Am 8. Verhandlungstag zum Mord an Walter Lübcke und zum rassistischen Angriff auf Ahmed I. steht die Einlassung des Hauptangeklagten Stephan Ernst, die er durch seinen Verteidiger RA Kaplan verlesen lässt, im Mittelpunkt. Darin beschreibt er eine von Gewalt geprägte Kindheit, in der er nach der Anerkennung seines Vaters gestrebt habe. Während sich Ernst in seiner Aussage massiv als Opfer inszeniert, findet die Geschichte seiner neonazistischen Angriffe seit Ende der 1980er nur in Nebensätzen statt. Zum Mord an Walter Lübcke gibt er an, er sei mit Markus Hartmann vor Ort gewesen und habe geschossen. Danach folgt eine Befragung durch Mitglieder des Senats, bei der Stephan Ernst mehrfach seine Aussage zu dem änderte, was er und Hartmann mit der Waffe beim Angriff auf Walter Lübcke geplant hätten. Aus eventuellen Warnschüssen wurde der Plan, „auf jeden Fall“ auf Lübcke zu schießen.
Zu Beginn des 8. Verhandlungstags stellt RA Clemes von der Verteidigung Hartmann einen Befangeneitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Sagebiel, weil dieser keine Maßnahmen aufgrund der Veröffentlichung der Vernehmungsvideos von Stephan Ernst durch das Youtube-Format „Strg-F“ des NDR ergreife. Fast alle Verfahrensbeteiligten lehnen in ihren Stellungnahmen die Veröffentlichung ab, sehen aber keine Handhabe des Gerichts und keine Befangenheit des Vorsitzenden Richters.
Danach verliest RA Kaplan die Einlassung seines Mandanten Stephan Ernst, diese ist in der ersten Person verfasst. Zu Beginn wird betont, dass Ernst vielen Menschen Schmerzen bereitet habe und diese den Anspruch darauf hätten, zu erfahren, was passiert sei und wie es dazu gekommen sei. Er nennt dann seine persönlichen Verhältnisse, seinen Namen, die Namen seiner Eltern. Er sei seit 2001 verheiratet habe eine 16-jährige Tochter und einen 18-jährigen Sohn. Die Einlassung widmet sich dann ausführlich der Kindheit des Hauptangeklagten, die er als „Hölle aus Gewalt, Jähzorn und Einsamkeit“ beschreibt, dabei reiht er zahlreiche Beschreibungen der Alkoholkrankheit seines Vaters und der damit verbundenen Gewalt gegen seine Mutter und gegen ihn, Stephan Ernst, aneinander. Immer wieder betont Ernst hier, dass er um die Liebe seines Vaters „gebuhlt“ habe. Er habe seinen Vater gehasst und habe Phantasien gehabt, ihn umzubringen.
Ernst beschreibt in seiner Einlassung eine Episode aus der Kindheit, in der er sich mit einem „türkischen Jungen“ aus seiner Klasse angefreundet habe, sein Vater habe ihm das allerdings verboten und sich rassistisch diesbezüglich geäußert. Es geht danach um einen Umzug, weg aus Wiesbaden. Hier beschreibt Ernst ein weiteres wiederkehrendes Motiv seiner Einlassung neben der Gewalt und dem Wunsch nach Anerkennung durch seinen Vater: Den Verlust von Freunden, hier durch den Umzug, die Schwierigkeiten Anschluss zu finden und einen daraus resultierenden Rückzug, er habe außerdem schon als Kind Angstzustände gehabt. Aus dem Wunsch nach Anerkennung durch den Vater habe er schließlich dessen „Abneigung gegen Ausländer“ übernommen und begonnen zuhause rassistisch zu hetzten, obwohl ihn seine Mutter habe daran hindern wollen.
In die Beschreibungen seiner späten Jugend flicht Ernst in Nebensätzen seine massiven rassistischen Angriffe bis zur seiner Haft ein. Der Brandanschlag auf ein von Migrant*innen bewohntes Haus, der rassistische Messerangriff auf einen Imam und der versuchte Sprengstoffanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete erscheinen in der Einlassung als Nebensächlichkeiten. Vielmehr habe ihm sein „Hass auf Ausländer“ eine Orientierung gegeben. Ernst sprach dann davon, dass er sich während sei Haftzeit politisch radikalisiert habe, dort habe er auch den Wunsch bekommen, sich politisch zu organisieren und „nicht alleine zu sein“. In Haft habe er auch angefangen, Notizen über Personen anzulegen, an denen er sich rächen könne, um seine „Ehre wiederherzustellen“.
Während seiner Haftzeit in Kassel habe er „Leute aus der Techno-Szene“ kennengelernt, die sehr national eingestellt gewesen seien. Zu diesen hätte er Kontakt gehalten, habe dann durch sie auf einer Party „jemanden von der NPD kennengelernt“, darüber Personen von der Freien Kameradschaft Kassel, und auch Leute von den Autonomen Nationalisten, dort sei er dann bis zu seinem Ausstieg gewesen. Wer diese Personen waren, wird in der Einlassung nicht näher benannt. Mit diesen sei er regelmäßig auf Demonstrationen gefahren, bei denen sie die „Konfrontation mit der Antifa“ gesucht hätten. „Die Anti-Antifa-Arbeit begann“: Sie hätten Informationen über Leute gesucht, die sich gegen Rechts engagiert hätten, die Demonstrationen hätten immer in Gewalt geendet. Doch auch damals habe er Antisemitismus und die Rede von „höher- und minderwertigen“ Menschen nicht verstehen können. Er betrachte Adolf Hitler als Verhängnis für Deutschland. „Ich empfand mich nicht als Nazi.“ Seine Themen seien Überfremdung und das „Aussterben von Deutschen“ gewesen. Markus Hartmann kenne er aus dieser Zeit in der Szene. Nach wiederholten Beleidigungen gegen seine Frau sei er ausgestiegen und wollte „Teil der Gesellschaft“ sein.
