ob denn ausgerechnet den Angaben zu seinen Vorstellungen zum Zweck der Waffenbeschaffung gefolgt werden kann.

Soweit der Angeklagte Wohlleben nunmehr vorbringt, Uwe Böhnhardt habe Anfang 1999 bei dem zweiten persönlichen Aufeinandertreffen nach dem Untertauchen nach einer Schusswaffe verlangt, weil er sich für den Fall einer Festnahme selbst erschießen wolle, und er, der Angeklagte Wohlleben, sei deshalb davon ausgegangen, die Waffe, die er beschaffen solle, diene allein einem möglichen Suizid von Böhnhardt, will der Angeklagte Wohlleben [mit dieser Einlassung]glauben machen, er sei immer davon ausgegangen, dass Böhnhardt eine Schusswaffe, wenn überhaupt, dann nur gegen sich selbst richten würde, gegen niemanden sonst. Nun, würden Selbstmordpläne von Uwe Böhnhardt der alleinige dem Angeklagten Wohlleben bekannte Zweck der Schusswaffe gewesen sein, dann könnte gegen ihn der Vorwurf der Beihilfe zum Mord nicht mit Erfolg erhoben werden. Indes, schon dieses Fragment ist bereits in sich unschlüssig und daher schon aus sich heraus völlig unglaubhaft. Es ist eine Schutzbehauptung, die sich selbst überführt. Denn der Angeklagte Wohlleben enttarnt seine eigene Selbstentlastungstaktik, indem er sich mit dieser Waffen-Böhnhardt-Selbstmord-Geschichte gänzlich in völlig inkompatiblen Facetten der Sachverhaltsdarstellung verheddert. So soll Böhnhardt nach den Worten des Angeklagten Wohlleben gerade nach einer Pistole verlangt und ausdrücklichen keinen Revolver gewollt haben. Diese Pistole sollte zudem möglichst das Produkt eines deutschen Herstellers sein. Diese angeblichen Sonderwünsche Böhnhardts zu der Waffe sind indes mit dem vom Angeklagten Wohlleben behaupteten Zweck der Waffe überhaupt nicht in Einklang zu bringen. Wenn eine Schusswaffe nur für einen Zweck und einen Schuss, nämlich für eine Selbsttötung, bestimmt sein soll, hat es ersichtlich auch für einen Waffenliebhaber wie Böhnhardt keine Bedeutung, ob es sich bei dem Mittel der Selbsttötung um einen Revolver oder eine Pistole handelt. Wieso sollte er also einen Revolver ausdrücklich abgelehnt haben?

Völlig abseitig ist auch die Vorstellung, einem Suizidenten, Neonazi hin oder her, könnte es darüber hinaus auch noch darauf ankommen, dass das Tatmittel seines Selbstmordes deutscher Herkunft ist. Das ist doch völliger Unsinn. Zumal Uwe Böhnhardt nach Aussage des Angeklagten Wohlleben nicht einmal ein Auto deutscher Herkunft fuhr. Was die Herkunft von Nutzgegenständen angeht, war Uwe Böhnhardt also doch ideologisch recht flexibel. Und selbst wenn Böhnhardt sich in dieser Weise, „unbedingt Pistole“ und „unbedingt made in Germany“ geäußert haben sollte, wofür nichts spricht, kann jedenfalls der Angeklagte Wohlleben nicht im Ernst auf die Idee gekommen sein, der Zweck der begehrten Waffe erschöpfe sich tatsächlich in einer Selbsttötung des Uwe Böhnhardt für den Fall einer Festnahme. Ein solcher Schluss des Angeklagten Wohlleben ist schon deswegen unsinnig, weil der Angeklagte Wohlleben seiner eigenen Aussage zufolge gerade zu diesem zweiten Treffen noch Anwaltsvollmachten mitgebracht habe, und dies deshalb, weil gerade auch Uwe Böhnhardt seinerzeit noch erwogen hatte, sich den Behörden zu stellen. Böhnhardt habe sich, so der Angeklagte Wohlleben selbst, bei der Vorbereitung einer Selbstgestellung von Rechtsanwalt Tauth vertreten lassen wollen. Dass auch Uwe Böhnhardt, und zwar ungeachtet der bereits vollzogenen Gründung der terroristischen Vereinigung Anfang 1999, grundsätzlich noch erwogen hatte, sich unter Umständen den Behörden zu stellen, ergibt sich zudem aus der Aussage der Zeugin Brigitte Böhnhardt [siehe 57. und 58. Verhandlungstag], der zufolge die Eltern Böhnhardt ab Herbst 1998 bis ins Frühjahr 1999 wegen der möglichen Bedingungen einer Selbststellung ihres Sohnes mit Rechtsanwalt Tauth, dem Landesamt für Verfassungsschutz und der zuständigen Staatsanwaltschaft in Kontakt gestanden haben.

Die Zeugin Böhnhardt hatte ihrem Sohn auch über Strafmaßgespräche mit der Staatsanwaltschaft berichtet, wobei er danach ihr gegenüber den Eindruck hinterlassen hatte, nach wie vor über eine Selbststellung nachzudenken. Erst nachdem die Staatanwaltschaft ein angeblich strafmaßquantifizierendes Angebot im März 1999, also nach dem Treffen mit Wohlleben, zurückgezogen hatte, hatte Uwe Böhnhardt der Aussage seiner Mutter zufolge derartige Überlegungen endgültig beendet. Wie in dieser Situation beim zweiten Besuch des Angeklagten Wohlleben, in der Böhnhardt noch eine Selbstgestellung erwogen hatte, der Zweck einer Waffenbeschaffung sich darin erschöpfen soll, sich für den Fall einer von ihm selbst doch noch erwogenen Inobhutnahme durch die Strafverfolgungsbehörden gleich das Leben zu nehmen, ist nicht nachvollziehbar. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie der Angeklagte Wohlleben in seiner Einlassung einerseits behaupten kann, Böhnhardt habe ihm gegenüber erklärt, dass er sich auf keinen Fall der Polizei stellen und sich deshalb für den Fall einer Festnahme erschießen wolle, und andererseits sich am selben Hauptverhandlungstag dahingehend einlässt, es habe Anfang 1999 immer noch in Rede gestanden, dass die drei sich stellen wollen.

Weingarten: „Herr Vorsitzender, ich habe nicht genau auf die Uhr geguckt, nähert sich der Block dem Ende?“ Götzl: „Ja, wir sind eigentlich am Ende, was die 45 Minuten anbelangt. So dass wir 15 Minuten Pause machen und fortsetzen um 13:50 Uhr.“

Um 13:53 Uhr setzt Weingart sein Plädoyer fort: „Herr Vorsitzender, Hoher Senat, die Bundesanwaltschaft war zuletzt zu der Auffassung gelangt, dass die angeblichen Suizidabsichten sich u.a. auch nicht vertragen mit der Absicht, sich zu diesem Zeitpunkt noch stellen zu wollen. Aber selbst wenn man das wegdenkt, also selbst dessen ungeachtet, stimmt die ganze Suizidgeschichte von hinten und vorne nicht. Man kann das unschwer daran erkennen, dass sich der Angeklagte Wohlleben bei seiner Vernehmung durch den Vorsitzenden am 13.01.2016 in einem gewichtigen Punkt schlicht und einfach verplappert und dem windschiefen Kartenhaus seiner Geschichte selbst den Garaus gemacht hat. Auf Nachfrage des Vorsitzenden hatte der Angeklagte Wohlleben ja erklärt, er habe sich mit Böhnhardt ganz alleine unterhalten, als dieser eine Pistole gewünscht habe. Bei anderer Gelegenheit stellte der Angeklagte Wohlleben noch einmal klar, Böhnhardt habe sich erschießen wollen, nicht aber die beiden anderen.“

Auf die Frage des Vorsitzenden an den Angeklagten Wohlleben, ob er gegenüber Böhnhardt die Frage angesprochen hätte, wo und bei wem er, Wohlleben, denn eigentlich eine solche Waffe beschaffen könne, erklärte der Angeklagte Wohlleben hingegen wörtlich: „Nein, ich habe denen gesagt, dass ich niemanden ansprechen kann. Ich habe denen sicher irgendetwas erzählt, wie ich mich gekümmert habe. Die fragten natürlich immer wieder nach, bei wem hast du nachgefragt, und ich habe irgendwas erzählt. Und die sagten, kümmere Dich.“ Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Auffällig ist, wie plastisch der Angeklagte Wohlleben die Dringlichkeit umschreibt, mit der der Wunsch nach einer Waffe immer wieder zum Ausdruck gebracht wurde, nämlich durch ständiges Nachfragen, ständiges Nachforschen, bei wem er es denn nun versucht habe, und der ständigen Aufforderung, er möge sich doch nun endlich kümmern, was insoweit durchaus für eine tatsachenbasierte Erinnerung spricht. Das vom Angeklagten Wohlleben geschilderte Verhalten von – so wörtlich – „denen“ ist bei einer Waffe, die zu konkret ins Auge gefassten, durch eine Vereinigung geplanten Taten eingesetzt werden soll, auch sehr nachvollziehbar. Dass aber nun ständig Druck gemacht wird wegen einer Waffe, die nur für einen Suizid, nur für ein Fall der Festnahme, also nur eine abstrakte Gefahr eingesetzt werden soll, erscheint nicht recht erklärlich. Vor allem aber macht der Angeklagte Wohlleben durch die Verwendung des Plurals deutlich, dass seine ganze Geschichte, der zufolge nur Böhnhardt eine Waffe haben wollte und nur für den höchstpersönlichen Zweck einer Selbsttötung, nicht stimmen kann und erfunden ist. Unbewusst konterkariert er nämlich seine eigene Geschichte dadurch, dass er auf Befragung des Vorsitzenden antwortete, dass er „denen“ gesagt habe, dass er niemanden ansprechen könne, er „denen“ sicher irgendwas gesagt habe, er kümmere sich, und dass „die“ immer gesagt hätten, er solle sich kümmern. Nicht „dem“ und „der“ hat er gesagt, sondern „denen“ und „die“, er hat im Plural gesprochen. Und gemeint hat er mit „denen“ und „die“ seine beiden regelmäßigen Telefongesprächspartner Böhnhardt und Mundlos.

Und wenn er mit beiden gleichzeitig oder abwechselnd über die Beschaffung einer Pistole deutscher Bauart, „keinen Revolver bitte“, gesprochen hat, wird damit klar, dass die Aufforderung, eine Waffe zu beschaffen, eben keine von Suizidabsichten getragene und heimliche Privatbegehrlichkeit von Uwe Böhnhardt allein, sondern die Beschaffung einer scharfen Pistole ein Gemeinschaftsprojekt des NSU war, und nur dieses Ergebnis und nicht diese krude Selbstmordgeschichte passt zu den Befunden der Kollegin Greger, demzufolge [siehe 167. und 174. Verhandlungstag]V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz Brandenburg schon 1998 berichtet hatte, [siehe 150. Verhandlungstag] sei mit der Beschaffung einer Waffe für die Drei beauftragt. Da war von einer Waffe „für die Drei“ die Rede und von Selbstmordabsichten von Böhnhardt war nicht die Rede.

Beinahe schon komisch wirkt die Einlassung des Angeklagten Wohlleben, er habe bei der gemeinsam mit dem Angeklagten Schultze beschafften Ceska immer daran geglaubt, an der Beschaffung des Werkzeug zur Selbsttötung von Uwe Böhnhardt mitzuwirken, wenn man bedenkt, dass Böhnhardt und Mundlos vom Angeklagten Schultze nicht nur eine Pistole, sondern eine mit Schalldämpfer, und nicht nur diese, sondern dazu viel Munition verlangt haben. Dann verliert das Bild eines nichts Böses ahnenden Angeklagten Wohlleben den letzten Rest Farbe, denn die Begehrlichkeiten „Schalldämpfer“ und „viel Munition“ können mit vorgeblicher Selbstmordabsicht schwerlich in sinnvollen Zusammenhang gebracht werden. Bei einem Selbstmord mit Schusswaffe ist man, wenn man es halbwegs ernst meint, in aller Regel nicht zur Abgabe von mehr als einem Schuss genötigt. Keinesfalls aber benötigt man für einen Selbstmord die rund fünfzig Schuss [Munition], die sie bekommen haben und auch die Verwendung eines Schalldämpfers ist bei einem Suizid völlig sinnlos – auf die Schonung des eigenen Gehörs wie auch des Gehörs anderer wird es dem Selbstmörder kaum mehr ankommen. Im Übrigen ist auch das Verhalten des Angeklagten Wohlleben im Frühjahr 2000, das er selbst eingeräumt hat, unter der Voraussetzung nicht erklärlich, dass er immer noch daran glaubte, die Pistole mit Schalldämpfer und rund fünfzig Schuss Munition solle lediglich einen Suizid ermöglichen. Wenn man dem Angeklagten Wohlleben denn abnehmen wollte, dass er sich ein gutes Jahr lang der Beschaffung für Böhnhardt gleichsam durch passiven Widerstand verweigert hat, um nicht mitverantwortlich zu werden am Suizid seines guten Freundes Uwe Böhnhardt, dann wäre es nicht nachvollziehbar, warum er in Frühjahr 2000 plötzlich Tipps zur Beschaffung eben dieser Waffe erteilt hat.

