15. Prozesstag, 03.09.2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

0

Am 3. September 2020 sagten im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum rassistischen Anschlag auf Ahmed I. im ersten Teil zwei ehemalige Mithäftlinge aus der aktuellen Untersuchungshaft von Markus Hartmann aus. Diese sollten zu Gesprächen mit Hartmann aussagen, zu denen sie auch teilweise Notizen gemacht hatten. Auch wenn sie angaben, sich teilweise nicht mehr zu erinnern, konnten die Verfahrensbeiteiligten einige Angaben erfragen. Hartmann habe geäußert, dass er die Tatwaffe zum Mord an Walter Lübcke vermittelt habe, dass er am Tag des Mordes auf einer Motorradfahrt gewesen sei. Er habe Befürchtungen geäußert, dass seine DNA in einem Auto gefunden werden könne. Über Ernst habe er gesagt, dass dieser viele unaufgeklärte Straftaten gegen Menschen mit anderer Herkunft und Religionszugehörigkeit begangen habe. Im zweiten Teil des Tages zeigten zwei Vermessungsingenieure der Tatortgruppe des LKA digitale Nachstellungen des Mordes an Walter Lübcke und Panorama-Bilder des Geländes rund um das Haus.

Zu Beginn des Prozesstages gaben verschiedene Verfahrensbeiteiligte Erklärungen zu den Aussagen von Anna E. und Habil A. vom letzten Prozesstag ab. Schneiders von der Verteidigung Hartmann sagte zu A., dieser stünde „im Lager von Ernst“ und habe entsprechend ausgesagt, dabei seien seine Angaben widersprüchlich gewesen. RA Kaplan von der Verteidigung Ernst führte aus, Anna E. habe die Aussage ihres Mannes bestätigt und nannte als Beispiel das von ihr gehörte Parken der beiden Autos. Danach sagte OStA Killmer, es seien nach dem letzten Prozesstag Polizisten zum Haus der Familie Ernst gesendet worden, um zu den Eingängen des Hauses zu ermitteln. Ernst willigte ein, dass man weitere Ermittlungen unter zur Hilfenahme seines Schlüssels machen könne.

Dann wurde der erste Zeuge des Tages, Hassan E., in den Saal geführt. Er saß mit dem Angeklagten Markus Hartmann in Untersuchungshaft in Frankfurt (Main), es ging nun um Gespräche, die er dort mit Hartmann geführt hat. E. sagte, sie hätten sich über Hobbies unterhalten, Hartmann habe gesagt, er repariere alte Waffen. Er habe bei einer „Demo gegen Ausländer“ teilgenommen, habe Hartmann erzählt. Zu Ernst habe Hartmann gesagt, sie hätten zusammengearbeitet, sie seien Freunde geworden. Er habe Ernst in den Schützenverein gebracht. Ernst habe eine Waffe gebraucht, Hartmann habe ihm eine gegeben, er habe aber nicht gewusst, dass Ernst diese für einen Mord gebraucht hätte. Von Schießübungen habe Hartmann nicht gesprochen, nur über den Schützenverein, aber darüber habe er keine Details erzählt. Der Vorsitzende Richter Sagebiel fragte, ob Hartmann Befürchtungen geäußert habe. Das verneinte der Zeuge. Sagebiel fragte, was Hartmann als seinen Haftgrund angegeben habe. E. sagte, Hartmann habe gesagt, er sei in Haft, weil er Ernst die Waffen verkauft habe. E. fügte hinzu, dass Hartmann ihm gesagt hätte, dass er am Tag der Tat eine Motorradtour unternommen habe und vom Mord erst im Fernsehen erfahren habe, Hartmann habe gesagt, er habe damit nichts zu tun.

