von Exif Recherche
Am Samstag, dem 15. Juni 2019, wurde in Kassel der Neonazi Stephan Er. (*21. September 1973) verhaftet, der verdächtigt wird, den Präsidenten des Regierungspräsidiums Kassel, Walter Lübcke, ermordet zu haben. Der dringende Tatverdacht ergibt sich nach vorliegenden Informationen daraus, dass am Tatort eine DNA-Spur des Verhafteten festgestellt werden konnte. Der CDU-Politiker Lübcke war am 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen (Nordhessen) mit einer Kurzwaffe aus nächster Nähe erschossen worden. Schon unmittelbar nach der Tat war die Täterschaft einer Person der extrem Rechten als wahrscheinlich erachtet worden, da sich Lübcke 2015 in der Diskussion um die Aufnahme von Geflüchteten gegen extrem Rechte gestellt hatte und für diese zu einer Hassfigur geworden war.
Der 45-jährige Stephan Er. aus Kassel ist Antifaschist*innen seit Anfang der 2000er Jahre bekannt. Er zählte in den 2000er Jahren zum engeren Kreis um die Neonazis Michel Friedrich und Mike Sa.. Er beteiligte sich an NPD-Auftritten und mindestens einer Sprühaktion und war 2007 in eine Schlägerei von Neonazis mit Nazigegnern verwickelt. Mike Sa. war eine Führungsfigur der Kasseler Neonazi-Szene. Michel Friedrich zählte zum Kreis der «Oidoxie Streetfighting Crew», die seinerzeit vorgab, das deutsche «Combat 18» zu repräsentieren. Letztmals in die Öffentlichkeit geriet Friedrich im Jahr 2015, als eine antifaschistische Recherchegruppe einen bevorstehenden Waffendeal auffliegen ließ, bei dem Friedrich einem führenden deutschen «Combat 18»-Mitglied zugesagt hatte, diesem «2 bis 3» scharfe Schusswaffen zu besorgen. Am 1. Mai 2009 war Er. zusammen mit sechs weiteren Neonazis aus der Kasseler Neonazi-Szene nach Dortmund gereist und beteiligte sich dort an einem Angriff auf die DGB-Demonstration. Dabei wurde er festgenommen.
Ein ausgestiegener Neonazi warnte in den 2000er Jahren davor, dass Er. ein «sehr gefährlicher Typ» sei und wegen eines versuchten oder vollendeten Totschlags zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Dabei handelt es sich – wie Zeit online meldet – um einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft im hessischen Hohenstein-Steckenrodt im Jahr 1993. Er. deponierte dort eine Rohrbombe, die von den Bewohner*innen gerade noch unschädlich gemacht werden konnte, bevor sie explodierte. Stephan Er. war auch 2016 Thema im hessischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Verbrechen des «Nationalsozialistischen Untergrunds». Er wurde von der Partei DIE LINKE in einem Beweisantrag als ein Beispiel für gewalttätige Kasseler Neonazis erwähnt. Der Neonazi und V-Mann Benjamin Gärtner bestätigte auf Nachfrage des Abgeordneten Schaus, dass ihm ein «NPD-Stephan» bekannt sei. Auffallend ist, dass selbst dem Untersuchungsausschuss, der jahrelang die gewalttätige Kasseler Neonazi-Szene durchleuchtete, keine Informationen über den Anschlag in Hohenstein-Steckenrodt zur Verfügung gestellt worden waren, der von einem Neonazi begangen wurde, der spätestens seit Anfang der 2000er Jahre in Kassel wohnte. Die vergangenen Jahre soll Er. in Süddeutschland gelebt haben. Erst vor kurzem sei er, so heißt es, wieder nach Kassel gezogen.
Es deutet derzeit einiges darauf hin, dass Er. zum Netzwerk «Combat 18» mindestens Kontakte unterhielt. Möglicherweise war er dort tiefer eingebunden. Eine zentrale Person des deutschen «Combat 18»-Ablegers ist der ehemalige Kasseler Stanley Röske, mit dem Er. spätestens seit den frühen 2000er Jahren bekannt ist. Exif hat erst im Jahr 2018 seine Recherchen über dieses terroristisch ambitionierte neonazistische Netzwerk offen gelegt. Es ist offensichtlich, dass dieses Netzwerk von Spitzeln verschiedener Behörden und Geheimdienste durchsetzt ist und deswegen seit Jahren von den Behörden, allen voran vom Verfassungsschutz, klein geredet und «an der langen Leine» laufen gelassen wird.