Weingarten: „Und wenn Sie sich nach der Erklärung des Angeklagten Wohlleben dazu fragen, wieso er plötzlich einen Gesinnungswandel durchgemacht hat und wieso er nun doch an der Beschaffung einer angeblichen Selbstmordwaffe mitgewirkt hat, ja, wenn Sie sich das fragen – er hat dazu von sich aus keine Erklärung abgegeben, nicht mit einem Wort hat er von sich aus erläutert, warum er sich plötzlich nach eineinhalb Jahren, 15 Monaten, an der Beschaffung eines Werkzeugs zur Selbsttötung beteiligt hat, nachdem er sich über ein Jahr aus Freundesliebe standhaft geweigert hat.“

Erst auf Fragen der Verteidigung des Angeklagten Schultze antwortet der Angeklagte Wohlleben, er habe ja gar nicht geglaubt, dass es im Madley scharfe Pistolen zu kaufen gebe. Er habe Schultze dahin geschickt, damit Schultze nicht – wörtlich – „den Uwes“ sagt, also dass Schultze nicht den Uwes sagt, er dürfe keine Pistole beschaffen und er selbst, Wohlleben, dann Ärger bekommt. Auch diese Geschichte ergibt schon im Ansatz keinen Sinn. Einerseits hatte der Angeklagte Wohlleben keine Bezüge ins Madley und zu Schultz, will aber andererseits nicht glauben, dass es dort Waffen gibt. Darüber hinaus folgt aus seiner Einlassung eine Vorgabe der Uwes, es im Madleys zu versuchen, obwohl die beiden angeblich selbst nicht gewusst haben sollen, dass es dort Waffen gibt – es ist alles konstruiert. Vor allem verwendet der Angeklagte Wohlleben hier schon wieder den Plural, indem er von „den Uwes“ spricht. Also, wieso den beiden der Angeklagte Schultze nicht petzen sollte, dass er gar keine Waffe besorgen darf und wieso ihm, dem Angeklagten Wohlleben, Ärger von Uwe Mundlos drohen sollte, nur weil Uwe Böhnhardt seine persönlichen heimlichen Suizidpläne für den Fall einer Festnahme nicht verfolgen kann, ist das Geheimnis des Angeklagten Wohlleben geblieben.

Diese Schutzbehauptung über den angeblichen Suizidzwecke der Ceska 83 richtet sich selbst. Als Zwischenergebnis bleibt also festzuhalten, dass die Einlassung des Angeklagten Wohlleben zu der Beschaffung einer Waffe für den NSU schon aus sich heraus nicht geeignet ist, die Saat des Zweifels an der Berechtigung des Anklagevorwurfs auszusäen. Auch ansonsten ist die Einlassung des Angeklagten Wohlleben nicht dazu angetan, ihr Glauben zu schenken. In seinem Bemühen, alles Verfängliche und alles Belastende zu relativieren und zu bagatellisieren, gießt er das Kinde mit dem Bade aus. Seine interessengeleitete Aussage lässt sich allzu oft nicht nur nicht glauben, sondern ist auch leicht zu widerlegen. Ein gewichtiges Indiz dafür, dass der Angeklagte Wohlleben auch im engeren Sinne die Tötungsbereitschaft und -willigkeit der NSU-Mitglieder bei der Beschaffung der Ceska richtig eingeschätzt hat, folgt aus dem Umstand, dass an der Kläranlage in Jena im Januar 1998 eine fertige und vier im Bau befindliche Rohrbomben, eine Zündvorrichtung aus einem Wecker, ein weiterer, verdrahteter [Sprengsatz] sowie Sprengstoff, TNT-Gemisch und Schwarzpulver aufgefunden wurden. Einschließlich der für den Bau der Bomben verwendeten Mengen wurden zusammengerechnet sage und schreibe 1,4 kg TNT-Gemisch sichergestellt.

Diese sichergestellten Gegenstände lassen sich nicht als Bombenattrappen verniedlichen, die doch nur zu einer ultimativen Drohung hätten dienen sollen. Zwar ist nach dem Gutachten des Sachverständigen Hans Helmut Er. [siehe 106. Verhandlungstag]davon auszugehen, dass die in der Garage aufgefundenen Rohrbomben nicht zündfähig waren. Das hat schon deshalb nichts zu bedeuten, weil in weiten Teilen Zündvorrichtungen vorhanden, aber noch nicht fertiggestellt waren. Entscheidend ist, dass nach sachverständiger Beurteilung ein erheblicher Aufwand betrieben worden ist und die Konfiguration der Sprengvorrichtungen insgesamt nicht darauf hindeutete, dass diese lediglich als Attrappen dienen sollten. Angesichts dessen sowie aufgrund der Auffindesituation in der Garage kann also keinesfalls angenommen werden, die Sprengvorrichtungen seien fertig gewesen. Daher besteht vielmehr der Verdacht, dass die Sprengmittel nach ihrer Fertigstellung durch Anbringung von Zündvorrichtungen nach der Vorstellung ihrer Erbauer auch zur Umsetzung gelangen sollten.

Und es können keine Zweifel daran bestehen, dass auch der Angeklagte Wohlleben diesen Verdacht hatte. Zunächst ist fraglos, dass der Angeklagte Wohlleben sehr genau wusste, was sich in dieser Garage abspielte. Seine Behauptung, er sei einmal in der Garage gewesen, habe aber nur unter Böhnhardts Auto gelegen und etwas repariert und habe nichts von dem gesehen, was im Januar 1998 dort sichergestellt wurde, ist eine unglaubhafte Schutzbehauptung. Es beginnt schon damit, dass der Angeklagte Wohlleben selbst eingeräumt hat, die wahre Zweckbestimmung der Garagenmietung zu kennen. Er hat in der Hauptverhandlung nämlich angegeben, Böhnhardt habe nach den Durchsuchungen im Zusammenhang mit der Puppentorso-Tat unter konspirativen Bedingungen eine Garage anmieten wollen, um dort solche Gegenstände verstecken zu können, die man zukünftigen Beschlagnahmeaktionen der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen gedachte. Nach der Anmietung der Garage habe Mundlos ihn, den Angeklagten Wohlleben, gefragt – so die Einlassung des Angeklagten Wohlleben –, ob er, Wohlleben, denn etwas zu verstecken habe, was er verneint hat. Schon aus dieser dem Angeklagten Wohlleben offenbarten Zweckbestimmung der Garage ist zu entnehmen, dass es sich für ihn offensichtlich um ein Versteck für Tatwerkzeuge und Tatmittel für begangene und geplante Straftaten handeln sollte, so dass die Behauptung, er habe die Garage als eine Art Hobbywerkstatt für Böhnhardt in Erinnerung, im Widerspruch zu seinen eigenen Angaben steht.

Außerdem steht auch fest, dass der Angeklagte Wohlleben am 26.01.1998 ganz genau wusste, was sich am diesem Tag in der Garage Nr. 5 befand. Anders sind die Abläufe des Tages nicht zu erklären. Nach den Bekundungen des Zeugen Volker He. [siehe 250. Verhandlungstag]hatte dieser am 26.01.1998, dem Tag des Untertauchens, auf Veranlassung von Böhnhardt mit dessen Auto die Zeugin Juliane Walther [siehe 98. und 99. Verhandlungstag] an deren Schule abgeholt, um sodann den Angeklagten Wohlleben in Erfurt aufzunehmen. Anders als die von Böhnhardt in Abwesenheit des Zeugen He. instruierte Zeugin Walther wusste der Zeuge He. allerdings nicht, warum man so eilig den Angeklagten Wohlleben abholen wollte. Der Zweck der eiligen Kontaktaufnahme bestand nach den Bekundungen der Zeugin Walther nur darin, die Gefahr einer Festnahme des Angeklagten Wohlleben abzuwenden. Böhnhardt hatte die Zeugin aus dem laufenden Schulunterricht geholt und ihr erklärt, sie müsste sofort mitkommen, sonst bestünde die Gefahr, dass Wohlleben, mit dem die Zeugin Walther damals liiert war, ins Gefängnis müsse. Diese Sorge von Böhnhardt ist nur damit zu erklären, dass Böhnhardt wusste, dass der Angeklagte Wohlleben wusste, welche Gegenstände in der von der Durchsuchung betroffenen Garage lagerten. Ansonsten hätte für Uwe Böhnhardt keinerlei Veranlassung bestanden, allein wegen der ihn und Mundlos betreffenden Durchsuchungsmaßnahmen die Befürchtung zu entwickeln, auch dem Angeklagten Wohlleben drohe die Festnahme. Und dass die Festnahme überhaupt nur wegen des Inhalts der Garage drohte und drohen konnte, war Böhnhardt wiederum auch klar, weil in den Wohnungen nichts haftbegründendes lagerte und initial auch kein Haftbefehl erwirkt worden war.

Dieses Ergebnis deckt sich mit den diesbezüglichen, durch den Zeugen KHK Sch. eingeführten Angaben des Angeklagten Gerlach im Ermittlungsverfahren. Gerlach hatte in seiner Vernehmung vom 12.01.2012 ausgesagt, dass der Angeklagte Wohlleben die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos auch aus eigenem Interesse bei deren Flucht unterstützt habe, weil er nämlich mit der Garage „etwas zu tun hatte“. So habe der Angeklagte Wohlleben ihm damals zu verstehen gegeben, dass er wisse, was in der Garage war. Dass der Angeklagte Wohlleben schon vor dem Untertauchen und stets zeitnah von den Straftaten von Böhnhardt und Mundlos und der Angeklagten Zschäpe, damit auch vom Bombenbau in der Garage, erfahren hatte, folgt aus den Angaben der Zeugen Kay St., Aleksander Ha. [siehe 198., 204. und 214. Verhandlungstag]und Helbig. Der Zeuge Ha. bekundete, er habe schon vor dem Untertauchen von Mundlos erfahren, dass dieser für das Abstellen einer mit einer kleinen Menge Sprengstoff versehenen Attrappe im Hakenkreuz-Koffer auf dem Theaterplatz in Jena verantwortlich war. Der Zeuge berichtete weiter, über derartige Angelegenheiten sei in kleinen Grüppchen gesprochen worden. Es besteht daher für die Bundesanwaltschaft kein Zweifel, dass auch der Angeklagte Wohlleben frühzeitig in solche Aktivitäten eingeweiht war. Denn beim Angeklagten Wohlleben handelte es sich nach der Aussage Ha. um einen engen Vertrauten von Mundlos – wie dieser, Mundlos, dem Zeugen Ha. gegenüber ausdrücklich erklärt hatte. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass Mundlos ausgerechnet den Angeklagten Wohlleben von seinen Offenbarungen der Taten ausgenommen haben könnte.

Dies gilt zumal, weil der Angeklagte Wohlleben auch nach den Aussagen der Zeugen Christian Kapke und Tom Turner [siehe 228. und 234. Verhandlungstag]integraler Bestandteil einer kleinen Gemeinschaft Vertrauter war, zu denen neben dem Angeklagten Wohlleben die weiteren Kameradschafts-Mitglieder Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe sowie André Kapke und Holger Gerlach gehörten. Die Vorstellung, der Angeklagte sei nicht über alle wesentlichen Aktionen und Straftaten seiner Freunde unterrichtet gewesen, wird vollends abseitig, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass sich der Angeklagte Wohlleben – wohlgemerkt nach der entsprechenden Aussage des Zeugen Kay St. hier in der Hauptverhandlung – entschlossen hatte, zu gestehen, selbst an der Puppentorso-Tat und den nachfolgenden Absprachen über das Aussageverhalten vor Polizei und Gericht beteiligt gewesen zu sein. Aus Sicht der späteren NSU-Mitglieder bestand kein Anlass, gegenüber Wohlleben als Mitverschwörer Zurückhaltung zu üben. Schon deshalb ist die Aussage des Angeklagten Gerlach, wonach der Angeklagte Wohlleben genau wusste, was in der Garage gelagert und gebaut wurde, absolut schlüssig.

Aber auch die selbst nicht zu diesem engeren Kreis von Kameradschafts-Angehörigen zählende Zeugin Christine Ha. [siehe 188. Verhandlungstag]berichtete, jedenfalls nach dem Untertauchen seien die Aktivitäten von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, wie etwa der Bombenbau, der Koffer auf dem Theaterplatz und der Puppentorso, in der Szene allgemein als deren Werk bekannt gewesen. Der Angeklagte Wohlleben hat nach alldem nicht nur irgendwann und kursorisch von den Untergetauchten über die begangenen Delikte und insbesondere die Art der in der Garage sichergestellten Gegenstände erfahren, sondern war nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft stets und im Detail über die Aktivitäten der Angeklagten Zschäpe und Böhnhardt und Mundlos im Bilde.

