Im Mittelpunkt des Prozesstages stand die Befragung des Zeugen Ahmed I., ein Nebenkläger dieses Prozesses, der am 06.01.2016 in Lohfelden (Kassel) mutmaßlich von Stephan Ernst hinterrücks niedergestochen wurde. Die Befragung dauerte etwa 4,5 Stunden. Die Fragen waren zum Teil demütigend und wenig zielführend. Darüber hinaus hatte der Zeuge nicht den Raum, das Geschehen von damals aus seiner Perspektive darzulegen. Dies hat er bei einer Pressekonferenz im Anschluss nachgeholt. Anschließend wurde der Ersthelfer vernommen, der Ahmed I. nach dem Anschlag auf der Straße gefunden hatte.
Zu Beginn des Prozesstages verkündete Richter Sagebiel, er habe eine Kopie einer handschriftlichen biographischen Schrift von Markus Hartmann erhalten. Es handele sich dabei um einen „Lebensbericht“ mit dem Titel „Die x Stufen zum Erwachsenwerden“. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Markus Hartmann solle das Papier nicht im Gericht verlesen werden, sondern die Verteidigung bekäme die Gelegenheit, Eckpunkte des Werdegangs von Hartmann grob zusammenzufassen. Darüber hinaus wurde vom Senat auf Wunsch der Verteidigung Hartmann ein längerer „T-Online“-Nachrichtentext verlesen, in dem auf die rechten Tweets und Facebookeinträge von Erika Steinbach gegen Walter Lübcke im Februar 2019 näher eingegangen wurde. Dies wurde als Kompromiss verstanden, um sie nicht als Zeugin vorladen zu müssen. Danach bekam Hartmanns Verteidiger Clemens noch vor der Vernehmung von Ahmed I. die Gelegenheit, eine Erklärung abzugeben. Er versuchte, die militärischen Zinnfiguren, die bei Hartmann gefunden wurden, als unpolitisch darzustellen, da nur eine Figur den Hitlergruß machen würde. In seiner Erklärung versuchte er dann auch, eine der größten Nazidemonstrationen der vergangenen Jahre, den „Trauermarsch“ in Dresden im Februar 2009, zu einer nicht-rechten Veranstaltung umzudeuten, in der lediglich der „Bombenopfer“ gedacht worden sei. Auch Ernst und Hartmann hatten diese Demonstration besucht. Am Schluss seiner Erklärung führte Clemens an, dass Hartmann unter seinem Pseudonym und Inhaber des Accounts „Professor Moriatti“ sich nur an der aktuellen politischen Debatte beteiligt hätte.
Im Anschluss verlas Hartmanns Verteidigerin Schneiders einen Antrag, der sich auf Verfassungsschutz-Akten bezog, die nur im Selbstleseverfahren ausgegeben wurden. Es handelt sich dabei um einen V-Mann-Bericht von einer Sommersonnenwendfeier in Asbach in Thüringen, die von Thorsten Heise organisiert wurde. Dem Bericht war auch ein Gruppenbild angehängt, das im Gerichtsaal gezeigt wurde. Sie beantragte, den V-Mann namentlich zu benennen und den entsprechenden „V-Mann-Führer“ als Zeuge vorzuladen. Dies würde widerlegen, dass Ernst 2009 aus der „Szene“ ausgestiegen sei, denn das Foto soll im Jahr 2011 auf einer Sonnenwendfeier bei Thorsten Heise in Fretterode angefertigt worden sein.
Zu Beginn der Vernehmung des Geschädigten Ahmed I. wurde deutlich, dass das Gericht über die Dauer des Verfahrens den Namen des Zeugen nicht richtig notiert hatte; der Zeuge sollte unter anderem erklären, warum er zwei Nachnamen hat. Mühselig und zäh war auch zu Beginn die Befragung zum Aufenthaltsstatus von Ahmed I., der im Verfahren keinerlei Rolle spielt. Über die Dauer der Vernehmung kam es zudem immer wieder zu Kommunikationsproblemen zwischen Ahmed I. und seinem Dolmetscher.
Mit Hilfe eines Luftbildes sollte in der Befragung durch Richter Sagebiel der Tatablauf rekonstruiert werden. Ahmed I. schilderte, wie er am Abend vom 6.1.2016 von seiner damaligen Unterkunft zu einer nahegelegenen Tankstelle ging und dabei Musik hörte. Es näherte sich ein Fahrradfahrer, den er aus dem Augenwinkel mitbekam und dem er Platz machen wollte. Daraufhin spürte er einen Schlag auf den Rücken und fiel hin. Als er nicht mehr aufstehen konnte, bemerkte er Blut an seinem Rücken. In der Folge der Vernehmung versuchte der Zeuge zu verdeutlichen, dass der Anschlag sein Leben zerstört hat. Er schilderte die körperlichen und psychischen Folgen der Tat; währenddessen grinste Hartmann so lange, bis der Staatsanwalt intervenierte. Ahmed I. berichtete auch von zwei weiteren Vorfällen; zum einen sollen Personen in der Unterkunft, in der er lebte, nachts zwei Türen aufgebrochen haben, zum anderen wurde ein Hakenkreuz vor seiner Wohnung auf die Straße gesprüht. Ahmed I. machte als Zeuge deutlich, dass er von Anfang an gesagt hatte, dass er einen Nazi als Täter vermutete. Hintergrund war, dass Nazis unter dem Vorwand der „Silvesternacht in Köln“ Geflüchtete angegriffen hatten. Er machte auch deutlich, dass ihm die Polizei damals nicht glaubte. Darauf wurde im Gericht nicht eingegangen.
Mit der Begründung, „dies sei ein wichtiger Zeuge“, zwang Richter Sagebiel vielmehr Ahmed I. sehr intime Details der Spätfolgen des Mordanschlages in der Öffentlichkeit zu erörtern. Es wurden Vergleiche zwischen Aussagen gezogen, die Ahmed I. damals bei Vernehmungen durch die Kasseler Polizei gemacht haben soll und seinen Erinnerungen von heute. Es wurden Details erörtert, an die sich Ahmed I. nicht mehr erinnerte. Die Verteidigung von Ernst wollte dann bei ihrer Befragung die Glaubwürdigkeit von Ahmed I. demontieren. Es begann eine mühselige Befragung, in der es um Verständigungsprobleme mit den Dolmetscher*innen bei der Polizei ging, um seinen Aufenthaltsstatus, und weitere, für den Prozess irrelevante Details. Dabei wurde aus einem rassistischen Vermerk eines Polizisten zitiert.
Der letzte Zeuge an diesem Prozesstag war ein Kasseler, der am Tatabend erste Hilfe für Ahmed I. geleistet und dafür gesorgt hatte, dass ein Krankenwagen gerufen wurde. Nach der Tat hatte die Polizei auch im Umfeld des Opfers ermittelt. Der Zeuge bestätigte auf Nachfrage, dass andere Bewohner*innen der Unterkunft, die wenige Minuten später dazu gekommen waren, und Ahmed I. einen freundlichen Umgang miteinander hatten.
Der Prozesstag bei NSU-Watch Hessen