Elif Kubaşık ist die Witwe des am 4. April 2006 vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık. Im Folgenden veröffentlichen wir ein Transkript eines am 10. Juli 2018 vom Bayerischen Rundfunk (BR) mit Elif Kubaşık geführten und am Morgen des 11. Juli 2018, unmittelbar vor der mündlichen Urteilsverkündung im NSU-Prozess, veröffentlichten Fernsehinterviews. Nicht die Fragen, aber die Antworten sind wortwörtlich ohne Kürzungen, so wie sie in der veröffentlichten Aufzeichnung des Interviews in Übersetzung zu hören sind, transkribiert. Die Aufzeichnung des Interviews ist abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/Kubaşık-nsu-101.html.
Auf Frage nach der Bedeutung des Tages vor dem Urteil für sie, antwortet Elif Kubaşık:
„Ein Tag vorher sind wir hier und ich bin sehr, sehr aufgewühlt. Ich habe sehr, sehr widersprüchliche Gefühle. Ich weiß nicht, was für Strafen in diesem Verfahren rauskommen werden. Gerade kann ich auch gar nicht darüber nachdenken, was wird, wie geht alles weiter. Ich bin einfach sehr aufgewühlt.“
Auf Frage nach einer persönlichen Bilanz des Prozesses, antwortet Elif Kubaşık:
„Eine Bilanz? Ich würde nicht sagen, dass mir das Verfahren wirklich großes Vertrauen eingeflößt hat, weil so viele Fragen, die ich habe, die ich hatte, sind nicht beantwortet. Es ist –, es sind so viele Fragen, die nicht aufgeklärt sind. Es sind doch nicht nur diese fünf Leute, die angeklagt sind. Es sieht so aus, als würde man denken, wir bestrafen die fünf und dann ist alles vorbei. Das stimmt doch alles nicht. Jeder will sich einfach aus der Sache retten, indem man sagt, die fünf sind bestraft und die Sache ist vorbei und das darf es nicht sein, weil meine Fragen sind: Wer hat den denn geholfen, wer war denn alles dabei, wer hat die unterstützt, was war ihr Netzwerk, wie groß ist ihr Netzwerk, wer sind die Informanten, welche staatlichen Stellen wussten Bescheid? Das sind meine Fragen.“
Auf Frage nach der Bedeutung ihres Mannes für sie, antwortet Elif Kubaşık:
„Wir beide haben ja geheiratet, als ich noch ganz jung war. Wir waren beide jung. Er, einfach ein herzensguter Mensch. Ein Mensch, der Ihnen Sicherheit gibt. Ein Mensch, mit dem Sie sich gegenseitig lieben. Er war einfach alles für mich. Also der Vater meiner Kinder. Im Grunde eigentlich meine Welt. Meine ganze Welt.“
Auf Frage, wie sie den Tag nach dem Mord an ihrem Mann erlebt hat, antwortet Elif Kubaşık:
„Ja, ich werde die Tage auch nie vergessen. Einfach nie vergessen. Nie diesen Schmerz, den man fühlt, diese Angst, dieses Leid und die ständige Frage, warum tötet man so einen schönen Menschen, wie kann das sein. Also einfach, wirklich sehr leidvolle und sehr schwere Tage waren das für mich.“
Auf Frage, was sie gedacht habe, als die Ermittlungen wegen der Ermordung ihres Mannes sich gegen sie und ihr gesamte Lebensumfeld richteten, antwortet Elif Kubaşık:
„Die haben uns ja am Anfang sehr viele Fragen gestellt, also sehr viele Fragen. Hatte Ihr Mann mit jemandem Streit, was war vorher vorgefallen. Sehr, sehr viele Fragen, die sie uns gestellt haben. Sie haben nicht gesagt, dass sie mit den Hunden die Wohnungen durchsuchen werden, aber ich habe auch die Durchsuchung erlaubt. Ich wollte wissen, was ist. Die haben uns auch zum Verhör mitgenommen, zur Vernehmung. Meine Tochter Gamze und mich. Die haben uns fünf Stunden, sechs Stunden vernommen. Sie haben die Keller durchsucht. Sie haben das Auto durchsucht. Sie haben DNA von den Kindern genommen. Sie haben sogar den Staub von den Vorhängen gesammelt.“
Auf Frage, was es ihr abverlangt habe, über fünf Jahre immer wieder zum Prozess zu kommen und sogar dort zu sprechen, antwortet Elif Kubaşık:
„Das war für mich ein schwerer Akt hierher zu kommen. Schwer war das auch deswegen, sich hinzustellen und in die Augen der Mörder zu schauen. Das Schlimmste war für mich diese Frau, die Sachen, die sie im Gerichtssaal gemacht hat. Das tat mir so weh. Das verletzte mich so sehr, was sie machte. Ich habe aber immer wieder meine Kräfte gesammelt und immer wieder gesagt, reiß dich zusammen, mach weiter. Wenn Sie mich aber fragen, wie meine –, wie mein seelischer Zustand ist, dann würde ich sagen, ich fühle mich so, wie am Anfang des Verfahrens. Ich habe das Gefühl, ich bin unter einer Ruine vergraben und der Versuch, wie komme ich da raus.
