Am 413. Prozesstag nimmt die Bundesanwaltschaft Stellung zu Anträgen der Verteidigung Wohlleben zum Lieferweg der Tatwaffe Ceska. Diese seien abzulehnen. Danach geht es um eine Absetzung von Prozesstagen zu denen die sog. „Altverteidigung“ von Beate Zschäpe Stellung nimmt. Sie wollen über diesen Weg von ihrem Mandat entbunden werden.
Der Verhandlungstag soll planmäßig um 11 Uhr beginnen. Um 11:15 geht es dann tatsächlich los. Nach der Präsenzfeststellung sagt Richter Götzl: „Ja, wir kommen zunächst zu den Stellungnahmen bezüglich der Gegenvorstellung.“ OStA Weingarten gibt für die Bundesanwaltschaft eine Stellungnahme ab. Dem Abtrennungsbeschluss seien keine dafür sprechenden Gründe zu entnehmen, dass der Senat den Angeklagten Schultze bewusst habe ausnehmen wollen. Weingarten: „Vielmehr entfalten die für die Angeklagten Wohlleben Eminger und Gerlach genannten Gründe auch für Schultze Geltung, jedenfalls im Hinblick auf die Übergabe von 500 DM [phon.] nach Übergabe der Ceska.“ Diese 500 DM [phon.] kämen entweder als Tatertrag oder als Tatertrag verjährter Tat [phon.] in Betracht. Angesichts dessen komme es auf die Einordnung des Ceska-Kaufgelds von 2.500 DM nicht mehr an. [phon.] Weingarten: „Nach alledem ist der Senatsbeschluss aus hiesiger Sicht auf den Angeklagten Schultze im Wege eines Ergänzungsbeschlusses zu erstrecken.“
Götzl: „Sind weitere Stellungnahmen? Keine. Dann geht es noch um Stellungnahmen zu dem von der Verteidigung Wohlleben gestellten Beweisantrag.“ OStAin Greger nimmt für die BAW Stellung:
Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Rosemann ist abzulehnen. Bei dem Antrag handelt es sich in erster Linie erneut um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Beurteilung sich an der allgemeinen Aufklärungspflicht zu orientieren hat. Gemessen daran ist die beantragte Beweiserhebung nicht geboten, denn die aufs Geratewohl gemachten, aus der Luft gegriffenen Behauptungen bieten aufgrund ihrer Haltlosigkeit keinen Anlass zu einer weiteren gerichtlichen Sachaufklärung. Kurz gesagt: Offensichtlich frei erfundenen Sachverhalten braucht der Senat nicht nachzugehen.
1. Soweit die Antragsteller den Antrag auf Vernehmung des Zeugen Rosemann darauf stützen, der Zeuge werde bekunden, dass ihm im Jahr 2000 bekannt gewesen wäre, dass sein guter Kumpel Länger in der Lage gewesen sei, scharfe Schusswaffen zu beschaffen, ist von einem förmlichen Beweisantrag auszugehen. Dieser ist abzulehnen, denn diese Beweistatsache ist für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Ob dem Zeugen Rosemann der Zugang von Jürgen Länger zu scharfen Schusswaffen im fraglichen Zeitraum bekannt gewesen ist oder nicht, erweist sich für die Beweiswürdigung nicht von Belang. Dass der Zeuge Länger tatsächlich in der Lage war, im Jahr 2000 eine scharfe Schusswaffe zu beschaffen, dafür spricht bereits hinreichend die Aussage des Zeugen Andreas Schultz.
2. Der weitere Antrag ist als Beweisermittlungsantrag zu qualifizieren. Die Antragsteller führen insoweit zwar mehrere Beweistatsachen an, die der Zeuge Rosemann angeblich bekunden wird. Ihr diesbezügliches Vorbringen entbehrt jedoch erneut das von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung auch im Zusammenhang mit einem Beweisantrag eingeforderte Mindestmaß an eine Plausibilität. Ruft sich der Senat ergänzend den Beweisantrag der Verteidigung vom 23.01.2018 in Erinnerung, wird die Beliebigkeit des neuerlichen Ansinnens der Verteidiger mit Händen greifbar. Die Antragsteller haben zunächst am 23.01.2018 einen Antrag auf Vernehmung der Zeugen Puskaric und Rosemann gestellt, den sie maßgeblich drauf gestützt haben, dass die Tatwaffe Ceska 83 unter nicht näher dargestellten Umständen von Puskaric in der Schweiz besorgt worden und zu einem nicht benannten Zeitpunkt unter nicht näher dargestellten Umständen über Sven Rosemann an Böhnhardt und Mundlos gelangt sei. Die Antragsteller haben sich in ihrem damaligen Antrag zur Übergabe an Böhnhardt und Mundlos weder zeitlich noch örtlich festgelegt, die Begleitumstände offen gelassen und vage von „geliefert“ oder „abgeholt“ gesprochen. Einen Schalldämpfer haben die Antragsteller auch nach ihrer Modifizierung des Antrags nicht erwähnt.