Soweit nun der Angeklagte Wohlleben, wie aus der Bekundung des in der Hauptverhandlung einvernommenen Zeugen KHK Sch. und der Einlassung des Angeklagten Gerlach in der Hauptverhandlung folgt, soweit also der Angeklagte Wohlleben seinerzeit gegenüber dem Angeklagten Gerlach geäußert haben soll, die in der Garage befindlichen Rohrbomben seien nur als „ultimative Drohung“ gedacht gewesen, folgt daraus nicht etwa, dass der Angeklagte Wohlleben das Risiko, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe auch würden töten wollen und können, nicht erkannt hätte. Diese vom Angeklagten Wohlleben auch in der Hauptverhandlung verbreitete These, das TNT habe lediglich provozieren sollen und das Herstellen der Rohrbomben sei eine „ultimative Drohung“, ist schon deswegen nicht glaubhaft, weil die Eskalationsstufe der ultimativen Drohung nach Aussage des Zeugen Jürgen Dressler [siehe 46. Verhandlungstag]durch die Bombe mit TNT am 2.09.1997 vor dem Theaterhaus in Jena erreicht war. Damit war Staat und Öffentlichkeit signalisiert worden, dass die Entschlossenen aus der Neonazi-Szene über TNT verfügten. Die Erstellung von Rohrbomben aus 1,4 kg TNT-Gemisch allein zur Intensivierung einer „ultimativen Drohung“ erscheint danach nicht plausibel. Angesichts dessen konnte sich der Angeklagte Wohlleben nicht der Einsicht verschließen, dass die in der von der Angeklagten Zschäpe angemieteten Garage erstellten Rohrbomben jedenfalls dazu bestimmt gewesen sein könnten, tatsächlich auch zur Explosion gebracht zu werden.

Wie im wahrsten Sinne hochbrisant die Gruppe Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe war, ergibt sich des Weiteren aus dem Verhalten des Zeugen Kay St., nachdem die drei in den Untergrund gegangen waren. Das aufrechte Verhalten des Zeugen ist zugleich von erheblicher indizieller Bedeutung für das Risikobewusstsein des Angeklagten Wohlleben. Der Zeuge St. hatte sich gegenüber dem Angeklagten Wohlleben geweigert, die im Untergrund lebenden Drei finanziell zu unterstützen. Zu seinem Motiv verwies der Zeuge in der Hauptverhandlung auf die offenbar gewordene Eskalation der operativen Radikalisierung – Stichworte Puppentorso-Tat, Drohbrief, Bombenattrappe, Sprengstofffund in der Garage. Er habe sich damals gefragt, was denn von den dreien als nächstes kommen soll. Gemeinsam mit dem Zeugen Stefan Apel [siehe 61. und 62. Verhandlungstag], wohlgemerkt der Cousin der Angeklagten Zschäpe, ist er daher zu der Überzeugung gelangt, kein Geld für die Drei zu spenden, und dies, obschon es ihm finanziell ohne weiteres möglich gewesen wäre, wie er hier in der Hauptverhandlung angegeben hat, und dies obwohl ihn der Angeklagte Wohlleben nachdrücklich aufgefordert hatte, Spenden zu geben.

Aus den dargestellten strafrechtlich relevanten, sich im Unrechtsgehalt und Gefährlichkeit steigernden Verhalten der Untergetauchten hat der Zeuge St., immerhin ein Mittäter der Puppentorsotat, die richtigen Schlüsse gezogen und sich nach dem Untertauchen und damit nach dem verbreiteten Bekanntwerden der Sicherstellung von ca. 1,4 kg TNT jedweder Unterstützungshandlungen entzogen. Der Zeuge St. hat sich der vermeintlichen Freundes- und Kameradenpflicht entzogen, weil er nicht mitschuldig werden wollte an den Exzessen einer weiter fortschreitenden und aktionsbezogenen Radikalisierung. Der Zeuge St. hat mit allem gerechnet, und das, obwohl er zu keine Zeitpunkt eine Schalldämpferwaffe mit fünfzig Schuss Munition liefern sollte. Weingarten: „Und, die rhethorische Frage sei erlaubt, ausgerechnet dem Angeklagten Wohlleben soll sich die Einsicht in die Unkalkulierbarkeit der Drei nicht aufgedrängt haben, die Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe ausgesandt hatten?“

Auch der Zeuge Helbig, ebenfalls nicht mit seherischen Kräften, sondern nur mit einem bodenständigen Realitätssinn ausgestattet, hat zu seiner damaligen Einschätzung der drei Untergetauchten in der Hauptverhandlung Angaben gemacht. Im Jahr 1999 war der Zeuge Helbig während seiner Bundeswehrzeit vom Militärischen Abschirmdienst zu seiner Tätigkeit befragt worden. In diesem Zusammenhang ließ er die Beamten des Militärischen Abschirmdienstes wissen, er sehe die drei Untergetauchten auf einer Stufe mit Rechtsterroristen. Der Zeuge bestätigte seine diesbezügliche Äußerung auch im Ermittlungsverfahren, der zufolge Böhnhardt nach seinem Eindruck bereit gewesen sei, Waffen gegen Ausländer einzusetzen. Noch einmal: Helbig erklärte den schon 1999 verwendeten Begriff Rechtsterroristen damit, dass er es für möglich gehalten habe, dass Böhnhardt Waffen gegen Ausländer einsetzen werde und das sei auch schon damals seine Auffassung gewesen. Ein zweiter Zeuge also, der klarer sah als angeblich der Angeklagte Wohlleben.

Außerdem bekundete der Zeuge Helbig weiter, Böhnhardt habe die Auffassung vertreten, dass Ausländer nicht nur ausgewiesen gehörten, sondern in einem Konzentrationslager interniert werden müssten. Am besten wäre es, so Böhnhardt doppelt perfide, für die Ausländer selbst, sie würden vergast. Die Vorstellung, dass dem Angeklagten Wohlleben als enger Vertrauensperson eine derartige Haltung von Uwe Böhnhardt im Gegensatz zum Zeugen Helbig entgangen sein könnte, ist abwegig. Daher ist es auch abwegig, dass der Angeklagte Wohlleben nicht die Möglichkeit erkannt haben sollte, dass die Drei auch zu Tötungstaten gegenüber Ausländern prinzipiell willens und befähigt waren, zumal dem Angeklagten Wohlleben bekannt war, dass sich Böhnhardt und Mundlos oft in der Öffentlichkeit in einer den Uniformen der Sturmabteilung nachempfundenen Oberbekleidung bewegten und damit in der Uniform einer hochgradig gewalttätigen nationalsozialistischen Schlägertruppe, die allgemeinkundig zunächst für massive Übergriffe auf den politischen Gegner und nach der Machtergreifung für Terrorattacken auf jüdische Mitbürger zuständig war.

Wie die Kollegin Greger bereits ausgeführt hat, haben sich insbesondere Böhnhardt und Mundlos, aber auch die Angeklagte Zschäpe über Jahre hinweg öffentlich und szeneöffentlich in einer Weise aufgeführt, die angesichts ihrer Bewaffnung, ihrer auch schwere Taten einschließende Aktionsbereitschaft und ideologischen Rigidität bereits 1998 zu größeren Gefährlichkeits-Befürchtungen Anlass geben musste. Das ideologisch Exzesshafte von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe und deren geistige Bereitschaft, die Würde und das Leben vermeintlich Unwerter mit den Füßen zu treten, tritt deutlich hervor in der Entwicklung der Pogromlyspiels, von dem der Angeklagte Wohlleben nicht nur wusste und welches er nach dem Untertauchten nicht nur vertrieben hat, sondern das er nach eigener Einlassung und nach den Bekundungen der Zeugin Walther auch noch selbst mit den Urhebern gespielt hatte. Bereits vor der Gründung des NSU fassten die Angeklagte Zschäpe sowie Böhnhardt und Mundlos gemeinsam den Plan, ein den Nationalsozialismus und den Völkermord an den Juden verherrlichendes Spiel zu entwickeln. Dieses Spiel ist von völkerverhetzendem Inhalt durchdrungen und belegt in perfider Weise die Identifizierung der Drei mit dem Völkermord an den Juden im sogenannten 3. Reich. Idee, Entwicklung, äußere und inhaltliche Gestaltung, sowie die aufwändige, eigenhändige Produktion offenbaren die Abgründe des Antisemitismus und die uneingeschränkte Identifikation der Angeklagten Zschäpe sowie von Böhnhardt und Mundlos mit der entmenschlichten Degradierung jüdischer Menschen und deren paraindustrieller Massenvernichtung im sogenannten 3. Reich.

Das Ziel des in Augenschein genommenen, das Spiel Monopoly pervertierenden Spiels besteht tatsächlich darin, die in den Städten Güstrow, Schwerin, Danzig, Königsberg, Dessau, [zählt weitere Städtenamen auf], Köln, Frankfurt, Stuttgart, München, Köln und Berlin lebenden Juden zu deportieren. Zur Vernichtung der zu deportierenden Juden kann der Spieler statt der aus dem Monopoly bekannten Bahnhöfe die KZs Auschwitz, Buchenwald, Dachau und Ravensbrück erwerben, deren Besitzkarten jeweils mit Totenkopf und zerrissener Flagge Israels, wie das Gefängnisfeld und der Spielbefehl „Gehe ins Gefängnis“ durch „Beim Juden“ und „Gehe zum Juden“ ersetzt wurden. Dieser Befehl wird beispielsweise auf zwei Anweisungskarten, „SA“- und „SS“-Karten mit den Worten erteilt: „Du hast gestohlen. Gehe zum Juden, damit du dieses Bild des Abschaums als Warnung behältst“ oder: „Du hast keine Ehre, Stolz und keinen Mut, deshalb wollen Dich die Juden als ihren Vorsitzenden“. Eine derartige Verhetzung durchzieht nahezu sämtliche inhaltliche Äußerungen des Spiels. So lauten weitere Anweisungskarten: „Du hattest auf ein Judengrab gekackt, leider hast Du Dir eine Infektion zugezogen“. Und: „Du musst nicht beim Juden bleiben, es handelt sich um einen Irrtum, verlasse diesen stinkenden Ort“. Juden werden in der Anleitung ausdrücklich als „Untermenschen“ bezeichnet.

Gleichzeitig ist diese äußerliche und innerliche Spielgestaltung Ausweis der Verehrung, die die Angeklagte Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos den nationalsozialistischen Verbrecherorganisationen und der Person Adolf Hitlers entgegenbrachten. So haben die drei neben einem Bild Adolf Hitlers auf dem Feld „Besuch beim Führer“ auch zahlreiche Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen verwendet, u.a. die SS Rune, den Leitspruch „Meine Ehre heißt Treue“, das Kennzeichen der SA sowie ein Hakenkreuz. Gelangte ein Spieler auf das Feld „Beim Führer“, ist er nach Anleitung dazu verpflichtet, den Gruß „Heil Hitler“ zu machen, und beim Passieren des mit dem Hakenkreuz versehenen Startfelds „Sieg Heil“ zu rufen.

Weingarten: „Die Vorstellung, Herr Wohlleben, Ihnen könnte das Ausmaß des ideologisch motivierten Gewaltpotentials der drei Untergetauchten entgangen sein, ist nicht zuletzt deshalb beseitigt, weil Sie im Gegensatz zu den Zeugen St. und Ha. auch noch die internen Strategiediskussionen in der Gruppe verfolgt haben. Nach den Angaben des Angeklagten Gerlach im Ermittlungsverfahren, die durch die Vernehmungsbeamten eingeführt worden sind, diskutierten Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe, der Angeklagte Wohlleben, der gesondert verfolgte André Kapke und der Angeklagte Gerlach immer wieder über die strategische Ausrichtung der Kameradschaft Jena.“

So gab der Angeklagte Gerlach im Ermittlungsverfahren am 1.12.2011 an, es habe Diskussionen gegeben, ob man mehr machen, insbesondere ob man sich bewaffnen soll. Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe seien dafür gewesen, er, Gerlach, und der Angeklagte Wohlleben dagegen. Am 12.12.2011 präzisierte er in seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung, es habe unter den genannten Mitgliedern der Kameradschaft Jena seit 1996 eine Richtungsdiskussion darüber gegeben, ob man sich bewaffnen soll. Für ihn seien das theoretische Diskussionen gewesen, aber Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe seien die Hardliner in den Diskussionen gewesen und hätten den Standpunkt vertreten – Frau Greger hat‘s gesagt –, dass man mehr machen müsse. Er, Gerlach, und der Angeklagte Wohlleben seien dagegen gewesen, Kapke eher unentschlossen. Wenn er von Bewaffnung spreche, sagte der Angeklagte Gerlach, meine er ausdrücklich Schusswaffen. Die Diskussionen darüber wären nicht abgerissen. Die Frage der Bewaffnung sei immer wieder ein Thema gewesen.