Er habe Hartmann auf der Arbeit wieder getroffen, erst hätten sie unpolitische Gespräche geführt. Hartmann habe ihn gefragt, ob er mit in den Schützenverein kommen wolle, Ernst habe eingewilligt. Die Einlassung von Ernst knüpft hier an die wiederkehrende Motive der Erzählung an: Hartmann sei sein Mentor gewesen, er habe großen Respekt vor ihm gehabt und sei stolz gewesen, ihn zu kennen, er sei für ihn eine Mischung aus Freund und Vater gewesen. Hartmann habe die Gespräche gelenkt, diese seien immer politischer geworden, er habe auch immer öfter von Waffen gesprochen. Er habe davon gesprochen, dass es möglich sei, Dekowaffen wieder schussfertig zu machen, Ernst habe für ihn auf der Fräse Teile für Waffen hergestellt. Irgendwann habe Hartmann erzählt, dass er illegale Waffen und Munition herstelle. Hartmann habe gesagt, die Deutschen müssten sich bewaffnen, die politische Entwicklung ginge in Richtung eines Bürgerkrieges, man müsse das Abendland verteidigen. Damals sei ihm, Ernst, das schlüssig erschienen. Sie seien gemeinsam in den Wald zum Schießen gegangen. Das Wiedersehen mit Hartmann sei eine Mischung aus seiner Vergangenheit als Neonazi sowie eine „Zeit in der Prepper-Szene“ gewesen. Hartmann habe ihn manipuliert, radikalisiert und aufgehetzt, er habe es ihm erlaubt, so mit ihm umzugehen, er sei emotional von ihm abhängig gewesen.
Ernst geht dann auf gemeinsame Aktivitäten mit Hartmann ein, sie seien beim „Viertagesschießen in Melsungen“ gewesen und hätten Survivalwanderungen im Wald unternommen, sie seien nach Frankreich, Tschechien und Prag gefahren, Hartmann habe ihn zu AfD-Stammtischen mitgenommen. Sie seien auf Demonstrationen nach Erfurt, Chemnitz und Kassel gefahren. Hartmann habe mal eine Zielscheibe mit dem Gesicht von Angela Merkel gehabt und diese auch mit in den Verein gebracht. Hartmann habe gesagt: „Lübcke ist der Nächste.“ Lübcke sei jemand, an den man rankommen könne, im Gegensatz zu Merkel. Nach Nizza und Chemnitz hätten sie sich immer weiter in Bezug auf Lübcke radikalisiert. Dies habe er, Ernst, als plausibel und nachvollziehbar empfunden. Nach der Bürgerversammlung in Lohfelden habe Hartmann gesagt, dass man ihm einen Besuch abstatten sollte. Sie seien 2016 zum Haus gefahren, um sich umzusehen, das sei das erste Mal gewesen.
Die Einlassung wendet sich nun dem Mord an Walter Lübcke zu. Sie hätten sich Mitte/Ende Mai 2019 bei Hartmann getroffen und die falschen PKW-Kennzeichen vorbereitet, sie hätten für den 1.6.2019 den Treffpunkt bei der Autowaschanlage ausgemacht. Zur Tatnacht sagt Ernst, sie hätten „aus der Situation heraus“ entscheiden wollen, ob sie Lübcke zur Rede stellen oder die Waffe einsetzen würden: „Den Einsatz der Waffe zogen wir in Betracht.“ Sie hätten vorher darüber gesprochen, dass der Einsatz der Waffe eine Alternative sei. Er, Ernst, habe die Waffe an dem Abend bei sich gehabt. Sie hätten dann am Haus Walter Lübcke gesehen und seien von der angrenzenden Pferdekoppel hinübergegangen. Hartmann habe ihn aufgefordert, Walter Lübcke mit der Waffe zu bedrohen. Er habe, auf der Terrasse angekommen, die Waffe gespannt und zu ihm gesagt, er solle sich nicht bewegen und habe ihn in den Stuhl gedrückt. Er, Ernst, habe gesagt: „Für sowas wie dich gehe ich jeden Tag arbeiten“, und Hartmann habe gesagt: „So, Lübcke, Zeit zum Auswandern“. Walter Lübcke habe geschrien, sie sollten verschwinden, habe wieder aufstehen wollen, da habe er, Ernst, geschossen, vielleicht habe er auch nur auf so eine Reaktion gewartet, um zu schießen, gibt er in seiner Einlassung an. Sie seien dann weggerannt. Im Auto hätten er und Hartmann ausgemacht, die Waffen verschwinden zu lassen. Ernst sagt in einem kurzen Satz, mit dem Angriff auf Ahmed I. habe er nichts zu tun und schließt seine Erklärung mit einer Entschuldigung an die Familie Lübcke und mit dem Wunsch, dass der Vorsitzende Richter Sagebiel ihn bei seinem Ausstiegswunsch unterstützen möge. In seiner ersten Vernehmung habe er auf Anraten von RA Waldschmidt Markus Hartmann rausgehalten, bei seiner zweiten Vernehmung habe er auf Anraten von RA Hannig falsche Angaben gemacht. Er stehe dem Senat, der BAW und der Nebenklage, Familie Lübcke, für Fragen zur Verfügung.