Vom Verkäufer Jürgen Länger als Kumpel von Rosemann war in diesem Antrag ebenfalls nicht die Rede, wohl aber von mehreren anderen Personen, die mglw. ihrerseits mit Waffen zu tun gehabt hätten. Wie wir bereits in unserer Stellungnahme vom 23.01.2018 im Einzelnen ausgeführt haben, stellten sich damals die ursprünglichen Beweisbehauptungen der Antragsteller vom 23.01.2018 als haltlos dar. Nunmehr haben sich die Antragsteller, wohl um dem Erfordernis der Konnexität Genüge zu tun, ohne weitere Erklärung eine neue Version der angeblichen Abläufe einfallen lassen. Sie haben dazu die Person Jürgen Länger eingefügt, das angebliche Geschehen mit mehreren Telefongesprächen angereichert und ein Treffen in Chemnitz im Juli 2000 erfunden. Jedoch hat nichts von alledem nach der durchgeführten Beweisaufnahme stattgefunden. Dementsprechend verhalten sich auch die Antragsteller nicht dazu, wie sie auf all die in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptungen zur Anbahnung des Geschäfts im Juni oder Juli 2000, zum Ankauf der Waffe von Länger, zum Verkauf durch Rosemann, zur Übergabe im Juli 2000 in Chemnitz und zur angeblichen Herkunft und Spezifizierung der angeblich von Rosemann an Böhnhardt verkauften Pistole der Marke Ceska 83 mit Schalldämpfer kommen. Sie berufen sich weder auf die Beweisaufnahme noch auf die Aktenlage. Das neue Konstrukt wurde von den Antragstellern offensichtlich ohne jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte schlichtweg erfunden. Demgemäß stellt sich das neuerliche Beweisverlangen hier wiederum zumindest als ein Prototyp eines ins Blaue hinein gestellten Antrags, wenn nicht gar als ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Verteidigung dar.
Hilfsweise beantrage ich den Antrag wegen Verschleppungsabsicht zurückzuweisen. Die Antragsteller haben weder die vom Vorsitzenden gesetzte Frist eingehalten, noch ist eine Glaubhaftmachung nach § 244 Absatz 6 Satz 4 StPO erfolgt. Die Antragsteller haben mit keinem Wort dargelegt, weshalb ihnen die rechtzeitige Stellung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Rosemann nicht innerhalb der vom Vorsitzenden gesetzten Frist möglich gewesen sein soll. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Fristsetzung, zur Prognose einer Verfahrensverzögerung und zur subjektiven Verschleppungsabsicht verweise ich auf die Stellungnahme zum Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben vom 23.01.2018. Die darin angeführten Gesichtspunkte gelten uneingeschränkt auch hier.
Götzl: „Sind weitere Stellungnahmen?“ NK-Vertreter RA Langer sagt, er wolle darauf hinweisen, dass der Beweisantrag die gleiche Problematik aufwerfe, dass nicht behauptet werde, dass hier die Tatwaffe geliefert wurde, sondern es sei nur von einer Pistole die Rede: „Hier soll ausdrücklich zudem keine Munition mitgeliefert worden sein und da würde ja die Beihilfe verbleiben, wenn durch die Lieferung der Munition ein Tatbeitrag gegeben gewesen wäre.“
Götzl: „Sollen noch Anträge gestellt werden?“ Zschäpe-Verteidiger RA Heer: „Wenn Sie möchten, hatten wir ja eine etwaige Modifizierung angekündigt. Das haben wir durchgeführt.“ Götzl: „Bitte!“ Heer verliest den modifizierten Antrag:
Wir, das heißt Herr Stahl, Herr Lickleder für Frau Sturm und ich, erklären im Hinblick auf die am 412. Hauptverhandlungstag gestellten Prozessanträge: Der unter Ziffer I. gestellte Prozessantrag wird nach der Gewährung ergänzender Akteneinsicht, aus der sich uns zuvor nicht vorliegende Erkenntnisse ergeben haben, wie folgt modifiziert: Der Antrag auf Abgabe einer dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden wird bezüglich der Ziffern 1, 3 und 4 nicht aufrechterhalten. Der Antrag unter Ziffer 2 hat hingegen Bestand, weil der Vorsitzende ohne erkennbaren sachlichen Grund die Entstehung von Verfahrenskosten verursachte, die entweder auch von Frau Zschäpe zu tragen sein werden, sofern sie verurteilt wird, im Falle ihrer Vermögenslosigkeit jedoch dem Steuerzahler zur Last fallen. Ergänzend wird insoweit beantragt, der Vorsitzende möge sich dienstlich äußern, warum die beiden in seinem Vermerk vom 20.02.2018 aufgeführten Telefonate mit RA Grasel und sodann mit RA Borchert erst am 20.02.2018 um kurz nach 08:00 Uhr und nicht schon direkt nach dem Eingang des Telefaxschreibens von RA Grasel vom 19.02.2018 geführt wurden, um die Terminsabsetzung noch vor Präsenz der Verfahrensbeteiligten am Gerichtsort zu verfügen. Der unter Ziffer II. gestellte Antrag auf Aufhebungen unserer Bestellungen bleibt aufrechterhalten.
Aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs haben auch unsere Ausführungen zur Prozessgeschichte unter Ziffer I. Bestand. Die Begründung dieses Antrags auf Seite 6, zweiter Absatz wird dahingehend modifiziert, dass für die Absetzung der gesamten Verhandlungswoche auch die telefonischen Mitteilungen der Rechtsanwälte Grasel und Borchert vom 20.02.2018 kausal waren. Ergänzend begründen wir den Entbindungsantrag damit, dass der Vorsitzende RA Klemke mit Schreiben vom 21.02.2018 auf dessen schriftliche Anfrage vom gleichen Tag zu dem Hintergrund der Terminsabsetzungen wegen Verhinderungen der Rechtsanwälte Grasel und Borchert trotz der Anwesenheit von RAin Sturm und RA Heer in München mitteilte, er hielte es nicht für sachgerecht, den letzten Termin vor dem Beginn des Schlussvortrags von zusammenarbeitenden Verteidigern in Abwesenheit aller dieser Verteidiger abzuhalten, wobei er auf unsere Bitte präzisierte, er meine damit die Rechtsanwälte Grasel und Borchert. Ein Grund, warum die Anwesenheit dieser Rechtsanwälte, also sogar beider Verteidiger, an einem Termin, für den lediglich ein „kurzes Programm“, so auch das Schreiben an RA Klemke, vorgesehen war, ist nicht ersichtlich, wobei wir uns nochmals auf das am Ende unseres Antrags wiedergegebene Zitat aus der Verfügung des Vorsitzenden vom 27.01.2016 beziehen. Gerade die angesichts des tatsächlichen Vortrags in der Antragsbegründung ersichtlich überflüssige Nachfrage des Vorsitzenden an uns, ob RAin Sturm und RA Heer am 20.02.2018 anwesend gewesen seien, offenbart, dass er nicht auf unsere, sondern auf die Teilnahme der Rechtsanwälte Grasel und Borchert fokussiert ist und wir damit letztlich zur Verfahrenssicherung nicht mehr gebraucht werden. Denn ansonsten hätte nichts näher gelegen, als unsere Anwesenheit in München telefonisch abzuklären bzw. mit der absetzenden Verfügung bis zur Terminsstunde zu warten.