Am 17.1.2012 wiederholte der Angeklagte Gerlach in seiner Vernehmung, ab 1996 hätte sich eine Gruppe herauskristallisiert, zu der der Angeklagte Gerlach bei dieser Vernehmung auch den Zeugen Brandt hinzurechnete, die über gewalttätige Aktionen diskutiert habe. Handschriftlich hatte der Angeklagte Gerlach noch angemerkt, „theoretische“ Diskussionen. Gegen Gewalt seien er und der Angeklagte Wohlleben gewesen. Über konkrete Aktionen sei nicht gesprochen worden. Gewalt hätte gegen den Staat gerichtet werden sollen, eine Fokussierung auf Ausländer habe es nicht gegeben. In seiner in der Hauptverhandlung am 6.6.2013 vom ihm selbst verlesenen Einlassung teilte der Angeklagte Gerlach mit, er habe klarzustellen, dass es zutreffend sei, dass sie damals in der Szene diskutiert hätten, ob man seine politischen Ziele auch mit Gewalt durchsetzen könnte. Diese Diskussionen hätten allerdings relativ selten und nur über einen Zeitraum von wenigen Monaten stattgefunden, nicht etwa jedes Wochenende, es sei gerade kein permanentes Thema gewesen, wie der Generalbundesanwalt in seiner Anklageschrift meine. Außerdem sei die Diskussion nur theoretischer Natur gewesen. Er selbst habe es nicht für möglich gehalten, das die drei Untergetauchten Gewalt in der im der Anklageschrift vorgeworfenen Ausmaß ausüben würden.

Der Angeklagte Wohlleben hat sich zu diesem Punkt nur insoweit geäußert, dass er sich an solche Diskussionen nicht erinnern könne. Insgesamt sei er gegen Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzungen gewesen und habe immer zu Gewaltverzicht aufgerufen. Die Beschaffung und Verwendung von Sprengstoff vor dem Untertauchen sei in der Gruppe nie ein Thema gewesen, die Bewaffnung nur zur Selbstverteidigung und reine Privatangelegenheit, ich habe das thematisiert. Es habe keine Diskussionen gegeben, ob sich die Kameradschaft Jena bewaffnen sollen, in der Diskussion seien nur provozierende Aktionen gewesen. Die Aktionen hätten aber nie gewalttätig sein sollen. Die Angeklagte Zschäpe hat sich zu dieser Frage in ihrer Einlassung überhaupt nicht geäußert. Die Angaben des Angeklagten Gerlach sind uneingeschränkt glaubhaft. Er hat zu dem Punkt in drei Vernehmungen, die sich über einen Zeitraum von sieben Wochen erstreckten, stets inhaltlich konstante, sich wechselseitig ergänzende Angaben gemacht. Insbesondere hat er diese Angaben durch seine in der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung auch noch einmal im Kern bestätigt. Mit dieser Erklärung hat der Angeklagte Gerlach im Wesentlichen die aus seinen Vernehmungen gefolgerten Rückschlüsse des Generalbundesanwalts in der Anklageschrift angegriffen. In der Sache hat er die Einlassung aus dem Ermittlungsverfahren aufrechterhalten. Allerdings meint er nunmehr, und zwar entgegen seiner Angaben im Ermittlungsverfahren, wo er noch sagte, die Diskussionen seien nie abgerissen und immer mal wieder ein Thema gewesen, diese Diskussionen hätten nur relativ selten stattgefunden, damit meinte er nicht etwa jedes Wochenende. Im Kern aber bleibt, dass unter Beteiligung des Angeklagten Wohlleben und der drei späteren NSU-Mitglieder, wenn auch nicht andauernde, so aber doch regelmäßig wiederkehrend und nie abreißend über die Bewaffnung mit Schusswaffen und Gewalt zumindest gegen staatliche Repräsentanten oder Einrichtungen diskutiert wurde und Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe solches als Hardliner befürworteten.

Wenn aber bei dieser Sachlage gerade diese drei Personen, nachdem sie bereits zwei Jahre im Untergrund lebten, eine Schalldämpferwaffe bestellen, nachdem sie bereits vorher Bewaffnung diskutiert hatten, um, so der Angeklagte Gerlach wörtlich, „mehr zu machen“, also bewaffnete Aktionen zu machen, dann kann kein Zweifel bestehen, dass der Angeklagte Wohlleben als Teilnehmer dieser Diskussionen zumindest die nicht fern liegende Möglichkeit erkannt hat, dass mit dieser bestellten Schusswaffe samt Munition ideologisch motivierte Tötungsdelikte begangen werden könnten. Dass der Angeklagte Wohlleben über genaue Informationen verfügte, und zwar auch noch Jahre nach dem Untertauchen der Drei, folgt nicht zuletzt auch aus seiner Bemerkung, die er gegenüber dem Angeklagten Gerlach gemacht hat, nachdem er in 2001 oder 2002 im Auftrag Wohllebens eine Pistole nach Zwickau gebracht hatte. Als der empörte Angeklagte Gerlach den Angeklagten Wohlleben fragte, zu welchem Zweck die drei die Schusswaffe nebst Munition eigentlich gebraucht hätten, antwortete der Angeklagte Wohlleben darauf, wie wir von dem Zeugen KHK Sch. wissen und was der Angeklagte Gerlach nicht in Abrede gestellt hat, dass die Drei die Waffen benötigen würden und es besser sei, wenn er, Gerlach, nicht wisse, was sie damit vorhätten. Er, der Angeklagte Gerlach, solle nicht weiter nachfragen. Der Angeklagte Gerlach schloss aus dieser Bemerkung, der Angeklagte Wohlleben wisse wohl mehr zu den Hintergründen des Waffentransports. Damit lag der Angeklagte Gerlach sicher richtig. Wie bereits bei dem vom Zeugen Helbig übergebenen Felsenkellerstraße-Päckchen verfügte der Angeklagte Wohlleben, anders als sein Kurier, schon damals über exklusive Kenntnisse zum Inhalt des Pakets. Weingarten: „Herr Vorsitzender, ich glaube, wir nähern uns den 45 Minuten.“ Es folgt eine Pause bis 15:00 Uhr.

Weiter geht es um 15:03 Uhr. OStA Weingarten: „Hoher Senat, ich war zuletzt stehen geblieben beim Gespräch zwischen dem Angeklagten Wohlleben und dem Angeklagten Gerlach, das sich nach der Waffenlieferung des Angeklagten Gerlach zugetragen hat. Der Umstand, dass das vom Angeklagten Gerlach geschilderte Gespräch mit dem Angeklagten Wohlleben mindestens ein Jahr nach der Lieferung der Ceska 83 stattgefunden hat, ist für die Beweiswürdigung ohne Bedeutung, denn es gibt keinen Anlass, anzunehmen, dass der Angeklagte Wohlleben ausgerechnet in dem Zeitraum zwischen der Lieferung der Ceska und der Lieferung durch Gerlach Hintergrundkenntnisse zu den Umtrieben der untergetauchten Drei erlangt hätte, die er nicht prinzipiell schon vorher hatte. Dabei ist zu bedenken, dass der Angeklagte Wohlleben auch schon zum Beschaffungszeitpunkt der Schalldämpferwaffe im engeren Kontakt zu den Untergetauchten stand und sie bereits zweimal persönlich besucht hatte.“

Dass der Angeklagte Wohlleben konkretes Wissen über vereinigungsbezogene Aktivitäten von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe hatte, folgt darüber hinaus aus einem verlesenen Behördenzeugnis des Thüringischen Landesamts für Verfassungsschutz vom 30.11.2011 wie auch aus der Bekundung des Zeugen Wießner. Danach berichtete der Zeuge Brandt seinem V-Mann-Führer am 10. April 2001, dass der Angeklagte Wohlleben in einem Gespräch am 1. April 2001 eine Geldspende für die Untergetauchten in Höhe von 500 DM abgelehnt hätte, weil die Drei in der Zwischenzeit schon wieder so viele Sachen oder Aktionen gemacht hätten, was Brandt allerdings nach den Angaben Wohllebens zum Eigenschutz eigentlich gar nicht hätte wissen dürfen. Es bestehen zunächst keine Zweifel daran, dass der Angeklagte Wohlleben dergleichen zum Zeugen Brandt gesagt hatte. Zwar konnte der Zeuge Brandt selbst auf entsprechenden Vorhalt in der Hauptverhandlung sich nicht konkret erinnern, bekundete aber, er gehe davon aus, dass diese Meldung zutreffe. Er habe stets die Wahrheit berichtet und halte den hier vorgehaltenen Sachverhalt auch für plausibel.

Weingarten: „Zur Integrität des Zeuge Brandt als Quelle und der daraus folgenden Validität dieser Angabe und der in der Folge vom Verfassungsschutz gefertigten Berichte habe ich bereits Ausführungen gemacht, die ich hier in Erinnerung rufe.“ Die Abfassung der dem Behördenzeugnis zu Grunde liegenden Erkenntnismitteilung, die von “Sachen/Aktionen” spricht, deutet einerseits auf die differenzierte und präzise Berichterstattung Brandts hin, weil er sich offensichtlich hinsichtlich des genauen Wortlauts Wohlleben, „Sachen oder Aktionen“, nicht mehr sicher war, dies aber durch Benennung der in Betracht kommenden Formulierungsalternativen offengelegt hat. Die Formulierung belegt andererseits die exakte und differenzierte Aufnahme durch den Zeugen Wießner. Er hat in seiner Vernehmung darauf hingewiesen, bereits während der Abschöpfungsgespräche ausführliche Notizen gemacht und einen Aktenbericht stets kurz danach gefertigt zu haben. Beide Gesichtspunkte belegen die hohe Authentizität des Behördenzeugnisses.

In der vermittels des Behördenzeugnisses verlesenen und auch dem Zeugen Wießner vorgehaltenen Quellenmitteilung heißt es ergänzend, aufgrund dieser „Sachen“ hätten sich mittlerweile neue Unterbringungsmöglichkeiten in Südafrika ergeben. Böhnhardt und Mundlos seien einverstanden, Südafrika werde von diesen beiden als Daueraufenthaltsort angestrebt. Die Angeklagten Zschäpe wolle allerdings nicht mit ins Ausland, weil sie keine Strafe zu erwarten hätte, und sich daher nach Abreise der zwei ins Ausland den Behörden stellen wolle. Auf entsprechenden Vorhalt des Vorsitzenden erklärte der Angeklagte Wohlleben, an dieser Stelle werde gut erklärt, dass das ihm zugeschriebenen Wort Sachen sich allein auf die Möglichkeit der Auslandsunterbringung bezogen hätte. Er, der Angeklagte Wohlleben, habe indes keine Ahnung, was es für „Sachen“ gegeben habe, was der Zeuge Brandt, wie im Bericht als seine Aussage formuliert ist, aus Eigenschutz nicht hätte wissen dürfen.

Für die Bundesanwaltschaft steht fest, dass der Angeklagte Wohlleben tatsächlich die Annahme der Geldspende des Brandt, die ja dazu diente, Hinweise zum Aufenthaltsort der drei Untergetauchten zu erhalten, mit der Begründung verweigert hat, die Drei hätten schon zu viele Sachen oder Aktionen gemacht. Und es steht fest, dass der Angeklagte Wohlleben damit dem Zeugen Brandt unverblümt zu erkennen gegeben hat, dass Böhnhardt und Mundlos und die Angeklagte Zschäpe damals bereits ausschließlich von der Begehung von Raubüberfällen lebten und der Angeklagte Wohlleben dies wusste. Dass Wohlleben sich gegenüber Brandt in dieser Weise öffnete, ist ohne weiteres erklärlich. Brandt stand damals noch vor seiner Enttarnung als V-Mann, er gehörte zum inneren Kreis der Unterstützter der Untergetauchten. Nach der Schutzbehauptung des Angeklagten Wohlleben hingegen sei es um eine Unterbringungsmöglichkeit in Südafrika gegangen und er habe gar keine Vorstellung davon, was denn der Zeuge Brandt aus Eigenschutzgründen habe wissen dürfen. Das ist weder in sich schlüssig noch mit den sonstigen Erkenntnissen kompatibel.

Es beginnt schon damit, dass auch der Angeklagte Gerlach, obschon er zum engeren Kreis gehörte, bereits vom Angeklagten Wohlleben zur Waffenlieferung belehrt worden war, dass es besser sei, wenn er, der Angeklagte, nicht wisse, was diese mit der Waffe vorhätten. Zwei enge Vertraute des Angeklagten Wohlleben haben also unabhängig voneinander berichtet, jeweils vom Angeklagten Wohlleben auf Nachfrage nach mehr Details mit den Worten beschieden worden zu sein, es sei besser, bestimmte Dinge eben nicht zu wissen. Wie sich der Angeklagte Wohlleben bei dieser Sachlage in seiner Einlassung derart ahnungslos geben und behaupten kann, er habe gar keine Vorstellung, was Brandt aus Eigenschutz nicht habe wissen dürfen, bleibt sein Geheimnis. Abnehmen kann man ihm die geltend gemachte Ahnungslosigkeit dazu, was man nicht wissen dürfe, nicht.