Zunächst will Ernst keine weiteren Fragen mehr beantworten, aber nach den Bitten des Vorsitzenden Richters, er möge wenigstens ein paar Fragen zum Tatgeschehen beantworten, willigte er ein. Die Mitglieder des Senats befragen ihn nach den Ausspähungen und zur Tat selbst. Dabei zeichnet Ernst am Richtertisch Wege auf Fotos des Geländes in Istha ein und stellt die Körperhaltung Lübckes auf einem Stuhl sitzend nach. Ernst gibt an, er sei vor dem Mord an Walter Lübcke mehrfach bei dessen Haus gewesen. 2016 gemeinsam mit Hartmann, um zu sehen wie die Umgebung ist, 2017 allein, dabei habe er mit einer Dashcam gefilmt, um herauszufinden, welches Auto Lübcke fahre, dieses hätten er und Hartmann am Regierungspräsidium ausfindig machen und beschädigen wollen, sie hätten dabei auch daran gedacht, ein Drohschreiben zu hinterlassen. 2018 sei er noch einmal mit Hartmann in Istha gewesen. Auf Frage des Vorsitzenden Richters sagt Ernst, er habe mit der Wärmebildkamera am Abend des Mordes versehentlich ein Bild gemacht, am Vorabend sei er nicht da gewesen.
Stephan Ernst ändert während der kurzen Befragung durch den Senat mehrfach seine Aussage zu dem, was er und Hartmann mit der Waffe beim Angriff auf Walter Lübcke geplant hätten. Aus eventuellen Warnschüssen wurde der Plan, „auf jeden Fall“ die Waffe gegen ihn einzusetzen. Im Anschluss daran stellt Verteidigung Hartmann einen Antrag, das Gericht möge den psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Leygraf leiten, in seinem Gutachten auf die Aussagefähigkeit von Ernst einzugehen, und beantragt die Anhörung eines Sachverständigen zu Aussagepsychologie. Ernst gibt danach auf Frage des Vorsitzenden Richters an, dass er deshalb mehrfach seine Aussage zum Tatablauf geändert habe, weil sein ehemaliger Anwalt Frank Hannig sich die Version, in der Hartmann schießt, ausgedacht habe, um Hartmann zu einer Aussage zu bringen.
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An diesem Verhandlungstag zum Mord an Walter Lübcke und zum rassistischen Angriff auf Ahmed I. wurde der Hauptangeklagte Stephan Ernst von Mitgliedern des Senats befragt. Dabei bekräftigte er erneut, dass er gemeinsam mit Markus Hartmann den Mord an Lübcke geplant habe. Er ging näher auf die die Planung ein und gab an, dass sie geplant hätten, die Handys während der Tat zu Hause zu lassen. Im Gespräch sei außerdem gewesen, dass Dritte die Handys in der Zeit verwenden. Deutlich wurde, wie sicher sich die beiden Angeklagten offenbar gefühlt haben, glaubt man den Angaben von Ernst. Danach unterhielten sie sich auch im Schützenverein über ihre Pläne. Nach der Tat habe Ernst einem Arbeitskollegen geäußert, er würde wegen des Mordes eine Hausdurchsuchung befürchten und habe ihn gebeten, mit ihm seine Waffen auf dem Betriebsgelände zu verstecken. Ernst wurde außerdem nach Alexander Sch. gefragt, den er als Freund von Hartmann in der zweiten Vernehmung erwähnt hatte. Zunächst gab Ernst an, auch mit ihm über Lübcke gesprochen zu haben, nach einer Intervention seines Anwalts Mustafa Kaplan änderte er seine Angabe, es sei nur um das Studium von Sch. gegangen.
Zu Beginn des Prozesstages gab RA Kaplan an, sein Mandant könne sich gut vorstellen, dass er RA Waldschmidt und RA Hannig teilweise von der Schweigepflicht entbinden werde. Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann meldete sich zu Wort, er wisse, er dürfe keine Fragen stellen [Ernst hat dies nach seiner Einlassung ausgeschlossen], er wolle aber etwas anregen. In der Einlassung sei die Rede von einem Wunsch nach einem Ausstiegsprogramm, in der Regel gehört dazu, alles zu erzählen, was man wisse. Das gehöre eher nicht in die Hauptverhandlung, aber er würde vorschlagen, dass Ernst zeige, dass er offen genug sei und sein Ausstiegsswunsch zutreffe, indem er sich beispielsweise mit dem BKA hinsetze und erzähle, was er in den letzten 20 Jahren in der Naziszene gemacht habe. Sagebiel sagte, man habe sich schon mit einem Ausstiegsprogramm in Verbindung gesetzt.
Dann begann die beisitzende Richterin Miriam Adlhoch mit der Befragung des Hauptangeklagten. Es ging zunächst um die Tatwaffe, Ernst gab an, das sei der Rossi-Revolver gewesen, er habe ihn ca. 2017 von Elmar Jo. erworben. Er habe Jo. auf dem Flohmarkt kennengelernt, Hartmann habe sie bekannt gemacht. Hartmann und er seien gemeinsam auf dem Flohmarkt gewesen, Hartmann habe gesagt, da sei jemand, der sich mit Waffen auskenne. Das sei der „Flohmarkt Messehallen Kassel“ gewesen. Ernst sagte dann dazu aus, wann er welche Waffen gekauft habe. Die Schrotflinte und den Mehrschussvorderlader habe Hartmann ihm bereits 2014 oder 2015 verkauft, bevor er den Kontakt zu Jo. hergestellt habe. Es sei darum gegangen, sich zu bewaffnen, um sich auf den „anstehenden Bürgerkrieg“ vorzubereiten: „Waffen zu horten, das stand im Vordergrund.“ Später sei ein generelles Interesse an Waffen sowie der Modifikation von Waffen hinzugekommen. Ernst ging dann darauf ein, dass Jo. ihm erst ein Jagdgewehr verkauft und dann wegen des Interesses von Ernst an dem Rossi-Revolver ihm ca. drei Monate später auch diesen angeboten habe. Kurzwaffen seien leichter mitzuführen, sagte Ernst auf Nachfrage. Er habe erst mit Hartmann und später mit seinen Arbeitskollegen Lu. und A. über diesen Kauf gesprochen. Er habe mit dem Rossi-Revolver vor dem 1. Juni 2019 bereits in der Nähe von Rasthof Kassel mit Hartmann und allein im Wald geschossen. Sie hätten dort auf eine Zielschreibe von Merkel geschossen.
