NSU-Watch: „Die Ereignisse von Chemnitz bieten den idealen Nährboden für einen neuen NSU.“ Statement/Pressemitteilung vom 01.09.2018

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Das antifaschistische Bündnis NSU-Watch erklärt mit Blick auf die pogromartigen Ausschreitungen in Chemnitz: „Ereignisse wie die letzte Woche in Chemnitz stählten in den 1990er Jahren den NSU, ließen ihn Mut und Stärke für seine Taten gewinnen“

Unter dem Jubel von Neonazis wurde am 11. Juli 2018 das Urteil im ersten NSU-Prozess in München gesprochen. Die NSU-Unterstützer André Eminger und Ralf Wohlleben sind seitdem wieder auf freiem Fuß und in eine Neonaziszene zurückgekehrt, in der sie als Helden gefeiert werden. Das Urteil ist im terroraffinen Teil der Neonaziszene so verstanden worden, dass er von diesem Staat bei der Durchführung seiner Pläne kaum etwas zu befürchten hat. NSU-Watch-Vertreterin Caro Keller: „Dieses Urteil fällt in eine Zeit, in der wir in Deutschland eine massive rechte Angriffswelle erleben, bei dem die Ereignisse in Chemnitz vermutlich nur einen weiteren Höhepunkt und kein Ende darstellen.“

Aus der Aufarbeitung des NSU-Komplexes zeige sich deutlich: „Mit Blick auf die Entstehung des NSU finden sich zahlreiche erschreckende Parallelen zur heutigen Situation.“ Der NSU entstand aus der spezifischen Situation der 1990er-Jahre heraus, als der rassistische Mob auf den Straßen unter Applaus von Umstehenden Pogrome verübte, als Behörden und Politik Verständnis für den sich u.a. in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen offenbarenden Rassismus äußerten, als auch große Medien etwa durch ihre Titelbilder zur rassistischen Stimmung beitrugen. „Für die sich immer besser organisierende und vernetzende Neonaziszene zeigte sich, dass sich ihr gewalttätiger Rassismus auszahlt: Die Politik reagierte auf die Pogromstimmung im Land mit der faktischen Abschaffung des Asylrechts,“ so Keller weiter.

Für die Neonaziszene kam dies einer gesellschaftlichen Rückendeckung gleich und so entstand der NSU in den 1990ern in einer Szene, die sich von dem gesellschaftlichen Rechtsruck in ihren Aktivitäten bestätigt und befeuert sah: „Der NSU schritt mit der Vorstellung, dass die Bevölkerung im Grunde hinter ihren rassistischen Ideen stehe, zur Umsetzung seiner mörderischen Pläne.“

Heute treten Heidenau und Chemnitz an die Stelle von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Die pogromartigen Ausschreitungen in beiden Städten werden von der Neonaziszene als Erfolg gefeiert, die klatschenden Passant_innen stärken ihnen wieder den Rücken. Die terroraffine Neonaziszene hat sich in den letzten Jahren neu aufgestellt und agiert wie in den 1990er Jahren u.a. unter dem Label „Combat 18“, wie eine beeindruckende Recherche von Antifaschist_innen kürzlich aufzeigen konnte. Die Neonazis haben sich Waffen verschafft und verfolgen immer noch die gleichen Terrorkonzepte, die auch der NSU umgesetzt hat, und die auf einen Bürgerkrieg – „Rassenkrieg“ – und ein gesellschaftliches Umkippen in den Nationalsozialismus abzielen.

Anders als in den 1990ern handelt es sich heute jedoch um eine breiter aufgestellte Bewegung mit parlamentarischer Vertretung und jahrelanger Aktionserfahrung. Dies zeigt sich keineswegs nur, aber besonders deutlich in Chemnitz, wo Neonazis und rechte Hooligans große Mobilisierungswirkung auch über ihre eigene Szene hinaus entfalten können und wo Gruppierungen und Parteien wie „Pro Chemnitz“ und die AfD bereitwillig den organisatorischen Rahmen bieten.

Chemnitz ist die Stadt, in die sich Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einer Durchsuchung ihrer Garagen am 26. Januar 1998 als erstes absetzen konnten. Hier befanden sie sich keineswegs im Untergrund, sondern bewegten sich relativ offen in der sie unterstützenden Neonaziszene. Diese war nie weg und in den letzten Jahren ist eine Reorganisierung der Szene zu beobachten. NSU-Watch: „In diesen Tagen zeigt sich auch eine Kontinuität auf der Straße: Am vergangenen Montag nahmen auch viele Neonazis aus der Generation der 1990er Jahre an dem sogenannten Schweigemarsch teil. So wurde z. B. der NSU-Unterstützer Hendrik Lasch auf dem Aufmarsch gesichtet.“

Aktuell ist eine Situation zu beobachten, in der rechte Massenaufmärsche und die unzähligen rassistischen und rechten Angriffe von AfD und anderen rechten Parteien befeuert, normalisiert und verharmlost werden. Politiker_innen der anderen Parteien reden von einem Imageschaden für Sachsen oder Deutschland und versuchen ihrerseits die Ereignisse zu verharmlosen, während sie mit weiteren Asylrechtsverschärfungen den Forderungen der Rechten entgegenkommen. Gleichzeitig zeigen Medien und gesellschaftliche Vertreter_innen allzu häufig Verständnis für die „Sorgen und Ängste“ der Rechten. Diese „Sorgen und Ängste“ müssen aber vielmehr als Menschenfeindlichkeit in Form von Rassismus, Antisemitismus und Hass auf LGBTQI* benannt werden. Auch Polizei und Verfassungsschutz scheinen keine Lehren aus dem NSU-Komplex gezogen zu haben: In ihren Analysen stellen sie die Neonaziszene trotz ständiger Waffenfunde als unproblematisch dar. Vor diesem Hintergrund formiert sich eine gut organisierte, bewaffnete Neonaziszene mit den gleichen Konzepten wie der NSU. Keller zieht das Fazit: „Der Unterschied zu damals ist: Die Neonaziszene kann heute auf die Erfahrungen des NSU zurückgreifen. Gleichzeitig können wir als Gesellschaft diese Dynamik unterbrechen, indem wir die Lehren aus dem NSU-Komplex ziehen.“

Für Rückfragen stehen wir gern bereit: mail@nsu-watch.info
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