Auch die Behauptung des Angeklagten Wohlleben, die Verwendung der Vokabel „Sachen“ würde sich auf Möglichkeiten der Unterbringung von Böhnhardt und Mundlos in Südafrika beziehen, ist nicht glaubhaft. Ausweislich des Behördenzeugnisses hatte Brandt gemeldet, die drei bräuchten kein Geld mehr, weil sie in der Zwischenzeit schon so viele Sachen/Aktionen gemacht hätten. Brandt hat demnach die Wortverknüpfung „Sachen machen“ im Sinne von Aktionen verstanden. Das „Machen von Sachen“ oder Aktionen ist aber schon vom Wortsinn nur schwerlich mit dem vom Angeklagten Wohlleben behaupteten Sinnzusammenhang mit der Unterbringungsmöglichkeit im Ausland in Einklang zu bringen. Völlig sinnlos wird der vom Angeklagten Wohlleben behauptete Bezug zu Südafrika, wenn man hinzudenkt, dass nach der Quellenmeldung die drei in der Zwischenzeit schon wieder so viele Sachen/Aktionen gemacht haben sollen. Will der Angeklagte Wohlleben sagen, dass die Drei in der Zwischenzeit schon wieder so viele Unterbringungsmöglichkeiten in Südafrika gemacht haben? Die Bundesanwaltschaft versteht beim besten Willen nicht, was der Angeklagte Wohlleben da an sinnvoller Deutung nahelegen will.

Insbesondere ist aber nicht nachvollziehbar, wie die Zurückweisung einer Geldspende in sinnvollem Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Auslandsunterbringung stehen können sollte. Würde man der Einlassung in diesem Punkt glauben, hätte dieser damals den Zeugen Brandt sinngemäß das Folgende gesagt: Die drei brauchen Dein Geld nicht, weil sie in der Zwischenzeit schon wieder so viele Möglichkeiten in Südafrika gemacht haben. Das ist aber vor dem Hintergrund einer angebotenen Geldspende nicht nachvollziehbar, weil die bloße Existenz einer Unterbringungsmöglichkeit in Südafrika nichts mit dem Geldbedarf der drei Untergetauchten zu tun hat, im Gegenteil. Wenn überhaupt, würde eine Verbringung nach Südafrika schon unter Legalbedingungen und erst recht unter den Bedingungen von Flucht und Verborgenhalten einen erheblichen finanziellen Zusatzbedarf auslösen. Die Bemerkung über die vielen Sachen und Aktionen in Zusammenhang mit der Zurückweisung einer Geldspende belegt also, dass der Angeklagte Wohlleben darüber unterrichtet war, dass die drei zu diesem Zeitpunkt aus den von ihnen verübten Raubüberfällen über ausreichend Geld verfügten. Dass er das wusste, ist schon allein deshalb plausibel, weil er selbst bereits zu diesem Zeitpunkt 10.000 DM von den Dreien als Depothalter erhalten hatte. Angesichts der Summe ist auch ausgeschlossen, dass er sich einbildete, Mittel in der Höhe könnten die Drei durch Verkauf T-Shirts und Pogromly-Spielen erwirtschaftet haben.

Noch etwas ist bemerkenswert: Soweit der Zeuge Brandt dem Verfassungsschutz über angebliche Südafrikapläne und den Selbstgestellungsabsichten der Angeklagten Zschäpe berichtet hat, ist Brandt offensichtlich einem gezielten Täuschungsmanöver des Angeklagten Wohlleben zum Opfer gefallen, denn tatsächlich bestanden im April 2001 weder Ausreisepläne noch Pläne, sich den Strafverfolgungsbehörden zu stellen. Der Plan zur Ausreise nach Südafrika war nach der Einlassung der Angeklagten Zschäpe spätestens im Sommer 2000 aufgegeben worden, die Idee der Selbstgestellung im Frühjahr 1999. Anhaltspunkte für Bestrebungen, nach Südafrika auszuwandern, konnten für das Jahr 2001 anders als für die Jahre zuvor nicht festgestellt werden. Die Erklärungen des Angeklagten Wohlleben gegenüber Brandt beim Treffen am 1.04.2001 dienten ersichtlich dazu, in der Szene und damit auch im Hinblick auf mögliche Zuträger des Verfassungsschutzes und der Strafverfolgungsbehörden bewusst unwahre Gerüchte in Umlauf zu setzen, um mögliche szenebezogene und regionale Fahndungsmaßnahmen ins Ausschleichen zu versetzen.

Letztlich fügt sich diese Erkenntnismitteilung des Verfassungsschutzes, nämlich dass er, Wohlleben, davon wusste, zwanglos auch in die Einlassung des Angeklagten Wohlleben im Übrigen ein. Denn der Angeklagte Wohlleben hat mehrfach angegeben, er habe nach letzter Entgegennahme einer Spende im Frühjahr 1999 gewusst, dass die Drei kein Geld mehr benötigen würden. Spätestens damit ist ja eigentlich alles gesagt. Zwar will er angeblich nicht nachgefragt haben, warum ab Mitte 99 nicht mehr nach Geld gefragt wurde. Aber an einen Lottogewinn wird der Angeklagte Wohlleben ja wohl nicht geglaubt haben. Alle anderen nicht durch Raub erwirtschafteten Einkünfte, etwa durch Verkauf von T-Shirts oder des Pogromly-Spieles oder andere Tätigkeiten, für die es keine Anhaltspunkte gibt, hätten größenordnungsmäßig niemals einen Anlass gegeben, eine 500 DM-Spende abzulehnen. Dafür gibt es nur einen Grund, nämlich dass die finanzielle Situation der drei so abgesichert war, dass es auch Sicht des Angeklagten Wohlleben auf 500 DM mehr oder weniger nicht ankam und die damit verbundenen Risiken in keinem vernünftigen Verhältnis zu der mit der Spende verbundenen relativen Vermögensverbesserung standen.

Weingarten: „Lassen Sie mich, Herr Vorsitzender, Hoher Senat, Verfahrensbeteiligte, noch einmal zusammenfassen: Der Angeklagte Wohlleben war nach alldem über die aggressive, politisch-ideologische Haltung von Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe im Bilde, er wusste von den vor dem Untertauchen begangenen Straftaten; wusste von dem Besitz eines TNT-Sprengstoffgemischs von ca. 1,4 kg in der Garage und den dort lagernden halbfertigen Rohrbomben; er wusste von der Begehung von Raubüberfällen nach dem Untertauchen, aus deren Beute er selbst 10.000 DM erhalten hatte, und wusste davon, dass die drei Untergetauchten die strategische Bewaffnung der Kameradschaft Jena und die Begehung nicht nur propagandistischer Straftaten befürwortet hatten.“

In dieser Situation verlangen Böhnhardt und Mundlos von den Angeklagten Wohlleben und Schultze nicht nur eine scharfe Pistole mit Munition, was schon für sich genommen für sich gesprochen hätte, sondern auch noch eine Pistole mit Schalldämpfer mit Munition, und zwar viel Munition, möglichst viel Munition. Anders ist nämlich nicht zu erklären, dass der Angeklagte Schultze die fünfzig Patronen bestellte und erhielt.

Weingarten: „Zweifelt irgendjemand in diesem Saal wirklich daran, dass der Angeklagte Wohlleben wie angeklagt zumindest die Möglichkeit als nicht fernliegend in Erwägung gezogen hat – und das ist schon vornehm formuliert –, dass die untergetauchten Drei in welcher Personenkonstellation auch immer damit Menschen aus ideologischen Gründen töten wollten? Wir Vertreter der Bundesanwaltschaft glauben zu unserer sicheren Überzeugung, dass der Angeklagte Wohlleben zumindest das Bewusstsein der konkreten Gefahr, dass diese Fanal-Morde begehen werden nicht einmal den Schalldämpfer benötigt hätte. Wer unter diesen Vorbedingungen fanatischen Rechtsextremisten im Untergrund eine Schusswaffe liefert, der geht bewusst das naheliegende Risiko ein, dass von dieser Schusswaffe zu politischen Zwecken auch tödlicher Gebrauch gemacht wird. Und er weiß auch, dass er das Risiko nicht beherrschen und das künftige Verhalten der Schusswaffenbesitzer nicht steuern kann.“

Bereits die Überlassung einer funktionsfähigen Schusswaffe an Rechtsextremisten, die unter den genannten Umständen im Untergrund leben, geht notwendigerweise mit der Erkenntnis einher, dass diese Waffe auch tatsächlich in ihrer tödlichen Bestimmung eingesetzt werden könnte. Dies gilt im Hinblick auf die konkret angeklagte Tat nun erst recht angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte Wohlleben gemeinsam mit dem Angeklagten Schultze den Mitgliedern des NSU auf deren ausdrückliche Anforderung hin nicht nur eine scharfe Pistole, sondern eine mit Schalldämpfervorrichtung am Lauf, einen dazu passenden Schalldämpfer und auch noch eine ganze Schachtel Munition verschafften. Denn die Funktion des Schalldämpfers erschöpft sich in leisem Gebrauch der Pistole und ist daher im Wesentlichen bei Tötungen nutzbar zu machen, die möglichst unauffällig erfolgen sollen. Daher ist selbst in der Laiensphäre ein Schalldämpfer gleichsam ein Symbol für professionelle Tötung von Menschen. So war etwa auch für den Angeklagten Wohlleben offensichtlich, dass diese Pistole mit Schalldämpfer für Angriffe als Instrument politisch motivierter Angriff auf Staat, Gesellschaft und Politik eingesetzt werden könnte und nicht etwa als bloßes Drohmittel bei Begehung von Straftaten, Überfällen oder zur Verteidigung.

Und genau deshalb, weil er die sehr konkrete Gefahr des Einsatzes der Schalldämpferwaffe als Mordwerkzeug sah, berührte der Angeklagte Wohlleben die Ceska und den Schalldämpfer auch nur mit Lederhandschuhen, als der Angeklagte Schultze ihm die Waffe in seiner Wohnung zeigte. Indem der Angeklagte Wohlleben sich extra für das Aufschrauben des Schalldämpfers und das spaßig gemeinte Zielen auf den Angeklagten Schultze – womit er auch zu erkennen gegeben hat, dass ihm die tödliche Zweckbestimmung einer Schalldämpfer-Waffe nicht entgangen war – Handschuhe anlegte, offenbarte der Angeklagte Wohlleben, dass es ihm unbedingt darauf ankam, keine Spuren an der Waffe zu hinterlassen. Die Vermeidung daktyloskopischer Spuren wiederum ist nur dann sinnvoll, wenn man den Gebrauch der Waffe als Tatwerkzeug zumindest für möglich hält. Um die Aussagekraft des Gebrauchs von Handschuhen wissend, bestreitet der Angeklagte Wohlleben, Handschuhe getragen zu haben. Dieser Umstand ist aber belegt durch die entsprechende Aussage des Angeklagten Schultze. Dieser hatte zwar in der Hauptverhandlung angegeben, sich erst auf Vorhalt daran erinnert zu haben, dass der Angeklagte Wohlleben Handschuhe beim Aufschrauben des Schalldämpfers getragen hätte. Die ändert jedoch nichts an der Belastbarkeit dieser Aussage, an der der Angeklagte Schultze festgehalten hat. Insbesondere ist in der Vernehmung keine Suggestion erfolgt. Der Angeklagte Schultze war seiner eigenen Einlassung zufolge nach verschiedenen denkbaren Umständen oder Besonderheiten bei der gemeinsamen Waffenbesichtigung gefragt worden, darunter auch danach, ob vielleicht Handschuhe getragen worden seien. Durch diese konkrete Frage habe er eine Erinnerung an die vom Angeklagten Wohlleben getragenen Handschuhe wiedererlangt und diese Erinnerung sei in der Folge sicherer geworden.

Dies korrespondiert mit Bekundungen der Zeugin Ellen Ga. [siehe 246. Verhandlungstag], die über die Vernehmung am 6.2.2012 berichtet hat, und des Zeugen Timo Ko. [siehe 217. und 293. Verhandlungstag], der über die Vernehmung vom 15.2.2012 berichtet hat. Danach hatte der Angeklagte Schultze am 6.2. auf Frage zunächst geantwortet, es könne möglich sein, dass der Angeklagte Wohlleben beim Aufschrauben des Schalldämpfers Handschuhe getragen hatte. Bei der Vernehmung am 15.2. indes hatte er auf allgemeine Frage, ob er hinsichtlich der Bestellung der Schusswaffe ergänzende Angaben machen könnte, von sich aus die Verwendung von Handschuhen thematisiert und präzisiert, er könne sich noch daran erinnern, dass der Angeklagte Wohlleben schwarze Lederhandschuhe angehabt hätte, als er den Schalldämpfer aufgeschraubt hatte. Dieses Aussageverhalten korrespondiert ohne weiteres mit der Einlassung des Angeklagten Schultze zu einer nach und nach besser werdenden Erinnerung zu diesem Punkt.