Anschließend ging es erneut um den Tatablauf. Ernst beschrieb, wie er und Hartmann sich am verabredeten Punkt bei der Waschanlage getroffen und die Nummernschilder ausgewechselt hätten. Diese sei immer zugänglich, an diesem Abend sei dort kein Betrieb mehr gewesen. Diesen Treffpunkt hätten er und Hartmann Mitte Mai vereinbart, als er bei Hartmann gewesen wäre. Da hätten sie besprochen, wo und wann sie sich treffen würden, wenn etwas dazwischenkäme, hätten sie sich nochmal schreiben wollen. Dass am 1. Juni in Istha Kirmes sein würde, darüber hätten sie zuvor im Schützenverein gesprochen, danach seien sie zu Hartmann gefahren, um die Nummernschilder vorzubereiten. Auf Frage sagte Ernst, die komplette, endgültige Planung, wie es ablaufen solle, habe bei einem Treffen zwischen ihm und Hartmann Mitte April 2019 bei SMA [SMA Solar Technology] stattgefunden. Sie hätten sich auf der Kirmes unter die Leute mischen, Walter Lübcke suchen und ihn beobachen wollen. Auf dem Weg nach Hause hätten sie ihn angreifen wollen. Wenn sie ihn auf der Terrasse sehen würden, wollten sie ihn von zwei Seiten angreifen, das sei immer Thema gewesen. Dies sei auch der Tag gewesen, an dem Hartmann gesagt habe, dass sie eine Waffe mitnehmen sollten. Sie hätten sich auf den Rossi-Revolver von ihm, Ernst, geeinigt. Hartmann habe ihn gefragt, ob er, Ernst, die Waffe nehmen würde. Ernst gibt an, er habe das bejaht. Er habe gesagt, „ich werde ihm eine verpassen“, Hartmann habe gesagt, er wolle Lübcke ins Gesicht sagen, „Zeit zum Auswandern“. Hartmann habe gesagt, wenn Lübcke „blöd kommt“, solle Ernst schießen. Der Senat fragte nach der Bedeutung von „Zeit zum Auswandern“, Ernst verneinte die Bedeutung, dass es den Tod von Lübcke bedeuten sollte, es habe eine Anspielung auf die Veranstaltung in Lohfelden sein sollen. Sie seien mit seinem Auto nach Istha gefahren, im Auto hätten sie darüber gesprochen, dass Hartmann Ärger mit seiner Freundin und seine Waffen vergraben habe, auch Chemnitz sei noch einmal Thema gewesen. Das Auto von Hartmann hätten sie auf den Parkplatz des „Fressnapf“ abgestellt. Ernst erzählte noch einmal detailliert, wie er und Hartmann sich von der Pferdekoppel dem Haus genähert hätten. Der Senat fragte hier insbesondere danach, dass sie im Licht der Scheinwerfer des Hauses gestanden hätten und warum sie nicht maskiert gewesen seien. Ernst sagte, darin hätten sie kein Risiko gesehen. Sagebiel: „Man könnte auf den Gedanken kommen, dass sie deswegen kein Risiko sahen, weil Herr Lübcke auf jeden Fall sterben sollte“. Er fragte, ob das besprochen worden sei. Ernst zögerte, besprach sich mit seinem Anwalt, dann sagte er, „ja, es ist so, wie Sie es sagen“. Ernst bestätigte auch, dass sie gezielt den Zeitpunkt der Kirmes herausgesucht hätten, um nicht aufzufallen, damit man nicht hört, wenn ein Schuss fällt.
Ernst schilderte die Rückfahrt, Hartmann habe ihn aufgefordert, normal zu fahren, keinen Unfall zu bauen. Bereits hier gab Ernst an, prognostiziert zu haben, „das wird richtig groß werden.“ Sie hätten in der gleichen Waschanlage die Schilder abmontiert und seien mit beiden Autos zu Ernst gefahren, weil das Gewehr K98, das Hartmann legal besessen habe, noch bei Ernst gewesen sei. Sie hätten auf der Fahrt darüber gesprochen, dass sie nun alles verschwinden lassen müssten, Hartmann die Schilder, Ernst die Waffen. Hartmann habe gesagt, man müsse „cool bleiben bis zuletzt“. Ernst schilderte, dass er die Waffe K98 in einem Seesack aus seinem Keller zu Hartmanns Auto gebracht habe. Sagebiel fragte nach, ob dies nicht ein Risiko gewesen sei, da die Nachbarn die Autotüren und das Gespräch hätten hören können. Ernst sagte, er habe die Waffe eng am Körper getragen, es sei dunkel gewesen. Er bestätigte, dass er und Hartmann hörbar miteinander in seiner recht dicht bebauten Straße am Autofenster miteinander gesprochen hätten. Sie hätten noch einmal darüber gesprochen, dass sie sich am folgenden Donnerstag im Verein sehen würden. Danach habe er die Tatwaffe noch geputzt und in seinem Waffenversteck verstaut. Das Waffenversteck habe er bei Umbaumaßnahmen in seinem Haus in die Mauern eingelassen. Neben der Tatwaffe waren dort auch: Eine Uzi, eine abgesägte Schrotflinte, ein Vorderlader-Revolver, ein Kleinkalieber-Gewehr, ein modifiziertes Kleinkalieber-Gewehr, eine 1911er Pistole und Muntion.
