Kurz-Protokoll 386. Verhandlungstag – 09. November 2017

0

An diesem Prozesstag verliest zunächst die Bundesanwaltschaft eine Stellungnahme zu einem Antrag der Verteidigung von Beate Zschäpe. Danach lehnt Richter Götzl einen Beweisantrag des Nebenklage-Anwalts Reinecke zur Anmietung der Garage ab.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:47 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Dann ist eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft zum Antrag der Verteidigung Frau Zschäpes vorab überreicht worden.“ OStAin Greger verliest dann die Stellungnahme:
Die Verteidigung der Angeklagten Zschäpe hat beantragt, mitzuteilen und klarzustellen, „verbunden mit welchen konkreten Tathandlungen Frau Zschäpe der – nunmehr tatmehrheitlich verstandene – Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemacht werden soll, ohne dass diese in der Anklageschrift Erwähnung gefunden haben“. Der GBA habe sämtliche Handlungen, derer er die Angeklagte verdächtigt habe, zur Begründung des Vorwurfs mittäterschaftlichen Handelns herangezogen, ein und dieselbe Handlung könne aber nach der Rechtsprechung des BGH nicht eine tatmehrheitliche Verurteilung tragen. Der Antrag lässt aus Sicht der Bundesanwaltschaft eine Verkennung der prozessualen Lage besorgen. Deshalb sind folgende Ausführungen zur Sach- und Rechtslage veranlasst:
Nach der Regelung des § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme darstellt. Nach § 264 Abs. 2 StPO ist das Gericht an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluss über die Eröffnung der Hauptverhandlung zugrunde liegt, nicht gebunden. Unter der Tat in diesem Sinne ist „das gesamte Verhalten des Beschuldigten, soweit es mit dem durch die Strafverfolgungsorgane bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet“, zu verstehen. Zur Tat gehört ohne Rücksicht darauf, ob sachlich-rechtlich Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt, das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt.
Die Kognitionspflicht des erkennenden Senats umfasst die gesamte Tat in diesem prozessualen Sinn. Daraus folgt, dass das Gericht seine Untersuchung in tatsächlicher Hinsicht auch auf die Teile der Tat zu erstrecken hat, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden.
Nach der vom OLG insoweit unverändert zugelassenen Anklageschrift des GBA beim BGH erstreckt sich der Anklagevorwurf auf bestimmtes, in der Anklage konkretisiertes Verhalten der Angeklagten im Zusammenhang mit der Organisation der terroristischen Vereinigung und mit den der Vereinigung zuzurechnenden, im Einzelnen in der Anklage aufgeführten Gewaltdelikten beginnend mit der Gründung der Vereinigung im Jahre 1998 bis zum Ende der Vereinigung im Jahre 2011.
Insbesondere erweist sich die Beschreibung konkreter Tatmodalitäten durch die Anklageschrift nicht als abschließend, sondern kann im Laufe der Hauptverhandlung angereichert, konkretisiert oder ergänzt werden. Wenn also – wie hier – im Laufe des Strafprozesses weitere mitgliedschaftliche Betätigungsakte der Angeklagten am Organisationsdelikt im Zeitraum von 1998 bis 2011 oder die näheren Begleitumstände der mittäterschaftlichen Beteiligungshandlungen der Angeklagten an den in der Anklage bezeichneten Gewaltdelikten feststellbar sind, hat der Senat von Amts wegen diese entscheidungserheblichen Tatsachen in die Urteilsfindung miteinzubeziehen.
Aus der Sicht der Bundesanwaltschaft hat die Beweisaufnahme insbesondere die Beteiligung der Angeklagten Zschäpe an der Anmietung und Kündigung der Wohnungen, der Legendierung und Absicherung sowie der Verwaltung der finanziellen und sächlichen Mittel der Gruppe aufgehellt und darüber hinaus die folgenden neuen Umstände ergeben:
– das Sprengstoffdelikt am 23.06.1999 in Nürnberg
– die Beschaffung der SIM-Karten über Sandy N., Beatrix Ja., Janine St., E. und Anett F.
– die Erstellung der Videoaufnahme der Fernsehberichterstattung über den Sprengstoffanschlag in der Kölner Keupstraße im Juni 2004
– die Bezahlung des Angeklagten Eminger im Juni 2011 (Disneyland)
– die Abholung des Reisepasses des Angeklagten Gerlach am 16.06.2011
Diese Sachverhaltsergänzungen vermögen die Angeklagte im Übrigen auch nicht zu überraschen. Sie konnte diese bereits aus dem Gang der Hauptverhandlung, insbesondere aus den Zeugenladungen, den diesen zugrunde liegenden jeweiligen Beweisthemen, den Inhalten der Beweisaufnahme wie auch aus ihrer eigenen Befragung durch den Vorsitzenden ersehen.