Von Bedeutung ist auch, dass der Angeklagte Schultze die Handschuhe auf eine nur allgemeine Frage, also aus eigenem Antrieb, in der Vernehmung vom 15.2.2012 noch einmal ansprach und die Handschuhe nach Stoff und Farbe näher beschrieb. Es ist auch ohne weiteres nachvollziehbar, dass dem Angeklagten Schultze dieses Detail in Erinnerung geblieben ist, weil sowohl das Aufschrauben des Schalldämpfers als auch das Anlegen der Waffe ein in seinem Leben einzigartiges und alles andere als alltägliches Ereignis war. Schließlich fügt sich das Tragen von Handschuhen auch zwanglos ein in das Gesamtgeschehen. Es ist nämlich naheliegend, dass der in Sachen Eigenschutz sehr umsichtige Angeklagte Wohlleben angesichts seiner Vorerkenntnisse kein Interesse daran hatte, mit dieser Waffe eines Tages über diese Spuren in Verbindung gebracht zu werden, und genau deshalb vor dem Ergreifen der Waffe Handschuhe angezogen hat.

Und natürlich hielt er es auch für möglich, dass in Deutschland lebende Ausländer ins Visier geraten könnten. Es ist absurd anzunehmen, wie in der Hauptverhandlung zum Teil angeklungen ist, dass der Angeklagte Wohlleben wegen der offen antisemitischen Haltung von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und den Auseinandersetzungen mit der linken Szene Jena allenfalls auf den Gedanken gekommen sein könnte, nur jüdische Mitbürger und so genannte Linke könnten attackiert werden. Ende der 1990er Jahre waren die ständigen Attacken von Rechtsextremisten auf in Deutschland lebende Ausländer allgemeinkundig. Es ist ausgeschlossen, dass die Existenz solcher Vorfälle den politisch interessierten und in der rechtsextremistischen Szene aktiven Angeklagten Wohlleben entgangen sein könnten. Daher war ihm auch das Risiko bekannt, dass die, wie er selber auch, völkisch und ausländerfeindlich eingestellten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Waffe im Rahmen ihres Untergrundkampfes auch gegen in Deutschland lebende Ausländer richten würden. An dieser Stelle verweise ich auf die Kollegin Greger, die das erforderliche zum Hass etwa gegen Menschen türkischer Herkunft gesagt hat.

Weingarten: „Zusammengefasst wissen wir also zweierlei: Der Angeklagte Wohlleben war an der Beschaffung genau der Waffe beteiligt, mit der der NSU die Morde der Ceska-Serie begangen hat. Und der Angeklagte Wohlleben hatte bei der Beschaffung der Waffe das naheliegende Risiko gekannt. Es bleibt die Frage, was eigentlich den Angeklagten Wohlleben dazu veranlasst hat, sich an der Beschaffung der Schalldämpfer-Waffe samt Munition zu beteiligen. Worin sein Tatantrieb zu sehen ist, welche Zwecke er mit der Beschaffung verfolgte, in welchem Verhältnis der mögliche intrinsische und extrinsische Motivationsanteil zueinanderstanden, oder kurz: Warum bloß hat sich der Angeklagte Wohlleben unter diesen Bedingungen darauf eingelassen, sich an der Lieferung einer Schalldämpferwaffe zu beteiligten?“

Der Angeklagte Wohlleben hat als Motiv der Unterstützung der Untergetauchten lediglich die bestehende Freundschaft angegeben. Das stimmt aber nicht, denn die Lieferung von mindestens zwei Waffen – vergessen wir die Gerlach-Waffe nicht – war Teil des politischen Kampfes gegen den demokratischen Rechtsstaat. Denn den lehnte der Angeklagte Wohlleben wie auch die Drei politisch-ideologisch und in seinen tatsächlichen gesellschaftlichen Ausprägungen ab. Von ihm und seinen Repräsentanten fühlte er sich seiner eigenen Einlassung nach benachteiligt und verfolgt. Ferner ist zu beachten: Die persönliche Verbundenheit alle Beteiligten beruhte im Wesenskern auf der pointierten, von allen geteilten neonazistischen Einstellung. Die nationalsozialistische Einstellung bildete die Grundlage der freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Angeklagten Wohlleben, Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe. Der Hauptzwecke der Unterstützung bestand daher auch zunächst darin, die drei Untergetauchten vor einer Festnahme und damit vor einer Bestrafung zu bewahren.

Der Angeklagte Schultze berichtete in seiner Einlassung, dass das Motiv der Unterstützung das Gebot des Zusammenhalts der Szene angesichts der Bedrohung der Untergetauchten durch den Staat war. Für die hier in Rede stehende Beschaffung einer Schusswaffe mit Munition tritt hinzu, dass es zumindest im Sinne eines für möglich erachten darum ging, operative Handlungsmöglichkeiten für die als hoch gefährlich erachteten Gesinnungsgenossen zu schaffen. In jedem Fall war die Unterstützungstätigkeit insgesamt von einer nazistischen Gesinnung geprägt. Denn auch wenn der Angeklagte Wohlleben Gewalt gegen in Deutschland lebende Ausländer selber nicht angestrebt haben mag, vertrat er doch eine ausgeprägt ausländerfeindliche Haltung. Allein die in der Hauptverhandlung durch Zeugen und anders belegte Zugehörigkeit zur rechten neonazistischen Szene impliziert offenkundig eine intensive Ausländerfeindlichkeit. Darüber hinaus ergibt sich exemplarisch etwa aus den Bekundungen der Zeugin Walther, der damaligen Lebensgefährtin [des Angeklagten Wohlleben], dass die in der Szene politisch vor allem ventilierten Themen „Ausländer raus“ und Deutschland den Deutschen gewesen seien. Auch die Zeugin Jana J. [siehe 93. und 107. Verhandlungstag], damalige Freundin des Zeugen Kapke, beschrieb in der Hauptverhandlung die ausländerfeindliche und rassistische Prägung der neonazistischen Szene, die sie auch dem Angeklagten Wohlleben zuschrieb.

Der Zeuge Ha., an dessen Worte ich erinnerte, teilte mit, Böhnhardt habe gesagt, Ausländer seien nicht nur auszuweisen, sondern in KZ zu internieren und in ihrem eigenen Interesse zu vergasen. Der Umstand, dass dies alles den Angeklagten Wohlleben nicht von Aufrechterhaltung des freundschaftlichen Kontakts abhielt, wie der Umstand, dass sich Böhnhardt und Mundlos in SA-Uniform in der Öffentlichkeit und als Ausdruck völlig entgrenzter Radikalität auch in der KL-Gedenkstätte Buchenwald bewegten, belegt, dass bei ihm selbst eine dem historischen Nationalsozialismus entlehnte völkisch-ausländerfeindliche Ideologie vorlag.

In der für den Zeugen Kapke im Sommer 1998 erstellten und in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen und verlesenen Geburtstagszeitung, die von der Zeugin J. und dem Angeklagten Wohlleben erstellt worden ist, wird der Angeklagte Wohlleben in dem Artikel „Kinder immer krimineller“ unter dem Pseudonym R. Wolle als Rassist beschrieben, der auf einen „mit Drogen handelnden Neger geschossen habe“ und daher „in einem der zahlreichen multikulturellen Kindergärten zur Schocktherapie“ untergebracht werden sollte. Die Mitwirkung des Angeklagten Wohlleben an der inhaltlichen Gestaltung der Geburtstags-Zeitung und seine damit verbundenen Billigung des weitestgehend rassistisch-antisemitischen neonazistischen Inhalts ergibt sich nicht nur durch die herausgestellte Mitherausgeberschaft, „Herausgeber Wolle und Jana“, sondern auch aufgrund der in an der Zeitung festgestellten und dem Angeklagten Wohlleben zuzurechnende Fingerabdruckspuren, nachgewiesen durch daktyloskopisches Gutachten.

Schließlich ergeben sich aus dem in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Pogromly-Spiel – dessen Inhalt hatte ich erwähnt –, das der Angeklagte Wohlleben kannte und das er auch selbst gespielt hatte, was zudem auch aus den Aussagen H. und Walther folgt, weitere Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Angeklagten Wohlleben selbst. Denn die aktive Teilnahme an einem solchen Spiel selbst belegt eine positive Grundhaltung zu der rückhaltlosen, von völkischem Rassismus und Antisemitismus getragenen Befürwortung des Völkermords an den europäischen Juden im sogenannten 3. Reich, wie sie Böhnhardt und Mundlos offen zum Ausdruck brachten. Auch seine Beteiligung an der Puppentorsotat spricht hinsichtlich der Gesinnung für sich. Dass der Angeklagte Wohlleben grundlegende ideologisch politische Ansichten zum sogenannten 3. Reich mit Böhnhardt, Mundlos und der Angeklagten Zschäpe teilte und insoweit kein relevanter Dissens in der Kameradschaft Jena bestand, folgt weiterhin aus dem elitären Selbstverständnis des Zusammenschlusses des im Kern aus den Angeklagten Gerlach und Wohlleben, André Kapke und Böhnhardt und Mundlos bestehenden Kameradschaft Jena. Die Kameradschaft Jena verstand sich als elitärer Zirkel strammer Nationalsozialisten, die stolz darauf waren, bei der Mitgliederauswahl ausdrücklich auf politisch-ideologische Qualität statt auf die quantitative Größe gesetzt zu haben, wie der Angeklagte Wohlleben und v.a. der Zeuge Brandt als eingeweihter Beobachter der thüringischen Szene übereinstimmend in der Hauptverhandlung zu berichten wussten. Dieses an rein politisch ideologischen Kriterien bemessenes Selbstverständnis und die durch elitäres Selbstbewusstsein grundierte Gruppe setzten voraus, dass auch alle Gruppenmitglieder ein identisches Qualitätsverständnis verinnerlicht hatten. Alle mussten politisch-ideologisch gleich ticken.

Damit war die Übereinstimmung des politisch-ideologischen Wertesystems der Gruppenmitglieder aber zugleich auch notwendige Voraussetzung und Grundlage der persönlichen Beziehungen der Mitglieder untereinander und mehr noch – diese Menschen sind ja in der Konstellation überhaupt nur wegen ihrer politischen Gesinnung zusammengekommen. Damit bildet die Gesinnung gleichsam die Kern-DNA ihrer wechselseitigen Gemeinsamkeiten, und daraus folgt, dass die Grundlage der persönlichen Zusammengehörigkeit des Angeklagten Wohlleben mit Mundlos, Böhnhardt und der Angeklagten Zschäpe also gerade das politisch-ideologische Einvernehmen war. Natürlich kann es enge persönliche Verhältnisse, Freundschaften, gar Intimbeziehungen geben, die innerhalb einer gewissen Bandbreite über grundverschiedene politische Ansichten verfügen. Aber gerade wenn man sich wie die Mitglieder der Kameradschaft Jena in einem politischen Extremum bewegt, dann ist das Private politisch und das Politische privat, oder einfacher ausgedrückt: man kann nicht auf Gedeih und Verderb befreundet sein mit jemandem, der das Pogromly-Spiel verantwortet und in SA-Uniform durch die KZ-Gedenkstätte Buchenwald läuft, wenn man nicht selbst über eine entsprechend exzessive politische Grundhaltung verfügt, die einen dies alles gut heißen lässt. Für jeden anderen wäre die Grenze des freundschaftlich gerade noch Erträglichen bei Weitem überschritten gewesen.

Diese Grundübereinstimmung im Extremen hindert nun wieder eine Differenz hinsichtlich der Strategie des Verbandes nicht. Ob die Kameradschaft Jena also gewalttätig-revolutionäre oder legalistisch-systemintegrale Aktionsformen zur Überwindung des demokratischen Rechtsstaats anwendet oder nicht, Stichwort Bewaffnungsdiskussion, darüber mögen sie gestritten haben. Das beeinträchtigt die Integrität der gemeinsamen ideologisch-politischen Zielstellungen und Überzeugungen nicht und hindert daher als bloße Divergenz im Operativen nicht. Wenn also der Angeklagte Wohlleben angegeben hat, er habe Böhnhardt und Mundlos und die Angeklagte Zschäpe aus purer Verbundenheit und Freundschaft unterstützt, dann hat er diese drei stets auch aus einer tiefen politisch-ideologischen Verbundenheit unterstützt, und zwar gänzlich unabhängig davon, ob er praktisch betrachtet das Leben im Untergrund und Bewaffnung für gute Idee gehalten hat oder eine Selbststellung der Drei bei den Behörden für sinnvoller gehalten hätte.