Richterin Adlhoch fragte, ob Hartmann gesagt habe, dass er die Demonstrationen mit Ernst besucht habe. E. antwortete, er glaube, ja. Auf Frage nach dem allgemeinen Kontakt von Hartmann und Ernst sagte E., Hartmann habe erzählt, sie hätten sich im Schützenverein und einmal die Woche zum Bier trinken gesehen. E. antwortete auf die Frage Sagebiels, er habe zwar mit dem zweiten Zeugen des Tages Aufzeichnungen gemacht, habe aber damit nichts zu tun haben wollen. Er habe sich diesbezüglich auch nicht von der Polizei vernehmen lassen. Hardies von der Verteidigung Ernst fragte, ob ihm sein Verteidiger gesagt habe, dass er in Untersuchungshaft nicht reden solle. E. antwortete, dass müsse ihm niemand sagen, „das weiß ich selbst“. Man sage nur den groben Vorwurf und gehe nicht ins Detail. Hardies fragte, ob Mithäftlinge gesagt hätten, dass sie schuldig seien. E.: „90% sind unschuldig, was man so hört.“ Als daraufhin leises Gelächter im Saal aufkam, sagte Sagebiel, in Untersuchungshaft seien 100% unschuldig, so sei die Rechtslage, er wisse nicht, was es da zu lachen gäbe. Auf Frage von RA Clemens von der Verteidigung Hartmann sagte E., Hartmann habe über Ernst gesagt, dieser habe „was gegen Ausländer“. Danach wurde der Zeuge entlassen.

Der zweite Zeuge, Youssef E., wurde hereingeführt. Auch er saß mit Hartmann in Untersuchungshaft und sollte zu Gesprächen mit ihm berichten, er wurde von einem Dolmetscher aus dem Niederländischen übersetzt. Auf Fragen von Sagebiel sagte der Zeuge, er hätte mit ihm über alles mögliche gesprochen. Über den Mord selbst hätte Hartmann nichts gesagt, nur dass ein Freund das gemacht habe. Nach einem längeren Hin- und Her sagte Sagebiel, er werde ärgerlich, weil er glaube, dass E. nicht aussagen wolle, E. solle erzählen, was Hartmann gesagt habe. E. sagte, sie hätten über Ernst, über Waffengeschäfte und Hobbies gesprochen. Über die Tat direkt sei nicht gesprochen worden. Hartmann sei im Schützenverein gewesen, er habe Waffen demontiert, hergestellt, repariert, gekauft und verkauft, sagte E. auf Frage nach Hartmanns Hobbies. Mit seinem Freund Ernst sei er im Schützenverein gewesen. Sagebiel fragte nach den Waffengeschäften, E. antwortete, Hartmann habe erzählt, dass er sich aus dem Ausland – es wurden Frankreich und Belgien genannt – und im Internet Waffen kaufe und sie repariere, dann seien es richtige Waffen. Hartmann habe zum Mord an Walter Lübcke gesagt, dass er eine Waffe vermittelt habe.

Sagebiel fragte nach den Notizen von E., die im Verlauf der Befragung danach teilweise in Augenschein genommen wurden. Diese sind in niederländischer Sprache verfasst. Die Verfahrensbeiteiligten hielten jeweils die Übersetzung vor. E. sagte, er wisse nicht mehr genau, warum er diese geschrieben habe. Er habe seiner Frau einen Brief geschrieben, in dem er ihr von Hartmann berichtet habe, danach sei die Polizei gekommen, um ihn zu vernehmen. Sagebiel hielt aus dem Brief vor, vor Monaten sei ein Ex-Minister ermordet worden, der Mittäter säße mit ihm in der Abteilung, dieser habe beim Duschen alles gestanden, dann habe er in der Zeitung gelesen, dieser sei rechts, sie solle einmal danach googeln. Sagebiel fragte, was „alles“ heiße. E. sagte, „alles Mögliche“, dass er eine Waffe geliefert habe, er Kontakt mit Ernst gehabt habe. Sagebiel sagte, in den Aufzeichnungen stehe, dass Hartmann die Waffe vor vier oder fünf Jahren an Ernst verkauft habe, nicht vermittelt. E. sagte, dann habe es Hartmann so gesagt. Sagebiel fragte, warum E. von „Mittäter“ schreibe. E. sagte, das bedeute für ihn, dass er in die Sache verwickelt sei. Sagebiel hielt aus den Aufzeichnungen vor, am Tag des Mordes sei Hartmann mit einem Freund auf einer Motorradtour gewesen, gegen 1:00 Uhr sei er Hause gewesen, er sei dann eingeschlafen, aber habe niemanden, der das bestätigen könne.