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass der Beweisantrag von NK-Vertreter RA Eberhard Reinecke auf Vernehmung von Klaus A. abgelehnt ist, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung seien bzw. bereits erwiesen seien.
Den hier unter Beweis gestellten Umständen könne ersichtlich nur dann tatsächliche Bedeutung zukommen, wenn es sich bei der männlichen Person, die die Angeklagte Zschäpe zum Zeugen A. begleitet und sich als ihr Freund ausgegeben habe, um Uwe Böhnhardt gehandelt habe. Diesen Schluss ziehe der Senat aus den im Rahmen der Prüfung als erwiesen unterstellten Beweistatsachen jedoch nicht. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass Zschäpe eine Reihe Bekannter gehabt habe, zu denen sie eine freundschaftliche Beziehung gepflegt habe. Es könne daher aus dem Umstand, dass sich Zschäpe beim Vertragsschluss in männlicher Begleitung befand, nicht darauf geschlossen werden, dass es sich bei dieser Begleitperson um Uwe Böhnhardt gehandelt hat. Die Frage, ob damals Uwe Böhnhardt noch „der Freund“ Zschäpes im Sinne einer bestehenden Beziehung war, könne in diesem Zusammenhang offen bleiben. Möglich sei jedenfalls die Konstellation, dass sich die damals 21-jährige Zschäpe zum Vertragsschluss mit A. in männlicher Begleitung habe begeben wollen: „Die Anwesenheit der männlichen Person wäre dann gegenüber dem Vermieter plausibel erklärt, wenn sich diese Person gegenüber dem Zeugen als ‚ihr Freund‘ ausgegeben hätte, ohne dass damit tatsächlich etwas darüber ausgesagt wäre, ob es sich bei dieser Person tatsächlich um den Freund der Angeklagten Zschäpe gehandelt hätte oder nicht.“
Eine sonstige Relevanz der unter Beweis gestellten Tatsachen sei weder vorgetragen noch erkennbar. Der Antrag, den Zeugen zu den Tatsachen zu vernehmen, dass es am 10.08.1996 zum Abschluss eines Mietvertrages zwischen dem Zeugen und Zschäpe über die Garage Nr. 5, An der Kläranlage in Jena gekommen ist, habe abgelehnt werden können, weil die Tatsachen bereits erweisen seien.

Götzl weist dann Zschäpe auf Folgendes hin: „Alle Tathandlungen, die als Vorwurf für das in Tatmehrheit zu weiteren Taten stehende Grunddelikt der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Betracht kommen, sind in der Anklageschrift thematisiert.“ [phon.] Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm: „Wir beantragen eine Abschrift und eine Unterbrechung von 20 Minuten bitte.“ Nahrath: „Wir schließen uns dem Antrag auf Unterbrechung an.“ Eminger-Verteidiger RA Hedrich: „Die Verteidigung Eminger schließt sich dem Unterbrechungsantrag an.“ Götzl: „Na gut, dann unterbrechen wir bis 11 Uhr.“

Um 11:02 Uhr geht es weiter. Götzl: „Sind irgendwelche Erklärungen?“ Zschäpe-Verteidiger RA Heer: „Frau Sturm und ich beabsichtigen, auf den soeben erteilten Hinweis prozessual zu reagieren. Dies ist heute nicht möglich, zumal wir die Sitzung um 12:30 Uhr verlassen müssen.“ Hedrich: „Der Angeklagte Eminger schließt sich dem Antrag an.“ Götzl: „Da muss ich schon nachfragen: Inwieweit ist Herr Eminger betroffen? Das bezieht sich doch alles auf Frau Zschäpe.“ Hedrich: „Zum einen muss das nicht begründet werden, zum anderen ist Herr Eminger ist vom Vorwurf 129a ja mittelbar betroffen.“ Götzl: „Unser nächster Termin wäre dann Mittwoch. Für Mittwoch wäre dann die Stellungnahme vorgesehen?“ Heer bejaht das. Götzl: „Dann wird unterbrochen, Fortsetzung, Mittwoch, 15.11.2017, 09:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 11:04 Uhr.

Hier geht es zur vollständigen Version des Protokolls.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.