Ernst erzählte auf Nachfrage, er sei um drei Uhr aufgestanden und habe da im Smartphone gelesen, dass Lübcke tot sei. Er bestätigte, dass Hartmann ihm am nächsten Tag geschrieben habe. Er habe ihm, Ernst, über Threema einen Link aus der HNA über den Mord geschickt. Ernst gab an, er und Hartmann hätten nur über Threema kommuniziert, Hartmann habe ihm dies empfohlen, es sei sehr sicher, dort zu kommunizieren. Sagebiel fragte, ob er das Handy am Tatabend dabei gehabt habe. Das verneinte Ernst, das gleiche gelte für Hartmann, „denke ich mal“. Sie hätten vorher besprochen, die Handys wegen der Ortung zuhause zu lassen. Ernst bestätigte, dass sie darüber gesprochen hätten, jemand Drittes zu bitten, die Handys zu benutzen. Er habe das nicht weiter erwogen, für Hartmann könne er das nicht sagen. Auf Nachfrage sagte er, er habe nur mit einer weiteren Person über Threema kommuniziert, Alexander Sch. Er glaube, er habe diese Chats nicht mehr. Er habe sie auch bei seiner Verhaftung nicht mehr gehabt, er „habe oft, mit Herrn Sch. weniger, mit Hartmann oft kommuniziert“, dabei sei es oft um politische Themen gegangen, oft auch um Herrn Lübcke. Daher habe er die Chats am Tag nach dem Mord gelöscht. Auch dies hätten sie auf der Heimfahrt besprochen. Ernst bejahte die Frage, ob er mit Sch. auch über Lübcke gesprochen habe. Sagebiel fragt, ob als politischer Inhalt oder zum Vorhaben. RA Kaplan: „Ein Moment.“ Er will eine Pause.
Nach der kurzen Pause sagte Ernst, mit Sch. habe er nur technische Sachen für dessen Studium besprochen, keine politischen Themen, Walter Lübcke ebenso nicht. Ernst erzählte dann, was er am Tag nach dem Mord an Walter Lübcke, am 2. Juni, gemacht habe. Er habe seine Waffen, auch die Tatwaffe verpackt, sei im Schützenverein zum Bogenschießen gegangen. Er sei dann in seine Firma gefahren, wo er auch die Waffen habe vergraben wollen. Dort habe er sich mit seinem Kollegen Lu., dem er auch mal Waffen verkauft habe, über den Mord an Lübcke gesprochen. Lu. habe davon in den Nachrichten erfahren. Ernst habe Lu. erzählt, dass er sich Sorgen wegen einer Hausdurchsuchung mache, da Lu. auch von seinen neonazistischen Aktivitäten wusste, und habe ihn gefragt, ob er ihm helfen könne, seine Waffen zu vergraben. Lu. habe eine Stunde Wache gehalten, während Ernst seine Waffen vergraben habe. Zusätzlich gibt Ernst an, seinen am Tatabend getragenen Kleidungsstücke, Hose, Pullover und Schuhe, in einem Müllcontainer auf dem Firmengelände entsorgt zu haben. Sagebiel hakte nach und Ernst sagte, Lübcke sei in dem ganzen Bereich, in dem er gearbeitet habe, Thema gewesen.
Sagebiel fragte nach dem Gespräch mit seinem Arbeitskollegen Am. Ernst sagte, das sei am Morgen nach seiner Nachtschicht gewesen: „Ich habe ihn beiseite geholt und habe mit ihm gesprochen, ob er mit für den Tatabend ein Alibi geben kann, ich habe nicht gesagt, was, sondern ich habe gesagt, dass ich Blödsinn gemacht habe“ Am. habe sagen sollen, sie seien am Tatabend gemeinsam unterwegs gewesen. Lu. habe er nicht gefragt, da er nur mit Am. privat gut befreundet sei. Am Donnerstag darauf seien Ernst und Hartmann zwar beide im Verein gewesen, hätten sich aber nicht gesehen oder gesprochen. Vor seiner Verhaftung hätten sie keinen Kontakt gehabt, da es sich nicht ergeben habe. Ein Zerwürfnis habe es aber nicht gegeben.
Ernst gab an, Hartmann ungefähr 2003 auf einer Demonstration kennengelernt zu haben. Ein „anderer Kamerad“ – der Namen blieb ungenannt und ungefragt – habe Hartmann während der Anfahrt vorgestellt. Der Kontakt habe sich im Zuge von Kameradschaftsabenden weiterentwickelt. Hier sei das gemeinsame Vorgehen der Kameradschaft besprochen worden. Sie hätten sich auch ab und zu privat getroffen. Damals seien Waffen noch kein, Politik aber ständiges Thema gewesen, „das war die Zeit, als es mit den ‚Autonomen Nationalisten‘ losging.“ Das sei unkonventionell gewesen, man sei „neue Wege“ in der politischen Arbeit gegangen. Sie hätten dann nach einer Demonstration am 1. Mai 2009 in Dortmund den Kontakt verloren, da Ernst aus der Szene „raus“ gegangen sei. Er habe Hartmann dann 2014 an seiner neuen Arbeitsstelle bei Hübner wiedergetroffen. Richterin Adlhoch sagte, sie hätten die Arbeitszeiten überprüft, danach hätten Ernst und Hartmann schon 2011 zusammengearbeitet. Ernst sagte, das könne auch sein. Ernst macht danach ausführlicher Angaben zu seinem Kontakt mit Hartmann. Dabei deckte sich das meiste mit seinen bisherigen Angaben. Ernst sprach von Gesprächen über Politik, Waffen und Schießübungen. Sie hätten auch Dekowaffen wieder funktionsfähig gemacht, davon habe Hartmann „einen Haufen“ gehabt. Die Gespräche hätten sich immer weiter radikalisiert, der politische Bereich sei mit Waffen verknüpft worden. Trotz wöchentlicher Treffen hätten sich die Ehefrau von Ernst und Hartmann nie getroffen. Ernst bestätigte, dass Hartmann auf dem Flohmarkt auch als Händler agierte. Hartmann habe Militaria, Kleidung, Bücher „in Richtung zweiter Weltkrieg“, Messer, Steinschleudern,, viele NVA-Sachen, aber auch „normale Artikel“ verkauft. Er habe auch Waren aus China bestellt und weiterverkauft. Ernst beschrieb auf Fragen, dass er an seinem Arbeitsplatz an einer Fräse die Dekowaffen wieder funktionsfähig gemacht habe, er habe Lu. davon erzählt, aber indirekt und er habe den Namen Hartmann dabei nicht erwähnt. Wegen der Bürgerversammlung in Lohfelden habe Hartmann ihn kontaktiert, sagte Ernst. Danach endete der Prozesstag gegen 13:00 Uhr.
