34. Prozesstag, 01. Dezember 2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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Holger Matt, Anwalt der Nebenklage Familie Lübcke, stellte den Antrag, Handakten des ehemaligen Verteidigers von Stephan Ernst, Frank Hannig, teilweise in den Prozess einzuführen. Dies war wegen der nur teilweise aufgehobenen Schweigepflicht durch Ernst äußerst heikel. Des Weiteren wurde erneut der Sachverständige Schneider, der das Gutachten über die aufgefundene DNA-Spur an einem Messer von Stephan Ernst erstellt hatte, von der Verteidigung Ernst befragt. Geladen war auch eine Verkäuferin, die zu einer Quittung über den Kauf eines Messers vom 30. Januar 2016, aussagte. Sie bestätigte, die Quittung geschrieben zu haben, konnte sich aber nicht an Stephan Ernst als Käufer erinnern. Darüber hinaus war erneut der Sachverständige für Schusswaffen vom hessischen LKA geladen, der die bei Markus Hartmann gefundene Dekowaffe untersuchte.

An diesem Prozesstag machte Richter Sagebiel deutlich, dass der Senat den Anklagevorwurf des versuchten Mordes am Nebenkläger Ahmed I. kritisch sehe. Nebenklage-Vertreter Alexander Hoffmann kündigte an, mit seinem Mandanten über einen eventuellen Befangenheitsantrag zu sprechen.

Zu Beginn des Prozesstages beschwerte sich Richter Sagebiel darüber, dass der Pressesprecher der Familie Lübcke, Dirk Metz, in einem Artikel bei „Spiegel Online“ die „Freundlichkeit“ des Gerichtes gegenüber Markus Hartmann kritisierte und dass das Gericht aus seiner Sicht kein Interesse mehr an Aufklärung habe. Sagebiel nannte dies einen „unerhörten Vorgang“ und führte an, dass die Inschrift über dem Eingang des Gebäudes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ernst genommen würde, was bedeute, dass zunächst die Unschuldsvermutung gelte, jeder höflich behandelt würde und „in dubio auch aus der Haft entlassen“ würde. Sagebiel bezog sich hierbei auch auf die Werte des ermordeten Walter Lübcke, da dieser dieselben auch hoch gehalten habe.

Unbeeindruckt von den Vorbemerkungen Sagebiels stellte RA Matt den Antrag, Handakten des ehemaligen Verteidigers von Ernst, RA Hannig, beschlagnahmen zu lassen, zu sichten und die Teile in den Prozess einzuführen, die von der Schweigepflichtsentbindung durch Ernst betroffen seien. Hiermit sollte belegt werden, dass Stephan Ernst von Beginn an Hartmann als direkten Tatbeteiligten benannt hatte. Damit sollte die Glaubwürdigkeit dieser Version des Tatgeschehens untermauert werden. Das gesamte Prozedere war bisher vom Senat abgelehnt worden, da Ernst seinen ehemaligen Verteidiger nur teilweise, u.a. in Bezug auf die Tatbeteiligung Hartmann, von der Schweigepflicht befreit hatte.

Nach kurzer Prüfung des Antrages machte der Senat – ohne darüber zu entscheiden – deutlich, dass es gut möglich wäre, dass der Prozess auch im Januar weitergeführt werde, falls das Verfahren Erweiterungen erhalte.

Dann wurde zum zweiten Mal der Molekularbiologe Schneider vom LKA, der das Gutachten zur DNA-Spur am Messer von Ernst erstellt hatte, gehört. Dieser hatte angegeben, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch sei, dass die aufgefundene DNA an der Klinge des Messers, das bei Stephan Ernst gefunden wurde, die DNA des Nebenklägers Ahmed I. ist. Mehrfach hatte die Verteidigung Ernst im Prozess versucht, den Sachverständigen zu diskreditieren und das Prüfverfahren anzuzweifeln. Bei der Befragung kam erneut heraus, dass die aufgefundene Spur auf der Messerklinge sehr klein war, und dass das Ergebnis somit ein Indiz, kein Beweis sei. Der Sachverständige machte erneut deutlich, dass er es dennoch für sehr wahrscheinlich halte, dass die aufgefundene Spur vom Nebenkläger Ahmed I. stammt.

Danach wurde eine Zeugin vernommen, die bestätigte, dass sie einen Beleg über den Erwerb eines Messers am 30. Januar 2016 unterschrieben hatte. Der Beleg wurde digitalisiert auf einem USB-Stick von Ernst gefunden. Dies wertete die Verteidigung als Beleg dafür, dass das Messer, das im Prozess als mögliche Tatwaffe für den Angriff auf Ahmed I. gehandelt wird, erst nach dem versuchten Mordanschlag am 6. Januar 2016 auf Ahmed I. von Ernst erworben worden sei und damit als Tatwaffe entfalle. RA Hoffmann, Anwalt der Nebenklage, erwiderte, dass hiermit nur belegt sei, dass ein Messer erworben wurde, aber nicht welches und von wem. Richter Sagebiel verkündete, dass der Senat den Tatvorwurf in Bezug auf den versuchten Mord an Ahmed I. kritisch sehen würde.

Da die Verteidigung Hartmann ein Gegengutachten zu dem Gutachten des Waffensachverständigen vom hessischen LKA hatte erstellen lassen, wurde der Sachverständige an diesem Prozesstag erneut in den Zeugenstand gerufen. Er hatte angegeben, dass die Dekowaffe, ein Maschinengewehr, von Hartmann nicht ausreichend unbrauchbar gemacht worden sei. Diese könnte durch einen Rückbau wieder funktionsfähig gemacht werden, zu einer „vollautomatischen Waffe“. Nach einigem Fachsimpeln im Gerichtssaal, an dem sich auch an diesem Tag wieder Hartmann beteiligte, wurde entschieden, dass der Sachverständige die Waffe wieder funktionsfähig machen und dies ausreichend dokumentieren solle, damit nachvollziehbar wäre, wie lange das dauert.

Am Ende des Tages wurde ein Bericht des LfV Hessen verlesen, der Personen aus der Neonazi-Szene benannte, die sich bei folgenden Veranstaltungen beteiligt bzw. sich an bestimmten Orten aufgehalten hatten: Sommersonnenwendfeier am 18.06.2011 von Thorsten Heise im thüringischen Asbach; im Fahrzeug auf dem Weg zu einer Demonstration nach Gießen am 09.07.2011; auf dem von Heise organisierten „Alsfeldtag“ im September 2011.

Der Prozesstag bei NSU-Watch Hessen