Götzl: „Sie hatten mir mit Schriftsatz vom 27.02. mitgeteilt, dass Sie und Frau Sturm am 20.02. erkrankt waren.“ Heer: „Das habe ich gestern mitgeteilt.“ Götzl: „Ja, am 20.02. seien Sie erkrankt gewesen. Weswegen soll die Nachfrage überflüssig gewesen sein, ob Sie anwesend gewesen sind?“ Heer: „Beschäftigen Sie sich mit unserer Antragsbegründung.“ Götzl: „Stellungnahmen?“ Bundesanwalt Diemer sagt, er wolle das erstmal durchlesen und bittet um eine halbe Stunde Unterbrechung. Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 12:30 Uhr.“
Um 12:33 Uhr geht es weiter. Bundesanwalt Diemer nimmt Stellung. Für dienstliche Erklärungen fehle hier jeglicher Rechtsgrund: „Sie äußern sich grundsätzlich durch Verfügungen, Beschlüsse und Urteile und in dienstlichen Erklärungen, aber nur im Ausnahmefall, z. B. bei Befangenheitsanträgen. Eine solche Ausnahme liegt hier nicht vor. Nur nochmal, dass auch Herr Rechtsanwalt Heer versteht, worum es bei den Terminverfügungen geht: Der Vorsitzende wollte nur, dass die Angeklagte einen Verteidiger neben sich sitzen hat, den sie akzeptiert. [phon.] Nichts anderes ergibt sich aus der Korrespondenz mit Rechtsanwalt Klemke.“ Es sei nicht unbedingt notwendig, mit den anwesenden Pflichtverteidigern am 20.02. weiterzuverhandeln. Andererseits liege es auch auf der Hand, dass dieses Verfahren nicht mit RA Grasel allein und dem ständig abwesenden RA Borchert betrieben werden kann, sondern dass mehrere anwesende Verteidiger notwendig sind. Für die Entpflichtung sei nichts vorgetragen, so dass es rechtswidrig wäre, die Verteidiger gerade zum jetzigen Zeitpunkt zu entbinden: „Deswegen sind sämtliche Anträge zurückzuweisen.“
Götzl: „Zum weiteren Prozedere: Wir werden natürlich die gestellten Anträge beraten. Sofern wir den Zeugen Rosemann laden, denke ich, wird man ihn frühestens für den 8. laden können, es wäre wahrscheinlich nicht möglich, ihn für den 6. oder 7. bereits laden zu können. Falls wir einer Ladung nicht nähertreten würden, würde am 13.03. jedenfalls über die Anträge entschieden werden. Da wäre die Frage: Herr Rechtsanwalt Borchert hat mitgeteilt, dass er am 13. plädieren könnte. Sie ebenfalls, Herr Rechtsanwalt Grasel?“ Zschäpe-Verteidiger RA Grasel: „Meine Abstimmung mit Frau Zschäpe ist nicht weiter fortgeschritten.“ Götzl: „Was würde das heißen?“ Grasel: „Ich sehe mich nicht dazu in der Lage, am 13.03. zu plädieren.“ Götzl: „Am 08.03 wäre der nächste Termin. 6. und 7. würde ich absetzen, weil es ja nicht realistisch ist, diese Tage durchzuführen. Das wäre zu kurzfristig den Zeugen zu bekommen.“ Grasel: „Dann werde ich diese Tage dafür nutzen, um das fertigzustellen.“ Götzl: „Also Sie wären da jedenfalls – man muss natürlich abwarten wie das jetzt verläuft, am 13. wären Sie dann für den Schlussvortrag vorbereitet?“ Grasel: „Ich werde mir größte Mühe geben, das bis dahin zu schaffen.“ Götzl: „Ja, wir würden dann so verfahren. Sind denn noch Wortmeldungen dazu?“ Niemand meldet sich. Götzl: „Vorgesehen wäre dann den 6. und 7. abzusetzen, den 8. zu lassen, gegebenenfalls würde dann der Zeuge Rosemann geladen. Falls er nicht geladen wird oder falls er nicht erreichbar wäre, würde ich dann auch den 8. absetzen. Das würde dann im Bürowege erfolgen. Also 6. und 7. wird abgesetzt, bestehen bliebe der 8. Der würde gegebenenfalls auch abgesetzt, so dass dann am 13. fortgesetzt werden würde. Klar, Frau Zschäpe? Sind denn dann noch Anträge?“ Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Derzeit nicht.“ Götzl: „Dann würden wir fortsetzen am 8. März, das wäre der Donnerstag nächster Woche. Die Termine vom 6. und 7. werden abgesetzt. Dann ist die Hauptverhandlung für heute zu Ende. Wir sehen uns dann voraussichtlich am Donnerstag, 8. März, oder wenn der abgesetzt werden würde am 13.“ Der Verhandlungstag endet um 12:42 Uhr.
Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Oberstaatsanwältin Greger beantragte wenig überraschend, den Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben abzulehnen, und fand deutliche Worte: Die Aufklärungspflicht dränge nicht dazu, den Zeugen Rosemann zu hören, denn ‚offensichtlich frei erfundenen Sachverhalten braucht der Senat nicht nachzugehen.‘ Mehr ist zu diesem Antrag nicht zu sagen und die Ablehnung durch das Gericht scheint sicher. […] die Gefahr besteht, dass die Verteidigung Wohlleben nach Ablehnung ihres Beweisantrags erneut einen Befangenheitsantrag stellt, der zwar genauso haltlos wäre wie der Beweisantrag selbst, der aber zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens führen würde.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2018/02/28/28-02-2018/