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Der Bericht bei NSU-Watch Hessen
Der 10. Verhandlungstag am OLG Frankfurt gegen Stephan Ernst und Markus Hartmann war geprägt vom Versuch der Richter*innen und der Bundesanwaltschaft, Unklarheiten und Widersprüche in den bisherigen Einlassungen von Stephan Ernst durch dessen weitere Befragung aufzuklären. Es waren viele Detailfragen, die den Verhandlungstag bestimmten. Zusätzlich stellte der psychologische Gutachter Prof. Leygraf sein Kurzgutachten zur Aussagetüchtigkeit und möglichen psychischen Erkrankungen von Ernst vor.
Zuerst drehte sich die Befragung von Ernst um die Bürgerversammlung in Lohfelden im Oktober 2015. Bei der Veranstaltung informierte der Regierungspräsident Lübcke Bürger*innen über eine demnächst öffnende Unterkunft für Asylsuchende in der Gemeinde. Im Publikum waren damals auch Stephan Ernst und Markus Hartmann, letzterer filmte den Aufritt Lübckes und stellte das Video davon ins Internet. In der Hauptverhandlung wurde das Video gezeigt und Ernst zu den Hintergründen des Videos und Reaktionen darauf befragt. Weiter wurde Ernst wiederholt zur Tatvorbereitung, dem Tatentschluss, dem Auskundschaften von Walter Lübcke und dessen Anwesen befragt, ebenso zur möglichen Rolle von Alexander Sch. im Zusammenhang mit der Tat und dem Kontakt von Ernst zu diesem. Danach wurde Ernst zu seinen beiden widerrufenen Geständnissen und der Rolle seiner jeweiligen Anwälte, Dirk Waldschmidt und Frank Hannig, bei diesen Geständnissen befragt.
Der Szene-Anwalt Waldschmidt, so Ernst, habe sich bei ihm gemeldet, und ihn nach Kontakten zum militanten Neonazinetzwerk Combat 18 (C18), dem bekannten nordhessischen C18- Aktivisten Stanley Röske sowie einer Teilnahme an einem C18-Schießtraining in Tschechien befragt, was Ernst verneinte. Waldschmidt empfahl ihm daraufhin, so Ernst, die Tat alleine auf sich zu nehmen. Sein zweiter Anwalt Hannig, habe ihn dann dazu gebracht, sein erstes Geständnis zu widerrufen und in einem zweiten Geständnis die Hauptlast der Tat seinem Mitangeklagten Hartmann in die Schuhe zu schieben, um den die Aussage verweigernden Hartmann zu einer Aussage zu bewegen, die neue Anknüpfungspunkte für die Verteidigung von Ernst bringen könnte. Als nächstes drehte sich die Befragung von Ernst um die politische Einstellung von Hartmann. Dabei erklärte Ernst, dieser sei „Reichsbürger“ und das 25-Punkte-Programm der NSDAP sei „wie ein Leitfaden“ für diesen gewesen. Dabei wurde Ernst auch zu bei Hartmann gefundenen NS-Devotionalien aller Art befragt, wozu Fotovorhalte im Prozess gemacht wurden. Auch die politischen Aktivitäten von Ernst waren an dem Tag Thema. So berichtete Ernst von besuchten AfD-Stammtischen in Kassel, der Teilnahme an AfD-Demos in Chemnitz und Erfurt und Videos, u.a. der „Identitären Bewegung“, die er geschaut habe. Dabei seien der „Trauermarsch“ in Chemnitz und die Ereignisse in der Stadt der Auslöser für Ernst und Hartmann gewesen, Walter Lübcke nicht nur zu attackieren und einzuschüchtern, sondern töten zu wollen.
Ein weiterer Sachverhalt, der an dem Verhandlungstag behandelt wurde, war das Thema Waffen. Die Befragung drehte sich dabei vor allem um An- und Verkäufe von Waffen an Arbeitskollegen durch Ernst aber auch um das von Ernst verratene Waffenversteck, wozu Fotovorhalte vor Gericht gemacht wurden, zu denen sich Ernst äußerte. Als einzige weitere Person neben Ernst wurde auf Antrag der Verteidigung Hartmann der psychologische Sachverständige Prof. Leygraf vor Gericht zu der Aussagetüchtigkeit von Ernst und möglichen psychischen Erkrankungen bei diesem befragt, wobei Leygraf sein Kurzgutachten über Ernst präsentierte und zu dem Zwischenergebnis kam, dass keine Beeinträchtigung oder Erkrankung bei Ernst diagnostizierbar gewesen sei. In Bezug auf den ebenfalls angeklagten Tatvorwurf Ernst auch für den Messerangriff Anfang Januar 2016 auf Ahmed I. in Lohfelden, stellte die Verteidigung von Ernst klar, dass sich dieser erst nach der Beweisaufnahme zu der Tat und den Vorwürfen äußern wolle.