Sagebiel fragte nach Befürchtungen von Hartmann. E. sagte, Hartmann habe gehofft, dass seine DNA nicht im Auto auf dem Beifahrersitz gefunden werde, die Übergabe der Waffe sei ja vier bis fünf Jahre her, da könne keine DNA mehr sein. Er habe auch Angst gehabt, dass Ernst eine Aussage oder eine Falschaussage über ihn mache. Er habe Angst gehabt, dass Ernst ihn in die Sache reinziehe. Sagebiel hielt aus der polizeilichen Vernehmung vor: Hartmann habe Angst, dass Ernst sage, er habe im Auto gesessen. Sagebiel fragt den Zeugen nach einem Chatprogramm, das Ernst und Hartmann genutzt hätten und hält aus der Polizeibefragung vor, Hartmann habe die Angst geäußert, dass die Polizei Gespräche zwischen Ernst und ihm finde, die sie zwei Wochen vor der Tat geführt hätten. Die Rede ist von einer App, die 20€ im Monat koste. Sagebiel fragte nach der politischen Einstellung Hartmanns. E.: „Ja, rechts.“ Sagebiel hielt aus den Aufzeichnungen vor: „Markus hat mir erzählt, dass er ein Arier ist“, er habe eine riesige Abneigung gegen jüdische Menschen. E. bestätigte das und die Angaben über Teilnahmen an Demonstrationen durch Hartmann, mal sei er mit Ernst da gewesen, mal mit anderen Menschen. Sagebiel hielt vor, Hartmann habe gesagt, Ernst habe weitere Straftaten begangen, die nicht aufgeklärt seien, gegen „Menschen mit ausländischer Herkunft“ und anderen Glaubensrichtungen. E. sagte, Konkretes dazu habe er nicht erfahren.

OStA Killmer hielt aus den Aufzeichnungen vor, Hartmann habe angegeben, dass Ernst ihm den Wohnort von Lübcke mitgeteilt habe. E. bestätigt das. Nebenklage-Vertreter Björn Elberling fragte nach den unaufgeklärten Taten. E. fügte nichts hinzu, Elberling kritisierte, dass dem nicht mit Nachdruck nachgegangen worden sei und dass sich die Polizei so leicht habe abwimmeln lassen, als sie E. ein weiteres Mal habe befragen wollte. Nebenklage-Vertreter RA Matt hielt aus der polizeilichen Vernehmung vor, dass E. dort gesagt habe, Hartmann sei für ihn kein starker Mann, sondern ein „Kind mit Knacks“, aber er sei voller Hass. E. sagte, „buchstäblich voller Hass gegen Ausländer vor allem“. Andere spezifische Personen habe Hartmann nicht genannt. Auf Nachfragen der Verteidigung Hartmann zeigte sich, dass die Vernehmung durch die Polizei am 18.12.2019 durchgeführt wurde, die geordneten, durchnummerierten Notizen habe er danach angelegt, vorher seien es nur vereinzelte Notizen gewesen, so E.. RAin Schneiders fragte, was Hartmann über seine Ex-Freundin berichtet habe. E. sagte, Hartmann habe gesagt, sie mache alles gegen ihn, er bestätigte auch, dass Hartmann gesagt habe, dass sie Lügen gegen ihn einsetze. Der Zeuge wurde dann entlassen.

Nun wurden die Vermessungsingenieure Martin Abel und Tobias Reich gehört. Sie erstellten im LKA Hessen Animationen und Panorama-Bilder zum Mord an Walter Lübcke, die sie zeigten. Zunächst ist ein Luftbild zu sehen, auf dem unterschiedliche Punkte auswählbar sind, auf denen sich virtuell um 180° gedreht werden kann. Dann wurde eine aufgrund der ersten Aussagen von Stephan Ernst und der Spurenlage vor Ort erstellte schematische Animation des Mordes gezeigt, in der sich ein einzelner Täter dem Haus nähert und den Mord verübt. In der zweiten vorgeführten Animation ist das Geschehen aus der Sicht des Täters zu sehen, es findet unter den am Tatabend angenommen Lichtverhältnissen statt. Zu sehen ist ein Version nach Ernsts erster und eine nach Ernsts zweiter Einlassung. Befragt zu den Lichtverhältnissen sagte Reich, man habe Tests mit Baustrahlern gemacht, zur Geschwindigkeit sagte er, die habe er aufgrund eigener Annahmen erstellt, da er vor Ort gewesen sei. Zum Ende des Verhandlungstages ging es erneut um Stufen, die Hartmann laut Ernsts aktuellem Geständnis auf dem Weg zu Walter Lübcke überwunden haben müsste. Soko-Leiter Muth hatte dazu angegeben, man müsse ein Akrobat sein, um dort keine Spuren zu hinterlassen, Reich sagte nun, das sei für ihn gar kein Problem gewesen. Danach endete der Prozesstag.

Der Bericht bei NSU-Watch Hessen