Ich möchte Antworten auf meine Fragen haben. Ich möchte keine Fragen mehr im Kopf haben, über die ich immer wieder nachdenken muss und fragen, die ich immer wieder stellen muss. Ich möchte vom deutschen Staat, dass er aufklärt. Wer hat diesen Leuten geholfen? Welche Leute waren um diese Leute herum? Ich verstehe ja, dass die Angeklagten hier die Strafe, die sie verdienen, bekommen werden. Das sehe ich. Aber ich möchte wissen, wer alles noch dabei war. Sogar ein kleines Kind wird doch nicht glauben, dass sie ganz alleine waren als sie diese Morde begangen haben.
Ich möchte wissen, warum wurde Mehmet umgebracht? Warum wurde Mehmet ausgewählt? Wie ist das alle passiert? Das möchte ich alles wissen. Ich lebe in Dortmund. Ich sehe doch diese ganzen Nazis in Dortmund. Ich möchte einfach wissen, wie er umgebracht worden ist, weil ich auch keine Angst mehr haben möchte in Dortmund.“
Auf Frage, ob sie Pläne für die Zeit nach dem Prozess habe, antwortet Elif Kubaşık:
„Pläne? Nein. An Pläne habe ich nicht gedacht, weil dieses Gerichtsverfahren geht zu Ende, aber ich komme doch nicht zur Ruhe. Es ist hier nichts, was mich zur Ruhe bringen kann. Daher kann ich mir auch nicht irgendwie andere Pläne machen oder schauen, ob ich einen anderen Weg gehe.“
Auf Frage, wie sie sich heute in Dortmund fühle, ob sie den Eindruck hat, dass es dort ein Umdenken in Bezug auf Rechtsextremisten gab, ob sie sich dort geschützt fühle, antwortet Elif Kubaşık:
„In Sicherheit fühlt man sich nicht wirklich, weil es gibt ja ziemlich viele Aufmärsche. Ich kontaktiere auch die Polizisten. Ich frage die auch, ob man nicht was dagegen tun kann, dass sie ständig marschieren. Die sagen, wir können nichts dagegen tun, die Gerichte erlauben das und deswegen muss man es denen auch erlauben, dass sie das machen. Das verstehe ich schwer. Weil es gibt ja diesen SS-Siggi zum Beispiel alleine. Wenn ich dem begegne, schießt mein Blutdruck einfach in die Luft. Und ich geh dann natürlich, muss eigentlich, muss eigentlich zum Arzt. Nazis, Nazis gibt es sehr, sehr viel in Dortmund. Mittlerweile weiß ich auch in welchen Stadtvierteln sie alle leben.
Wenn die Nazis Aufmärsche organisieren, dann sind die oft in so Stadtvierteln, wo ziemlich viele Leute sind, also wo Massen, Menschenmengen sich bewegen. Wenn wir aber Demonstrationen anmelden, sind wir immer an ganz ruhigen Orten und oft an leeren Straßen. Dann fragen sie sich schon, wie kann das sein. Warum achten die Polizisten nicht darauf. Und so ein Vertrauen können Sie nicht wirklich fassen in die Polizisten.
Aber ich muss sagen, ich habe keine Angst mehr vor denen. Wenn zum Beispiel Gegendemonstrationen stattfinden, gegen die Naziaufmärsche, dann gehe ich zu fast allen Gegendemonstrationen. Die Polizei sagt dann oft, geht mal zurück oder kehrt mal zurück. Nein, das werde ich nicht tun. Ich werde gegen die kämpfen. Ich werde zu diesen Gegendemonstrationen gehen.“