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Der Bericht bei NSU-Watch Hessen
Am vierten Verhandlungstag in Folge wurde der Hauptangeklagte Stephan Ernst von Verfahrensbeteiligten befragt. Dabei ging es zunächst um die örtlichen Verhältnisse am Tatort, dem Haus der Familie Lübcke. Dazu wurde der Nebenkläger und Zeuge Jan-Hendrik Lübcke unter anderem gebeten, darzustellen, wohin die Scheinwerfer, die er wegen der Kirmes angebracht hatte, geleuchtet haben. Da der Tatort durch die Rettungsmaßnahmen zerstört wurde, konnte er nur nach den Angaben der Familie, wie die Terrasse üblicherweise eingerichtet war, nachgestellt werden. Anhand dieser Simulation hinterfragte OStA Killmer den von Ernst in seinem dritten Geständnis angebenen Tathergang. Laut der Simulation wäre Ernst zweimal um einen Stuhl und einen Tisch herumgegangen, an die sich Ernst aber nicht erinnern konnte. Killmer legte hier noch einmal die Tatversion aus dem ersten Geständnis von Ernst nahe. Auch im weiteren Verlauf ging es um die Abfrage von Details durch die Verfahrensbeteiligten.
Zu Beginn des Prozesstages wurde von Richter Dr. Koller der Beschluss verlesen, dass der Befangenheitsantrag des Angeklagten Hartmann gegen den Vorsitzenden Richter Sagebiel wegen angeblicher Gleichgültigkeit gegenüber dem Video bei STRG-F, „Exklusiv: Die Vernehmungen des Stephan Ernst“, als unbegründet zurückgewiesen wurde. Außerdem wurde eine E-Mail von einer Vertreterin des hessischen Justizministeriums zur Anfrage zu einem Ausstiegsprogramm für Stephan Ernst verlesen. Sie stellte darin das Ausstiegsprogramm „IKARus“ vor, das beim LKA Hessen angesiedelt ist. Dieses hätte ein standartisiertes Verfahren. Feste Ansprechpartner*innen würden erst ein Anbahnungsgespräch mit Ernst führen, schon „ab nächster Woche“. Der Senat händigte Ernst den ausgedruckten Flyer von „IKARus“ aus, der der Email angehangen war. Ernst sollte sich dazu verhalten, der Senat würde sich um den Rest kümmern.
Dann hatte die Bundesanwaltschaft das Fragerecht. Oberstaatsanwalt Killmer bat Jan-Hendrik Lübcke noch einmal, anhand von Fotos zu den örtlichen Umständen am Haus der Familie Lübcke, Angaben zu machen. Dieser erklärte, dass er Baustrahler wegen der Kirmes am Haus angebracht hatte, damit keine Kirmesbesucher*innen auf das Grundstück kämen. Diese Strahler hätten die Auffahrt beleuchtet und bis zu einem Seiteneingang über eine Wiese auf das Grundstück geleuchtet. Die Terrasse, auf der er seinen Vater fand, sei im Dunkeln gewesen. Danach forderte Killmer Stephan Ernst auf, er sollte auf Fotos zeigen, auf welchen Wegen er und Hartmann auf Lübcke zugekommen seien. Killmer hinterfragte die aktuelle Version von Ernst von der Tatnacht hier an mehreren Stellen. Zum einen ging es um Ernsts Angaben zu Hartmanns Weg zur Terrasse, dieser hätte nach den Angaben durch den Lichtkegel eines der Baustrahlers, sowie über eine ca. ein Meter hohe Mauer geführt. Killmer fragte, ob bzw. warum Hartmann nicht den Weg über Einfahrt gewählt hatte, die nicht vom Sitzplatz Walter Lübckes auf der Terrasse aus einsehbar gewesen sei. Ernst sagte, in ihren Augen sei das nicht kompliziert gewesen.
Es ging auch um Fotos des rekonstruierten Tatorts. Dieser wurde durch die Rettungsmaßnahmen verändert, danach wurde für die Rekonstruktion die Terrasse wieder so eingerichtet, wie sie nach Angaben der Familie immer gewesen war. Auf diesen Fotos wurde deutlich, dass zwischen Ernst und Walter Lübcke ein Stuhl und ein Tisch stand, wenn die Rekonstruktion zutrifft. Ernst stand vor dem Richtertisch, blickte auf das Foto und sagte, an Stuhl und Tisch könne er sich nicht erinnern. Killmer machte deutlich, dass diese Konstellation nur zu Ernsts erstem Geständnis passen würde. In der jetzigen Version hätte Ernst Stuhl und Tisch zweimal umlaufen müssen: Als er Walter Lübcke zurück in den Stuhl gedrückt und sich dann wieder zurückgezogen hatte. Ernst blieb bei seiner aktuellen Version.
Killmer hinterfragte nach einer kurzen Pause den langen Zeitraum zwischen der Veranstaltung in Lohfelden und dem Mord. Ernst sagte, sie hätten Informationen sammeln wollen, sie hätten erst an einen Farbanschlag gedacht. Es sei immer mal mehr oder weniger Thema gewesen und habe sich an Ereignissen aufgeladen, wie dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Vor der „Sache in Chemnitz“ sei noch „die Sache in Köthen“ gewesen und in Chemnitz hätten sie dann die Entscheidung getroffen.
Killmer hinterfragte kleinere Details, wie die Anschaffung und den Einsatz der Wärmebildkamera. Ernst bestritt, diese für den Mord an Walter Lübcke angeschafft zu haben, er habe sein Grundstück absichern wollen. Außerdem habe er die Kamera nicht in der Nacht vor dem Mord, 31. Mai auf 1. Juni 2019 eingesetzt, wie die von Ermittler*innen errechnete Systemzeit der Kamera für ein Foto von der Terrasse Lübckes angibt. Auf die Frage Killmers gab Ernst an, er habe nach der Tat zwei bis dreimal mit Hartmann gechattet, es sei um Treffen zum Reden und Bier trinken gegangen. Ein geplantes Treffen am Donnerstag nach der Tat im Schützenverein sei nicht zustande gekommen, obwohl beide da gewesen seien. Ernst hatte an einem anderen Verhandlungstag angegeben, er habe befürchtet, Hartmann sei verstimmt. Auf Frage nach dem angenommenen Grund für eine eventuelle Verstimmung intervenierte RA Kaplan. Ernst sagte, er habe gewartet, Hartmann sei nicht gekommen, er, Ernst, habe erst beim Rausgehen gesehen, dass Hartmanns Auto da gewesen sei, er sei dann aber gefahren.