Der politisch-ideologische Aspekt jeder Unterstützungshandlung, einschließlich und ganz besonders der Waffenbeschaffung, wird darüber hinaus belegt durch den Angeklagten Wohlleben und den Angeklagten Schultze, indem sie die dominierenden Gefühle von Widerwillen und Lästigkeit beschrieben haben, die die ständigen penetranten Begehren der Untergetauchten bei ihnen hervorgerufen haben. Dass der Angeklagte Wohlleben diese Gefühle von Lästigkeit über Jahre hinweg unter Inkaufnahme persönlicher Risiken überwunden hat, gerade um den Dreien zu helfen, offenbart nachgerade die politische Dimension der Hilfeleistung. Diese Unterstützungshandlungen waren von rein persönlichen Befindlichkeiten losgelöst und sollten es auch sein. Es ging bei der Unterstützung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Wahrheit und im Kern nicht um einen Freundschaftsdienst, sondern um einen Unterstützungsdienst im Kampf gegen das verhasste System. Auch wenn der Angeklagte Wohlleben als Repräsentant des legalistischen Arms des Rechtsextremismus um des politischen Kampfes willen nicht hätte töten wollen – die politisch ideologische Dimension der Unterstützungsleistungen war so bestimmend, dass dem Angeklagten Wohlleben die Verwirklichung politisch motivierter Wünsche des Angeklagten wichtiger war als der Schutz der Angehörigen der Gruppen der in Deutschland lebenden Ausländer, der in Deutschland lebenden Juden und der in Deutschland lebenden politischen Gegner aus dem Lager der Antifa und anderer linker Gruppen, die aus Sicht des Angeklagten Wohlleben allesamt und gleichermaßen durch die bewaffneten Untergetauchten an Leib und Leben konkret gefährdet waren.

Im Hinblick auf die kognitiven und voluntativen Hintergründe des Angeklagten Schultze bei Beschaffung der späteren Tatwaffe Ceska 83 stellt sich die Sachlage nach der Beweisaufnahme etwas anders dar als beim Angeklagten Wohlleben. Eine ganze Reihe von Gesichtspunkten, die beim Angeklagten Wohlleben dafür sprechen, dass er das Risiko einer Ermordung von neun in Deutschland lebenden Migranten insbesondere sehr genau einschätzen konnte, geraten hinsichtlich des Angeklagten Schultze in Wegfall. Dafür treten andere Punkte hinzu. Der Angeklagte Schultze hat sich sowohl im Ermittlungsverfahren und bei seiner Exploration – hierzu ist der Sachverständige Prof. Dr. Norbert Leygraf [siehe 193., 334. und 340. Verhandlungstag]gehört worden – als auch in der Hauptverhandlung mehrfach zu seinen Vorstellungen über die Zweckbestimmung der ihm abverlangten Schalldämpfer-Waffe geäußert. Er hat sich zusammengefasst dahin eingelassen, dass er sich nach dem Zwecke der angeforderten Schusswaffe weder bei Böhnhardt oder Mundlos erkundigt noch eine mögliche Zweckbestimmung mit dem Angeklagten Wohlleben erörtert haben. Zwar habe er die Sache „komisch“ – so wörtlich, gemeint ist wohl: seltsam – gefunden, auch habe er deswegen im übertragenen Sinne, so wörtlich, „Bauchschmerzen“ gehabt. Schließlich sei der Wunsch nach einer Waffe ja nicht normal. In welchen Überlegungen sich die so genannten Bauchschmerzen geäußert hätten, könne er nicht mehr sagen.

Letztlich hätte er für sich entscheiden, dass mit der Waffe wörtlich „nichts Schlimmes passieren“ werde. Er sei tief in die rechte Szene verstrickt gewesen, habe keine anderen Freunde gehabt und sei deswegen dem Wunsch nach einer Waffe ohne weiteres nachgekommen. Er habe den dreien vertraut, dass die mit der Waffe „keinen Unsinn machten“ Das sei so ein – so wörtlich – „Vertrauensding“ gewesen, er habe gedacht, den drei „Verrückten“ müsse man helfen, die seien vor dem Untertauchen nur wegen Propaganda-Delikten aufgetreten. Der Sprengstoff sei nicht zündfähig gewesen. Auch in einem Kripo-Live-Bericht sei die Sache eher banalisiert worden. Auch von den 1,4 kg TNT habe er seinerseits nichts gewusst, davon habe er erst nach dem 4.11.2011 gehört und gelesen. Der Angeklagte Wohlleben habe ihm gegenüber erklärt, die drei seien vor allem wegen der dem Uwe Böhnhardt drohenden Festnahme untergetaucht. Überhaupt habe auch der Angeklagte Wohlleben nicht mit einem Wort den Umstand problematisiert, dass die Drei eine Schusswaffe haben wollten, man müsse sich keine Gedanken machen. Niemals habe er gedacht, dass die Untergetauchten andere Straftaten als Propagandadelikte begehen könnten.

In der Hauptverhandlung äußerte der Angeklagte Schultze erstmals, er habe vermutet, dass die Waffe für Geldbeschaffungen bestimmt gewesen sein könnte, Banküberfälle, das sei seine Befürchtung gewesen. Es sei aber auch möglich, dass ihm dieser Gedanke erst nachher gekommen sei, als er das Bargeld von Böhnhardt und Mundlos erhalten habe. Keinesfalls hätte er gedacht, dass die Waffe tatsächlich zum Einsatz kommen würde. Den vom Zeugen Schultz erteilten Hinweis, zur Vermeidung einer Überhitzung des Schalldämpfers nicht so schnell zu schießen, habe er nicht an Böhnhardt und Mundlos weitergegeben, das habe wohl mit seinem schlechten Gefühl bei der Sache zu tun gehabt. Im Ermittlungsverfahren hatte er noch mitgeteilt, sich wegen des in dem Abrisshaus übergebenen Geldes keine weiteren Gedanken gemacht zu haben. Weingarten: „Ich würde jetzt, um die Angeklagten Wohlleben und Schultze tatsächlich abschließen zu können, noch knapp 20 Minuten brauchen.“ Götzl: Dann sollten wir noch eine Pause einlegen, bis 16:05 Uhr.

Um 16:06 Uhr geht es weiter. OStA Weingarter fährt fort: „Zu seinem Motiv, also zu der Frage, aus welchem Grunde er sich überhaupt auf die Beschaffung einer Schusswaffe mit Munition eingelassen habe, äußerte der Angeklagte Schultze, er sei hörig gewesen und hätte durch die Einbindung in die Unterstützerszene den Eindruck „ich bin wer“ gehabt. Es sei ein Aufstieg gewesen. Von so hochrangigen Personen wie den Angeklagten Wohlleben und dem Zeugen Kapke ins Vertrauen gezogen worden zu sein, das habe ihm ein gutes Gefühl vermittelt. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass der Angeklagte Schultze in der Hauptverhandlung Schwierigkeiten mit einer echten Introspektion hat. In seiner Innenbetrachtung neigt er zu massiven Bagatellisierungen. Relevante Tatsachen wie etwa die Bestellung eines Schalldämpfers oder das Böhnhardt und Mundlos berichtete Anschießen eines Menschen und das Taschenlampenattentat hat er ganz oder sehr lange zurückgehalten.“

Gleichwohl offenbart er hier zwei ganz wesentliche Punkte: Zum einen die Bauchschmerzen, die ihm die Lieferung bereitet hat, und zum anderen, dass er sich ganz bewusst entschieden hat, seine Hemmung zu überwinden und die Waffe gleichwohl zu liefern. Dies paraphrasiert der Angeklagte Schultze mit den Worten „er habe für sich entschieden, es werde schon nichts Schlimmes passieren“. Beide Aspekte – Bauchschmerzen und bewusste Entscheidung – belegen, dass der Angeklagte Schultze seine innere Hemmung, eine Waffe mit Schalldämpfer und Munition zu liefern, in einem bewussten Willensakt überwunden hat. Und die mit der Waffenlieferung unter den hier gegebenen Umständen entstehenden Bedenken bezogen sich auf ihre Eigenschaft als tödliches Schießgerät. Sein Bedenken bezogen sich nicht auf irgendeinen Gebrauch dieser Waffe als Drohmittel. Nur so ist zu erklären, dass der Angeklagte Schultze den vom dem Zeugen Schultz erteilten Hinweis, zur Vermeidung einer Vermeidung einer Überhitzung des Schalldämpfers nicht so schnell zu schießen, nicht an Böhnhardt und Mundlos weitergeben hat. Die Nichtweitergabe dieser Information führte der Angeklagte Schultze auf sein schlechtes Gefühl zurück, das er bei Beschaffung der Waffe gehabt habe. Und daraus folgt, dass sich das schlechte Gefühl gerade auch auf den Schalldämpfer und dessen Zwecksetzung bezogen hat, die eben nur durch eine tatsächliche Schussabgabe zutage tritt. Zu einem ausdrücklichen Geständnis zu seiner inneren Tatseite war der Angeklagte Schultze nicht willens oder nicht in der Lage.

Aber unter dieser Vorbedingung, dass er nicht willens und in der Lage war, konnte die geständnisgleiche Einlassung zu seiner inneren Lage gar nicht deutlicher ausfallen. Deutlicher als mit den Formulierungen – „habe mich entschieden, dass nichts Schlimmes passieren wird“, „Bauchschmerzen bei der Sache“ –, deutlicher als mit diesen Formulierungen konnte er die Gewissheit nicht ausdrücken, die Ceska 83 trotz eines glasklar erkannten Risikos beschafft und überbracht zu haben. Mit dieser Einlassung hat der Angeklagte Schultze es selbst ausgeschlossen, die Waffe in gänzlicher Naivität und völliger Gedankenlosigkeit beschafft zu haben. Vielmehr hat er, wenn auch etwas verklausuliert, eingeräumt, die Verwendung dieser Waffe und angesichts der unmissverständlichen Zweckbindung eines Schalldämpfers auch deren potentiell tödliche Verwendung ins Kalkül gezogen zu haben. Dabei erkannte er konkret die Möglichkeit, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit ihr Mordstraftaten aus ideologischen Gründen an ihren Feinden, seien es Juden, Repräsentanten des Staates oder seien es Menschen nichtdeutscher Herkunft, begehen würden. Allerdings sind ihm eine ganze Reihe von Wissenumständen nicht nachzuweisen, die bei dem Angeklagten Wohlleben [zur Begründung des Gehilfevorsatzes im Sinne eines]an der Grenze des positiven Wissens liegenden extrem hohen Risikobewusstseins [hinsichtlich der]von Böhnhardt und Mundlos begangenen Morde geführt haben.

Es beginnt damit, dass der Angeklagte Schultze zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe vor deren Untertauchen nur eine recht oberflächliche Bekanntschaft unterhalten hatte, die nur wenige Treffen umfasste. Zwar bestehen keine Zweifel, dass auch der Angeklagte Schultze die rechtsextremistische, den historischen Nationalsozialismus verherrlichende Einstellung von Böhnhardt und Mundlos kannte. Eine ernstzunehmende Freundschaft unterhielt der Angeklagte Schultze aber im Gegensatz zu dem Angeklagten Wohlleben schon wegen des erheblichen Altersunterschieds zu keinem der Drei. So ist auch nicht sicher, ob er bereits wie der Zeuge Helbig aus eigener Anschauung dazu gekommen wäre, es handelte sich bei den dreien um Rechtsterroristen. Im Gegensatz zum Angeklagten Wohlleben verfügte der Angeklagte Schultze auch über keine Kenntnisse über den in der von der Angeklagten Zschäpe angemieteten Garage aufgefundenen Sprengstoff. Er hatte sich im Gegensatz zu dem Angeklagten Wohlleben im Vorfeld des Untertauchens auch nicht an Straftaten von Böhnhardt und Mundlos und der Angeklagten Zschäpe beteiligt; insbesondere hatte sich der Angeklagte Schultze im Gegensatz zu dem Angeklagten Wohlleben auch nicht an den fortwährenden Strategie- und Bewaffnungsdiskussionen der Kameradschaft Jena beteiligt. Er hatte daher auch keine unmittelbare Kenntnis über die bereits beschriebene Haltung von Böhnhardt und Mundlos und der Angeklagten Zschäpe zu der Frage bewaffneter Aktionen.

Auch ist der Angeklagte Schultze anders als der Angeklagte Wohlleben nach Übernahme seiner Unterstützungstätigkeit gegenüber Dritten nicht mit relevanten Äußerungen in Erscheinung getreten, die ein relevantes Sonderwissen zur Ideologie der Untergetauchten offenbart hätten. Der Angeklagte Schultze hat gegenüber Dritten nicht zu erkennen gegeben, dass er mit anderen Unterstützern [sein Wissen]zu deren eigenem Besten nicht zu teilen gedenke, so wie der Angeklagte Wohlleben dies gegenüber den besorgten Kurieren H. und Gerlach und auch gegenüber den Zeugen Brandt getan hatte. Auf der anderen Seite ist die Bundesanwaltschaft aber davon überzeugt, dass der Angeklagte Schultze nicht zuletzt durch seine Involvierung in die rechte Szene Jenas schon bei Übernahme des telefonischen Kontakts wusste, dass es sich bei den drei Untergetauchten um besonders radikal und radikal agierende Repräsentanten des rechtsextremen Szene handelte, die extrem ausländerfeindlich und antisemitisch eingestellt handelten und im Verborgenen Straftaten planten, vorbereiteten und ausführten und deshalb als besonders exponierte Figuren der örtlichen Szene galten. Gerade deshalb war der Angeklagte Schultze von besonderem Stolz erfüllt, als Unterstützer und Vertrauensperson von den Dreien ausgesucht worden zu sein, und genau deshalb empfand er die Unterstützungshandlungen und diese Tätigkeit auch als erhebliche Aufwertung seiner selbst.

