„Wir rufen die Öffentlichkeit dazu auf, die Plädoyers der Nebenklage zahlreich zu besuchen und sich ein eigenes Bild zu machen. Dort werden im Gegensatz zur Bundesanwaltschaft die ideologische und strukturelle Einbettung des NSU in eine organisierte rechte Szene, das staatliche Mitverschulden, die Auswirkungen der Taten auf die Betroffenen und die über Jahre hinweg betriebenen strukturell rassistischen Ermittlungen eine Rolle spielen. In den Plädoyers der Nebenklage werden auch erstmals sechs Familien von durch den NSU Ermordeten, von denen im Prozess niemand als Zeuge gehört wurde, die Möglichkeit haben, selbst oder über ihr Anwälte, ihre Sichtweise darzulegen.“
(Presseerklärung von Vertreter_innen der Nebenklage beim NSU-Prozess vom 01.08.2017)
Der NSU-Prozess in München ist vor der Sommerpause in die Plädoyerphase eingetreten. Zunächst verlas die Bundesanwaltschaft ihren Schlussvortrag, dieser wird wohl am 12. September beendet werden. Danach folgen die Plädoyers der Nebenklage.
In den letzten Jahren haben wir vor Ort in München aber auch bei Veranstaltungen das Interesse daran wahrgenommen, den NSU-Prozess als Zuschauer_in zu besuchen. Die kommenden Monate werden dazu die letzten Gelegenheiten bieten. Gleichzeit sollte die Plädoyerphase von einer antifaschistischen und antirassistischen Öffentlichkeit aufmerksam beobachtet werden. Die BAW nutzte ihr Plädoyer zu politischen Statements, sie stellte den NSU als „isoliertes Trio“ dar und diskreditierte jedes entgegengesetzte Argument als „Fliegengesumme“. Die Nebenklage-Anwält_innen werden dagegen die Perspektive ihrer Mandant_innen auf den NSU-Komplex deutlich zu machen.
Gerade zu diesem Zeitpunkt braucht es eine antirassistische Öffentlichkeit, die sich ausdrücklich und wahrnehmbar mit der Nebenklage, den Opfern, den Angehörigen und den Betroffenen des NSU-Terrors solidarisiert. In den Tagen während des Plädoyers der BAW zeigte sich eine sichtbare und sogar hörbare kritische Öffentlichkeit im OLG und vor dem OLG. Obwohl es zu Beginn des Prozesses Zweifel an der ausreichenden Anzahl der Plätze für die Öffentlichkeit gab, hat es sich in den letzten Jahren gezeigt, dass es an fast allen Prozesstagen ausreichend Platz für alle Interessierten gab. Leider war das öffentliche Interesse am NSU-Prozess nicht so groß, wie erwartet und wie es uns angemessen erscheint. Umso mehr ist die Anwesenheit einer antifaschistischen Öffentlichkeit ein Zeichen an die Prozessbeteiligten und an die Presse vor Ort, dass es Menschen gibt, die sich den Prozess anschauen, weil sie den NSU-Komplex, seine mangelnde Aufklärung und das Schweigen der Gesellschaft als Skandal empfinden. Wir wünschen uns, dass dies bis zur Urteilsverkündung und dem „Tag X“ weiter zunimmt.
Praktische Hinweise
Der Prozess findet im Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße 16 statt (Zugang: Ecke Nymphenburger Straße/Sandstraße; U-Bahnhof: Stiglmaierplatz).
Es ist meist ohne langes Anstehen möglich, als Zuschauer_in oder Pressevertreter_in der Verhandlung am OLG zu folgen! An einem „normalen“ Verhandlungstag, d.h. wenn keine vermeintlich spektakuläre Zeugin wie Brigitte Böhnhardt geladen ist, sind meist einige der 100 Plätze leer – spätestens aber ab der Mittagspause kann man sich sicher sein, reinzukommen. Lediglich bei 16 der ersten 97 Verhandlungstage waren laut Gericht morgens alle Plätze belegt.
Jeder Prozesstag beginnt um 9:30h. Vor dem OLG sind zwei Reihen zum Anstellen eingeteilt, an deren Anfang die Polizist_innen je nach Andrang die Leute einzeln oder in kleinerer Anzahl in das Gebäude lassen. Dort gibt es eine Kontrolle ähnlich wie am Flughafen, nehmt einen Personalausweis mit. Hinweis: Ohne gültiges Ausweisdokument (Perso oder Pass) kommt ihr nicht in den Saal, Führerschein o.ä. reicht nicht aus! Alle Taschen, Jacken müsst ihr dann unten abgegeben (kleineres Gepäck könnt ihr meist auch dort lassen). Zuschauer_innen dürfen im Gegensatz zu Pressevertreter_innen keinen Laptop o.ä. mit in den Saal nehmen, aber Papier und Stift! Wasser dürft ihr auch nicht mitnehmen, aber in den Pausen bekommt ihr Wasser und Kaffee, ohne dass ihr raus müsst.
Wenn ihr Fragen habt, könnt ihr (am besten per mail: mail@nsu-watch.info) NSU-Watch fragen. Gerne vermitteln wir „Prozesspat*innen“ und Gesprächspartner*innen vor Ort, damit ihr nicht allein den Prozess besuchen müsst. Darüber hinaus bieten wir euch an, Informationen über von euch geplante Aktionen, Kundgebungen etc. an unsere Netzwerke zu vermitteln.