OStA Killmer fragte dann nach einem angeblichen Zahlendreher, den Ernst in einer der letzten Sitzung geltend machen wollte: Er sei nicht am 06.01.2016 sondern am 01.06.2016 so erzürnt über die Silvesternacht 2016 gewesen, dass er durch die Straßen gezogen sei und Wahlplakate heruntergerissen habe. Es folgt eine Diskussion zwischen Sagebiel und Killmer mit Ernst, erstere glaubten nicht, dass man im Juni noch erbost über Ereignisse zu Silvester sein könnte. Ernst gab an, er habe das Datum aus der Luft gegriffen. Killmer fragt nach Stanley Rö. Ernst bestätigte, ihn zu kennen, sie seien keine guten Freunde gewesen, sie seien zu einer Demonstration gefahren, er habe zum „Pressefest“ in Grimma eine Mitfahrgelegenheit gesucht, danach habe er ihn immer wieder getroffen, sie hätten dann sowas wie ‚Hallo, wie geht’s?‘ gesagt. Seit er aus der Szene „raus“ sei, habe er ihn nicht mehr gesehen.
In der Mittagspause überprüfte der Senat, wann im Jahr 2016 Wahlen gewesen sind und festgestellt, dass im März 2016 Kommunalwahlen waren, so dass das von Ernst angegebene Datum, 01.06.2016 keinen Sinn machte. Darüber hinaus war der Senat zu dem Ergebnis gekommen, dass das Bild der Wärmekamera in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 2019 entstanden sei. Über beides solle Ernst nachdenken, sagte der Vorsitzende Richter. Killmer setzte seine Befragung des Hauptangeklagten fort und fragte nach einem Schießtraining in Tschechien mit Hartmann. Ernst gab an, das Schießtraining von Combat18 kenne er nur aus der Presse. Er habe mit Hartmann, als dieser noch bei Hübner gewesen sei, einen Schießstand in Tschechien besucht. Das sei nicht der Grund für den Besuch in Tschechien gewesen. Hartmann habe die Vorstellung gehabt, dass er sich mit einem Paintballgeschäft selbstständig machen könnte. Dabei könne man ein legales Geschäft haben und im Hintergrund in den Räumlichkeiten Waffen lagern, denn diese würden beim Vergraben kaputtgehen. In Tschechien habe Hartmann auf Flohmärkten Kontakte wegen Waffen und Drogen knüpfen wollen, er habe Crystal Meth verkaufen wollen. Den Zusammenhang zwischen der Reise nach Tschechien und dem angedachten Paintballgeschäft erklärte Ernst auf Frage nicht, er wiederholte einfach seine Angaben. Sie hätten auf einem Campingplatz in der Nähe von Prag übernachtet, in einer Straße, in der viele Campingplätze gewesen seien.
Der Vertreter der Nebenklage von Ahmed I., Björn Elberling, sagte, sie dürften ja keine Fragen stellen, würden aber auch keine an den Senat weiterreichen, man werde mit Anträgen und Erklärungen arbeiten. Er wollte nur eines zum Aussteigerprogramm sagen. Der Eindruck, Ernst wollte reinen Tisch machen, werde zerstört, wenn er einen rassistischen Mordanschlag verberge. „Diese Tat wird ihm nachgewiesen werden.“
Danach stellte die Verteidigung von Hartmann Fragen an Ernst, die dieser nicht beantwortete, aber der Senat übernehmen könnte. RAin Nicole Schneiders sah Ernst dabei an und sprach ihn auch direkt an. Ernst antwortete nicht, Schneiders benannte dies als Teilschweigen, welches das Gericht bewerten könne. Sie fragte u.a. nach der NPD-Mitgliedschaft des Angeklagten und bezog sich auf die Aussage von Mike Sa., der angegeben habe, dass Ernst zwei bis drei Jahre NPD-Mitglied gewesen sei. Schneiders fragte in Bezug auf die Vernehmung von Alexander Sch., ob er und Hartmann sich in Chemnitz mit ihm getroffen hätten. Denn Sch. habe angegeben, sie hätten sich in Chemnitz und Erfurt getroffen. Schneiders sagte dann, sie gebe das Fragen auf, werde mit RA Clemens abstimmen, ob sie den Fragenkatalog an den Senat geben würden. RA Clemens stellte weitere Fragen für die Verteidigung Hartmann. Er fragte u.a., ob der Tatenentschluss für den Mord an Walter Lübcke nach dem erneuten Aufkommen von „Entrüstung im Internet“ gegen Walter Lübcke und den darauffolgenden Skandal – ausgelöst unter anderem durch Erika Steinbach – gefasst worden sei.
Zum Abschluss des Prozesstages wurde das STRG-F-Video „Exklusiv: Die Vernehmungen des Stephan Ernst“ vorgeführt. Richter Sagebiel sagte danach, dies sei „kein journalistischer Meilenstein“ gewesen. RA Kaplan gab danach eine Erklärung ab, in der er eine dienstliche Erklärung der BAW forderte, weil er in Recherchen herausgefunden habe, dass die Akten aus dem Prozess in Frankfurt von der BAW an die Verteidigung in einem anderen Verfahren versendet wurden. Der Prozesstag endete um 15:30 Uhr.
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Der Bericht bei NSU-Watch Hessen