Sofern er nicht zuvor von so genannten Kameraden ins Bild gesetzt werden sollte, erfuhr er Näheres über die Bereitschaft der drei Untergetauchten zur Begehung ganz erheblicher Straftaten seiner eigenen Einlassung folgend allerspätestens am 22.2.1998, als er in der Fernsehsendung des MDR, Kripo Live, einen Bericht über Böhnhardt und Mundlos und die Angeklagte Zschäpe und insbesondere einen Hinweis und die Ergebnisse von Durchsuchungen in der Garage am 26.1.1998 sah. In dieser Sendung, die wir in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen haben, wurde insbesondere die am Theater abgestellte Bomben nebst Koffer gezeigt. In diesem Zusammenhang erklärte die damalige Sprecherin des LKA Thüringen sowohl, dass es sich um industriell hergestellten Sprengstoff gehandelt habe, als auch, dass sie mangels Zünder nicht sprengfähig gewesen war. Eingehend thematisierte die Sendung die am 26.1.1998 sichergestellten Asservate in Bild und Ton. Ausdrücklich hob die Sprecherin des LKA Thüringen die vorgefertigten Rohrbomben und den Fund von Sprengstoff hervor, ohne dabei auf eine auch nicht gegebene Attrappenhaftigkeit der Bombe hinzuweisen. Die Sprecherin erklärte im Gegenteil ausdrücklich, dass die Rohrbomben – ohne den Zusatz Attrappe –, die jetzt gefunden wurden, geeignet sind, in der Bevölkerung Unruhe, wenn nicht sogar Angst hervorrufen. Beim Zuschauer konnte kein Zweifel an der Gefährlichkeit der Sprengsätze bestehen.

Damit war der Angeklagte Schultze spätestens zu diesem Zeitpunkt darüber informiert, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe über gemeingefährliche Tatmittel verfügten und im Geheimen daran herum laboriert hatten. Dass dies über die Vorbereitung von Propagandadelikten hinausgegangen war, hat sich ohne weiteres auch dem den Angeklagten Schultze erschlossen, auch wenn er in seiner ersten Vernehmung noch von Attrappen gesprochen hatte. Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass der Angeklagte Schultze, nachdem er diese Fernsehsendung gesehen hatte, wie alle anderen Zuschauer auch mit der Möglichkeit gerechnet hat, dass der am 26.01.98 in der Garage aufgefundene Sprengstoff bei ungestörtem Verlauf mittels zündfähiger Rohrbomben zur Umsetzung hätte gelangen können. Auch diese Erkenntnislage des Angeklagten Schultze muss in der Gesamtschau mit der Bestellung und Lieferung einer Schalldämpferpistole mit fünfzig Schuss Munition angesichts der Zweckbestimmung eines solchen Tatmittels bereits zu der sicheren Überzeugung führen, dass er die Waffe in Kenntnis der Möglichkeit beschafft und übergeben hat, dass damit Ausländer in fremdenfeindlicher Absicht erschossen werden sollten. Erwähnenswert ist gleichwohl, dass der Angeklagte Schultze unmittelbar vor der letztlich strafbegründenden Beschaffung der Ceska 83 eine weitere, zweifache Steigerung seines relevanten Risikowissens erfahren hatte:

Zum einen erfuhr der Angeklagte Schultze bei der Übergabe der Ceska von Böhnhardt und Mundlos, dass diese stets bewaffnet seien und bereits über eine Maschinenpistole verfügten. Dem kommt deshalb eine erhebliche Bedeutung zu, weil dem Angeklagten Schultze dadurch klar werden musste, dass es bei der bei ihm bestellten Pistole mit Schalldämpfer nicht nur um ein bei Banküberfälle eingesetztes Drohmittel gehen sollte, denn dazu hätte auch die Maschinenpistole eindrücklich genutzt werden können. Damit war zugleich klar, dass die noch in seinem Besitz befindlichen Ceska noch zu anderen Zwecken dienen sollte, als dem einer bloßen Droh- oder Zwangsgebärde. Dafür, dass es dem Angeklagten Schultze nicht bewusst geworden sein sollte, dass der Zweck der Waffe hochwahrscheinlich ein tödlicher war, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Vor allem erfuhr der Angeklagte Schultze ganz konkret und höchstpersönlich durch Böhnhardt und Mundlos selbst, dass diese bereits Mordversuche begangen hatten.

Denn die beiden eröffneten ihm schon vor Waffenübergabe beim Kaffeetrinken, „ganz spektakulär“, wie der Angeklagte Schultze sich ausdrückte, dass sie in Nürnberg in einem Laden eine Taschenlampe abgestellt haben, die Sache habe aber nicht geklappt. Dieser Bericht stellt die zweite Stufe der Eskalation des Risikowissens des Angeklagten Schultze dar. Der Angeklagte Schultze kam nicht erst wie von ihm behauptet nach der Übergabe des Ceska 83, sondern sofort und sogleich zu dem Gedanken, dass es sich bei dem berichteten Taschenlampensachverhalt um einen versuchten Mordanschlag mittels einer selbstgebauten Bombe gehandelt hat; dazu hatte ich bereits Ausführungen gemacht. Diese Erkenntnis, dass beide ihm nebenbei einen Mordanschlag gestanden hatten, konnte ihm schon deshalb nicht, auch nicht für nur kurze Zeit verborgen geblieben sein, weil er ja wusste, dass Böhnhardt und Mundlos bereits vor ihrem Untertauchen mit Sprengstoff experimentiert hatten, sodass sich ihm die Assoziationskette, von der er selbst sprach, nicht erst nach der Gehilfentat, sondern vor der Waffenübergabe aufgedrängt hatte. Und wenn man sich jetzt nochmal vergegenwärtigt, dass der Angeklagte Schultze bereits vor der Waffenübergabe von dem Angeklagten Wohlleben erfahren hatte, dass Böhnhardt und Mundlos schon mal einen Menschen angeschossen hatten, dann bleibt für Zweifel daran, dass der Angeklagte Schultze zumindest die Gefahr der Begehung von Anschlägen für möglich gehalten hat, kein Raum mehr.

Im Gegenteil, gerade angesichts der Gesprächsinhalte unmittelbar vor der Übergabe der Ceska verlässt [der Vorsatz] des Angeklagten Schultze den Bereich des Für-Möglich-Halten ging bereits in die Sphäre des sicheren Wissens, ebenso wie beim Angeklagten Wohlleben, nur aus anderen Gründen. Es stellt sich schließlich die Frage aus welchen Beweggründen und Motiven er diese Beihilfehandlung letztlich beging. Anders als den Angeklagten Wohlleben verband den Angeklagten Schultze keine enge persönliche Verbindung mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, ihn verband mit diesen die Szenezugehörigkeit und die politisch-ideologische Verbundenheit. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere seiner Einlassung, ergibt sich, dass er zu deren Unterstützung auf Anfrage des Angeklagten Wohlleben und des Zeugen Kapke insbesondere deshalb bereit war, weil er neben einem szenebedingten Loyalitätsgefühl Stolz darüber empfand, von den als hochrangig empfundenen Führungsleuten Kapke und Wohlleben für diese von ihm als hervorgehoben wichtige Vertrauensstellung ausgewählt worden zu sein. Er habe durch die Einbindung in die Unterstützung das Gefühl gehabt, jemand zu sein. Er habe dies als „Aufstieg“ empfunden, das ganze habe ihm ein gutes Gefühl gegeben.

Der praktische Hauptzweck der Unterstützung habe nach seiner Einlassung zunächst darin bestanden, die drei Untergetauchten vor ihrer Festnahme und vor einer Bestrafung zu bewahren. Aber genauso wie beim Angeklagten Wohlleben war die Unterstützung der Untergetauchten auch für den Angeklagten Schultze notwendiger Teil des Kampfes gegen den demokratischen Rechtsstaat, den der Angeklagte Schultze gesellschaftlich und politisch ablehnte und von dem er sich wie die anderen Szeneangehörigen behördlich benachteiligt und verfolgt fühlte. Das beschriebene „gute Gefühl“ folgt genau aus der unter Beweis gestellten Kampfbereitschaft und ist nur denkbar auf Grundlage eines ideologischen Grundkonsenses. Die Beschaffung der Ceska 83 beruhte damit im Sinne einer notwendigen Bedingung auf einer von allen geteilten pointierten neonazistischen Gesinnung.

Damit war die Unterstützungstätigkeit des Angeklagten Schultze auch bei ihm von einer insgesamt neonazistischen Gesinnung geprägt. Auch wenn der Angeklagte Schultze Gewalt gegen in Deutschland lebenden Ausländer nach seiner unwiderlegten Einlassung ebenso wie der Angeklagte Wohlleben nicht anstrebte und er ein offenbar auskömmliches Verhältnis zu seinem ghanaischen Schwager unterhielt, nahm doch auch er eine rassistisch-völkisch geprägte ausländerfeindliche Haltung ein. So impliziert bereits die Zugehörigkeit zur neonazistischen Kameradschafts-Szene bereits für sich eine intensive Akzeptanz von Ausländerfeindlichkeit. Dies bestätigte der Angeklagte Schultze, der etwa angegeben hat, es habe Lieder rassistischen Inhalts gegeben. In Erinnerung habe er die Zeile „Afrika den Affen, Europa den Weißen“. Er habe sich damals als Nationalsozialist verstanden, er habe den historischen Nationalsozialismus glorifiziert. Zwar habe er einerseits nicht an den Völkermord an den Juden geglaubt, diesen aber andererseits durch das Mitgrölen von Liedern befürwortet. Es sei um Deutschtümelei gegangen, man sei gegen die Migranten gewesen. Die Hautfarbe von Menschen habe selbstverständlich eine Rolle gespielt. Er persönlich habe aber nicht gewollt, dass Ausländern oder Nichtweißen etwas passiert. Gleichwohl hat sich der Angeklagte Schultze an einem Angriff auf eine sogenannte Dönerbude beteiligt, die er gemeinsam mit anderen Gesinnungsgenossen des Nachts umgeworfen hatte. Zwar wollte er mit Hinweis auf situative Bedingtheit nicht einräumen, dass diese Aktion wesentlich von Ausländerfeindlichkeit motiviert war, erklärte aber nach langem Hin und Her, dass man das mit einer Bockwurstbude sicher nicht gemacht hätte.

Wie dem Angeklagten Wohlleben ist auch dem Angeklagten Schultze nicht nachzuweisen, dass er aus eigenem Antrieb an der Tötung von Ausländern mitwirken wollte. Bei der Beschaffung der späteren Tatwaffe der so genannten Ceska-Serie ordnete der Angeklagte Schultze jedoch die Möglichkeit ideologischer Mordtaten an Ausländern in Deutschland seinem eigenen Ansehen, der Realisierung seines persönlichen Geltungsbedürfnisses, den Aspekten von Zugehörigkeit in der Gruppe und Gruppenloyalität sowie der Fortführung des von ihm befürworteten Kampfes gegen den Staat unter. Basis all dessen war die rechtsextremistische ausländerfeindliche Einstellung des Angeklagten Schultze, und diese Einstellung ermöglichte es ihm erst, persönliche Bedenken gegen die Möglichkeit einer Ermordung von Ausländern in einer bewussten Abwägung gegenüber den gegen eine Lieferung der Waffe an Böhnhardt und Mundlos sprechenden Aspekten zurückzustellen.

Weingarten: „Herr Vorsitzender, die rechtliche Würdigung soll am Ende geschlossen vorgenommen werden.“ Götzl: Dann geht es am 31.8. weiter. Bevor wir an dem Tag weiter zu den Plädoyers kommen, sind Verlesungen vorgesehen und die Abbildungen der Bahncards sollen in Augenschein genommen werden. Hauptverhandlung wird unterbrochen und am Donnerstag, den 31.08.2017, um 9:30 Uhr fortgesetzt. Der Prozesstag endet 16:33 Uhr.

Presseerklärung von Vertreter_innen Nebenklage zum Zwischenstand des BAW-Plädoyers.

Für die Protokolle der Plädoyers der Bundesanwaltschaft nutzen wir neben unseren Mitschriften die bereits auf nsu-nebenklage.de veröffentlichten Protokolle und überarbeiten diese.

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